Harrison, Kim – Blutlied

2352 Seiten voller Abenteuer hat Kim Harrison mit ihrer beliebten Heldin, der Hexe Rachel Morgan, bereits geschrieben – in vier Bänden. Nummer fünf, „Blutlied“, fügt diesem beachtlichen Werk weitere 734 hinzu, und ein Ende der Reihe ist nicht in Sicht. Doch schafft man es nach so vielen Seiten wirklich noch, die Leser mitzureißen?

_In Anknüpfung_ an „Blutpakt“ steht Rachel Morgan, die chaotische, freche Hexe, vor dem Problem, dass sie den Fokus in ihrem Besitz hat und ihn gut verstecken sollte. Dieses Artefakt ermöglicht den Werwölfen, Nachkommen zu schaffen, was den Vampiren in Cincinnati natürlich missfällt. Glücklicherweise sind beide Lager davon überzeugt, dass der Fokus zusammen mit Rachels Exfreund verschwunden ist.

Eines Tages wird die Hexe jedoch vom FIB, einer dem FBI ähnlichen Organisation, zu Rate gezogen, um diesem bei der Aufklärung mehrerer Morde an Werwölfen zu helfen. Schnell findet sie heraus, dass es zwei verschiedene Arten von Opfern gibt: neue Werwölfe, die sich aus Verzweiflung und Schmerz während der ersten Verwandlung selbst umgebracht haben; und zwei, deren Selbstmord nur fingiert wurde. Bei diesen zweien handelt es sich ausgerechnet um die Handlanger der beiden größten Werwolfrudel in der Stadt. Rachel wird klar, dass die beiden sich wegen des Fokus‘ bekriegen. Außerdem findet sie heraus, dass die Opfer allesamt mit ihrem Werwolffreund David befreundet waren, der momentan den Fokus für sie hütet. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Zu allem Überfluss macht der Dämon Al ihr immer noch das Leben schwer. Er hat Besitz von einem jungen Asiaten ergriffen und belästigt Rachel, wo er nur kann. Als sie ein verlockendes Arbeitsangebot von ihm ausschlägt, verwüstet er das Nachtleben in der Stadt, um ihr zu drohen. Weil sich die Behörden nicht anders zu helfen wissen, entlassen sie Piscary, den größten Vampir der Stadt, aus der Haft, damit er Al banne. Rachel ist davon alles andere als begeistert. Immerhin hat sie Piscary hinter Gittern gebracht, und dieser erhebt Anspruch auf ihre Mitbewohnerin Ivy. Und dann ist da auch noch Rachels vampirischer Freund Kisten, dem Piscary nicht mehr besonders wohlgesonnen ist …

_Ein Buch aus_ der Rachel-Morgan-Serie zu lesen, ist wie nach Hause zu kommen. Bereits die ersten Sätze ziehen den Fan direkt in das magische Cincinnati und lassen ihn erst wieder los, wenn er das Buch schon längst geschlossen hat. Die Welt, die Harrison erschaffen hat und in jedem Band weiter ausbaut, ist schier überwältigend. Das beginnt bei den unterschiedlichen Institutionen, Regeln und Traditionen, die das Zusammenleben von Menschen und Inderländern regeln, und findet seinen Höhepunkt in der Masse von fantastischen Wesen, die die Autorin in ihrer Geschichte ver- und ausarbeitet. Exemplarisch sei an dieser Stelle Jenks, der Pixie und Mitarbeiter von Ivys und Rachels Kopfgeldjägeragentur genannt, der mit seiner Familie in einem Garten hinter der Kirche der Hauptfiguren lebt. Harrison beschreibt ihn, sein Familienleben und seinen Charakter so anschaulich, interessant und humorvoll, dass man das Gefühl hat, ihn persönlich zu kennen – obwohl es ihn selbstverständlich nicht gibt.

Neben Pixies kommen in der Geschichte auch Elfen, Fairys, Tiermenschen, Hexen, Hexer, Vampire, Werwölfe und andere vor. Dass die Autorin bei diesem Gewusel nicht nur selbst den Überblick behält, sondern das Ganze auch für den Leser nicht verwirrend werden lässt, ist ihr hoch anzurechnen. Sie ist überaus geschickt darin, einzelne Fäden und Elemente in ihrem Buch zu harmonisieren, denn ansonsten würde der Leser bei einer umfassenden Handlung, wie man sie in all ihren Bücher findet, schnell den Überblick verlieren. Neben der eigentlich Kernhandlung im Buch – den Werwolfmorden – spielen nämlich auch die Handlungsstränge, die in den vorherigen Bänden entwickelt worden sind, eine große Rolle. Es empfiehlt sich deshalb dringend, bei Neueinstieg mit dem ersten Band anzufangen. Da Harrison darauf verzichtet, Vergangenes noch mal breit auszuwalzen (was bei dem Umfang ihrer Geschichten auch wirklich zu weit führen würde), ist ein gewisses Vorwissen notwendig, um die verschiedenen Beziehungen zwischen den Charakteren, ihre Feind- und Liebschaften zu durchblicken. Diese spielen nämlich ebenfalls eine gewichtige Rolle in dem Roman und sorgen für einigen Zündstoff.

_Die Charaktere_ haben stark im ersten Band begonnen und sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Auf einem dementsprechend hohen Level befinden sie sich in Band fünf. Manchmal hat man wirklich das Gefühl, Ivy, Rachel und Co. persönlich zu kennen. Dank ihrer Macken, Probleme und Charakterzüge wirken sie lebendig, auch wenn Kim Harrison es ab und an etwas übertreibt, um für Unterhaltung zu sorgen. Wirbelwind Rachel beispielsweise stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste, was vielleicht nicht unbedingt authentisch, aber unglaublich unterhaltsam ist.

Garniert wird das Ganze durch Harrisons frischen, frechen Schreibstil. Sie erzählt aus Rachels Perspektive, deren impulsive, leidenschaftliche Persönlichkeit dadurch fantastisch zum Tragen kommt. Ihr böser Humor und ihr leicht dreckiges Mundwerk sorgen dafür, dass es nie langweilig wird, selbst wenn die Autorin einmal wieder ein bestimmtes Ereignis seitenlang beschreiben muss. Das passiert nämlich häufiger und ist das einzige Manko des Buches: Harrisons sprachliche Langatmigkeit. Allerdings bügelt sie dies mit Sarkasmus und Witz wieder aus, so dass es in der Summe kaum auswirkt.

_Alles in allem_ ist „Blutlied“ eine tolle Fortsetzung der Rachel-Morgan-Reihe mit einer actionreichen Handlung, großem Gefühlschaos, Unmengen von Fantasie und einer wunderbar humorvollen Hexe als Hauptfigur.

|734 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3-453-52472-9|
http://www.kimharrison.net
http://www.heyne.de

_Kim Harrison bei |Buchwurm.info|:_

[„Blutspur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3253
[„Blutspiel“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4512
[„Blutjagd“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5252

Fingerman, B. H. – Blutraub

_Vampirromane_ liegen im Moment voll im Trend und überschwemmen den Markt in derartiger Fülle, dass es dem Lesefreudigen leicht fallen dürfte, sich mit nichts anderem als der Lektüre von Vampirromanen die Zeit zu vertreiben. Doch die Tatsache, dass dieses Genre so rasant angewachsen ist, birgt natürlich auch Gefahren – vor allem die der Wiederholung und des Klischees. Die Buchhandlungen sind voll von depressiven Vampiren, die fantastisch aussehen und nur darauf warten, in einer kleinen grauen Maus die Frau für die Ewigkeit zu finden. Oder von taffen Dämonenjägerinnen, die es auf die ebenso taffen (aber trotzdem gut aussehenden) Vampire abgesehen haben.

Einen wirklich originellen Vampirroman und einen andersartigen Vampir nieder zu schreiben, scheint also eine recht schwierige Aufgabe zu sein, bei der sich männliche Autoren besser schlagen als ihre weiblichen Kolleginnen – sicherlich, weil sie keine Skrupel haben, dem Vampir seine romantische Komponente zu nehmen. Auch Bob Fingerman, der eigentlich Comic-Zeichner ist und mit „Blutraub“ seinen ersten Roman vorgelegt hat, schlägt in diese Kerbe. Sein Vampir Phil will schonungslos realistisch sein und Vampirismus jenseits von adligen Blutsaugern und schlanken Frauenhälsen zeigen.

_Als Mensch war Phil_ nämlich ein ganz normaler New Yorker mit Frau und mit Job – ein totaler Durchschnittstyp also. Doch dann ändert sich plötzlich alles, als er nachts in der U-Bahn angegriffen und zurückgelassen wird. Die Polizei hält ihn zunächst für tot, doch als er sich plötzlich wieder aufrappelt, lassen ihn die völlig verdutzten Beamten einfach gehen. Auch Phil hat keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Als er jedoch endlich realisiert, was geschehen ist – nämlich, dass er von einem Vampir angegriffen wurde und jetzt selbst einer ist -, geht es mit seinem geregelten Leben bergab.

Seine Frau verlässt ihn, und auch wenn er es schafft, bis zum Tod seiner Eltern Kontakt mit ihnen zu halten, muss er sich doch ständig von seinem Vater Vorwürfe darüber anhören, dass er nur nachts erscheint und immer so blass aussieht. Arbeiten kann er natürlich auch nur während der Nacht (ja tatsächlich – ein Vampir, der arbeitet) und seine Jobs muss er immer nach einigen Jahren aufgeben, damit niemandem auffällt, dass er nicht altert. Seine Skrupel führen dazu, dass er sich nur von Pennern und Abschaum ernährt, vor dem er sich eigentlich ekelt (daher der amerikanische Titel „Bottomfeeder“). Ein Sozialleben hat er nicht. Den einzigen Freund, den er aus seinem Leben als Mensch in seine vampirische Existenz hinüberretten konnte, ist Shelley, ein wehleidiger, stotternder Trinker.

_Fingerman_ ist mit seinem Ich-Erzähler Phil ein überzeugender Gegenentwurf zum romantischen und sogar zum gefährlich-tödlichen Vampir gelungen. Phil war zu Lebzeiten ein Normalo und ist es auch im Tode noch. Als ihn sein neuer Vampirbekannter Eddie in die Vampirgesellschaft New Yorks einführt (mit Penthouse, Marmorböden und lebenden Blutspendern, die hinter einer Bar aufgebaut sind), stößt ihn die offensichtliche Dekadenz und Lebensfeindlichkeit ab. Er spürt deutlich, dass er nicht dazu gehört und sich sein sozialer Status nicht automatisch mit seiner Vampirwerdung verbessert. Weder hat er einen französischen Akzent, noch kommt er unversehens zu Reichtum, noch wirkt er auf Frauen wahnsinnig anziehend. Er muss immer noch arbeiten, um die Miete für sein kleines Apartment zahlen zu können, und er fährt immer noch U-Bahn. Stattdessen hat ihn seine Lage zu einem bitterbösen Zyniker gemacht, und er beobachtet seine Umgebung mit gnadenlosem Auge und spitzer Zunge.

Leider trägt die pure Idee eines Anti-Vampirs wie Phil nicht den ganzen Roman, denn was Fingerman in „Blutraub“ vermissen lässt, ist eine spannende Handlung. Man merkt dem Autor seinen Hintergrund als Comic-Zeichner an: Da, wo er Szenen und Details beschreibt, wo es um Momentaufnahmen und Stimmungen geht, ist er unglaublich plastisch und lässt mit Leichtigkeit Bilder im Kopf des Lesers erstehen. So begleitet er Phil zu seiner Arbeit, wo dieser alte Fotografien (meist von tödlichen Unfällen oder Morden) digitalisiert. Was Phil sieht, wird auch dem Leser auf dem Silbertablett präsentiert. Jeder Tropfen Blut, jedes verrenkte Glied, jede groteske Todesart wird genüsslich in deutliche Worte übersetzt. Allerdings wird natürlich keine Spannung aufgebaut, wenn nur eine beschreibende Szene an die nächste geknüpft wird, und man fragt sich zwangsläufig, welchen roten Faden Fingerman eigentlich in seinen Roman eingebaut hat.

Ja, im Verlauf der Handlung trifft Phil auf andere Vampire (und Fingerman stellt wunderbar die Dekadenz des Vampirismus und seine absolute Realitätsferne bloß) und ja, auch sein alter Freund Shelley wird schlussendlich eine wichtige Rolle spielen (und für eine ironische Brechung eines typischen Vampirtopos sorgen – mehr sei nicht verraten). Doch grundsätzlich ist „Blutraub“ unglaublich handlungsarm. Wirkliche Langeweile kommt zwar nie auf, da Fingerman es durchaus versteht zu schreiben und seine Leser bei Laune zu halten. Aber Spannung zu erzeugen, eine tragende Handlung aufzubauen, das ist Fingermans Talent nicht.

_Trotzdem_, für ein Debüt hat „Blutraub“ viele Elemente, die überzeugen und überraschen, und Fingermans Grundidee des stinknormalen Vampirs liest sich erfrischend zwischen all den noblen Vampiren im Spitzenhemd. Und auch seine Stadt (er ist selbst New Yorker) lässt er detailreich und ohne rosarote Brille vor des Lesers geistigem Augen erstehen. Nach der Lektüre von „Blutraub“ wird man es sich wohl zweimal überlegen, ob man je wieder in New York U-Bahn fährt. Und so gibt es in seinem Roman viel zu entdecken: Viele schräge Persönlichkeiten, dysfunktionale Beziehungen und Freundschaften, die dem Mangel an Alternativen geschuldet sind. Wer bei einem Autor auf eine genaue Beobachtungsgabe Wert legt und neue Blickwinkel mag, der ist bei Fingerman richtig.

|Originaltitel: Bottomfeeder
Aus dem Amerikanischen von Michael Koseler
332 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-492-29188-0|
http://www.bobfingerman.com
http://www.piper-fantasy.de

Brandon Sanderson – Kinder des Nebels (Mistborn 1)

Vin ist sechzehn und auf der Straße aufgewachsen. Überlebt hat sie nur, weil ihr großer Bruder ihr eingebläut hat, keinem Menschen jemals zu vertrauen – und weil sie etwas besitzt, was sie ihr Glück nennt: Eine Art innere Energie, die sie befähigt, andere Menschen zu besänftigen. Damit kommt sie zumindest einigermaßen über die Runden.

Doch eines Tages tauchen zwei Männer im Schlupfwinkel ihrer Bande auf, die ihr gesamtes bisheriges Leben auf den Kopf stellen! Plötzlich findet sie sich in einer Truppe von Revolutionären wieder, die versuchen, den Obersten Herrscher zu stürzen. Ein wahnwitziges Unterfangen, denn der Oberste Herrscher ist nicht einfach nur ein mächtiger Mann. Er ist ein Gott!

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Simmons, Dan – Drood

Die Werke des englischen Schriftstellers Charles Dickens gehören zu den wichtigsten Romanen der englischen Literatur. Titel wie: „Oliver Twist“, „David Copperfield“ oder „Eine Weihnachtsgeschichte“ wurden mehrfach erfolgreich verfilmt. Seine Figuren wie Scrooge, der Waisenjunge Oliver Twist oder der Abenteurer David Copperfield sind aus der literarischen Welt nicht mehr wegzudenken, und ihre Schicksale verzaubern und berühren noch immer viele Generationen von Lesern.

Am 9. Juni 1865 verunglückte der Tidel Train in Staplehurst. Das schwere Bahnunglück forderte zahllose Tote und Verletzte. Charles Dickes, einer der Fahrgäste, überlebte die Entgleisung des Zuges und den Sturz von der Brücke. Noch am Unfallort leistete Dickens Erste Hilfe, doch auch wenn Dickens mit dem Schrecken davongekommen war, so durchlebte er dieses Unglück im Geiste immer wieder. Ein Trauma für den Rest seines Lebens, wie sich zeigen sollte.

Der vielseitige amerikanische Autor Dan Simmons, der mit seinem ebenfalls im |Heyne|-Verlag erschienen Buch „Terror“, in dem er die abenteuerliche Suche nach der Nordwestpassage von John Franklin erzählte, einen internationalen Bestseller landete, erzählt nun in „Drood“ die nicht minder abenteuerliche Geschichte von Charles Dickens und beginnt dabei mit genau diesem Ereignis.

