Peter V. Brett – Das Lied der Dunkelheit

Wann verliert ein Schrecken an Bedeutung? Wie kann man die Angst besiegen, die einen fast lähmt und daran hindert, sich zu wehren? Stehen wir uns manchmal selbst im Weg? Kann es sein, dass das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ doch zutrifft?

Mut zu beweisen, auch wenn der Gegner oder das Hindernis übermächtig erscheint, kann dumm oder fahrlässig sein, vielleicht überstürzt, aber meistens nicht unbedingt sinnlos. Den Mut zu haben, für sich und andere die Dunkelheit zu bekämpfen und damit den Funken für ein kleines bisschen Hoffnung zu schlagen, aus dem ein reinigendes Feuer entstehen kann, ist beachtenswert. Sind Kinder und Jugendliche dabei mutiger als Erwachsene, weil sie die Angst (noch) nicht realisieren können?

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Poe, Edgar Allan / Gruppe, Marc – Untergang des Hauses Usher, Der (Gruselkabinett 11)

Baltimore, 1845: Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit Philipp Belfield und Roderick Usher zusammen zur Schule gingen. Jetzt erreicht Philipp ein Brief seines Jugendfreundes, in dem dieser ihn dringend um einen Besuch bittet. Philipp kommt dem Wunsch gern nach und reist auf den abgelegenen Stammsitz der Familie Usher, der in einem Sumpfland liegt. Er freut sich auf das Wiedersehen, doch schon die Ankunft verläuft merkwürdig.

Der Butler Briggs, den Philipp noch aus früheren Tagen kennt, ist sehr erstaunt über seinen Besuch, denn Roderick hat nichts angekündigt. Damit nicht genug, es wird grundsätzlich seit Jahren kein Besuch im Hause Usher empfangen, sodass die Einladung sehr ungewöhnlich ist. Dazu bittet Briggs Philipp inständig, jedes laute Geräusch zu vermeiden. Die Fenster sind verhangen, die Uhren abgestellt.

Philipp begegnet zunächst Madeline, Rodericks Zwillingsschwester, die ihn gar nicht wiedererkennt und hysterisch bittet, sie zu befreien. Nur langsam beruhigt sie sich und Philipp ist froh, als er endlich zu Roderick gebracht wird. Entsetzt sieht er, dass sein Freund in einem dunklen Zimmer sitzt und sehr elend aussieht. Roderick erklärt ihm, dass ihn ein altes Familienleiden befallen hat, das ihn zur extremen Empfindsamkeit verdammt. Jedes Geräusch und jeder Lichtstrahl quälen seine empfindlichen Sinne. Nur Philipps Gegenwart könne ihm ein wenig Zerstreuung verschaffen. Außerdem behauptet er, dass Madeline dem Wahnsinn nahe sei. Philipp solle ihren Worten auf keinen Fall glauben. Madeline wiederum warnt Philipp vor Roderick und glaubt, sie sei in Lebensgefahr …

_Edgar Allan Poes_ schauerromantische Erzählung aus dem Jahr 1839 bietet eine ideale Vorlage für die Reihe „Gruselkabinett“, die mit viel Mühe klassische Werke der unheimlichen Literatur für Hörer ab dem Jugendalter umsetzt.

|Freie Umsetzung|

Der Kern der Erzählung ist natürlich unverändert geblieben, aber die Vertonung hat einige Anpassungen vorgenommen. Der Butler Briggs existiert nicht in der Vorlage, auch gibt es dort mehr als einen Diener, während im Hörspiel Briggs betont, dass er der einzige verbliebene Bedienstete ist, was den unheimlichen Charakter verstärkt. Madelines Rolle ist in der Vorlage deutlich kleiner, der Ich-Erzähler begegnet ihr erst später, er spricht kaum mit ihr und auch ihre eindringliche Warnung fällt weg, ebenso wie die eindrucksvolle Szene in der Familiengruft. Dass in der Vorlage fast nur der Ich-Erzähler spricht, musste fürs Hörspiel natürlich ohnehin angepasst werden. Insgesamt sind die Veränderungen sehr zu begrüßen, da sie behutsam eingesetzt werden, ohne den Sinn der Vorlage zu entstellen.

|Spannung und Atmosphäre|

Alles beginnt bereits unheilvoll mit dem seltsamen Brief des ehemaligen Jugendfreundes, der fast verzweifelt klingt und schon früh andeutet, dass den Ich-Erzähler Philipp eine schwere Zeit erwartet. Das einsam gelegene Anwesen, der steife, ahnungslose Butler und die verhangenen Fenster beschwören rasch eine intensive düstere Atmosphäre herauf, sodass man der Handlung gebannt folgt. Obwohl als Kammerspiel inszeniert und mit nur sehr wenigen Figuren ausgestattet, wird der Hörer durchweg gefesselt von den offenen Fragen, die sich erst kurz vor Schluss beantworten.

Spannung versprechen vor allem die widersprüchlichen Angaben Rodericks und Madelines. So wie Philipp ist auch der Hörer selbst hin- und hergerissen in der Entscheidung, wem von beiden zu trauen ist und wer womöglich an Wahnvorstellungen leidet. Da ist die hysterische Madeline, die Philipp dringend ermahnt, ihrem Bruder nicht zu glauben, die ihn anfleht, sie aus dem Haus fortzubringen, und ihm in der unterirdischen Gruft ein furchtbares Familiengeheimnis anvertraut. Und da ist auf der anderen Seite Roderick, der sehr glaubwürdig von seiner kranken Schwester erzählt, sodass Philipp zu Recht nicht sagen kann, wem man eher trauen darf. Die Handlung verläuft geradlinig und spitzt sich gleichmäßig zu, ehe sie den brisanten Höhepunkt erreicht. Für Dramatik ist reichlich gesorgt und auch der Gruselfaktor kommt nicht zu kurz.

Der Ich-Erzähler Philipp eignet sich, auch wenn man nicht viele Informationen über ihn erhält, gut als Identifikationsfigur für den Hörer. Er präsentiert sich als offener, sympathischer junger Mann, der sich anfangs ganz unvoreingenommen auf seinen alten Jugendfreund freut und anschließend von den Ereignissen immer mehr überfordert wird. Obwohl er die Geschichte rückblickend erzählt, nimmt er nicht zu viel von der Entwicklung der Geschehnisse vorweg. Madeline und Roderick hinterlassen gemischte Gefühle – Madeline erweckt Mitleid, nachdem sie das grausige Familiengeheimnis erzählt hat, und Roderick ebenso aufgrund seiner Krankheit. Dennoch wagt man nicht, ihnen gänzlich zu vertrauen, vor allem, da sie stets unberechenbar bleiben.

|Gute Sprecher|

Oliver Feld spricht den jungen Ich-Erzähler sehr sympathisch und passt zu dem offenen, humorvollen Philipp Belfield. Seine Stimme kennt man vor allem aus der Titelrolle der Serie „Seinfeld“ und als Dr. Carter in „Emergency Room“. Tobias Kluckert wiederum spricht überzeugend den düsteren Roderick Usher. Er wirkte bereits öfter in der |Gruselkabinett|-Reihe mit, so in „Der Freischütz“ und in „Frankenstein“. Ansonsten synchronisierte er vereinzelt Filme und Serien mit Gerard Butler, Joaquin Phoenix und Kevin McKidd. Claudia Urbschat-Mingues ist eine sehr häufig gewählte Synchronsprecherin, unter anderem als deutsche Stimme von Angelina Jolie und Jennifer Connelly. Zu ihr passen ausdrucksstarke Rollen, allerdings liegt sie mit der Theatralik der hysterischen Madeline teilweise schon hart an der Grenze zum Übertriebenen. Umso schöner sind die musikalischen Untermalungen, die angenehm dezent gehalten sind.

|Kaum Schwächen|

Abgesehen von Kleinigkeiten ist die Umsetzung sehr gelungen. Dazu gehört etwa die ein wenig zu schwülstige Sprache. Natürlich wird hier der Vorlage gefolgt, denn Edgar Allan Poe ist für diese Schnörkeleien bekannt, trotzdem hätten die Dialoge ein bisschen weniger gestelzt gestaltet werden können. Der zweite kleine Punkt ist, dass Philipp ein bisschen zu unbedarft auf die seltsamen Ereignisse im Hause Usher reagiert. Schon allein das Verhalten des Butlers und dessen dunkle Andeutungen hätten ihn sehr misstrauisch machen müssen, und es dauert ein Weilchen, ehe er seine Naivität ablegt.

_Als Fazit_ bleibt eine gelungene Hörspielumsetzung von Edgar Allan Poes Erzählung, die mit guten Sprechern, intensiver Atmosphäre und viel Spannung aufwarten kann. Die Veränderungen gegenüber der Vorlage sind sehr sinnvoll und ändern nichts am Kern der Geschichte. Von ganz kleinen Punkten abgesehen eine sehr empfehlenswerte Folge.

_Sprechernamen:_

Philipp Belfield: O. Feld
Roderick Usher: T. Kluckert
Madeline Usher: C. Urbschat-Mingues
Briggs: K. Eichel

_Der Autor_ Edgar Allan Poe lebte von 1809 bis 1849. Der amerikanische Schriftsteller gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Kriminal- und Horrorliteratur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Morde in der Rue Morgue“, „Metzengerstein“, „Die Grube und das Pendel“, „Die Maske des Roten Todes“ und das Gedicht „Der Rabe“.

|Originaltitel: The Fall of the House of Usher, 1845
60 Minuten auf 1 CD|

Home – Atmosphärische Hörspiele


http://www.luebbe-audio.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Die obere Koje“ 5804 (Gruselkabinett 34)

Fielding, Joy – Katze, Die

Die alleinerziehende Mutter Charley ist Journalistin und mit ihrer humorvoll-frivolen Kolumne „Charlotte’s Web“ erfolgreich, auch wenn sie oft Kritik für die oberflächlichen Themen einstecken muss. Überraschend erhält sie einen Brief der verurteilten Mörderin Jill Rohmer, die drei Kinder brutal ermordet haben soll und in der Todeszelle sitzt. Jill entpuppt sich als Fan von Charley und bietet ihr exklusiv ihre Geschichte an, damit Charley ein Buch schreiben kann. Dabei will Jill, die im Prozess die Aussage verweigerte, angeblich eine ganz neue Sicht der Geschehnisse offenbaren.

Charley ist zunächst entsetzt und angewidert, lässt sich aber dennoch auf ein Treffen ein, begleitet von Jills Anwalt Alex Prescott. Wider Willen findet sie Jill sogar sympathisch und sehr viel harmloser als gedacht. Nach einigem Zögern erklärt sie sich schließlich bereit, das Buch zu schreiben. Jill will ihr in Briefen und persönlichen Interviews ihr Leben erzählen, und Charley ist trotz ihrer Vorbehalte gespannt auf die Enthüllungen.

Zur gleichen Zeit aber treffen wiederholte E-Mails bei ihr ein, die sie bedrohen. Der anonyme Schreiber beschimpft sie als Schundschreiberin und kündigt gar die Ermordung ihrer Kinder an. Charley informiert die Polizei und hofft, dass es sich nur um einen Wichtigmacher handelt. Während sie sich langsam auch auf privater Basis Alex Prescott annähert, enthüllt Jill, dass sie von ihrem Ex-Geliebten „Jack“ zur Beihilfe am Mord gezwungen worden sei. Nur aus Angst habe sie seine Identität bisher verschwiegen. Charley fürchtete zunehmend, dass „Jack“ wirklich existiert – und es vielleicht sogar auf sie und ihre Kinder abgesehen hat …

_Die Ausgangslage_ ist recht typisch für Joy Fieldings Werke: Eine Frau mit Kindern und familiären Problemen gelangt in eine bedrohliche Situation und muss schließlich um ihr Leben fürchten. Trotzdem handelt es sich hier um einen ihrer besseren Romane, der sich in einigen Punkten vom Einheitsbrei abhebt.

|Weitgehend spannend|

Im Gegensatz zu manch anderem Werk von Joy Fielding gibt es hier keine Ich-Erzählerin, und somit muss man zumindest theoretisch auch um das Leben der Protagonistin bangen. Bis dahin ist es aber ein langer Weg, denn zunächst liegt der Fokus auf Jill Rohmers Enthüllungen. Als scheinbar fröhliche und kinderliebe Babysitterin hatte sie bei den beiden Familien angeheuert und ihre Schützlinge kurz hintereinander entführt, brutal misshandelt und qualvoll getötet. Die Beweise sind erdrückend: DNA-Spuren an den Körpern, kein Alibi und Tonbänder, die nicht nur die Schreie der Kinder, sondern auch Jills Stimme enthalten.

Dennoch hat Charley nach kurzer Zeit schon Zweifel, ob Jill nicht vielleicht nicht die Haupttäterin war. Nicht nur, dass sie viel mädchenhafter und harmloser erscheint, als sie es sich vorgestellt hätte, sie findet sie beinah sympathisch, und es klingt immer glaubwürdiger, dass sie nur aus Angst vor ihrem psychopathischen Exgeliebten vor Gericht geschwiegen hat; auch ihr Anwalt ist von „Jacks“ Existenz überzeugt. Je tiefer Charley in Jills Leben eintaucht, desto stärker fühlt sie sich hin- und hergerissen. Einerseits traut sie Jill die schrecklichen Morde nicht zu, andererseits gibt es auch belastende Aussagen ihrer Familie und Exfreunde, und so ist es für den Leser spannend zu verfolgen, was man noch alles über Jill erfährt.

Im weiteren Verlauf sorgen die Drohmails für Brisanz. Es verdichtete sich der Verdacht, dass „Jack“ hinter ihnen steckt – aber handelt er gegen Jills Wissen und Willen oder stachelt sie ihn womöglich dazu an? Oder ist es womöglich doch nur ein wutentbrannter Leser, der sich, wie nicht wenige andere, an ihren intimen Themen und dem flapsigen Schreibstil stört? Die Polizei kommt mit ihren Ermittlungen auch nicht weiter, da die Mails natürlich von verschiedenen öffentlichen Computern kommen.

|Interessante Charaktere|

Charleys Privatleben wird ein sehr großer Raum in der Handlung gewidmet. Da ist zum einen das zerrüttete Familienverhältnis. Vor über 20 Jahren verließ ihre Mutter Elizabeth die Familie, weil sie ihre Liebe zu Frauen entdeckte und mit ihrer Freundin nach Australien zog. Jetzt ist sie zurück und hofft auf einen Neuanfang, doch außer Charley ist keine ihrer beiden Schwestern und auch weder ihr Bruder Bram noch ihr Vater zu einem Treffen bereit. Immer wieder versucht Charley zu vermitteln, auch wenn sie selbst ihrer Mutter noch nicht ganz verziehen hat, scheitert aber, zumal sie ebenfalls kein allzu gutes Verhältnis zum Rest der Familie besitzt.

Nächster Punkt sind ihre Schwierigkeiten mit Männern. Charley ist unverheiratet und bisher kein Typ für lange Beziehungen, auch wenn sie zu den Vätern ihrer beiden Kinder ein recht gutes Verhältnis hat. Im Verlauf der Handlung lässt sie sich mit Alex Prescott ein, was Jill mitbekommt und merkwürdig reagieren lässt, und auch ein weiterer Mann spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Jills Schilderungen ihrer Kindheit werfen in Charley zudem die Frage auf, inwieweit Psychopathen von ihrer Umwelt geformt werden. Zwischenzeitlich ertappt sie sich dabei, die Geschichten von Inzest und Gewalt in der Familie beinah als Entschuldigung zu sehen, obwohl sie andererseits genau weiß, dass keine Erfahrung einen Menschen zwingend zu einem Mörder macht.

|Ein paar Schwächen|

Zum einen dürfte es vor allem eingefleischte Thrillerfans stören, dass Charleys Familienprobleme beinah einen größeren Raum einnehmen als die eigentliche Spannungshandlung. Es gibt viele Szenen, in denen gestritten wird, Charley sich an ihre Kindheit erinnert, vergeblich versucht, Treffen zu arrangieren, und man sich natürlich auch ausspricht und versöhnt, inklusive dem typisch amerikanischen „Ich liebe dich“, das sich Kinder und Mutter zuhauchen.

Da vergisst man zeitweise beinahe, dass es eigentlich um eine Mörderin geht und nicht um ein Familiendrama. Zum anderen kommt das Finale etwas überhastet; wie aus dem Nichts heraus schweben Charleys Kinder in Gefahr, und im Vergleich zur vorher ausufernden Handlung verläuft alles sehr schnell, beinah so, als hätte die Autorin eine gewisse Seitenzahl als Maximum vorgegeben gehabt. Die Identität des Täters ist nicht so überraschend, wie es sein sollte, weniger wegen geschickter Andeutungen – davon gibt es nämlich zu wenige -, sondern eher, weil es zum konventionellen Thriller-Schema passt. Vor allem wer schon mehrere Joy-Fielding-Romane gelesen hat, dürfte nicht wirklich überrascht werden. Letzter störender Punkt ist der Zufall, der es Charley ermöglicht, herauszufinden, wer hinter den E-Mails steckt und ihre Kinder bedroht. Ein Beweis fällt ihm im Wortsinn direkt in die Hände, was den hastigen Verlauf des Finales noch verstärkt – ein bisschen mehr Einfallsreichtum wäre schön gewesen.

_Als Fazit_ bleibt ein insgesamt solider Frauenthriller über eine Journalistin, die in Kontakt mit einer verurteilten Kindermörderin gerät. Die Handlung ist weitgehend spannend, die Charaktere sind nicht uninteressant, allerdings überwiegen zeitweise die privaten Probleme gegenüber dem Thrilleraspekt und das Ende kommt zu plötzlich und ist ein wenig konstruiert. Leicht zu lesen und unterhaltsam, aber kein Highlight.

_Die Autorin_ Joy Fielding, geboren 1945 in Toronto, Kanada, hatte bereits in ihrer Kindheit großes Interesse am Schreiben. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie englische Literatur und arbeitete eine Weile als Schauspielerin. 1991 gelang ihr mit dem Roman „Lauf, Jane, lauf“ der internationale Durchbruch. Seitdem landen ihre Frauenthriller regelmäßig auf den Spitzenpositionen der Bestsellerlisten. Weitere Werke sind u. a. „Sag Mammi goodbye“, „Ein mörderischer Sommer“, „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ und „Tanz, Püppchen, tanz“.

|Originaltitel: Charley’s Web
Übersetzung: Kristian Lutze
477 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-442-31154-5|
http://www.joyfielding.com
http://www.goldmann-verlag.de

_Joy Fielding auf Buchwurm.info:_

[„Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ 556
[„Träume süß, mein Mädchen“ 4396
[„Nur der Tod kann dich retten“ 4933

Hansen, Matthew Scott – Schwarzes Dickicht

_Das geschieht:_

Noch vor drei Jahren war Tyler Greenwood als Führungskraft eines aufstrebenden Software-Unternehmens eine respektierte Autorität. Dann begegnete er auf einem Wanderausflug in der Wildnis des US-Staats Idaho dem legendären „Bigfoot“, jenem urzeitlichen Affenwesen, das sich angeblich seit der Eiszeit in den dichten Wäldern Nordamerikas verbirgt. Tyler hing sein Erlebnis an die große Glocke und erntete Hohn & Spott. In den nächsten Jahren jagte er ebenso geldaufwendig wie vergeblich die Kreatur, heuerte sogar als Forstmann an und setzte seine Ehe aufs Spiel.

Mit seiner Familie lebt Tyler im Städtchen Snohomish, Washington. Dort untersuchen Mac Schneider und Karl Carillo, Detectives für das County Sheriff’s Department, das mysteriöse Verschwinden zweier waldwandernder Rechtsanwälte. Dass Mac dabei auf die Fußspur eines gigantischen Wesens stößt, hält er lieber geheim. Doch eindeutig geht Seltsames vor: Schwere Autos werden umgestoßen, weitere Menschen verschwinden. Durch den Wald tappt ein schattenhafter Schrecken, der nicht nur mordet, sondern dabei auch eine zielstrebige Intelligenz an den Tag legt.

