Pelewin, Victor – fünfte Imperium, Das. Ein Vampirroman

_Das geschieht:_

Der 19-jährige Roma gehört zu denen, die vom wirtschaftlichen Aufstieg im neuen Russland definitiv nicht profitieren. Mit seiner Mutter haust er in einer winzigen Wohnung und schlägt sich als Billiglohnsklave einer Supermarktkette durch, als ihm das Glück eines Tages auf denkbar ungewöhnliche Weise hold ist: Roma wird entführt und in einen Vampir verwandelt! Als solcher gehört er nunmehr zu den Herren dieser Erde. Die Menschen, so erfährt er, sind nur genetische Produkte der Vampire, die sich eine möglichst schmackhafte und leicht lenkbare Nahrungsquelle züchten wollten.

Aller Anfang ist auch als Vampir schwer. Roma bekommt einen neuen Namen – Rama – und wird einer aufwändigen Ausbildung durch erfahrene Lehrmeister unterzogen. Er muss lernen, wie ein Vampir zu denken, was nur langsam, mühsam und begleitet von zahlreichen Missverständnissen gelingt, denn die Vampirologie stellt sein bekanntes Weltbild vollständig auf den Kopf: Nichts ist, wie es Rama zu sein schien, weil die Vampire Sorge dafür trugen, dass die Wahrheit nur ihnen vorbehalten bleibt. Die Menschen leben in einer sorgfältig konstruierten Scheinwelt, damit sie ahnungslos und leicht lenkbar bleiben.

Allmählich lebt sich Rama in seine neue Existenz ein. Mit der schönen Vampir-Novizin Hera an seiner Seite dringt er in die faszinierende Welt der Vampire vor, die zu seiner Verblüffung weder untot noch Blutsauger sind. Über interne Zwistigkeiten sind sie allerdings keineswegs erhaben. Dass seine neuen Wohltäter recht finstere Pläne mit ihm schmieden, wird Rama zu spät klar. Mit der für ihn typischen Torheit stolpert er mitten in die Falle …

_Vampire unter & über uns_

In der ‚richtigen‘ Literatur gehört der Bildungsroman zu den altehrwürdigen Erzählformen: Der junge Mensch lernt das Leben in seinen positiven und negativen Fassetten kennen; ein Prozess, der beim Leser die Erinnerung an eigene Erfahrungen in Gang setzt, ihm aber außerdem eine Chance bietet, die scheinbar bekannte Welt durch den Filter eines unverbrauchten und ungeprägten Geistes neu wahrzunehmen.

Dieser Aspekt steht für Viktor Pelewin im Vordergrund. In „Das fünfte Imperium“ bedient er sich zwar vieler Elemente der phantastischen Literatur, legt jedoch nur bedingt einen Roman vor, der sich ins phantastische Genre fügt. Pelewin ist ein Schriftsteller, den man – falls man große Worte nicht scheut – als eine „Stimme des modernen Russlands“ bezeichnen kann. Seine schriftstellerische Karriere begann mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und als Verfasser beschäftigt er sich mit den vielfältigen Folgen einer Kapitalisierung oder Globalisierung im Zeitraffer, die in ihrer Schonungslosigkeit bizarre Blüten treibt.

Dies beschreibt Pelewin manchmal durchaus direkt, lieber aber in allegorischer oder metaphorischer Form. Dies war unter dem sowjetkommunistischen Diktat üblich und lebensnotwendig, wird aber auch heute noch geübt; zwar ist Wladimir Putin kein Stalin, aber als Menschenfreund mit offenem Ohr für kritische Stimmen darf man ihn auch nicht betrachten. Deshalb kann es durchaus ratsam sein, Missstände von Vampiren in Worte fassen zu lassen. Die Literaturkritik – vor allem die des Westens – liebt solch kunstvolle Codierung, und wer mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist, weiß ohnehin, was der Autor sagen möchte – ein Reiz, auf den der deutsche Leser nur beschränkt reagieren kann, weshalb Pelewin allzu ‚russische‘ Interna eigens für diese Übersetzung entschlüsselt bzw. allgemeinverständlich umformuliert hat.

_Fantasie und Kritik in homogener Mischung_

Dem an literarisch verbrämter Gegenwartsbespiegelung weniger interessierten Leser bleiben die skurrilen Einfälle, mit denen Pelewin den klassischen Vampirroman bereichert. Der Pedant mag einwenden, dass diese nicht unbedingt neu oder besonders originell wirken, sondern bei anderen Autoren bereits anklingen. Allerdings ist fraglich, ob diese in Stil und Ausdruck mit Pelewin mithalten können. Die bereits mehrfach erwähnte Literaturkritik schwankt zwar im Urteil, aber fest steht, dass dieser Mann zu schreiben versteht! Bei Pelewin lohnt es nicht nur, zwischen den Zeilen zu lesen. Dennoch wird man so manche intelligente oder einfach witzige Anspielung übersehen, denn Pelewin feuert sie im Salventakt ab. So statisch und irritierend „Das fünfte Imperium“ als Roman ohne echte Handlung manchmal wirkt: Die reine Lektüre dieser 400 Seiten ist ein Genuss, muss doch die Phantastik allzu oft als Refugium für Schwätzer und Stammler herhalten!

Aus der Absurdität seiner Geistesblitze macht Pelewin ohnehin keinen Hehl. Die Welt, wie er sie schildert, KANN von uns menschlichen Lesern eigentlich gar nicht verstanden werden, da wir einen von Vampiren gestalteten und sorgfältig überwachten Alltag leben. Mit dem jungen Rama einen Vampir-Eleven einzuführen, ist ein kluger Schachzug, denn als ehemaliger Mensch kämpft dieser mit ähnlichen Schwierigkeiten. Trotzdem lässt sich die vampirische Logik nur ansatzweise begreifen (womit sich der manchmal etwas zu schwurbelige Verfasser wunderbar aus der Verantwortung stehlen kann).

_Die Welt schräg durch andere Augen betrachtet_

Vieles von dem, was Pelewin darbietet, ist purer Spaß und genussvolle Destabilisierung klassischer Horror-Elemente. Seine Vampire schlafen tagsüber nicht in Särgen. Sie zerfallen nicht im Sonnenlicht. Ihr Spiegelbild ist deutlich sichtbar. Gipfel des Mythensturms ist der Verzicht auf das Saugen von Menschenblut. Nicht einmal das Wort findet Verwendung, es gilt unter Vampiren als verpönt. Stattdessen schätzen Pelewins Vampire die gutbürgerliche Küche.

Blut ist für sie nur mehr Informationsträger. Diese Idee wird farbenfroh und überzeugend umgesetzt: Vampir-Bibliotheken bestehen nicht aus Büchern oder Dateien, sondern aus Blutproben. Wenn Rama beispielsweise einen Tropfen Musikerblut verkostet, wird er selbst zum verständigen Musikus – zumindest theoretisch bzw. bis die Wirkung nachlässt.

Denn auch oder gerade in der Welt der Vampire ist nichts so, wie es zunächst zu sein scheint. Dynamik gewinnt „Das fünfte Imperium“ aus Ramas ständigen Missverständnissen, Irrtümern und peinlichen Patzern. Seine Torheit rettet ihm freilich das Leben, denn hinter der Geburt und der Erziehung des Vampirs Rama wird nach und nach eine Verschwörung sichtbar. Auch die womöglich außerirdische Herkunft und das unglaubliche Alter hat die Vampire nicht wirklich reifen lassen. Betrug und Intrige werden auf ein exotisches Niveau gehoben, doch an den niederträchtigen Realität ändert dies nichts.

Mit der Aufdeckung dieses Komplotts versucht Pelewin auf den letzten Seiten, seinem geistreich, aber zerfahren mäandrierenden Roman so etwas wie ein logisches Finale zu verschaffen. Es gelingt, wirkt aber etwas pflichtschuldig. Der Weg ist das Ziel dieses Romans. Wer sich darauf einzulassen vermag, wird mit einem phantastischen Vergnügen der etwas anderen Art belohnt.

_Der Autor_

Viktor Olegowitsch Pelewin ist ein Schriftsteller, der äußerst medienwirksam das Licht der Öffentlichkeit scheut. Lesungen, Interviews und Fernsehauftritte verweigert er, sondern teilt sich ausschließlich über das Internet mit. Er begründet das mit der Ablehnung persönlicher Prominenz, wehrt sich aber auch nicht gegen den Ruf der unbestechlichen Unabhängigkeit, dem ihm dieses Verhalten beschert.

Bekannt ist immerhin, dass Pelewin am 22. November 1962 in Moskau geboren wurde und Elektrotechnik studierte, bevor er an das Moskauer Literaturinstitut wechselte. Seit 1990 veröffentlichte er mehrere Romane und zahlreiche Erzählungen, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden.

Als Schriftsteller beschäftigt sich Pelewin mit den politischen und vor allem gesellschaftlichen Umbrüchen, die das moderne Russland nach 1991 erfuhr. Dabei ignoriert er Genregrenzen und arbeitet gern mit – oft ironisch verfremdeten – Elementen der Phantastik.

_Impressum_

Originaltitel: Empire V (Moskau : Eksmo 2006)
Übersetzung: Andreas Tretner
Dt. Erstausgabe: Januar 2009 (Luchterhand Literaturverlag/Sammlung Luchterhand 62138)
400 Seiten
EUR 10,00
ISBN-13: 978-3-630-62138-8
http://www.luchterhand-literaturverlag.de

Sokoloff, Alexandra – Inschrift, Die

_Das geschieht:_

Die psychisch labile Robin hat im Baird College ihr Studium aufgenommen. Auf dem Campus ist sie eine einsame Außenseiterin. Ihre Zimmergenossin ignoriert oder ärgert sie. An einem langen Thanksgiving-Wochenende, das sie lieber allein in im Wohnheim als daheim bei ihrer irren Mutter verbringt, hat sie genug: Im leeren Aufenthaltsraum des Heims will sie sich mit Tabletten umbringen.

Aber Robin ist nicht allein. Patrick, Lisa, Martin und Cain, vier ebenfalls lieber aushäusige Studenten, leisten ihr Gesellschaft. Bei Alkohol und Dope kommt man sich näher, und Lisa findet ein altes Hexenbrett. Da man nichts Besseres vorhat, versucht man Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.

Das gelingt wider Erwarten tatsächlich. Es meldet sich ein gewisser Zachery, der 1920 auf dem Campus bei einem Brand ums Leben kam. Die Aufregung ist groß, doch sie schlägt in Entsetzen um, als sich Zachery als gar nicht angenehmer Spuk entpuppt. Er ist großmäulig, grob und zunehmend bösartig. Bald geht es im Wohnheim unheimlich um. Klopfgeräusche ertönen, Möbel werden gerückt, Spiegel zersplittern. Seine fünf neuen ‚Freunde‘ will Zachery nicht mehr auslassen. Robin recherchiert und findet erschrocken heraus, dass bei dem Brand von 1920 nicht nur Zachery sein Ende fand: Mit ihm starben vier andere Studenten, die Opfer eines dämonischen Zeremoniells wurden, das sich nun offenbar wiederholen soll …

_Er kommt, wie es wohl kommen musste_

Die Welt der modernen Unterhaltungsliteratur ist wundersam. „Die Inschrift“, der Debütroman der jungen Autorin Alexandra Sokoloff, ist ein gutes Beispiel: Wieso kommt diese kümmerliche Spukgeschichte nicht nur zu einer deutschen Übersetzung, sondern wird auch noch als btb-Taschenbuch veröffentlicht? In dieser Reihe erscheinen normalerweise inhaltlich und stilistisch etwas ungewöhnlichere bzw. anspruchsvollere Werke.