_Inhalt_

Als der berühmte Autor Charles Dickens bei einem schweren Bahnunglück am 9. Juni 1865 nur knapp mit dem Leben davonkommt, ist dies der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Der bekannteste Schriftsteller seiner Zeit wird mit dem unmittelbaren Tod konfrontiert, und fortan leidet er unter diesem tragischen Erlebnis. Noch am Unfallort, als er Schwerverletzte birgt und bei der Versorgung hilft, begegnet dem Autor ein Mann mit schwarzem Umhang und Zylinder. Eine imposante, aber auch mysteriöse dunkle Erscheinung, die den Schriftsteller verängstigt, aber ebenso fasziniert.

Der unbekannte Mann stellt sich als „Drood“ vor, und Dickens erlebt persönlich, wie dieser am Ort des Unfalles zur elementaren Personifizierung des Todes wird. Eine schier unheimliche Aura umgibt Drood, und Dickens erscheint diese Person als Botschafter des Todes.

Charles Dickens wird in seinen Träumen fortan von Drood verfolgt. Dickens entwickelt eine verhängnisvolle Leidenschaft in dem Versuch herauszufinden, was es mit Drood auf sich hat. Zusammen mit seinem literarischen Kollegen und Freund Wilkie Collins begibt sich Dickens in die dunklen Gassen des viktorianischen Londons und erlebt eine makabere Faszination für das ihm Unbekannte und Spirituelle.

Auf der Jagd nach dem geheimnisvollen Phantom finden die beiden etwas, das sie so nicht vermutet haben, nämlich ihre dunklen Seiten, die sie in Opiumräuschen ausleben und deren Grenzen sie zwischen Alptraum und Realität nicht mehr ausloten können …

_Kritik_

„Drood“ ist in erster Linie ein bodenständiger historischer Roman von Dan Simmons. Nach „Terror“ und dessen Erfolg ist die Erwartungshaltung der Leser sicherlich groß, und Dan Simmons versteht es wie erwartet, seine Geschichten auf hohem Niveau zu erzählen.

Der Leser wird dennoch keinesfalls den Roman „Terror“ mit „Drood“ vergleichen können. Zu unterschiedlich ist nicht nur das Thema, sondern auch vielmehr der Stil des Autors. Als spannend ist „Drood“ nun wirklich nicht zu bezeichnen; der Autor vermischt zwar historische Fakten mit Fiktion, doch erzeugt er bei dem Leser nicht die packende Atmosphäre wie in seinem Vorgängerroman.

Dan Simmons konzentriert sich viel zu sehr auf die umfangreiche Charakterisierung seiner Protagonisten und nimmt damit der Geschichte die Dynamik. Die Einleitung des Romans, das schwere Zugunglück und das erstmalige Erscheinen von Drood gehören schon zu den wenigen Höhepunkten in disem Roman. Überflüssige Passagen, in denen das Leben von Charles Dickens und Collins bis ins kleinste Detail analysiert
und interpretiert wird, mildern das Lesevergnügen und wirken ungemein ernüchternd, oder sagen wir schlicht – es wird langweilig. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass es sich beinahe um eine nonfiktionale Biografie von Dickens handeln könnte.

Als Hauptfigur allerdings kommt Charles Dickens nicht gut an. Dan Simmons hat den großen Schriftsteller als arroganten, unsympathischen Menschen dargestellt, der bei seinem Mitmenschen alles andere als positiv im Gedächtnis geblieben ist. „Drood“ wird aus der Perspektive von Wilkie Collins erzählt, der immer im Schatten von Dickens lebt und arbeitet und seinen Erfolg zwar nachvollziehen kann, aber das nur mit Neid- und Hassgefühlen.

Dan Simmons hat sich mit der Entstehung seines Romans „Drood“ viel vorgenommen. Wie schon gesagt, gewinnt der Leser schnell den Eindruck, dass es die etwas ausführlichere Version einer Biografie sein könnte. Ebenso findet man in „Drood“ eine Geistergeschichte und phasenweise eine Dokumentation wieder. Der Autor hat dabei aber außer Acht gelassen, dass sich der Leser dabei schnell verlieren könnte, denn ein wirklich spannendes Konzept sucht man hier leider vergebens.

Nicht nur der Leser verliert hier den Überblick, auch die Protagonisten verlieren im Drogennebel der Opiumhöllen ihre Wahrnehmungen und ihre Intelligenz. Streckenweise gelingt es allerdings Dan Simmons, sich wieder als faszinierender Erzähler zu profilieren. Das viktorianische London lässt der Autor vor den Augen des Lesers mit all seiner stinkenden und dunklen Präsenz aufleben. Inmitten der labyrinthischen Unterstadt, der Kanalisation, die von opiumsüchtigen Menschen bevölkert ist, beweist Simmons sein Talent der Erzählkunst.

Diese authentischen Abschnitte werden mit einem stilvollen, beklemmenden Gefühl dargeboten, ähnlich grandios wie in „Terror“. So bildlich und düster stellt man sich eine Gruselgeschichte vor, so hätte es sein können und bleiben müssen.

Im Scheinwerferlicht der Handlung bleiben allerdings nur zwei Personen übrig – Dickens und Collins, der kümmerliche Rest von Protagonisten finden sich in der klassischen Rollenverteilung wieder, die das soziale Bild einer Gesellschaft um das Jahr 1865 in London gut widerspiegeln.

_Fazit_

In „Drood“ finden sich gleich mehrere Genres wieder. Eher als historischer Roman konzipiert, könnte er ebenso gut eine Biografie, eine Dokumentation oder Mystery-Roman sein; wenn man allerdings alles erreichen möchte und dabei über einen schmalen Grat wandert, könnte man leicht abstürzen. Und genau das ist leider bei „Drood“ passiert.

Dan Simmons‘ „Drood“ kann ich letztlich nicht zur Lektüre empfehlen. Zu wenig inhaltliche Spannung ist in diesem Roman zu finden, dafür viel zu viele kleinere Nebengeschichten rund um die Protagonisten, die zusammen mit der Person des geheimnisvollen Drood als in der Summe völlig überflüssig erscheinen.

Dan Simmons hat mit [„Terror“ 4278 bewiesen, dass er ein großartiger Autor ist. Sein Stil und sein Talent für Sprache sind deutlich ausgeprägt, und er weiß durchaus, wie man Spannung erzeugen kann, doch hier hat Simmons sich anscheinend übernommen. „Drood“ ist ein Flickenteppich unterschiedlicher stilistischer Genres, der mich im Gesamtbild leider nicht überzeugen konnte.

|Originaltitel: Drood
Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Mader
975 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-26598-1|
http://www.heyne.de
http://www.dansimmons.com

_Dan Simmons auf |Buchwurm.info|:_

[„Terror“ 4278
[„Ilium“ 346
[„Olympos“ 2255
[„Sommer der Nacht“ 2649
[„Im Auge des Winters“ 2956
[„Kinder der Nacht“ 4618
[„Lovedeath“ 2212
[„Die Feuer von Eden“ 1743
[„Das Schlangenhaupt“ 1011
[„Welten und Zeit genug“ 790
[„Endymion – Pforten der Zeit“ 651
[„Fiesta in Havanna“ 359
[„Hardcase“ 789
[„Hard Freeze“ 819
[„Hard as Nails“ 823

Francis, H.G. (Adaption); Arthur, Robert (Autor) – Die drei ??? und die flüsternde Mumie (Folge 10)

Für gewöhnlich sind Mumien recht stumme Gesellen, was wohl maßgeblich an ihrem recht toten Zustand liegen dürfte. Diese hier will offenbar davon nichts wissen und bereitet den Junior-Detektiven Justus, Peter und Bob ziemliches Kopfzerbrechen. Eigentlich ist dies der zweite Fall der drei Fragezeichen und datiert zurück auf 1965, doch das Schicksal wollte es für den deutschen Markt etwas anders. Hierzulande rutschte das ägyptische Plappermaul einige Plätze nach hinten – zumindest was die Vertonung seitens der Hamburger EUROPA-Studios unter Federführung von „Perry Rhodan“ Autor H.G. Francis und Regisseurin Heikedine Körting anging. 1980 wurde das Hörspiel im Zuge der zweiten Tranche als Folge 10 veröffentlicht – der Rest ist längst Legende.

_ Zur Story_

Alfred Hitchcock schanzt den Dreien wieder mal einen Fall zu. Die drei Freunde führt dies zu seinem Bekannten Professor Yarborough, welcher seines Zeichens Archäologe und Spezialist auf dem Gebiet des alten Ägypten ist. Eine von ihm gefundene Mumie mit Namen Ra-Orkon flüstert unverständliche Dinge, jedoch nur, sobald er mit ihr alleine ist. Yarborough ist zu sehr Wissenschaftler, als dass er an einen Fluch glaubt, der über der Mumie liegen soll. Ganz anders sein Butler Wilkins, der ist felsenfest davon überzeugt, dass die seltsamen Zwischenfälle im Hause auf das Konto eines handfesten pharaonischen Fluches gehen, was er Just, Peter und Bob auch brühwarm erzählt, als sein Dienstherr gerade nicht hinhört.

Auch Justus glaubt nicht an Übersinnliches und bietet Professor Yarborough die Hilfe der drei Junior-Detektive an, sehr zum Leidwesen des wieder mal verängstigten Peter, der die Mumie besser Mumie sein lassen möchte und sich stattdessen lieber um das Auffinden eines auffälligen Katers von Mrs. Selby kümmern würde. Bestärkt in seinem Ansinnen wird Peter, als beim Begutachten des Sarkophags allerhand Mysteriöses passiert – zuerst kippt eine schwere Statue des Totengottes Anubis ohne ersichtlichen Grund um und danach rauscht eine Totenmaske einfach so von der Wand. Kein Erdbeben. Kein Wind. Also doch der Fluch des Ra-Orkon?

Da Peter sich nun noch mehr sträubt, aber Justus natürlich weiter an diesem rätselhaften Fall arbeiten möchte, beschließt der erste Detektiv, dass man auch zwei Fälle gleichzeitig bearbeiten kann. Ohne zu diesem Zeitpunkt jedoch zu wissen, dass beide zusammenhängen, geht man scheinbar getrennten Vorfällen nach. Justus „überlistet“ die Mumie kurz darauf in einer Verkleidung als Prof. Yarborough und bewaffnet mit einem Aufzeichnungsgerät, woraufhin der alte Bandagen-Fuzzi tatsächlich geheimnisvoll zu flüstern beginnt. Was die olle Mumie erzählt und was eine verschwundene Abessiner-Katze mit dem Ganzen zu tun hat, sind nur zwei der Rätsel, welche es zu lösen gilt.

_Eindrücke_

Im Großen und Ganzen eine solide Folge, was die Leistung der Sprecher und die Atmosphäre angeht – unterstützt wird die Szenerie von orientalischer Musik, die das Mumienflair noch weiter unterstreicht. Die Musik auf der CD ist für altgediente Fans unter Umständen allerdings erstmal gewöhnungsbedürftig, zumindest wenn man eventuell noch die alte LP/MC-Version kennt. Diese sind tonal anders. Grund sind erste Querelen in Sachen Lizenzen, was später schon fast zum Treppenwitz der Serie werden soll. Hier sind es bislang „nur“ Probleme mit den bisherigen Musikern gewesen, die – nachdem eine Einigung offenbar nicht zustande kam – eine komplette Neuabmischung aller bis 2001 erschienenen ???-Hörspiele nötig machte.

Immerhin blieb die „flüsternde Mumie“ von inhaltlichen Änderungen verschont und bekam lediglich einen neuen Soundtrack verpasst. Die Story, für welche Fragezeichen-Erfinder Robert Arthur noch höchstpersönlich verantwortlich zeichnet, ist interessant und ziemlich spannend aufgezogen. Neben dem Mystery-Feeling, das sie verbreitet, gesellt sich auch eine Portion Action in Form von Quasi-Entführung, Täuschung und Verfolgungsjagd hinzu. Ziemlich nervig ist lediglich die Figur des lybischen Jungen Hamid (exzellent gesprochen von Alexander Körting) geworden. Dem frechen Blag sollte man seiner rotzigen Art wegen mal ein paar Semester in einem Erziehungsheim empfehlen. Die Figur ist höchst unsympathisch geraten, obwohl dies durchaus gut in den Kontext der Story passt.

_SPOILERWARNUNG_

Ein paar kleinere logische Fehler haben sich auch eingeschlichen. Zum Teil wegen der Änderungen dem Buch gegenüber. So ist es beispielsweise ziemlicher Humbug, Professor Yarborough den Mitschnitt des Geflüsters vor zu spielen und ihn zu fragen, was die Mumie da von sich gibt – er hat das Flüstern ja schon mehrere Male gehört und konnte sich dort schon keinen Reim darauf machen, als er das Gesprochene klar und deutlich hatte verstehen können (deswegen sind die drei ??? ja schließlich in seinen Diensten). Daher wäre es sinniger gewesen, sofort mit dem Band zu Professor Freeman zu gehen (Nachbar Yarboroughs und Sprachwissenschaftler), anstatt das Unvermögen Yarboroughs, eine Übersetzung zu liefern, allein an der schlechten Aufnahmequalität festzumachen und erst dann den Experten nebenan aufzusuchen – das ist in höchstem Maße unlogisch.

_Fazit_

Man kann die „flüsternde Mumie“ mit Fug und Recht als einen Klassiker der Serie einstufen. Allerdings heißt das nicht unbedingt, dass sie auch rundum gelungen ist. Sie hat zweifellos ihre Glanzmomente, aber gerade die Hörspielfassung krankt ganz arg an der noch sehr beschränkten Laufzeit der damals zur Verfügung stehenden Medien, d.h. durch (notwendige) Kürzungen an der Vorlage ging zu viel verloren, so dass aus der an sich guten Story ein ziemlich hektischer Flickenteppich wurde, der es selten schafft, eine angemessene Atmosphäre aufzubauen. Dennoch ist die kultige Folge eine Empfehlung wert, auch wenn sie nicht über Mittelmaß hinausgeht.

_Die Hörspieldaten auf einen Blick:_

Titel: „Die drei ??? und die flüsternde Mumie“ (Folge 10)
Erzählt von Robert Arthur, Random House 1965
EUROPA (Sony BMG), 1980
Lauflänge: ca. 50 Minuten (CD 2001)
Drehbuch: H.G. Francis
Produktion & Regie: Heikedine Körting
Musik: J. F. Conrad
Cover Design: Aiga Rasch

|Die Figuren und ihre Sprecher:|
Erzähler alias Alfred Hitchcock: Peter Pasetti
Erster Detektiv – Justus Jonas: Oliver Rohrbeck
Zweiter Detektiv – Peter Shaw: Jens Wawrczeck
Recherchen & Archiv – Bob Andrews: Andreas Fröhlich
Tante Mathilda: Karin Lieneweg
Patrick: Wolfgang Kubach
Professor Yarborough: Karl Walter Diess
Butler Wilkins: Ulrich Matschoss
Professor Freeman: Viktor Bramer (Klaus Stieringer)*
Achmed: Ali Branowitch (Joachim Wolff)*
Hamid: Alexander Körting
Harry: Peter Buchholz
Joe: Reiner Brönneke
Uhrmacher: Gernot Endemann **

*) Pseudonym
**) Nicht im Booklet aufgeführt

Die drei ??? – Die Höhle des Grauens (Band 109)

Schon seit einiger Zeit erscheinen die aktuellen „Drei ???“ Bücher ohne den berühmten, aber sachlich eigentlich falschen Zusatz „Alfred Hitchcock“. Auch Reprints älterer Geschichten kommen zukünftig ohne ihn aus, wie etwa das 2003 erschienene „Höhle des Grauens“ aus der Feder von Ben Nevis. Der Weg in die Moderne hat lange gedauert. Genauer gesagt seit Band 70 befinden wir uns in der so genannten „Neuen Ära“. Hier sind die drei Detektive gegenüber den alten, klassischen Fällen bereits neuzeitlicher ausgestattet: Autos, Handy, Computer und Internetnutzung sind nun häufig in ihren Geschichten anzutreffen. Tonbandgerät und Walkie Talkies haben ausgedient, auch die Themen sind moderner ausgerichtet. Ihr 111. Fall führt das Trio raus aus Rocky Beach, hinein in die Welt des Erlebnistourismus.