Ben „Eagleclaw“ Campbell, der als Film-Indianer vom Dienst sein Geld in Hollywood verdient, kennt die Kreatur, seit er ihr Anno 1945 nur um Haaresbreite entkam. Das Wissen seiner Vorfahren ermöglicht ihm den geistigen Rapport mit dem Ungeheuer. Ben erkennt, dass es einen mörderischen Feldzug gegen die Menschen plant. Er reist nach Snohomish, um es zu stoppen. Kris Walker, eine junge, schöne und ehrgeizige TV-Reporterin, komplettiert die kleine Gruppe der ungleichen Monsterjäger, die sich zusammenraufen, um sich nur allzu bald in der Rolle von Gejagten wiederzufinden …

_Der Affe, der nicht sterben will_

Der Homo sapiens ist seit jeher eine unbarmherzig tüchtige Spezies. Wer ihm bei der Besiedlung dieses Planeten in die Quere kam, wurde aus dem Weg geräumt. Dies schloss weniger erfolgreiche Prototypen des Menschen durchaus ein. Dass der Neandertaler so ein Pechvogel war, wird heute nicht nur vermutet. Aber da gab es andere Vorfahren und Verwandte, die geistig & körperlich deutlich simpler gebaut waren und trotzdem viele Jahrtausende recht erfolgreich ihr Leben fristeten. Was geschah mit ihnen?

Spökenkieker und Spinner ‚wissen‘ längst, dass sie dorthin entwischt sind, wo sie ihr Nachfahre nicht so leicht erwischte. Sie ziehen über endlose Steppen, kraxeln auf hohe Berge und brechen durch tiefe Wälder. Dort munkeln sie als „Alma“ (Mongolei), „Yeti“ (Himalaja), „Bigfoot“ (USA) oder „Sasquatch“ (Kanada) umher und schaffen es trotz ihrer Primitivität erstaunlich erfolgreich, sich selbst modernen Spürgeräten zu entziehen.

Dass dies eventuell auf ihr Nichtvorhandensein zurückzuführen ist, behaupten natürlich nur wissenschaftshörige Spielverderber. Matthew Scott Hansen steht mit anderthalb Füßen im Lager der Gläubigen. Er hat ausgiebig über das Thema Bigfoot recherchiert und präsentiert ein Destillat aus entsprechenden Ergebnissen in einem umfangreichen Nachwort sowie auf seiner Website. (Die Feigheit der von der Beweislast scheinbar erdrückten Forschung geißelt Hansen mit der Figur eines Anthropologen, der nur hinter verschlossener Tür zugibt, dass es den Bigfoot gibt, aber die öffentliche Verlautbarung verweigert, um seiner Stellung und seiner Fördermittel nicht verlustig zu gehen.) Mit sensationellen Neuigkeiten oder gar überzeugenden Fakten kann auch er nicht dienen, weshalb wieder einmal der ‚gesunde Menschenverstand‘ und die Fantasie als Lückenbüßer einspringen müssen.

_Ein Monster macht mobil_

Der klassische Bigfoot ist ein eher scheues Lebewesen, das sich nur bedingt für einen Roman eignet, wie Hansen ihn plante. Er verwandelt den friedlichen Waldbewohner in eine mordende Bestie, die dreieinhalb Meter hoch, nashornschwer und trotzdem pfeilschnell über seine Opfer kommt. Als ‚Motiv‘ fungiert Rache, denn böse Modern-Menschen haben ihm versehentlich die Sippe ausgerottet, was zum Auslöser eines Ein-Monster-Krieges wurde, der gegen Wanderer und Waldrand-Bewohner geführt wird.

Es dauert seine Zeit, bis dies publik wird, denn der Bigfoot ist schlau. Hansen nutzt die Gelegenheit, seine Leser mit diversen Theorien bekannt zu machen, die das erfolgreiche Schattendasein seiner Spezies ‚erklären‘. So soll Bigfoot achtsam seinen Müll vergraben, und über einen siebten Sinn, der ihm das Nahen von Beute oder Feinden verrät, verfügt er außerdem. Auf menschlicher Seite sind es vor allem die nordamerikanischen Indianer, jene von den Gutmenschen dieser Welt in die Rolle des ewigen Naturkinds gedrängten Ureinwohner, die über ein ähnliches Ohr zur Geisterwelt verfügen.

Bigfoots Feldzug beginnt recht schlüssig, bis er – der Grund wird nie wirklich deutlich – eine Privatfehde mit Tyler Greenwood & Co. vom Zaun bricht. Nun legt er die Hollywood-Schläue des waschechten Psychopathen an den Tag und ist genauso schwer umzubringen. Ein feuriges Finale unter Blitz-und-Donner-Himmel und mit Kindern in Gefahr ist die logische Folge.

_Trivial schlägt realistisch_

Wenn wir es bisher nicht wussten, ist es jetzt amtlich: „Schwarzes Dickicht“ ist Horror-Trash der Handelsklasse A: Klischee reiht sich an Klischee, Originalität ist noch schwieriger zu erwischen als der Bigfoot, und sollte der Leser zwischendurch hundert Seiten überspringen, so fällt der Anschluss ans Geschehen trotzdem kinderleicht.

Erstaunlicherweise stört das weit weniger als ein exzessiv ausgewalzter Mittelteil, in dem die Handlung auf der Stelle tritt und aus welcher Bigfoot sogar passagenweise verschwindet, um Liebesränken und anderen Als-ob-Konflikten Platz zu machen. Das hätte Hansen sich und seinen Lesen ersparen können, denn obwohl „Schwarzes Dickicht“ kühl kalkuliertes Lesefutter ist, stimmt die Mischung seiner Bestandteile. Hansen kann schreiben, er hat ein Gespür für gut konstruierte Spannungsszenen (die ihre Verfilmung bereits vorwegnehmen.), und er nimmt sein Garn glücklicherweise nie bierernst. Trockener Humor und drastische Effekte scheut er nicht. Es wird gemetzelt, dass die Fetzen buchstäblich fliegen.

Zumindest diesen Bogen überspannt Hansen freilich. Eine unfreiwillig komische Sex-Szene und eine ebenso ekelhafte wie überdeutlich als lukrativer Tabubruch gedachte Vergewaltigung markieren die Grenzen seines Talents. Ein regelrechtes Trommelfeuer von Happy-Endings hätte ebenfalls nicht sein müssen; Hansen scheint sich von seiner Geschichte einfach nicht trennen zu können.

_Figuren aus der Retortenkammer_

Ein weniger erfreuliches Kapitel ist die Hansensche Figurenzeichnung. Hier schlägt der Trashfaktor ungebremst durch, denn wir finden sämtliche Pappkameraden des Genres: den redlichen, aber tragisch aus der Bahn geworfenen Durchschnittsmann; seine unverständig harmoniesüchtige Gattin, ihre kulleräugigen Kinder (= Nägelkau-Reserve, wenn das Monster im Haus des Helden auftaucht und seine Familie bedroht); den harten, aber smarten Cop plus seinen noch härteren, aber begriffsstutzigen Partner; die nicht nur publicitygeile Reporterin, die über Leichen geht (und viel zu gleichberechtigt ist, weshalb sie ganz besonders hässlich enden muss); sowie kerniges US-Landvolk in Flanellhemd und Truck, fiese Rednecks, den knarzigen Kleinstadt-Sheriff und viele, viele andere Schießbudenfiguren, die ein Stephen King in echte Charaktere zu verwandeln wüsste.

Im Fall von Ben „Eagleclaw“ Campbell hat Hansen versucht, die aufdringlichsten Klischees zu brechen, indem er aus dem weisen Schamanen einen kettenrauchenden Film-Indianer machte. Manitus Gedankenbrücke zum ebenfalls hellhirnigen Bigfoot ist allerdings noch immer so breit, dass sämtliche Inkarnationen pseudo-mythologischer Einfalt sie problemfrei nebeneinander beschreiten könnten.

Es sei ein letztes Mal wiederholt: Trotz seiner Mängel kann dieser Roman für sich einnehmen. Hansen ist konsequent, er kann unterhalten, und sollte er – z. B. als Missionar der Bigfoot-Fraktion – weitere Intentionen mit seinem Werk verbinden, ist er glücklicherweise zu ungeschickt, um dem glaubwürdig Ausdruck zu verleihen.

_Der Autor_

M. S. Hansen wurde 1953 im US-Staat Oregon geboren und wuchs im Staat Washington auf. Er studierte an der Washington State University und nahm an diversen Kursen über kreatives Schreiben teil. Nach seinem Abschluss begab er sich auf die traditionelle Ochsentour noch verpuppter Schriftsteller, d. h. er versuchte sich als normaler Arbeitnehmer. Als solcher wechselte er – auch dies ist offenbar Brauch – von Job zu Job.

Unter anderem leitete Hansen in Seattle eine Firma, die Werbespots für das Radio produzierte. Dort lernte er den Stimmenimitator Bill Fitzhugh kennen, der sein Freund und Partner wurde. Das Duo versuchte sich als Komiker und wechselte später nach Hollywood, wo es Arbeit beim Fernsehen fand. Die Partnerschaft währte 15 Jahre.

Hansen blieb in Kalifornien und schrieb einen Spannungsroman. „The Shadowkiller“ (dt. „Schwarzes Dickicht“), sein Erstling, erschien 2007 und wurde zum recht erfolgreichen Auftakt einer Schriftstellerkarriere, die Hansen fortzusetzen gedenkt.

Website: http://www.matthewscotthansen.com

Einen vorzüglichen (oder erschreckenden …) Blick auf die Welt der Bigfoot-‚Forschung‘ ermöglicht: http://www.oregonbigfoot.com

_Impressum_

Originaltitel: The Shadowkiller (New York : Simon & Schuster 2007)
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 36916)
592 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-36916-4
http://www.blanvalet.de

MacBride, Stuart – Blut und Knochen

_Das geschieht:_

Der neue Fall für Detective Sergeant Logan McRae von der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen ist ein recht unappetitlicher: In einem Container, der Gefrierfleisch für die Besatzung einer Ölbohrinsel enthält, wurden Teile mindestens eines fachgerecht zerwirkten Menschenkörpers entdeckt. Als die Metzgerei, die das Fleisch lieferte, von der Polizei durchsucht wird, finden sich dort weitere für den Verzehr vorbereitete Leckereien eindeutig menschlicher Herkunft.

Der Fund weckt Erinnerungen an die Taten des „Fleischers“, eines Serienkillers, der vor zwanzig Jahren Ehepaare daheim überfiel, entführte, ermordete und zerlegte. Als Hauptverdächtiger galt der Metzger Ken Wiseman, der allerdings aufgrund schwerwiegender Verfahrensfehler nach kurzer Haft auf freien Fuß gesetzt werden musste – eine Niederlage, die Detective Inspector Insch, damals ermittelnder Beamter und heute McRaes Vorgesetzter, noch heute zu schaffen macht.

Deshalb stürzt sich Insch mit Verve in die neue Fahndung nach dem alten Bekannten, denn der Metzger, in dessen Kühlkammer das menschliche Bratfleisch lagerte, beschäftigte seinen Schwager: Ken Wiseman! Der ist freilich untergetaucht, bevor ihn die Polizei festnehmen konnte, und verfällt in einen Blutrausch, der ihn die Peiniger von einst verfolgen lässt. Auch Insch und seine Familie geraten in Wisemans Gewalt.

McRae entdeckt zu allem Überfluss, dass der wieder aufgetauchte „Fleischer“ niemals Wiseman war. Damals wie heute spielt/e der Trubel dem tatsächlichen Täter in die Hände: Während die Polizei Wiseman verfolgte, konnte und kann der „Fleischer“ in aller Ruhe seinem Mordtrieb nachgeben. Jetzt agiert er noch weitaus perfider als früher, denn er schlachtet nicht alle Opfer; die Pechvögel sperrt er in sein Labyrinth ein und füttert sie mit den Resten ihrer Mitgefangenen …

_Mahlzeit!_

Schon die keltischen Skoten und Pikten waren wilde Völker, die von den Römern nur zu bändigen waren, indem sie Schottland vom Rest der britischen Hauptinsel durch den Hadrianswall trennten. Nachdem diese Grenze gefallen war, setzte ein Jahrhunderte währendes Hauen & Stechen ein, dem Mel Gibson mit „Braveheart“ ein in allen grausigen Details liebevoll gezeichnetes Filmdenkmal setzte.

Dem möchte der schottische Autor Stuart MacBride nun offenbar nachstreben, und auch er bedient sich quasi filmischer Methoden, um seiner Schauermär vom serienmordenden „Fleischer“ die nötige Durchschlagskraft zu verschaffen. Der wirkt wie einem Horrorfilm vom Kaliber einer „Splatter“-Granate wie „Texas Chainsaw Massacre“ entsprungen, auch wenn er – MacBride ist ein Witzbold; dazu später mehr – hier die Maske der „Eisernen Lady“ Margareth Thatcher trägt, die England als Premierministerin von 1979 bis 1990 regierte und – nach Ansicht ihrer Kritiker – terrorisierte.

Schon die ersten drei Bände der Logan-McRae-Serie zeichneten sich durch drastisch dargestellte Gräueltaten und -szenen aus. Dieses Mal übertrifft sich MacBride mit den ausgemalten Schauerlichkeiten nicht nur selbst: Er treibt es auf die Spitze und geht oft noch ein gutes Stück weiter. Das muss man wissen, wenn man zur Lektüre von „Blut und Knochen“ ansetzt, die empfindliche Naturen überfordern und zur Kritik herausfordern könnte.

_Ein grimmiges Vergnügen_

Wovon sich der wagemutige Leser nicht abschrecken lassen sollte, weil ihm – oder ihr – ein sicherlich politisch nicht korrekter, aber sowohl spannender als auch witziger Krimi entginge. Hinter dem vordergründigen Blutbad steckt ein mehrschichtiger Plot. Die Jagd nach dem „Fleischer“ ist „Whodunit“ und „police procedural“; wer sich hinter der Maske verbirgt, bleibt viele hundert Seiten unklar. Zwar hat der Leser keine reale Chance, die Identität des „Fleischers“ zu erraten, weil ihm entsprechende Indizien vorenthalten werden. Das wird dem Verfasser allerdings kaum jemand zum Vorwurf machen, weil dieser die lange vergebliche Fahndung so spannend in Szene zu setzen weiß.

Die Polizei steht unter Druck, der von den Vorgesetzten durch die Ränge nach unten weitergegeben wird und sich dabei verstärkt. Politik und Medien sind rasch mit dem Urteil „unfähig“ bei der Hand; sie ignorieren die Schwierigkeiten einer Ermittlung mit zwanzigjähriger Vorgeschichte, die eine Chronik menschlicher Verfehlungen darstellt. Diesen Knoten zu entwirren, bedarf seiner Zeit. Logan McRae wäre dies vermutlich weitaus früher gelungen, doch er ist gleich mehrfach gehandicapt.

MacBride schildert die Grampian Police als sympathische, aber unorganisierte Truppe. Überarbeitung und mangelhafte Ausrüstung fordern ebenso wie Kompetenzrangeleien ihren Tribut. Dass dieses Mal die Schere zwischen Herausforderung und polizeilichem Alltag besonders weit klafft, verdeutlicht MacBride, indem er immer wieder von der Ermittlung ins unterirdische Labyrinth des „Fleischers“ umblendet, in dem eine weibliche Gefangene allmählich den Verstand verliert. Hier ist der Verfasser sozusagen deckungsgleich mit dem „torture porn“ des modernen Horrorfilms à la „Hostel“ oder „Saw“, aber ihm gelingt, was er erreichen will: Dem Leser wird eindringlich klar, dass jede Sekunde zählt.

_Was schiefgehen kann …_

Auch ohne den „Fleischer“ wirkt das Leben des Logan McRae wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Von seiner Freundin Jackie hat er sich inzwischen getrennt, aber sie, die ebenfalls Polizistin ist, vermag sich unter Ausnutzung des Dienstwegs bitter zu rächen. Weiterhin ist McRae Diener zweier unberechenbarer Herrn; zwischen dem cholerischen Insch und der chaotischen Detective Inspector Roberta Steel wird er förmlich zerrieben, da die beiden zudem verfeindeten Vorgesetzten nur die Dreistigkeit eint, mit der sie den gutmütigen McRae in die Zange nehmen.

Murphy’s Law spielt eine große Rolle in den McRae-Romanen. So sicher wie nie hält der Verfasser in „Blut und Knochen“ die Balance zwischen Komik und Tragik. Zwerchfellerschütternde Episoden wechseln abrupt mit dramatischen Szenen, bei denen dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt. Dabei genießen auch prominente und beliebte Hauptfiguren keinen Bestandsschutz; dieses Mal ist es DI Insch, den MacBride beruflich wie privat in die Hölle stürzt.

Ohnehin verwischt der Verfasser unablässig die Grenze zwischen „gut“ und „böse“. Ken Wiseman wurde durch einen übereifrigen Polizisten in die Rolle des „Fleischers“ gedrängt, sein Leben dadurch zerstört. Als genau dies zum zweiten Mal geschieht, dreht er durch. Man versteht ihn, aber es entschuldigt nicht seine Taten – zumal MacBride mit einer gelungenen Volte Wisemans Rolle plötzlich neu definiert.

Überhaupt ist MacBride ein Meister unerwarteter Wendungen. Sie ergeben sich aus dem Geschehen und wirken nicht aufgesetzt. Wie es sich für einen gelungenen Krimi ziemt, wischt die tatsächliche Auflösung alle bisherigen Theorien vom Tisch. Für die Taten des „Fleischers“ gibt es ein Motiv – und das immerhin lässt MacBride im „Whodunit“-Stil durchblicken; man muss das zwischen geschickt gezündeten Nebelkerzen nur erkennen …

_Krimi mit Multimedia-Ansätzen_

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen ehrbaren und überforderten Polizisten und skrupellosen Journalisten ist ein Stützpfeiler des gedruckten und verfilmten Krimis. MacBride weiß auch aus diesem Klischee Funken zu schlagen. Der Sturmlauf der Presse gewinnt groteske Züge, nachdem der Verdacht – mehr ist es nie – aufkommt, der „Fleischer“ habe Menschenfleisch in den Handel einschleusen können. Die daraus resultierenden Schlagzeilen führt uns der Verfasser buchstäblich vor Augen: Verschiedene Kapitel von „Blut und Knochen“ werden durch Kollagen eingeleitet, die Ausschnitte fiktiver Zeitungsartikel präsentieren. Sie enthalten sogar Fotos, auf denen MacBride zum Teil Schauspieler agieren ließ. Diese Schnipsel – die übrigens für die deutsche Ausgabe übersetzt und neu layoutet wurden – verdeutlichen das Tohuwabohu einer privatisierten, globalisierten, abgestumpften Gesellschaft ebenso traurig wie perfekt.

Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, ob und wie MacBride den einmal eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen möchte. Bisher ist es ihm immer noch gelungen, der Schraube eine Umdrehung mehr zu geben. Mit „Blut und Knochen“ scheint das Ende dieser Fahnenstange und die Grenze zur (gewollten?) Parodie erreicht zu sein, aber MacBride ist wie gesagt stets für eine Überraschung gut …

_Der Autor_

Stuart MacBride wurde im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website www.stuartmacbride.com, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Die Logan McRae-Serie erscheint im Wilhelm Goldmann Verlag:

(2005) Die dunklen Wasser von Aberdeen („Cold Granite“) – TB 46165
(2006) Die Stunde des Mörders („Dying Light“) – TB 46262
(2007) Der erste Tropfen Blut („Broken Skin“) – TB 46574
(2008) Blut und Knochen („Flesh House“) – TB 47029
(2009) „Blind Eye“ (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: Flesh House (London : HarperCollinsPublishers 2008/New York : Minotaur Books 2008)
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 47029)
Übersetzung: Andreas Jäger
511 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-47029-7
http://www.goldmann-verlag.de

_Mehr von Stuart MacBride auf |Buchwurm.info|:_

[„Die dunklen Wasser von Aberdeen“ 2917
[„Die Stunde des Mörders“ 3739
[„Der erste Tropfen Blut“ 4940

McCammon, Robert R. – Unschuld und Unheil

1964 in der Kleinstadt Zephyr in Alabama, tiefster Süden der USA: Der zwölfjährige Cory verbringt hier eine bislang idyllische Kindheit. Seine besten Freunde sind der pummelige Ben, der nachdenkliche Johnny und der draufgängerische Davy, nicht zu vergessen natürlich Corys geliebter Hund Rebell. Eines Morgens begleitet Cory seinen Vater auf dessen Tour bei der Milchauslieferung. Am düsteren See Saxon’s Lake schießt plötzlich ein Auto aus dem Wald an ihnen vorbei und stürzt hinein. Corys Vater springt hinterher und versucht, den Fahrer zu retten, doch vergeblich. Tatsächlich ist der Mann bereits tot, sein Gesicht von Schlägen gezeichnet, eine Schlinge um den Hals und an das Lenkrad gekettet. Corys Vater kann nicht verhindern, dass der Wagen mitsamt der Leiche im See unrettbar versinkt.

