Derleth, August (Hg.) – Paradies II

Sieben Kurzgeschichten dokumentieren den Status der Science-Fiction in den 1950er Jahren:

– Poul Anderson: Projekt Geistesblitz („Butch“), S. 7-39: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, lautet ein Sprichwort; der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Vorteil, denn als die Erdmänner den Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz katastrophal verpfuschen, bleibt eine Alternative …

– Isaac Asimov: Im Hinterhof („The Pause“), S. 39-54: Der Atomkrieg findet dank außerirdischer Einmischung nicht statt, doch haben die Friedensstifter wirklich nur das Wohl der Menschheit im Sinn …?

– Charles Beaumont: Der große Traum („Keeper of the Dream“), S. 54-64: Gibt es für die Wissenschaft eine Verpflichtung, die Welt vor allzu ernüchternden Gewissheiten zu schützen …?

– Arthur C. Clarke: Die Gedankenbotschaft („No Morning After“), S. 64-71: Der einzige Mensch, der die telepathische Warnung der Außerirdischen empfängt, ist nicht in der Stimmung, sie zu beherzigen …

– Philip K. Dick: Das Zeitschiff („Jon’s World“), S. 71-117: Die Zukunft soll mit Hilfe aus der Vergangenheit saniert werden, doch bei der Beschaffung des dafür notwendigen Wissens kommt es zu einem zeit- und dimensionserschütternden Zwischenfall …

– Robert Sheckley: Paradies II („Paradise II“), S. 117-133: Der wunderschöne Planet wird ausgerechnet durch eine fehlprogrammierten Lebensmittelfabrik zur bizarren Todesfalle …

– Clark Ashton Smith: Prometheus („Phoenix“), S. 134-144: In ferner Zukunft soll die erloschene Sonne neu entzündet werden …

_Gestalter-Profis einer vergangenen Zukunft_

Beginnen wir mit einer Widerlegung: „Weltberühmte Science Fiction-Stories“ mache Herausgeber August Derleth einst und der |Heyne|-Verlag jetzt dem Leser zugänglich, lesen wir auf dem Cover des hier vorgestellten Taschenbuches. Das trifft so keinesfalls zu; „Paradies II“ ist stattdessen Schnappschuss einer SF, die in erster Linie unterhalten möchte, wobei die Verfasser keinen (auch faulen) Trick scheuen. Routine kündet von solidem Handwerk, und so sollte man diese Geschichten lesen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zwar haben Verfasser mit großen Namen zu dieser Sammlung beigetragen, was freilich nicht bedeutet, dass sie sich dafür intellektuell oder literarisch verausgabt hätten.

Oder legt der inzwischen verwöhnte Leser der Gegenwart andere bzw. strengere Maßstäbe an? Die Science-Fiction hat ihre literarischen Qualitäten längst unter Beweis gestellt. 1954 war dies einerseits anders, während andererseits durchaus angemahnte Schrecken einer möglichen Zukunft generell weniger subtil thematisiert wurden.

_Die rote Gefahr ist (welt-)allgegenwärtig_

Grundsätzlich beschreibt keiner unserer sieben Autoren eine Welt, in der zukünftig das Lamm beim Löwen liegt oder Wein und Honig fließen. Bei näherer Betrachtung gehen auch in die erdfern spielenden Geschichten sehr irdische und zeitgenössische Ängste ein. Isaac Asimov (1920-1992) bringt die ganz große Furcht der 1950er Jahre offen auf den Punkt: Nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion ist im Besitz der Atombombe. Sicherlich planen die roten Russen nur Böses, sodass die Guten – die Vereinigten Staaten – notgedrungen mitrüsten müssen.

Der gefahrenreichen Sinnlosigkeit des atomaren Wettlaufs ist sich Asimov bewusst. Er sorgt sich, aber er hat sich damit abgefunden, denn das ist der Preis, der für ein Leben in Freiheit zu zahlen ist; noch größer als die Angst vor der Bombe ist die Angst, den Sowjets ausgeliefert zu sein. Diese ‚realpolitische Schizophrenie‘ finden wir auch in den Storys von Poul Anderson (1926-2001) und Philip Kindred Dick (1928-1982).

In „Projekt Geistesblitz“ lässt Anderson Butch, den Außerirdischen, quasi in die Rolle des Fremden = Nicht-Amerikaners = Sowjets schlüpfen. Recht holprig und in der Auflösung albern legt der Autor immerhin die Mechanismen des Missverständnisses offen, das vor allem für Zwist sorgt. Als die Verständigungsproblematik gelöst ist, verschwindet die Gefahr eines (galaktischen) Krieges umgehend: Wer miteinander redet, schlägt sich nicht die Schädel ein. (Was allerdings keineswegs bedeutet, dass Butches Gastgeber bereit sind, den Besucher und sein Super-Wissen mit den ‚echten‘ Sowjets zu teilen – so weit geht die Analogie doch nicht …)

Arthur Charles Clarke (1917-2008) schildert humorvoll die Kehrseite der Medaille: Wollen sich die Menschen überhaupt retten lassen? Der Mann, an den sich die kosmischen Warner wenden, ist theoretisch in der Lage, die Botschaft zu verstehen. Leider unterschätzen die Außerirdischen das allzu Menschliche im Menschen: Besagter Mann hat Ärger im Job, leidet unter Liebeskummer und ist stockbetrunken. So profan zu begründende Kommunikationsprobleme sind unter den meist ungemein ernsthaft geschilderten „First contact“-Momenten der SF selten. Clarkes Scherz mag nicht gerade raffiniert sein, aber er funktioniert (heute) wesentlich besser als Asimovs theatralischer Frageschrei nach dem Bestandswert einer vom atomaren Schrecken befreiten Erde.

_Sehnsucht nach den Sternen_

In den 1950er Jahren begann der Mensch nachdrücklich nach den Sternen zu greifen. Als „Paradies II“ erschien, lag der eigentliche Sturm ins All zwar noch einige Jahre in der Zukunft, doch er zeichnete sich bereits ab. Selbstverständlich waren die zeitgenössischen SF-Autoren für die Erforschung des Alls, und dies mit einer Inbrunst, die heute naiv oder gar sträflich erscheint. Charles Beaumont (1929-1967) fasst das sicherlich unfreiwillig in überdeutliche Worte: Als der wissenschaftliche Nachweis für die Nutzlosigkeit der bemannten Raumfahrt erbracht ist, droht die Menschheit in eine kollektive Sinnkrise zu geraten. Beaumont spitzt den Fortschrittsbegriff auf die Weltraumforschung zu, die allein dem Geist noch frische Impulse zu geben und die geistige Degeneration zu verhindern vermag.

Robert Sheckley (1928-2005) ist dagegen Realist. Seine Raumfahrer durchstreifen das All nicht auf der Suche nach Wundern und Wissen. Sie wollen sich einen von Menschen bewohnbaren Planeten sichern und möglichst gewinnbringend ausbeuten. Sollte diese Welt bevölkert sein, ziehen es die ‚Besucher‘ durchaus in Betracht, die lästigen Konkurrenten unauffällig per Waffeneinsatz zu auszuschalten. Sheckley wäre allerdings nicht Sheckley, ließe er seine ‚Helden‘ nicht gerecht, grausam und einfallsreich büßen: Gier vernebelt den Verstand, und das rächt sich stets (wenn auch nicht immer so spektakulär wie hier).

Clark Ashton Smith (1893-1961) bildet das romantische Gegengewicht zu seinen naturwissenschaftlich geprägten Schriftstellerkollegen. Astronomie und Technik sind ihm nur Mittel zum Zweck, was sich daran erkennen lässt, dass die Qualität des von ihm eingeflochtenen „Techno-Babbels“ sogar im Laien den Drang zum heftigen Kopfschütteln entfacht: „Die Generatoren entzogen dem Kosmos negative Energie, die dazu verwendet wurde, die Schwerkraft eines Planeten oder einer Sonne aufzuheben.“ (S. 141). Von keiner Sachkenntnis beleckt ist auch das Bild einer erloschenen Sonne mit fester Aschekruste, unter der vulkanisches Feuer glost.

Aber Smith interessiert nicht der Weltraum, sondern der „inner space“ des zukünftigen Menschen. Ein junger Mann nimmt an einer gefährlichen Mission teil. Was Smith daran fesselt, ist die Liebesbeziehung dieses Mannes zu einer Frau, die zurückbleiben muss. Die daraus resultierenden Gefühle haben auch in der Hightech-Zivilisation einer fernen Zukunft Bestand.

Leider können entweder Smith oder sein deutscher Übersetzer die Balance zwischen glaubwürdiger Dramatik und Klischee nicht halten. Nur zeitweise entfaltet sich die erwünschte Wirkung. Damit steht Smith freilich in diesem Band nicht allein. Wenn überhaupt, so weicht allein Dick von der Einstrang-Erzähltechnik der anderen Texte ab. Schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zum innovativsten und radikalsten Vertreter einer ’neuen‘ SF stellt er in „Das Zeitschiff“ die Frage nach der Definition von „Realität“. Dicks Universum ist eine unsichere, nicht solide auf Naturgesetzen ruhende, sondern stets im Fluss befindliche Konstruktion. 1954 ist seine Interpretation noch tastend und unausgegoren, doch sie verleiht einer ansonsten konventionellen Zeitreise-Story einen beunruhigenden Beiklang, der den anderen hier gesammelten Geschichten abgeht.

_Anmerkung_

Wie in der ins Deutsche übersetzten Science-Fiction (aber nicht nur dort) viel zu lange üblich, wurde auch „Time to Come“ gekürzt, um diese Sammlung als „Paradies II“ auf das Norm-Maß von 144 Seiten zu bringen, für die der deutsche SF-Leser nach Verlags-Ansicht nur zu zahlen bereit war. Über solche Willkür kann man heute ausgiebig den Kopf schütteln. (Allerdings wurden auch spätere US-Ausgaben von „Time to Come“ ‚verschlankt‘.)

Der Vollständigkeit halber seien die fünf Erzählungen genannt, die unterschlagen wurden:

– Arthur Jean Cox: The Blight
– Irving Cox Jr.: Hole in the Sky
– Carl Jacobi: The White Pinnacle
– Ross Rocklynne: Winner Takes All
– Evelyn E. Smith: BAXBR/DAXBR

Selbstverständlich wurde auch das Vorwort des Herausgebers August Derleth gestrichen.

_Der Herausgeber_

August William Derleth wurde am 24. Februar 1909 in Sauk City (US-Staat Wisconsin) geboren. Schon als Schüler begann er Genre-Geschichten zu verfassen; ein erster Verkauf gelang bereits 1925. Die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine zahlten zwar schlecht, aber sie waren regelmäßige Abnehmer. 1926 nahm Derleth ein Studium der Englischen Literatur an der „University of Wisconsin“ auf. Nach dem Abschluss (1930) arbeitete in den nächsten Jahren u. a. im Schuldienst und als Lektor. 1941 wurde er Herausgeber einer Zeitung in Madison, Wisconsin. Diese Stelle hatte Derleth 19 Jahre inne, bevor er 1960 als Herausgeber ein poetisch ausgerichtetes (und wenig einträgliches) Journal übernahm.

Obwohl August Derleth ein ungemein fleißiger Autor war, basiert sein eigentlicher Nachruhm auf der Gründung von „Arkham House“ (1939), des ersten US-Verlags, der speziell phantastische Literatur in Buchform veröffentlichte. Der junge Derleth war in den 1930er Jahren ein enger Freund des Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937). Dass dieser heute als Großmeister des Genres gilt, verdankt er auch bzw. vor allem Derleth, der (zusammen mit Donald Wandrei, 1908-1987) das Werk des zu seinen Lebzeiten fast unbekannten Lovecraft sammelte und druckte.

Lovecraft hinterließ eine Reihe unvollständiger Manuskripte und Fragmente. Derleth nahm sich ihrer an, komplettierte sie in „postumer Zusammenarbeit“ und baute den „Cthulhu“-Kosmos der „alten Götter“ eigenständig aus. Die Literaturkritik steht diesem Kollaborationen heute skeptisch gegenüber. Als Autor konnte Derleth seinem Vorbild Lovecraft ohnehin nie das Wasser reichen. Er schrieb für Geld und erlegte sich ein gewaltiges Arbeitspensum auf, unter dem die Qualität zwangsläufig litt.

Solo war Derleth mit einer langen Serie mehr oder weniger geistvoller Kriminalgeschichten um den Privatdetektiv Solar Pons erfolgreich, der deutlich als Sherlock-Holmes-Parodie angelegt war. Insgesamt veröffentlichte Derleth etwa 100 Romane und Sachbücher sowie unzählige Kurzgeschichten, Essays, Kolumnen u. a. Texte; hinzu kommen über 3000 Gedichte.

Nach längerer Krankheit erlag August Derleth am 4. Juli 1971 im Alter von 62 Jahren einem Herzanfall. Zum zweiten Mal verheiratet, lebte er inzwischen wieder in Sauk City, wo er auf dem St.-Aloysius-Friedhof bestattet wurde.

Websites:

– [derleth.org]http://www.derleth.org (The August Derleth Society)
– [waldeneast.co.uk]http://www.waldeneast.co.uk/index__ad.htm (The Only Place We Live: The August Derleth Pages)
– [arkhamhouse.com/augustderleth.htm]http://www.arkhamhouse.com/augustderleth.htm

_Impressum_

Originaltitel: Time to Come (New York : Farrar, Straus & Young 1954)
Übersetzung: Wulf H. Bergner
Deutsche Erstausgabe: 1970 (Wilhelm Heyne Verlag/SF Nr. 06/3181)
144 Seiten
[keine ISBN]
http://www.heyne.de

Hambly, Barbara / Gruppe, Marc / Bosenius, Stephan – Jagd der Vampire (Gruselkabinett 32+33)

|Titania Medien| versorgt seit einigen Jahren mit schöner Regelmäßigkeit Liebhaber des gepflegten Grusels mit Hörstoff. Die solide produzierte Hörspielreihe „Gruselkabinett“ widmete sich zunächst den Klassikern des Genres, wie z. B. Stokers „Dracula“ oder Stevensons [„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349, mittlerweile werden allerdings auch jüngere Romane vertont, wie im vorliegenden Fall von Barbara Hamblys „Jagd der Vampire“, ein vampirischer Detektivrroman in klassischer Anmutung aus dem Jahr 1988, der seinerzeit den |Locus Award| für den besten Horrorroman gewann und den Hambly 1995 in „Gefährten des Todes“ fortsetzte.

Barbara Hambly lässt ihren Vampirroman zu Beginn des 20. Jahrhunderts in London spielen. Protagonist ist Professor James Asher, graumeliert und distinguiert, jedoch mit einer illustren Vergangenheit. Bevor er es sich nämlich in der Behäbigkeit des englischen Universitätstrotts gemütlich gemacht hat, war er ein erfolgreicher Spion für die englische Krone. Diese Zeiten sind zwar lange vorbei, doch soll Asher gleich zu Anfang des Hörspiels herausfinden, dass die Vergangenheit einen immer einholen wird. Als er nämlich von der Universität heimkehrt, findet er seine Frau und die Dienerschaft in einem künstlichen Schlaf vor. Dessen Urheber ist der Vampir Don Simon Ysidro, der Asher eben wegen seiner Erfahrung als Spion aufsucht.

Die Vampirgemeinschaft von London hat nämlich ein schwerwiegendes Problem: Bereits vier Vampire sind ums Leben gekommen, als tagsüber ihre Särge geöffnet wurden. Sie verbrannten oder wurden enthauptet. Da Vampire tagsüber praktisch bewusstlos und damit wehrlos sind, sieht sich Ysidro nicht in der Lage, den Mörder selbst zu finden. Und so zwingt er Asher dazu, ihm zu helfen, und droht damit, Ashers Frau Lydia zu töten, sollte dieser sich weigern.