Liegt es an der euphorischen Werbung? „Diese packende Geistergeschichte verspricht Spannung von der ersten bis zur letzten Seite“, jauchzt die |Romantic Times|. „Poltergeist lässt grüßen … Gewürzt mit einer guten Prise erotischer Spannung, wird daraus eine ebenso atemberaubende wie bezaubernde Geschichte“, dröhnt |Kirkus Reviews|, ein ‚Rezensions‘-Medium, das seit jeher noch den gröbsten Bockmist als Goldstroh zu verkaufen versucht. Allerdings: Nehmen wir diese beiden Jubelchöre wörtlich, sind wir durchaus im Bilde. So hat die |Romantic Times| ja Recht: „Die Inschrift“ VERSPRICHT Spannung. Das Halten dieses Versprechens wird nicht garantiert.

„Poltergeist lässt grüßen“: Stimmt ebenfalls, denn Sokoloff präsentiert keine Idee, die man nicht bereits an anderer Film- oder Buchstelle gesehen hätte. Vor allem Titel von Filmen wie „Witchboard – Die Hexenfalle“, „Düstere Legenden“, „Long Time Dead – Du bist der nächste!“ und andere schematisch gedrechselte Standard-Slasher, in denen dumme & geile Teenies sich mit bösen Geistern anlegen, können hier genannt werden.

Die „Prise erotischer Spannung“ erschöpft sich in den üblichen pseudolibidinösen Wallungen, die einerseits grobschlächtig und damit typisch für besagte Hollywood-Teenies sind, und andererseits den sog. „Lady Thriller“ definieren: pathetisch klingende Wortwolken wuchten über einem Trivialkonstrukt namens „Wahre Liebe“.

_Geister müssen nicht geistvoll sein_

„Die Inschrift“ (was spricht eigentlich gegen eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „The Harrowing“ als „Das Grauen“?) ist das Werk einer Autorin, die sich auch stilistisch ausschließlich fremdbedient. Oder ist es die Übersetzung, die diesen Eindruck weckt? Sie unterstreicht durch ihre Groschenheft-Qualität ein Missvergnügen, das die Lektüre dieses Romans begleitet:

|“Sie wirbelte herum.
Martin stand über ihr im düsteren Treppenhaus und sah zu ihr herunter.
‚Meine Güte‘, japste sie.
‚Ich muss mit dir reden‘, sagte er tonlos. Seine Stimme klang hohl in dem hohen Rundbau.
Sie ließ den Atem entweichen. ‚Und ich mit DIR.'“|
(S. 148)

Das ist ein völlig beliebig herausgegriffenes, aber absolut repräsentatives Beispiel, denn so liest sich der gesamte Text. Immerhin sind die Figuren, die solche Nonsens-Dialoge führen, entsprechend flach gezeichnet. Was die Charakterisierung angeht, hat sich Sokoloff ohnehin wohl von der klassischen High-School-Schmonzette „The Breakfast Club“ (1985) inspirieren lassen. Fünf Studenten von geradezu offensiver Wesensdifferenz finden und offenbaren einander bisher sorgfältig geheim gehaltene Seelenpein: Die scheue Schöne wurde vom Vater verlassen und wird von der verrückten Mutter gepiesackt, der Footballstar, der diesen Sport hasst, von seinem ehrgeizigen Vater mit Steroiden vollgepumpt, die fröhliche Schlampe hadert mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung, der Musiker ist ein seelenversehrtes Waisenkind und – Sokoloff fürchtet wahrlich kein Klischee! – der Streber will nicht wie vom Papa gefordert Rabbi werden, weil er nicht an Gott glaubt.

Zachary ist als Gespenst ebenfalls keine Offenbarung. Während unsere fünf Helden seine Kasperaden offenen Mundes und leeren Hirns verfolgen, meldet sich beim Leser die Langeweile. Zachary buchstabiert kindische Beleidigungen, wirft mit Möbeln, lässt Spiegel zerspringen. Wieso sollten derartig ausgelutschte Albernheiten den Leser fesseln? Was ist das für ein Jenseits, in dem Hohlköpfe nicht nachreifen?

_Flach & öde wie ein Parkplatz_

Die Erzeugung einer Atmosphäre der Furcht gelingt nur, wenn die dafür notwendige Stimmung erzeugt wird. Im Interview erwähnt Sokoloff mehrfach die Schriftstellerin Shirley Jackson (1919-1965) mit ihrem phantastischen Meisterwerk „The Haunting of Hill House“ (1959; dt. [„Spuk in Hill House“) 368 als Vorbild, was reichlich vermessen ist. „The Haunting“ ist literarischer Schrecken in Vollendung; das Werk einer Autorin, die ihren Stoff und ihr Publikum gleichermaßen im Griff hat. Anders als Sokoloff lässt Jackson die Wörter nie wie Brechdurchfall einfach laufen, sondern arbeitet mit ihnen, bis sich der erwünschte Effekt einstellt.

„Die Inschrift“ ist quasiliterarisches Junk Food, was schlimmer ist als ein schlechter, aber offen als reine Unterhaltung verfasster (Horror-)Roman. Sokoloff gibt vor, etwas zu liefern, das sie nicht zu leisten vermag. Oder ist es die Werbung, die sie auf diese Schiene drängt? Ist Alexandra Sokoloff primär ein Geschöpf offensichtlichen Marketings? Sie ist eine schöne Frau, die auf Fotos und im TV-Interview eine gute Figur macht. Als langjährig in Hollywood beschäftigte Autorin weiß sie zudem um die Bedeutung einer soliden Selbstanpreisung, der sie nicht nur mit vielen Interviews, sondern auch als fleißige Bloggerin Rechnung trägt. Unabhängig von solchen Fragen bleibt es eine unerfreuliche Tatsache, dass wieder einmal der Leser die Zeche zahlen muss, der gutgläubig Geld und Zeit in hohles Blendwerk wie „Die Inschrift“ investiert hat.

_Die Autorin_

Alexandra Sokoloff wurde in Kalifornien geboren – das Jahr hält sie geheim – und wuchs dort auch auf. Schon in jungen Jahren interessierte sie sich für die darstellenden Künste. Zunächst spielte sie in Theaterstücken und Musicals, die sie später auch inszenierte. Folgerichtig studierte sie an der Universität von Berkeley Theaterwissenschaften. In dieser Zeit entstanden erste Bühnenstücke.

Nach Abschluss des Studiums ging Sokoloff nach Los Angeles, wo sie sich als Drehbuchautorin versuchte und mit den üblichen Anfängerschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nach eigener Auskunft schrieb sie eine Reihe von Drehbüchern für verschiedene Studios (Namen wie Sony, Fox, Disney und Miramax fallen), wobei sie sich auf Horrorfilme spezialisierte. (Bei näherer Betrachtung zeigt sich übrigens, dass nur eines dieser Drehbücher jemals realisiert wurde: 1997 drehte der Regisseur Carl Schenkel den Thriller „Kalte Küsse“ für das deutsche Fernsehen; Sokoloff wird als Ko-Autorin des Drehbuchs genannt.)

Ohne darauf in ihrer Kurzbiografie näher einzugehen, erweiterte die nicht unbedingt erfolgreiche Autorin ihre Aktivitäten. Sie gab Tanzunterricht und begann diverse Kurse für angehende Drehbuchautoren zu leiten, was sie bis heute fortsetzt. Außerdem schrieb sie einen Roman. „The Harrowing“ (dt. „Die Inschrift“) erschien 2006 und wurde nicht nur freundlich von Kritik und Leserschaft aufgenommen, sondern auch von der „Horror Writers Association“ für einen „Bram Stoker Award“ als bester Debütroman des Jahres 2006 nominiert. (Dass Sokoloff nicht gewann, bleibt in der Regel unerwähnt, was deshalb an dieser Stelle nachgeholt wird.) Der Erfolg ermunterte Sokoloff, sich nunmehr auf die Arbeit als Schriftstellerin zu konzentrieren.

Über ihre Aktivitäten informiert Sokoloff auf ihrer Website: http://www.alexandrasokoloff.com.

_Impressum_

Originaltitel: The Harrowing (New York : St. Martin’s Press 2006)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2007 (btb Verlag/TB Nr. 73634)
Übersetzung: Andrea Brandl
300 Seiten
EUR 8,50
ISBN-13: 978-3-442-73634-8
http://www.btb-verlag.de

Tokarczuk, Olga – Unrast

Olga Tokarczuk ist eine der bekanntesten und auch erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen Polens. Mehrmals hat sie den |NIKE|, den wohl wichtigsten polnischen Literaturpreis, gewonnen, unter anderem für das jetzt auch auf Deutsch erschienene Buch „Unrast“ – es wurde 2008 sowohl mit dem Preis der Jury als auch mit dem Leserpreis ausgezeichnet.

Die Bezeichnung „Buch“ ist durchaus mit Bedacht gewählt, denn schon bei der Einordnung in ein literarisches Genre sträubt sich Tokarczuks „Unrast“ unwillig. Es ist weder ein Roman noch ein Band mit Erzählungen. Man kann es weder als Kurzgeschichtensammlung noch als Essayband bezeichnen. Stattdessen borgt es von allen diesen Gattungen und bildet somit einen Hybriden, ein fragmentarisches Gedankenspiel der Autorin zum Thema Reisen, Globetrotten und Unterwegssein. Die Übersetzerin Esther Kinsky hat mit „Unrast“ einen treffenden deutschen Titel für Tokarczuks Sammelsurium von Gedankenspielen, Aphorismen, Notizen und Geschichten gefunden. Er bezeichnet sehr genau die stete Bewegung, die Unfähigkeit zum Verweilen, die Tokarczuk im modernen Menschen ausgemacht hat – die dieser aber gleichzeitig von seinen urzeitlichen Vorfahren, den Nomaden, geerbt hat.

Es ist schwer, einen kurzen Überblick dessen zu vermitteln, was der Leser in „Unrast“ vorfinden wird. Es gibt keine übergeordnete Handlung; nichts, das sich im klassischen Sinne nacherzählen ließe. Manchmal ist Tokarczuk knapp, bietet dem Leser kaum mehr als eine Momentaufnahme auf einem Flughafen, einen vermeintlich spontan heruntergeschriebenen Geistesblitz oder eine Beobachtung. Manchmal beschäftigt sie sich indes eingehender mit Figuren, Orten oder Ideen. In „Unrast“ finden sich neben ganz kurzen Formen auch Kurzgeschichten oder Erzählungen, die sich über mehrere Kapitel erstrecken, jedoch nicht zwingend aufeinanderfolgen. Da geht es um einen Mann, der auf einer Urlaubsinsel seine Frau und seinen Sohn quasi verliert. Da geht es auch um eine Frau, die eines Abends beschließt, nicht zu ihrem Mann und behinderten Kind zurückzukehren, und stattdessen ihre Tage in der U-Bahn verbringt, ständig von einer Endhaltestelle zur nächsten fahrend. Da geht es auch um das Leben Philip Verheyens, eines Chirurgen und Anatomen aus dem 17. Jahrhundert, der nach einer Beinamputation sein Bein konserviert aufbewahrt und immer wieder untersucht.