Der einzige Hinweis auf den Toten ist eine seltsame Tätowierung, die Corys Vater erkannt hat, doch der Sheriff findet keinen passenden Vermissten. Cory hat während der Rettungsaktion seines Vaters eine Gestalt am Ufer gesehen, die eine grüne Feder verloren hat, und ist überzeugt davon, dass diese Person darin verwickelt ist. Auch sein Vater hat das Erlebnis nicht verkraftet. Immer stärker plagen ihn Alpträume und die Frage, ob der Mörder aus ihrer behüteten Stadt kommt.

Nicht nur die Suche nach der Gestalt mit der Feder begleitet Cory in diesem Sommer. Da sind auch die unheimlichen Legenden über Old Moses, das Ungeheuer aus Saxon’s Lake, die geheimnisvolle uralte Voodoo-Lady aus dem Schwarzen-Viertel, schlicht „die Dame“ genannt, deren Visionen Cory noch manches Mal helfen werden, seine erste Kurzgeschichte und ein nächtlicher Campingausflug mit seinen Freunden, der ihn einem Geheimnis gefährlich nahe bringt. Zwischen all den schönen Erlebnissen lauert der Tod, und Cory spürt bald, dass er das Schicksal des Toten im See klären muss, um sich und das Leben seines Vaters zu retten …

_Das Ende der idylllischen Kindheit_ hat mit Werken wie Stephen Kings „Es“ und „Die Leiche“ („Stand by me“), Ray Bradburys „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ sowie Dan Simmons „Sommer der Nacht“ großartige Werke der modernen Literatur hervorgebracht, und besonders die Kombination mit Horror erzielt diesen wunderbaren Effekt, den auch „Unschuld und Unheil“ voll für sich beanspruchen kann.

|Dichte Atmosphäre, gelungene Charaktere|

Robert R. McCammon gelingt es großartig, eine verzaubernde Stimmung zu kreieren. Nicht erst im Nachwort, in dem sich der Autor bei allen möglichen Schauspielern und Autoren bedankt, wird offenkundig, dass er sich bei Corys Kindheit stark von seiner eigenen beeinflussen ließ, denn immer wieder werden typische Bücher, Zeitschriften, Filme und TV-Serien der sechziger Jahre erwähnt. Von Anfang an wird der Leser hineingesogen in die beschauliche Kleinstadt Zephyr, in welcher der damals zwölfjährige Cory eine behütete Kindheit führt. Es ist ein verschlafenes Städtchen, in dem sich die Bürger untereinander gut zu kennen glauben und das doch in jenem Sommer eine Vielzahl von Geheimnissen preisgibt.

Corys Kindheit lädt zum Identifizieren ein, sowohl für jene, die ähnliche Erinnerungen haben, als auch für solche, die davon träumen. Cory ist ein in vielerlei Hinsicht typischer Junge kurz vor seinem zwölften Geburtstag, der Abenteuer liebt, Gruselfilme schaut, spannende Bücher verschlingt, mit seinen Freunden durch die Natur streift, Baseball spielt und per Fahrrad durch Zephyrs Straßen prescht. Dazu liebt er es, Geschichten zu erzählen, die andere Menschen trösten oder ablenken und in diesem Sommer wird er eine ganz besondere Kurzgeschichte schreiben.

Besonders faszinierend sind die vielen kleinen Zwischenspiele, die der Autor in die Haupthandlung, die sich um den Toten im See dreht, einflechtet: Da sind die Übernachtung bei Corys Freund Ben, die ihm mehr über dessen Eltern verrät, als ihm lieb ist; der lispelnde Nemo, der Neuling in der Stadt, hinter dessen schmächtigem Körper sich ein ungeahntes Talent verbirgt; das Hochwasser, in dem Cory das legendäre Monster Old Moses leibhaftig zu Gesicht bekommt; Corys Hund Rebell, dem ein trauriges und doch zugleich schönes Schicksal bevorsteht; da sind die Schulschläger Gordo und Gotha, die zum ersten Mal Gegenwehr erleben; der Ku-Klux-Clan, der sein Unwesen treibt; Miss Grace und ihr verrufenes Vergnügungshaus; die junge Frau im Wald, die Cory zum ersten Mal ins Schwärmen bringt; und da ist der Jahrmarkt, dessen angebliche Saurierattraktion noch für eine Menge Aufruhr in Zephyr sorgen wird. Viele der Episoden scheinen unabhängig von der Haupthandlung zu bestehen, kleine Momente im Leben eines Jungen, der zum ersten Mal das Leben der Erwachsenenwelt schmeckt, aber die meisten fügen sich im Nachhinein sehr gut ins Gesamtbild ein. Manche Szenen bringen den Leser zum Trauern oder gar zum Weinen, dann wieder sorgen Corys Abenteuer, die Neckereien unter den Freunden und sein lakonischer Tonfall beim Erzählen seiner Erinnerungen für witzige Augenblicke.

Die bemerkenswerteste Nebenfigur ist „die Dame“, eine schwarze Lady von 106 Jahren, die von der schwarzen Bevölkerung wie eine Königin verehrt und von der weißen überwiegend misstrauisch beäugt wird. Sie gilt als Voodoo-Zauberin, die aber eine der wenigen in der Stadt ist, die schon früh das nahende Unheil spüren. Ihre prophetischen Träume handeln vom Toten im See, und Cory ahnt, dass er der Dame nicht nur vertrauen kann, sondern auch ihre Hilfe zwingend braucht, um das schreckliche Geheimnis des Mordes zu lösen, das seinen Vater zunehmend quält. Von ihr erhält er auch ein neues Fahrrad als Geschenk, das nicht nur imposant aussieht und ob seiner Schnelligkeit zu Recht von Cory den Namen „Rakete“ erhält – sondern bei genauem Hinsehen glitzert ein goldenes Auge in seinem Scheinwerfer, das Rad lenkt gelegentlich eigene Wege, und wer es unbefugt anfasst, kann sich schon mal eine Bisswunde einfangen. Zephyr ist voll an skurrilen Originalen wie die altjüngferlichen Miss Blue und Miss Green Glass in ihren Farbgewändern, der liebenswerte Sonderling Vernon Thaxter, der dank seines mächtigen Vaters unbehelligt stets nackt durch die Straßen läuft, Corys cholerischer Großvater Jaybird und der alte Mr. Cathcoate, der angeblich einmal Revolverheld Wyatt Earp das Leben rettete.

|Spannung bis zum Schluss|

Bei allen netten Anekdoten und Abschweifungen steht immer die Frage nach dem Toten im See und dessen Mörder im Hintergrund, der höchstwahrscheinlich aus dem beschaulichen Zephyr stammt. Die einzigen Hinweise sind die Tätowierung des Ermordeten mit einem geflügelten Totenkopf, die aber bislang zu keiner Identifizierung führte, und die grüne Feder, welche die Gestalt im Mantel, die den Unfall beobachtete, verlor und die Cory sorgsam aufbewahrt. Er schweigt über diesen Fund, denn er befürchtet zu Recht, damit nicht ernst genommen zu werden, hält aber unentwegt die Augen offen.

Nach und nach steigert sich die Spannungskurve, die sich nicht nur darum dreht, wer der Unbekannte war, warum er ermordet wurde, wer sein Mörder ist, sondern auch darum, ob Cory und sein Vater als einzige Zeugen ins Visier des Täters geraten. Mehrfach scheint es, als habe Cory einen begründeten Verdacht, doch erst kurz vor Schluss enthüllen sich alle schrecklichen Umstände um die Tat in einem überstürzten Finale. Die Auflösung des Mordes führt viele Jahre zurück in die Vergangenheit, die Identifizierung des Mörders bestürzt nicht nur Cory, sondern auch den Leser, doch sie passt in das bittersüße Gesamtbild des Romans, in dem sich Erleichterung und Trauer immer wieder die Hand geben.

|Kaum Schwächen|

Nur wenig lässt sich an diesem großartigen Werk kritisieren, etwa dass manche der angerissenen Episoden wider Erwarten nicht mehr fortgeführt werden. Manche Personen, die einem in den kleinen Abweichungen begegnen, tauchen später nicht mehr auf, höchstens in Corys Gedanken. Das ist besonders schade, weil Cory in einem Epilog, als er dreißig Jahre später mit seiner Ehefrau nach Zephyr zurückkehrt, die Entwicklung einiger Menschen aus der Stadt Revue passieren lässt, und man sich unweigerlich wünscht, er hätte dabei noch mehr Personen bedacht. Ein kleines bisschen konstruiert ist außerdem das spektakuläre Finale, bei dem Cory und sein Vater gleichzeitig unabhängig voneinander die richtigen Schlüsse ziehen. Natürlich ist der Roman grundsätzlich nichts für ungeduldige Leser, die eine temporeiche Handlung bevorzugen, sondern in erster Linie auf eine intensive Atmosphäre bedacht.

_Als Fazit_ bleibt ein wunderbarer Roman, der Kindheitserinnerungen mit Horror und Thriller mischt und definitiv zu den besten Horrorwerken der Moderne zählt. Die Handlung ist vielschichtig, die Charaktere sind originell und bei aller Skurrilität authentisch dargestellt, die Geschichte besticht durch dichte Stimmung, in der sich lustige und traurige Momente ausgewogen abwechseln. Abgesehen von sehr kleinen Mängeln ist „Unschuld und Unheil“ ein rundum gelungener Roman, der sich trotz seines enormen Umfangs sehr schnell liest und im Gedächtnis bleibt.

_Der Autor_ Robert R. McCammon, Jahrgang 1952, studierte zunächst Journalismus in seiner Heimat Alabama, ehe er 1978 mit „Ball“ seinen ersten Horror-Roman veröffentlichte. Weitere Werke folgten rasch, und ab den achtziger Jahren standen sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten und gewannen Preise wie den |Bram Stoker Award|. 1992 zog sich McCammon vom Schreiben zurück, nachdem Verleger andere Genres nicht akzeptieren wollten. 2008 veröffentlichte er aber die Fortsetzung zu einer neuen Serie und widmet sich damit zumindest partiell wieder dem Schreiben. Für „Unschuld und Unheil“ erhielt er den |Bram Stoker Award| und den |World Fantasy Award|. Zu seinen Werken zählen u. a. „Das Haus Usher“, „Nach dem Ende der Welt“, „Botin des Schreckens“ und [„Tauchstation“. 261

|Originaltitel: Boy’s Life
Aus dem Amerikanischen von Ute Thiemann
797 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89996-070-9|
http://www.robertmccammon.com
http://www.area-verlag.de

Sands, Lynsay – Verliebt in einen Vampir

Rachel arbeitet schon seit Jahren in der Nachtschicht der Pathologie. Für sie ist das ein guter Vorwand, um kein Privatleben haben zu müssen, denn schließlich hat sie kaum Gelegenheit, sich mit Freunden – oder gar Männern – zu treffen, wenn sie nachts arbeitet und tagsüber schläft. Tatsächlich scheint Rachel allerdings auch nicht sonderlich erpicht auf mehr Sozialleben zu sein. Sie ist ein wenig einsiedlerisch und sich in der Regel selbst genug.

Das soll sich jedoch schnell ändern, als sie einen „Rostbraten“ auf den Tisch bekommt – eine verkohlte Leiche. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass es sich bei der Leiche keineswegs um einen Toten handelt, sondern um Etienne Argeneau, seines Zeichens Vampir. Er hat gerade ein kleines Problem mit einem verrückten Vampirjäger, der ihm nachstellt – deswegen ist er auch so gut durchgebraten. Es kommt, wie es kommen muss: Der Vampirjäger folgt Etienne in die Pathologie, um ihn wirklich umzubringen, verfehlt ihn aber mit seiner Axt und trifft stattdessen die verschreckte Rachel. Da die Wunde tödlich wäre, greift Etienne zum einzigen Mittel, ihr Leben zu retten: Er macht sie ebenfalls zu einem Vampir.

Und so wacht Rachel in einem fremden Haus auf, zwischen Leuten, die ihr weismachen wollen, dass sie nun unsterblich ist und Blut trinken muss. Das ist keine Neuigkeit, die man einfach mal so wegsteckt, und so braucht es eine ganze Weile, bis Rachel sich mit der neuen und ungewohnten Situation abgefunden hat. Während sie also versucht, ihre Abscheu vor Blut und Spritzen zu überwinden, kommen sie und Etienne sich näher. Doch bevor die Hochzeitsglocken läuten können, muss erst noch der verrückte Vampirjäger Pudge aus dem Weg geschafft werden, denn er fängt wirklich langsam an, lästig zu werden.

Lynsay Sands’ „Verliebt in einen Vampir“ (ja, der Titel ist banal, aber der Originaltitel „Love Bites“ ist auch nicht viel besser gelungen) ist eine ziemlich durchschnittliche Paranormal Romance. Es gibt eine unglaublich hübsche Heroine, die aus reichlich obskuren Gründen noch nicht vergeben ist und sich auch nicht für besonders begehrenswert hält. Es gibt einen Helden Marke „tall, dark and handsome“, der gleichermaßen unbedarft ist, wenn es darum geht, die Frau fürs Leben zu finden. Man stecke beide für eine Weile in ein Zimmer (in diesem Fall Etiennes Schlafzimmer) und vertraue darauf, dass sie sich schon aufeinander einlassen werden. Und natürlich passiert das auch, schließlich wäre eine Paranormal Romance ja keine richtige Romanze, wenn die zwei Protagonisten sich nicht am Ende kriegen würden. „Verliebt in einen Vampir“ passt also genau in die Genrebezeichnung und wird damit alle begeistern, die bei der Lektüre einer Liebeschnulze auf keinen Fall überrascht werden wollen.

Allerdings hat Lynsay Sands einige Einfälle zum Thema Vampirismus, die entweder vollkommen abwegig oder schlichtweg unappetitlich sind. So macht sie sich die Mühe, tatsächlich eine Erklärung für den Vampirismus der Argeneaus zu liefern, und beruft sich dabei auf Wissenschaft und Medizin. Nun ist das ein legitimer Erklärungsversuch, der durchaus seine Reize hat. Aber wenn sie dann davon anfängt, dass Vampire von der wissenschaftlich hochentwickelten Bevölkerung Atlantis abstammen, denen Nanopartikel eingesetzt wurden, um sie jung und gesund zu erhalten, dann ist das einfach nur noch schräg und relativ sinnfrei. Ähnlich ergeht es ihren Einfällen zum Thema Vampir-Subkultur. So erfindet sie eine Vampirbar mit dem unglaublich originellen Namen |Night Club|, in dem man auch gern Blutcocktails bestellen kann, also zum Beispiel eine Virgin Mary mit Blut, Worcestershire- und Tobascosauce und einem Zitronenspritzer. Pfui.

Der erste Teil des Romans ist eine relativ konfuse, langweilige und zähe Angelegenheit. Sands verrennt sich in ihrem Vorhaben, Rachels Anpassungsschwierigkeiten beschreiben zu wollen. Sie scheut nicht einmal völlig unsinnige Wiederholungen, die den Leser frustrieren und dazu verleiten, Kapitel einfach zu überblättern oder das Buch ganz beiseite zu legen. So denkt Rachel bei ihrem ersten Erwachen im unbekannten Haus zunächst, dass sie träumt. Sie verlässt das Zimmer und erkundet die Räumlichkeiten – immer in der Annahme, dass sie eigentlich schläft. Als sie zum zweiten Mal erwacht, denkt sie wieder, dass sie träumt. Wieder verlässt sie das Zimmer und wundert sich über ihre sehr realistischen Träume. In der ersten Sequenz denkt sie: „Befand sie sich in einer Spezialeinrichtung für Komapatienten?“ Zwanzig Seiten später, in der zweiten Sequenz, denkt sie: „Sie war vielleicht in einer Spezialklinik für Komapatienten.“ Diese zwei Kapitel sind nichts weiter als Papierverschwendung, eine Geduldsprobe für den Leser und ein Armutszeugnis für den Lektor, der solch redundante Passagen rigoros hätte rausstreichen müssen.

Immerhin fängt sich Sands in der zweiten Hälfte des Romans. Hier fällt ihr dann nämlich ein, dass sie am Anfang doch einen Antagonisten eingeführt hatte, nämlich den Vampirjäger Pudge. Nun ist dessen Charakterisierung zwar eher skizzenhaft und keineswegs logisch, doch immerhin bringt er die Handlung in Schwung, die bis dahin hauptsächlich auf der Stelle getreten ist. Plötzlich muss Etienne sich nämlich dem Gegner stellen, der Rachel entführt hat und ihr den Hund seiner Nachbarin als Snack anbieten will. Ja, da gibt es auch eine ganze Menge Slapstick, aber im Großen und Ganzen ist die zweite Hälfte von „Verliebt in einen Vampir“ durchaus unterhaltsam, was den Leser mit dem eher schleppenden Anfang versöhnt.

Abschließend sollte vielleicht noch angemerkt werden, dass |Egmont LYX| die Bücher der Argeneau-Reihe in veränderter Reihenfolge veröffentlicht. Tatsächlich ist „Verliebt in einen Vampir“ der zweite Teil der Serie (im ersten wird Etiennes Schwester Lissianna mit ihrem Psychiater Greg verkuppelt), was allerdings kaum ins Gewicht fällt, da jeder Roman ein anderes Mitglied der Argeneau-Familie zum Hauptcharakter macht. Während also alle Romane irgendwie ineinandergreifen, kann man sie trotzdem getrost unabhängig voneinander lesen.

|Originaltitel: Love Bites
Ins Deutsche übertragen von Regina Winte
334 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8171-7|
http://www.egmont-lyx.de

Nix, Garth – Mächtiger Samstag (Die Schlüssel zum Königreich / Keys to the Kingdom 6))

[„Schwarzer Montag“ 3719 (Die Schlüssel zum Königreich 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Grimmiger Dienstag“ 3725 (Die Schlüssel zum Königreich 2)
[„Grimmiger Dienstag“ 4528 (Hörbuch)
[„Kalter Mittwoch“ 4242 (Die Schlüssel zum Königreich 3)
[„Kalter Mittwoch“ 5101 (Hörbuch)
[„Rauer Donnerstag“ 4831 (Die Schlüssel zum Königreich 4)
[„Rauer Donnerstag“ 5051 (Hörbuch)
[„Listiger Freitag“ 5626 (Die Schlüssel zum Königreich 5)

_Kaum hat Arthur_ mit Blatts Hilfe die Schlafwandler aus der Gewalt Lady Freitags befreit, erreicht ihn die nächste Hiobsbotschaft: Um die Viruskrankheit in Arthurs Heimatstadt in Schach zu halten, soll auf das betreffende Krankenhaus eine Atombombe abgeworfen werden!

In einem verzweifelten Versuch, dies zu verhindern, nimmt Arthur seine Stadt komplett aus dem Lauf der Zeit heraus. Damit hat er die Bedrohung zwar nur verzögert, aber zu mehr kommt er nicht, denn im Haus geht es drunter und drüber: Ein Saboteur hat den Damm aufgebrochen und das gesamte Untere Haus samt den fernen Weiten mit Nichts überflutet! Und Erhabene Samstag hat ihre gesamte Domäne komplett verbarrikadiert, nicht nur gegen Arthur …

_Die meisten Neuzugänge_ in diesem Band sind nur Randfiguren. Erwähnenswert ist allein Erhabene Samstag. Die Zauberin hat wirklich nahezu sämtliche Maßnahmen ergriffen, um Arthur aus dem Oberen Haus fernzuhalten. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass er es doch schaffen sollte, in ihre Domäne einzudringen, hat sie vorgesorgt. Ganz nebenbei arbeitet sie unbeirrbar an dem Plan, dem sie bereits die letzten zehntausend Jahre gewidmet hat: nämlich Lord Sonntag die Unvergleichlichen Gärten, die oberste Domäne jenseits der Wolken, abzujagen!

Tatsächlich hat Erhabene Samstag eine ganze Menge mehr Format als Lady Freitag und überhaupt sämtliche bisherigen Wochentage. Sie denkt strategisch und berücksichtigt alle Eventualitäten, und sie agiert zielstrebig, anstatt ihre Zeit mit Kinkerlitzchen zu verplempern.