Asher sieht also keine andere Möglichkeit, als sich auf Ysidros Angebot einzulassen. Und so bilden die beiden fortan an sehr ungleiches Paar, als sie versuchen, dem Vampirmörder auf die Spur zu kommen, während Ashers hochgebildete Frau Lydia ihre eigenen Untersuchungen anstellt, um Asher Hintergrundinformationen liefern zu können.

Hamblys „Jagd der Vampire“ ist weniger eine Vampir- als eine klassische Detektivgeschichte. Sicher, die Vampirmorde sind der Aufhänger für die detektivische Jagd und Hambly macht sich ihre eigenen, durchaus interessanten Gedanken zum Vampirmythos (so lässt sie die Pathologin Lydia eine Theorie aufstellen, nach der Vampirismus eine Krankheit, hervorgerufen von einem Virus, sein könnte), doch im Vordergrund der Geschichte stehen Asher, der Detektiv, und seine deduktive Suche nach dem Mörder der Vampire. Zwar ist dem ehemaligen Spion alles andere als wohl dabei, gerade einem Blutsauger zu helfen, doch hat er kaum eine Wahl. Und so heißt es, seine Skrupel und Zweifel zu schlucken und stattdessen kaltblütig und objektiv an das Problem heranzugehen. Darum muss Asher, ganz wie die Detektive in früheren Geschichten des Genres (also beispielsweise bei Doyle oder Poe), logisch vorgehen, Hinweise und Indizien prüfen und durch stetiges Vortasten schließlich auf die Spur des Übeltäters kommen.

Um auch die Fans des Horrorgenres zu bedienen, lässt Hambly ihre Protagonisten in den Pariser Katakomben umherwandern, schickt sie auf den stimmungsvollen Londoner Highgate-Friedhof oder lässt sie verkohlte Leichen inspizieren. Und natürlich wäre da noch Ysidro selbst zu erwähnen, der als ältester Vampir Londons eine durchaus beeindruckende und furchteinflößende Figur abgibt. Er und Asher bilden ein ungleiches Team, dessen Beziehung auf Abhängigkeit und Angst aufgebaut ist. Im Laufe der Handlung lernen beide Männer jedoch, den anderen zu schätzen und zu respektieren, auch wenn Asher nie so weit geht, dem Vampir tatsächlich zu vertrauen. Wie sich die Dynamik zwischen den beiden Charakteren verändert, ist einer der faszinierendsten Punkte der Erzählung und wird von Barbara Hambly meisterhaft vermittelt.

Wie immer hat sich |Titania Medien| für die Hörspielbearbeitung bekannte deutsche Stimmen ins Boot geholt. So wird James Asher von niemand Geringerem als Wolfgang Pampel gesprochen, der auch Harrison Ford seine Stimme leiht. Das gibt dem Hörspiel eine interessante Richtung, da es einfach unmöglich ist, Pampels Stimme zu lauschen, ohne das wettergegerbte Gesicht Indiana Jones‘ vor Augen zu haben. Ebenfalls ein Volltreffer ist Nicola Devico Mamone als Ysidro, dessen starker spanischer Akzent nicht nur nach altem Adel klingt, sondern der es auch schafft, Ysidro gefährlich und unberechenbar erscheinen zu lassen. Claudia Urbschat-Mingues als Lydia erweist sich dagegen als weniger glückliche Wahl. Die deutsche Stimme von Angelina Jolie sprüht geradezu vor Erotik, was dem kühlen Intellekt und der Kombinationsfähigkeit Lydias nicht unbedingt entgegenkommt.

Von diesem kleinen Kritikpunkt abgesehen, gibt es an „Jagd der Vampire“ absolut nichts auszusetzen. Das zwei CDs umfassende Hörspiel gibt sich viel Mühle, den Leser mit Hilfe der Geräuschkulisse an den Anfang des letzten Jahrhunderts zu versetzen, und ist damit mehr als erfolgreich. Die Straßen Londons, das nächtliche Paris, die Zugfahrten mit Ysidro – all das atmet den Geist der Jahrhundertwende, und das wird auch beim Hören mehr als deutlich.

Hamblys „Jagd der Vampire“ ist ein gefundenes Fressen sowohl für Fans von Vampirgeschichten als auch für Liebhaber von klassischer Detektivliteratur. Beides verknüpft die Autorin äußerst wirkungsvoll zu einem Roman weit jenseits der leidenden Vampire mit den traurigen Augen und stumpfen Zähne, die Anne Rice zuerst geprägt hat und die heutzutage große Teile des vampirischen Bücherregals bevölkern.

|Originaltitel: Those who hunt the Night, 1988
148 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13 der Doppel-CD-Ausgabe: 978-3785738238|

Home – Atmosphärische Hörspiele


http://www.luebbe-audio.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Die obere Koje“ 5804 (Gruselkabinett 34)
[„Das Schloss des weißen Lindwurms“ 5807 (Gruselkabinett 35)

Bernard Cornwell – Sharpes Sieg. 1803: Richard Sharpe und die Schlacht von Assaye

Vier Jahre sind vergangen, seit Richard Sharpe, seines Zeichens Sergeant der britischen Armee in Indien, in „Sharpes Feuerprobe“  Tippu, den Herrscher von Seringapatam, tötete und um dessen Juwelen erleichterte. Eigentlich führt er nun ein relativ beschauliches Soldatenleben unter dem Kommando von Major Stokes und macht sich hauptsächlich Gedanken darüber, wie er die erbeuteten Juwelen wohl am besten in seine Kleidung einnähen könnte. Doch dann führt ihn das Schicksal (oder eher Stokes‘ Befehl) nach Chasalgaon, gerade als dessen Bewohner vom Verräter Dodd hingemetzelt werden. Sharpe, als einziger Überlebender, kann nur entkommen, indem er sich tot stellt.

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Chesterton, Gilbert Keith – Pater Brown Edition 4

_Aus Pfarrer Brauns Verbrechenssammlung_

Ende 2008 hat |Maritim| die vierte CD-Box als Zusammenstellung der Einzelausgaben 13 bis 16 von Pater-Brown-Hörspielen herausgebracht. Mit „Der Geist von Gideon Wise“, „Das Verhängnis der Darnarways“, „Die seltsamen Schritte“ und „Der Fehler in der Maschine“ vereinen die Macher vier spannende Hörspiele um mysteriöse Verbrechen, welche vom kauzigen Pater Brown stets schneller aufgeklärt werden als von der Polizei. Der Detektiv versetzt sich dabei geistig an die Stelle der Verbrecher und versucht solchermaßen, das Tatmotiv und den Tathergang nachzuvollziehen.

In „Der Geist von Gideon Wise“ werden drei Millionäre in der gleichen Nacht ermordet: erstochen, erschlagen oder eine Klippe hinuntergestürzt. Der Journalist Byrne, der eigentlich zwischen den millionenschweren Fabrikinhabern und den Streikanführern in deren Fabriken zu vermitteln versucht, hängt sich an den Fall und trifft dabei auch auf Pater Brown, der auf dem Weg nach Liverpool in dieses Verbrechen hineinstolpert. Schnell zeigt sich, dass die Polizei sofort die Streikführer verdächtigt, doch Pater Brown weist immer wieder darauf hin, dass es sich bei den Vorwürfen nur um Vermutungen und Vorverurteilungen handelt. Spätestens als der Geist eines der Toten gesichtet wird, ist ihm klar, dass der Schlüssel zu den Morden an anderer Stelle gesucht werden muss, denn trotz seiner intuitiven Ermittlungsmethoden geht er immer von einer unumgänglich rationellen Erklärungen aus und führt das vermeintlich Übernatürliche auf eine ganz natürliche Ursache zurück.

In „Das Verhängnis der Darnaways“ scheint sich ein Jahrhunderte alter Fluch zu bewahrheiten, doch selbst hier findet Pater Brown in der Eifersucht eine höchst menschliche Ursache für etwas, das Mord statt Fluch genannt werden muss. Auch der Mord in „Die seltsamen Schritte“ erweist sich als von menschlichen Leidenschaften beeinflusste Straftat; noch dazu in einem absurden Milieu, einem Jahrestreffen des schrulligen „Clubs der 12 Fischer“ mit seinen merkwürdigen Regeln und Millionärsproblemen, welche durch die vom Schriftsteller Henry Fulham geschilderte Diskrepanz zwischen Arm und Reich noch aberwitziger erscheinen.

Interessant ist die kritische Beschäftigung mit dem beim ersten Erscheinen der Geschichte „Der Fehler in der Maschine“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch recht neuen Gerät – dem „Lügendetektor“. Der Autor Gilbert Keith Chesterton weist damit durch den Mund Pater Browns schon auf die wesentlichen Mängel der als unfehlbar geltenden Untersuchung mit der Maschine hin, welche bis heute Bestand haben: Fehleinschätzungen, Vorurteile und die mögliche Manipulierbarkeit der Ergebnisse. Hier zeigt sich erneut, dass Pater Brown mit seinem wachen und kritischen Verstand der Polizei immer einen oder sogar mehrere Schritte voraus ist. In dieser Geschichte tritt zudem Pater Browns einziger Freund, der ehemalige Meisterdieb Hercule Flambeau, auf, welcher bei |Maritim| eine eigene Hörspielserie hat und hier als der Zuhörer in der Rahmengeschichte funktioniert.

|Maritim| konnte für die Rolle des Pater Brown den Schauspieler und erfahrenen Synchronsprecher Volker Brandt (Michael Douglas) gewinnen, welcher der Gemeinde von Hörspielfans bereits als Inspektor Lestrade aus der |Maritim|-Hörspielserie um den großen Privatdetektiv Sherlock Holmes bekannt sein dürfte. Lebendig und überzeugend spricht er auch den verschmitzten katholischen Geistlichen mit seinem Hang zum Kriminalisieren.

Der Jazz-Gitarrist und Arrangeur Martin Böttcher, der schon die Titelmusik zu zwei Pater-Brown-Filmen mit Heinz Rühmann sowie der Fernsehserie „Pfarrer Braun“ schrieb und mit der Titelmusik zu den Winnetou-Filmen aus den 60er Jahren zu einem der erfolgreichsten deutschen Filmkomponisten wurde, zeichnet sich bei den Hörspielen verantwortlich für den jazzigen Sound der Titelmusik und Zwischenstücke.

Mit ihren fast vier Stunden Laufzeit bietet die schlicht in Schwarzweiß aufgemachte CD-Box daher ein interessantes, kurzweiliges und rundum gelungenes Hörvergnügen.

|222 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-86714-178-9|
http://www.maritim-produktionen.de

Wellington, David – letzte Vampir, Der

_Das geschieht:_

Der Krieg zwischen Mensch und Vampir schien 1983 mit dem Sieg der Lebenden über die lebendigen Toten beendet zu sein, als Special Deputy Jameson Arkeley den Schlupfwinkel des Vampirfürsten Piter Byron Lares aushob und diesen mitsamt seinen letzten Getreuen dem Feuertod überantwortete. Es ‚überlebte‘ nur die Vampirfrau Justinia Malvern, die seitdem in einer geheimen Forschungsstation gefangen gehalten wird.

Zwei Jahrzehnte später ruft man im US-Staat Pennsylvania State Trooper Laura Caxton an den Schauplatz einer spektakulären Fahrerflucht: Zurück blieb nur ein Arm, der vom Körper getrennt eindeutige Lebenszeichen zeigt. Das ruft Arkeley auf den Plan, der vampirisches Wirken erkennt und den Fall im Namen des FBI an sich zieht; Caxton ernennt er kurzerhand zu seiner Assistentin.

Offensichtlich flammt der Krieg mit den Untoten wieder auf. Es ist Malvinias Brut, die im Untergrund neue Kräfte geschöpft und sich mit Zombie-Sklaven umgeben hat. Nun sind die Vampire bereit für eine blutige Rückkehr. Arkeley haben sie dabei nie vergessen; sie fürchten, bewundern und hassen ihn nicht grundlos, denn ihr alter Feind reagiert nicht nur auf ihre Attacken, sondern trägt den Kampf unverzüglich in die Reihen der Blutsauger, um deren Aufstand möglichst im Keim zu ersticken. Dabei ist Arkeley jedes Mittel recht.

Wohl oder übel folgt ihm Caxton in immer neue Vampir-Schlupfwinkel, in denen das Grauen auf sie lauert. Gnadenlos formt Arkeley sie zu einer Kriegerin in ’seinem‘ Kampf. Schwäche und Widerspruch duldet er nicht, denn je näher Arkeley und Caxton den Vampiren kommen, desto härter schlagen diese zu, um sich endlich ihrem eigentlichen Ziel widmen zu können: Die Erde soll von ihnen beherrscht und die Menschheit als Schlachtvieh unterdrückt werden …

_Die Freiheiten des lebendigen Todes_

„Subtil“ ist zweifellos das falsche Attribut für dieses wahrlich monströse Vampir-Spektakel! Schon der (Original-)Titel gleicht einer Breitseite: 13 Kugeln fasst das Magazin der Pistole Marke Glock, die Vampirjäger Arkeley ausgiebig zückt. David Wellington scheint den Entschluss gefasst zu haben, möglichst das Gegenteil der derzeit so erfolgreichen und beliebten Schmuse-Vampir-Schmonzetten zu verfassen. Dabei schießt er zwar mehrfach über das Ziel hinaus, leistet aber insgesamt gute und gründliche Arbeit.

Vampire sind zwiespältige Gestalten. Das betrifft nicht nur ihren Status als lebende Tote bzw. Untote. In der Literatur stehen sie bereits im 19. Jahrhundert (und viele Jahre vor „Dracula“) für die Befreiung des Menschen von den Regeln und Zwängen, denen er sich im (lebendigen) Alltag ausgesetzt sieht. Der Vampir hat sich ihrer entledigt. Er muss sich nicht mehr vom Gesetz, vom schnöseligen Chef und von der Schwiegermutter gängeln lassen. Auch an Vorschriften in Liebesdingen hält er sich nicht mehr. Vampire greifen sich je nach Geschlecht Frauen und Männer, wenn es sie nach ihnen gelüstet.

Diese Freiheit geht nach dem Willen derer, die Vampir-Geschichten schreiben, mit Disziplinlosigkeit einher: Die Untoten bedienen sich ihrer besonderen Talente eigennützig. Bis zur Beanspruchung der Weltherrschaft ist es anschließend offensichtlich nur noch ein kurzer Schritt, den alle großen Vampire zu gehen pflegen; die Entwicklung eines psychotischen Cäsarenwahns scheint sogar integrales Element der Vampir-Werdung zu sein. Der Mensch ist dem Vampir nur Vieh, das ihm sein Blut bietet bzw. zu bieten hat. Dass dieses Verhältnis im Detail doch sehr viel fragiler und nuancenreicher ist, wird von zahlreichen Schriftstellern thematisiert und letztlich übertrieben: Der Vampir wird zum platonisch-skrupulösen Liebhaber zögerlicher Jung-Maiden, die ihm sogar den Blutgenuss verleiden.

_Hart aber herzlos_

Zu dieser zahnschwachen Vampir-Kategorie gehören die Blutsauger des David Wellington ganz sicher nicht. Sie verlieren mit dem Tod die Bedürfnisse und Bedenken ihrer menschlichen Erst-Existenz und verwandeln sich mit Haut und Haar in kluge, gierige, bösartige Nachtmahre. Man muss ihr Herz zerstören, um sie umzubringen; ansonsten kann man sie mit Kugeln spicken, ohne sie dadurch aufzuhalten. Silber, Kreuze, Knoblauch und andere tradierte Instrumente des Vampir-Tötens sind nutzlos, Licht schwächt die Blutsauger höchstens. Wer von ihnen getötet wird, kann von ihnen – eine Hommage an Pennsylvanias Horror-Großmeister George A. Romero? – in einen Zombie-Sklaven verwandelt werden. Der Kampf gegen diese Kreaturen wird zu einem Hauen, Stechen und Schlachten, wobei die daraus resultierenden Begleiterscheinungen vom Verfasser mit großer Liebe zum Detail beschrieben werden.