Überhaupt die Medizin. Tokarczuk ist studierte Psychologin und hat in ihrer Jugend einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Das kommt auch „Unrast“ zugute, am auffälligsten in ihren Essays zur „Reisepsychologie“, die durchaus auch ironisch zu lesen sind. Doch hat Tokarczuk für „Unrast“ offensichtlich ein neues Steckenpferd ausgemacht: nämlich die Haltbarmachung des menschlichen Körpers in Lösungen oder mit Hilfe der Plastination. Oft und ausgiebig beschäftigt sie sich mit der Zusammensetzung der Alkohollösung für Präparate von menschlichen Embryonen. Sie beschreibt Sektionen und einen Rundgang durch von Hagens Panoptikum plastinierter Leiber. Sie erfindet einen Mann, dessen Interesse für die Anatomie bei der Betrachtung der Gläsernen Frau im Dresdner Hygiene-Museum geweckt wurde. Sie begeistert sich für die Schönheit von Innereien oder die Fantasie der Natur, wenn sie von missgebildeten Embryos spricht. Doch warum diese Faszination für den in seine Einzelteile zerlegten Körper? Dieses schonungslose Sezieren? Vielleicht ist es die Tatsache, dass für den modernen Nomaden der Körper der einzige stete Begleiter ist. Vielleicht ist es die Frage, wo oder wie eine Seele diesem in Alkohol eingelegten Körper einst Leben einhauchte. Vielleicht ist es eine Illustration der Tatsache, dass Verheyens Bein, das in einem Glas vor ihm auf dem Tisch steht, trotzdem immer noch Teil eines Ganzen ist: „(…) dass das, was einmal ein Ganzes darstellte, dann aber in einzelne Teile zerschlagen wird, immer noch auf unsichtbare, schwer zu ergründende Weise innig miteinander verbunden bleibt. Die Natur dieser Verbindung ist nie eindeutig und wird unter keinem Mikroskop zu erkennen sein.“

Der Zusammenhang des Zersplitterten, Fragmentarischen mit dem Ganzen, dem kompletten Bild ist es, was Tokarczuk interessiert. Darum attestiert sie sich selbst wohl auch ein „episodisches Bewusstsein“. Sie ist der Meinung, dass menschliche Wahrnehmung wie ein Bienenauge funktioniert, das tausende Einzelbilder aufnimmt und diese dann zu einer Ganzheit zusammenfügt. Insofern sind auch die Puzzleteile aus „Unrast“ als ein großes Bild zu betrachten. Wer Tokarczuk hier unzusammenhängend und ziellos findet, der hat sich nicht auf den Text eingelassen, der hat einzelne Geschichten nur insulär betrachtet, jedoch nicht im Zusammenhang mit ihren Nachbarn.

Das jedoch fordert Tokarczuk immer wieder subtil ein. Sie arbeitet sich nicht nur an Themen ab, die sie schon immer interessiert haben (z. B. Zeit, Tod oder Gender) und stellt „Unrast“ damit in Beziehung zu ihren früheren Büchern. Gleichzeitig verknüpft sie ihre Texte auch untereinander durch Motive oder fast unauffällige Wiederholungen. Wie ein Spinnennetz durchziehen diese das Buch und beweisen, dass tatsächlich alles miteinander in Verbindung steht.

Im Original heißt Tokarczuks Buch „Bieguni“, nach einer orthodoxen Sekte, die annahm, dass nomadisches Leben und der totale Rückzug aus der realen Welt der einzige Weg seien, dem Teufel zu entkommen. Tokarczuk beschreibt Reisende, Nomaden, Suchende – kurz, die Bewegung. Ganz zu Anfang postuliert einer ihrer Charaktere den folgenden Gedanken: „(… mir wurde klar), dass aller Gefahren zum Trotz das, was in Bewegung ist, immer besser sein wird als das, was ruht, dass der Wandel edler ist als die Stetigkeit, dass das Unbewegliche Zerfall und Auflösung anheimfallen muss und zu Schutt und Asche wird, während das Bewegliche sogar ewig währen wird.“

Insofern bleibt nur zu hoffen, dass Olga Tokarczuk nie zum Stillstand kommt und dass sie weiterhin durch die stete Bewegung ihres Federhalters auf dem Papier dem Teufel entwischt. Die Alternative wäre ein allzu herber Verlust für die polnische Literatur.

|Originaltitel: Biegun
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
456 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89561-465-1|

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Carsten Jensen – Wir Ertrunkenen

Das Meer – unendliche Weiten, unendliche Möglichkeiten. Ungezählte Menschen zog es hinaus in die entbehrungsreichen Abenteuer der Segelschifffahrt, und meist waren es Männer, die ihre Familien über Jahre hinaus verließen. Sie sahen ihre Kinder nicht aufwachsen, kannten nicht die alltäglichen Probleme der Familien, ihr sehnsüchtiges Warten oder verzweifeltes Schimpfen und die ständige Angst, den Sohn, Ehemann oder Vater nicht wiederzusehen. Denn das Meer ist nicht gut oder böse – es ist gleichgültig.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte der dänischen Stadt Marstal, die über Generationen hinweg ein angesehener Ursprungsort guter Seeleute war. Hunderte von Segelschiffen waren in diesem Hafen beheimatet, und Generationen von Vätern und Söhnen war der Weg vorherbestimmt. Bis mit den Weltkriegen die Männer knapp wurden, immer mehr Schiffe sanken, die Dampfschifffahrt und der Stahlbau die edlen Segler verdrängten und die großen Reedereien von den überlebenden Frauen übernommen wurden, um teils zu verschwinden, teils zur Zerstörung der Lebensgrundlage der Stadt verwendet zu werden.

Die Geschichte einer Familie zieht sich als roter Faden durch das Buch. Laurids Madsen, Erbe der schweren Seemannsstiefel seines Vaters, wird mit anderen Seeleuten seiner Stadt von der Marine eingezogen, um im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland zu kämpfen. Im Gefecht vor Eckernförde versagen die Dänen in ihren überlegenen Militärschiffen gegen die schwachen Geschütze der deutschen Stellungen. Bei der Explosion der Pulvervorräte wird Laurids in den Himmel geschleudert und landet später am Strand auf seinen Füßen. »Ich habe Petrus‘ Arsch geküsst, aber der Himmel wollte mich nicht«, so erzählt er daraufhin jedem Kriegsgefangenen, der es hören will.

Albert Madsen findet die Stiefel seines Vaters Laurids auf dem Dachboden und nimmt sie mit auf seine erste Heuer. Er durchkreuzt lange die Weltmeere auf der Suche nach seinem Vater, bis er schließlich an Bord eines Menschenhändlers als Steuermann anheuert und nach dem Tod dieses gefürchteten Mannes Kapitän seines ersten Schiffes ist. Albert wird ein wichtiger Mann für Marstal, ein großer und angesehener Reeder, der die Interessen der Stadt und der Seefahrt zu seinen eigenen macht. Sein Ziehsohn Knud Erik Fries wird schließlich der letzte einer langen Reihe fähiger Männer, die die geschichtsträchtigen Stiefel der Madsens tragen. Mit ihm und durch seine Mutter Clara Fries, Erbin Albert Madsens, endet die Ära der großen Seestadt Marstal.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte seiner Heimatstadt in tiefen Farben und gischtenden Wogen, erweckt die Liebe ihrer Einwohner zur Heimat und zur Seefahrt im Leser und beleuchtet den Wandel der Menschen und der Zeit mit erzählerischem Geschick erster Güte, so dass der Schmerz der alten Generation, die den rasanten Wandel in der Seefahrt nach einem eigenen Leben, das noch nach den alten Regeln verlief, erlebt, den Leser mitreißt und trotz aller Vorteile der neuen seemännischen Sicherheit diesen stolzen alten Zeiten der großen Segler nachtrauern lässt.

Auffällig ist die Menschlichkeit der Charaktere. Schon der gefeierte Laurids verschwindet plötzlich und hinterlässt eine vielköpfige Familie, um in der Südsee mit einer eingeborenen Inselbewohnerin eine neue zu gründen. Albert lebt ein inbrünstiges Leben als Seemann ohne menschliche Bindungen, er scheint verheiratet mit Marstal und dessen Schicksal. So wird seine Beziehung zu Clara Fries ein Drama und erweckt die Leidenschaft und Fähigkeiten dieser Frau, die schließlich in der Zerstörung Marstals als Seehafen münden. Ein fähiger Seemann namens Hermann, dessen Jugend durch den Seetod seines Vaters verkorkst wird, kehrt erfolgreich nach Marstal heim und wird Kinderschreck und großspuriger Wortführer gegen die Gemeinschaft. Er gilt als Mörder und Vergewaltiger, aber im Zweiten Weltkrieg begegnet er Knud Erik in hilfloser Lage und wird beliebtes Mannschaftsmitglied auf dem von Erik befehligten Kriegsschiff. Knud Erik selbst zerbricht fast an der Verantwortung für die Menschen auf seinen Schiffen, deren Notsignalen im Kampfeinsatz zu gehorchen verboten wurde. Diese Verantwortung verfolgt ihn in den Schlaf und errichtet eine Barriere um ihn, die zu durchbrechen erst seiner plötzlich wieder auftauchenden ersten Liebe gelingt. Clara Fries schließlich, deren Mann dem Meer zum Opfer fiel und deren Beziehung zu Albert Madsen einer Tragödie gleicht, zerbricht an ihrem Schmerz und befreit so einen Intellekt, der durch ihren Wahnsinn die Reedereien Marstals ruiniert und der Stadt so die Lebensgrundlage raubt.

Das Meer ist gleichgültig, schreibt Jensen. Doch während der Lektüre lernt der Leser die Gründe der vielen Menschen und ihre Faszination für diesen Schiffe fressenden Moloch kennen und teilen, und so bleibt auch bei ihm der Verlust spürbar, den die Welt durch das Abwracken der großen Segler erfuhr.

Originaltitel: Vi, De Druknede
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
781 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8135-0301-2

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Abraham, Daniel – Herbst der Kriege (Die magischen Städte 3)

Die magischen Städte:

Band 1: Das Drachenschwert“
Band 2: Winter des Verrats“
Band 3: „Herbst der Kriege“

Wie sein Vorgängerband beginnt auch „Herbst der Kriege“ mit einem großen Zeitsprung.

Vor vierzehn Jahren ist Otah eher widerwillig zum Khai seiner Heimatstadt Machi erkoren worden, wobei der Widerwille beide Seiten betrifft: Otah hat noch immer nicht das Geringste für Macht übrig, zumal die Arbeit eines Khai größtenteils in eher unwichtig erscheinendem Kleinkram besteht und mit Etikette überfrachtet ist. Die Utkhais dagegen misstrauen einem Herrscher, der ihre alten Traditionen ablehnt, sie legen ihm das als Schwäche aus.