Dieser gezielte Angriff auf Lord Sonntag dominiert auch die Ausgestaltung der Umgebung: Erhabene Samstag residiert in der Spitze eines Turmes, der mich ein wenig an den Eiffelturm erinnerte, ein Gerüst aus offenen Stahlwürfeln, in denen Samstags Zauberer an Schreibtischen sitzen und weiß der Himmel was arbeiten. Es regnet ununterbrochen, und die Schirme der Zauberer, die ebenso wie die Höhe ihres Bürowürfels innerhalb des Turmes ihren Rang verraten, halten lediglich das Papier trocken, nicht die Zauberer. Ein interessanter Entwurf, der aber nicht so viele nette Nebenaspekte bot wie das Untere Haus oder die Armee von Sir Donnerstag, was aber vielleicht auch einfach nur daran liegt, dass manches, was beim Lesen des ersten Bandes noch kurios und einfallsreich wirkte, durch regelmäßiges Auftauchen inzwischen alltäglich geworden ist. Wie auch immer, eine wirklich nett Idee fand ich diesmal nur den Aufenthaltsort des Vermächtnisses und die Bäume, welche die Unvergleichlichen Gärten tragen.

Die Sache mit der Atombombe fand ich dafür ziemlich übertrieben, zumal Arthurs Überlegungen, ob sein Zuhause den Angriff auf das Krankenhaus wohl überstehen wird, ziemlich lächerlich anmuten, auch wenn Kinder sich über die Auswirkungen einer Atomexplosion vielleicht nicht so genau im Klaren sind. Hier ist der Autor schlicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Eine konventionelle Bombe hätte den Zweck genauso erfüllt.

_Das alles klingt fast so_, als hätte dieser sechste Band – von der Figur Erhabener Samstags abgesehen – noch einmal hinter seinem Vorgänger zurückgesteckt. Was diesen Band jedoch rettet, ist die abgeknickte Handlungskurve.

Natürlich gelingt es Arthur, allen Maßnahmen Samstags zum Trotz, ins Obere Haus zu gelangen. Tatsächlich geht zunächst einmal alles genauso glatt wie bereits im Band davor. Aber sobald Arthur den sechsten Vermächtnisteil gefunden hat, gerät er sogleich in ziemliche Schwierigkeiten, die sich dann rasch zu einem ernsthaften Problem auswachsen. Und diesmal sieht es nicht so aus, als könnte er den sechsten Schlüssel so einfach für sich beanspruchen. Im Gegensatz zu den bisherigen Treuhändern setzt Erhabene Samstag sich gegen Arthurs Anspruch zur Wehr.

Das wirklich Fiese daran ist allerdings nicht Erhabene Samstags Gegenwehr, sondern die Tatsache, dass der Autor an dieser Stelle einfach abbricht! Der Leser erfährt nicht, wie das Duell ausgeht. Weder, ob Arthur den Schlüssel ergattern, noch, ob der sechste Vermächtnisteil sich Dame Primus anschließen konnte. Er erfährt nicht, was aus Susi Türkisblau wurde, ja nicht einmal, was aus Arthur wurde, von den Ereignissen auf der Erde ganz zu schweigen! Alles, wirklich alles ist offen! Und das zu all den vielen sonstigen Fragen, die noch immer unbeantwortet sind.

_Wer also_ im Laufe der Lektüre vielleicht mit dem Gedanken gespielt haben sollte, dass es jetzt allmählich Zeit wäre, mit dem Lesen aufzuhören, weil die Handlung anfängt, zu sehr den Ereignissen der übrigen Bände zu ähneln, der wird diesen Gedanken spätestens im vorletzten Kapitel schleunigst fallen lassen. Garth Nix hat seine Handlungsfäden auf einen Dreifrontenkrieg hin zugespitzt, Arthurs Heimatstadt steht vor dem absoluten Chaos, und da Samstag noch nicht ausdrücklich besiegt ist, könnte Arthur es im nächsten Band mit zwei Treuhändern auf einmal zu tun bekommen. Das verspricht einen Showdown, wie man ihn sich kaum dramatischer wünschen kann.

_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Aus seiner Feder stammen der Jugendbuchzyklus |Seventh Tower| sowie die Trilogie |Das alte Königreich|. Das Erscheinungsdatum des letzten Band aus der Reihe |Keys to the Kingdom| ist noch nicht bekannt.

|Originaltitel: Superior Saturday
Aus dem Englischen von Axel Franken
Illustrationen von Daniel Ernle
269 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Empfohlen ab 10 Jahren
ISBN-13: 978-3-431-03776-0|
http://www.ehrenwirth.de

Außerdem von Garth Nix auf |Buchwurm.info|:

[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)

Mooney, Chris – Missing

Winter in Belham: Die sechsjährige Sarah will unbedingt auf den Hügel zum Schlittenfahren, obwohl es ihre Mutter Jess verboten hat. Ihr Vater Mike lässt sich überreden und begleitet sein Töchterchen auf den Hang. Während er in ein Gespräch verwickelt wird, darf Sarah mit ihrer Freundin Paula losziehen. Kurz darauf verlieren sich die Mädchen aus den Augen – und Sarah ist verschwunden. Mike sucht verzweifelt im aufkommenden Schneesturm nach seiner Tochter, findet aber nur ihre Brille, ohne die sie hilflos ist. Auch die Polizei kann Sarah nicht finden. Der einzige Zeuge ist der elfjährige Jimmy, der gesehen hat, wie ein Mann Sarah an der Hand nahm.

Fünf Jahre später: Sarah ist immer noch verschwunden, die Ehe ihrer Eltern inzwischen zerbrochen. Mike hat den Verlust nicht verkraftet und kämpft mit Alkoholproblemen, während seine Frau ein neues Leben beginnt. Der ehemalige Priester Francis Jonah steht seit Jahren unter Tatverdacht, doch stichhaltige Beweise für eine Anklage gab es nie. Mike ist überzeugt davon, dass Jonah schuldig ist, und hofft insgeheim immer noch, dass Sarah lebt.

Doch Francis Jonah ist schwer krebskrank und liegt im Sterben, die Ärzte geben ihm nur noch Tage oder maximal wenige Wochen. Mike versucht alles, um ihn zu einem Geständnis zu bringen, ehe er sein Geheimnis womöglich ins Grab nimmt. Obwohl Jonah stets seine Unschuld beteuerte, sprechen die Indizien gegen ihn und für Mike läuft die Zeit ab …

_Entführte Kinder_ sind ein gern gewähltes und dankbares Thema für Thriller, gewährleisten sie doch eine emotional aufgeladene Handlung, die den Leser gleichzeitig fesselt und rührt. Chris Mooney legt hier einen soliden Thriller vor, der zwar keine Höchstbewertung verdient, aber allemal gute Unterhaltung bietet und vor allem schnell und leicht zu lesen ist.

|Spannende und bewegende Handlung|

Bis kurz vor Schluss heißt es Rätsel raten, wer für Sarahs Verschwinden verantwortlich ist und ob sie vielleicht noch lebt. Mikes Suche zeigt all seine Verzweiflung und nicht enden wollende Hoffnung und ist besonders mitreißend, weil er nahezu auf sich allein gestellt ist. Seine Exfrau hat das Verschwinden der Tochter halbwegs akzeptiert und fängt ein neues Leben ohne ihn an, die Polizei reagiert ihm zu lethargisch auf neue mögliche Hinweise, seine Freunde raten ihm dazu, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Für Mike ist es ein Kampf gegen Windmühlen, denn er kann es nicht akzeptieren, Sarahs Schicksal womöglich nie zu erfahren.

Trotz aller Indizien, zu denen im Verlauf der Handlung noch einige mehr kommen, ist der Leser unschlüssig in der Entscheidungsfrage, ob wirklich Francis Jonah hinter Sarahs Verschwinden steckt. Der schwerkranke Mann ist auch angesichts des Todes zu keinem Geständnis zu bewegen, was gerade in Anbetracht seiner Vergangenheit als Geistlicher ungewöhnlich wirkt. Mike kommt mehrfach in Versuchung, Selbstjustiz an ihm zu verüben, obwohl er nach einem Angriff bereits unter strengsten Bewährungsauflagen steht. Seine Suche nach Sarah rührt unweigerlich an, ist aber auch überwiegend fesselnd, da sich ganz allmählich neue Hinweise einschleichen und er der der Wahrheit Stück für Stück näher kommt, unterstützt von einer alten Freundin und einer resoluten Privatdetektivin.

Ungewöhnlich für den Thriller ist, dass alle Taten bereits Jahre zurückliegen und kein neuer Mord- oder Entführungsfall geschieht, was der Spannung aber nicht abträglich ist. Die Auflösung ist nicht zu früh zu erahnen und recht plausibel, wenngleich Mike beim Erkennen der Zusammenhänge ein bisschen per Zufall auf die Sprünge geholfen wird. Man braucht gewiss keine große Konzentration, um der Handlung zu folgen, die nicht besonders verstrickt oder wendungsreich ist. Der Roman stellt keine große Anforderungen an den Leser, ohne dabei zu seicht oder anspruchslos zu sein, und verzichtet im Gegensatz zu den meisten anderen Thrillern auf Gewaltszenen, sodass zarte Gemüter nur durch das Thema Kindesentführung an sich verstört werden könnten.

Vor allem im Mittelteil des Romans dreht sich die Handlung nicht nur um Sarah, sondern auch um Mikes Mutter, die ihn im Kindesalter zurückließ und in ihre Heimat Paris zurückkehrte. Mike hat allen Grund zu glauben, dass sein Vater Lou, ein gewiefter Verbrecher, der immer schon zur Brutalität gegen seine Frau neigte, sie in Paris aufgesucht und ermordet hat. Auch das Schicksal seiner Mutter wird wieder aktuell und Mike erfährt mehr über seine Familie als jemals zuvor. Es ist für Mike nicht nur die Suche nach zwei Angehörigen, sondern auch ein neuer Abschnitt in seinem Leben, das er nur beginnen kann, wenn er endlich Klarheit findet über den Verbleib seiner Tochter und seiner Mutter – egal, wie schmerzhaft die Wahrheit auch sein mag.

|Ein paar Schwächen|

Der Klappentext enthält leider einen irreführenden Fehler, dort ist nämlich davon die Rede, dass während Mikes Suche nach dem Verbleib seiner Tochter ein weiteres Mädchen verschwindet – davon ist im Buch aber keine Rede, was sicherlich die Leser ärgert, die sich von einem aktuellen Fall zusätzliche Spannung versprochen haben. Der Teil über Mikes Familie ist zudem ein wenig zu ausufernd geraten. Manchmal geht es seitenweise nur um seine Ehe mit seiner Exfrau, die Vergangenheit seines Vaters und die Suche nach seiner Mutter in Paris, und Sarahs Schicksal rückt dabei in den Hintergrund. Einerseits ist es interessant, die beiden grundverschiedenen Fälle miteinander zu verbinden, andererseits lenken diese Phasen von der eigentlichen Haupthandlung ab.

Zudem kommt der Sprung zwischen Sarahs Verschwinden 1999 und der Gegenwart etwas zu radikal angesichts der vielen Veränderungen. Zu guter Letzt sind die Nebenfiguren gegenüber Mike etwas zu blass geraten. Seine Exfrau Jess bleibt nur eine Schablone ohne individuelle Charaktereigenschaften, es gibt keinen markanten Ermittler, auch Mikes Freund Bill erscheint zwar sympathisch, aber zu unbedeutend. Erst seine alte Freundin Sam und die burschikose Detektivin Nancy bringen im späteren Verlauf wieder etwas Farbe ins Spiel, ansonsten ist der Roman arm an interessanten Figuren, auch wenn das nicht so stark ins Gewicht fällt, da Mike eindeutig im Mittelpunkt steht.

_Als Fazit_ bleibt ein überwiegend spannender Thriller über ein vermisstes Mädchen, der vor allem dank der Hauptfigur recht bewegend ist. Ein paar Schwächen verhindern, dass das Buch ein echtes Highlight ist, aber für Thrillerleser auf alle Fälle eine empfehlenswerte Lektüre, die sich locker in ein bis zwei Tagen durchlesen lässt.

_Der Autor_ Chris Mooney studierte Englisch an der Universität von New Hamshire und lebt seit 2000 als freier Autor. Seine bekanntesten Werke sind „Victim“ und „Secret“, die den Anfang seiner Reihe um die Ermittlerin Darby McCormack bilden. Er lebt heute mit seiner Frau in Boston.

|Originaltitel: Remembering Sarah, 2004
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Windgassen
382 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-499-24719-4|
http://www.rowohlt.de
http://www.chrismooneybooks.com

_Mehr von Chris Mooney auf |Buchwurm.info|:_

[„Missing“ 5731 (Hörbuch)
[„Victim“ 3799
[„Victim“ 5226 (Buch)

Pelewin, Victor – fünfte Imperium, Das. Ein Vampirroman

_Das geschieht:_

Der 19-jährige Roma gehört zu denen, die vom wirtschaftlichen Aufstieg im neuen Russland definitiv nicht profitieren. Mit seiner Mutter haust er in einer winzigen Wohnung und schlägt sich als Billiglohnsklave einer Supermarktkette durch, als ihm das Glück eines Tages auf denkbar ungewöhnliche Weise hold ist: Roma wird entführt und in einen Vampir verwandelt! Als solcher gehört er nunmehr zu den Herren dieser Erde. Die Menschen, so erfährt er, sind nur genetische Produkte der Vampire, die sich eine möglichst schmackhafte und leicht lenkbare Nahrungsquelle züchten wollten.

Aller Anfang ist auch als Vampir schwer. Roma bekommt einen neuen Namen – Rama – und wird einer aufwändigen Ausbildung durch erfahrene Lehrmeister unterzogen. Er muss lernen, wie ein Vampir zu denken, was nur langsam, mühsam und begleitet von zahlreichen Missverständnissen gelingt, denn die Vampirologie stellt sein bekanntes Weltbild vollständig auf den Kopf: Nichts ist, wie es Rama zu sein schien, weil die Vampire Sorge dafür trugen, dass die Wahrheit nur ihnen vorbehalten bleibt. Die Menschen leben in einer sorgfältig konstruierten Scheinwelt, damit sie ahnungslos und leicht lenkbar bleiben.

Allmählich lebt sich Rama in seine neue Existenz ein. Mit der schönen Vampir-Novizin Hera an seiner Seite dringt er in die faszinierende Welt der Vampire vor, die zu seiner Verblüffung weder untot noch Blutsauger sind. Über interne Zwistigkeiten sind sie allerdings keineswegs erhaben. Dass seine neuen Wohltäter recht finstere Pläne mit ihm schmieden, wird Rama zu spät klar. Mit der für ihn typischen Torheit stolpert er mitten in die Falle …

_Vampire unter & über uns_

In der ‚richtigen‘ Literatur gehört der Bildungsroman zu den altehrwürdigen Erzählformen: Der junge Mensch lernt das Leben in seinen positiven und negativen Fassetten kennen; ein Prozess, der beim Leser die Erinnerung an eigene Erfahrungen in Gang setzt, ihm aber außerdem eine Chance bietet, die scheinbar bekannte Welt durch den Filter eines unverbrauchten und ungeprägten Geistes neu wahrzunehmen.

Dieser Aspekt steht für Viktor Pelewin im Vordergrund. In „Das fünfte Imperium“ bedient er sich zwar vieler Elemente der phantastischen Literatur, legt jedoch nur bedingt einen Roman vor, der sich ins phantastische Genre fügt. Pelewin ist ein Schriftsteller, den man – falls man große Worte nicht scheut – als eine „Stimme des modernen Russlands“ bezeichnen kann. Seine schriftstellerische Karriere begann mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und als Verfasser beschäftigt er sich mit den vielfältigen Folgen einer Kapitalisierung oder Globalisierung im Zeitraffer, die in ihrer Schonungslosigkeit bizarre Blüten treibt.

Dies beschreibt Pelewin manchmal durchaus direkt, lieber aber in allegorischer oder metaphorischer Form. Dies war unter dem sowjetkommunistischen Diktat üblich und lebensnotwendig, wird aber auch heute noch geübt; zwar ist Wladimir Putin kein Stalin, aber als Menschenfreund mit offenem Ohr für kritische Stimmen darf man ihn auch nicht betrachten. Deshalb kann es durchaus ratsam sein, Missstände von Vampiren in Worte fassen zu lassen. Die Literaturkritik – vor allem die des Westens – liebt solch kunstvolle Codierung, und wer mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist, weiß ohnehin, was der Autor sagen möchte – ein Reiz, auf den der deutsche Leser nur beschränkt reagieren kann, weshalb Pelewin allzu ‚russische‘ Interna eigens für diese Übersetzung entschlüsselt bzw. allgemeinverständlich umformuliert hat.

_Fantasie und Kritik in homogener Mischung_

Dem an literarisch verbrämter Gegenwartsbespiegelung weniger interessierten Leser bleiben die skurrilen Einfälle, mit denen Pelewin den klassischen Vampirroman bereichert. Der Pedant mag einwenden, dass diese nicht unbedingt neu oder besonders originell wirken, sondern bei anderen Autoren bereits anklingen. Allerdings ist fraglich, ob diese in Stil und Ausdruck mit Pelewin mithalten können. Die bereits mehrfach erwähnte Literaturkritik schwankt zwar im Urteil, aber fest steht, dass dieser Mann zu schreiben versteht! Bei Pelewin lohnt es nicht nur, zwischen den Zeilen zu lesen. Dennoch wird man so manche intelligente oder einfach witzige Anspielung übersehen, denn Pelewin feuert sie im Salventakt ab. So statisch und irritierend „Das fünfte Imperium“ als Roman ohne echte Handlung manchmal wirkt: Die reine Lektüre dieser 400 Seiten ist ein Genuss, muss doch die Phantastik allzu oft als Refugium für Schwätzer und Stammler herhalten!

Aus der Absurdität seiner Geistesblitze macht Pelewin ohnehin keinen Hehl. Die Welt, wie er sie schildert, KANN von uns menschlichen Lesern eigentlich gar nicht verstanden werden, da wir einen von Vampiren gestalteten und sorgfältig überwachten Alltag leben. Mit dem jungen Rama einen Vampir-Eleven einzuführen, ist ein kluger Schachzug, denn als ehemaliger Mensch kämpft dieser mit ähnlichen Schwierigkeiten. Trotzdem lässt sich die vampirische Logik nur ansatzweise begreifen (womit sich der manchmal etwas zu schwurbelige Verfasser wunderbar aus der Verantwortung stehlen kann).

_Die Welt schräg durch andere Augen betrachtet_

Vieles von dem, was Pelewin darbietet, ist purer Spaß und genussvolle Destabilisierung klassischer Horror-Elemente. Seine Vampire schlafen tagsüber nicht in Särgen. Sie zerfallen nicht im Sonnenlicht. Ihr Spiegelbild ist deutlich sichtbar. Gipfel des Mythensturms ist der Verzicht auf das Saugen von Menschenblut. Nicht einmal das Wort findet Verwendung, es gilt unter Vampiren als verpönt. Stattdessen schätzen Pelewins Vampire die gutbürgerliche Küche.

Blut ist für sie nur mehr Informationsträger. Diese Idee wird farbenfroh und überzeugend umgesetzt: Vampir-Bibliotheken bestehen nicht aus Büchern oder Dateien, sondern aus Blutproben. Wenn Rama beispielsweise einen Tropfen Musikerblut verkostet, wird er selbst zum verständigen Musikus – zumindest theoretisch bzw. bis die Wirkung nachlässt.

Denn auch oder gerade in der Welt der Vampire ist nichts so, wie es zunächst zu sein scheint. Dynamik gewinnt „Das fünfte Imperium“ aus Ramas ständigen Missverständnissen, Irrtümern und peinlichen Patzern. Seine Torheit rettet ihm freilich das Leben, denn hinter der Geburt und der Erziehung des Vampirs Rama wird nach und nach eine Verschwörung sichtbar. Auch die womöglich außerirdische Herkunft und das unglaubliche Alter hat die Vampire nicht wirklich reifen lassen. Betrug und Intrige werden auf ein exotisches Niveau gehoben, doch an den niederträchtigen Realität ändert dies nichts.