Ein solcher Gegner benötigt einen Verfolger, der sogar aus noch härterem Holz geschnitzt ist. Jameson Arkeley erfüllt diesen Anspruch. Er hat sein Leben der Jagd auf Vampire geweiht und sich darüber in einen Zeitgenossen verwandelt, der sich zumindest psychisch seinen Todfeinden stärker angenähert hat als ihm lieb sein kann oder von ihm zugegeben würde. Wie weit Arkeley auf diesem Weg bereits gegangen ist, verdeutlicht sein Umgang mit der neuen Partnerin Laura Caxton, für die das Hetzen von Vampiren Neuland bedeutet. Caxton sorgt nicht nur für das ‚menschliche‘ Element, indem sie Unsicherheit, Furcht, Verzweiflung und ähnliche Gefühle signalisiert. Sie repräsentiert außerdem den Leser, der sich Fragen zum Geschehen stellt, die Caxton an Arkeley weiterleitet.

_Ein Krieg im Zeitraffer-Tempo_

Der Kampf gegen die Blutsauger findet offensichtlich unter Zeitdruck statt. Wellington baut dies geschickt ein: Vampire gilt es rasch zu erwischen, bevor sie sich allzu stark vermehren. Tempo wird außerdem vorgelegt, weil sich die Vampire und ihre Verbündeten sehr nachdrücklich PS-starker Automobile und Motorräder bedienen. Zudem steht Arkeley auf dem Standpunkt, dass man sich in eine offensichtliche Falle stürzen muss, bevor diese sich planmäßig schließt. Diese aggressive Taktik ist erwartungsgemäß unsicher, was für neuerliche Stakkato-Gefechte und ein weiteres Emporschnellen des ohnehin eindrucksvollen Bodycount-Quotienten sorgt.

„Der letzte Vampir“ ist kein raffiniert gestricktes Garn. Stilistisch bleibt der Verfasser denkbar schnörkellos, wobei dies ein freundliches Urteil ist. Voran, voran, so lautet die Devise Wellingtons, der auf diese Weise den Ursprung seiner in Fortsetzungen entstandenen Romane als „serials“ enthüllt. Die dünne Charakterisierung erinnert an die „Underworld“-Filme, in denen ebenfalls der mit Action-Episoden gespickte Weg das Ziel ist. Trivial bis trashig setzt Wellington seine Mär in Szene. Auch deshalb ist „Der letzte Vampir“ ein Antipode zum aktuellen Romantik-Vampir, wie ihn u. a. Stephanie Meyer kreierte.

Während dieser vor allem als sexfreie Projektions-Figur über eine Schar pubertierender Jungmädchen kommt, liefert Wellington Alternativ-Stoff für die harten Jungs. Der Schrecken, der blutig wirkt, aber nicht ist, bleibt stets oberflächlich. Wellingtons Vampire weisen keine besondere Intelligenz auf, die allein sie wirklich einschüchternd machen könnte. Exakte Vorstellungen über eine untote Weltherrschaft scheinen sie nicht zu haben. Ihre Bösartigkeit ist vordergründig, ihre düsteren Drohungen wirken eher komisch, und ihre Zombie-Knechte sind es mit Sicherheit.

„Der letzte Vampir“ ist eine jederzeit leichte Lektüre. Autor Wellington hat sie so konzipiert und umgesetzt. Das wird durch die Geschwindigkeit bestätigt, mit der diesem ersten Roman zwei Anschlussbände folgen konnten, die das Konzept des Radau- und Action-Horrors aufnahmen, ohne ihm Anregungen geben zu können oder zu wollen. Wie Meyer & Co. findet Wellington ein bzw. ’sein‘ Publikum, das genau solche anspruchsarmen, aber unterhaltsamen Spektakel goutiert.

_Der Autor_

David Wellington wurde 1971 in Pittsburgh (US-Staat Pennsylvania) geboren. Er studierte an der Syracuse University (US-Staat New York) und an der Pennsylvania State University und arbeitete als Archivar in der Bibliothek der Vereinten Nationen.

Seine Schriftsteller-Karriere startete Wellington abseits der üblichen Verlagsschiene. Er postete erste Romane im Rahmen seines Blogs, setzte sie auf diese Weise dem Urteil seiner Leser aus und berücksichtigte Kritik für die letztlich erfolgende Drucklegung seiner Werke, die aufgrund des enormen Publikumsechos nicht lange auf sich warten ließ. Dieses Prozedere garantierte ihm den gewünschten Zugriff auf seine Stoffe, die ungleich rabiater und kompromissloser daherkommen als das Gros des modernen Mainstream-Horrors. Dabei sind Wellingtons Protagonisten eigentlich klassisch: Er schreibt über Vampire, Zombies und Werwölfe, die er indes einer radikalen Neugestaltung unterzieht und jeglicher Romantisierung entkleidet.

Wellington hat die Online-Veröffentlichung als Lockmittel und Testversion beibehalten. Auch „Thirteen Bullets“ lässt sich gratis lesen. Solche Großzügigkeit kann sich der Verfasser inzwischen leisten, da seine Romane im Buch nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt veröffentlicht werden.

Websites:

– http://www.brokentype.com/davidwellington
– http://www.thirteenbullets.com

Die „Vampir“-Trilogie von David Wellington erscheint im |Piper|-Verlag:

(2007) Der letzte Vampir („Thirteen Bullets) – TB Nr. 6643
(2007) Krieg der Vampire („99 Coffins“) – TB Nr. 6645
(2008) Vampirfeuer („Vampire Zero“) – TB Nr. 6721

_Impressum_

Originaltitel: Thirteen Bullets (New York : Three Rivers Press/Random House 2007)
Übersetzung: Andreas Decker
Deutsche Erstausgabe: November 2007 (Piper Verlag/Piper Fantasy 6643)
381 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-492-26643-7
http://www.piper-verlag.de

Stalner, Eric – Legende von Malemort, Die – Band 2: Das Tor des Vergessens

Band 1: [„Unter dem Mondlicht“ 5823

_Inhalt_

Die Inquisition nimmt für Anthea und ihren neuen Gefährten immer groteskere Züge an. Der fanatische Prediger Aymon de Montgarac schwört das Volk auf seine Lehren ein und lässt im Hinblick auf Ketzerei und Unfolgsamkeit brutale Taten sprechen. Doch Aymon und sein führender Scherge Galart werden aus ihren herrschaftlichen Träumen grob herausgerissen, als Graf Colbus de Malemort sich wieder zeigt, jener Untote, der sich seinerzeit mit Arnulf und Malperthuis gegen die Inquisition auflehnte und auf dem Scheiterhaufen landete.

Colbus‘ Rückkehr hat für seine Verfechter jedoch schwere Folgen: Arnulf und Anthea folgen Frau Agnes und Malperthuis in die Gefangenschaft, wo ihnen ein grausamer Tod in den unterirdischen Verliesen des Inquisitors widerfahren soll. Und tatsächlich ergibt sich in den unbelebten, höllischen Kerkern ein Bild des Schreckens. Ausgezehrte Gestalten und die fehlende Hoffnung auf einen Ausweg treiben Anthea schließlich in den Wahnsinn. Doch während sich die schöne Kämpfernatur schon geschlagen gibt, zieht Colbus bereits im Hintergrund die Fäden, um seine alten Gefährten und deren neue Verbündete zu befreien …

_Persönlicher Eindruck_

Es geht voran, erfreulicherweise und zudem mit einer ordentlichen Tempoforcierung. Nachdem der erste Band von Stalners neuer Comic-Reihe „Die Legende von Malemort“ noch einen relativ verhaltenen Einstieg lieferte, werden die vielen kleinen Tücken der Handlung in „Das Tor des Vergessens“ nun schon ein ganzes Stück transparenter dargestellt, so dass die anfänglichen Verwirrungen hier bereits peu à peu aufgehoben werden. Außerdem werden die Verhältnisse unter den einzelnen Protagonisten nun deutlicher; einmal, weil Colbus als Hauptakteur entschiedener in den Plot einschreitet, andererseits aber auch wegen der weitaus durchschaubareren Darstellung der inquisitorischen Gegenseite. Mit Aymon de Montgarac hat Stalner einen klassischen Bösewicht entworfen, ihm mit Galart einen waschechten Fiesling zur Seite gestellt und somit das Gegengewicht zur betont kämpferischen Fraktion der Inquisitionsgegner sehr schön in die Story eingegliedert.

Letztere entwickelt sich derweil immer mehr zur Abenteuergeschichte, die im zweiten Band entschieden mehr Tiefgang aufbaut, im gleichen Maße aber auch im Action-Bereich zulegt. Statt sich auf die philosophische Seite der Kreuzzug-Ableger zu beziehen, lässt der Autor lieber Handgemachtes sprechen. „Das Tor des Vergessens“ zahlt es mit einer angenehmen Lebendigkeit, vielen raschen Wendungen, erstaunlicherweise aber auch mit einer Reduzierung der zuletzt noch von mir angeprangerten Hektik zurück. Die zweite Episode wirkt gefestigter, insgesamt auch souveräner als das leidlich durchwachsene Debüt, was schließlich auch in einer viel homogeneren Einheit von (diesmal nicht mehr ganz so beklemmender) Atmosphäre und Inhalt resultiert. Und dabei ist gerade bei den Stimmungen und Emotionen in „Das Tor des Vergessene“ eine ganze Menge geboten.

Zu guter Letzt hat sich Stalner auch bei den Zeichnungen noch einmal steigern können. Dies hat sicher damit zu tun, dass die Action-Sequenzen schlichtweg mehr Details erfordern, ist aber auch generell darauf zurückzuführen, dass die Gesamtdarstellung einfach stimmiger ist. Damit hat der Autor und Zeichner schließlich die Erwartungen erfüllt und die ersten Befürchtungen größtenteils in den Wind geschossen. Zwar ist „Die Legende von Malemort“ in vielerlei Hinsicht immer noch ausbaufähig – manches Geheimnis wird im zweiten Teil beispielsweise etwas zu schnell aufgelöst -, aber im Hinblick auf den Unterschied, der sich im direkten Vergleich mit dem Vorgängerband ausmachen lässt, bedarf es hier keiner verschärften Kritik mehr. Und das darf man sicher nicht als selbstverständlich empfinden!

Zum Schluss noch eine erfreuliche Info: Der |Splitter|-Verlag hat sich bei diesem Zyklus für eine monatliche Veröffentlichung entschieden. Das bedeutet, dass dank der verkürzten Wartezeiten „Die Legende von Malemort“ bereits im Dezember komplett erhältlich sein wird.

|Originaltitel: Le Roman de Malemort – La port de l’oubli
48 Farbseiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-86869-022-4|
http://www.splitter-verlag.de

Patterson, James – 7 Sünden, Die

Der Alptraum der Eltern ist das spurlose Verschwinden des eigenen Kindes. Das Warten, Hoffen und Bangen, die auszustehenden Ängste sind nicht in Worte zu fassen, und viele warten tage- oder wochenlang, manchmal gar Jahre auf ein Lebenszeichen oder die Gewissheit, dass das Kind inzwischen den Tod gefunden hat. Das Leben danach oder mit diesem Zustand der Schwebe wird niemals wieder wie zuvor sein.

Vielleicht konnte man sich nicht verabschieden, vielleicht endeten die letzten Worte, die man gewechselt hatte, in einem Streit? Wie vielen anonyme Hinweisen, Spuren und Vermutungen kann man noch nachgehen und wann stellt sich die Ernüchterung ein? Mit welcher Energie ermitteln dabei die polizeilichen Behörden? Denn nicht selten sind es eher die Eltern, die sich hartnäckiger und ausdauernder auf die Suche nach einer (Er)Lösung begeben.

James Patterson und sein „Women’s Murder Club“ um die Ermittlerin Lindsay Boxer betreten wieder einmal die kriminalistische Bühne und sehen sich der Herausforderung gestellt, gleich zwei Fälle zu lösen.

_Inhalt_

Es ist drei Monate her, dass der herzkranke Sohn des kalifornischen Gouverneurs verschwunden ist. Michael Campion, ein hochintelligenter, aber dem Tode geweihter junger Mann, ist unauffindbar. Es gab keine Lösegeldforderung, genauso wenig wie einen Abschiedsbriefoder oder ein anschließendes Lebenszeichen.

Die Akte ist noch nicht geschlossen worden, aber alle gehen vom Schlimmsten aus. Wurde Michael entführt und ist in seiner Geiselhaft verstorben, wurde die Leiche beseitigt und haben die oder der Täter dem sonnigen Bundesstaat den Rücken gekehrt? Die Menschen in San Francisco trauerten um den Sohn der beliebten und berühmten Familie, doch nun, nach drei Monaten, geht das Leben weiter.

Bis zu dem Tag, an dem ein anonymer Anruf eingeht, der zwar nicht zurückverfolgbar, aber die erste wirklich heiße Spur ist. Michael soll an dem Tag seines Verschwindens die junge Prostituierte Junie Moon aufgesucht haben, und zwar direkt bei ihr zu Hause.

Detective Lindsay Boxer und ihr Partner Richard Cronklin suchen die junge Frau auf, und nach einem kurzen Gespräch wird dem Duo klar, dass Junie etwas weiß. Beim anschließenden Verhör auf dem Präsidium bricht die junge Frau zusammen und gesteht zwar, Michael nicht vorsätzlich getötet, aber die Leiche zusammen mit einem Freund entsorgt zu haben.

Die Spurensicherung findet in dem Haus, in dem Michael gestorben sein soll, keine Hinweise auf ein Verbrechen, keine Spuren weisen darauf hin, dass Michael in kleine Stücke gehackt und in Mülltüten weggeschafft wurde. Aufgrund ihres eindeutigen Geständnisses wird Junie trotzdem des Mordes angeklagt, und sie wird sich dem Gericht und der Jury stellen müssen.

Lindsays Freundin Yuki Castellano übernimmt als Bezirksstaatsanwältin die Rolle des Anklägers, als Junie ihr Geständnis widerruft. So hat sich das die junge Staatsanwältin nicht vorgestellt: dass der so eindeutige Fall zu einem Indizienprozess mutiert. Aufgrund des prominenten Opfers wird der Prozess zu einem Medienereignis und vielleicht zum größten Fehler ihrer Karriere. Und er wird sie in tödliche Gefahr bringen …

Zeitgleich geschieht in San Francisco eine Reihe von brutalen Serienmorden. Einfamilienhäuser brennen lichterloh und ihre wohlhabenden Besitzer sterben qualvoll in den lodernden Flammen. Die Täter gehen äußerst brutal und rücksichtslos vor; und schlimmer noch, sie hinterlassen nur Spuren, die auch gefunden werden sollen. Als Lindsay nur durch Zufall einem Anschlag entgeht und ihre Wohnung abbrennt, nimmt die Gefahr für sie sehr persönliche Ausmaße an …

_Kritik_

„Die 7 Sünden“ von James Patterson ist der siebte Fall für Lindsay Boxer und den „Women’s Murder Club“. Dieser Thriller ist rasant, brutal und voll feuriger Hochspannung im doppelten Sinne. Der Autor erzählt seine Geschichte aus der Perspektive seiner Protagonistin Lindsay Boxer und parallel aus jener der Feuerteufel. Beide Erzählstränge laufen bis zum Ende unabhängig von einander und greifen nicht unmittelbar ineinander.

Die Kapitel sind sehr kurz gehalten, was Abwechslung verspricht und sich aufs Wesentliche konzentriert. James Pattersons Stil ist fast schneller als seine Handlung und dem Leser wird nicht viel Zeit zum Luftholen gelassen.