Doch eines Tages taucht Liat in Machi auf. Eben jene Liat, die in jenem verhängnisvollen Sommer in Sarayketh erst mit Otah, später mit Maati ein Verhältnis hatte. Und sie hat ausgesprochen unangenehme Neuigkeiten im Gepäck …

In der Charakterzeichnung hat sich diesmal eine ganze Menge getan:

Liat, das ehrgeizige aber unsichere junge Mädchen aus dem ersten Band, ist zu einer selbstbewussten Frau und fähigen Leiterin eines Handelskontors geworden, die ihren eigenen Wert nicht mehr hauptsächlich danach beurteilt, ob sie einen Mann hat oder nicht.

Maati hat sich zwar ebenfalls einen Platz in der Stadt Machi erobert und sich mit dem Dichter Cehmai angefreundet, leidet aber noch immer unter Schuldgefühlen, vor allem Nayiit gegenüber, dem er gern ein Vater gewesen wäre.

Nayiit, Liats Sohn, ist einer der Neuzugänge, gutmütig, charmant und freundlich und mit der besten Absicht, ein guter Mann zu sein. Aber er scheint bisher keinen Schimmer davon zu haben, was er sich für seine eigene Zukunft vorstellt. Andererseits hat er bereits Tatsachen geschaffen, er hat geheiratet und ein Kind gezeugt. Ganz offensichtlich hat er sein Leben nicht wirklich im Griff, ist ziellos und unreif.

Der wichtigste Charakter – neben Otah und Maati natürlich – ist Balasar Gice, ein galtischer General, der es sich zu Aufgabe gemacht hat, die Welt ein für alle Mal von den Andaten zu befreien. Er tut dies mit Gründlichkeit, Entschlossenheit und durchaus auch einer gewissen Gnadenlosigkeit, vor allem aber ausgesprochen nüchtern und sachlich, ohne jeden Fanatismus, Ehrgeiz oder Hass, nur aus der reinen Überzeugung heraus, dass das, was er tut, unumgänglich notwendig ist.

Daniel Abraham hat erneut bewiesen, dass er ein Händchen für Charakterzeichnung hat. Er hat diejenigen Personen, die von Anfang an dabei waren, weiterentwickelt, ohne dabei ihren ursprünglichen Entwurf so zu verändern, dass sie nicht mehr sie selbst sind. Alle seine Figuren, von den Neben- bis zu den Hauptrollen, sind frei von Klischees und wirken durch ihre Unsicherheiten, Gewissensbisse und Ängste jederzeit lebensecht und menschlich. Vor allem der General war ein großer Gewinn.

Faszinierend ist auch, dass Abrahams Geschichte noch immer völlig ohne echten Bösewicht auskommt. Die Galten mögen Gegner der magischen Städte sein, das sind sie aber hauptsächlich deshalb, weil sie sich durch die Macht der Andaten bedroht fühlen. Dafür gibt es gute Gründe, wie die Erinnerungen des Generals zeigen. Seltsamerweise gilt das umgekehrt genauso: Die Galten sind ein kriegerisches Volk mit einem schlagkräftigen Heer, das seit Jahrzehnten immer wieder mit seinen Nachbarn Krieg führt, und die magischen Städte fürchten, ohne den Schutz der Andaten von den Galten überrannt zu werden, was auch nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. Diesen Konflikt, der letzten Endes in einen Krieg führt, hat Daniel Abraham gekonnt in Szene gesetzt. Die Kampfszenen hielten sich dabei eher in Grenzen, blutige Details und andere Grausamkeiten fehlen fast vollständig. Das Gewicht liegt eher darauf, wie die Menschen mit der Bedrohung oder mit dem Erlebten umgehen.

Das klingt jetzt vielleicht etwas fad, und tatsächlich kann ich nicht behaupten, dass ich beim Lesen feuchte Hände bekommen hätte. Aber dem Autor ist es gelungen, die Tatsache, dass der Gegenspieler des Helden eigentlich ein ganz patenter Mann ist, für sich zu nutzen. Denn am Ende geraten beide Seiten unter Druck, und der Leser weiß nicht so recht, ob er überhaupt jemandem, und wenn ja, wem nun den Sieg wünschen soll. Außerdem wäre da noch der Söldner Sinja, der auf seine Weise dafür sorgt, dass die Sache zunehmen spannend wird.

Überrascht hat mich, dass das Dokument, das im zweiten Band des Zyklus noch so wichtig zu sein schien, diesmal überhaupt nicht vorkam. Der Krieg des General Balasar Gice war offenbar eine ausgesprochen persönliche Angelegenheit, die zwar auf sein Betreiben hin vom galtischen Rat gebilligt und unterstützt wurde – irgendwoher musste er ja seine Soldaten nehmen – von den übrigen galtischen Intrigen aber unabhängig war. Das zeigt sich auch in der Durchführung, die Dimensionen von dem entfernt ist, was die Galten bisher an Unternehmungen auf die Beine gestellt haben.

Fragt sich nur, ob der galtische Rat mit dem Ergebnis zufrieden ist. Immerhin hatte er etwas andere Vorstellungen von der Zielsetzung dieses Feldzuges als sein General. Und da die phantastischen Elemente in diesem Zyklus bisher völlig auf die Andaten beschränkt waren, stellt sich auch die Frage, wie diese im letzten Band des Zyklus aussehen werden. Ich bin wirklich neugierig, wie die Sache ausgeht.

Daniel Abraham lebt mit Frau und Tochter in New Mexico. Bevor er seinen ersten Roman „Sommer der Zwietracht“ verfasste, hat er eine Vielzahl von Kurzgeschichten in Magazinen und Anthologien sowie den Kurzroman „Shadow Twin“ in Zusammenarbeit mit Gardner Dozois und George R. R. Martin veröffentlicht. Seine Kurzgeschichte „Flat Diane“ wurde für den Nebula Award nominiert. Der letzte Band des Zyklus Die magischen Städte, „The Price of Spring“, kommt im Juli 2009 in die amerikanischen Buchläden. Der Erscheinungstermin für die deutsche Übersetzung ist noch nicht bekannt.

509 Seiten, kartoniert
Originaltitel: An Autumn War (The Long Price Quartet 3)
Übersetzung: Andreas Heckmann
ISBN-13: 978-3-442-24448-5

http://www.danielabraham.com/
www.randomhouse.de/blanvalet

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Trudi Canavan – Magie

Tessia ist die Tochter eines Landarztes, und wenn es nach ihr ginge, dann würde sie selbst Heilerin werden. Doch dann stellt sich plötzlich heraus, dass Tessia ein Naturtalent ist: Sie besitzt Magie! Nun bleibt ihr nichts weiter übrig, als Magierin zu werden, doch die Heilkunst lässt sie trotzdem nicht los. Und das ist gar nicht so verkehrt.

Denn Kyralia treibt auf einen Krieg mit Sachaka zu. Das Nachbarland, das Kyralia schon einmal erobert hatte, steht vor dem Problem, dass in seiner Gesellschaft nur Landbesitzer etwas zählen. Und da es weit mehr Magier gibt als Land, werfen einige Landlose äußerst begehrliche Blicke gen Südwesten, ganz gegen den Willen des sachakanischen Kaisers.

Der drohende Krieg beschäftigt Stara zunächst nur wenig. Das junge Mädchen, das in Elyne aufgewachsen ist, hat vor allem Schwierigkeiten mit der Sklavengesellschaft Sachakas. Als sie feststellen muss, dass ihr Vater sie nur zu sich gerufen hat, um sie zu seinem eigenen Vorteil zu verheiraten, ist sie zutiefst verletzt und enttäuscht und ergreift die erste Gelegenheit, die ihr geboten wird, um sich gegen das System zu wenden …

Die Handlung teilt sich also unübersehbar in zwei Stränge: Für den kleineren Handlungsstrang ist im Grunde nur Stara wirklich wichtig. Stara ist Halbsachakanerin und eine echte Schönheit. Aber sie ist auch intelligent, einfallsreich und tüchtig, was zu ihrem Kummer in Sachaka niemanden interessiert. Außerdem hat sie in Elyne von einer Freundin heimlich die niedere Magie erlernt, in Sachaka ebenfalls kein Bonuspunkt, sondern eher ein Makel.

Der größere Handlungsstrang bietet deutlich mehr Personen. Tessia ist klug und lernwillig, vor allem aber mitfühlend und hilfsbereit. Und sie macht keine halben Sachen. Da sie nun mal von ihrem Vater so viel über Krankheiten und deren Behandlung gelernt hat, ist sie auch willens, diese Kenntnisse anzuwenden. Gleichzeitig ist sie aber auch neugierig und einfühlsam genug, um sich erfolgreich auf ein neues Gebiet vorzutasten: Tessia will die Magie mit der Heilkunst verknüpfen.

Ihre Hartnäckigkeit in dieser Hinsicht beeindruckt letztlich sogar Jayan. Der etwas überhebliche junge Meisterschüler aus einem städtischen Adelsgeschlecht ist zunächst gar nicht erbaut davon, dass er seine Lehrzeit nun mit einer Anfängerin teilen muss, die ihn nur aufhält. Der drohende Krieg mit Sachaka sorgt allerdings nur zu bald dafür, dass er seine Meinung über Tessia ändert.

Takado, der sachakanische Magier, der den Krieg letztlich ins Rollen gebracht hat, ist ein stolzer Mann. Dass Sachaka Kyralia und Elyne einst in die Unabhängigkeit entlassen hat, empfindet er als Schmach, die Weigerung seines Kaisers als Schwäche. Takado ist klug, ein guter Stratege und eine charismatische Persönlichkeit. Er ist sich sicher, dass es ihm gelingen wird, Kyralia zu erobern, also versucht er es eben auf eigene Faust.

Und dann wäre da noch Narvelan, ein junger Magier und Nachbar von Tessias und Jayans Lehrmeister Dakon. Narvelan ist vor allem deshalb erwähnenswert, weil sein Charakter sich im Laufe der Geschichte am gravierendsten wandelt, als ein Beispiel dafür, was Krieg aus einem Menschen machen kann. Wobei das nicht ganz passend ausgedrückt ist, denn das, was aus Narvelan wird, ist von Anfang an in seiner Persönlichkeit angelegt, und doch hätte er ohne den Krieg der fröhliche und unbeschwerte junge Mann bleiben können, der er ursprünglich war.