Mit der Aufdeckung dieses Komplotts versucht Pelewin auf den letzten Seiten, seinem geistreich, aber zerfahren mäandrierenden Roman so etwas wie ein logisches Finale zu verschaffen. Es gelingt, wirkt aber etwas pflichtschuldig. Der Weg ist das Ziel dieses Romans. Wer sich darauf einzulassen vermag, wird mit einem phantastischen Vergnügen der etwas anderen Art belohnt.

_Der Autor_

Viktor Olegowitsch Pelewin ist ein Schriftsteller, der äußerst medienwirksam das Licht der Öffentlichkeit scheut. Lesungen, Interviews und Fernsehauftritte verweigert er, sondern teilt sich ausschließlich über das Internet mit. Er begründet das mit der Ablehnung persönlicher Prominenz, wehrt sich aber auch nicht gegen den Ruf der unbestechlichen Unabhängigkeit, dem ihm dieses Verhalten beschert.

Bekannt ist immerhin, dass Pelewin am 22. November 1962 in Moskau geboren wurde und Elektrotechnik studierte, bevor er an das Moskauer Literaturinstitut wechselte. Seit 1990 veröffentlichte er mehrere Romane und zahlreiche Erzählungen, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden.

Als Schriftsteller beschäftigt sich Pelewin mit den politischen und vor allem gesellschaftlichen Umbrüchen, die das moderne Russland nach 1991 erfuhr. Dabei ignoriert er Genregrenzen und arbeitet gern mit – oft ironisch verfremdeten – Elementen der Phantastik.

_Impressum_

Originaltitel: Empire V (Moskau : Eksmo 2006)
Übersetzung: Andreas Tretner
Dt. Erstausgabe: Januar 2009 (Luchterhand Literaturverlag/Sammlung Luchterhand 62138)
400 Seiten
EUR 10,00
ISBN-13: 978-3-630-62138-8
http://www.luchterhand-literaturverlag.de

Sokoloff, Alexandra – Inschrift, Die

_Das geschieht:_

Die psychisch labile Robin hat im Baird College ihr Studium aufgenommen. Auf dem Campus ist sie eine einsame Außenseiterin. Ihre Zimmergenossin ignoriert oder ärgert sie. An einem langen Thanksgiving-Wochenende, das sie lieber allein in im Wohnheim als daheim bei ihrer irren Mutter verbringt, hat sie genug: Im leeren Aufenthaltsraum des Heims will sie sich mit Tabletten umbringen.

Aber Robin ist nicht allein. Patrick, Lisa, Martin und Cain, vier ebenfalls lieber aushäusige Studenten, leisten ihr Gesellschaft. Bei Alkohol und Dope kommt man sich näher, und Lisa findet ein altes Hexenbrett. Da man nichts Besseres vorhat, versucht man Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.

Das gelingt wider Erwarten tatsächlich. Es meldet sich ein gewisser Zachery, der 1920 auf dem Campus bei einem Brand ums Leben kam. Die Aufregung ist groß, doch sie schlägt in Entsetzen um, als sich Zachery als gar nicht angenehmer Spuk entpuppt. Er ist großmäulig, grob und zunehmend bösartig. Bald geht es im Wohnheim unheimlich um. Klopfgeräusche ertönen, Möbel werden gerückt, Spiegel zersplittern. Seine fünf neuen ‚Freunde‘ will Zachery nicht mehr auslassen. Robin recherchiert und findet erschrocken heraus, dass bei dem Brand von 1920 nicht nur Zachery sein Ende fand: Mit ihm starben vier andere Studenten, die Opfer eines dämonischen Zeremoniells wurden, das sich nun offenbar wiederholen soll …

_Er kommt, wie es wohl kommen musste_

Die Welt der modernen Unterhaltungsliteratur ist wundersam. „Die Inschrift“, der Debütroman der jungen Autorin Alexandra Sokoloff, ist ein gutes Beispiel: Wieso kommt diese kümmerliche Spukgeschichte nicht nur zu einer deutschen Übersetzung, sondern wird auch noch als btb-Taschenbuch veröffentlicht? In dieser Reihe erscheinen normalerweise inhaltlich und stilistisch etwas ungewöhnlichere bzw. anspruchsvollere Werke.

Liegt es an der euphorischen Werbung? „Diese packende Geistergeschichte verspricht Spannung von der ersten bis zur letzten Seite“, jauchzt die |Romantic Times|. „Poltergeist lässt grüßen … Gewürzt mit einer guten Prise erotischer Spannung, wird daraus eine ebenso atemberaubende wie bezaubernde Geschichte“, dröhnt |Kirkus Reviews|, ein ‚Rezensions‘-Medium, das seit jeher noch den gröbsten Bockmist als Goldstroh zu verkaufen versucht. Allerdings: Nehmen wir diese beiden Jubelchöre wörtlich, sind wir durchaus im Bilde. So hat die |Romantic Times| ja Recht: „Die Inschrift“ VERSPRICHT Spannung. Das Halten dieses Versprechens wird nicht garantiert.

„Poltergeist lässt grüßen“: Stimmt ebenfalls, denn Sokoloff präsentiert keine Idee, die man nicht bereits an anderer Film- oder Buchstelle gesehen hätte. Vor allem Titel von Filmen wie „Witchboard – Die Hexenfalle“, „Düstere Legenden“, „Long Time Dead – Du bist der nächste!“ und andere schematisch gedrechselte Standard-Slasher, in denen dumme & geile Teenies sich mit bösen Geistern anlegen, können hier genannt werden.

Die „Prise erotischer Spannung“ erschöpft sich in den üblichen pseudolibidinösen Wallungen, die einerseits grobschlächtig und damit typisch für besagte Hollywood-Teenies sind, und andererseits den sog. „Lady Thriller“ definieren: pathetisch klingende Wortwolken wuchten über einem Trivialkonstrukt namens „Wahre Liebe“.

_Geister müssen nicht geistvoll sein_

„Die Inschrift“ (was spricht eigentlich gegen eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „The Harrowing“ als „Das Grauen“?) ist das Werk einer Autorin, die sich auch stilistisch ausschließlich fremdbedient. Oder ist es die Übersetzung, die diesen Eindruck weckt? Sie unterstreicht durch ihre Groschenheft-Qualität ein Missvergnügen, das die Lektüre dieses Romans begleitet:

|“Sie wirbelte herum.
Martin stand über ihr im düsteren Treppenhaus und sah zu ihr herunter.
‚Meine Güte‘, japste sie.
‚Ich muss mit dir reden‘, sagte er tonlos. Seine Stimme klang hohl in dem hohen Rundbau.
Sie ließ den Atem entweichen. ‚Und ich mit DIR.'“|
(S. 148)

Das ist ein völlig beliebig herausgegriffenes, aber absolut repräsentatives Beispiel, denn so liest sich der gesamte Text. Immerhin sind die Figuren, die solche Nonsens-Dialoge führen, entsprechend flach gezeichnet. Was die Charakterisierung angeht, hat sich Sokoloff ohnehin wohl von der klassischen High-School-Schmonzette „The Breakfast Club“ (1985) inspirieren lassen. Fünf Studenten von geradezu offensiver Wesensdifferenz finden und offenbaren einander bisher sorgfältig geheim gehaltene Seelenpein: Die scheue Schöne wurde vom Vater verlassen und wird von der verrückten Mutter gepiesackt, der Footballstar, der diesen Sport hasst, von seinem ehrgeizigen Vater mit Steroiden vollgepumpt, die fröhliche Schlampe hadert mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung, der Musiker ist ein seelenversehrtes Waisenkind und – Sokoloff fürchtet wahrlich kein Klischee! – der Streber will nicht wie vom Papa gefordert Rabbi werden, weil er nicht an Gott glaubt.

Zachary ist als Gespenst ebenfalls keine Offenbarung. Während unsere fünf Helden seine Kasperaden offenen Mundes und leeren Hirns verfolgen, meldet sich beim Leser die Langeweile. Zachary buchstabiert kindische Beleidigungen, wirft mit Möbeln, lässt Spiegel zerspringen. Wieso sollten derartig ausgelutschte Albernheiten den Leser fesseln? Was ist das für ein Jenseits, in dem Hohlköpfe nicht nachreifen?

_Flach & öde wie ein Parkplatz_

Die Erzeugung einer Atmosphäre der Furcht gelingt nur, wenn die dafür notwendige Stimmung erzeugt wird. Im Interview erwähnt Sokoloff mehrfach die Schriftstellerin Shirley Jackson (1919-1965) mit ihrem phantastischen Meisterwerk „The Haunting of Hill House“ (1959; dt. [„Spuk in Hill House“) 368 als Vorbild, was reichlich vermessen ist. „The Haunting“ ist literarischer Schrecken in Vollendung; das Werk einer Autorin, die ihren Stoff und ihr Publikum gleichermaßen im Griff hat. Anders als Sokoloff lässt Jackson die Wörter nie wie Brechdurchfall einfach laufen, sondern arbeitet mit ihnen, bis sich der erwünschte Effekt einstellt.

„Die Inschrift“ ist quasiliterarisches Junk Food, was schlimmer ist als ein schlechter, aber offen als reine Unterhaltung verfasster (Horror-)Roman. Sokoloff gibt vor, etwas zu liefern, das sie nicht zu leisten vermag. Oder ist es die Werbung, die sie auf diese Schiene drängt? Ist Alexandra Sokoloff primär ein Geschöpf offensichtlichen Marketings? Sie ist eine schöne Frau, die auf Fotos und im TV-Interview eine gute Figur macht. Als langjährig in Hollywood beschäftigte Autorin weiß sie zudem um die Bedeutung einer soliden Selbstanpreisung, der sie nicht nur mit vielen Interviews, sondern auch als fleißige Bloggerin Rechnung trägt. Unabhängig von solchen Fragen bleibt es eine unerfreuliche Tatsache, dass wieder einmal der Leser die Zeche zahlen muss, der gutgläubig Geld und Zeit in hohles Blendwerk wie „Die Inschrift“ investiert hat.

_Die Autorin_

Alexandra Sokoloff wurde in Kalifornien geboren – das Jahr hält sie geheim – und wuchs dort auch auf. Schon in jungen Jahren interessierte sie sich für die darstellenden Künste. Zunächst spielte sie in Theaterstücken und Musicals, die sie später auch inszenierte. Folgerichtig studierte sie an der Universität von Berkeley Theaterwissenschaften. In dieser Zeit entstanden erste Bühnenstücke.

Nach Abschluss des Studiums ging Sokoloff nach Los Angeles, wo sie sich als Drehbuchautorin versuchte und mit den üblichen Anfängerschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nach eigener Auskunft schrieb sie eine Reihe von Drehbüchern für verschiedene Studios (Namen wie Sony, Fox, Disney und Miramax fallen), wobei sie sich auf Horrorfilme spezialisierte. (Bei näherer Betrachtung zeigt sich übrigens, dass nur eines dieser Drehbücher jemals realisiert wurde: 1997 drehte der Regisseur Carl Schenkel den Thriller „Kalte Küsse“ für das deutsche Fernsehen; Sokoloff wird als Ko-Autorin des Drehbuchs genannt.)

Ohne darauf in ihrer Kurzbiografie näher einzugehen, erweiterte die nicht unbedingt erfolgreiche Autorin ihre Aktivitäten. Sie gab Tanzunterricht und begann diverse Kurse für angehende Drehbuchautoren zu leiten, was sie bis heute fortsetzt. Außerdem schrieb sie einen Roman. „The Harrowing“ (dt. „Die Inschrift“) erschien 2006 und wurde nicht nur freundlich von Kritik und Leserschaft aufgenommen, sondern auch von der „Horror Writers Association“ für einen „Bram Stoker Award“ als bester Debütroman des Jahres 2006 nominiert. (Dass Sokoloff nicht gewann, bleibt in der Regel unerwähnt, was deshalb an dieser Stelle nachgeholt wird.) Der Erfolg ermunterte Sokoloff, sich nunmehr auf die Arbeit als Schriftstellerin zu konzentrieren.

Über ihre Aktivitäten informiert Sokoloff auf ihrer Website: http://www.alexandrasokoloff.com.

_Impressum_

Originaltitel: The Harrowing (New York : St. Martin’s Press 2006)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2007 (btb Verlag/TB Nr. 73634)
Übersetzung: Andrea Brandl
300 Seiten
EUR 8,50
ISBN-13: 978-3-442-73634-8
http://www.btb-verlag.de

Tokarczuk, Olga – Unrast

Olga Tokarczuk ist eine der bekanntesten und auch erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen Polens. Mehrmals hat sie den |NIKE|, den wohl wichtigsten polnischen Literaturpreis, gewonnen, unter anderem für das jetzt auch auf Deutsch erschienene Buch „Unrast“ – es wurde 2008 sowohl mit dem Preis der Jury als auch mit dem Leserpreis ausgezeichnet.

Die Bezeichnung „Buch“ ist durchaus mit Bedacht gewählt, denn schon bei der Einordnung in ein literarisches Genre sträubt sich Tokarczuks „Unrast“ unwillig. Es ist weder ein Roman noch ein Band mit Erzählungen. Man kann es weder als Kurzgeschichtensammlung noch als Essayband bezeichnen. Stattdessen borgt es von allen diesen Gattungen und bildet somit einen Hybriden, ein fragmentarisches Gedankenspiel der Autorin zum Thema Reisen, Globetrotten und Unterwegssein. Die Übersetzerin Esther Kinsky hat mit „Unrast“ einen treffenden deutschen Titel für Tokarczuks Sammelsurium von Gedankenspielen, Aphorismen, Notizen und Geschichten gefunden. Er bezeichnet sehr genau die stete Bewegung, die Unfähigkeit zum Verweilen, die Tokarczuk im modernen Menschen ausgemacht hat – die dieser aber gleichzeitig von seinen urzeitlichen Vorfahren, den Nomaden, geerbt hat.

Es ist schwer, einen kurzen Überblick dessen zu vermitteln, was der Leser in „Unrast“ vorfinden wird. Es gibt keine übergeordnete Handlung; nichts, das sich im klassischen Sinne nacherzählen ließe. Manchmal ist Tokarczuk knapp, bietet dem Leser kaum mehr als eine Momentaufnahme auf einem Flughafen, einen vermeintlich spontan heruntergeschriebenen Geistesblitz oder eine Beobachtung. Manchmal beschäftigt sie sich indes eingehender mit Figuren, Orten oder Ideen. In „Unrast“ finden sich neben ganz kurzen Formen auch Kurzgeschichten oder Erzählungen, die sich über mehrere Kapitel erstrecken, jedoch nicht zwingend aufeinanderfolgen. Da geht es um einen Mann, der auf einer Urlaubsinsel seine Frau und seinen Sohn quasi verliert. Da geht es auch um eine Frau, die eines Abends beschließt, nicht zu ihrem Mann und behinderten Kind zurückzukehren, und stattdessen ihre Tage in der U-Bahn verbringt, ständig von einer Endhaltestelle zur nächsten fahrend. Da geht es auch um das Leben Philip Verheyens, eines Chirurgen und Anatomen aus dem 17. Jahrhundert, der nach einer Beinamputation sein Bein konserviert aufbewahrt und immer wieder untersucht.

Überhaupt die Medizin. Tokarczuk ist studierte Psychologin und hat in ihrer Jugend einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Das kommt auch „Unrast“ zugute, am auffälligsten in ihren Essays zur „Reisepsychologie“, die durchaus auch ironisch zu lesen sind. Doch hat Tokarczuk für „Unrast“ offensichtlich ein neues Steckenpferd ausgemacht: nämlich die Haltbarmachung des menschlichen Körpers in Lösungen oder mit Hilfe der Plastination. Oft und ausgiebig beschäftigt sie sich mit der Zusammensetzung der Alkohollösung für Präparate von menschlichen Embryonen. Sie beschreibt Sektionen und einen Rundgang durch von Hagens Panoptikum plastinierter Leiber. Sie erfindet einen Mann, dessen Interesse für die Anatomie bei der Betrachtung der Gläsernen Frau im Dresdner Hygiene-Museum geweckt wurde. Sie begeistert sich für die Schönheit von Innereien oder die Fantasie der Natur, wenn sie von missgebildeten Embryos spricht. Doch warum diese Faszination für den in seine Einzelteile zerlegten Körper? Dieses schonungslose Sezieren? Vielleicht ist es die Tatsache, dass für den modernen Nomaden der Körper der einzige stete Begleiter ist. Vielleicht ist es die Frage, wo oder wie eine Seele diesem in Alkohol eingelegten Körper einst Leben einhauchte. Vielleicht ist es eine Illustration der Tatsache, dass Verheyens Bein, das in einem Glas vor ihm auf dem Tisch steht, trotzdem immer noch Teil eines Ganzen ist: „(…) dass das, was einmal ein Ganzes darstellte, dann aber in einzelne Teile zerschlagen wird, immer noch auf unsichtbare, schwer zu ergründende Weise innig miteinander verbunden bleibt. Die Natur dieser Verbindung ist nie eindeutig und wird unter keinem Mikroskop zu erkennen sein.“

Der Zusammenhang des Zersplitterten, Fragmentarischen mit dem Ganzen, dem kompletten Bild ist es, was Tokarczuk interessiert. Darum attestiert sie sich selbst wohl auch ein „episodisches Bewusstsein“. Sie ist der Meinung, dass menschliche Wahrnehmung wie ein Bienenauge funktioniert, das tausende Einzelbilder aufnimmt und diese dann zu einer Ganzheit zusammenfügt. Insofern sind auch die Puzzleteile aus „Unrast“ als ein großes Bild zu betrachten. Wer Tokarczuk hier unzusammenhängend und ziellos findet, der hat sich nicht auf den Text eingelassen, der hat einzelne Geschichten nur insulär betrachtet, jedoch nicht im Zusammenhang mit ihren Nachbarn.

Das jedoch fordert Tokarczuk immer wieder subtil ein. Sie arbeitet sich nicht nur an Themen ab, die sie schon immer interessiert haben (z. B. Zeit, Tod oder Gender) und stellt „Unrast“ damit in Beziehung zu ihren früheren Büchern. Gleichzeitig verknüpft sie ihre Texte auch untereinander durch Motive oder fast unauffällige Wiederholungen. Wie ein Spinnennetz durchziehen diese das Buch und beweisen, dass tatsächlich alles miteinander in Verbindung steht.

Im Original heißt Tokarczuks Buch „Bieguni“, nach einer orthodoxen Sekte, die annahm, dass nomadisches Leben und der totale Rückzug aus der realen Welt der einzige Weg seien, dem Teufel zu entkommen. Tokarczuk beschreibt Reisende, Nomaden, Suchende – kurz, die Bewegung. Ganz zu Anfang postuliert einer ihrer Charaktere den folgenden Gedanken: „(… mir wurde klar), dass aller Gefahren zum Trotz das, was in Bewegung ist, immer besser sein wird als das, was ruht, dass der Wandel edler ist als die Stetigkeit, dass das Unbewegliche Zerfall und Auflösung anheimfallen muss und zu Schutt und Asche wird, während das Bewegliche sogar ewig währen wird.“

Insofern bleibt nur zu hoffen, dass Olga Tokarczuk nie zum Stillstand kommt und dass sie weiterhin durch die stete Bewegung ihres Federhalters auf dem Papier dem Teufel entwischt. Die Alternative wäre ein allzu herber Verlust für die polnische Literatur.

|Originaltitel: Biegun
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
456 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89561-465-1|

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Carsten Jensen – Wir Ertrunkenen

Das Meer – unendliche Weiten, unendliche Möglichkeiten. Ungezählte Menschen zog es hinaus in die entbehrungsreichen Abenteuer der Segelschifffahrt, und meist waren es Männer, die ihre Familien über Jahre hinaus verließen. Sie sahen ihre Kinder nicht aufwachsen, kannten nicht die alltäglichen Probleme der Familien, ihr sehnsüchtiges Warten oder verzweifeltes Schimpfen und die ständige Angst, den Sohn, Ehemann oder Vater nicht wiederzusehen. Denn das Meer ist nicht gut oder böse – es ist gleichgültig.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte der dänischen Stadt Marstal, die über Generationen hinweg ein angesehener Ursprungsort guter Seeleute war. Hunderte von Segelschiffen waren in diesem Hafen beheimatet, und Generationen von Vätern und Söhnen war der Weg vorherbestimmt. Bis mit den Weltkriegen die Männer knapp wurden, immer mehr Schiffe sanken, die Dampfschifffahrt und der Stahlbau die edlen Segler verdrängten und die großen Reedereien von den überlebenden Frauen übernommen wurden, um teils zu verschwinden, teils zur Zerstörung der Lebensgrundlage der Stadt verwendet zu werden.