Für Überraschungen und Wendungen ist gesorgt, nicht nur zum Ende hin, sondern gerade das Verschwinden von Michael Campion und der sich anschließende Indizienprozess sind fulminant erzählt und gespickt mit zahlreichen Aha-Effekten. Dieser Part gehört aber hauptsächlich nicht zu Lindsay Boxer, sondern hier gehört die Bühne ihrer Freundin, der Staatsanwältin Yuki Castellano, die zwischen die Mühlsteine von Beruf und Privatleben gerät – und die mahlen bekanntlich sehr gründlich.

Jede einzelne Situation des Romans ist spannend geschildert. Viel Platz für Nebenhandlungen gibt es nicht: Rädchen greift in Rädchen und ergibt so ein sehr komplexes Ergebnis, das in sich logisch und nicht verworren aufgebaut ist. Der Leser verfolgt in kurzen Leseabschnitten jeweils die Ermittlungen von Boxer und Cronklin oder die Verbrechen der Raubmörder und Feuerteufel.

James Patterson lässt seine Protagonisten nicht viel von sich selbst erzählen, nur bruchstückhaft tritt Vergangenes zutage, das vielleicht für die zentrale Handlung nicht weiter von Interesse ist, für Leser, die andere Bücher um den „Women’s Murder Club“ noch nicht kennen, jedoch um so mehr. Lindsay Boxer zum Beispiel, die selbstbewusste Ermittlerin, steht zwischen zwei Männern, die sie verehren, und auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen möchte: Da geht noch was, fragt sich nur, in welche Richtung.

Das Quartett des „Women’s Murder Club“, wie sich die Damen selbst bezeichnen, besteht aus Lindsay Boxer, der Staatsanwältin Yuki Castellano, der inzwischen hochschwangeren Pathologin Claire Washburn und der Reporterin Cindy Thomas. Letztere spielt nur eine kleine Nebenrolle, und auch Claires Rolle ist knapp gehalten, aber als Pathologin gibt sie doch den einen oder anderen Hinweis, der wichtig sein könnte.

_Fazit_

„Die 7 Sünden“ ist ein hochspannender Pageturner, der keine erzählerischen Längen aufweist. Das feurige Tempo und die beständigen Überraschungen wecken das Interesse des Lesers, mehr vom „Mordsklub der Frauen“ zu erfahren.

Dies ist einer der besten und schnellsten Thriller, die ich bisher gelesen habe. Allerbeste Unterhaltung wird geboten, kurz und knapp auf das Wesentliche konzentriert: interessante Charaktere, Mörder, die teuflisch schlau agieren, und eine unschuldig schuldige Prostituiere mit mehr Schein als Sein in ihrer Wesensart.

„Die 7 Sünden“ kann man unabhängig von den anderen Romanen dieser Reihe lesen, doch eine Warnung als Randnotiz – dieses Buch macht süchtig nach mehr. Ein Thriller, den man gelesen haben muss.

_Der Autor_

James Patterson, geboren 1949, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Inzwischen feiert er auch mit seiner neuen packenden Thrillerserie um Inspector Lindsay Boxer und den „Women’s Murder Club“ internationale Bestsellererfolge. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester, N.Y.

Weitere Informationen finden auf http://www.jamespatterson.com.

|Originaltitel: 7th Heaven
Originalverlag: Little, Brown and Co., New York 2008
Aus dem Amerikanischen von Leo Strohm
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 384 Seiten
ISBN-13: 978-3-8090-2550-4|
http://www.limes-verlag.de

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Dead“ 5703
[„Blood“ 4835
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Der 1. Mord“ 5247
[„Die 5. Plage“ 5376
[„Die 6. Geisel“ 5412
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47

Clifton Adams – Tanz im Hexenkessel

Vier blindwütige Geschwister tragen ihre Blutfehde in eine kleine Westernstadt. Weitgehend auf sich selbst gestellt, muss der Marshal sich ihrer erwehren … – Vor der Kulisse einer selbstvergessen feiernden Stadt spielt sich die bekannte aber interessant variierte Geschichte vom einsamen Gesetzeshüter im Kampf gegen eine Übermacht von Gegnern ab, die hier von krankhaftem Hass getrieben werden. Clifton Adams – Tanz im Hexenkessel weiterlesen

Melneczuk, Stefan – Geisterstunden vor Halloween

Nach dem Achtungserfolg seines Romans [„Marterpfahl“, 4719 der vor zwei Jahren im rührigen |VirPriV|-Verlag erschien, präsentiert Stefan Melneczuk nunmehr 31 düstere „Oktobergeschichten“ in einer auch äußerlich sehr ansehnlichen limitierten Hardcoverausgabe (Cover: Mark Freier) des |BLITZ|-Verlages.

Ich gebe zu, dass ich nicht nur positive Erfahrungen mit deutschsprachigen Horrorgeschichten gemacht habe. Der Markt – sofern man überhaupt von einem Markt im wirtschaftlichen Sinne sprechen kann – wird hierzulande nach wie vor von Heftromanen dominiert, und die wenigen ambitionierten Anthologien und Sammlungen, die in Kleinverlagen erscheinen, erreichen oft nur wenige Leser. Dazu kommt die fatale Neigung einiger Autoren, Horror mit Splatter gleichzusetzen, was den Lesegenuss nicht selten arg beeinträchtigt.

Erfreulicherweise sind die Geschichten in der vorliegenden Sammlung aus völlig anderem Holz. Es beginnt verhalten mit einer kurzen Episode über eine Hungersnot im Irland des 19. Jahrhunderts, während derer der so genannte „Hungry Hill“ traurige Berühmtheit erlangt. Ohne vordergründige Schockeffekte kommt auch der „Schacht der Toten“ aus, der einem Rettungstrupp aus Freiwilligen zum Verhängnis wird. Wie in den klassischen englischen Gruselgeschichten z. B. eines Algernon Blackwood wird der in der Dunkelheit lauernde Schrecken nur angedeutet oder anhand seiner Wirkung auf die Protagonisten beschrieben. So erfährt der Leser mehr über die Ängste und Vorstellungen der handelnden Personen als über die Schreckgestalten und Geister, die gerade durch ihre Unfassbarkeit nachhaltig im Gedächtnis bleiben. So bleibt auch das Schicksal des kleinen Frederic buchstäblich im Dunkeln, nachdem in der „Geisternacht“ das Licht im Halloween-Kürbis erloschen ist, und die beiden Taucher, die im sagenumwobenen „Loch Ness“ ihrem Schicksal begegnen, schweigen danach ebenfalls für immer. Der Leser trifft auf verlassene Städte, die |so| verlassen nicht sind, auf Pferdefuhrwerke mit gespenstischer Fracht und auf Webseiten, deren Betrachtung den Tod bringt. Neben vertrauten Szenarien insbesondere der klassischen, stets ein wenig spleenig anmutenden englischen Grusel- und Kriminal-Literatur finden sich jedoch auch zahlreiche innovative Geschichten wie „Der Kongress“, in denen sich Erscheinungen der Moderne (hier eine Flugzeugentführung durch Terroristen) mit dem Unheimlichen konfrontiert sehen, was zu überraschenden Wendungen führt. Häufig bindet der Autor auch geschichtliche Ereignisse in die Handlung ein, zum Beispiel in „Langemark“, einer eindrucksvollen Anti-Kriegsgeschichte in der Tradition Remarques und Arnold Zweigs.

Dreißig Geschichten, so düster und unvorhersehbar wie das Wetter im Oktober, erwarten den geneigten Leser in diesem wirklich lesenswerten Band und als Zugabe mit „Elaine“ noch eine Novelle und Hommage an den Altmeister Edgar Allan Poe, in der ein unveröffentlichtes Manuskript des Meisters nicht nur die Sammlerleidenschaft entflammt.

Fazit: Uneingeschränkte Leseempfehlung und Respekt vor der Beharrlichkeit des Autors, der sich auch durch die im heutigen Literaturbetrieb im Grunde zwangsläufigen Enttäuschungen nicht von seinem Weg abbringen lässt.

|350 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13: 978-3-89840-284-2|
http://www.BLITZ-Verlag.de

_[Frank W. Haubold]http://www.frank-haubold.de/ _

Montgomery, L. M. / Gruppe, Marc / Bosenius, Stephan – Anne in Avonlea. Folge 7: Eine weitere verwandte Seele

_Turbulent: Scharlachnasen und Lavendeldamen_

Kanada Ende des 19. Jahrhunderts. (Fortsetzung von „Anne auf Green Gables“.) Anne genießt ihre letzten Ferientage auf Green Gables. Mit Beginn des neuen Schuljahres wird sie die Lehrerstelle an der Dorfschule von Avonlea übernehmen. Für den kleinen Ort haben Anne und ihre Freunde ehrgeizige Pläne. Flugs wird ein Dorf-Verschönerungs-Verein gegründet. Überschattet werden die Spendensammel-Aktionen durch Probleme mit der Kuh Dolly und einem sehr wütenden neuen Nachbarn …

Folge 6: Anne Shirley wird von den meisten Schülern an der Dorfschule angehimmelt. Aber keineswegs alle mögen die neue junge Lehrerin. Der flegelhafte Anthony Pye hat es regelrecht auf Anne abgesehen. An einem kalten Wintermorgen kommt es zu einer sehr hässlichen Szene in der Schule, die keines der Schulkinder von Avonlea je vergessen wird …

Folge 7: Anne und ihre Busenfreundin Diana Barry verirren sich auf dem Weg zu einer Teegesellschaft. Plötzlich stehen sie vor dem kleinen idyllischen Steinhaus von Miss Lavendar Lewis mitten im Wald. Manches haben die Mädchen über diese scheue Einsiedlerin bereits gehört, was insbesondere Anne neugierig macht, der Dame einen Besuch abzustatten…

Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum gibt es die Abenteuer des sympathischen Waisenmädchens Anne Shirley als Hörspiel-Serie, geeignet für die ganze Familie, gesprochen von den deutschen Stimmen vieler Hollywood-Stars.

_Die Autorin_

Lucy Maud Montgomery (1874-1942) war eine kanadische Schriftstellerin, die besonders durch ihre Jugendbücher um Anne Shirley bekannt wurde: „Anne of Green Gables“ und sechs Fortsetzungen.

Das Manuskript wurde zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt, bevor es Montgomery gelang, es zu platzieren. 1908 war sie bereits 34 Jahre alt. Das Buch wurde zu einem Theaterstück verarbeitet, mehrmals verfilmt und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.

Die erste Staffel: Anne auf Green Gables

Folge 1: [Die Ankunft 4827
Folge 2: [Verwandte Seelen 4852
Folge 3: [Jede Menge Missgeschicke 4911
Folge 4: Ein Abschied und ein Anfang

Die zweite Staffel: Anne auf Avonlea

Folge 5: [Die neue Lehrerin 5783
Folge 6: [Ein rabenschwarzer Tag und seine Folgen 5806
Folge 7: Eine weitere verwandte Seele
Folge 8: Das letzte Jahr als Dorfschullehrerin

Die dritte Staffel: Anne in Kingsport

Folge 9: Auf dem Redmond College
Folge 10: Erste Erfolge als Schriftstellerin
Folge 11: Die jungen Damen aus Pattys Haus
Folge 12: Viele glückliche Paare

_Die Inszenierung:_

|Die Rollen und ihre Sprecher:|

Erzähler: Lutz Mackensy (Rowan Atkinson, Christopher Lloyd, Al Pacino)
Anne Shirley: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Marilla Cuthbert: Dagmar von Kurmin (Bühnenschauspielerin, Hörspiel-Regisseurin für |Europa|, Stammsprecherin für |Titania Medien|)
Rachel Lynde: Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg, Kathy Bates, Diane Keaton)
Diana Barry: Uschi Hugo (Neve Campbell)
Gilbert Blythe: Simon Jäger (Josh Hartnett)
Jane Andrews: Cathlen Gawlich (Jaime King, Amy ‚Fred‘ Acker)
James A. Harrison: Heinz Ostermann (Kammerschauspieler)
Priscilla Grant: Tanja Geke (Judy Greer, Tara Wilson)
Lavender Lewis: Monica Bielenstein (Emma Thompson)
Charlotta die Vierte: Charlotte Mertens
Und viele weitere.

Regie führten Stephan Bosenius und Marc Gruppe, der auch das „Drehbuch“ schrieb. Die Aufnahme leiteten Martin Wittstock und |Kazuya|. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

_Handlung_

Endlich sind wieder Sommerferien, und weitere Aufregungen warten auf Anne Shirley und ihre Lieben. Sie freut sich auf den Besuch der bewunderten Romanschriftstellerin Charlotte Morgan, der Tante von Priscilla Grant, auf Green Gables. Doch als alles bereit ist und auf den hohen Besuch warten, trifft dieser nicht ein. Dafür macht sich der Tunichtgut Davy Keith negativ bemerkbar. Erst zerstört er aus Versehen die Törtchen, die in der Küche bereitgestellt waren, dann, wieder aus Versehen, die kostbare Servierplatte, die Anne von Mrs Barry ausgeliehen hatte. Dringend muss Ersatz her. Zum Glück wurde eine passende Servierplatte bei den Schwestern Copp gesichtet.

|Malheur im Entenstall|

Als Anne mit ihrer Busenfreundin Diana Barry dorthin fährt, ist jedoch niemand daheim. Doch wo sie schon mal da sind, können sie ja wenigstens prüfen, ob es die Servierplatte tatsächlich gibt. Gesagt, getan. Anne klettert mit einer Leiter auf das Dach des Entenstalls und von dort späht sie in das Fenster des Dachbodens. Die Platte existiert wirklich, welch eine Erleichterung. Die gefährliche Kletterei war also nicht umsonst. Doch auf dem Rückweg brechen die morschen Dachbalken des Stalls, und auf einmal steckt Anne fest. Just in diesem Moment fängt es an zu regnen. Der Sonnenschirm hält zwar einiges Wasser ab, aber die missliche Lage, in der Anne steckt, bis die Copp-Schwestern zurückkehren, wird Anne noch lange in Erinnerung bleiben. Natürlich bekommt sie die Servierplatte.

|Scharlachrot|

Die letzte Woche der Sommerferien ist angebrochen, und bald wird der Unterricht wieder losgehen. Davor wird Anne noch einmal ihren Haushalt auf Vordermann bringen, während Marilla mit den Zwillingen einkaufen geht. Sie zieht ein altes Kleid an und bindet sich das rote Haar hoch, dann streicht sie Tinktur auf ihre Nase, damit die Sommersprossen verschwinden. Sie ist fast fertig mit dem Umfüllen von Daunenfedern in ihrem Bettzeug, als es an der Tür klopft.

Vor Schreck kippt sie fast aus den Pantinen. Es ist die berühmte Schriftstellerin Charlotte Morgan mit ihrer Nichte Priscilla Grant. Unangemeldet! Beide starren Anne an, die noch diverse Federn im Haar hat. Was soll sie nur servieren?! Anne gerät völlig aus dem Häuschen und überhört gewisse dezente Hinweise auf ihr Aussehen. Sie eilt zu Diana Barry, um was zu essen zu holen, doch Diana darf es sich erlauben, Anne auf ihre Nase hinzuweisen: Sie sei scharlachrot! Au weia, Anne muss die Fläschchen verwechselt haben. Statt Antisommersprossentinktur hat sie Haarfärbemittel erwischt. Wenigstens geht das Zeug leicht ab, und so wird es noch ein schöner Nachmittag mit der Autorin, die Anne vergöttert.

|Das Geheimnis im Wald|

Um einen Weg abzukürzen, gehen Anne und Diana durch den Wald, doch sie nehmen die falsche Abzweigung und verirren sich. Dabei stoßen sie auf ein einsam gelegenes Häuschen, in dem eine ältere Dame und ein junges Mädchen leben. Anne gefällt dieser „verwunschene“ Ort sofort und sie hat keine Angst vor der Dame, die sich als Lavender Lewis vorstellt. Das Mädchen sei ihr Hausmädchen, Charlotta die Vierte.