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Marx, André – Die drei ??? – Das Auge des Drachen

Legt man die Chronologie der Hörspielreihe zugrunde, handelt es sich bei „Das Auge des Drachen“ von André Marx um den 113. Fall des Jungdetektivtrios, welches schon seit 1962 die Jugendliteraturlandschaft bereichert. Mittlerweile bezeichnen sich bereits mehrere Generationen als Fans und man wartet meist sehnsüchtig auf neue Buchpublikationen aus dem Stammverlag |Franckh-Kosmos| oder die entsprechenden Vertonungen aus den EUROPA Studios, welche für gewöhnlich kurz danach veröffentlicht werden. Auch hier verhielt es sich nicht anders: beide Versionen debütierten 2003.

_Zur Story_

Die drei Fragezeichen genießen einen entspannten Sommertag in freier Natur. Der Wald nahe Rocky Beach ist ideal zum Relaxen, wenn man ausnahmsweise mal keinen Fall zu bearbeiten hat. Doch dieser Zustand ausgelassener Ferienstimmung, welche in einer zünftigen Schlammschlacht gipfelt, währt nicht lang: Ein seltsamer Ruf, ein dunkler Schemen, welcher in den Baumwipfeln verschwindet und der Schrei eines Mädchens alarmieren die drei Detektive innerhalb weniger Augenblicke. Aus einigen Kratzern blutend finden sie die kleine Emily auf, die steif und fest behauptet von einem Drache angegriffen worden zu sein, als sie „Zauberblumen für die Elfenkönigin“ sammelte. In Anbetracht ihres dreckstarrenden Äußeren müssen die Fragezeichen jedoch erst einmal glaubhaft versichern, dass sie keine Trolle seien.

Justus, Peter und Bob haben auch etwas gesehen und gehört – nur was, das wissen sie noch nicht so genau. Zunächst gilt es aber die Kleine zu verpflastern und wohlbehalten Zuhause bei ihrer Mutter abzuliefern. Sie bieten ihre Dienste an, herauszufinden, was es mit den wundersamen Geschichten von Fabelwesen und selbstverständlich in erster Linie dem ominösen Angriff aus der Luft auf sich hat. Die Sechsjährige ist mit einer überaus lebhaften Fantasie ausgestattet, doch irgendetwas hat sie schließlich attackiert, das ist keine Einbildung gewesen, sondern Tatsache. Mrs Silverstone willigt ein, kennt sie die Phantastereien ihrer Tochter doch zu gut und sieht es überdies gar nicht so gerne, wenn sie alleine durch den Wald streift und ihren Lieblingsort aufsucht.

Dabei handelt es sich um eine geheimnisvolle Skulptur der kürzlich verstorbenen exzentrischen Künstlerin Martha Lake: „Das Auge des Drachen“. Auf ihrem Weg zurück in den Wald begegnen die Fragezeichen dem vermeintlichen Drachen (welcher sich als „Kea“ erweist – einem seltenen neuseeländischen Vogel) und machen am Ende ihrer ziemlich erfolglosen Verfolgungsjagd später sogar noch Bekanntschaft mit der leibhaftigen „Elfenkönigin“. Bei ihren weiteren Ermittlungen stoßen sie auf viele interessante Puzzleteile, die auf eine verschwundene Erbschaft hinweisen – zudem entdecken sie immer mehr Parallelen zwischen Martha Lake und der kleinen Emily; was fehlt, ist das Bindeglied der beiden zueinander. Genau dieses bleibt den Augen der meisten Menschen auf ewig verborgen. Und das ist wörtlich zu verstehen.

_Eindrücke_

Ein nach dem oft erfolgreichen Strickmuster der Serie aufgebauter Plot mit einer ordentlichen Portion Mystery. Dass André Marx ein wenig beim „lachenden Schatten“ und einmal auch bei „gefährliche Erbschaft“ räubert, tut der gut durchdachten und rasant erzählten Geschichte keinen Abbruch. Auch als die Zusammenhänge nach Bereinigung aller Nebelkerzen endlich aufgeklärt werden, ist die Kuh noch lange nicht vom Eis. Der Fiesling schreckt vor nichts zurück. Endlich mal wieder eine Story, bei der auch der Gegenspieler glaubhaft böse und verschlagen ist. Selten waren die Finale bei den drei Fragezeichen in letzter Zeit so packend und die Auflösung des Rätsels so originell. Gut, die Figuren sind nicht bis ins letzte Detail ausgestaltet, das bemerkt man wohl, aber erst, wenn man „Das Auge des Drachen“ eventuell ein zweites Mal – vielleicht etwas genauer – liest.

Das gute Stück geriet aufgrund des süffigen Stils im Übrigen angenehm fluffig. Spannung ist stets genügend vorhanden und die Story plausibel. So genannte Plotholes, die gefürchteten Löcher in der Logik, sucht man vergeblich. Die üblichen 128 Seiten ist man innerhalb kürzester Zeit durch und fühlt sich gut unterhalten sowie intellektuell durchaus gefordert. Wenngleich die Auflösung aus eigener Kraft im Prinzip eigentlich nicht möglich ist. Die Idee, Tetrachromie zum Thema zu machen, ist tatsächlich mal etwas Neues. Aus der Luft gegriffen ist diese besondere Fähigkeit des Sehens auch nicht, es gibt tatsächlich sehr wenige Menschen, die aufgrund eines seltenen Gendefekts diese Fähigkeit besitzen. Mehr sei an dieser Stelle aufgrund des Spannungserhalts dann auch nicht verraten. Es ist ohnehin schwer genug dieses Buch zu rezensieren, ohne jederzeit Gefahr zu laufen, zu viel vorweg zu nehmen.

_Fazit_

André Marx gelang hier ein unterhaltsamer Pageturner, der so ziemlich alle Tugenden der Serie in sich vereint: Mystery, Spannung und gut dosierter Humor gepaart mit einer ziemlich ausgefallenen Grundidee dahinter. „Das Auge des Drachen“ ist somit einer der Lichtblicke jenseits der Hunderter-Marke und muss sich selbst hinter kultigen Glanzfolgen alter Prägung nicht verstecken. Natürlich handelt es sich um Jugendliteratur, doch egal ob alt oder jung, alle Leserschichten dürfen bedenkenlos zugreifen. Auch Quereinsteiger. Wer nicht so die Leseratte ist, mag auch gerne auf die Hörspielvariante ausweichen. Diese ist – obwohl naturgegeben etwas eingekürzt – genauso empfehlenswert wie die originelle Buchvorlage.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

„Die drei ??? – Das Auge des Drachen“
Basierend auf Figuren von Robert Arthur
Erzählt von André Marx
Franckh-Kosmos, 2003
128 Seiten Hardcover
Cover Illustration: Silvia Christoph
Redaktion: Martina Zierold
ISBN-10: 3-440-09659-9
ISBN-13: 978-3-440-09659-8

Redick, Robert – Windkämpfer (Die Reise der Chatrand 1)

_Pazel Pathkendle ist ein Teerjunge_, einer jener flinken, schmutzigen Burschen, die auf den Segelschiffen von Alifros sämtliche Hilfsarbeiten verrichten, vom Ställe ausmisten und Latrinen putzen bis zum Taue und Segel flicken. Dabei ist er eigentlich ein intelligenter Bursche, der außer seiner Muttersprache noch vier andere spricht und aus guter Familie stammt. Doch seit der Eroberung seiner Heimatstadt Ormael durch die Flotte des Kaiserreiches von Arqual ist er auf sich allein gestellt. Zumindest fast, denn ein ehemaliger Freund der Familie, der Arzt Ignus Chadfallow, mischt sich immer wieder in Pazels Leben ein. So auch jetzt, doch diesmal hat das sehr weitreichende Folgen, und nicht nur für Pazel …

Tascha Isiq ist die Tochter eines Kriegshelden, jenes Admirals, der einst Ormael für Arqual eroberte. Und sie ist kurz davor, das Lorg zu verlassen, jenes Mädchenpensionat, auf das sie zu schicken ihr Vater vor zwei Jahren bestanden hat. Tascha ist unendlich erleichtert, diesem Ort zu entkommen, doch als sie zu Hause ankommt, teilt ihr Vater ihr mit, dass sie heiraten wird. Und zwar nicht irgendjemanden, sondern einen Prinzen des Mzithrin, des Erzfeindes von Arqual. Keine Frage, dass Tascha das unter keinen Umständen will. Dennoch bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter nach Simja einzuschiffen, wo die Hochzeit stattfinden soll. Es ist dasselbe Schiff, auf dem nach Einmischung von Ignus Chadfallow auch Pazel gelandet ist …

_Robert Redick hat seine Geschichte_ mit einer ganzen Menge Charaktere bevölkert. Die wichtigsten sind natürlich Pazel und Tascha:

Pazel hat so ziemlich alles vorzuweisen, was ein ordentlicher Held braucht: Er ist mitfühlend, ehrlich, mutig und nicht auf den Kopf gefallen. Allerdings hat er gelegentlich auch ein etwas vorlautes Mundwerk, das er bei weitem nicht so gut im Zaum halten kann wie seine Fäuste, obwohl er genau weiß, dass es ihn in mindestens ebenso große Schwierigkeiten bringen kann wie eine Prügelei. Außerdem besitzt er eine Gabe, die seine Mutter, eine Zauberin, ihm sozusagen angehext hat: Er braucht eine fremde Sprache nur irgendwo zu hören oder zu lesen, und schon beherrscht er sie. Dummerweise geht diese Fähigkeit mit einer unangenehmen Nebenwirkung einher: Danach hat Pazel eine Zeit lang massive Verständigungsschwierigkeiten, er kann weder verständlich sprechen noch andere verstehen. Seine Umgebung hat dafür eher wenig Verständnis, weshalb Pazel alles tut, um diese Gabe zu unterdrücken, mit eher mäßigem Erfolg.

Auch Tascha besitzt eine für eine vornehme Admiralstochter ungewöhnliche Fähigkeit: Sie kann kämpfen, sowohl mit als auch ohne Waffe. Gelernt hat sie das heimlich von ihrem Tanzlehrer und Freund Hercól, die strategische Denkweise hat sie von ihrem Vater geerbt. Nimmt man noch ihren Dickschädel dazu, dann kommt eine recht anstrengende, aber auch nicht zu unterschätzende Persönlichkeit dabei heraus.

Dann wäre da noch Sandor Ott, der Meisterspion des Kaisers und Chef des Geheimdienstes. Ein gefährlicher Mann, glatt wie ein Aal, zielstrebig und absolut gnadenlos. Einst hat er den Eid geschworen, sein Leben dem Wohl des Kaiserreiches Arqual zu widmen, bis über den Tod hinaus. Diesen Eid nimmt Ott sehr ernst. Ein wenig zu ernst, wenn man es recht betrachtet. Das Einzige, das ihm womöglich genauso wichtig sein könnte, wäre vielleicht seine Geliebte. Aber sicher bin ich mir da nicht.

Kapitän Rose dagegen ist ein äußerst merkwürdiger Kerl. Er ist der Kapitän der |Chatrand|, des letzten riesigen Schiffes aus der alten Zeit, das noch in der Lage ist, die Herrschersee zu befahren. Das Schiff ist der Stolz der Nation und seiner Reederin, und es ist eine Ehre, sein Kapitän sein zu dürfen. Nilus Rotheby Rose dagegen scheint darüber nicht wirklich erfreut. Er wirkt unruhig, ja gehetzt. Und er gibt einen sehr seltsamen Kurs vor …

Zu guter Letzt muss ich noch Diadrelu erwähnen. Diadrelu ist eine Ixchel, und was immer die Ixchel genau sein mögen, sie sind jedenfalls sehr klein, aber auch sehr findig und sehr kriegerisch. Die meisten von ihnen hassen die Menschen – nicht ohne Grund – und misstrauen ihnen zutiefst, vor allem ihr hitzköpfiger Neffe Taliktrum. Diadrelu dagegen betrachtet die Riesen, wie die Ixchel die Menschen nennen, etwas differenzierter, was ihre Autorität über den Clan ziemlich beansprucht.

Mir hat die Charakterzeichnung wirklich gut gefallen. Alle Figuren sind lebendig und glaubwürdig geraten, auch die weniger wichtigen Randfiguren wie Keth oder Jervik. Selbst die kleine Romanze, die sich zwischen Tascha und Pazel anbahnt, wirkt nicht platt oder gekünstelt. Allein der Bösewicht der Geschichte, der allerdings erst sehr spät auftaucht, droht ein wenig ins Klischee abzurutschen, aber das kann sich ja noch fangen.

_Die Handlung_ wirkt zunächst wie die Androhung eines komplizierten Knäuels, doch das legt sich, denn alle Handlungsfäden führen ziemlich rasch zu ein und demselben Punkt, nämlich der |Chatrand|, wo nahezu sämtliche Personen, die eingeführt wurden, früher oder später eintreffen. Und während die |Chatrand| durch die Wellen pflügt, treffen die einzelnen Personen in den unterschiedlichsten Konstellationen aufeinander, jedes Mal fließen ein paar kleine Informationen, und allmählich entsteht das Bild eines Komplotts, in dessen Zentrum Tascha steht. Keine Frage, dass Pazel versuchen muss, den Beteiligten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nur ist das leichter gesagt als getan …

Das klingt jetzt fast ein wenig fade, zumal das Komplott selbst fast ein wenig absurd erscheint, vor allem durch seine extrem lange Planungszeit. Kaum zu glauben, dass über diesen langen Zeitraum hinweg nichts dazwischen gekommen sein soll, das die Ausführung verhinderte. Andererseits ist der Aufbau dieser Fall wiederum so hinterhältig und klingt dermaßen nach bereits real praktizierter Politik, dass er fast schon wieder genial genannt werden könnte. Zudem würzt der Autor das Ganze mit der späten Erkenntnis, dass an dieser Sache mehr als nur eine Gruppe von Verschwörern herumgebastelt hat!

_Robert Redick hat seine Geschichte_ in einer Welt angesiedelt, die schon einiges an Vergangenheit hinter sich hat: große technische Errungenschaften, die bereits teilweise wieder verloren gegangen sind, Kenntnisse über ferne Kontinente, die längst wieder in Vergessenheit geraten sind, Legenden von magischen Artefakten aus ferner Vorzeit und natürlich diverse Kriege und Eroberungen. Hier zeigt sich schon, dass Alifros seine Glanzzeit bereits hinter sich hat.

Magie spielt bisher eine eher dezente Rolle; außer Pazels magischer Gabe des Sprachen Erlernens taucht lediglich ein Zauberer aus einer anderen Welt auf, der mit Tascha befreundet ist, zunächst aber nicht allzu aktiv ist. Erst gegen Ende der Geschichte rückt der Aspekt der Magie mehr in den Vordergrund. Seinen Charme erhält dieser fast schlichte Weltentwurf vor allem durch seine besonderen Geschöpfe wie die Ixchel, die Murten im Meer, die Flikker und die erwachten Tiere, allen voran die sprechende Ratte Feltrup.

All das erzählt der Autor ausgesprochen abwechslungsreich. Die gelegentlich eingestreuten Rückblenden lockern den Aufbau der Geschichte ebenso auf wie die Einträge aus dem persönlichen Tagebuch des Quartiermeisters und die Briefe von Kapitän Rose an seinen Vater. Die einzelnen Handlungsstränge werden gekonnt ineinander geführt, sodass die Handlung sich glatt und ohne Hänger entwickeln kann. Nur an einem Punkt bin ich ein wenig hängengeblieben: Warum in aller Welt wollte Doktor Chadfallow unbedingt, dass Pazel die Eniel verlässt? Hätte er ihn dort gelassen, wäre Pazel wahrscheinlich nicht auf der |Chatrand| gelandet, wo der Doktor ihn noch viel weniger haben wollte. Vielleicht liefert der nächst Band dafür ja noch eine logische Erklärung.