Die Geschichte einer Familie zieht sich als roter Faden durch das Buch. Laurids Madsen, Erbe der schweren Seemannsstiefel seines Vaters, wird mit anderen Seeleuten seiner Stadt von der Marine eingezogen, um im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland zu kämpfen. Im Gefecht vor Eckernförde versagen die Dänen in ihren überlegenen Militärschiffen gegen die schwachen Geschütze der deutschen Stellungen. Bei der Explosion der Pulvervorräte wird Laurids in den Himmel geschleudert und landet später am Strand auf seinen Füßen. »Ich habe Petrus‘ Arsch geküsst, aber der Himmel wollte mich nicht«, so erzählt er daraufhin jedem Kriegsgefangenen, der es hören will.

Albert Madsen findet die Stiefel seines Vaters Laurids auf dem Dachboden und nimmt sie mit auf seine erste Heuer. Er durchkreuzt lange die Weltmeere auf der Suche nach seinem Vater, bis er schließlich an Bord eines Menschenhändlers als Steuermann anheuert und nach dem Tod dieses gefürchteten Mannes Kapitän seines ersten Schiffes ist. Albert wird ein wichtiger Mann für Marstal, ein großer und angesehener Reeder, der die Interessen der Stadt und der Seefahrt zu seinen eigenen macht. Sein Ziehsohn Knud Erik Fries wird schließlich der letzte einer langen Reihe fähiger Männer, die die geschichtsträchtigen Stiefel der Madsens tragen. Mit ihm und durch seine Mutter Clara Fries, Erbin Albert Madsens, endet die Ära der großen Seestadt Marstal.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte seiner Heimatstadt in tiefen Farben und gischtenden Wogen, erweckt die Liebe ihrer Einwohner zur Heimat und zur Seefahrt im Leser und beleuchtet den Wandel der Menschen und der Zeit mit erzählerischem Geschick erster Güte, so dass der Schmerz der alten Generation, die den rasanten Wandel in der Seefahrt nach einem eigenen Leben, das noch nach den alten Regeln verlief, erlebt, den Leser mitreißt und trotz aller Vorteile der neuen seemännischen Sicherheit diesen stolzen alten Zeiten der großen Segler nachtrauern lässt.

Auffällig ist die Menschlichkeit der Charaktere. Schon der gefeierte Laurids verschwindet plötzlich und hinterlässt eine vielköpfige Familie, um in der Südsee mit einer eingeborenen Inselbewohnerin eine neue zu gründen. Albert lebt ein inbrünstiges Leben als Seemann ohne menschliche Bindungen, er scheint verheiratet mit Marstal und dessen Schicksal. So wird seine Beziehung zu Clara Fries ein Drama und erweckt die Leidenschaft und Fähigkeiten dieser Frau, die schließlich in der Zerstörung Marstals als Seehafen münden. Ein fähiger Seemann namens Hermann, dessen Jugend durch den Seetod seines Vaters verkorkst wird, kehrt erfolgreich nach Marstal heim und wird Kinderschreck und großspuriger Wortführer gegen die Gemeinschaft. Er gilt als Mörder und Vergewaltiger, aber im Zweiten Weltkrieg begegnet er Knud Erik in hilfloser Lage und wird beliebtes Mannschaftsmitglied auf dem von Erik befehligten Kriegsschiff. Knud Erik selbst zerbricht fast an der Verantwortung für die Menschen auf seinen Schiffen, deren Notsignalen im Kampfeinsatz zu gehorchen verboten wurde. Diese Verantwortung verfolgt ihn in den Schlaf und errichtet eine Barriere um ihn, die zu durchbrechen erst seiner plötzlich wieder auftauchenden ersten Liebe gelingt. Clara Fries schließlich, deren Mann dem Meer zum Opfer fiel und deren Beziehung zu Albert Madsen einer Tragödie gleicht, zerbricht an ihrem Schmerz und befreit so einen Intellekt, der durch ihren Wahnsinn die Reedereien Marstals ruiniert und der Stadt so die Lebensgrundlage raubt.

Das Meer ist gleichgültig, schreibt Jensen. Doch während der Lektüre lernt der Leser die Gründe der vielen Menschen und ihre Faszination für diesen Schiffe fressenden Moloch kennen und teilen, und so bleibt auch bei ihm der Verlust spürbar, den die Welt durch das Abwracken der großen Segler erfuhr.

Originaltitel: Vi, De Druknede
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
781 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8135-0301-2

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Abraham, Daniel – Herbst der Kriege (Die magischen Städte 3)

Die magischen Städte:

Band 1: Das Drachenschwert“
Band 2: Winter des Verrats“
Band 3: „Herbst der Kriege“

Wie sein Vorgängerband beginnt auch „Herbst der Kriege“ mit einem großen Zeitsprung.

Vor vierzehn Jahren ist Otah eher widerwillig zum Khai seiner Heimatstadt Machi erkoren worden, wobei der Widerwille beide Seiten betrifft: Otah hat noch immer nicht das Geringste für Macht übrig, zumal die Arbeit eines Khai größtenteils in eher unwichtig erscheinendem Kleinkram besteht und mit Etikette überfrachtet ist. Die Utkhais dagegen misstrauen einem Herrscher, der ihre alten Traditionen ablehnt, sie legen ihm das als Schwäche aus.

Doch eines Tages taucht Liat in Machi auf. Eben jene Liat, die in jenem verhängnisvollen Sommer in Sarayketh erst mit Otah, später mit Maati ein Verhältnis hatte. Und sie hat ausgesprochen unangenehme Neuigkeiten im Gepäck …

In der Charakterzeichnung hat sich diesmal eine ganze Menge getan:

Liat, das ehrgeizige aber unsichere junge Mädchen aus dem ersten Band, ist zu einer selbstbewussten Frau und fähigen Leiterin eines Handelskontors geworden, die ihren eigenen Wert nicht mehr hauptsächlich danach beurteilt, ob sie einen Mann hat oder nicht.

Maati hat sich zwar ebenfalls einen Platz in der Stadt Machi erobert und sich mit dem Dichter Cehmai angefreundet, leidet aber noch immer unter Schuldgefühlen, vor allem Nayiit gegenüber, dem er gern ein Vater gewesen wäre.

Nayiit, Liats Sohn, ist einer der Neuzugänge, gutmütig, charmant und freundlich und mit der besten Absicht, ein guter Mann zu sein. Aber er scheint bisher keinen Schimmer davon zu haben, was er sich für seine eigene Zukunft vorstellt. Andererseits hat er bereits Tatsachen geschaffen, er hat geheiratet und ein Kind gezeugt. Ganz offensichtlich hat er sein Leben nicht wirklich im Griff, ist ziellos und unreif.

Der wichtigste Charakter – neben Otah und Maati natürlich – ist Balasar Gice, ein galtischer General, der es sich zu Aufgabe gemacht hat, die Welt ein für alle Mal von den Andaten zu befreien. Er tut dies mit Gründlichkeit, Entschlossenheit und durchaus auch einer gewissen Gnadenlosigkeit, vor allem aber ausgesprochen nüchtern und sachlich, ohne jeden Fanatismus, Ehrgeiz oder Hass, nur aus der reinen Überzeugung heraus, dass das, was er tut, unumgänglich notwendig ist.

Daniel Abraham hat erneut bewiesen, dass er ein Händchen für Charakterzeichnung hat. Er hat diejenigen Personen, die von Anfang an dabei waren, weiterentwickelt, ohne dabei ihren ursprünglichen Entwurf so zu verändern, dass sie nicht mehr sie selbst sind. Alle seine Figuren, von den Neben- bis zu den Hauptrollen, sind frei von Klischees und wirken durch ihre Unsicherheiten, Gewissensbisse und Ängste jederzeit lebensecht und menschlich. Vor allem der General war ein großer Gewinn.

Faszinierend ist auch, dass Abrahams Geschichte noch immer völlig ohne echten Bösewicht auskommt. Die Galten mögen Gegner der magischen Städte sein, das sind sie aber hauptsächlich deshalb, weil sie sich durch die Macht der Andaten bedroht fühlen. Dafür gibt es gute Gründe, wie die Erinnerungen des Generals zeigen. Seltsamerweise gilt das umgekehrt genauso: Die Galten sind ein kriegerisches Volk mit einem schlagkräftigen Heer, das seit Jahrzehnten immer wieder mit seinen Nachbarn Krieg führt, und die magischen Städte fürchten, ohne den Schutz der Andaten von den Galten überrannt zu werden, was auch nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. Diesen Konflikt, der letzten Endes in einen Krieg führt, hat Daniel Abraham gekonnt in Szene gesetzt. Die Kampfszenen hielten sich dabei eher in Grenzen, blutige Details und andere Grausamkeiten fehlen fast vollständig. Das Gewicht liegt eher darauf, wie die Menschen mit der Bedrohung oder mit dem Erlebten umgehen.

Das klingt jetzt vielleicht etwas fad, und tatsächlich kann ich nicht behaupten, dass ich beim Lesen feuchte Hände bekommen hätte. Aber dem Autor ist es gelungen, die Tatsache, dass der Gegenspieler des Helden eigentlich ein ganz patenter Mann ist, für sich zu nutzen. Denn am Ende geraten beide Seiten unter Druck, und der Leser weiß nicht so recht, ob er überhaupt jemandem, und wenn ja, wem nun den Sieg wünschen soll. Außerdem wäre da noch der Söldner Sinja, der auf seine Weise dafür sorgt, dass die Sache zunehmen spannend wird.

Überrascht hat mich, dass das Dokument, das im zweiten Band des Zyklus noch so wichtig zu sein schien, diesmal überhaupt nicht vorkam. Der Krieg des General Balasar Gice war offenbar eine ausgesprochen persönliche Angelegenheit, die zwar auf sein Betreiben hin vom galtischen Rat gebilligt und unterstützt wurde – irgendwoher musste er ja seine Soldaten nehmen – von den übrigen galtischen Intrigen aber unabhängig war. Das zeigt sich auch in der Durchführung, die Dimensionen von dem entfernt ist, was die Galten bisher an Unternehmungen auf die Beine gestellt haben.

Fragt sich nur, ob der galtische Rat mit dem Ergebnis zufrieden ist. Immerhin hatte er etwas andere Vorstellungen von der Zielsetzung dieses Feldzuges als sein General. Und da die phantastischen Elemente in diesem Zyklus bisher völlig auf die Andaten beschränkt waren, stellt sich auch die Frage, wie diese im letzten Band des Zyklus aussehen werden. Ich bin wirklich neugierig, wie die Sache ausgeht.

Daniel Abraham lebt mit Frau und Tochter in New Mexico. Bevor er seinen ersten Roman „Sommer der Zwietracht“ verfasste, hat er eine Vielzahl von Kurzgeschichten in Magazinen und Anthologien sowie den Kurzroman „Shadow Twin“ in Zusammenarbeit mit Gardner Dozois und George R. R. Martin veröffentlicht. Seine Kurzgeschichte „Flat Diane“ wurde für den Nebula Award nominiert. Der letzte Band des Zyklus Die magischen Städte, „The Price of Spring“, kommt im Juli 2009 in die amerikanischen Buchläden. Der Erscheinungstermin für die deutsche Übersetzung ist noch nicht bekannt.

509 Seiten, kartoniert
Originaltitel: An Autumn War (The Long Price Quartet 3)
Übersetzung: Andreas Heckmann
ISBN-13: 978-3-442-24448-5

http://www.danielabraham.com/
www.randomhouse.de/blanvalet

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Trudi Canavan – Magie

Tessia ist die Tochter eines Landarztes, und wenn es nach ihr ginge, dann würde sie selbst Heilerin werden. Doch dann stellt sich plötzlich heraus, dass Tessia ein Naturtalent ist: Sie besitzt Magie! Nun bleibt ihr nichts weiter übrig, als Magierin zu werden, doch die Heilkunst lässt sie trotzdem nicht los. Und das ist gar nicht so verkehrt.

Denn Kyralia treibt auf einen Krieg mit Sachaka zu. Das Nachbarland, das Kyralia schon einmal erobert hatte, steht vor dem Problem, dass in seiner Gesellschaft nur Landbesitzer etwas zählen. Und da es weit mehr Magier gibt als Land, werfen einige Landlose äußerst begehrliche Blicke gen Südwesten, ganz gegen den Willen des sachakanischen Kaisers.

Der drohende Krieg beschäftigt Stara zunächst nur wenig. Das junge Mädchen, das in Elyne aufgewachsen ist, hat vor allem Schwierigkeiten mit der Sklavengesellschaft Sachakas. Als sie feststellen muss, dass ihr Vater sie nur zu sich gerufen hat, um sie zu seinem eigenen Vorteil zu verheiraten, ist sie zutiefst verletzt und enttäuscht und ergreift die erste Gelegenheit, die ihr geboten wird, um sich gegen das System zu wenden …

Die Handlung teilt sich also unübersehbar in zwei Stränge: Für den kleineren Handlungsstrang ist im Grunde nur Stara wirklich wichtig. Stara ist Halbsachakanerin und eine echte Schönheit. Aber sie ist auch intelligent, einfallsreich und tüchtig, was zu ihrem Kummer in Sachaka niemanden interessiert. Außerdem hat sie in Elyne von einer Freundin heimlich die niedere Magie erlernt, in Sachaka ebenfalls kein Bonuspunkt, sondern eher ein Makel.

Der größere Handlungsstrang bietet deutlich mehr Personen. Tessia ist klug und lernwillig, vor allem aber mitfühlend und hilfsbereit. Und sie macht keine halben Sachen. Da sie nun mal von ihrem Vater so viel über Krankheiten und deren Behandlung gelernt hat, ist sie auch willens, diese Kenntnisse anzuwenden. Gleichzeitig ist sie aber auch neugierig und einfühlsam genug, um sich erfolgreich auf ein neues Gebiet vorzutasten: Tessia will die Magie mit der Heilkunst verknüpfen.

Ihre Hartnäckigkeit in dieser Hinsicht beeindruckt letztlich sogar Jayan. Der etwas überhebliche junge Meisterschüler aus einem städtischen Adelsgeschlecht ist zunächst gar nicht erbaut davon, dass er seine Lehrzeit nun mit einer Anfängerin teilen muss, die ihn nur aufhält. Der drohende Krieg mit Sachaka sorgt allerdings nur zu bald dafür, dass er seine Meinung über Tessia ändert.

Takado, der sachakanische Magier, der den Krieg letztlich ins Rollen gebracht hat, ist ein stolzer Mann. Dass Sachaka Kyralia und Elyne einst in die Unabhängigkeit entlassen hat, empfindet er als Schmach, die Weigerung seines Kaisers als Schwäche. Takado ist klug, ein guter Stratege und eine charismatische Persönlichkeit. Er ist sich sicher, dass es ihm gelingen wird, Kyralia zu erobern, also versucht er es eben auf eigene Faust.

Und dann wäre da noch Narvelan, ein junger Magier und Nachbar von Tessias und Jayans Lehrmeister Dakon. Narvelan ist vor allem deshalb erwähnenswert, weil sein Charakter sich im Laufe der Geschichte am gravierendsten wandelt, als ein Beispiel dafür, was Krieg aus einem Menschen machen kann. Wobei das nicht ganz passend ausgedrückt ist, denn das, was aus Narvelan wird, ist von Anfang an in seiner Persönlichkeit angelegt, und doch hätte er ohne den Krieg der fröhliche und unbeschwerte junge Mann bleiben können, der er ursprünglich war.

„Magie“ ist das Prequel zum Zyklus Die Gilde der schwarzen Magier, doch obwohl es schon eine ganze Weile her ist, dass ich diesen Zyklus gelesen habe, empfand ich die Charakterzeichnung in diesem neuen Roman gelungener als die im Zyklus. Das gilt vielleicht nicht unbedingt für Stara, deren Geschichte hauptsächlich dazu zu dienen scheint, die sachakanische Gesellschaft etwas genauer zu beleuchten, aber immerhin hat sie ihr Selbstbewusstsein im wesentlich offeneren und freieren Klima des Nachbarlandes Elyne entwickelt, nicht in Sachaka. Auch Tessias Persönlichkeit ist dadurch, dass sie sich als Frau gegen die Regeln einer Männergesellschaft stemmt, ein wenig in einer derzeit modernen Schiene gefangen, was aber dadurch gemildert wird, dass sie in der Stadt eine Gleichgesinnte trifft. Jayans Charakter dagegen hat sich wesentlich glaubwürdiger entwickelt als Regins im zweiten Band des Zyklus, und die Person Narvelans ist einfach nur tragisch, im positiven Sinne. Interessant fand ich vor allem die Darstellung Takados, denn jegliche Schilderung dieses Mannes geschieht aus der Sicht seines Sklaven. Auf diese Weise erklärt sich auch ein großer Teil der sachakanischen Kultur, zum Beispiel die Frage, warum nahezu alle Sklaven ihren Herren so treu ergeben sind, anstatt einfach eine Revolte anzuzetteln.

Darin, wie schwer sich die Charakterzeichnung von der Darstellung des gesellschaftlichen Hintergrunds, also vom Entwurf der Welt als solcher, trennen lässt, zeigt sich bereits, wie eng Trudi Canavan die einzelnen Teile ihrer Geschichte miteinander verwoben hat.

Den Handlungsverlauf des Hauptstrangs lässt die Autorin eher langsam angehen. Zunächst widmet sie sich der Einführung ihrer Charaktere und auch kurz dem Kontrast zwischen Stadt und Land, ehe sie zur Sache kommt. Und auch als der Konflikt bereits im Gange ist, tut sich zunächst nicht viel. Takado lässt sich Zeit. Und die Kyralier auch. Überhaupt hinken die Kyralier den Sachakanern zunächst ständig hinterher, selbst als längst klar ist, dass Sachaka tatsächlich Kyralia erobern will. Das ist natürlich auch ein wenig Taktik der Autorin, und sie geht auf.

Je näher die Sachakaner der Hauptstadt Imardin kommen, desto schlechter stehen die Karten für Kyralia, und der Ausgang der diversen Schlachten tut sein Übriges. Das sorgt gegen Ende durchaus für Spannung. Wobei „Ende“ relativ ist, denn die Entscheidungsschlacht kam erstaunlich früh. Aber schließlich handelt es sich um ein Prequel, also hat die Autorin das Buch weit genug geführt, um zu erklären, wie es zur Ausgangssituation im Zyklus kam. Und das ist ihr gelungen, ohne den Leser in ein Loch fallen zu lassen. Der Teil nach der Entscheidungsschlacht ist weder langweilig noch überflüssig, es gibt immer noch genug Probleme zu bewältigen, wenn auch ganz anderer Art, und ohne diesen Teil wären eine Menge Fäden einfach in der Luft hängen geblieben.

Der zweite Handlungsstrang setzt erst im zweiten Teil des Buches ein. Er liefert die Informationen, die nötig sind, um den Verlauf der Ereignisse nach der Entscheidungsschlacht zu verstehen, ist aber mit dem Hauptstrang kaum verbunden und hat auch kaum Auswirkungen auf dessen Verlauf. Allein Jayans Verletzung, die aus der kurzen Berührung der beiden Stränge resultiert, bewirkt eine Veränderung, die sonst nicht eingetreten wäre. Es sei denn natürlich, Trudi Canavan hätte die Absicht, das Ende des kleineren Handlungsteils mit in das Sequel einfließen zu lassen, an dem sie im Augenblick schreibt, sozusagen als Langzeitwirkung. Ich zumindest würde das begrüßen, denn sie hat da einige vielversprechende Ideen angedeutet.

„Magie“ selbst ist allerdings ein eigenständiger Roman, der unabhängig von dem Zyklus gelesen werden kann, dessen Vorgeschichte er erzählt.

Bleibt zu sagen, dass Trudi Canavan sich gesteigert hat. Die Gilde der schwarzen Magier fand ich ja schon nicht schlecht, aber „Magie“ hat mir noch besser gefallen. Das Mittelfeld dürfte die Autorin damit hinter sich gelassen haben. Ich bin jetzt schon gespannt auf ihre neue Trilogie.