Anne fällt sofort die Geschichte ein, die sie von Paul und Gilbert über die zwei Verlobten gehört hat, die sich vor rund 25 Jahren im Streit trennten. Was für ein Jammer, denkt sie, aber Lavender mag zwar weiße Haare haben, verhält sie allerdings, als wäre sie immer noch siebzehn – genauso alt wie Anne. Die beiden werden sofort Freunde, und wieder entdeckt Anne eine „verwandte Seele“. Sie fragt, ob sie wohl Paul Irving mitbringen darf, und Lavender sagt ja. Etwas Gutes könnte jetzt beginnen, hofft Anne.

_Mein Eindruck_

Dies ist eine der wichtigsten Folgen der gesamten zweiten Staffel. Nach einem recht komischen Auftakt um die Zerstörung und Wiederbeschaffung einer Servierplatte – teure und daher seltene Keramik in der damaligen Zeit – und um die Beweihräucherung einer bewunderten Schriftstellerin lernt Anne in Lavender Lewis eine weitere „verwandte Seele“ kennen. Sofort tritt ihr Rettungsprogramm in Kraft. Ihre romantischen christlichen Prinzipien sind bereits durch das traurige Schicksal Heather Grays strapaziert worden, nun muss sie einen Ausgleich schaffen, um dem Guten (und somit Gottes Geboten) wieder zum Sieg zu verhelfen.

Aber will Lavender Lewis überhaupt gerettet werden? Sie scheint rundum zufrieden zu sein, obwohl sie zusammen mit ihrem Hausmädchen Charlotta alleine im Wald lebt. Sie hat eine tolle Aussicht, ein tolles Echo und sieht außerdem toll aus – als würde sie in einer Zeitkapsel leben. Wie könnte es Anne da wagen, von Not zu sprechen? Sie hat zunächst Zweifel, ob Rettung angebracht ist, und erzählt erst einmal ganz dezent Paul und dadurch seinem Vater, was mit Stephen Irvings Exverlobter los ist. Das Rettungsprogramm kann schon mal im Hintergrund anlaufen.

Außerdem hat Anne selbst einen Erkenntnisprozess zu durchlaufen. Im Herbst geht sie wieder mal mit Diana, Fred und Gilbert in den Wald, um eine kleine Grillparty zu veranstalten. Dabei rückt ihr Diana den Kopf und Blick zurecht: Gilbert sei gar kein Junge mehr, wie Anne glaube, sondern ein junger Mann. Und Diana verlobt sich demnächst mit Fred, selbst schon eine junge Lady, wie alt muss dann erst Anne sein! Gilbert tituliert Anne dennoch zunächst als eine Dryade, eine Baumnymphe aus der Antike – ein Bildungstrümmerstück zum Renommieren.

Doch schon bald werden die beiden ernster. Sie bittet ihn, ihr seine Freundschaft nicht zu entziehen. Natürlich verspricht er es ihr, denn er insgeheim liebt er sie schon seit Schultagen. Sie muss sich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass Liebe auch ganz einfach wachsen könne und nicht wie ein Donnerschlag auf einen Blick über die Menschen hereinbreche – so beschreiben es nämlich die romantischen Schmonzetten, die sie ständig liest. Wer weiß, was Anne in ihrem Kämmerlein für Geschichten schreibt.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher:|

Die Hauptrolle der Anne Shirley wird von Marie Bierstedt, der deutschen Stimme von Kirsten Dunst und vielen anderen jungen Schauspielerinnen, mit Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen gesprochen. Obwohl Bierstedt wesentlich älter ist als die siebzehnjährige Heldin, klingt ihre Stimme doch ziemlich jugendlich. Manchmal darf sie aber auch ein wenig langsamer und überlegter sprechen, besonders mit „verwandten Seelen“.

Sehr gut gefiel mir auch Heinz Ostermann, der Sprecher des Mr. Hamilton. Er legt ihm ein ganzes Spektrum von Grantigkeit, Freundlichkeit und schließlich sogar Zärtlichkeit in den Mund, dass man fast einen gerundeten Charakter vor sich hat.

Unter den weiteren weiblichen Sprecherinnen ragen die der Marilla Cuthbert (Dagmar von Kurmin) und der Rachel Lynde (Regina Lemnitz) heraus. Dagmar von Kurmin muss wie Heinz Ostermann sowohl Strenge als auch Freundlichkeit verkörpern. Regina Lemnitz ist die Inkarnation der Plaudertasche und der wandelnden Gerüchteküche. Außerdem scheint ihre Rachel Lynde Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins zu sein und hat entsprechend viele Sorgen um die Ohren. Und sie ist natürlich die beste Freundin von Marilla Cuthbert, die die Witwe in Folge acht in ihr Haus aufnimmt.

Lavender Lewis, gesprochen von Monica Bielenstein, der deutschen Stimme Emma Thompsons, klingt teils romantisch-verträumt, teils ein wenig traurig, aber stets freundlich und zuvorkommend. Man merkt, dass sie zwar glaubt, mit ihrem Leben zufieden sein zu können, dass ihr aber doch etwas Entscheidendes fehlt. Was könnte es nur sein?

|Geräusche|

Die Geräusche im Hintergrund sorgen für die Illusion einer zeitgenössischen Kulisse für das Jahr 1879, doch sind sie so sparsam und gezielt eingesetzt, dass sie einerseits den Dialog nicht beeinträchtigen, andererseits den Hörer nicht durch ein Übermaß verwirren. Deshalb erklingen Geräusche in der Regel stets nacheinander.

Auffällig häufig ist jedoch die Kombination aus Brandung und Vogelgezwitscher zu hören. Das ist eine Besonderheit der meerumtosten Inselumgebung. Selbstredend erklingen zahlreiche Vogelstimmen, wenn Anne mit ihren Freunden durch den Wald spaziert. Um die Epoche zu verdeutlichen, ist natürlich kein einziges Auto zu hören, sondern nur diverse Kutschen und Karren.

|Musik|

Die Musik ist ebenfalls ziemlich romantisch, voller Streichinstrumente, Harfen und Pianos. Das Klavier wird meist für melancholische Passagen eingesetzt, und diese sind ebenso wichtig wie die heiteren. Der kontrastreiche Wechsel zwischen Heiterkeit, Drama, Rührung und Melancholie sorgt für die emotionale Faszination beim Zuhörer. Die Musik steuert die Emotionen und untermalt die wichtigsten Szenen, kommt aber nicht ständig im Hintergrund vor. Ebenso wie mit den Geräuschen darf man es nicht übertreiben.

Als Intro erklingt die Erkennungsmelodie der Serie: In einem flotten Upbeat-Tempo lassen Streicher, Holzbläser und ein Glockenspiel Romantik, Heiterkeit und Humor anklingen. Alle diese Elemente sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Buches gewesen. Warum sollten sie also ausgerechnet im Hörspiel fehlen?

_Unterm Strich_

Große Veränderungen kündigen sich an. Die Zwillinge bleiben nur fest auf Green Gables, und der Besuch der bewunderten Schriftstellerin wird zu einer mittleren Katastrophe – der besonders heiteren Sorte. Nach Annes abenteuerlicher Kletterpartie auf einem Stalldach wendet sich das Geschehen wieder ernsteren Dingen zu, darunter die Begegnung mit Lavender Lewis, deren Leben einen offensichtlichen Mangel aufweist, den man aber nicht offen aussprechen darf. Doch insgeheim startet Anne bereits ihr Rettungsprogramm für diese „verwandte Seele“. Dass sie selbst ebenfalls einer liebenden Person bedarf, realisiert sie erst ziemlich spät. Sie hat nämlich die falsche Vorstellung von Liebe. Aber das lässt sich ja korrigieren.

Besonderes Vergnügen hat mir die akustische Umsetzung des Buches bereitet. Hörbaren Spaß haben die Sprecher an ihren Rollen, und insbesondere die Hauptfigur ist von Marie Bierstedt ausgezeichnet gestaltet. Sie schluchzt, lacht, schmollt, flüstert und quasselt, dass man sich wundern muss, woher diese Vielseitigkeit stammt. In den Spider-Man-Filmen ist Kirsten Dunst nie so vielseitig. Bierstedts Anne muss sich nicht nur durch Höhen und Tiefen des Herzens lavieren, sondern auch noch weiterentwickeln.

|67 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3635-7|

Home – Atmosphärische Hörspiele


http://www.wellenreiter.la
http://www.luebbe-audio.de

Fructus, Nicolas – Thorinth 1: Der Narr ohne Namen

Debütarbeiten auf dem Comicmarkt sind jederzeit eine spannende Sache. Anders als nämlich im bevölkerten Belletristik-Segment lässt sich hier schon viel deutlicher die eigentliche Marschrichtung eines Autors ableiten und somit auch die ihm eigene Kreativität bzw. ein möglicher Hang zur Risikobereitschaft. Im Falle von Nicolas Fructus sind all diese positiven Attribute definitiv vorhanden. Seine erste Serie „Thorinth“ ist ein sehr eigenartiges Phantastik-Gebilde, das strukturell sehr unkonventionell aufgebaut ist und auch inhaltlich eine sehr eigenwillige Mischung aus Philosophie, Science-Fiction, Fantasy und actionreichem Drama abgibt. Oder etwas konkreter: Fructus begibt sich direkt mit seinem ersten Werk auf einen sehr innovativen Weg und gehört – so viel vorab – für seinen Wagemut auch belohnt!

_Inhalt_

Amodef, seines Zeichens Mitglied der Pellegren, die das menschliche Gehirn erforschen, plant den Bau eines gigantisches Turmes, in dessen Labyrinthen er fortan ungestört seiner Arbeit nachgehen kann. Doch die neidische Architektin Esiath missbraucht das Projekt für ihre eigenen Zwecke und treibt das Volk der Pellegren in den Abgrund, als sie einen Golem formt, der mit einem Schlag die Seelen aller Wissenschaftler in der näheren Umgebung aufsaugt – bis auf diejenige Asmodefs, der infolge dessen spurlos verschwindet.

Jahrzehnte später ist Thorinth das Zentrum des menschlichen Chaos‘: Verrückte und verwunschene Seelen werden hierhin verstoßen und gezwungen, sich der Herrschaft des aus dem Golem hervorgegangenen Narrenwächters unterzuordnen. Dieser wiederum wird von den Schnuffels kontrolliert, kleinen Wesen, die sich mit den Insassen verbündet haben, gegen die Ausbrüche des Wächters aber dennoch machtlos sind. Eines Tages dringt ein Mann in Thorinth ein und stellt das innere Gefüge komplett auf den Kopf. Auf der Suche nach seiner Frau Madalis Temroth gerät er mehrfach ins Abseits, erfährt aber immer wieder die Gnade des mutierten Golems. Dennoch soll er gerichtet werden, da die merkwürdigen Verhaltensweisen des Mannes von der Obrigkeit im Turm nicht länger geduldet werden …

_Persönlicher Eindruck_

Wow – hier reift etwas ganz Großes heran! Bereits die ersten Eindrücke dieses hierzulande mit arger Verspätung aufgelegten Fünfteilers („Thorinth“ wurde im Original schon 2002 veröffentlicht) sind gewaltig. Fructus hat hier in wenigen Zügen ein enorm weitreichendes Konzept erstellt, dessen philosophische Anteile hier hinter einem actionreichen Hauptstrang versteckt werden und sich dort mit einer unterschwelligen Gesellschaftskritik mischen, die hier in erster Linie den Missbrauch der Schöpfungsgeschichte betrifft. Doch nicht nur der Komplex im Allgemeinen, sondern auch die einzelnen Fragmenten der Handlung an sich sind sehr detailliert ausgearbeitet und bringen den Leser trotz der nicht abzusprechenden Vertracktheit der Erzählung ziemlich weich in die Geschichte um den Labyrinth-Turm hinein.

Dort wiederum mischen sich die verschiedenen Elemente aus Science-Fiction und Fantasy mit einem Dramen-Szenario à la „Running Man“, monströsen Szenarien im „Dune“-Style und Maskeraden, die auch einem George Lucas gut gefallen könnten. Fakt ist, die Szenerie ist kunterbunt, aber dennoch nicht überladen, weil Fructus das Ganze sehr zielorientiert vorantreibt, nur wenige Einschnitte zulässt und sich nach der ausführlichen Einleitung um das Schicksal Asmodefs nahezu ausschließlich auf die Geschichte des namenlosen Protagonisten konzentriert.

Dieser wiederum ist als Hauptfigur ähnlich ungewöhnlich wie die Handlung als solche, in seinem Vorgehen selten transparent, aber dabei von einer mythischen Aura umgeben, die einen nicht geringen Teil der Faszination einnimmt, die allgemein über „Thorinth“ schwebt. Diese sonderbare, kaum greifbare Atmosphäre, das andersartige, beklemmende Setting, die merkwürdigen inhaltlichen Umbrüche und überhaupt so viele einzelne Aspekte ergeben in ihrer kombinierten Form etwas Außergewöhnliches, dem man schon zum Debüt anmerkt, dass sein Potenzial selbst über das Überdurchschnittliche hinausgeht. Zwar erfüllt „Der Narr ohne Namen“ gewissermaßen auch erst mal nur den Part eines klassischen Auftaktbandes, dies jedoch mit einer Präzision und Detailfülle, die zu diesem Zeitpunkt einer neuen Serie schon ungewöhnlich hoch ist.

Kurzum: Einen besseren Einstand in die Comic-Szene hätte sich Fructus kaum ermöglichen können. Umso dümmer also, dass erst sieben Jahre nach Erstveröffentlichung ein deutscher Vertrieb gefunden wurde – oder Gott sei Dank, wie man nun will …

|Originaltitel: Thorinth: Les fou sans nom
56 Farbseiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-86869-032-3|
http://www.splitter-verlag.de

Sands, Lynsay – Ein Vampir zum Vernaschen

Lucern ist Schriftsteller und ein absolut repräsentativer Vertreter seiner Spezies: Er ist ein einzelgängerischer Eigenbrötler, der außerhalb seiner Familie keine sozialen Kontakte pflegt und sich stattdessen in seinem Haus verschanzt, ohne wenigstens sporadisch an der Welt teilzunehmen. Außerdem ist er ein Vampir (was vielleicht für Schriftsteller nicht unbedingt typisch ist), aber das nur nebenbei.

Früher hat Lucern Sachbücher zu verschiedenen historischen Themen geschrieben, doch irgendwann beschloss er dann, in einzelnen Romanen die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Familie zu Papier zu bringen. Das hat ihn zu einem Star unter den Romanzen-Schriftstellern gemacht, und jede kleine Buchhandlung, Bibliothek und Ladenkette in den USA und Kanada möchte Signierstunden mit ihm. Und da kommt Kate C. Leever, ihres Zeichens Lucerns Lektorin, ins Spiel. Wiederholt versucht sie, Lucern davon zu überzeugen, dass er mehr mit seinen Fans interagieren sollte, doch Lucern lehnt jedes Mal wortkarg ab und ignoriert Kate ansonsten gekonnt. In einer letzten Verzweiflungstat fliegt Kate von New York nach Toronto, um Lucern persönlich davon zu überzeugen, dass er auf Lesetour gehen sollte. Natürlich hat sie ihren Besuch vorher schriftlich angekündigt, doch da Lucern seine Post höchstens einmal im Monat öffnet, ist er reichlich überrascht, als plötzlich seine Lektorin vor der Tür steht.

Natürlich können sich beide zunächst nicht leiden, doch mit etwas Hilfe von Lucerns kupplerischer Mutter wird dem Armen dann doch noch ein Public-Relations-Termin aufgedrückt, und zwar die riesige, mehrere Tage dauernde |Romantic Times Convention|, bei der sich Fans, Verlage und Schriftsteller in einem Hotel treffen.