_Insgesamt_ fand ich das Buch sehr gelungen. Übergroße Spannung kann man ihm nicht gerade bescheinigen; lediglich gegen Ende, als der Leser endlich weiß, mit wem er es zu tun hat, zieht der Spannungsbogen an. Dafür bietet es sympathische, lebendige und nachvollziehbare Helden ohne übertrieben mächtige Fähigkeiten oder andere Klischees, einen etwas aufwändigen, aber tückischen Plott, viele fantasievolle Geschöpfe und noch eine Menge ungelöster Rätsel, zum Beispiel die Frage, welche Rolle die Herzogin Oggosk und ihre ungewöhnliche Katze in der ganzen Sache spielen, oder wieso einer der hervorragenden tholjassanischen Kämpfer ausgerechnet als Tanzlehrer arbeitet. Auf die Antworten bin ich jetzt schon gespannt.

_Robert Redick_ lebt in Massachusetts und gehört zu den Autoren, die schon als Kinder Geschichten schrieben. Nach diversen Studiengängen, darunter Literatur und Russisch, war er viel auf Reisen. Inzwischen arbeitet er als Dozent an der Clark University und als Redakteur für |Oxfam|. „Windkämpfer“ ist der erste Band seines Zyklus |Die Reise der Chatrand|, dessen zweiter Band diesen Monat auf Englisch erschien.

|Originaltitel: The Red Wolf Conspiracy 1
Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki
Paperback, Broschur, 736 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52466-8|
http://www.redwolfconspiracy.com
http://www.heyne.de

Wachlin, Oliver G. (Roman); Pflüger, Andreas (Drehbuch) – TATORT: Blinder Glaube

Den TATORT kennt heute selbst jedes Kind. Kaum ein Format kann auf eine längere und erfolgreichere Geschichte im deutschen Fernsehen zurückblicken als die legendäre Krimiserie der ARD. Nun zündete man eine weitere Stufe der Vermarktung. Die beliebtesten Kommissare bzw. Ermittlungsteams gehen nun auch in Buchform auf Verbrecherjagd. Als Vorlage dienen bereits im TV ausgestrahlte Fälle. Derzeit sind es deren Sechs, mit den Mordkommissionen aus Köln, Saarbrücken, Berlin, Bremen, Leipzig und München. Die jeweils 160 bzw 176 Seiten starken Bücher erscheinen seit Ende September 2009 als Broschur bei |Emons| und kosten 8,95 Euro pro Band. Wegen des großen Erfolges ist bereits eine zweite Tranche für Anfang 2010 angekündigt.

_Zur Story_

Ein etwas peinlicher „Arbeitsunfall“ führt die Hauptkommissare Felix Stark und Till Ritter in die Berliner Uni-Augenklinik. Dort treffen sie flüchtig auf eine blinde Patientin, die ebenso wie die Klinik selbst bald Teil ihrer Ermittlungsarbeit werden soll. Die Frau bekommt an diesem Tag, quasi als freiwilliges Versuchskaninchen, einen neuartigen Chip implantiert, der ihr das Sehen wieder ermöglichen soll. Das hoffen alle am prestigeschwangeren „Phydra“-Forschungsprojekt Involvierten jedenfalls. Es wäre eine medizinische Sensation und selbstverständlich ein lukratives Geschäft gleichermaßen. Allerdings erscheint die Chefärztin Dr. Katja Manteuffel nicht zum OP-Termin, weswegen ihre Assistenzärztin Dr. Andresen den anspruchsvollen Eingriff letztendlich vornimmt.

Katja Manteuffel wird zwei Tage später von einigen Jugendlichen tot im Kofferraum ihres Wagens entdeckt. Erschlagen. Bei ihren Nachforschungen treffen Stark und Ritter auf ein wahres Dickicht von Verwandtschaftsverhältnissen, Affären und teils alten Seilschaften zwischen den Doktoren, Firmenrepräsentanten der Cordea AG und dem Forschungsministerium. Diese ganzen Querverbindungen machen es den beiden nicht leichter, überhaupt das Motiv zu finden. Beziehungstat, gekränkte Eitelkeit und Rache – oder wusste Frau Doktor einfach zu viel? Wenn ja: Was? Alles scheint möglich. Zudem mauern alle Beteiligten und machen sich dadurch natürlich erst recht verdächtig. Der Schlüssel zum Rätsel scheint aber der revolutionäre Chip-Prototyp zu sein.

_Eindrücke_

Die vom RBB produzierte TV-Fassung wurde im August 2008 erstmals ausgestrahlt und erweist sich damit als ein recht aktueller Fall mit ebensolcher Thematik. Passend dazu präsentiert sich der moderne Schreibstil, mit welchem Oliver G. Wachlin das Originaldrehbuch von Andreas Pflüger in die Romanform transformiert. Das ist für sich genommen schon keine leichte Aufgabe, da immer die Gefahr besteht, mit den auf dem Bildschirm bereits fest etablierten Filmcharakteren zu kollidieren. Das Ermittlergespann funktioniert in dieser Form immerhin schon seit 2001. Und das sehr erfolgreich. Ein „Aufbohren“ von Drehbüchern ist also eine diffizile Angelegenheit.

Ein Roman erfordert andere Erzählstrukturen und Mittel als die Schauspielerei – und umgekehrt. Die Umsetzung funktioniert hier nicht immer ganz reibungslos. Zwar harmonieren die Figuren recht gut mit ihren Fernsehvorbildern, es herrscht aber ein leichtes Ungleichgewicht zu Gunsten des ewig blanken Möchtegern-Playboys Till Ritter. Dessen Figurenzeichnung fällt wesentlich detaillierter aus als bei seinem stilleren Partner. Der interessantere Typ ist in der Fernsehserie aber eigentlich der ausgeglichene Felix Stark, was er (bzw. Boris Aljinovic) zu einem Gutteil allein mit Gestik und Mimik erzeugt. Das ist etwas, was – im Gegensatz zu Ritters (Dominic Raacke) doch plakativerem Gehabe – im Roman nur sehr schwer abzubilden ist.

Die Story an sich krankt ein wenig am fehlenden Actionanteil und verliert sich aber zuweilen in prinzipiell unnötigen Berliner (Rand-)Geschichtchen. Vielleicht ist es auch nicht unbedingt der am besten geeignete Fall, das ansonsten dynamischere Hauptstadtduo in die Literatur zu entlassen. Eigentlich ist es sogar ein Trio, denn der Oberkommissar Weber (in der Serie: Ernst Georg Schwill) darf logischerweise nicht fehlen. Der kauzige Kriminaltechniker mit der Schiebermütze berlinert sich auch hier bissig-respektlos durch die Ermittlungen und sorgt somit für die nötige Portion Lokalkolorit mit einer Prise Humor. Der kommt im Übrigen auch so nicht zu kurz. Die Schreibe ist insgesamt locker und überaus angenehm zu lesen.

_Fazit_

Steigerungsfähig. Handwerklich ist dem Buch nichts anzulasten, im Gegenteil, es wertet die Vorlage sogar noch auf. Über mehr als solides Mittelmaß kommt „Blinder Glaube“ trotz der durchaus redlichen Bemühungen bei der Umsetzung zum Roman aber nicht hinaus. Er bleibt leichte und schnell verdauliche Krimikost für mal eben zwischendurch, welche natürlich in erster Linie Tatort-Junkies anspricht, grundsätzlich jedoch nicht allein auf diesen Kreis beschränkt ist. Die haben allerdings den tröstlichen Vorteil zu wissen, dass es weitaus bessere Fälle des Berliner Teams gibt, die noch der potentiellen Transformation harren. Der Anfang ist aber gemacht.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Oliver G. Wachlin: „Blinder Glaube“
Begleitbuch zur gleichnamigen ARD-Serie „Tatort-Berlin“
Nach einem Drehbuch von Andreas Pflüger
[Emons-Verlag]http://www.emons-verlag.de/ , September 2009
ISBN-10: 3897056607
ISBN-13: 978-3-89705-660-2
160 Seiten, Broschur

del Toro, Guillermo / Hogan, Chuck – Saat, Die

Die Autoren des kürzlich im |Heyne|-Verlag erschienenen Romans „Die Saat“ sind uns wohlbekannt. Erster des Duos, Guillermo del Toro aus Mexiko, ist als Regisseur durch Filme wie „Pans Labyrinth“, „Blade II“, „Hellboy“ oder durch die derzeitige Verfilmung des Klassikers „Der kleine Hobbit“ nach dem Buch von J.R.R. Tolkien inzwischen in die Riege der bedeutendsten Filmemacher aufgestiegen.

„Die Saat“ ist der erste Roman einer geplanten Trilogie, die er zusammen mit Chuck Hogan, einem international erfolgreichen Autor („Mördermond“, „Endspiel“), verfasst hat.

_Inhalt_

Der John F. Kennedy International Airport in New York ist einer der größten der Welt. Eines Nachts landet auf der Rollbahn des Flughafen eine Boeing 777, eines der größten Passagierflugzeuge der Welt mit Platz für bis zu mehr mehr als 500 Passiere, mit über 200 Fluggästen an Bord. Flug 753 war planmäßig von Berlin gestartet, um Stunden später in seinem Zielort New York anzukommen.

Nach der ruhigen Landung geschieht Merkwürdiges: Auf Anfragen vom Kontrolltower reagiert der Pilot nicht und alle Lichter an der schweren Passagiermaschine erlöschen, keine Positionslichter an den Tragflächen, die Sonnenblenden an den ovalen Fenstern sind alle komplett heruntergezogen. Es ist so, als wäre ein toter Wal am Strand angespült worden. Die Fluglotsen und Sicherheitsmitarbeiter sind schockiert, niemand reagiert im Inneren der Maschine auf Funksprüche, auch gibt es kein Signal aus dem Flugzeug, das auf Probleme im Innenraum hinweist.

Auf dem Rollfeld in unmittelbarer Nähe der „toten“ Maschine herrscht Sorge bei den Sicherheitskräften. Ist das Flugzeug in der Hand von Terroristen und gab es in der Maschine ein schreckliches Blutbad? Entschlossen fällt die Entscheidung, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen, denn alle Zu- und Notausgänge sind verriegelt, so dass nur die Alternative übrigbleibt, das Flugzeug mittels Schneidbrenner aufzuschneiden.

Ephraim Goodweather, Chef der Seuchenschutzbehörde CDC in New York, genießt gerade sein Wochenende mit seinem Sohn Zack, als sein Handy Alarm schlägt. Der Anrufer identifiziert sich mit der ID JFK QUARANTÄNE. Der Direktor des CDC teilt Ephraim mit, dass es sich um einen Ernstfall handelt, denn alle Passagiere an Bord der Boeing sind tot.

Als Ephraim und Nora, seine Assistentin, noch in der Nacht die Maschine betreten, präsentiert sich den beiden Ärzten ein gespenstisches und tragisches Bild. Vor ihnen sitzen angeschnallt in ihren Sitzen Leichen, ganze Reihen von Leichen, aber keine Anzeichen deuten auf einen gewalttätigen Tod hin, kein Zeichen von irgendwelchen Traumata zeigt sich. Handys klingeln gedämpft in Taschen und Jacken – die einzigen Töne, die in der Dunkelheit zu vernehmen sind. Offenbar sorgen sich die Angehörigen und versuchen verzweifelt, ihre Angehörigen im Flugzeug zu erreichen.

Währenddessen verfolgt ein alter Mann in seiner beengten Pfandleihe die Nachrichten. Abraham Setrakin, ein ehemaliger Professor für osteuropäische Literatur und überlebender des Holocaust, sitzt wie versteinert vor dem Fernseher und reist gedanklich in Vergangenheit, als er noch jung war, als ihm das Böse in Gestalt begegnete. Er ist hier … Er ist hier …

Ephraim und seine Kollegen von CDC sind inzwischen dabei, die vielen hundert Leichen auf die verstreuten medizinischen Institute zu verteilen. Eine Sektion soll die Rätsel um dieses Massensterben lösen und beantworten können. Aber doch gibt es Überlebende, ganze vier Personen haben nicht an Bord der Boeing den Tod gefunden, und diese werden zu den wichtigsten Zeugen der Katastrophe, aber zuerst werden die vier auf Isolierstationen untersucht.

Ephraim steht vor einer ganzen Anzahl von Fragen, aber langsam kriecht die Angst in ihm hoch, als würde er etwas spüren, das alle, wirklich alle bedroht. Die ersten Untersuchungsergebnisse weisen erschreckende Details an den Toten auf, denn trotz ihres physischen Todes verändern sich ihre inneren Organe und ihre Eigenschaften.

Als eine Sonnenfinsternis eintritt, wird das dumpfe Gefühl von langsam aufsteigernder Angst immer beklemmender, und als der Tag zur Nacht wird, wird Ephraim klar, dass das Böse bereit ist, New York heimzusuchen, und es könnte das Ende der Menschheit bedeuten …

_Kritik_

„Die Saat“ hat mit einer romantischen und erotischen Vampirgeschichte rein gar nichts zu tun. Die Autoren Guillermo del Toro und Chuck Hogan bedienen sich vornehmlich der düsteren, aber auch klassischen Elementen des Vampirismus und auch einiger geläufiger Klischees.

Der vorliegende Roman ist der Auftakt einer Trilogie, und schon nach den ersten Kapiteln wird dem Leser vor Augen geführt, dass es unmöglich bei diesem einen Buch bleiben wird. Vielmehr fungiert „Die Saat“ als Einleitung; hier wird das Grundgerüst um die Protagonisten aufgebaut, und es wirkt recht stabil, auch wenn manche Figuren eher stereotyp sind.

Besonders atmosphärisch gelungen ist dem Autorenduo das erste Drittel der Geschichte. Die Landung des ‚toten‘ Flugzeuges, das verzweifelte Nicht-verstehen-können der Fluggesellschaft und der Sicherheitskräfte vor Ort und schließlich die Beschreibung des gewaltsamen Öffnens und Erkundens der gestrandeten Boeing sind spannend und realistisch anmutend erzählt. Über New York bricht das Grauen ein, aber nicht auf erwartet dramatische Weise wird die Stadt überrollt, sondern die Autoren konzentrieren sich eher auf die langsame Entwicklung der Handlung.

Parallel zum Hauptplot kommen vielerlei andere Perspektiven zum Vorschein. Allen voran der ältere Professor, gefolgt von den vier Überlebenden und schließlich auch dem Architekten dieser vampirischen Pandemie. Ephraim Goodweather ist nicht der Schlüssel der Geschichte, vielmehr ist er der zweifelnde und einfache Charaktertyp, der erst noch zeigen muss, was er kann. Viel interessanter und vielschichtiger ist dagegen die Figur des Professors Abraham Setrakian, denn er kennt das Böse und dieses ihn. Eine Auseinandersetzung, die nur die Folgerung zulässt, dass einer den Kampf verlieren wird.

Die Einführung von Ephraim wirkt anfangs ein wenig verstörend, erst später wird dem Leser bewusst, warum einzelne Passagen mit viel Feingefühl eingestreut wurden. Del Toro sagt selber von sich in einem Interview, er wäre seit frühester Jugend ein begeisterte Leser von Vampirromanen, und genau das merkt man am Stil der Autoren, auch inhaltlich.

Bram Stokers „Dracula“ gilt als Urfassung der heutigen Vampirlitaratur, und wer diesen Roman gelesen hat, wird schnell feststellen, dass „Die Saat“ reichliche Parallelen aufweist. Jonathan Harker ist Ephraim Goodweather, ein naiver, in sich verlorener und manchmal unsicherer Charakter, auch in seinem privaten Umfeld, während an seiner Seite Professor Abraham Setrakian auftaucht, ein weiser, älterer und besonnener Charakter der vorbereitet und allwissend zu sein scheint, und der vor allem weiß, was oder wer New York einen Besuch abgestattet hat. Jedem ist sofort klar, dass hier die Inkarnation Dr. van Helsings zu sehen ist. Und selbst der frauliche Part ist abgedeckt mit einer Mina Harker oder einer Lucy, die Opfer von Dracula wurde.