Trudy Canavan stammt aus Australien, wo sie nach einem Studium am Melbourne College of Decoration als Designerin, Illustratorin und Kartenzeichnerin für verschiedene Verlage tätig war, ehe sie zu schreiben begann. 1999 gewann sie mit ihrer Kurzgeschichte „Whispers of the Mist Children“ den Aurealis Award for Best Fantasy Short Story. 2001 erschien dann ihr erster Roman, der erste Band der Trilogie Die Gilde der schwarzen Magier. Ihre Trilogie Das Zeitalter der Fünf ist inzwischen ebenfalls auf Deutsch erhältlich. The Traitor Syp Trilogy, die Fortsetzung zu Die Gilde der schwarzen Magier, ist derzeit noch in Arbeit.

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 736 Seiten
Originaltitel: The Magician’s Apprentice
Deutsch von Michaela Link
ISBN-13: 978-3-7645-3037-2

´ http://www.trudicanavan.com/
http://www.randomhouse.de/penhaligon/index.jsp

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Preisler, Jerome – CSI Las Vegas: Tod in der Wüste

_Das geschieht:_

In ihrem Haus im vornehmen Vorort Mariah Valley wird nackt, an ihr Bett gefesselt und erstickt die schöne Rose Demille gefunden. Die High-Society und die Medien kannten und liebten sie als „Nevada Rose“. Regelmäßig lieferte ihr mondäner und lockerer Lebensstil Schlagzeilen. Die Zahl der Verdächtigen bleibt dennoch überschaubar, nachdem Catherine Willows und Warrick Brown, zwei erfahrene Beamte des Kriminaltechnischen Labors Las Vegas (CSI), die Ermittlung übernehmen.

Am Tatort finden sie Spuren, die auf die nächtliche Anwesenheit des Baseball-Starspielers Mark Baker hindeuten, der als Demilles aktueller Liebhaber und sogar Verlobter galt. Darüber hinaus unterhielt die verstorbene „Nevada Rose“ aber auch ein Verhältnis mit dem berühmten – und verheirateten – Schönheitschirurgen Layton Samuels …

CSI-Chef Gil Grissom und seine Kollegen Sara Sidle und Greg Sanders plagen sich derweil mit dem Fall des ‚grünen Mannes‘: Aus einem künstlichen See am Rand der Wüste zog man die Leiche des Edelstein-Schürfers Arthur Belcher, die nach Wochen des Treibens im trüben Wasser weder einen erfreulichen Anblick bietet noch die Umstände ihres Ende preisgibt.

Mit seinem Bruder Charles und seiner Mutter Gloria bildete Arthur zu Lebzeiten ein erfolgreiches, aber notorisch zerstrittenes Trio. Vor einigen Monaten gelang den Belchers in ihrer Mine der Fund ihres Lebens: ein gigantischer roter Smaragd, den sie „Nevada Rose“ tauften. Über den Verkauf war man uneins, was in Grissom die Frage weckt, ob sich die Familie des lästigen Arthurs nicht heimlich entledigt hat …

_Das Bekannte neu und aufregend wirken lassen_

„Exklusiver, bisher unveröffentlichter Originalfall“, liest man lockend auf dem Cover der deutschen Ausgabe. Normalerweise darf das Adjektiv „exklusiv“ in Verbindung mit einem Roman, der offensichtlich ein „tie-in“-Produkt ist, nicht als Empfehlung gelten: Moderne Franchises decken alle potenziell einträglichen Bereiche mit entsprechenden Angeboten ab; das „Buch zum Film“ oder in diesem Fall zur TV-Serie ist da nur ein Posten auf der Liste.

Das „CSI“-Franchise bildet indes seit jeher eine rühmliche Ausnahme. Die Qualität der Serie (bzw. der Serien, denn ermittelt wird ja nicht nur in Las Vegas, sondern auch in Miami und New York City) spiegelt sich in Romanen wider, die trotz verschiedener Autoren erstaunlich lesenswert geraten. Es dürfte primär daran liegen, dass zwar Schriftsteller angeheuert werden, die vor allem schnell die gewünschte ‚Ware‘ liefern, dabei jedoch darauf geachtet wird, nicht den Bodensatz der Branche aufzurühren; „tie-in“-Romane können schrecklich sein, und meist sind sie es auch, weil in der Materie kundige, aber ansonsten unerfahrene und/oder untalentierte Schreiberlinge, oft deutlich erkennbar mehr Fans als Autoren, auf die Leser losgelassen werden.

Jerome Preisler ist ein Profi mit langer Veröffentlichungsliste. Wie geschmeidig er sich den jeweiligen Auftraggebern anzupassen weiß, zeigt die Qualität dieses seines ersten „CSI“-Romans. Wobei „Qualität“ in diesem Fall einer näheren Erläuterung bedarf: „Tod in der Wüste“ kann als eigenständiger, solide geplotteter und angenehm lesbarer Krimi überzeugen, wirkt aber im „CSI“-Umfeld deutlich besser. Im Verlauf der Lektüre tauchen vor dem inneren Auge immer wieder Szenen, Dialoge und Kulissen aus der TV-Serie auf. Das geschieht natürlich nicht von ungefähr, sondern wird vom Verfasser forciert, der sich auf diese Weise seinen Job erleichtern kann.

_Die Wüste lebt, aber sie tötet auch_

Was die eigentliche Krimi-Handlung freilich nicht berührt. Hier gilt es einerseits, den Ton zu treffen, in dem sattsam bekannte Figuren interagieren, während andererseits ein scheinbar unmögliches Verbrechen zu entwerfen und aufzuklären ist. Weil ein Roman mit recht eng bedruckten 250 Seiten gefüllt werden muss, sind es sogar zwei Fälle. Mit dieser Episodenstruktur darf sich Preisler auf der sicheren Seite sehen, da auch im Fernsehen oft zwei oder gar drei CSI-Teams Seite an Seite, aber nicht gemeinsam ermitteln.

In „Tod in der Wüste“ bildet die „Nevada Rose“ eine lockere Klammer zwischen den Fällen. Sich des Zufalls bedienend, aber ihn nicht in seinen Dienst zwingend, geht Preisler von der Existenz zweier Rosen aus. Die eine war eine Frau, die ihr Leben in der Stadt verbrachte, die andere ist ein Edelstein, der in der Wüste gefunden wurde. Auf diese Weise hat der Verfasser zwei räumlich voneinander isolierte Schauplätze geschaffen, was sich auf die polizeiliche bzw. kriminaltechnische Arbeit und damit auf die Handlung auswirkt: Stadtteam und Landteam ermitteln auf unterschiedliche Weisen.

Den gemeinsamen Schnittpunkt bildet das „CSI“-Labor mit seinem unerschöpflichen Fundus wundersamer Hightech-Instrumente, die sich unabhängig von jenem Sparzwang, der dem öffentlichen Dienst ansonsten weltweit gemein ist, in Las Vegas zu türmen scheinen. Preisler hat seine Hausaufgaben gemacht. In den Labor-Szenen spricht er geschickt in jener Zunge, deren Sprache man als „Technobabbel“ bezeichnet: Unabhängig davon, ob technisch und wissenschaftlich tatsächlich möglich ist, was uns geschildert wird, klingt es auf jeden Fall realistisch und erfüllt damit seinen Unterhaltungszweck.

_Und wenn sie nicht gestorben sind, ermitteln sie noch morgen …_

„Tod in der Wüste“ ist chronologisch in die zweite Hälfte der 7. „CSI“-TV-Staffel einzuordnen. Warrick Brown lebt, Sara Sidle ist noch im Dienst, ihre Beziehung zu Gil Grissom nicht publik geworden (was erst geschah, als der Modellbau-Mörder sie entführte). Nick Stokes und Jim Brass müssen sich dieses Mal mit Gastauftritten begnügen.

Wie schon erwähnt, vermag sich Preisler erfolgreich in die TV-Figuren hineinzuversetzen. Sie haben alle ihren eigenen Stil und ihre Eigenheiten, die der Verfasser geschickt an passender (oder passend gemachter) Stelle einfließen lässt. Preisler geht womöglich einen Schritt weiter als Max Allan Collins, der bisher für den Las-Vegas-Bereich des „CSI“-Franchises schrieb, wenn er beispielsweise Gil Grissom als bekannt tüchtigen Kriminologen darstellt, der sich jedoch gern im Stil eines ‚zerstreuten Professors‘ in ab- und weitschweifigen Vorträgen verliert und von seinen Kollegen zurück in die Ermittlungsspur gebracht werden muss.

„Tod in der Wüste“ ist trotz seiner Qualitäten kein Krimi, der im Gedächtnis haften wird; dafür ist die Machart zu schematisch. Auf dem Niveau, das vorgelegt wurde und gehalten wird, entstehen jedoch unterhaltsame und gut lesbare Romane wie dieser, deren Reihe sich zweifellos um diverse Bände verlängern wird – und sollte!

_Der Autor_

In New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren, gehört Jerome Preisler zu den schwer und schnell arbeitenden Autoren der „tie-in“-Fraktion: Er bedient diverse Franchises mit Romanen zu Filmen („Last Man Standing“) und TV-Serien („Homicide: Life on the Streets“). Bekannt wurde er durch seine Militär-Thriller der „Power Plays“-Serie, für die Bestseller-Autor Tom Clancy (angeblich) die Exposés lieferte, die Preisler zu Romanen ausarbeitete.

Mit seiner Ehefrau Suzanne schreibt Preisler unter dem gemeinsamen Pseudonym „Suzanne Price“ die Cozy-Serie „Grime Solvers Mystery“. Das Paar lebt und arbeitet wechselweise in New York sowie an der Küste von Neuengland.

_Impressum_

Originaltitel: CSI: Las Vegas – Nevada Rose (New York : Pocket Star Books, a division of Simon & Schuster 2008)
Deutsche Erstveröffentlichung (geb.): Oktober 2008 (Vgs Verlag/CSI Las Vegas, Bd. 10)
Übersetzung: Frauke Meier
256 Seiten
EUR 17,95
ISBN-13: 978-3-8025-1785-3
http://www.vgs.de

Fink, Torsten – Diebin, Die (Die Tochter des Magiers 1)

_Maru ist eine Sklavin_, schon seit sie denken kann, ihre Eltern hat sie nicht gekannt. Früher hat sie in Budinien gelebt, aber jetzt befindet sie sich zusammen mit anderen Sklaven auf einem Boot des Händlers Atib. Und dieser Atib verkauft sie weiter an einen Mann namens Tasil.

Dieses Ereignis bedeutet für Maru ein völlig neues Leben. Denn Tasil will sie nicht als Küchenmagd oder Feldarbeiterin, er will sie als Gehilfin. Dumm nur, dass Tasils Geschäfte offenbar nicht ganz sauber sind. Maru gerät von einer Gefahr in die nächste, und eine ist größer als die andere …

_Tosten Finks Geschichte_ ist von Charakteren bevölkert, die faszinierend, aber nicht unbedingt sympatisch sind.

Da wäre zum Beispiel Prinz Numur, der sich mit seinem Zwillingsbruder Iddun um die Nachfolge seines gerade verstorbenen Vaters streitet. Ein eitler, rücksichtsloser und ehrgeiziger Kerl, dem so ziemlich alles fehlt, was einen guten Regenten ausmachen sollte.

Unterstützt wird er vom Hohepriester des Kriegsgottes, einem verbohrten, blindwütigen Mann, der Prinz Numur benutzt, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Dabei scheint es ihm gleichgültig zu sein, ob seine eigene Seite den Krieg gewinnt oder nicht, Hauptsache, es gibt genug Opfer für seinen blutgierigen Gott!

Der Immit – eine Art Wesir -, den der oberste Herrscher schickt, um den Streit um das Fürstentum zu schlichten, ist zwar ein mächtiger und intelligenter Mann, der sich von niemandem etwas vormachen lässt, aber es scheint ihm Spaß zu machen, mit den Leuten zu spielen, mit denen er zu tun hat. Außerdem ist er selbst durchaus nicht frei von Ehrgeiz.

Am undurchsichtigsten ist seine Frau Umati, eine junge Schönheit, deren Schmuck mehr ist als Schmuck, und die bedenkenlos alle beiseite räumt, die ihren Zielen im Weg stehen. Ob ihre Ziele dieselben sind wie die ihres Mannes, darüber lässt sich rätseln, aber selbst wenn, war ich mir nicht sicher, inwiefern ihr Tun dem dienlich sein sollte. Das macht die Frau geheimnisvoll, aber nicht unbedingt sympatisch.

Am schlimmsten jedoch war Tasil. Der Mann gibt sich als Händler aus, dabei ist er alles mögliche, nur nicht Händler. Zugegeben, er ist gerissen, aber auch ein ungeheuerlicher Lügner und Betrüger, ein eigensüchtiger, gewissenloser Intrigant, der aus allem seinen Vorteil zu schlagen versucht und bereit ist, alles und jeden dafür zu opfern. Ich mochte Tasil nicht und wartete die ganze Zeit darauf, dass es ihn erwischt oder Maru zumindest irgendwie von ihm loskommt.

Maru ist die einzige Ausnahme in diesem Haufen von gierigen Halsabschneidern. Sie ist klug und anpassungsfähig, aber sie empfindet auch Mitgefühl für andere, Abscheu vor Tasils Tun und natürlich auch Angst. Obgleich sie sich dessen bewusst ist, dass Tasil sie nur benutzt, scheint sie ihn fast ein wenig zu mögen. Das wunderte mich schon ziemlich, andererseits ist Tasil nicht direkt grausam oder unfreundlich zu ihr, und schließlich gibt es sonst nirgendwo einen Platz für sie.

So war Maru letztlich die einzige, wirkliche Sympathieträgerin der Geschichte, denn der Bruder von Prinz Numur, der dafür vielleicht ebenfalls noch in Frage gekommen wäre, spielt leider nur eine winzige Nebenrolle. Trotzdem fand ich die Charakterzeichnung hervorragend. Den Typus des eingebildeten Prinzen und seines skrupellosen Beraters gab es ja schon oft, aber selbst diese beiden wirken nicht wie Klischees. Vielleicht deshalb, weil sie sich von Tasil beschwatzen lassen. Denn obwohl das Buch eigentlich Marus Geschichte erzählt, ist doch Tasil ihr Dreh- und Angelpunkt. Ein Gauner dieses Formats ist mir bisher wirklich selten begegnet, nicht nur, weil sein Tun das Ausmaß gnadenloser Unverfrorenheit besitzt, sondern auch, weil sich in seinem Fall nicht, wie so oft, am Ende herausgestellt hat, dass der Kerl eigentlich gar nicht so übel ist. Torsten Fink ist konsequent geblieben, und das war gut so.

_Da Tasil die Handlung derart dominiert_, fehlt es der Erzählung gänzlich an epischer Breite. Nahezu alles spielt sich in der Stadt Serkesch ab. Es gibt keine Reise quer durch den Kontinent auf der Suche nach irgendetwas oder jemandem, es gibt keine Prophezeiung, keine übermächtige Bedrohung von außen. Stattdessen wird der Leser Zeuge davon, wie ein Mann einen Konflikt nutzt, um sich zu bereichern, und dabei alle Beteiligten in den Ruin treibt. Dass die Mächtigen der Stadt Tasils Einflüsterungen folgen, obwohl sie ihn eigentlich von Anfang an durchschaut haben – mit Ausnahme vielleicht von Iddun -, zeigt nur, mit welcher Skrupellosigkeit sie ihre Ziele verfolgen und welcher Mittel sie bereit sind sich zu bedienen. Man kann also beruhigt sagen, dass sie jemanden wie Tasil verdient haben.

Am Ende blieb bei mir der Eindruck zurück, Zeuge einer sehr schmutzigen und erbärmlichen Schlammschlacht geworden zu sein. Gäbe es nicht ein paar Leute mit magischen Gaben, könnte die Geschichte glatt in der Realität spielen, und ich hätte das Buch am Ende weggelegt, erleichtert, dass es zu Ende ist, und ohne den Wunsch, eine Fortsetzung zu lesen.

Tatsächlich jedoch habe ich den Wunsch, die Fortsetzung zu lesen. Denn am Ende bleiben eine Menge Fragen offen, die mit einer gewissen Beiläufigkeit nach und nach aufgetaucht sind. Diese Beiläufigkeit hat ihren Ursprung darin, dass der Autor – zugunsten der von Tasils Tun dominierten Handlung – mit fantastischen Details ausgesprochen sparsam war. Tasil beherrscht offenbar ein wenig Magie, seine Fähigkeiten scheinen allerdings ziemlich begrenzt. Aber auch die Macht der Zauberer scheint in dieser Welt nicht übermäßig groß. Zwar werden sie als mächtig beschrieben, offenbar können sie aber keinen wirklichen Einfluss auf die Realität nehmen, sondern nur Illusionen erschaffen, die dann allerdings mächtig genug sind, um zu töten. Außer den Zauberern und Tasil besitzt nur Maru Magie, denn sie durchschaut die Illusion eines Zauberers. Dem Zauberer ist das bereits aufgefallen, und auch Tasil hat einen entsprechenden Verdacht.

Welche Folgen das für Maru künftig haben wird, aber auch, wie es kommt, dass Tasil magische Fähigkeiten besitzt, obwohl er kein Zauberer ist, und was es mit dem Daimon Utukku auf sich hat oder mit dem Krabbelgetier, das sich plötzlich in gelbe Schmetterlinge verwandelt hat, all das sorgt dafür, dass das Interesse des Lesers an der Geschichte erhalten bleibt.

_Alles in allem_ kann man das Buch nur als sehr gut bezeichnen. Wen es nicht stört, dass er es nahezu ausschließlich mit Charakterschweinen zu tun hat, dem wird es niemals langweilig werden, denn Tasils dreiste Winkelzüge steigern sich ständig, wie bei einem Jongleur, der stetig weitere Bälle dazunimmt, und die Aussagen des blinden Geschichtenerzählers ebenso wie die des Daimons Utukku geben immer neue Rätsel auf. Ein wenig Geduld braucht man, bis man sich eingelesen hat, denn der Autor verwendet eine Menge eigener Wortschöpfungen, die selbst mit Glossar zunächst ein wenig für Verwirrung sorgen, aber das legt sich, und schließlich tragen diese Andeutungen einer eigenen Sprache ein wenig zu dem eher bescheidenen Hauch von fremdem Flair bei, den der Autor seinem Werk hat angedeihen lassen. Wer mit geringer Ausschmückung und mäßiger Action zufrieden ist, der kann hier durchaus auf seine Kosten kommen.

_Torsten Fink_ war Journalist und Texter, unter anderem für literarisches Kabarett, ehe er 2008 sein erstes Buch „Die Insel der Dämonen“ veröffentlichte. Er lebt und arbeitet in Mainz. „Die Diebin“ ist der erste Band seines dreiteiligen Zyklus |Die Tochter des Magiers|. Der zweite Band mit dem Titel „Die Gefährtin“ ist ebenfalls bereits erschienen.

|413 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-442-26631-9|
http://www.blanvalet-verlag.de

Sterling E. Lanier – Hieros Reise

Viele Jahre nach der atomaren Apokalypse begibt sich ein Kriegermönch auf eine lange Reise, um nach den Geheimnissen der Vergangenheit zu forschen. Begleitet von einige Gefährten sowie verfolgt von finsteren Feinden, stößt er in eine radioaktiv veränderte Welt voller Wunder und grässlicher Gefahren vor … – An Tolkiens „Herr der Ringe“-Epos angelehntes aber eigenständiges SF/Fantasy-Abenteuer, das durch den unerhörten Einfallsreichtum des Verfassers und sympathische Hauptfiguren fesselt: ein Klassiker, den jeder Phantastik-Leser kennen sollte!
Sterling E. Lanier – Hieros Reise weiterlesen

Garlick, Mark A. – große Weltraum-Atlas, Der

_Preisgünstiger, farbenprächtiger Blick ins All_

Wie ist unser Sonnensystem entstanden und was wissen wir heute über das Universum? Welche Sternbilder kann ich am Himmel sehen und gibt es Leben auf anderen Planeten? „Der große Weltraum-Atlas“ soll Licht in diese Geheimnisse des Universums bringen und lädt auf eine spannende Entdeckungsreise ein. Er soll ein umfassendes Nachschlagewerk für alle sein, die sich für Schwarze Löcher, Raumsonden, Mondlandungen und die Weiten des Alls interessieren. Dabei setzt das großformatige Werk vor allem auf visuelle Präsentation, die das Verständnis erleichtern soll: 800 Fotos, Abbildungen sowie Sternkarten bieten eine Fülle von Informationen.