„Magie“ ist das Prequel zum Zyklus Die Gilde der schwarzen Magier, doch obwohl es schon eine ganze Weile her ist, dass ich diesen Zyklus gelesen habe, empfand ich die Charakterzeichnung in diesem neuen Roman gelungener als die im Zyklus. Das gilt vielleicht nicht unbedingt für Stara, deren Geschichte hauptsächlich dazu zu dienen scheint, die sachakanische Gesellschaft etwas genauer zu beleuchten, aber immerhin hat sie ihr Selbstbewusstsein im wesentlich offeneren und freieren Klima des Nachbarlandes Elyne entwickelt, nicht in Sachaka. Auch Tessias Persönlichkeit ist dadurch, dass sie sich als Frau gegen die Regeln einer Männergesellschaft stemmt, ein wenig in einer derzeit modernen Schiene gefangen, was aber dadurch gemildert wird, dass sie in der Stadt eine Gleichgesinnte trifft. Jayans Charakter dagegen hat sich wesentlich glaubwürdiger entwickelt als Regins im zweiten Band des Zyklus, und die Person Narvelans ist einfach nur tragisch, im positiven Sinne. Interessant fand ich vor allem die Darstellung Takados, denn jegliche Schilderung dieses Mannes geschieht aus der Sicht seines Sklaven. Auf diese Weise erklärt sich auch ein großer Teil der sachakanischen Kultur, zum Beispiel die Frage, warum nahezu alle Sklaven ihren Herren so treu ergeben sind, anstatt einfach eine Revolte anzuzetteln.

Darin, wie schwer sich die Charakterzeichnung von der Darstellung des gesellschaftlichen Hintergrunds, also vom Entwurf der Welt als solcher, trennen lässt, zeigt sich bereits, wie eng Trudi Canavan die einzelnen Teile ihrer Geschichte miteinander verwoben hat.

Den Handlungsverlauf des Hauptstrangs lässt die Autorin eher langsam angehen. Zunächst widmet sie sich der Einführung ihrer Charaktere und auch kurz dem Kontrast zwischen Stadt und Land, ehe sie zur Sache kommt. Und auch als der Konflikt bereits im Gange ist, tut sich zunächst nicht viel. Takado lässt sich Zeit. Und die Kyralier auch. Überhaupt hinken die Kyralier den Sachakanern zunächst ständig hinterher, selbst als längst klar ist, dass Sachaka tatsächlich Kyralia erobern will. Das ist natürlich auch ein wenig Taktik der Autorin, und sie geht auf.

Je näher die Sachakaner der Hauptstadt Imardin kommen, desto schlechter stehen die Karten für Kyralia, und der Ausgang der diversen Schlachten tut sein Übriges. Das sorgt gegen Ende durchaus für Spannung. Wobei „Ende“ relativ ist, denn die Entscheidungsschlacht kam erstaunlich früh. Aber schließlich handelt es sich um ein Prequel, also hat die Autorin das Buch weit genug geführt, um zu erklären, wie es zur Ausgangssituation im Zyklus kam. Und das ist ihr gelungen, ohne den Leser in ein Loch fallen zu lassen. Der Teil nach der Entscheidungsschlacht ist weder langweilig noch überflüssig, es gibt immer noch genug Probleme zu bewältigen, wenn auch ganz anderer Art, und ohne diesen Teil wären eine Menge Fäden einfach in der Luft hängen geblieben.

Der zweite Handlungsstrang setzt erst im zweiten Teil des Buches ein. Er liefert die Informationen, die nötig sind, um den Verlauf der Ereignisse nach der Entscheidungsschlacht zu verstehen, ist aber mit dem Hauptstrang kaum verbunden und hat auch kaum Auswirkungen auf dessen Verlauf. Allein Jayans Verletzung, die aus der kurzen Berührung der beiden Stränge resultiert, bewirkt eine Veränderung, die sonst nicht eingetreten wäre. Es sei denn natürlich, Trudi Canavan hätte die Absicht, das Ende des kleineren Handlungsteils mit in das Sequel einfließen zu lassen, an dem sie im Augenblick schreibt, sozusagen als Langzeitwirkung. Ich zumindest würde das begrüßen, denn sie hat da einige vielversprechende Ideen angedeutet.

„Magie“ selbst ist allerdings ein eigenständiger Roman, der unabhängig von dem Zyklus gelesen werden kann, dessen Vorgeschichte er erzählt.

Bleibt zu sagen, dass Trudi Canavan sich gesteigert hat. Die Gilde der schwarzen Magier fand ich ja schon nicht schlecht, aber „Magie“ hat mir noch besser gefallen. Das Mittelfeld dürfte die Autorin damit hinter sich gelassen haben. Ich bin jetzt schon gespannt auf ihre neue Trilogie.

Trudy Canavan stammt aus Australien, wo sie nach einem Studium am Melbourne College of Decoration als Designerin, Illustratorin und Kartenzeichnerin für verschiedene Verlage tätig war, ehe sie zu schreiben begann. 1999 gewann sie mit ihrer Kurzgeschichte „Whispers of the Mist Children“ den Aurealis Award for Best Fantasy Short Story. 2001 erschien dann ihr erster Roman, der erste Band der Trilogie Die Gilde der schwarzen Magier. Ihre Trilogie Das Zeitalter der Fünf ist inzwischen ebenfalls auf Deutsch erhältlich. The Traitor Syp Trilogy, die Fortsetzung zu Die Gilde der schwarzen Magier, ist derzeit noch in Arbeit.

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 736 Seiten
Originaltitel: The Magician’s Apprentice
Deutsch von Michaela Link
ISBN-13: 978-3-7645-3037-2

´ http://www.trudicanavan.com/
http://www.randomhouse.de/penhaligon/index.jsp

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Preisler, Jerome – CSI Las Vegas: Tod in der Wüste

_Das geschieht:_

In ihrem Haus im vornehmen Vorort Mariah Valley wird nackt, an ihr Bett gefesselt und erstickt die schöne Rose Demille gefunden. Die High-Society und die Medien kannten und liebten sie als „Nevada Rose“. Regelmäßig lieferte ihr mondäner und lockerer Lebensstil Schlagzeilen. Die Zahl der Verdächtigen bleibt dennoch überschaubar, nachdem Catherine Willows und Warrick Brown, zwei erfahrene Beamte des Kriminaltechnischen Labors Las Vegas (CSI), die Ermittlung übernehmen.

Am Tatort finden sie Spuren, die auf die nächtliche Anwesenheit des Baseball-Starspielers Mark Baker hindeuten, der als Demilles aktueller Liebhaber und sogar Verlobter galt. Darüber hinaus unterhielt die verstorbene „Nevada Rose“ aber auch ein Verhältnis mit dem berühmten – und verheirateten – Schönheitschirurgen Layton Samuels …

CSI-Chef Gil Grissom und seine Kollegen Sara Sidle und Greg Sanders plagen sich derweil mit dem Fall des ‚grünen Mannes‘: Aus einem künstlichen See am Rand der Wüste zog man die Leiche des Edelstein-Schürfers Arthur Belcher, die nach Wochen des Treibens im trüben Wasser weder einen erfreulichen Anblick bietet noch die Umstände ihres Ende preisgibt.

Mit seinem Bruder Charles und seiner Mutter Gloria bildete Arthur zu Lebzeiten ein erfolgreiches, aber notorisch zerstrittenes Trio. Vor einigen Monaten gelang den Belchers in ihrer Mine der Fund ihres Lebens: ein gigantischer roter Smaragd, den sie „Nevada Rose“ tauften. Über den Verkauf war man uneins, was in Grissom die Frage weckt, ob sich die Familie des lästigen Arthurs nicht heimlich entledigt hat …

_Das Bekannte neu und aufregend wirken lassen_

„Exklusiver, bisher unveröffentlichter Originalfall“, liest man lockend auf dem Cover der deutschen Ausgabe. Normalerweise darf das Adjektiv „exklusiv“ in Verbindung mit einem Roman, der offensichtlich ein „tie-in“-Produkt ist, nicht als Empfehlung gelten: Moderne Franchises decken alle potenziell einträglichen Bereiche mit entsprechenden Angeboten ab; das „Buch zum Film“ oder in diesem Fall zur TV-Serie ist da nur ein Posten auf der Liste.

Das „CSI“-Franchise bildet indes seit jeher eine rühmliche Ausnahme. Die Qualität der Serie (bzw. der Serien, denn ermittelt wird ja nicht nur in Las Vegas, sondern auch in Miami und New York City) spiegelt sich in Romanen wider, die trotz verschiedener Autoren erstaunlich lesenswert geraten. Es dürfte primär daran liegen, dass zwar Schriftsteller angeheuert werden, die vor allem schnell die gewünschte ‚Ware‘ liefern, dabei jedoch darauf geachtet wird, nicht den Bodensatz der Branche aufzurühren; „tie-in“-Romane können schrecklich sein, und meist sind sie es auch, weil in der Materie kundige, aber ansonsten unerfahrene und/oder untalentierte Schreiberlinge, oft deutlich erkennbar mehr Fans als Autoren, auf die Leser losgelassen werden.

Jerome Preisler ist ein Profi mit langer Veröffentlichungsliste. Wie geschmeidig er sich den jeweiligen Auftraggebern anzupassen weiß, zeigt die Qualität dieses seines ersten „CSI“-Romans. Wobei „Qualität“ in diesem Fall einer näheren Erläuterung bedarf: „Tod in der Wüste“ kann als eigenständiger, solide geplotteter und angenehm lesbarer Krimi überzeugen, wirkt aber im „CSI“-Umfeld deutlich besser. Im Verlauf der Lektüre tauchen vor dem inneren Auge immer wieder Szenen, Dialoge und Kulissen aus der TV-Serie auf. Das geschieht natürlich nicht von ungefähr, sondern wird vom Verfasser forciert, der sich auf diese Weise seinen Job erleichtern kann.

_Die Wüste lebt, aber sie tötet auch_

Was die eigentliche Krimi-Handlung freilich nicht berührt. Hier gilt es einerseits, den Ton zu treffen, in dem sattsam bekannte Figuren interagieren, während andererseits ein scheinbar unmögliches Verbrechen zu entwerfen und aufzuklären ist. Weil ein Roman mit recht eng bedruckten 250 Seiten gefüllt werden muss, sind es sogar zwei Fälle. Mit dieser Episodenstruktur darf sich Preisler auf der sicheren Seite sehen, da auch im Fernsehen oft zwei oder gar drei CSI-Teams Seite an Seite, aber nicht gemeinsam ermitteln.

In „Tod in der Wüste“ bildet die „Nevada Rose“ eine lockere Klammer zwischen den Fällen. Sich des Zufalls bedienend, aber ihn nicht in seinen Dienst zwingend, geht Preisler von der Existenz zweier Rosen aus. Die eine war eine Frau, die ihr Leben in der Stadt verbrachte, die andere ist ein Edelstein, der in der Wüste gefunden wurde. Auf diese Weise hat der Verfasser zwei räumlich voneinander isolierte Schauplätze geschaffen, was sich auf die polizeiliche bzw. kriminaltechnische Arbeit und damit auf die Handlung auswirkt: Stadtteam und Landteam ermitteln auf unterschiedliche Weisen.

Den gemeinsamen Schnittpunkt bildet das „CSI“-Labor mit seinem unerschöpflichen Fundus wundersamer Hightech-Instrumente, die sich unabhängig von jenem Sparzwang, der dem öffentlichen Dienst ansonsten weltweit gemein ist, in Las Vegas zu türmen scheinen. Preisler hat seine Hausaufgaben gemacht. In den Labor-Szenen spricht er geschickt in jener Zunge, deren Sprache man als „Technobabbel“ bezeichnet: Unabhängig davon, ob technisch und wissenschaftlich tatsächlich möglich ist, was uns geschildert wird, klingt es auf jeden Fall realistisch und erfüllt damit seinen Unterhaltungszweck.