Das sind nur die charakterlichen Verwandtschaften, aber kommen wir nun zu den anderen Punkten, die auch nicht wirklich viel Neues bereithalten. Die Boeing, die leblos und dunkel auf dem JFK liegt, war in Bram Stokers Roman das Segelschiff |Demeter|, deren Besatzung verschwunden war, und die als Gespensterschiff dennoch sicher in Londons Hafen einfuhr.

Die Vampire dagegen sind bösartige Kreaturen; jedenfalls im Anfangsstadium ihrer Entwicklung ist keinerlei menschliche Intelligenz zu finden, vielleicht Instinkte, angeborenes Verhalten, aber im Großen und Ganzen sind sie nichts anderes als hungrig.

Diese Beziehungen zu dem Urvater aller Vampirromane ist also offensichtlich, doch ist und bleibt „Die Saat“ ein origineller und überwiegend spannender Vampirroman, der den Horror um das Böse eher anfacht und entwickelt als verklärt oder romantisiert. Del Toro wird, so liegt die Vermutung nahe, „Die Saat“ auch verfilmen, und wie schon bei seinen anderen filmischen Werken wird es erschreckende Szenen geben, die uns ein Grauen entlocken werden. Somit hat das Autorenduo den netten Nebeneffekt geschaffen, neben einem Roman zugleich das Drehbuch konzipiert zu haben.

Vieles bleibt nach dem ersten Teil dieser Trilogie offen; zwischen Menschen und Vampiren ist ein Krieg entfacht worden, aber es wird noch eine dritte Partei in diese tödliche Konfrontation eingreifen, und es zeichnet sich klar ab, dass es noch spannender zugehen wird.

_Fazit_

„Die Saat“ ist ein solider Roman aus dem Genre Horror, der besonders im ersten Drittel spannend erzählt wird. Als Kritikpunkt sei vorrangig zu erwähnen, dass es zwar einige neue Ideen gibt, aber im Grunde vieles nicht neu ist. Das ist bedingt entschuldbar, denn welcher Roman schafft schon einen völlig neuen modernen Vampir? Auch wenn der Roman inhaltliche Längen aufweist und manches Mal die Perspektiven der Protagonisten allzu stark wechseln, die Neugierde auf den zweiten Teil, der wahrscheinlich nächstes Jahr erscheint, wird sehr groß sein.

„Die Saat“ ist überzeugend, wenn auch manchmal in seiner Konzeption angeschlagen, und so wird der Leser sich doch auf den nächsten Teil freuen.

|Originaltitel: The Strain
Originalverlag: Harper Collins
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger, Kathrin Bielfeldt
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 528 Seiten
ISBN-13: 78-3-453-26639-1|
http://www.heyne.de/diesaat

Die drei ??? – Stimmen aus dem Nichts (Folge 76)

Als die Jugendserie sich um die Jahrtausendwende von ihrem etwa 40 Folgen dauernden Leistungstief wieder berappelte, galt die EUROPA Hörspiel-Adaption aus dem Jahre 1997 rückblickend als eine derjenigen, die in dieser schwierigen Zeit (etwa von Folge 50 bis 90) die Fahne im Positiven oben gehalten hat. Die moderneren, jetzt ausschließlich in Deutschland ersonnenen Fälle krankten nämlich zuweilen am Innovationswillen der Autoren bzw. dem Zwang, unbedingt frische Impulse (Freundinnen, Autos, Computer/Internet etc.) mit den traditionellen Werten der Serie in Einklang zu bringen. Nicht immer klappte diese Gratwanderung zwischen Mystery und dem Besetzten des Plots mit aktueller Thematik – in diesem Fall der Psychotherapie – so gut wie hier.

Zur Story

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Wellington, David – Krieg der Vampire

Laura Caxton will nie wieder Vampire jagen. Die in [„Der letzte Vampir“ 4613 beschriebene Jagd auf Justinia Malvern und Lauras Zeit als unfreiwillige Vampirjäger-Azubine in den Diensten von Special Deputy Arkeley haben sie gezeichnet. Sie will nur noch gute alte – und vor allem normale – Polizeiarbeit leisten. Doch natürlich wird dieser Wunsch jäh vereitelt, als Arkeley wieder in ihr Leben tritt. Gesundheitlich ist er ruiniert, sein Kampf gegen Malvern hat ihn zum Krüppel gemacht. Und so hat er zwar die Vermutung, dass eine neue Vampirattacke kurz bevorsteht, doch wirklich tun kann er dagegen nichts mehr. Also tut er das einzig Logische und zitiert Laura heran, die davon naturgemäß alles andere als begeistert ist.

Und so findet sich Caxton bald in einer unterirdischen Höhle in Gettysburg wieder, in der sich 99 Särge mit 99 Vampirskeletten befinden. Allen fehlt das Herz, und so muss Laura herausfinden, was mit den Herzen passiert ist. Denn nur, wenn die Herzen zerstört werden, ist auch der Vampir unschädlich gemacht. Natürlich stellt sich auch die Frage, wie die Särge eigentlich dorthin gekommen sind. Die Höhle befindet sich unter einer Ausgrabungsstelle in Gettysburg und war ursprünglich ein Pulvermagazin während des Bürgerkriegs. Könnte es also sein, dass die Vampire irgendwie in den amerikanischen Bürgerkrieg verwickelt gewesen sein könnten?

Natürlich wird es nicht bei 99 Vampirskeletten bleiben. Wie Laura schon zu Beginn befürchtet, sieht sie sich bald einer ganzen Armee von wiederauferstandenen Vampir gegenüber, die nach über einhundert Jahren unter der Erde definitiv durstig sind und drohen, Gettysburg buchstäblich wieder in ein Schlachtfeld zu verwandelt.

David Wellington hat mit „Krieg der Vampire“ eine mehr als würdige Fortsetzung des 2007 auf Deutsch erschienenen Romans „Der letzte Vampir“ geschrieben. Er ist seinem Stil treu geblieben und liefert auch diesmal wieder brachiale Hardcore-Action mit Horrorelementen, die nichts für zarte Gemüter ist. Doch gleichzeitig hat er sich als Schriftsteller weiterentwickelt und versucht, neue Ideen in seine Handlung einzuarbeiten.

So ist Arkeley, der mehr als gewöhnungsbedürftige Protagonist des ersten Teils, hier hauptsächlich ein Stichwortgeber. Seine angeschlagene Gesundheit erlaubt es ihm nicht mehr, aktiv auf Vampirjagd zu gehen – eine Tatsache, die ihn naturgemäß wurmt. Er ist gezwungen, Lauras Hilfe zu erbitten. Die beiden sind keine Partner mehr; ganz klar ist Laura die handelnde Hauptfigur, auch wenn sie sich in ihrer Rolle als tonangebende Vampirjägerin unwohl fühlt und mehr als einmal versucht, Entscheidungen nach dem Motto „Was würde Arkeley tun?“ zu fällen. Die Dynamik zwischen den beiden hat sich also stark verändert. Zwar war sie schon in „Der letzte Vampir“ der Sympathieträger, der Charakter, mit dem der Leser sich am besten identifizieren konnte, doch in „Krieg der Vampire“ ist sie nun auch endlich die tatsächliche Hauptfigur und beginnt langsam, aus dem Schatten Arkeleys herauszutreten.

Auch seinen Vampirmythos hat Wellington leicht modifiziert. In „Der letzte Vampir“ waren die Untoten noch hirnlose Killermaschinen, deren einziger Gedanke bei der nächsten Blutmahlzeit lag. Sie waren brutal und vollkommen unmenschlich. In „Krieg der Vampire“ haben sie immer noch all diese Eigenschaften, immer noch sind sie gefährlich und kaum zu besiegen. Nun jedoch gibt ihnen Wellington eine Stimme. Plötzlich sind sie in der Lage zu planen oder sich in Gegenwart eines Menschen zu beherrschen. Ja, man kann unter Umständen sogar Konversation mit ihnen betreiben (bevor sie einen in Stücke reißen, selbstverständlich). Seine Vampire sind also nicht mehr komplett triebgesteuert und sind mittlerweile fähig, ihre eigene Existenz zu reflektieren. Diese Version 2.0 macht Wellingtons Vampire zu tragfähigeren Gegenspielern, als ihre tumben Vorgänger aus dem ersten Teil es hätten sein können.

Die wichtigste Neuerung ist wohl Wellingtons Versuch, diesmal zwei Handlungsstränge gleichzeitig ablaufen zu lassen. Denn natürlich ist es relevant, dass die Vampirsärge unter dem Schlachtfeld von Gettysburg gefunden wurden. Und um zu erklären, wie und warum Vampire in Gettysburg mitgemischt haben, unterbricht er regelmäßig Caxtons Erzählsstrang, um Briefe von amerikanischen Soldaten aus dem Bürgerkrieg einzustreuen, welche die Geschichte langsam aufklären und entwirren.

Dabei gelingt es ihm in beiden Erzählsträngen, eine glaubwürdige Atmosphäre aufzubauen: In den Briefen ist es der Wahnsinn des Krieges und im heutigen Gettysburg die Faszination der Nachgeborenen für diesen geschichtsträchtigen Ort. Gerade diese Stimmung versteht er einzufangen – die Neugierde, die sich immer auch mit Unverständnis paart, die Stadt, die gänzlich vom Mythos der Schlacht von Gettysburg lebt. Da ist es nur natürlich, dass es ein wissensdurstiger Historiker ist, der die Katastrophe ins Rollen bringt, weil er sich auf die Vampire einlässt, in der Hoffnung, endlich aus erster Hand mehr über den amerikanischen Bürgerkrieg zu erfahren. Und da ist es auch nur natürlich, dass der Bürgermeister von Gettysburg sich mit allen Kräften dagegen wehrt, seine Stadt zu evakuieren – und das, obwohl die blutrünstigen Vampire sich schon praktisch die Mäuler lecken. Zu groß ist seine Angst, diese Aktion könnte dem Tourismus – der wichtigsten Einnahmequelle der Stadt – nachhaltig schaden.

Letztendlich wird der Leser auch Justinia Malvern wiedertreffen. Und Arkeley wird zu drastischen Mitteln greifen, um die Vampirbedrohung zu beenden. Wellington lässt sich mit seinem Ende genügend Spielraum für eine weitere Fortsetzung (nämlich „Vampirfeuer“), in der Laura dann wohl ihrem bisher gefährlichsten Feind gegenübersteht.

|Originaltitel: 99 Coffins
Aus dem Amerikanischen von Andreas Decker
362 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-492-26645-1|
http://www.brokentype.com/davidwellington/
http://www.piper-verlag.de
http://www.piper-fantasy.de

Außerdem auf |Buchwurm.info|:
[„Stadt der Untoten“ 4980

Sigurðardóttir/Sigurdardottir, Yrsa – letzte Ritual, Das

Unter den Skandinavien-Krimis im Allgemeinen hat sich der „Island-Krimi“ längst als eigenständiges Genre herauskristallisiert. In die Reihe vielversprechender isländischer Krimiautoren reiht sich auch die Ingenieurin Yrsa Sigurðardóttir ein, die, während sie in der isländischen Einöde eines der größten europäischen Kraftwerksprojekte als technische Leiterin betreut, Romane schreibt, wenn sie des Abends einsam in ihrer Hütte hockt. Mit „Das letzte Ritual“ hat Sigurðardóttir 2005 ihr Debüt abgeliefert, das ein Jahr später auf Deutsch erschien.

Die Putzkolonne der Universität Reykjavík stößt eines Morgens auf die entstellte Leiche des deutschen Geschichtsstudenten Harald Guntlieb. Der Leiche wurden die Augen entfernt und Runen in die Haut geritzt. Die Polizei kann diese Zeichen nicht so recht einordnen und verhaftet einen Drogendealer, da obendrein kurz vor Haralds Tod ein großer Geldbetrag von dessen Bankkonto verschwunden ist.

Doch Haralds Eltern in Deutschland misstrauen den Ermittlungen der Polizei und schicken ihren Bevollmächtigten Matthias Reich nach Island. Zusammen mit der jungen Anwältin Dóra Guðmundsdóttir soll er den Fall noch einmal neu aufrollen und den wahren Täter finden.

Für Dóra und Matthias bedeuten die Ermittlungen eine Reise in ein dunkles Kapitel der Geschichte, denn Haralds besonderes Interesse galt der Zeit der Inquisition, alten Hexenkulten und dunkler Magie. Dieses Interesse beschränkte sich dabei nicht nur auf Haralds Studienarbeiten, sondern war auch ganz privater Natur. Harald schien ein durch und durch bizarrer Mensch mit einigen geradezu unheimlichen Eigenarten zu sein. Dóra und Matthias suchen nach einem Motiv für den Mord an Harald und erfahren dabei schon bald mehr über dunkle Rituale, als ihnen lieb ist …

Mit „Das letzte Ritual“ hat Yrsa Sigurðardóttir einen durchaus beachtenswerten Debütroman abgeliefert. Man taucht schnell in die Geschichte ein und mit der jungen Anwältin Dóra schickt Sigurðardóttir eine Protagonistin ins Rennen, die einem schnell ans Herz wächst. Mag man ihr auf der einen Seite vielleicht vorhalten, dass ihre Figuren nicht sonderlich vielschichtig sind, so kann man die leichte Zugänglichkeit der Protagonisten durchaus als positiven Faktor verbuchen.

Dóra lebt nach der Scheidung mit ihren beiden Kindern allein und herrscht über einen etwas chaotischen Haushalt. Ähnlich chaotisch scheint es in ihrer Kanzlei zuzugehen, nicht zuletzt dank ihrer unfähigen Sekretärin Bella. Insgesamt ist Dóras Figurenskizzierung bei aller Einfachheit aber auch gut nachvollziehbar angelegt. So ist sie auf Anhieb sympathisch, und auch dieser Faktor trägt nicht unerheblich dazu bei, dass man schnell in die Geschichte eintaucht.

Auch das Zusammenspiel zwischen Matthias und Dóra trägt zum Unterhaltungswert bei. Mit einem ironischen Unterton spielen sich die beiden immer wieder gegenseitig die Bälle zu und lockern die ansonsten eher düstere Geschichte dadurch sehr gut auf. Die Ermittlungsarbeit ist dabei zunächst eine eher nüchterne Angelegenheit. Dóra arbeitet eine Mappe mit Unterlagen zu Haralds Lebensweg durch, die Stück für Stück seine Persönlichkeit nachskizzieren.

Einzelheiten zu den Geschehnissen in der Mordnacht und zu den Hintergründen der Tat tauchen erst im Laufe der Ermittlungen auf, als sich ein Puzzleteil in das andere zu fügen beginnt. Aufbau und Spannungsverlauf sind so gesehen auch recht klassisch. Der Leser wird durch Andeutungen und Perspektivenwechsel bei Laune gehalten. Zum Ende hin dreht Sigurðardóttir dann noch einmal kräftig an der Spannungsschraube, so dass der Roman wahre Page-Turner-Qualitäten entwickelt. Das tröstet über kleinere Hänger in den ersten zwei Dritteln des Buches locker hinweg. Sigurðardóttir erfindet eben nicht das Genre neu, sondern liefert einen gut durchdachten und cleveren Krimi ab, der obendrein durch seine interessant gewählte Thematik zu überzeugen weiß.

Die Autorin hat offensichtlich viel recherchiert und streut damit einiges Wissen zum Thema Hexenverfolgung in die Handlung ein. Das gibt dem Ganzen eine besondere Würze und trägt ebenfalls zur Spannung bei. Sigurðardóttir bleibt dabei aber stets auf dem Teppich und driftet nicht zu sehr ins Übernatürliche ab.