_Der Autor_

Mark A. Garlick ist Doktor der Astrophysik und war mehrere Jahre lang in der Forschung tätig. Heute ist er freischaffender Autor mit dem Spezialgebiet Astronomie und einer der ganz wenigen und herausragenden Illustratoren auf diesem Gebiet. Sein fachlicher Berater heißt übrigens Dr. John O’Byrne.

_Inhalte_

Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt:

1) Das Sonnensystem
2) Das Universum
3) Himmelsbeobachtung
4) Erforschung des Weltalls

Die Abschnitte 1 und 2 präsentieren die passive Beschreibung, die Abschnitte 3 und 4 aber die aktive Beobachtung und Erforschung. Diese Einteilung lässt sich leicht nachvollziehen. Aber wie sieht sie im Einzelnen aus?

|Abschnitt 1: Das Sonnensystem|

Unser Sonnensystem besteht nicht nur aus den bekannten Planeten, ihren Monden und der Sonne. Nein, es kommen auch der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter sowie der Kuiper-Gürtel jenseits des Neptun hinzu. Sehr gut fand ich hier, wie die einzelnen Planeten und Monde (manche Jupiter- und Saturnmonde sind Miniatur-Erden) mit Fotomaterial dargestellt werden, insbesondere auch Fotos von der Rückseite des Mondes, die nur Sonden zu sehen bekommen. Überall sind die Landungsstellen von Sonden eingetragen.

Zu jedem Planeten gibt es auch ein Bild von einer mythologischen Figur, die dem Planeten ihren Namen lieh: Neptun, Jupiter, Mars, Merkus, Venus, Saturn, Uranus, Pluto. Doch was ist mit der Erde und dem Mond? Der Mond ist Diana bzw. Selene zugeordnet, der Mondgöttin, die Erde einer sumerischen Erdgöttin. Man könnte sie auch Gaia oder Gäa nennen. Etwas zweifelhaft fand ich jedoch, dass der Sonne Apollo zugeordnet wurde. Er ist zwar der Lichtgott der Griechen gewesen, aber die Sonne verkörperte der Gott Helios, wie man bei Homer nachlesen kann.

Die Kometen, Meteore, Meteorschwärme und Kleinplaneten kommen nicht aus dem Inneren und Äußeren Sonnensystem, sondern aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem wie eine Kugel umschließt. Kometen (von griech. „koma“: Haar) und Meteorschwärme nähern sich der Sonne und somit der Erde mitunter stark an, verglühen aber in der Regel in der Atmosphäre. Das Buch sagt ganz allgemein, dass Kometen aus Eis und Gestein bestehen, Meteore aber nur aus Gestein, z. B. Nickeleisen. Zu den Zwergplaneten zählt inzwischen auch Pluto.

Zum Inneren und Äußeren Sonnensystem findet sich je eine Doppelseite mit Übersichten, Zusammenfassungen, wichtigen Zahlen, Rekorden und diversen Ereignissen wie etwa Landungen. Auch die Geschichte der Entdeckungen ist kurz zusammengefasst.

|Abschnitt 2: Das Universum|

Im Sonnensystem finden sich nicht die einzigen Planeten des Weltalls. Eine Doppelseite listet Planeten in anderen Sternsystemen auf, und das sind schon eine ganze Menge. Einige der schönsten Fotos, die das Hubble-Teleskop geschossen hat, sind die von Nebeln, wie etwa vom Pferdekopfnebel. Wunderbar dreidimensional sind Gaskaskaden herausgearbeitet.

Unter den Sternen ist Sol nicht der größte. Es gibt Sterne wie Rigel, der 50-mal so groß ist und 40.000 Mal heller strahlt: ein Blauer Überriese. Der Rote Überriese Antares ist 700-mal so groß wie Sol. Die Übersicht macht die Größenverhältnisse sinnfällig deutlich. Auch das Leben eines Sterns bis zu seinem Tod wird erläutert. Nach den Veränderlichen Sternen sind die Supernovas dran, die zu den spektakulärsten Objekten in der Radioteleskopie zählen. Die Supernova des Krebsnebels wurde 1054 von den Chinesen beobachtet. Entstehung, Verlauf und Folgen einer Sternexplosion werden leider nur sehr knapp erklärt.

Die Einheiten werden größer. Man unterscheidet Offene Sternhaufen, die in den Spiralarmen der Galaxien vorkommen, und Kugelsternhaufen, die außerhalb der Galaxie zu finden sind und ihren Halo bilden. Nach einer weiteren Seite mit Übersichten und Zusammenfassungen findet man folgerichtig Darstellungen unserer Milchstraße und anderer Galaxien. Dass diese nicht immer spiralförmig oder elliptisch sein müssen, hat mich überrascht. Es gibt auch „irreguläre“ und Zwerggalaxien.

Witziges Szenario: In etwa drei Milliarden Jahren wird unsere Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie (M31) kollidieren. Galaxien lassen sich wie Sterne zu Galaxiehaufen zusammenfassen, auch zu Superhaufen. Zu unserer lokalen Gruppe zählen mindestens 45 Galaxien.

Recht theoretisch und spekulativ sind die Darstellungen von Schwarzen Löchern und dem Urknall des Universums. Es ist verständlich, dass über die Dunkle Materie, die sechsmal mehr Masse ausmacht als die sichtbare, nur auf der Übersichtsseite etwas zu finden ist – ein paar Zeilen. Ebenso kurz ist die Bemerkung über die Dunkle Energie, von der man noch weniger weiß. Sie wirkt der Schwerkraft entgegen und beschleunigt die Ausdehnung des Universums. Es muss sie geben, sonst würde das Weltall wieder zu einer Singularität zusammenstürzen und erneut einen Urknall hervorbringen (pulsierendes Universum). Tatsache ist aber, dass es sich pausenlos ausdehnt.

|Abschnitt 3: Himmelsbeobachtung|

Von den fernsten Dingen zu den nächstliegenden: Fernrohren. Mit diesem scheinbar einfachen optischen Gerät lassen sich immer noch spektakuläre Entdeckungen machen, so etwa 1997 den Kometen Hyakutake. Für die Beobachtung von Mond und Sonne gibt das Buch Tipps und im Falle einer Sonnenfinsternis auch Tipps für Vorsichtsmaßnahmen, damit der Beobachter nicht erblindet.

Die Beobachtung der Planeten ist etwas kniffliger, weil sie kleiner sind. Aber da sie geordneten Bahnen folgen, kann man mit bloßem Auge ohne weiteres fünf Planeten entdecken, mit einem guten Fernrohr sogar sieben sowie die Jupitermonde. Reizvoller noch finde ich die Sternbilder. Die zwölf Tierkreiszeichen sind zu finden und je nach nördlicher oder südlicher Hemisphäre auch etliche weitere. Es gab Zeiten, in denen weitere Sternbilder erfunden wurden. Und je nach Kultur werden sie auch anders bezeichnet; im Großen Wagen sahen die Sioux beispielsweise ein Stinktier. Die Konstellationen verändern ihre Form, weil die Teilsterne sich weiterbewegen.

Weitere Seiten erklären dem angehenden Pfadfinder, wie man Süden und Norden erkennt, um sich bei Nacht zu orientieren. Das ist beim Südpol schwierig, denn er ist nicht mit einem Stern wie dem nördlichen Polarstern verbunden, sondern liegt irgendwo im Nichts. Wie man Sternkarten liest, fand ich ebenfalls interessant. Gigantische Karten stellen die Sterne dar, die zu den vier Jahreszeiten im Norden bzw. dem Süden zu sehen sind: acht Doppelseiten!

|Abschnitt 4: Erforschung des Weltalls|

Die Erforschung begann mit den ersten Beobachtungseinrichtungen. Interessant ist, dass auch Stonehenge als eine Art Observatorium aufgezählt wird. Natürlich haben auch Hochkulturen wie Babylonien, Ägypten und China erste Astronomiedaten gesammelt. In Mesopotamien wurde immerhin die Mathematik entwickelt. Leider fehlt die Himmelsscheibe aus dem deutschen Ort Nebra.

Das Weltall wurde in der Renaissance und Neuzeit anders betrachtet als im Mittelalter: Große Astronomen wie Kopernikus, Galilei halfen, aus dem geozentrischen ein heliozentrisches Sonnensystem zu machen. Statt Johannes Kepler wird der kupfernasige Däne Tycho Brahe aufgezählt (obwohl der dem heliozentrischen Weltbild deutlich misstraute). Die Reihe endet mit Newton, was ich etwas unfair finde.

Mit Riesenschritten geht es mit Hilfe von Sonden und diversen Großteleskopen immer weiter hinaus in die Tiefen des Alls. Doch bis zu den ersten Spaziergängen im All und auf dem Mond dauert es noch eine Weile. Raumsonden sind der verlängerte Arm des Menschen, um das All zu erkunden. Dass das Buch vor dem Januar 2008 entstand, lässt sich an den Startterminen für die nächsten Sonden ablesen, die ab 1/08 alle in der Zukunft liegen.

Sind wir allein im All? Diese Frage beschäftigt uns nach wie vor. Schiaparelli fand „Kanäle“ auf dem Mars und zeichnete eine recht kuriose Karte. Programme wie SETI suchen Leben und erdähnliche Planeten, doch in unserem Sonnensystem besitzen nur noch Venus und der Saturnmond Titan dichte Atmosphären, in denen ein Mensch landen könnte. Gibt es dort Leben? Die Suche geht dort ebenso weiter wie auf dem Jupitermond Europa, den eine dicke Eisschicht bedeckt, unter der sich ein Wasserozean befinden könnte. Die Darstellungen außerirdischer Lebensformen sehen etwas kurios aus.

Vor dem GLOSSAR mit Fachbegriffen liefert eine Doppelseite die übliche Zusammenfassung und Übersicht, darunter eine Liste mit Ereignissen zum „Weltall ins All“ – wobei natürlich die Amis die Nase vorn haben. Wesentlich interessanter fand ich die Erwähnung des 2013 startenden James-Webb-Weltraumteleskops, welches das veraltete Hubble-Teleskop ersetzen wird. Nach dem Glossar folgt das Register. Dieser Stichwortindex erleichtert das Finden von Begriffen enorm und gehört zu jeder wissenschaftlichen Buchpublikation.

_Unterm Strich_

Die Fülle des auf etwa 120 Seiten präsentierten Materials und Wissens erscheint zunächst überwältigend, erweist sich aber für einen jahrelang mit Astronomie und der Raumfahrt befassten Laien wie mich als doch schon ziemlich bekannt. Sicher, es ist hat etwas für sich, all die wunderbar spektakulären Objekte wie etwa die Ringe des Saturn oder Supernovae in den prächtigsten Farben geboten zu bekommen, aber wie neu ist das denn? Selbst der Kuipergürtel ist seit 1992 bekannt.

Nein, dieser Weltraum-Atlas ist etwas für Einsteiger, insbesondere im jugendlichen Alter, in dem man besonders leicht beeindruckbar ist. Sie werden auch weitestgehenden von Fremdwörtern und Fachjargon verschont. Fortgeschrittene Laien finden in einem Buch von Stephen Hawking oder Markus Chown mehr theoretische Anregungen, die weiterführen.

|Neues?|

Man muss schon in den didaktisch sehr willkommenen Übersichten zu jedem Abschnitt suchen, um etwas wirklich Neues zu finden. Dazu gehören die Dunkle Materie, die Dunkle Energie, bislang entdeckte Exoplaneten sowie Starttermine für künftige Sonden, Teleskope und Raumfahrtprogramme. Da kommt noch einiges, auf das wir uns freuen können.

|Patriotisch?|

Der Eindruck sollte nicht entstehen, dass der amerikanische Autor und sein Autor auf patriotische Weise dafür gesorgt hätten, dass die sowjetische Leistungen in der Raumfahrt verschwiegen oder herabgesetzt würden. Das ist nicht zutreffend, wie die entsprechende Überblicksseite belegt. Unter den „Rekorden“ sind mehrere Russen zu finden sowie die russische Raumstation |Mir|. Auch im „Wettlauf ins All“ sind die Sowjets gut vertreten.

Dass so wenige andere Nationen wie die Europäer auf den Fotos vertreten sind, liegen wohl eher an den Rechten, mit denen manche Foto-Datenbanken ausgewertet werden konnten. Unter diesen Datenbanken hat wohl die NASA eines der größten Archive überhaupt. Die Autoren wollen den Eindruck hinterlassen, dass der Weltraum ebenso wie die Raumfahrt alle Erdenbürger angeht, und das ist eine gute Einstellung.

|Originaltitel: Atlas of the Universe, 2007
Aus dem US-Englischen von Manfred Wolf
128 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-570-13496-2|
http://www.cbj-verlag.de

Saramago, José – Eine Zeit ohne Tod

|“Am darauffolgenden Tag starb niemand.“|

So unauffällig und doch eindringlich beginnt der Literaturnobelpreisträger [José Saramago]http://de.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9__Saramago sein vorliegendes Buch. In einem nicht näher benannten Land zu einer nicht näher benannten Zeit stirbt ab einer Silvesternacht niemand mehr. Die Todkranken, die kurz davor waren, ihren letzten Atemzug zu tun, bleiben am Leben – auch wenn sie alles andere als gesund werden. Sie vegetieren und leiden vor sich hin und können doch nicht sterben. Nirgends wartet der erlösende Tod auf sie, zumindest nicht in diesem Land. Und so kommen einige findige Menschen auf die Idee, ihre sterbenskranken Freunde und Verwandten über die Grenze zu bringen, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Eine Bauernfamilie ist es, die den Anfang macht und zwei Menschen im Nachbarland beerdigt. Fortan will die Maphia diese schreckliche Aufgabe übernehmen, denn immerhin stellt sich doch die Frage: Ist es Mord, jemanden zum Sterben über die Grenze zu bringen?

Aber noch weitere Probleme tauchen auf, die niemand vermutet hätte: Was machen die Bestattungsunternehmer, die von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun haben? Was geschieht mit den Krankenhäusern, in die weiterhin Kranke eingeliefert werden, in denen aber niemand stirbt und ein Bett freimacht? Was wird aus den Lebensversicherungen der Menschen? Und was passiert mit der Kirche, denn ohne den Tod gibt es schließlich auch keine Auferstehung, womit der Kirche ein tragender Pfeiler entrissen wird?

Doch dann erhält ein Fernsehintendant einen violetten Brief, der ihn zutiefst erschüttert. In Panik eilt er zum Premierminister und will die Verantwortung über den Brief abgeben, denn in diesem verkündet der „tod“ (klein geschrieben!) höchstpersönlich eine wichtige Botschaft, die die Welt von einem auf den anderen Tag – zumindest in dem nicht näher benannten Land – komplett verändern könnte …

José Saramago ist ein Meister des visionären Romans. Seine Ideen sind oft einfach, doch die Konsequenzen, die daraus entstehen, umso komplexer und schwerwiegender. Während er eine hellweiße und doch so düster bedrückende Welt in [„Die Stadt der Blinden“ 5382 gezeichnet hat, in der alle Menschen erblinden, widmet er sich hier einem neuen Problem: Niemand stirbt mehr. Was auf den ersten Blick nicht wie ein Problem scheint, sondern die Menschen in Lobeshymnen ausbrechen lässt, entpuppt sich schnell genug als Katastrophe. Und hier beweist Saramago wieder einmal, dass er seine Ideen konsequent zu Ende denkt. Er führt aus, was geschehen könnte, und scheut sich nicht davor, die Welt komplett auf den Kopf zu stellen. Nichts entgeht seinem Blick – ganz im Gegenteil, er entdeckt Probleme, wo man sie zunächst nicht erwartet hätte.

Auch einem anderen Stilelement bleibt er treu, denn seine Figuren erhalten keine Namen, sondern bleiben bloße Figuren. Seine Charaktere – so es sie denn gibt – stehen allein für Funktionen bzw. eine Berufsgruppe. Den besagten Fernsehintendanten lernen wir nicht weiter kennen, wir wissen nicht, ob er Familie hat, welchen Hobbys oder Interessen er nachgeht oder wie alt er ist. Er steht allein für den Berufstypus des Fernsehintendanten, der schleunigst einen erdrückenden Berg von Verantwortung auf jemand anderen abwälzen will.

Doch „Eine Zeit ohne Tod“ erhält schließlich seine Hauptfigur, nämlich den tod höchstpersönlich. tod ist weiblich schreibt sich mit einem kleinen „t“, und tod ist eigen, denn sie hat beschlossen, den Menschen einen kleinen Denkzettel zu verpassen, indem sie einfach niemanden mehr ins Reich des Todes abholt. Ihre Sense, die es tatsächlich gibt, bleibt tatenlos neben ihr stehen. tod ist diejenige, die wir im zweiten Teil des Buches ständig begleiten – eine abstruse, aber doch sehr pfiffige Idee.

|“… wobei der Grund dafür, dass ich meine frühere Aktivität, das Töten, unterbrochen und die sinnbildliche Sense, die phantasievolle Maler und Kupferstecher früherer Zeiten mir in die Hand gelegt haben, in ihrer Scheide habe stecken lassen, darin liegt, dass ich den Menschen, die mich so sehr verabscheuen, mit einer kleinen Kostprobe demonstrieren wollte, was es für sie bedeuten würde, immer, sprich, ewig zu leben, auch wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen gestehen muss, Herr Fernsehintendant, dass ich keine Ahnung habe, ob die beiden Wörter immer und ewig wirklich so gleichbedeutend sind wie allgemein angenommen …“|

Sprachlich bleibt José Saramago wie gewohnt eine Herausforderung. Kaum Absätze laden zum Verweilen ein und alle Zeilen sind voll bedruckt, da die wörtliche Rede in den Fließtext integriert ist (s. o.). Daran muss man sich gewöhnen, denn leicht lassen sich seine Bücher nicht lesen. Doch wenn man erst einmal in seine Sätze hineintaucht, sich auf die komplexe Sprache einlässt, entdeckt man vieles, das nur zwischen den Zeilen steht. Wieder einmal erzeugt Saramago eine dichte und bedrückende Atmosphäre, die den Leser mitreißt – und das, obwohl man sich jede Seite in diesem Buch erarbeiten muss.

„Eine Zeit ohne Tod“ ist zweigeteilt: Im ersten Teil schildert José Saramago die Konsequenzen aus dem ausbleibenden Tod und im zweiten widmet er sich dem tod persönlich. Er begleitet sie und stellt sie uns näher vor. Und dann erfahren wir, dass tod ein Problem umtreibt, denn sie hat versprochen, den Menschen ihren Tod anzukündigen – per Brief, den sie eine Woche vorher an den Betroffenen schickt. Nur ein Brief weigert sich konsequent zugestellt zu werden. Immer wieder landet er auf tods Tisch, sodass sie schließlich beschließt, die Person kennenzulernen, die nun nicht über den bevorstehenden Tod informiert werden kann.

Und das ist leider der Punkt, ab dem Saramago mich mit seiner Geschichte nicht mehr mitreißen konnte. Mir gefiel die Wendung nicht und ich finde sie auch nicht sonderlich gelungen. Hier bahnt sich eine Liebesgeschichte zwischen tod und einem Todgeweihten an, die mir doch zu abstrus erscheint und die Saramago auch nicht wirklich schlüssig darstellt. Konsequenter wäre es gewesen, die Geschichte weiterzuerzählen, wie sie begonnen hat, auch die letzte Konsequenz darzustellen; so wirkte es eher, als wären Saramago auf der halben Strecke die Ideen ausgegangen.

Unter dem Strich hebt sich „Eine Zeit ohne Tod“ nichtsdestotrotz weit vom Durchschnitt ab. Alleine durch Saramagos einzigartiges Sprachgefühl, seinen Ideenreichtum und die dichte und packende Atmosphäre bleibt dieses Buch positiv in Erinnerung. Allerdings kann ich mich nach wie vor nicht mit der Wendung auf der Hälfte des Buches anfreunden. Im Vergleich mit Saramagos sagenhaft genialem Buch [„Die Stadt der Blinden“ 5382 fällt das vorliegende Werk leider inhaltlich etwas ab – lesenswert bleibt es allerdings dennoch, zumal die Geschichte rund um den tod und den Todgeweihten sicherlich auch eine Geschmackssache ist.

|Originaltitel: As Intermitencias da Morte
Deutsch von Marianne Gareis
252 Seiten Broschur
ISBN-13: 978-3-499-24342-4|
http://www.rowohlt.de