_Und wenn sie nicht gestorben sind, ermitteln sie noch morgen …_

„Tod in der Wüste“ ist chronologisch in die zweite Hälfte der 7. „CSI“-TV-Staffel einzuordnen. Warrick Brown lebt, Sara Sidle ist noch im Dienst, ihre Beziehung zu Gil Grissom nicht publik geworden (was erst geschah, als der Modellbau-Mörder sie entführte). Nick Stokes und Jim Brass müssen sich dieses Mal mit Gastauftritten begnügen.

Wie schon erwähnt, vermag sich Preisler erfolgreich in die TV-Figuren hineinzuversetzen. Sie haben alle ihren eigenen Stil und ihre Eigenheiten, die der Verfasser geschickt an passender (oder passend gemachter) Stelle einfließen lässt. Preisler geht womöglich einen Schritt weiter als Max Allan Collins, der bisher für den Las-Vegas-Bereich des „CSI“-Franchises schrieb, wenn er beispielsweise Gil Grissom als bekannt tüchtigen Kriminologen darstellt, der sich jedoch gern im Stil eines ‚zerstreuten Professors‘ in ab- und weitschweifigen Vorträgen verliert und von seinen Kollegen zurück in die Ermittlungsspur gebracht werden muss.

„Tod in der Wüste“ ist trotz seiner Qualitäten kein Krimi, der im Gedächtnis haften wird; dafür ist die Machart zu schematisch. Auf dem Niveau, das vorgelegt wurde und gehalten wird, entstehen jedoch unterhaltsame und gut lesbare Romane wie dieser, deren Reihe sich zweifellos um diverse Bände verlängern wird – und sollte!

_Der Autor_

In New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren, gehört Jerome Preisler zu den schwer und schnell arbeitenden Autoren der „tie-in“-Fraktion: Er bedient diverse Franchises mit Romanen zu Filmen („Last Man Standing“) und TV-Serien („Homicide: Life on the Streets“). Bekannt wurde er durch seine Militär-Thriller der „Power Plays“-Serie, für die Bestseller-Autor Tom Clancy (angeblich) die Exposés lieferte, die Preisler zu Romanen ausarbeitete.

Mit seiner Ehefrau Suzanne schreibt Preisler unter dem gemeinsamen Pseudonym „Suzanne Price“ die Cozy-Serie „Grime Solvers Mystery“. Das Paar lebt und arbeitet wechselweise in New York sowie an der Küste von Neuengland.

_Impressum_

Originaltitel: CSI: Las Vegas – Nevada Rose (New York : Pocket Star Books, a division of Simon & Schuster 2008)
Deutsche Erstveröffentlichung (geb.): Oktober 2008 (Vgs Verlag/CSI Las Vegas, Bd. 10)
Übersetzung: Frauke Meier
256 Seiten
EUR 17,95
ISBN-13: 978-3-8025-1785-3
http://www.vgs.de

Fink, Torsten – Diebin, Die (Die Tochter des Magiers 1)

_Maru ist eine Sklavin_, schon seit sie denken kann, ihre Eltern hat sie nicht gekannt. Früher hat sie in Budinien gelebt, aber jetzt befindet sie sich zusammen mit anderen Sklaven auf einem Boot des Händlers Atib. Und dieser Atib verkauft sie weiter an einen Mann namens Tasil.

Dieses Ereignis bedeutet für Maru ein völlig neues Leben. Denn Tasil will sie nicht als Küchenmagd oder Feldarbeiterin, er will sie als Gehilfin. Dumm nur, dass Tasils Geschäfte offenbar nicht ganz sauber sind. Maru gerät von einer Gefahr in die nächste, und eine ist größer als die andere …

_Tosten Finks Geschichte_ ist von Charakteren bevölkert, die faszinierend, aber nicht unbedingt sympatisch sind.

Da wäre zum Beispiel Prinz Numur, der sich mit seinem Zwillingsbruder Iddun um die Nachfolge seines gerade verstorbenen Vaters streitet. Ein eitler, rücksichtsloser und ehrgeiziger Kerl, dem so ziemlich alles fehlt, was einen guten Regenten ausmachen sollte.

Unterstützt wird er vom Hohepriester des Kriegsgottes, einem verbohrten, blindwütigen Mann, der Prinz Numur benutzt, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Dabei scheint es ihm gleichgültig zu sein, ob seine eigene Seite den Krieg gewinnt oder nicht, Hauptsache, es gibt genug Opfer für seinen blutgierigen Gott!

Der Immit – eine Art Wesir -, den der oberste Herrscher schickt, um den Streit um das Fürstentum zu schlichten, ist zwar ein mächtiger und intelligenter Mann, der sich von niemandem etwas vormachen lässt, aber es scheint ihm Spaß zu machen, mit den Leuten zu spielen, mit denen er zu tun hat. Außerdem ist er selbst durchaus nicht frei von Ehrgeiz.

Am undurchsichtigsten ist seine Frau Umati, eine junge Schönheit, deren Schmuck mehr ist als Schmuck, und die bedenkenlos alle beiseite räumt, die ihren Zielen im Weg stehen. Ob ihre Ziele dieselben sind wie die ihres Mannes, darüber lässt sich rätseln, aber selbst wenn, war ich mir nicht sicher, inwiefern ihr Tun dem dienlich sein sollte. Das macht die Frau geheimnisvoll, aber nicht unbedingt sympatisch.

Am schlimmsten jedoch war Tasil. Der Mann gibt sich als Händler aus, dabei ist er alles mögliche, nur nicht Händler. Zugegeben, er ist gerissen, aber auch ein ungeheuerlicher Lügner und Betrüger, ein eigensüchtiger, gewissenloser Intrigant, der aus allem seinen Vorteil zu schlagen versucht und bereit ist, alles und jeden dafür zu opfern. Ich mochte Tasil nicht und wartete die ganze Zeit darauf, dass es ihn erwischt oder Maru zumindest irgendwie von ihm loskommt.

Maru ist die einzige Ausnahme in diesem Haufen von gierigen Halsabschneidern. Sie ist klug und anpassungsfähig, aber sie empfindet auch Mitgefühl für andere, Abscheu vor Tasils Tun und natürlich auch Angst. Obgleich sie sich dessen bewusst ist, dass Tasil sie nur benutzt, scheint sie ihn fast ein wenig zu mögen. Das wunderte mich schon ziemlich, andererseits ist Tasil nicht direkt grausam oder unfreundlich zu ihr, und schließlich gibt es sonst nirgendwo einen Platz für sie.

So war Maru letztlich die einzige, wirkliche Sympathieträgerin der Geschichte, denn der Bruder von Prinz Numur, der dafür vielleicht ebenfalls noch in Frage gekommen wäre, spielt leider nur eine winzige Nebenrolle. Trotzdem fand ich die Charakterzeichnung hervorragend. Den Typus des eingebildeten Prinzen und seines skrupellosen Beraters gab es ja schon oft, aber selbst diese beiden wirken nicht wie Klischees. Vielleicht deshalb, weil sie sich von Tasil beschwatzen lassen. Denn obwohl das Buch eigentlich Marus Geschichte erzählt, ist doch Tasil ihr Dreh- und Angelpunkt. Ein Gauner dieses Formats ist mir bisher wirklich selten begegnet, nicht nur, weil sein Tun das Ausmaß gnadenloser Unverfrorenheit besitzt, sondern auch, weil sich in seinem Fall nicht, wie so oft, am Ende herausgestellt hat, dass der Kerl eigentlich gar nicht so übel ist. Torsten Fink ist konsequent geblieben, und das war gut so.

_Da Tasil die Handlung derart dominiert_, fehlt es der Erzählung gänzlich an epischer Breite. Nahezu alles spielt sich in der Stadt Serkesch ab. Es gibt keine Reise quer durch den Kontinent auf der Suche nach irgendetwas oder jemandem, es gibt keine Prophezeiung, keine übermächtige Bedrohung von außen. Stattdessen wird der Leser Zeuge davon, wie ein Mann einen Konflikt nutzt, um sich zu bereichern, und dabei alle Beteiligten in den Ruin treibt. Dass die Mächtigen der Stadt Tasils Einflüsterungen folgen, obwohl sie ihn eigentlich von Anfang an durchschaut haben – mit Ausnahme vielleicht von Iddun -, zeigt nur, mit welcher Skrupellosigkeit sie ihre Ziele verfolgen und welcher Mittel sie bereit sind sich zu bedienen. Man kann also beruhigt sagen, dass sie jemanden wie Tasil verdient haben.

Am Ende blieb bei mir der Eindruck zurück, Zeuge einer sehr schmutzigen und erbärmlichen Schlammschlacht geworden zu sein. Gäbe es nicht ein paar Leute mit magischen Gaben, könnte die Geschichte glatt in der Realität spielen, und ich hätte das Buch am Ende weggelegt, erleichtert, dass es zu Ende ist, und ohne den Wunsch, eine Fortsetzung zu lesen.

Tatsächlich jedoch habe ich den Wunsch, die Fortsetzung zu lesen. Denn am Ende bleiben eine Menge Fragen offen, die mit einer gewissen Beiläufigkeit nach und nach aufgetaucht sind. Diese Beiläufigkeit hat ihren Ursprung darin, dass der Autor – zugunsten der von Tasils Tun dominierten Handlung – mit fantastischen Details ausgesprochen sparsam war. Tasil beherrscht offenbar ein wenig Magie, seine Fähigkeiten scheinen allerdings ziemlich begrenzt. Aber auch die Macht der Zauberer scheint in dieser Welt nicht übermäßig groß. Zwar werden sie als mächtig beschrieben, offenbar können sie aber keinen wirklichen Einfluss auf die Realität nehmen, sondern nur Illusionen erschaffen, die dann allerdings mächtig genug sind, um zu töten. Außer den Zauberern und Tasil besitzt nur Maru Magie, denn sie durchschaut die Illusion eines Zauberers. Dem Zauberer ist das bereits aufgefallen, und auch Tasil hat einen entsprechenden Verdacht.

Welche Folgen das für Maru künftig haben wird, aber auch, wie es kommt, dass Tasil magische Fähigkeiten besitzt, obwohl er kein Zauberer ist, und was es mit dem Daimon Utukku auf sich hat oder mit dem Krabbelgetier, das sich plötzlich in gelbe Schmetterlinge verwandelt hat, all das sorgt dafür, dass das Interesse des Lesers an der Geschichte erhalten bleibt.