Bleibt unterm Strich ein durchaus positiver Eindruck zurück. Sigurðardóttir schickt mit Dóra und Matthias zwei sympathische Protagonisten ins Rennen, erzählt gewitzt und mit eingängigem Schreibstil und dreht mit fortschreitender Handlung dermaßen an der Spannungsschraube, dass man das Buch kaum zur Seite legen mag. Die geschichtlichen Details zum Thema Hexenverfolgung und die bizarre Persönlichkeit des Mordopfers sind dabei das Salz in der Suppe. Alles in allem ein durchaus gelungenes Debüt, nach dessen Lektüre man sich am liebsten sofort in den Nachfolgeroman [„Das gefrorene Licht“ 4547 vertiefen möchte.

http://www.fischerverlage.de

Child, Lee – Way Out

_Das geschieht:_

Jack Reacher, freiwillig heimatlos durch die USA vagabundierender Ex-Militärpolizist, wird in einem Café in New York City zufällig Zeuge einer Lösegeld-Übergabe. Kate, Ehefrau des millionenschweren ‚Sicherheitsberaters‘ Edward Lane, wurde zusammen mit Jade, ihrer achtjährigen Tochter aus erster Ehe, entführt. Gegen die Zahlung von einer Million Dollar sollten Gattin und Stieftochter freikommen, doch die Kidnapper hielten ihr Versprechen nicht.

Reacher bietet seine Hilfe an. Er weiß: Die Verbrecher wollen ihr Opfer weiter ‚melken‘. In der Tat wird wenig später eine weitere Geldforderung erhoben. Fünf Millionen Dollar zahlt Lane, ohne auch dieses Mal zu zögern, denn vor fünf Jahren hatte man Anne, seine erste Frau, entführt und umgebracht, als die Polizei ins Spiel kam. Dieses böse Ende sieht Reacher neuerlich nahen, denn er glaubt trotz Lösegeldzahlung nicht an ein Freikommen von Mutter und Tochter.

Patricia Joseph, Annes jüngere Schwester, hält Lane für einen Psychopathen, der seine ihm lästig gewordene Erstgattin ermorden ließ. Seitdem überwacht sie den Ex-Schwager und hofft, ihn bei einer entlarvenden Unvorsichtigkeit zu ertappen. Ohne Patricias Wissen blieb auch Lauren Pauling auf Lanes Fersen. Sie war vor fünf Jahren die im Entführungsfall Anne Lane zuständige FBI-Agentin. Den Tod des Opfers hat sie nie verwunden und ihren Abschied genommen. Jetzt werden beide Frauen Reachers Verbündete.

Der Fall ist komplizierter, als alle Beteiligten ahnen. Lane, tatsächlich Leiter einer privaten Söldnertruppe, die für Geld überall in der Welt kämpft, hat bei einem gescheiterten Einsatz zwei Männer zurückgelassen, die wider Erwarten überlebten und Rache an ihrem Dienstherrn nehmen wollen – oder ist auch dies nur eine Theorie, die sich in Luft auflöst, während die Uhr für Kate und Jade endgültig abläuft …?

_Hit the bad boys, Jack!_

Grundsätzlich bleibt alles beim Alten: Jack Reacher lässt sich durch die USA treiben, beobachtet Land und Leute, und weil er ein wenig schärfer sieht als seine Zeitgenossen, wird er wieder einmal Zeuge einer Tat, hinter der sich nicht nur ein Verbrechen, sondern – das ist wichtig – ein Unrecht verbirgt, das offiziell und durch das Gesetz nicht geahndet werden kann. So etwas bringt ihn auf, denn Reacher, der sonst „sein Leben bis ins kleinste Detail immer so ein[richtet], dass er sekundenschnell aufbrechen konnte“ (S. 6), besitzt eine Achillesferse: Er ist ein Moralist, der sich auf die Seite der Schwachen und Wehrlosen stellen muss, wenn er ihnen begegnet.

Damit beginnen harte Zeiten für die sogenannten Starken, die sich gewaltsam und hinterlistig Privilegien aneignen und diejenigen schurigeln, die sich an die Regeln halten. Einer wie Reacher ist mindestens ebenso rücksichtslos wie sie, denn „das Reue-Gen fehlte in seiner DNA. Total. Es existierte einfach nicht.“ (S. 445) Seine Gegner begreifen stets ein wenig zu langsam, dass es ihnen nun mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Das spricht wohlig des Lesers Gerechtigkeitssinn an, in dessen Hirn ein kleiner, meist gut verborgener Winkel existiert, wo die Selbstjustiz haust.

Lee Childs Schurken sind Abschaum, und in den Reacher-Romanen bekommen sie anders als im realen Leben, was sie verdienen. Meint Child es ernst mit diesem Vigilantentum, oder ist es nur Theaterdonner, der ein Buch spannender und besser verkäuflich machen soll? Die Frage ist generell und hier besonders unwichtig, wenn es gelingt, den Gutmenschen-Reflex auszuschalten, eine spannende Geschichte als spannende Geschichte zu akzeptieren und sich unterhalten zu lassen.

Das schafft Child auch dieses Mal vorzüglich. Action-Thriller sind keineswegs so einfach zu schreiben, wie viel zu viele ‚Autoren‘ dies glauben. Auch eine rasante Geschichte will sauber konstruiert und entwickelt sein, soll sie ihre Wirkung vollständig entfalten. „Way Out“ ist keine simple Hetzjagd von Punkt A nach B und C und so weiter, die Story hält ihr Tempo ohne Durchhänger und verliert auch angesichts rasanter Wendungen den Anschluss nicht.

_Hit the road, Jack!_

Mit dem ersten Satz wird der Leser in die mit Volldampf anlaufende Handlung gerissen. Pausen wird es (bis auf die obligatorische, bei Child traditionell peinlich-lächerliche und glücklicherweise einzige Liebesszene) nicht geben: Jeder Rückblick in die Vergangenheit, jede Gefühlsäußerung steht im Dienst der Story. Wer seinen Thriller mit Seelenpein und Beziehungskisten liebt, sollte sich die Lektüre von „Way Out“ verkneifen; wer seifenoperlich verschnittene Thriller hasst und in dieser Hinsicht ein vielfach gebranntes Kind ist, kennt und schätzt Reacher längst.

Ökonomisch schreiben zu können, ist eine kostbare Gabe. Child hat ein wunderbares Gefühl für Timing. Das Geschehen schlägt immer wieder Haken in unerwartete Richtungen. Sorgfältig konstruiert der Autor Handlungsstränge, die sich als Irrwege entpuppen. Bevor man bewundern kann, wie man schon wieder elegant an der Nase herumgeführt wurde, geht es ähnlich trügerisch weiter. So mancher gefeierte Thriller-Autor mit Bestsellerlisten-Präsenz kann Child (nicht nur) in dieser Hinsicht nicht das Wasser reichen. Last-Minute-Überraschungen setzt er nicht auf, sondern integriert sie in die Handlung.

Jack Reacher ist ein Mann mit Sinn für Details. Sie zu beachten, musste er lernen, sie sich zunutze zu machen, hat er zu einer Kunst entwickelt. Auch Child schwelgt in Einzelheiten. Er beschreibt scheinbar unwichtige Alltäglichkeiten wie eine Tür oder sogar nur ein Türschloss mit einer Intensität, die deutlich macht, dass man solche Passagen im Hinterkopf behalten sollte. Viele Seiten später kann ein Detail zum Hebel werden, mit dessen Hilfe sich ein Rätsel lösen lässt, das sich über den halben Erdball erstreckt. Auch dies wirkt nie aufdringlich, sondern entspringt flüssig dem Geschehen.

_Hit the Union, Jack!_

Weite Reisen ins Ausland sind oft Element eines Reacher-Romans. Sie zeigen den Einzelkämpfer als Meister der Improvisation, der auf fremden Boden und ohne Rückendeckung erst recht zur Hochform aufläuft. Dieses Mal gönnt sich Child ein Heimspiel: Das große Finale von „Way Out“ spielt in England. Ausgerechnet Lee Child, der die USA so prägnant als Schauplatz und ihre Bewohner als Figuren seiner Romane zu schildern weiß, ist gebürtiger Brite. Trotzdem – oder gerade deswegen? – gelingt es ihm, ’sein‘ Land aus Reachers Blickwinkel und damit wie ein Fremder zu betrachten.

Ein trockener, kaum wahrnehmbarer Humor ist oft mehr zu ahnen als zu bemerken. Zu den Schauplätzen von „Way Out“ gehört unter anderem das Dakota Building in New York City, in dem Edward Lane feudal residiert. Es ist berühmt geworden als Wohnort von John Lennon, und seine Witwe lebt noch heute hier. Mehrfach stellt Reacher die Frage, ob Lane oder einer seiner Söldner „Yoko“ (Ono) gesehen haben – ein running gag, bis Reacher die berühmte Frau in einem Nebensatz schließlich trifft.

In Sachen Körpereinsatz geht Child deutlich weniger subtil vor. Reacher ist ein Profi, was seiner Meinung nach Gewalt als selbstverständliches Mittel zum Zweck einschließt. Anders als Lane ist Reacher allerdings kein Soziopath, der Vergnügen an Schmerz und Tod findet. Kühl und effizient geht er vor, und Child setzt seine Leser brutal deutlich über die Folgen ins Bild. Trotzdem gehört „Way Out“ keineswegs in einen Topf mit den heute so publikumswirksamen Killer-Thrillern, deren Verfasser sich im Ausdenken bizarrer Folter- und Todesmethoden zu übertreffen versuchen.

Deshalb hält die Spannung auch zwischen den Höhepunkten an; es gibt keine langweilige Passagen, die übersprungen werden müssen – eine Verhaltensweise, die für die Leser von Thrillern fast schon selbstverständlich geworden ist -, weil Child es nicht nötig hat, seine Geschichte mit faulen Tricks auf Länge zu bringen. Auf Seite 448 ist der Spuk vorbei. Er schleppt sich nicht mühsam mit nachträglichen ‚Überraschungen‘ dahin, sondern bringt die Handlung von „Way Out“ zu ihrem logischen Ende und stellt in zwei Schlusssätzen den status quo für Reachers elften Auftritt her. Auf den freut man sich; eine Reaktion, die mancher andere Serienheld schon nach dem zweiten oder dritten Auftritt nicht mehr hervorzurufen vermag …

_Der Autor_

Lee Child wurde 1954 im englischen Coventry geboren. Nach zwanzig Jahren Fernseh-Fron (in denen er unter anderem hochklassige Thriller-Serien wie „Prime Suspect“/“Heißer Verdacht“ oder „Cracker“/“Ein Fall für Fitz“) betreute, wurde er 1995 wie sein späterer Serienheld Reacher ‚freigestellt‘.

Seine Erfahrungen im Thriller-Gewerbe gedachte Child nun selbstständig zu nutzen. Die angestrebte Karriere als Schriftsteller ging er generalstabsmäßig an. Schreiben wollte er für ein möglichst großes Publikum, und das sitzt in den USA. Ausgedehnte Reisen hatten ihn mit Land und Leuten bekannt gemacht, sodass die Rechnung schon mit dem Erstling „Killing Floor“ (1997, dt. „Größenwahn“) aufging. 1998 ließ sich Child in seiner neuen Wahlheimat nieder und legt seither mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks in jedem Jahr ein neues Reacher-Abenteuer vor; zehn sollten es ursprünglich werden, doch zur Freude seiner Leser ließ der anhaltende Erfolg Child von diesem Plan Abstand nehmen.

Man muss die Serie übrigens nicht unbedingt in der Reihenfolge des Erscheinens lesen. Zwar gibt es einen chronologischen Faden, doch der ist von Child so konzipiert, dass er sich problemlos ignorieren lässt. Jack Reacher beginnt in jedem Roman der Serie praktisch wieder bei Null.

Aktuell und informativ präsentiert sich Lee Childs Website: http://www.leechild.com.

Die Jack-Reacher-Romane erscheinen in Deutschland im |Heyne| (Bd. 1, 2) und im |Blanvalet| Verlag (ab Bd. 3):

1. Killing Floor (1997, dt. „Größenwahn“)
2. Die Trying (1998, dt. [„Ausgeliefert“) 905
3. Tripwire (1999; dt. [„Sein wahres Gesicht“) 2984
4. Running Blind (aka „The Visitor“, 2000; dt. [„Zeit der Rache“) 906
5. Echo Burning (2001; dt. [„In letzter Sekunde“) 830
6. Without Fail (2002, dt. „Tödliche Absicht“)
7. Persuader (2003, dt. [„Der Janusmann“) 3496
8. The Enemy (2004, dt. [„Die Abschussliste“) 4692
9. One Shot (2005; dt. [„Sniper“) 5420
10. The Hard Way (2006; dt. „Way Out“)
11. Bad Luck and Trouble (2007; noch kein dt. Titel)
12. Nothing to Lose (2008; noch kein dt. Titel)
13. Gone Tomorrow (2009; noch kein dt. Titel)
14. 61 Hours (2010; noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: The Hard Way (London : Bantam Press 2006/New York : Delacorte Press 2006)
Übersetzung: Wulf Bergner
Deutsche Erstausgabe (geb.): August 2009 (Blanvalet Verlag)
448 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-7645-0236-6
http://www.blanvalet-verlag.de

Colin, Fabrice – Mary Wickford

_Neuengland_, irgendwo in der Wildnis. Eine junge Frau wird von der Inquisition verfolgt, doch ein Fremder flieht mit ihr …

Jahrzehnte später verlässt die siebzehnjährige Mary Wickford das Kloster der Heiligen Barmherzigkeit, in dem sie als Waise aufgewachsen ist, um sich ein eigenes Leben aufzubauen. Eigentlich will sie nach Boston, letztlich jedoch landet sie in dem kleinen Küstenstädtchen Old Haven. Und schon bald muss sie feststellen, dass hier nicht nur einiges sehr, sehr seltsam ist, sondern auch, dass sie aus Gründen, die in der Vergangenheit liegen, irgendwie darin verstrickt ist …

_Mary ist eine sehr resolute Person_, die durchaus ihren eigenen Kopf durchsetzen kann. Sofern sie denn weiß, was sie will, was zunehmend selten der Fall zu sein scheint. Immerhin weiß sie genau, was sie auf keinen Fall will: dem Imperator gehorchen.

Der Imperator ist der Herrscher über die beiden Amerika, bekennender Katholik und besessen von dem Gedanken, die Welt zu läutern. Die Methoden, die er dazu anwendet, sind gelinde gesagt höchst zweifelhaft.

Damit erschöpft sich die Charakterzeichnung auch schon. Nicht, dass diese beiden Charaktere die einzigen wären, im Gegenteil, es tauchen noch eine ganze Menge andere auf. Allerdings ist zu diesen Figuren noch weniger zu sagen als zu den genannten. Und selbst diese beiden bleiben irgendwie diffus und schemenhaft. Manchmal denkt Mary nach, aber was sie denkt, erfährt der Leser oft nicht, sodass er ihre Entscheidungen nicht immer nachvollziehen kann. Und selbst wenn Gedanken und Gefühle gelegentlich beschrieben werden, fehlt es ihnen an Intensität.

_Die Handlung_ ist dafür umso turbulenter ausgefallen. Kaum hat Mary das Kloster verlassen, wird sie manipuliert, bis sie in Old Haven ankommt, wo sie schon nach kurzer Zeit von der Inquisition aufgespürt wird. Von da an ist Mary nahezu ununterbrochen auf der Flucht, bis sie schließlich den Großmeister der Bruderschaft von York trifft, der sie unterrichtet. Aber selbst jetzt, wo sie eine ausgebildete Hexe ist, kommt sie nicht zur Ruhe, bis sie sich dem Imperator stellt.

Klingt rasant. Ich empfand es allerdings eher als mühsam. Vielleicht lag das daran, dass die Geschichte stellenweise so umständlich wirkt. Dazu gehören nicht nur die Ereignisse in Old Haven, als die Inquisition dort eintrifft, sondern zum Beispiel auch diejenigen auf der Insel des blutenden Herzens. Die dortigen Geschehnisse scheinen keine echten Auswirkungen auf den Fortgang der Handlung zu enthalten, stattdessen werden lediglich Andeutungen gemacht, die neue Fragen aufwerfen. Fragen, die teilweise nie beantwortet werden.