Lucern ist alles andere als begeistert, und das, obwohl Kate und ihr Kollege Chris einzig zu seinem Wohl und seiner Unterhaltung zur Verfügung stehen und ihn geradezu babysitten, damit er auch nichts hat, worüber er sich beschweren könnte. Kate und er kommen sich näher, sie findet heraus, dass er nicht nur über Vampire schreibt, sondern tatsächlich einer ist, es kommt zu einigen Verwicklungen, und am Schluss darf Autorin Lynsay Sands ein tief empfundenes „Happy End“ unter ihre Paranormal Romance mit dem nicht gerade effektvollen deutschen Titel „Ein Vampir zum Vernaschen“ setzen.

„Ein Vampir zum Vernaschen“ ist eigentlich der dritte Teil von Sands „Argeneau-Serie“, doch |Egmont LYX| hat sich entschieden, den Roman als Band zwei zu veröffentlichen. Das ist für alle Puritaner unter den Buchliebhabern sicher ärgerlich, praktisch macht es allerdings kaum einen Unterschied, in welcher Reihe man die Bücher liest. Zwar tauchen immer wieder die gleichen Charaktere auf – nämlich die Mitglieder der Familie Argeneau -, doch behandelt jeder Roman die Liebesgeschichte einer anderen Figur. So ist es relativ gleichgültig, mit welchem Band man einsteigt.

Sicher, Lynsay Sands hat eine astreine Paranormal Romance geschrieben, und das Genre ist alles andere als ein Garant für literarische Qualität. Auch Sands‘ Bücher sind letztlich nichts weiter als Gebrauchsliteratur, die sofort ihren Reiz verliert, sobald man das Buch zugeklappt hat. Doch muss man Sands auch zugestehen, dass sie einige Ideen hat, die ihren Roman über das Einerlei der Liebesromane herausheben, wobei sie genügend schriftstellerisches Geschick besitzt, diese Ideen auch überzeugend umzusetzen. Damit ist „Ein Vampir zum Vernaschen“ eine definitive Verbesserung gegenüber dem Vorgänger [„Verliebt in einen Vampir“. 5796

So ist ihr erzählerischer Grundaufbau, nämlich den Roman im literarischen Betrieb anzusiedeln, geradezu metaliterarisch und sorgt wiederholt für Schmunzler und Aha-Effekte. Die Convention, auf die sie Lucern und Kate schickt (eher keine Konferenz, wie uns die Übersetzung weismachen will – das lässt den Leser an einen akademischen Anstrich glauben, den es so nicht gibt), existiert tatsächlich. Sie wird jährlich von der Zeitschrift |Romantic Times| ausgerichtet und ist ein Ort, wo man Fans und Autoren gleichermaßen treffen kann. Es gibt Kostümbälle, Signierstunden und offensichtlich auch die Möglichkeit, sich mal die ganzen gut gebauten Männer in natura anzuschauen, die sonst die Buchcover schmücken. Auch Kathryn Falk, die Gründerin der |Romantic Times|, kommt in einer kleinen (aber durchaus charmanten) Nebenrolle vor. Theoretisch macht dieses ungewöhnliche Setting den Roman für all jene interessanter, die die |Romantic Times| und deren Convention kennen, doch das wird wohl für kaum einen deutschen Leser zutreffen. Und trotzdem ist Sands‘ Einblick in den Schnulzenmarkt kurzweilig und auch humorig.

Da kann man ihr auch fast verzeihen, dass sie natürlich für ein Publikum schreibt, das eine ganze bestimmte Vorstellung von seinen Heldinnen und Helden hat, und dass ihre Liebesgeschichte dadurch natürlich einen formelhaften Anstrich bekommt. So ist ihre Heldin selbstverständlich unglaublich unabhängig und tough, in Liebesdingen aber eher schüchtern und unbedarft. Der Held dagegen scheint zunächst so viel Emotion wie ein Stein zu haben, erweist sich letztlich aber als Vampir mit einem Herzen aus Gold.

Die Unabhängigkeit und Lebensgewandtheit ihrer Heldin Kate äußert sich hauptsächlich darin, dass sie spleenige und völlig abwegige Ideen hat, wie zum Beispiel die, in eine Blutbank einzubrechen – komplett mit Skimasken und einem Rucksack voller Werkzeug aus dem Baumarkt. Als Lucern sie dann bittet, draußen zu warten, fühlt sie sich in ihrer Ehre gekränkt: „Das hier war ihre Idee gewesen; sie wollte verdammt sein, wenn sie draußen in einer Gasse wartete und die Hände rang wie eine dieser zimperlichen Heldinnen in einem altmodischen Roman.“ Eine solche Heldin wäre zwar nicht nach Kates Geschmack gewesen, sie hätte Lucern aber auch in weit weniger Schwierigkeiten gebracht und so beweist die taffe und selbstbestimmte Heldin eigentlich nur eines: nämlich, dass ihre Unabhängigkeit nur Fassade ist und allen mehr gedient wäre, wenn sie sich weniger einmischen würde.

Von diesen misslichen Details einmal abgesehen, kann man mit „Ein Vampir zum Vernaschen“ durchaus Spaß haben – ein empfehlenswerter Schmöker für eine laue Sommernacht.

|Originaltitel: Single White Vampire
Ins Deutsche übertragen von Regina Winter
380 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8172-4|
http://www.egmont-lyx.de

Toutonghi, Pauls – Geschichte von Yuri Balodis und seinem Vater, der eigentlich Country-Star war; Die

_Von großen und kleinen Umbrüchen_

|“‚Die Geschichte von Yuri Balodis und seinem Vater, der eigentlich Country-Star war‘ ist ein Buch voller Geschichten und über Geschichte, meiner Meinung nach.“| – würde Rudolf Balodis vielleicht sagen, wenn man ihn bäte, die Handlung des überaus komplexen Romans von Pauls Toutonghi kurz zu umreißen. Vermutlich würde der dauerbetrunkene lettische Familienvater, der sich in Amerika seinen Traum vom Country-Star-Dasein erfüllen wollte und stattdessen Nachtwächter in einem Autohaus geworden ist, dabei ein Glas Bourbon in der Hand halten und von seinem Balkon aus auf das zehntärmste Wohnviertel Amerikas schauen, während seine Frau leise seufzend die Haare ihres Sohnes Yuri verwuschelt. Im Grunde ist Familie Balodis mit ihrem Leben jedoch ganz zufrieden, wäre da nicht das Entsetzen darüber, dass sich der Filius ausgerechnet einer sozialistischen Parteigruppe angeschlossen und sich Besuch aus der alten Heimat angesagt hat, was zusammengenommen sämtliche Wunden der Vergangenheit aufreißt.

Der amerikanische Autor Pauls Toutonghi mit lettischen und ägyptischen Wurzeln schildert, autobiografisch inspiriert, die Geschichte einer Familie in der Zeit des Umbruchs in den Jahren um 1989. Die Mauer in Deutschland ist gefallen. Die Sowjetunion bricht zusammen. In Milwaukee feiert Familie Balodis den Sieg über ein Machtsystem, welches den Großvater für zehn Jahre in einen Gulag verbannt hatte, der Yuris Vater folterte, verkrüppelte und ihm keine andere Wahl ließ, als Familie und Freunde mit seiner Frau auf einer abenteuerlichen und menschlich degradierenden Flucht für immer hinter sich zu lassen. Der Leser hat aufgrund der abgewrackten Existenz des Mannes den Eindruck, dass Yuris Vater trotz des kleinen Körnchens Wahrheit, das in den Geschichten verborgen sein mag, eigentlich nur ein liebenswerter Spinner ist. Erst auf den letzten Seiten offenbart der Autor die ganze Tragik der Geschichte und lässt den Leser betroffen und gleichzeitig gerührt zurück. So kauzig und tragikomisch die Helden dieses Romans aber sein mögen, Pauls Toutonghi beschreibt sie doch stets herzlich und voller Wärme, so dass man diese auch noch Tage nach der Lektüre vor dem geistigen Auge behält. Leider ist „Rudolf Balodis“ längst gestorben, doch er wäre mit Sicherheit stolz auf seinen Sohn, der ihm und seiner Familie mit diesem Roman kritisch, aber voller Liebe ein Denkmal gesetzt hat.

Yuris Teenagerleben wird zunächst von diesem historischen Hintergrund wenig beeinflusst. Er kennt die Heimat seiner Eltern nur von Geschichten, die sein Vater manchmal wie Märchen erzählt. Die lettische Sprache und alle Erinnerungen haben die Balodis konsequent aus ihrem betont amerikanisch eingerichteten Leben verbannt. Yuri soll als ganz normaler amerikanischer Teenager aufwachsen. Doch durch seine Liebe zu Hannah, die mit ihrem Vater in einer sozialistischen Parteigruppe aktiv ist, stehen sich mit den beiden Familien plötzlich zwei grundverschiedene politische Ansichten gegenüber. Yuri ist zum ersten Mal gezwungen, sich über ein komplexes Thema eine eigene Meinung zu bilden, und zwischen dem Respekt für seine Familie und dem Unverständnis für ihre Ansichten hin- und hergerissen. Dazu kommen die verwirrenden Gefühle der ersten Liebe, die Yuri dazu verleiten, eine Straftat zu begehen, die zunächst ungesühnt bleibt, jedoch sein Gewissen belastet. Und als wäre alles noch nicht kompliziert genug, nistet sich plötzlich die Verwandtschaft in Gestalt von Onkel, Tante, Cousin sowie Großtante in der kleinen Dreizimmerwohnung mit ein und denkt scheinbar gar nicht daran, jemals wieder nach Lettland zurückzukehren.

Um diese chaotische Zeit überstehen zu können, um in ihr zu reifen und zu wachsen, wird es somit höchste Zeit für den jungen Bücherwurm, vom Leben selbst statt nur aus den Geschichten anderer zu lernen. Da sich die Erwartungen seiner Eltern an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten für sie selbst nicht erfüllt haben, ist es nun erst recht an Yuri, die ihm gebotene Freiheit zur Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit zu nutzen. Humorvoll (besonders in den Dialogen) sowie berührend, ohne rührselig zu wirken, erzählt Toutonghi seine melancholische Geschichte vom Scheitern des amerikanischen wie des sozialistischen Traums und doch von einem neuen Anfang im ausgehenden 20. Jahrhundert, in welchem jeder Mensch seinen ganz individuellen Weg finden und leben muss.

|Originaltitel: Red Weather
Deutsch von Eva Bonné
366 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-87134-634-7|
http://www.rowohlt.de

Nomus, Jacob – Amarna-Grab, Das

Der deutsche Newcomer Jacob Nomus hatte sich seit 2003 bis dato dem Verfassen von Kurzgeschichten und -erzählungen gewidmet. Diese finden sich gesammelt in „Geschichten aus dem dritten Jahrtausend“. Seit Juni 2009 steht nun sein Roman-Erstling in den Regalen, der den Leser – der Titel lässt es deutlich werden – buchstäblich in die Wüste schickt. Ein Folgeprojekt mit dem Titel „Schuld“ steht ebenfalls in den Startlöchern und soll – laut Presseinfo des herausgebenden Kölner |Alea|-Verlags – spätestens 2011 veröffentlicht werden. Bis dahin fließt sicher noch so einiges Wasser den Nil herunter und es bleibt sicherlich auch mehr als genügend Zeit, um sich zuvor eingehend mit „Das Amarna-Grab“ zu beschäftigen.

_Zur Story_

Kairo, 2011: Der Fund zweier weiblicher Mumien im Tal der Könige elektrisiert den renommierten Ägyptologen Paul Starck. Beide stammen offenbar aus der 18. Dynastie und zudem aus dem Dunstkreis des Ketzerpharaos Echnaton, der nicht nur unter mysteriösen Umständen verschwand, sondern gleichwohl von seinen Nachfolgern regelrecht aus der Geschichte Ägyptens getilgt werden sollte. Die Autopsie nach allen Regeln der modernen archäologischen Kunst ergibt Entsetzliches: Die jüngere der beiden Frauen dort auf seinem Seziertisch war noch nicht tot, als die Mumifizierer sie für die Ewigkeit präparierten. Und ist die zweite Leiche eventuell sogar Echnatons sagenumwobene Ehefrau Nofretete? Ein DNA-Test soll Klarheit bringen. Doch der ist aufwändig und benötigt Zeit. Währenddessen wird, verborgen unter einer abgelegenen Tempelanlage, eine nicht minder faszinierende Entdeckung gemacht.

In Jerusalem des Jahres 33 schmieden drei Verschwörer ein ausgeklügeltes und höchst perfides Komplott gegen einen gewissen Yehosua, auf dass dieser mit sprichwörtlich tödlicher Sicherheit ans Kreuz geschlagen werde. Es kristallisiert sich sehr schnell heraus, dass es sich um niemand Geringeren als Jesus handeln kann. Nichts wird dem Zufall überlassen, alle Aspekte des Verrats, der Verhaftung, der Verurteilung durch den Hohen Rat sowie der römischen Jurisdiktion – sprich: Pontius Pilatus – und sogar scheinbar unwichtige Details der Kreuzigung werden beinahe minutiös geplant. Selbst der genaue Zeitpunkt scheint extrem wichtig zu sein: Die Hinrichtung des Messias muss am Vortag des jüdischen Passah-Festes zur Mittagszeit auf dem Berg Golgatha stattfinden. Noch erstaunlicher ist, dass die Verschwörer ganz offensichtlich zum intimsten Freundeskreis Jesu gehören und ihr Tun ihnen zutiefst widerstrebt.

Mordgedanken dürften auch in Ägypten um 1400 v. Chr umgegangen sein. Zumindest bei den vergrätzten Amun-Priestern in der Reichshauptstadt Memphis: Pharao Amenhotep IV. treibt die schleichende Unterminierung des althergebrachten Pantheons seitens seines Vaters auf die Spitze und erklärt nach seiner Machtübernahme den Gott Aton zum einzigen Gott. Damit ist er der erste bekannte Herrscher, der den Monotheismus zur Staatsreligion ausruft. Einer Vision folgend, lässt der nun unter dem Namen Echnaton regierende König die Stadt Achet-Aton aus dem Boden stampfen und verlegt seinen Lebensmittelpunkt sowie den Regierungssitz dorthin. Einst schloss der nach Unsterblichkeit Trachtende einen geheimnisvollen Pakt mit dem Gelehrten Aaron, welcher ihm die Söhne Semenchkare und Tutenchaton beschert, wiewohl seine Gattin Nofretete scheinbar nur Mädchen gebären kann. Im Gegenzug soll das Volk Israels aus der ägyptischen Knechtschaft entlassen werden.

_Eindrücke_

Die Verquickung von Fakten und Fiktion ist stets eine heikle Gratwanderung. Das Schlüsselwort lautet hier: Authentizität. Wenn man es also richtig machen will, gehört zu solch einem Projekt jede Menge Recherchearbeit und natürlich die Fähigkeit, deren Ergebnisse in die Erzählung einfließen zu lassen. Auch Leser ohne den entsprechenden Background sollen schließlich davon angesprochen und mitgerissen werden. Und allzu theoretisch-dröge darf’s logischerweise auch nicht zugehen, was insbesondere beim komplexen und vielschichtigen Thema Echnaton in besonderem Maße knifflig ist. Seine Person, ja eigentlich die gesamte Familie umgibt bereits von der eher konservativen Lehrmeinung vertretenen Sachlage her eine höchst mysteriöse, geheimnisvolle und somit interessante Aura. Zu den historisch belegbaren Umständen kommen die Spekulationen aus der grenz- bzw. populärwissenschaftlichen Ecke.