_Alles in allem_ kann man das Buch nur als sehr gut bezeichnen. Wen es nicht stört, dass er es nahezu ausschließlich mit Charakterschweinen zu tun hat, dem wird es niemals langweilig werden, denn Tasils dreiste Winkelzüge steigern sich ständig, wie bei einem Jongleur, der stetig weitere Bälle dazunimmt, und die Aussagen des blinden Geschichtenerzählers ebenso wie die des Daimons Utukku geben immer neue Rätsel auf. Ein wenig Geduld braucht man, bis man sich eingelesen hat, denn der Autor verwendet eine Menge eigener Wortschöpfungen, die selbst mit Glossar zunächst ein wenig für Verwirrung sorgen, aber das legt sich, und schließlich tragen diese Andeutungen einer eigenen Sprache ein wenig zu dem eher bescheidenen Hauch von fremdem Flair bei, den der Autor seinem Werk hat angedeihen lassen. Wer mit geringer Ausschmückung und mäßiger Action zufrieden ist, der kann hier durchaus auf seine Kosten kommen.

_Torsten Fink_ war Journalist und Texter, unter anderem für literarisches Kabarett, ehe er 2008 sein erstes Buch „Die Insel der Dämonen“ veröffentlichte. Er lebt und arbeitet in Mainz. „Die Diebin“ ist der erste Band seines dreiteiligen Zyklus |Die Tochter des Magiers|. Der zweite Band mit dem Titel „Die Gefährtin“ ist ebenfalls bereits erschienen.

|413 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-442-26631-9|
http://www.blanvalet-verlag.de

Sterling E. Lanier – Hieros Reise

Viele Jahre nach der atomaren Apokalypse begibt sich ein Kriegermönch auf eine lange Reise, um nach den Geheimnissen der Vergangenheit zu forschen. Begleitet von einige Gefährten sowie verfolgt von finsteren Feinden, stößt er in eine radioaktiv veränderte Welt voller Wunder und grässlicher Gefahren vor … – An Tolkiens „Herr der Ringe“-Epos angelehntes aber eigenständiges SF/Fantasy-Abenteuer, das durch den unerhörten Einfallsreichtum des Verfassers und sympathische Hauptfiguren fesselt: ein Klassiker, den jeder Phantastik-Leser kennen sollte!
Sterling E. Lanier – Hieros Reise weiterlesen

Garlick, Mark A. – große Weltraum-Atlas, Der

_Preisgünstiger, farbenprächtiger Blick ins All_

Wie ist unser Sonnensystem entstanden und was wissen wir heute über das Universum? Welche Sternbilder kann ich am Himmel sehen und gibt es Leben auf anderen Planeten? „Der große Weltraum-Atlas“ soll Licht in diese Geheimnisse des Universums bringen und lädt auf eine spannende Entdeckungsreise ein. Er soll ein umfassendes Nachschlagewerk für alle sein, die sich für Schwarze Löcher, Raumsonden, Mondlandungen und die Weiten des Alls interessieren. Dabei setzt das großformatige Werk vor allem auf visuelle Präsentation, die das Verständnis erleichtern soll: 800 Fotos, Abbildungen sowie Sternkarten bieten eine Fülle von Informationen.

_Der Autor_

Mark A. Garlick ist Doktor der Astrophysik und war mehrere Jahre lang in der Forschung tätig. Heute ist er freischaffender Autor mit dem Spezialgebiet Astronomie und einer der ganz wenigen und herausragenden Illustratoren auf diesem Gebiet. Sein fachlicher Berater heißt übrigens Dr. John O’Byrne.

_Inhalte_

Das Buch ist in vier Abschnitte eingeteilt:

1) Das Sonnensystem
2) Das Universum
3) Himmelsbeobachtung
4) Erforschung des Weltalls

Die Abschnitte 1 und 2 präsentieren die passive Beschreibung, die Abschnitte 3 und 4 aber die aktive Beobachtung und Erforschung. Diese Einteilung lässt sich leicht nachvollziehen. Aber wie sieht sie im Einzelnen aus?

|Abschnitt 1: Das Sonnensystem|

Unser Sonnensystem besteht nicht nur aus den bekannten Planeten, ihren Monden und der Sonne. Nein, es kommen auch der Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter sowie der Kuiper-Gürtel jenseits des Neptun hinzu. Sehr gut fand ich hier, wie die einzelnen Planeten und Monde (manche Jupiter- und Saturnmonde sind Miniatur-Erden) mit Fotomaterial dargestellt werden, insbesondere auch Fotos von der Rückseite des Mondes, die nur Sonden zu sehen bekommen. Überall sind die Landungsstellen von Sonden eingetragen.

Zu jedem Planeten gibt es auch ein Bild von einer mythologischen Figur, die dem Planeten ihren Namen lieh: Neptun, Jupiter, Mars, Merkus, Venus, Saturn, Uranus, Pluto. Doch was ist mit der Erde und dem Mond? Der Mond ist Diana bzw. Selene zugeordnet, der Mondgöttin, die Erde einer sumerischen Erdgöttin. Man könnte sie auch Gaia oder Gäa nennen. Etwas zweifelhaft fand ich jedoch, dass der Sonne Apollo zugeordnet wurde. Er ist zwar der Lichtgott der Griechen gewesen, aber die Sonne verkörperte der Gott Helios, wie man bei Homer nachlesen kann.

Die Kometen, Meteore, Meteorschwärme und Kleinplaneten kommen nicht aus dem Inneren und Äußeren Sonnensystem, sondern aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem wie eine Kugel umschließt. Kometen (von griech. „koma“: Haar) und Meteorschwärme nähern sich der Sonne und somit der Erde mitunter stark an, verglühen aber in der Regel in der Atmosphäre. Das Buch sagt ganz allgemein, dass Kometen aus Eis und Gestein bestehen, Meteore aber nur aus Gestein, z. B. Nickeleisen. Zu den Zwergplaneten zählt inzwischen auch Pluto.

Zum Inneren und Äußeren Sonnensystem findet sich je eine Doppelseite mit Übersichten, Zusammenfassungen, wichtigen Zahlen, Rekorden und diversen Ereignissen wie etwa Landungen. Auch die Geschichte der Entdeckungen ist kurz zusammengefasst.

|Abschnitt 2: Das Universum|

Im Sonnensystem finden sich nicht die einzigen Planeten des Weltalls. Eine Doppelseite listet Planeten in anderen Sternsystemen auf, und das sind schon eine ganze Menge. Einige der schönsten Fotos, die das Hubble-Teleskop geschossen hat, sind die von Nebeln, wie etwa vom Pferdekopfnebel. Wunderbar dreidimensional sind Gaskaskaden herausgearbeitet.

Unter den Sternen ist Sol nicht der größte. Es gibt Sterne wie Rigel, der 50-mal so groß ist und 40.000 Mal heller strahlt: ein Blauer Überriese. Der Rote Überriese Antares ist 700-mal so groß wie Sol. Die Übersicht macht die Größenverhältnisse sinnfällig deutlich. Auch das Leben eines Sterns bis zu seinem Tod wird erläutert. Nach den Veränderlichen Sternen sind die Supernovas dran, die zu den spektakulärsten Objekten in der Radioteleskopie zählen. Die Supernova des Krebsnebels wurde 1054 von den Chinesen beobachtet. Entstehung, Verlauf und Folgen einer Sternexplosion werden leider nur sehr knapp erklärt.

Die Einheiten werden größer. Man unterscheidet Offene Sternhaufen, die in den Spiralarmen der Galaxien vorkommen, und Kugelsternhaufen, die außerhalb der Galaxie zu finden sind und ihren Halo bilden. Nach einer weiteren Seite mit Übersichten und Zusammenfassungen findet man folgerichtig Darstellungen unserer Milchstraße und anderer Galaxien. Dass diese nicht immer spiralförmig oder elliptisch sein müssen, hat mich überrascht. Es gibt auch „irreguläre“ und Zwerggalaxien.

Witziges Szenario: In etwa drei Milliarden Jahren wird unsere Milchstraße mit der Andromeda-Galaxie (M31) kollidieren. Galaxien lassen sich wie Sterne zu Galaxiehaufen zusammenfassen, auch zu Superhaufen. Zu unserer lokalen Gruppe zählen mindestens 45 Galaxien.

Recht theoretisch und spekulativ sind die Darstellungen von Schwarzen Löchern und dem Urknall des Universums. Es ist verständlich, dass über die Dunkle Materie, die sechsmal mehr Masse ausmacht als die sichtbare, nur auf der Übersichtsseite etwas zu finden ist – ein paar Zeilen. Ebenso kurz ist die Bemerkung über die Dunkle Energie, von der man noch weniger weiß. Sie wirkt der Schwerkraft entgegen und beschleunigt die Ausdehnung des Universums. Es muss sie geben, sonst würde das Weltall wieder zu einer Singularität zusammenstürzen und erneut einen Urknall hervorbringen (pulsierendes Universum). Tatsache ist aber, dass es sich pausenlos ausdehnt.

|Abschnitt 3: Himmelsbeobachtung|

Von den fernsten Dingen zu den nächstliegenden: Fernrohren. Mit diesem scheinbar einfachen optischen Gerät lassen sich immer noch spektakuläre Entdeckungen machen, so etwa 1997 den Kometen Hyakutake. Für die Beobachtung von Mond und Sonne gibt das Buch Tipps und im Falle einer Sonnenfinsternis auch Tipps für Vorsichtsmaßnahmen, damit der Beobachter nicht erblindet.

Die Beobachtung der Planeten ist etwas kniffliger, weil sie kleiner sind. Aber da sie geordneten Bahnen folgen, kann man mit bloßem Auge ohne weiteres fünf Planeten entdecken, mit einem guten Fernrohr sogar sieben sowie die Jupitermonde. Reizvoller noch finde ich die Sternbilder. Die zwölf Tierkreiszeichen sind zu finden und je nach nördlicher oder südlicher Hemisphäre auch etliche weitere. Es gab Zeiten, in denen weitere Sternbilder erfunden wurden. Und je nach Kultur werden sie auch anders bezeichnet; im Großen Wagen sahen die Sioux beispielsweise ein Stinktier. Die Konstellationen verändern ihre Form, weil die Teilsterne sich weiterbewegen.

Weitere Seiten erklären dem angehenden Pfadfinder, wie man Süden und Norden erkennt, um sich bei Nacht zu orientieren. Das ist beim Südpol schwierig, denn er ist nicht mit einem Stern wie dem nördlichen Polarstern verbunden, sondern liegt irgendwo im Nichts. Wie man Sternkarten liest, fand ich ebenfalls interessant. Gigantische Karten stellen die Sterne dar, die zu den vier Jahreszeiten im Norden bzw. dem Süden zu sehen sind: acht Doppelseiten!

|Abschnitt 4: Erforschung des Weltalls|

Die Erforschung begann mit den ersten Beobachtungseinrichtungen. Interessant ist, dass auch Stonehenge als eine Art Observatorium aufgezählt wird. Natürlich haben auch Hochkulturen wie Babylonien, Ägypten und China erste Astronomiedaten gesammelt. In Mesopotamien wurde immerhin die Mathematik entwickelt. Leider fehlt die Himmelsscheibe aus dem deutschen Ort Nebra.

Das Weltall wurde in der Renaissance und Neuzeit anders betrachtet als im Mittelalter: Große Astronomen wie Kopernikus, Galilei halfen, aus dem geozentrischen ein heliozentrisches Sonnensystem zu machen. Statt Johannes Kepler wird der kupfernasige Däne Tycho Brahe aufgezählt (obwohl der dem heliozentrischen Weltbild deutlich misstraute). Die Reihe endet mit Newton, was ich etwas unfair finde.