Da Mary zu Beginn der Geschichte nichts über ihre Herkunft weiß, also ohnehin schon massenhaft Fragen im Raum stehen, sind derartige Szenen nicht unbedingt eine Hilfe. Dummerweise ist der eigentliche Clou des Plots trotz mangelnder Antworten und fehlender Zusammenhänge recht bald klar.

Vielleicht lag es aber auch daran, dass Fabrice Colins Amerika zu Beginn des 18. Jahrhunderts ganz und gar anders aussah als das aus dem Geschichtsunterricht. Dabei hat der Autor sich nicht darauf beschränkt, historische Daten zu verändern, indem er bereits Maschinen und Flugzeuge mit Erdöl betreibt und die Hexenprozesse von Salem der katholischen Inquisition zuschreibt. Er hat diese veränderte Historie auch mit allen möglichen anderen Elementen gemischt, von Fabelwesen wie Nymphen und Drachen über den Okkultismus einer Geheimbruderschaft bis hin zum Cthulhu-Mythos.

_Um es kurz zu machen_, ich bin mit diesem Buch einfach nicht warmgeworden. Allein der Cthulhu-Mythos hätte schon genügt, mich abzuschrecken, hätte ich denn gewusst, dass er in diese Geschichte eingebaut ist. Und tatsächlich haben die Szenen, die mit diesem Aspekt verbunden waren – sei es auf Marys Weg durch das unterirdische Labyrinth über Arkham oder beim Auftauchen von Nyarlathotep -, eine Menge Grausamkeit in die Geschichte transportiert, einerseits durch den Ekelfaktor von Monströstitäten, andererseits auch durch exzessives Blutvergießen.

Aber das war es nicht allein. Zu vielen Szenen war anzumerken, dass sie nur in die Handlung eingeflochten waren, um ein weiteres Puzzleteil für Marys Herkunft zu liefern, und zu holperig waren die einzelnen Teile miteinander verbunden. Die Rekonstruktion der Vergangenheit wirkte bemüht und fügte sich nicht nahtlos in Marys eigentliche Geschichte ein. Die Handlung insgesamt verlief zu hektisch und überstürzt. Selbst die Wochen von Marys Ausbildung werden wie im Zeitraffer abgespult, als fürchte der Autor sich davor, auch nur einen einzigen Moment innezuhalten.

Auch die schwache Ausarbeitung der Charaktere war ein Manko. Zu vieles geschah einfach zu unmotiviert, ohne erkennbaren Grund. So fragte ich mich zum Beispiel, was in aller Welt der Pastor Jeremiah sich dabei gedacht hat, eine solche Strafe über seinen Sohn zu verhängen?! Wieso sind die Domilitinnen erst ins Meer verschwunden, als sie |nicht| mehr verfolgt wurden? Und wo kam von einem Tag zum andern Marys tiefe Liebe für ihren zukünftigen Ehemann her?
Außerdem ist da natürlich noch das Problem mit der Logik: Da verschwindet ein beschworener Dämon einfach, weil sein Meister getötet wurde. Der als Meister Bezeichnete war allerdings gar nicht derjenige, der den Dämon beschworen und eingesperrt hatte!

_Zurück blieb der Eindruck_ einer Welt, die durch ihre Zusammensetzung kontrastiert, aber auch ein wenig überladen und wie Flickwerk wirkt, einer turbulenten, Haken schlagenden Handlung, die nur wenig Raum für Tiefe lässt, und einer Ansammlung von Figuren, mit denen der Leser sich kaum identifizieren kann, weil ihre Handlungsweise nicht nachvollziehbar ist.

Wer es also gern blutig, gruselig oder auch actionlastig mag, der kann mit diesem Buch vielleicht etwas anfangen. Wer dagegen Wert auf tieferes Verständnis von Handlung und Protagonisten legt, der lasse sich nicht von dem harmlosen Klappentext oder dem romantischen und damit eigentlich völlig unpassenden Cover täuschen und suche sich eine andere Lektüre.

_Fabrice Colin_ lebt in Paris und schreibt außer phantastischen Romanen auch Comics, Graphic Novels und Drehbücher fürs Radio. Aus seiner Feder stammen unter anderem „Le réveil des dieux“, „Vengeance“ und die Comic-Serie „Duel Masters“. „Mary Wickford“ ist der erste seiner Romane, der ins Deutsche übersetzt wurde.

|Originaltitel: La Malédiction d’Old Haven
Aus dem Französischen von Ulrike Werner-Richter
Gebundenes Buch, Pappband, 720 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-53288-5|
http://www.heyne.de

Die drei ??? – Botschaft von Geisterhand (Folge 95)

Ende der Neunzigerjahre erholte sich die Jugendserie langsam von einem leichten Formtief, in welches man fiel, kurz nachdem sich die drei Fragezeichen von ihren amerikanischen Wurzeln trennten bzw. trennen mussten. Man war mittlerweile am Scheideweg zur Moderne angelangt und es schien, als müsse man erst den richtigen Dreh wieder finden. So sind insbesondere unter den Folgen 50 bis hinauf zu 90 überproportional viele bestenfalls mittelmäßige und sogar die wirklich unbestritten schlechtesten Geschichten der drei Fragezeichen überhaupt anzutreffen. Stichwort: „Todesflug“. Wie dem auch sei, um die Jahrtausendwende herum war man wieder im Aufwärtstrend – Folge 95 von 2001 passt ganz gut in die Reihe solider Produktionen.

Zur Story

Die drei ??? – Botschaft von Geisterhand (Folge 95) weiterlesen

Marx, André – Die drei ??? – Botschaft von Geisterhand

Die drei Fragezeichen gingen zu Beginn der Neunzigerjahre komplett in deutsche Hand, nachdem die Originalserie „The three Investigators“ in ihrem Ursprungsland Amerika eingestellt wurde, sich hier jedoch weiterhin so großer Beliebtheit erfreute, dass sich der Franckh-Kosmos Verlag die exklusiven Fortführungsrechte sicherte. Die „Botschaft von Geisterhand“ wird erzählt von André Marx, stammt aus dem Jahr 2000 und gehört zur so genannten „Neuen Ära“, welche bis dato anhält. Obwohl es eigentlich gar keine Nummerierung gibt, ist es der 95. Fall des Trios, legt man die Chronologie der bei EUROPA erscheinenden Hörspiele zugrunde, welche ganz maßgeblich zum großen Erfolg der Serie beigetragen haben.

_Zur Story_

Derzeit herrscht Flaute bei den drei Detektiven. Das heißt, Justus triezt Peter mit kniffligen Denksportaufgaben. Ein Unterfangen, welches bestenfalls als schwierig zu bezeichnen ist, wenn man den zuweilen geistig etwas schwerfälligen zweiten Detektiv kennt. Der Müßiggang findet ein jähes Ende, als ein geheimnisvoller Brief eintrudelt. Weder Umschlag noch das leere Blatt Papier in seinem Inneren, das selbstverständlich allen gängigen Geheimschrift-Tests unterzogen wird, weisen auf den Absender hin. Während die drei sich noch den Kopf zerbrechen, klärt das Telefon das Rätsel. Ihre „alte Freundin“ Jelena Charkova eröffnet ihnen – nicht ohne eine gute Portion Häme und Hochnäsigkeit – , dass sie längst auf die drei Jungs warte, das würde aus dem Brief doch hervorgehen. Dieser sei mit einer neuen Geheimtinte aus ihrer Chemie-Giftküche geschrieben.

Allen Animositäten zum Trotz sollen die Jungs antanzen, denn sie habe einen Fall. Sie habe zufällig in einem fehlgeleiteten Telefongespräch mitbekommen, dass ein wertvolles und geheimnisvolles Buch – das „Popol Vuh“ – gestohlen werden soll. Es handelt sich genau genommen um eine sehr alte Übersetzung ins Spanische und nicht das Original selbst. Der Aufbwahrungsort des guten Stücks war aber leider nicht zu entnehmen gewesen, jedoch hat Jelena bereits herausgefunden, wem das Buch seit einer kürzlich statt gefundenen Auktion gehört. Die Zeit drängt, denn der geplante Diebstahl steht unmittelbar am nächsten Tag bevor. Dr. Arroway ist die derzeitige Besitzerin des Buches und ihres Zeichens Spezialistin für die Kultur der Quiche-Maya. Sie ist dank Jelenas Vorarbeit leicht zu finden, und so erreichen die vier ihr Haus Just-In-Time, um sie zu warnen.

Doch Dr. Arroway denkt gar nicht daran, dass Buch weg zu schließen, sie will die Gelegenheit nutzen und Palmer Dixon, einen ihrer hartnäckigsten Konkurrenten auf diversen Auktionen, den sie übrigens auch für den mutmaßlichen Dieb hält, auf frischer Tat ertappen und ihn so endlich los werden. Daher beschließt man, für den nächsten Tag eine Falle zu stellen. Doch Erstens kommt es oft anders und Zweitens, als man denkt. Noch am gleichen Abend verschwindet das Buch einen Tag vor dem eigentlichen Termin spurlos aus dem Arbeitszimmer. War Dixon wirklich der Täter? Wenn ja, warum hat er früher als geplant zugeschlagen? Welches Geheimnis birgt diese alte Übersetzung des Popol Vuh? Diesmal sind die Detektive sogar zu Viert, um die mysteriösen Umstände zu klären. Kleine Rivalitäten beleben dabei das Geschäft ungemein.

_Eindrücke_

Wie alle neuzeitlichen Fälle kennzeichnet auch diesen eine Fülle von Modernisierungen gegenüber der Originalserie. Nicht nur dass die Jungs mittlerweile motorisiert sind, auch ihre ehemals versteckte Zentrale und Rückzugsort – etwa vor der Arbeitsverteilung Tante Mathildas – auf dem Schrottplatz ist längst kein Geheimnis mehr. Der alte Campinganhänger hat zwar damit auch seine obsolet gewordenen Geheimgänge eingebüßt, weist jedoch neben dem altbekannten Labor und der Telefonanlage nun mittlerweile auch Computertechnik auf. Ein Umstand, welchem bei dieser Story sogar besondere Bedeutung zukommt, denn ein Teil der Ermittlungen ist das Ausspähen einer IP-Adresse. Unter technischen Gesichtspunkten hier nicht ganz schlüssig erklärt und ziemlich konstruiert wirkend, aber durchaus spannend inszeniert.

Dabei muss man auch noch bedenken, dass zur Zeit der Entstehung der Geschichte solche EDV- bzw. Internet-Begriffe längst noch nicht so weit verbreitet im Gebrauch waren, wie sie es heute sind. Die drei Fragezeichen greifen damit mal wieder moderne und ungewöhnliche Themen auf. Das gilt auch für die Grundstory als solche. Das Popol Vuh ist tatsächlich existent und so etwas ähnliches wie das „Amduat“, das berühmte ägyptische Totenbuch, nur eben das der südamerikanischen Maya. Kurios ist in diesem Zusammenhang, dass auf dem Cover ein Buch abgebildet ist, welches allerdings ein aztekisches Symbol ziert. Ein Volk, welches aber erst lange nach den Maya auf der geschichtlichen Bühne auftauchte. Das muss man aber nicht wissen, Coverdesignerin Sivia Christoph wusste es augenscheinlich auch nicht.

Im Gegensatz zum zusammengekürzten Hörspiel hat man im Buch natürlich wesentlich mehr Möglichkeiten, mit größerer Detailtreue zu arbeiten. So ist es nicht verwunderlich, dass die kleinen Schönheits- und Logikfehler, die sich das gleichnamige Hörspiel leistet, in der Buchversion nicht – oder fast nicht – anzutreffen sind. Mit einer Ausnahme, nämlich der Frage der Täterschaft. Diese wird aufmerksamen Lesern schon recht früh offenbar. Zu früh. Lediglich das Warum ist zunächst unklar. Dennoch erhält sich die Geschichte einen gewissen Spannungsbogen, nicht zuletzt weil Jelena Charkova (nach ihrem Debüt in der Folge „Musik des Teufels“) wieder kräftig mitmischt und Justus dabei ziemlich alt aussehen lässt. Im Prinzip hat sie das Rätsel bereits lange vor den drei Jungs gelöst. Und das auch noch weniger umständlich als der voreingenommene erste Detektiv.

_Fazit_

Eine unterhaltsame und in sich runde Geschichte, wobei auch der weniger aufmerksame Leser sehr früh die Lösung des Rätsels ahnt. Hier hätte André Marx lieber etwas mehr Sand in die Leseraugen streuen können, statt sich mit IT-Halbwahrheiten zu verzetteln. Übrigens die einzig wirkliche „Schwäche“ des Falles, der ansonsten aufgrund seiner abwechslungsreichen Handlungsstränge gegenüber dem stark gekürzten Hörspiel fleißig Zusatzpunkte sammeln kann – allein schon wegen der ausgedehnteren, amüsanten Scharmützel von Justus und Jelena. Summa summarum eine durchaus gefällige Episode der drei Fragezeichen und auch für den Quereinstieg in die Serie geeignet.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

„Die drei ??? – Botschaft von Geisterhand“
Basierend auf Figuren von Robert Arthur
Erzählt von André Marx
Franckh-Kosmos, 2000
128 Seiten Hardcover
Cover Illustration: Silvia Christoph
ISBN-10: 3-440-08023-4
ISBN-13: 978-3-440-08023-8

Cain, Chelsea – Gretchen

Das „Böse“ ist faszinierend. Doch warum ist es das? Das psychologische Profil von Serienmördern ist für Psychologen und Profiler der Ermittlungsbehörden ein packendes Thema. Man sagt, Genie und Wahnsinn lägen nahe beieinander, und vielleicht ist durchaus etwas Wahres an dieser These. Um einen Serienmörder aufzuspüren, muss man ihn psychologisch und gedanklich analysieren, um seine Taten zumindest verstehen zu können. Doch diese Methodik kann auch eine Gefahr für den Psychologen darstellen, denn wer begibt sich schon gerne in die seelischen Abgründe von Sadisten und Mördern? Kann hier eine Abhängigkeit entstehen oder noch schlimmer eine Sympathie, ein Verstehen für solch mörderisches Gedankengut?

Die Autorin hat mit ihrer Protagonistin Gretchen Lowell eine teuflisch, raffinierte Serienmörderin erschaffen, die schon in „Furie“ und „Grazie“ ihre Leser faszinierte.

Gretchen Lowell ist eine Psychopathin, die in den Medien als die „Beauty-Killerin“ bezeichnet wird. Sie hinterlässt auf ihren Opfern in Fleisch geschnitzte Herzen, eine makabere Visitenkarte. Ihr psychologisches Profil ist nicht transparent genug für die Ermittler. Die Mörderin hinterließ zahlreiche Hinweise, aber welche, das entschied nur sie selbst. Sie spielt nicht nur mit ihren Opfern, bevor sie diese grausam tötet, sondern auch ein gefährliches Spiel mit der Polizei, aber sie fungiert dabei als Spielleiterin und manipuliert ihre Gegner in jedem Zug.

Gretchen Lowell ist eine schöne, bezaubernde Frau. Sie ist hochintelligent und versteht es, fremden Menschen ihren Willen aufzuzwingen, bevor sie selbst wissen, was ihnen überhaupt geschieht.

Mit „Gretchen“ hat die Autorin Chelsea Cain ihre Serienmörderin wieder auf die Bühne geschickt. Und der dritte Teil verspricht genauso viel Spannung und Verführung wie die ersten beiden.

_Inhalt_

Detective Archie Sheridan war mal Leiter einer Sondereinheit, die nach einem berühmt-berüchtigten Serienmörder in Portland fahndete. Archie verlor damals alles, seine Familie, seinen Verstand, seine Milz, die ihm Gretchen Lowell ohne Anästhesie aus dem Körper schnitt. Jahrelang hat Archie die Serienmörderin gejagt, obwohl sie praktisch jeden Tag mit ihm als Psychologin zusammenarbeitete. Für und mit Gretchen hat Archie seine Frau betrogen. Ganz im Bann der attraktiven Serienmörderin, körperlich wie auch seelisch, war er ihr ausgeliefert. Archie wurde von ihr betäubt, gefangen und über mehrere Tage hinweg gefoltert, bis er so weit war, den Tod herbeizusehnen, doch Gretchen liebt es, verführerisch und zugleich morbide zu sein. Zwischen Archie und Gretchen entwickelt sich eine besondere Zuneigung, eine Abhängigkeit, eine Liebesaffäre, die nicht greifbar ist. Auch Gretchen hat Gefühle für Archie und rettet ihm das Leben, als sie sich selbst den Behörden stellt und damit ihrem Lover Archie das Leben rettet.