Und gerade mit denen spielt Jacob Nomus ganz besonders geschickt, wobei er sich unter anderem einige (oft kontrovers umstrittene) Thesen zunutze macht und sie schlüssig wie spannend in seinen Roman einpasst – ohne zu dick aufzutragen. Etwa die gelegentlich postulierte,aber nie bewiesene Querverbindung von Echnaton zu Moses‘ späterem Exodus präsentiert sich hier in Form des Paktes zwischen dem Pharao und dem Israeliten Aaron. Das sumerische Gilgamesch-Epos wird ebenso verwurstet wie Teile der Gralslehre bzw. apokryphes Gedankengut, das etwa Templern, Rosenkreuzern, Freimaurern oder der Prieuré de Sion nachgesagt wird. Insbesondere die Genetik – oder besser gesagt: die Genealogie – spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Eine wahre Spielwiese speziell für Kenner der Werke Hancocks/Bauvals, Baigents, Lincolns, Leighs oder auch Sitchins. Und obwohl diese Versatzstücke offiziell ins Reich der Fiktion gehören, würden diese Herren ob der einfallsreichen Kombination der Elemente vermutlich applaudieren.

Stilistisch gesehen bestünde hier und da noch ein wenig Verbesserungsbedarf, was verständlicherweise jedoch stark von persönlichen Präferenzen abhängt. Das betrifft einerseits das vergleichsweise trockene Dozieren über historische Fakten, was sicherlich sinnvoll für eine unbeschlagene Leserschaft ist, andererseits dem Tempus zuweilen geringfügig schadet. Gleiches gilt zum Teil für das Verständnis nicht unbedingt notwendiger Nebenhandlungen aus der Gründerzeit Achet-Atons. Diese illustrieren zwar – quasi als Ausgleich etwas anrührig – persönliche Tragödien des einfachen Volks und sollen wohl vordergründig die Eindringtiefe verbessern, sind aber dem Vorankommen der Story eigentlich nicht dienlich. Dann wäre da noch die etwas flache Figurenzeichnung. Insbesondere die neuzeitlichen Hauptfiguren Starck und Velikovsky bleiben insgesamt ziemlich blass. Dafür sind die historischen besser getroffen – sprich: lebendiger.

Allenfalls penible Besserwisser werden zudem noch fingerwedelnd anmerken, dass Echnatons Geburtsname „Amenophis“ in deutschen Publikationen sicher gebräuchlicher ist als der hier verwendete „Amenhotep“ – beides meint aber das Gleiche und ist richtig. Die Strukturierung in drei autonome Handlungsstränge mit jeweils eigenem Abschluss, welche zusammengenommen dann ein viertes, größeres Bild ergeben, ist gut gewählt und spannt den Leser erwartungs- und wohl auch wunschgemäß auf die Folter. Zumindest denjenigen, der thematisch unvorbelastet herangeht – wer mit der Materie vertraut ist, ahnt schon recht früh wenigstens die ungefähre Richtung, in welche die Reise aus den unterschiedlichen Epochen gehen wird. Wenngleich Jacob Nomus auch für diesen Kreis noch die eine oder andere Überraschung aus dem Grabmal zaubert. Nach fulminantem Start und ruhigerem Mittelteil zieht das Tempo in Richtung Showdown noch einmal ordentlich an und endet in einem würdigen – und vor allem: plausiblen – Finale.

_Fazit_

Nicht nur Freunden des historischen Thrillers wird das außergewöhnliche und unterhaltsame Puzzle gefallen, wobei eine gewisse Affinität zu Ägypten und grenzwissenschaftlichen Theorien zusätzlich spaßverstärkend wirkt. Vorkenntnisse sind aber keinesfalls Pflicht. So fiktiv, oder sagen wir einmal abwegig ist dieses gesamte, doch recht pfiffig ausgeklügelte Gedankenspiel aus Fakt und Fantasie bei genauerer Betrachtung auch gar nicht. Wirklich handfeste Kritikpunkte gibt es eigentlich keine und die Kleinigkeiten, die sich dennoch vielleicht an mancher Stelle zeigen, fallen ausnahmslos unter die Rubrik „individueller Geschmack“ – und über den lässt sich bekanntlich trefflich streiten. „Das Amarna-Grab“ ist der erneute Beweis dafür, dass lesenswerte Lektüre auch in Deutschland entsteht: eine Lese-Empfehlung meinerseits.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Jacob Nomus: Das Amarna-Grab
Alea Verlag, Köln, Juni 2009
Genre: Historischer Thriller / Drama
ISBN 10: 3-0002-8020-0
ISBN 13: 978-300028020-7
358 Seiten, Broschur
Preis: 15,90 €

Stalner, Eric – Legende von Malemort, Die – Band 1: Unter dem Mondlicht

_Inhalt_

Südfrankreich im 13. Jahrhundert: Gerade erst sind die Kreuzzüge gegen die Albigenser in einem blutigen Gemetzel geendet, und dennoch ist die Inquisition in vollem Gange. Auch die junge Anthea führt einen verzweifelten Kampf gegen die Scharfrichter des christlichen Glaubens und lebt als Dirne ebenso gefährlich wie die vielen verschrieenen Ketzer. Während sie sich mit ihren alltäglichen Sorgen herumplagt, stößt sie auf den verletzten Ritter Malperthuis, der von den Inquisitoren verfolgt wird und gerichtet werden soll.

Im Freudenhaus ihrer Mutter kommt es zu einem blutigen Gefecht, dem Anthea so gerade noch entfliehen kann – ohne ihre Mutter, und ohne die kurzzeitige Hoffnung, von Malperthuis mehr über den Verbleib ihres Vaters erfahren zu können.
In den finsteren Wäldern stößt sie auf den vorlauten Zwerg Arnulf, der sich nach anfänglichen Schwierigkeiten ihrer annimmt. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Antheas Mutter, dem verschollenen Malpethuis und den verblassten Spuren ihrer Vergangenheit. Doch Antheas Heimkehr verläuft alles andere als wünschenswert …

_Persönlicher Eindruck_

Eric Stalner gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen der französischen Comic-Szene. Mit mehr als 50 Ausgaben gehört der geschäftige Autor und Zeichner zu den fleißigsten Arbeitern der letzten beiden Dekaden, und dennoch hat man hierzulande nur wenige Lebenszeichen aus seiner Feder begutachten können. „Die Legende von Malemort“ ist erst sein viertes Werk für den deutschsprachigen Raum und gleichzeitig das Debüt für den viel beachteten |Splitter|-Verlag. Mit „Unter dem Mondlicht“ geht der Sechsteiler nun in die erste Runde – und tut sich zunächst noch relativ schwer.

In der ersten Episode gelingt es Stalner nämlich noch nicht so gut, den Handlungskomplex schlüssig zu eröffnen und Atmosphäre und Story homogen unter einen Hut zu bekommen. Einige Passagen der Geschichte sind zu stark von hektischen Wechseln gezeichnet, die unter anderem auch daher rühren, dass die Charakterzeichnungen bisweilen sehr schwammig sind. Um alle Figuren ranken sich Geheimnisse, so dass man bis dato schwer einschätzen kann, an welcher Stelle welcher Charakter in der Handlung individuell steht. Gerade im Falle von Malperthuis und Arnulf fehlt es an Transparenz, was einerseits sicherlich sinnvoll ist, da die Spannung zu diesem Zeitpunkt noch davon profitiert, andererseits aber auch wieder unbefriedigend wirkt, da die Story aufgrund dieser fehlenden Kenntnisse keine echten Forschritte macht – zumindest was die eigentlichen Hintergründe von „Die Legende von Malemort“ betrifft. Und davon abgesehen tritt der Titelheld auch erst auf der letzten Seite in Erscheinung.

Insofern muss man erst einmal hoffen, dass „Unter dem Mondlicht“ schlicht und einfach nur ein typischer Auftaktband ist, als solcher eine knappe Einleitung in den Plot mit vielen versteckten Hinweisen, die allerdings nur sehr kurz ausgearbeitet sind. Damit verbunden ist aber auch die dringende Erwartung, dass sich die inhaltlichen Entwicklungen dem anständigen Erzähltempo sehr bald anpassen werden und die finstere Grundstimmung sich auch in prickelndem Maße auf das Feeling beim Lesen überträgt. Bis hierhin ist „Die Legende von Malemort“ nämlich nur ganz nett, vielleicht auch lesenswert, aber sicher nicht ausreichend, um dem starken Verlagsprogramm in irgendeiner Form das Wasser zu reichen.

|Originaltitel: Le Roman de Malemort: Sous les cendres de la lune
48 Farbseiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-86869-021-7|
http://www.splitter-verlag.de

Ken Bruen/Jason Starr – Crack

Ein selbst ernannter Dealer-König und eine schöne aber stets in Schwierigkeiten steckende Frau entfesseln in New York einen Krieg zwischen der Drogenmafia, der irischen IRA, der Polizei und diversen Psychopathen … – Hart an der Grenze zur Parodie pfeift dieser Trash-Krimi auf Moral oder Logik und setzt eine Kettenreaktion absurder und gewaltreicher Zufälle in Gang: witzig in Handlung und Stil, aber nichts für nervenschwache Gemüter.
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Crawford, Francis Marion / Gruppe, Marc / Bosenius, Stephan – obere Koje, Die (Gruselkabinett 34)

1899: Der junge Reisende Aldous Brisbane freut sich auf seine Fahrt mit dem Passagierdampfer |Kamtschatka| nach New York. Ihm wird die untere Koje in Kabine 105 zugeteilt, was beim Stewart leichtes Entsetzen hervorruft. Brisbane denkt sich zunächst nichts dabei, auch wenn es in der Kabine unangenehm nach Meerwasser riecht. Erst mitten in der Nacht erscheint sein Kabinengenosse, der nicht mit ihm spricht und sich in die obere Koje zurückzieht.

Wenig später wird Brisbane durch seltsames Stöhnen geweckt. Sein Mitreisender scheint seekrank zu sein und gibt ein furchtbares Röcheln von sich. Brisbane spricht ihn an, doch der Vorhang zur oberen Koje bleibt geschlossen. Als Brisbane morgens erwacht, steht zu seiner Empörung das Bullauge weit offen – eine gefährliche Nachlässigkeit auf See, die ihn sehr verärgert. Auf Deck lernt er den Schiffsarzt Hollows kennen, der gar nicht überrascht reagiert auf seinen Bericht. Stattdessen bietet er Brisbane an, für den Rest der Fahrt in seiner Kabine zu wohnen. Brisbane aber lehnt das gut gemeinte Angebot freundlich ab und will der Sache allein auf den Grund gehen.

Von Stewart und Kapitän erfährt er schließlich, dass es in Kabine 105 nicht geheuer sei. Niemand vermag es, das Bullauge dauerhaft zu verschließen, das sich immer wie von Geisterhand öffnet. Auf den letzten Fahrten hat sich jeder Reisende aus der Kabine ins Meer gestürzt. Auch Brisbanes Kabinengenosse aus der oberen Koje ist verschwunden. Inständig drängt der Kapitän darauf, dass er die Kabine verlässt. Doch Brisbane bleibt hartnäckig und will überprüfen, ob wirklich ein Gespenst am Werk ist …

_Eine der zahlreichen unheimlichen Geschichten_ aus der Feder von Francis Marion Crawford lieferte den Hintergrund für diese gelungene Hörspieladaption, die mittlerweile bereits die 34. Folge der „Gruselkabinett“-Reihe aus dem Hause |Titania Medien| ist.

|Spannung und Atmosphäre mit überzeugenden Charakteren|

Die Seefahrt gehört zu den beliebtesten Motiven der unheimlichen Literatur – kein Wunder, denn das Wasser ist per se schon ein gefährliches Element, dem der Mensch bei Unwetter leicht hilflos ausgeliefert ist. Dazu kommen die Abgeschiedenheit auf Meer und die umfangreiche Seemannsgarntradition, die viele unheimliche Gestalten in ihrem Repertoire hat. Den Machern der Serie gelingt es sehr gut, die beklemmende Stimmung an Bord einzufangen und wiederzugeben. Dabei steigert sich die Spannung ganz allmählich. Anfangs ist es nur die merkwürdige Reaktion des Stewarts auf die Kabinennummer, die auch Brisbane stutzen lässt. Das Verhalten seines Kabinengenossen schiebt er auf Seekrankheit, das offene Fenster auf Nachlässigkeit. Erst als sich zeigt, dass sich das Fenster durch keinerlei Vorkehrungen für länger als eine halbe Stunde verschließen lässt, wird deutlich, dass hier übernatürliche Mächte am Werk sind.

Es dauert eine Weile, bis der Geist tatsächlich in Aktion erscheint, aber gerade dieser langsame Aufbau tut der Geschichte gut. Da Brisbane die Geschichte als Ich-Erzähler einleitet, ist von Beginn an klar, dass er das Erlebnis überlebt hat – trotzdem verfolgt man gebannt, wie sich das Geschehen an Bord entwickelt, ob es auch diesmal Tote geben wird und wie sich Brisbane und der Kapitän dem Gespenst widersetzen. Das Geistwesen tritt persönlich erst recht spät in Erscheinung, sorgt dafür aber für ein paar beklemmende und dramatische Momente.

Ein großer Pluspunkt sind auch die Figuren, denen in diesem Kammerspiel-Szenario große Bedeutung zukommt. Im Mittelpunkt steht Aldous Brisbane, der so gar nicht an Gespenster glaubt und sehr ärgerlich auf die Erzählungen vom angeblichen Spuk reagiert. Brisbane ist ein klassischer Zweifler, der für alles Seltsame zunächst eine natürliche Erklärung findet und sich durch nichts abschrecken lässt. Für Aberglaube hat er nur gutmütigen Spott übrig, und je mehr sich die Vorfälle häufen, desto stärker beharrt er darauf, seine Kabine zu behalten. Witzig ist sein entgeisterter Kommentar „Wir sind auf einem Dampfer – wie weit kann ein Mensch da kommen?“ als der Kapitän ihm berichtet, sein Kabinengenosse sei spurlos „verschwunden“, und zeigt sein ganzes Unverständnis darüber, wie selbstverständlich die Besatzung den Gedanken an einen Geist hinnimmt. Selbst bei der ersten Begegnung mit dem Geist weigert sich Brisbane, an etwas Übernatürliches zu glauben. Sein Trotz geht so weit, dass er die Gefahr gerne in Kauf nimmt und lieber an Halluzinationen glaubt als an Spuk.

Anders sieht es bei dem Schiffsarzt Dr. Hollows aus. Obwohl ein Mann der Wissenschaft und durchaus sehr vernünftig, akzeptiert er das Gespenst als solches und sorgt sich ernsthaft um den jungen, unbelehrbaren Passagier. Der Kapitän schließlich ist auch geneigt, an den Spuk zu glauben, erklärt sich aber später tapfer bereit, gemeinsam mit Brisbane der Sache auf den Grund zu gehen.

|Sehr gute Besetzung|

Wie üblich bei |Titania Medien|, wurde auch hier sehr große Sorgfalt auf die Auswahl der Sprecher gelegt. Axel Malzacher, der bereits u. a. Tom Hollander, Cary Elwes und Josh Brolin in mehreren Rollen synchronisierte, spricht die Hauptfigur. Gut gelungen ist der leichte Unterschied zwischen dem ernsten Ton, den er in der rückblickenden Rahmenhandlung anschlägt und der etwas hellen Stimmlage mit einem energischen Unterton, die zu dem ungeduldigen Jüngling passt, den er in der Binnenhandlung darstellt.