Selbst im Gefängnis hat Gretchen nichts von ihrer Bösartigkeit und ihrer Attraktivität verloren. Ihr liegt nicht die Rolle der passiven Inhaftierten, und sie spielt weiterhin mit Archie, der auf eine krankhafte Art Gretchen verfallen ist. Doch Archie, der seelisch und körperlich gebrochen ist, ist seit einigen Monaten zu Gast in einer psychiatrischen Klinik. Abhängig von Medikamenten und noch immer ein Opfer von Angst- und Panikzuständen, verkriecht sich der ehemals erfolgreiche Ermittler und sondert sich von der kranken Gesellschaft ab.

Die Medien sind fasziniert von der Person Gretchen Lowell und idealisieren ihre Taten. Inzwischen gibt es Fanclubs, und sogar die Mode setzt auf den Gretchen-Trend. Seit dem Tag, als Gretchen aus dem Gefängnis geflohen ist, wird jeder weitere Tag gefeiert, den die Serienmörderin auf freien Fuß ist.

Eine neue Serie von Morden erschüttert Archies Kollegen, denn die Opfer tragen als Zeichen das blutige Herz von Gretchen. Ist die untergetauchte Mörderin wieder aktiv und fordert erneut Archie auf, mit ihr zu spielen? Oder sind es gar Trittbrettfahrer, die auf den medialen Zug aufspringen, um sich ebenfalls einen unsterblichen Namen zu machen? Auch wenn es so aussieht, als würde Gretchen ihr erneutes Comeback feiern, so passen die Details nicht ins Gesamtbild. Die Taskforce benötigt dringend die Hilfe von Archie, denn keiner kennt Gretchen so gut wie er, niemand ist ihr jemals so nahe gekommen wie er, niemand hat eine schicksalhafte Begegnung mit ihr überlebt. Außer Archie, und um die Serienmörder auszuschalten, die Gretchen kopieren oder in ihrem Auftrag töten, muss er sich wieder seinen tiefsten Ängsten stellen, doch Gretchen ist ihm immer einen Schritt voraus …

_Kritik_

„Gretchen“ von Chelsea Cain ist eine ganz andere Art von Thriller. Bisweilen erkennt man Parallelen zur Figur eines Hannibal Lecters. Doch Gretchen Lowell ist vielseitiger und impulsiver, ihr Auftreten mysteriös und unnahbar, zugleich aber kalt und analytisch. Sie tötet um der Macht willen, sie manipuliert, verführt und erschreckt ihre Opfer, und das bereitet ihr teuflisches Vergnügen.

In „Gretchen“ tritt die Serienmörderin zunächst in den Hintergrund. Die Geschichte konzentriert sich auf die Ereignisse in der Vergangenheit, auf die Bedeutung einer Serienmörderin in unserer Gesellschaft. Gerade was den medialen, informativen Charakter angeht, interpretiert die Autorin sehr gekonnt. Blut und Tränen, Angst und Verlust gibt es schon seit jeher, nur war die ‚Vermarktung‘ und die Aufarbeitung auch immer ein Spiegelbild unserer Zivilisation.

Immer wieder kommt es zu Rückblenden, in denen die alten Taten von Gretchen an die Oberfläche kommen. Zwar sind diese inhaltlich spannend, doch stören sie manchmal die Handlung. Obwohl der Roman den Titel „Gretchen“ trägt, taucht die attraktive Serienmörderin erst spät auf, allerdings zeigt sie dann dem Leser auch gleich, dass sie nichts verlernt hat oder ruhiger geworden wäre. Was sie allerdings antreibt, wird in „Gretchen“ nicht erklärt. Vielleicht ist das ihre Art von bewusstem Leben, aber ein erkennbares Muster, warum sie sich gerade diesen oder jenen als Opfer heraussucht, offenbart sich nicht.

Die Handlung stützt sich fast ausschließlich auf Archie Sheridan. Seine Person wechselt oftmals von stark überzeichnet bis absolut realistisch. Dass er sich für unabsehbare Zeit wegschließen lässt und freiwillig in einer psychiatrischen Klinik bleibt, kann man einerseits verstehen, andererseits hingegen denkt man manchmal, dass er es jetzt aber wirklich übertreibt. Sein Verhältnis zu Gretchen ist allerdings spannend aufgearbeitet. Archie ist Gretchen fast hörig, zugleich würde er sie aber am liebsten tot sehen. Sie hat ihn nicht nur körperlich verletzt und ihre Spuren hinterlassen, viel schlimmer ist es für Archie, dass er unheilbare psychische Schäden davongetragen hat. Ein Trauma, das man zwar medikamentös behandeln kann, aber nicht auszulöschen vermag. Gretchen wird immer ein Teil seines Lebens sein. Für ihn selbst ein positiver, wie auch negativer Aspekt ist es, dass sie ihn begehrt, verletzt, gedemütigt, aber ihm auch das Leben gerettet hat. Seine ganz individuelle Hölle heißt einfach schlicht und ergreifend Gretchen Lowell.

Chelsea Cain setzt auf Schockmomente, je mehr, desto besser. Die ersten Opfer wurden mit einer Brutalität getötet, die zwar nicht geschildert wird, aber es reicht schon, wenn man sich die Beschreibung der Opfer vorstellt. Hier wird mit Details nicht gespart und besonders zum Schluss hin erreicht der Ekelfaktor ungeahnte Höhen.

Da „Gretchen“ der dritte Teil aus der Reihe ist, trifft man hier auf einige alte Bekannte aus den beiden Romanen „Furie“ und „Grazie“, Henry Sobol wie auch die Journalistin Susan Ward sind hier beispielsweise auch wieder mit von der Partie. Letztere wird zur Assistentin von Archie, der die Ermittlungen wieder aufnimmt, und zusammen stürzen sie sich in ein Drama, das sie nur mit Mühe kontrollieren können. Allerdings nur als Co-Produzenten, denn Gretchen kann nicht von Archie lassen …

_Fazit_

Chelsea Cains „Gretchen“ ist ein Adrenalinstoß in den Abendstunden. Für sanfte Gemüter ist der Roman sicherlich nicht geeignet. Spannend und abwechslungsreich konfrontiert uns der Roman mit einer Serienmörderin, die eine morbide Faszination ausübt. Es ist jedenfalls empfohlen, dass man vorher die beiden Bücher „Grazie“ und „Furie“ lesen sollte, da man sonst nicht die Abhängigkeit der beiden Hautfiguren im Detail verstehen kann.

Alpträume können einen Namen haben, für Archie wird es immer „Gretchen“ sein. So naiv wie harmlos der Name auch klingen mag – Gretchen hat ihren Hänsel-Archie fest im Griff und wird ihn auch im vierten Teil nicht loslassen. Wer sich in „Gretchens“ Welt flüchtet, wird unweigerlich in ein Universum der Angst und Begierde katapultiert, denn „Gretchen“ hat das Zeug, um sich zur Kultfigur zu entwickeln.

Licht an, lesen und erst aufhören, wenn „Gretchen“ ihre Show beendet hat!

|Originaltitel: Evil at Heart
Originalverlag: St. Martin’s Press, New York 2009
Aus dem Amerikanischen von Fred Kinzel
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten
ISBN-13: 978-3-8090-2535-1|

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Remin, Nicolas – Requiem am Rialto

Mit seinem sympathischen Commissario Alvise Tron, der sogar schon Bekanntschaft mit Kaiserin Elisabeth von Österreich schließen durfte, hat sich Nicolas Remin längst in die Herzen der Krimifans geschrieben. Für mich gibt es im Bereich des Italienkrimis niemand anderen als ihn, denn niemand zeichnet so nette und authentische Charaktere wie Remin. In „Requiem am Rialto“ löst Commissario Tron bereits seinen fünften Fall.

_Ausgeweidet_

Venedig steht im Wettkampf mit Graz, Salzburg und Triest um die niedrigste Mordrate, doch noch ist die Zeit des Karnevals nicht überstanden. Dennoch wähnt sich Polizeipräsident Spaur bereits auf der Zielgeraden, hat er seiner anspruchsvollen Gattin doch bereits die Einladung zum Ball in die Wiener Hofburg in Aussicht gestellt, die dem siegreichen Polizeipräsidenten winken könnte. Zwei Morde könnte Spaur noch verkraften, wie dumm nur, dass gerade zu dieser so wichtigen Zeit ein Serienmörder auf den Plan tritt…

Die erste blonde Frau trifft im Zug auf ihren Mörder. Zurück bleiben ein Blutbad und eine fachmännisch heraus getrennte Leber, die die Putzfrau des Zuges kurzerhand einsteckt und ihrem Mann zum Abendessen serviert. Die nächste Dame, eine Prostituierte, entführt der Mörder auf eine Gondel. Hinter dem Vorhang versteckt, macht er sich an der wehrlosen Frau zu schaffen, während der Gondoliere von einem heftigen Liebesspiel ausgeht und passend dazu eine Arie anstimmt. Aber damit ist die Todesserie noch längst nicht abgebrochen. Immer wieder tauchen ausgeweidete Frauen – stets mit blonden Haaren und grünen Augen – in Venedig auf. Die Polizei steht vor einem Rätsel, sodass sie einen Lockvogel auf die Straßen schickt – Ispettore Bossi, verkleidet mit Perücke und Kleid. Und tatsächlich macht Bossi Bekanntschaft mit dem Frauenmörder von Venedig, muss ihn wegen seiner unbequemen Damenschuhe allerdings flüchten lassen.

Ein Tatverdächtiger nach dem anderen kann identifiziert und dingfest gemacht werden. Dummerweise geschieht immer dann ein neuer Mord, wenn die Polizei glaubt, den Fall gelöst zu haben. So müssen Tron und seine Kollegen ihre Ermittlungen immer wieder neu aufnehmen. Wer steckt bloß hinter der grausamen Mordserie, die Polizeichef Spaur den Ausflug in die Hofburg kosten könnte?

_Von Pralinés und Frauenkleidern_

Wieder einmal ist Commissario Trons Gespür gefragt, denn in Venedig werden Blondinen fachmännisch ausgeweidet, ohne dass der Täter eine Spur hinterlassen würde. Doch Tron kämpft nicht nur mit der Todesserie, sondern auch mit seinem Vorgesetzten, der seine Felle davon schwimmen sieht, und mit seiner Mutter, die den alljährlichen Maskenball vorbereitet und Alvise inzwischen mehr als nur subtil darauf hinweist, dass er seine Dauerverlobte ehelichen solle. Die aber interessiert sich nur marginal für eine mögliche Ehe und schreibt stattdessen dem gut aussehenden Julien Sorelli Briefe, die sie ihrem Verlobten gegenüber lieber verschweigt. Trons Eifersucht ist angestachelt, wenn auch nur oberflächlich, denn meist konzentriert er sich ganz auf die mehr oder weniger leckeren Speisen, die im Hause Tron serviert werden.

Bereits zu Beginn des Buches hat Tron seinen großen Auftritt, als er einen vermeintlich betrunkenen Störenfried in der Questura gekonnt zur Strecke bringt. Dummerweise handelt es sich bei dem Österreicher um einen kaiserlichen Offizier. Wie gut, dass Spaur andere Sorgen hat, als Tron zu rügen, denn er sieht sich vielmehr als baldigen Polizeipräsidenten des Jahres.

Alvise Tron ist der eigentliche Held von Nicolas Remins Krimireihe, denn seine liebenswert schrulligen Eigenschaften machen den besonderen Reiz aus, zumal seine Kollegen ihm in nichts nachstehen. Da ist nicht nur der Süßigkeiten-vernarrte Spaur, der ein Praliné nach dem anderen futtert, sondern in diesem Buch vor allem Ispettore Bossi, der als Lockvogel fungieren soll. Zunächst scheut er sich davor, sich als Frau zu verkleiden, dann aber findet er Gefallen an den Frauenkleidern und erscheint schlussendlich in großer Ballrobe zum Maskenball der Trons.

_Hinter Masken_

Vom Mörder erfährt der Leser zunächst wenig. Zwar begleiten wir ihn bei all seinen Taten und wissen, dass ein Tier in dem Manne wohnt, das ihn praktisch zu den Morden zwingt. Er verliert dann völlig die Kontrolle über sich selbst und lässt sich von dem Tier in sich lenken. Doch um wen es sich handelt, wissen wir nicht, und Nicolas Remin verrät uns zunächst nur wenig über diesen Mann. So rätseln wir gemeinsam mit Tron und seinen Kollegen. Allerdings ist uns etwas schneller klar als Polizeipräsident Spaur, dass die ersten Verdächtigen keineswegs für die Taten in Frage kommen dürften. Und so kommt es, wie es kommen muss: Nach und nach scheidet einer nach dem anderen aus Kreis der Verdächtigen aus. Doch wer ist wirklich verantwortlich für die ausgeweideten Frauen?

Anfangs fällt das Mitraten schwer, da man über den Täter nicht viel mehr weiß, als dass er für seine Mordgänge eine schwarze Halbmaske aufsetzt und ansonsten völlig unauffällig wirkt. Doch je weiter der Roman voranschreitet, umso mehr zeichnen sich einige heiße Verdächtige ab, die man auch als Leser näher unter die Lupe nehmen kann. Wer wirklich der Mörder ist, verrät Nicolas Remin allerdings erst ganz zum Schluss, und erst dann kann der Leser prüfen, ob er mit seinem Verdacht richtig lag. Der Spannungsbogen ist dadurch nahezu perfekt gelungen, auch wenn Remin zwischendurch fast schon zu viele Verdächtige präsentiert.

_Bildhaft_

Nicolas Remins Markenzeichen ist seine malerische und bildhafte Sprache. Er verwendet viele Metaphern, davon viele, die den Kern der Sache genau treffen und einen schmunzeln lassen. Kaum einmal findet sich eine Metapher, die bereits altbekannt ist, meistens streut Remin eigene Ideen ein und beweist seine Kreativität und sein Sprachgefühl. Sein Schreibstil ist sehr detailreich, Remin beschreibt alles haargenau, sodass man sich als Leser bestens in die Szenen hinein versetzen kann. Auch die schrullige Charakterzeichnung funktioniert nur mit der blumigen Sprache, mit Remins teils schwarzem Humor und mit seiner Detailverliebtheit.

Auch im Vergleich mit den bisherigen Tron-Bänden schneidet der vorliegende Fall gut ab. Speziell dank Ispettore Bossi in Frauenkleidern, des kauzigen Polizeipräsidenten Spaur und natürlich dank des sympathischen und so herrlich unehrgeizigen Tron unterhält das Requiem am Rialto hervorragend und macht schon jetzt neugierig auf Trons sechsten Fall.

|Nicolas Remin bei Buchwurm.info:|

[Schnee in Venedig 1987
[Venezianische Verlobung 2326
[Die Masken von San Marco 4630
[Gondeln aus Glas 4754

Die drei ??? – Master of Chess (Live & Unplugged)

Man durfte sich bei der stets ausverkauften Live-Tour glücklich schätzen sagen zu können: „Ich war dabei!“ Damals. Genau genommen war’s am 9.12. 2002 in Bonn / Bad Godesberg. Für die begehrte Karte waren 20 € fällig. Nicht viel, doch trotzdem schwer zu bekommen. Ein hoch geschätztes Mitglied einer berüchtigten Meinungsplattform mit C hatte tatsächlich noch welche auftreiben können. Hier war es auch, wo sich auch erstmals größere Fangruppen zusammen rotteten und ???-Berichte konzentiert veröffentlichten. Lange ist’s her. Die meisten der Clique sind leider längst nicht mehr aktiv. Doch wenn die Doppel-DVD gelegentlich mal wieder einlegt wird, dann kommen die Erinnerungen wieder.

Die Handlung

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