Ein Gewinn für jedes Hörspiel ist der brillante Jürgen Thormann, dessen markante, sympathische und leicht aristokratische Stimme als deutsche Version von Sir Michael Caine berühmt ist und der in dieser Folge bereits zum siebten Mal in der Gruselkabinett-Reihe mitwirkt. Der vernünftige und zugleich sehr menschliche Schiffsarzt Dr. Hollows ist eine passende Rolle, die Thormann wunderbar auszufüllen versteht. Eine kleine, aber feine Rolle hat Tobias Nath als Steward Robert, der große Angst vor dem Spuk hat und sehr überzeugend mit ängstlichem und eindringlichem Ton spricht. Die Soundeffekte sind sehr überzeugend eingesetzt. Zwischendurch spielt ganz leise Musik im Hintergrund, dezent genug, um nie den Redefluss zu stören. Für einen besonderen Gruseleffekt sorgt das Raunen und Kichern des Geistes, das sich unheilvoll steigert.

|Kleine Schwächen|

Zunächst ist es ein kleines Manko, dass der Hintergrund des Geistes um Dunkeln bleibt. Der Kapitän erzählt Brisbane zwar von den früheren Geschehnissen in der Kabine, aber was genau sich hinter der Geschichte verbirgt, bleibt offen. Das ist schade, denn nur zu gut hätte in diese Situation eine kleine dramatische bis melancholische Sage gepasst, stattdessen bleibt nur Spekulation. Ein bisschen seltsam und unlogisch ist zudem, dass überhaupt nach den wiederholten Vorfällen noch Passagiere in die Kabine 105 gelassen werden. Würde der Kapitän nicht an das Gespenst glauben, wäre das in Ordnung, da er aber Brisbane selbst dazu rät, nicht dorthin zurückzukehren, fragt man sich unweigerlich, wieso dieses Risiko überhaupt noch eingegangen wird. Zu guter Letzt nimmt es ein klein wenig von der Spannung, dass Brisbane in der Rahmenhandlung als Ich-Erzähler auftritt – denn dadurch weiß man schon, dass er das Abenteuer heil überstanden hat.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr atmosphärisches Hörspiel auf hoher See, das, wie für die Reihe üblich, sehr überzeugend umgesetzt ist. Die Handlung vereint Spannung mit gelungenen Charakteren und die Sprecher sind perfekt besetzt. Der Grusel tritt zwar erst recht spät auf, die Hintergrundgeschichte hätte stärker ausgebaut werden können und es gibt eine kleine Logikschwäche, aber insgesamt ist die Folge absolut zu empfehlen.

_Die Sprecher_:

Aldous Brisbane: Axel Malzacher (dt. Stimme von Sean Patrick Flanery)
Robert, Steward: Tobias Nath (Luke Kirby)
Dr. Morten Hollows: Jürgen Thormann (Michael Caine)
Cpt. Grady: Peter Reinhardt (Jeff Daniels)
Joseph Carlyle: Uwe Büschken (Hugh Grant)
Mitreisender: Markus Pfeiffer (Colin Farrell)
Ertrunkener: Uli Krohm (Omar Sharif)

_Der Autor_ Francis Marion Crawford wurde 1854 in Italien als Sohn amerikanischer Eltern geboren. Sein Studium führte ihn unter anderem an die Universitäten von Heidelberg, Rom und Harvard. 1882 erschien sein erster Roman, der sofort ein Erfolg wurde. Im Laufe seiner Karriere verfasste er mehr als 40 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten, die oft in Italien angesiedelt sind, wo er auch 1909 verstarb. Zu seinen Werken gehören unter anderem „Mr Isaacs“, „Khaled“ und „Saracinesca“.

|Originaltitel: The Upper Berth, 1886
60 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3824-5|

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_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Das Schloss des weißen Lindwurms“ 5807 (Gruselkabinett 35)

Victor Gunn – Auf eigene Faust

Gunn Faust Cover 1982 kleinDer bizarre Mord an einer Tante wird nur durch den gefährlichen Alleingang eines hartnäckigen Ermittlers als Element einer perfiden Verschwörung entlarvt – falls der Täter nicht schneller als sein Verfolger ist … – Der vierte Teil der lang laufenden Serie zeigt einen noch deutlich aktiveren Bill Cromwell in einem kuriosen Fall, der sich so zeitlos und ohne Bezug zur realen Gegenwart nur im englischen Kriminalroman ereignen kann: altmodisch aber nostalgisch unterhaltsam.
Victor Gunn – Auf eigene Faust weiterlesen

R. Austin Freeman – Der steinerne Affe

freeman-affe-cover-kleinEin scheinbar perfektes Verbrechen ruft den genialen Kriminologen Dr. Thorndyke auf den Plan; aus einem Häuflein arsengetränkter Menschenasche rekonstruiert er ein meisterhaftes Mordkomplott, das vor vielen Monaten eingefädelt wurde … – Routiniert und ein wenig altmodisch mischt Autor Freeman den klassischen „Whodunit“ mit einem „Howdunit“. Am Ende des unterhaltsamen, aber recht statischen und mit blass gezeichneten Figuren besetzten Krimis sind alle Fragen zufriedenstellend geklärt.
R. Austin Freeman – Der steinerne Affe weiterlesen

Mull, Brandon – Fabelheim

Die Eltern der dreizehnjährigen Kendra und des zehnjährigen Seth gehen für knapp drei Wochen auf Kreuzfahrt. In dieser Zeit sollen die Geschwister bei ihren Großeltern in Connecticut wohnen, die sie bisher nur von kurzen Besuchen kennen. Während Oma Ruth verreist ist, empfängt Großvater Stan Sorensen die Kinder sehr freundlich. Sie bekommen ein großes Dachbodenzimmer voller altmodischer, aber origineller Spielsachen und in dem riesigen Garten gibt es einen Swimmingpool.

Allerdings verbietet ihnen ihr Opa, den angrenzenden Wald zu besuchen, da dort Zeckengefahr herrsche. Seth hält sich nicht daran und entdeckt nicht nur einen wunderschönen Garten mit See und Pavillons im Innern, sondern auch eine Hütte mit einer seltsamen alten Frau. Kendra wiederum wundert sich über die vielen Kolibris und Schmetterlinge, die stets den Garten umschweben und denen Milch bereitgestellt wird.

Schließlich weiht ihr Großvater sie in sein Geheimnis ein: Der Wald ist ein geheimer Ort namens „Fabelheim“, seit Jahrhunderten eine der wenigen Zufluchtsstätten für aussterbende magische Geschöpfe wie Elfen, Satyrn und Nixen. Ihr Opa ist der Verwalter, der sie versorgt und sich darum kümmert, dass weder die gefährlichen Wesen hinaus- noch unbefugte Besucher hineinkommen.

Außerdem erfahren sie von der Organisation „Gesellschaft des Abendsterns“, die seit vielen Jahren den Ort finden will, um die Wesen für ihre bösen Zwecke zu benutzen. Kendra und Seth versprechen, niemandem etwas zu erzählen. Doch in der gefährlichen Mittsommernacht, in der alle Geschöpfe Freigang haben, bricht der neugierige Seth eine der Regeln – und am nächsten Morgen ist ihr Opa verschwunden …

Kaum hat sich die Harry-Potter-Welle ein wenig gelegt, wurde die Kinderfantasy durch die Biss-zum-Reihe aufs Neue entfacht. Phantastik für Kinder und Jugendliche genießt Hochkonjunktur, und mit „Fabelheim“ ist der Startschuss zu einer sehr vielversprechenden neuen Buchreihe gefallen, die sowohl Kinder als auch junggebliebenen Erwachsene beste Unterhaltung bringen dürfte.

|Spannende und phantasievolle Handlung|

Alles beginnt wie ein typischer Kinderroman mit zwei Geschwistern, die recht unwillig ihrem Ferienaufenthalt entgegensehen. Ihre kürzlich verstorbenen Großeltern väterlicherseits haben testamentarisch als letzten Wunsch allen erwachsenen Angehörigen eine Kreuzfahrt durch ihre Heimat Skandinavien spendiert, und für diese Zeit sind Opa und Oma Sorensen die einzig infrage kommenden Babysitter. Das beeindruckende Grundstück bietet den Geschwistern allerlei Abwechslung mit einem Baumhaus, einem Swimmingpool, einem geräumigen Dachboden mit einem zahmen Haushuhn und faszinierendem Spielzeug. Trotzdem reizt sie der verbotene Wald, und der abenteuerlustige Seth will schließlich hinter das Geheimnis kommen. Die Wahrheit ist beeindruckender, als sie es sich je hätten erträumen lassen.

Ihr Opa ist einer der Verwalter, die Generation für Generation über Fabelheim wachen. Die Milch einer Riesenkuh lässt Sterbliche die Fabelwesen erkennen, die für normale Augen ohne dieses Hilfsmittel wie gewöhnliche Schmetterlinge oder andere Tiere aussehen. Natürlich wird es jetzt erst richtig spannend, denn ihr Opa weiht die Geschwister längst nicht in alle Geheimnisse über Fabelheim ein, besonders die grausamen oder unheimlichen Details sollen sie nicht erfahren – das kommt alles später, denn unter Umständen werden sie selbst einmal die Verwaltung des Reiches übernehmen. Besonders aufregend wird es in der Mittsommernacht, in der alle Wesen frei ums Haus herumtoben und mit allen möglichen Tricks versuchen, Einlass zu erhalten, und so grauenvolle Dinge anstellen, dass jedem angeraten ist, nicht aus dem Fenster zu schauen.

Nach dem beschaulichen Beginn gibt es eine Menge dramatischer Verwicklungen – sei es, dass Seth sich gegen die Elfen versündigt, indem er einen Leichtsinnsfehler begeht, sei es, dass ihr Opa nach der Mittsommernacht verschwunden ist, oder die Frage, was es mit ihrer Oma auf sich hat, hinter deren Abwesenheit sich offenbar ein weiteres Geheimnis verbirgt. Ein großer Pluspunkt des Buches ist seine Eigenständigkeit. Obwohl es als Start für eine Reihe gedacht ist, bleiben am Ende keine wichtigen offenen Fragen und man ist nicht gezwungen, den nächsten Band zu lesen. Andererseits gibt es dezente Andeutungen dazu, was in den nächsten Bänden stärker thematisiert werden könnte, allem voran die „Gesellschaft des Abendsterns“, die ein Komplott plant, das hier nur am Rande eine Rolle spielt, sowie das geheimnisvolle, mächtige Artefakt, das irgendwo in Fabelheim verborgen liegt.

Die Bewohner Fabelheims sind gängige Wesen aus der Mythologie, aber dennoch originell aufbereitet. Interessant ist vor allem Großvaters Aussage, dass sich ihre Moral stark von derer der Menschen unterscheidet und keines der Wesen „gut“ im menschlichen Sinne ist – vielmehr seien die besten unter ihnen lediglich nicht böse. So wie die meisten Menschen gedankenlos Insekten töten, so denken sich die unsterblichen Fabelwesen nichts dabei, menschliches Leben auszulöschen, das aus ihrer Perspektive quasi wertlos ist. Die hübschen Elfen, die Kendra und Seth in der Literatur als liebevolle Wesen kennen, sind hier vor allem eitel und selbstsüchtig, immer darauf bedacht, sich in einem Spiegel zu betrachten. Die Wichtel helfen zwar tatsächlich wie in der verbreiteten Vorstellung, Ordnung im Haus zu schaffen – aber nie, um den Menschen zu helfen, sondern einfach, weil sie die Ordnung an sich lieben.

Wirklich gefährlich wird es mit den Najaden, den schönen Wasserfrauen, die sich einen Spaß daraus machen, Unschuldige zu sich hinabzuziehen, und der bösen Hexe, die in einer Hütte sitzt und nur darauf lauert, dass jemand vorbeikommt, der ihre magischen Kräfte braucht und ihr als Gegenleistung den Knoten löst, der sie dort gefangen hält. Die Regeln in Fabelheim sind nicht ganz leicht zu durchschauen – so kann man gewöhnlich nicht mit Magie bekämpft werden, solange man keinem Wesen geschadet hat, Hilfe aber kann man wiederum nicht erwarten, denn das Verhalten der Fabelwesen gleicht einer Herde, die dem Tod eines Artgenossen mehr oder weniger gleichgültig gegenübersteht. Das unberechenbare Verhalten, das Kendra und Seth verwirrt, sorgt beim Leser für Spannung, weil es ihn im Ungewissen belässt.

|Gelungene Charaktere|

Kendra und Seth sind zwar nicht besonders originell, aber als Hauptfiguren für einen in erster Linie für Kinder gedachten Roman dennoch gelungen. Seth ist ein kleiner Wildfang, immer auf Entdeckungstour und gerne mal frech und ungehorsam. Kendra übernimmt als ältere Schwester viel Verantwortung, ohne dabei ein langweiliges Mustermädchen zu sein. Ihr Großvater ist zunächst geheimnisvoll und recht schweigsam, dabei aber immer sympathisch.

Ein reizvoller und komplexer Nebencharakter ist Lena, die weit gereiste, ältere Haushälterin, deren Vergangenheit eng mit Fabelheim verbunden ist und deren weiteres Schicksal Potenzial birgt, in einem der folgenden Bände noch einmal aufgegriffen zu werden. Opas Gehilfe, der schweigsame Dale, ist ein bisschen blass geraten, interessanter ist aber sein seit seiner Verzauberung autistisch agierender Bruder, für den er auf eine Erlösung hofft, was sicher ebenfalls noch ausführlich thematisiert wird. Oma Sorensen tritt zwar erst spät in Erscheinung, ist dann aber eine sehr liebenswerte, patente Person mit Sinn für Humor. Überhaupt gibt es etliche lustige Szenen und scharfzüngige Dialoge zwischen den Geschwistern, und die ersten Erfahrungen mit den ungewohnten Wesen sorgen auch für amüsante Momente.

|Nur kleine Schwächen|

Zumindest der erste |Fabelheim|-Roman ist nicht so detailverliebt wie zum Beispiel die Harry-Potter-Bände, in denen die Dichte an wunderbaren Charakteren und immer neuen Entdeckungen kaum ein Ende nimmt. Manche der Kreaturen werden nur kurz gestreift, über ihre Hintergründe erfährt man nicht so viel, wie man es sich wünscht. Ein bisschen nervtötend ist mit der Zeit auch Seth‘ Ungehorsam. Seinen Ausflug in den Wald kann man noch nachvollziehen, die Elfen-Katastrophe vielleicht auch noch, aber sein Verhalten in der Mittsommernacht ist recht unverständlich, vor allem, da er inzwischen am eigenen Leib bereits die Gefahren Fabelheims erlebt hat und gewarnt sein müsste – selbst ein besonders neugieriger Junge dürfte nicht so naiv handeln, daher wirkt sein Verhalten stellenweise eher unrealistisch und konstruiert. Ein bisschen enttäuschend dürfte auch sein, dass man früh über den Geheimbund „Gesellschaft des Abendsterns“ informiert wird, der dann aber doch keine besondere Rolle mehr spielt, sondern erst in den nächsten Bänden ins Geschehen einsteigt.

_Als Fazit_ bleibt ein gelungener Auftakt einer mehrbändigen Fantasyreihe für Kinder und Jugendliche, der vor allem durch eine abwechslungsreiche, spannende Handlung und eine interessante Grundidee besticht. Das Buch lässt sich flüssig lesen, bietet eine ausgewogene Balance zwischen ernsten und lustigen Momenten, sympathische Charaktere und genug Potenzial für die nachfolgenden Bände, die hoffentlich bald auf Deutsch erscheinen. Abgesehen von nur kleinen Mankos ein lesenswertes Buch für Kinder ab etwa zehn Jahren.

_Der Autor_ Brandon Mull stammt aus Connecticut und lebt heute mit seiner Familie in Utah. Schon zu Schulzeiten träumte er davon, eines Tages als Schriftsteller leben zu können. Nach seinem Universitätsabschluss veröffentlichte er den ersten |Fabelheim|-Roman, der ein Bestseller wurde. In den USA sind bereits vier Bände erschienen.

|Originaltitel: Fablehaven
Originalverlag: Aladdin
Aus dem Amerikanischen von Hans Link
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten
ISBN-13: 978-3-7645-3022-8|

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