Mit Riesenschritten geht es mit Hilfe von Sonden und diversen Großteleskopen immer weiter hinaus in die Tiefen des Alls. Doch bis zu den ersten Spaziergängen im All und auf dem Mond dauert es noch eine Weile. Raumsonden sind der verlängerte Arm des Menschen, um das All zu erkunden. Dass das Buch vor dem Januar 2008 entstand, lässt sich an den Startterminen für die nächsten Sonden ablesen, die ab 1/08 alle in der Zukunft liegen.

Sind wir allein im All? Diese Frage beschäftigt uns nach wie vor. Schiaparelli fand „Kanäle“ auf dem Mars und zeichnete eine recht kuriose Karte. Programme wie SETI suchen Leben und erdähnliche Planeten, doch in unserem Sonnensystem besitzen nur noch Venus und der Saturnmond Titan dichte Atmosphären, in denen ein Mensch landen könnte. Gibt es dort Leben? Die Suche geht dort ebenso weiter wie auf dem Jupitermond Europa, den eine dicke Eisschicht bedeckt, unter der sich ein Wasserozean befinden könnte. Die Darstellungen außerirdischer Lebensformen sehen etwas kurios aus.

Vor dem GLOSSAR mit Fachbegriffen liefert eine Doppelseite die übliche Zusammenfassung und Übersicht, darunter eine Liste mit Ereignissen zum „Weltall ins All“ – wobei natürlich die Amis die Nase vorn haben. Wesentlich interessanter fand ich die Erwähnung des 2013 startenden James-Webb-Weltraumteleskops, welches das veraltete Hubble-Teleskop ersetzen wird. Nach dem Glossar folgt das Register. Dieser Stichwortindex erleichtert das Finden von Begriffen enorm und gehört zu jeder wissenschaftlichen Buchpublikation.

_Unterm Strich_

Die Fülle des auf etwa 120 Seiten präsentierten Materials und Wissens erscheint zunächst überwältigend, erweist sich aber für einen jahrelang mit Astronomie und der Raumfahrt befassten Laien wie mich als doch schon ziemlich bekannt. Sicher, es ist hat etwas für sich, all die wunderbar spektakulären Objekte wie etwa die Ringe des Saturn oder Supernovae in den prächtigsten Farben geboten zu bekommen, aber wie neu ist das denn? Selbst der Kuipergürtel ist seit 1992 bekannt.

Nein, dieser Weltraum-Atlas ist etwas für Einsteiger, insbesondere im jugendlichen Alter, in dem man besonders leicht beeindruckbar ist. Sie werden auch weitestgehenden von Fremdwörtern und Fachjargon verschont. Fortgeschrittene Laien finden in einem Buch von Stephen Hawking oder Markus Chown mehr theoretische Anregungen, die weiterführen.

|Neues?|

Man muss schon in den didaktisch sehr willkommenen Übersichten zu jedem Abschnitt suchen, um etwas wirklich Neues zu finden. Dazu gehören die Dunkle Materie, die Dunkle Energie, bislang entdeckte Exoplaneten sowie Starttermine für künftige Sonden, Teleskope und Raumfahrtprogramme. Da kommt noch einiges, auf das wir uns freuen können.

|Patriotisch?|

Der Eindruck sollte nicht entstehen, dass der amerikanische Autor und sein Autor auf patriotische Weise dafür gesorgt hätten, dass die sowjetische Leistungen in der Raumfahrt verschwiegen oder herabgesetzt würden. Das ist nicht zutreffend, wie die entsprechende Überblicksseite belegt. Unter den „Rekorden“ sind mehrere Russen zu finden sowie die russische Raumstation |Mir|. Auch im „Wettlauf ins All“ sind die Sowjets gut vertreten.

Dass so wenige andere Nationen wie die Europäer auf den Fotos vertreten sind, liegen wohl eher an den Rechten, mit denen manche Foto-Datenbanken ausgewertet werden konnten. Unter diesen Datenbanken hat wohl die NASA eines der größten Archive überhaupt. Die Autoren wollen den Eindruck hinterlassen, dass der Weltraum ebenso wie die Raumfahrt alle Erdenbürger angeht, und das ist eine gute Einstellung.

|Originaltitel: Atlas of the Universe, 2007
Aus dem US-Englischen von Manfred Wolf
128 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-570-13496-2|
http://www.cbj-verlag.de

Saramago, José – Eine Zeit ohne Tod

|“Am darauffolgenden Tag starb niemand.“|

So unauffällig und doch eindringlich beginnt der Literaturnobelpreisträger [José Saramago]http://de.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9__Saramago sein vorliegendes Buch. In einem nicht näher benannten Land zu einer nicht näher benannten Zeit stirbt ab einer Silvesternacht niemand mehr. Die Todkranken, die kurz davor waren, ihren letzten Atemzug zu tun, bleiben am Leben – auch wenn sie alles andere als gesund werden. Sie vegetieren und leiden vor sich hin und können doch nicht sterben. Nirgends wartet der erlösende Tod auf sie, zumindest nicht in diesem Land. Und so kommen einige findige Menschen auf die Idee, ihre sterbenskranken Freunde und Verwandten über die Grenze zu bringen, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Eine Bauernfamilie ist es, die den Anfang macht und zwei Menschen im Nachbarland beerdigt. Fortan will die Maphia diese schreckliche Aufgabe übernehmen, denn immerhin stellt sich doch die Frage: Ist es Mord, jemanden zum Sterben über die Grenze zu bringen?

Aber noch weitere Probleme tauchen auf, die niemand vermutet hätte: Was machen die Bestattungsunternehmer, die von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun haben? Was geschieht mit den Krankenhäusern, in die weiterhin Kranke eingeliefert werden, in denen aber niemand stirbt und ein Bett freimacht? Was wird aus den Lebensversicherungen der Menschen? Und was passiert mit der Kirche, denn ohne den Tod gibt es schließlich auch keine Auferstehung, womit der Kirche ein tragender Pfeiler entrissen wird?

Doch dann erhält ein Fernsehintendant einen violetten Brief, der ihn zutiefst erschüttert. In Panik eilt er zum Premierminister und will die Verantwortung über den Brief abgeben, denn in diesem verkündet der „tod“ (klein geschrieben!) höchstpersönlich eine wichtige Botschaft, die die Welt von einem auf den anderen Tag – zumindest in dem nicht näher benannten Land – komplett verändern könnte …

José Saramago ist ein Meister des visionären Romans. Seine Ideen sind oft einfach, doch die Konsequenzen, die daraus entstehen, umso komplexer und schwerwiegender. Während er eine hellweiße und doch so düster bedrückende Welt in [„Die Stadt der Blinden“ 5382 gezeichnet hat, in der alle Menschen erblinden, widmet er sich hier einem neuen Problem: Niemand stirbt mehr. Was auf den ersten Blick nicht wie ein Problem scheint, sondern die Menschen in Lobeshymnen ausbrechen lässt, entpuppt sich schnell genug als Katastrophe. Und hier beweist Saramago wieder einmal, dass er seine Ideen konsequent zu Ende denkt. Er führt aus, was geschehen könnte, und scheut sich nicht davor, die Welt komplett auf den Kopf zu stellen. Nichts entgeht seinem Blick – ganz im Gegenteil, er entdeckt Probleme, wo man sie zunächst nicht erwartet hätte.

Auch einem anderen Stilelement bleibt er treu, denn seine Figuren erhalten keine Namen, sondern bleiben bloße Figuren. Seine Charaktere – so es sie denn gibt – stehen allein für Funktionen bzw. eine Berufsgruppe. Den besagten Fernsehintendanten lernen wir nicht weiter kennen, wir wissen nicht, ob er Familie hat, welchen Hobbys oder Interessen er nachgeht oder wie alt er ist. Er steht allein für den Berufstypus des Fernsehintendanten, der schleunigst einen erdrückenden Berg von Verantwortung auf jemand anderen abwälzen will.

Doch „Eine Zeit ohne Tod“ erhält schließlich seine Hauptfigur, nämlich den tod höchstpersönlich. tod ist weiblich schreibt sich mit einem kleinen „t“, und tod ist eigen, denn sie hat beschlossen, den Menschen einen kleinen Denkzettel zu verpassen, indem sie einfach niemanden mehr ins Reich des Todes abholt. Ihre Sense, die es tatsächlich gibt, bleibt tatenlos neben ihr stehen. tod ist diejenige, die wir im zweiten Teil des Buches ständig begleiten – eine abstruse, aber doch sehr pfiffige Idee.

|“… wobei der Grund dafür, dass ich meine frühere Aktivität, das Töten, unterbrochen und die sinnbildliche Sense, die phantasievolle Maler und Kupferstecher früherer Zeiten mir in die Hand gelegt haben, in ihrer Scheide habe stecken lassen, darin liegt, dass ich den Menschen, die mich so sehr verabscheuen, mit einer kleinen Kostprobe demonstrieren wollte, was es für sie bedeuten würde, immer, sprich, ewig zu leben, auch wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen gestehen muss, Herr Fernsehintendant, dass ich keine Ahnung habe, ob die beiden Wörter immer und ewig wirklich so gleichbedeutend sind wie allgemein angenommen …“|

Sprachlich bleibt José Saramago wie gewohnt eine Herausforderung. Kaum Absätze laden zum Verweilen ein und alle Zeilen sind voll bedruckt, da die wörtliche Rede in den Fließtext integriert ist (s. o.). Daran muss man sich gewöhnen, denn leicht lassen sich seine Bücher nicht lesen. Doch wenn man erst einmal in seine Sätze hineintaucht, sich auf die komplexe Sprache einlässt, entdeckt man vieles, das nur zwischen den Zeilen steht. Wieder einmal erzeugt Saramago eine dichte und bedrückende Atmosphäre, die den Leser mitreißt – und das, obwohl man sich jede Seite in diesem Buch erarbeiten muss.

„Eine Zeit ohne Tod“ ist zweigeteilt: Im ersten Teil schildert José Saramago die Konsequenzen aus dem ausbleibenden Tod und im zweiten widmet er sich dem tod persönlich. Er begleitet sie und stellt sie uns näher vor. Und dann erfahren wir, dass tod ein Problem umtreibt, denn sie hat versprochen, den Menschen ihren Tod anzukündigen – per Brief, den sie eine Woche vorher an den Betroffenen schickt. Nur ein Brief weigert sich konsequent zugestellt zu werden. Immer wieder landet er auf tods Tisch, sodass sie schließlich beschließt, die Person kennenzulernen, die nun nicht über den bevorstehenden Tod informiert werden kann.

Und das ist leider der Punkt, ab dem Saramago mich mit seiner Geschichte nicht mehr mitreißen konnte. Mir gefiel die Wendung nicht und ich finde sie auch nicht sonderlich gelungen. Hier bahnt sich eine Liebesgeschichte zwischen tod und einem Todgeweihten an, die mir doch zu abstrus erscheint und die Saramago auch nicht wirklich schlüssig darstellt. Konsequenter wäre es gewesen, die Geschichte weiterzuerzählen, wie sie begonnen hat, auch die letzte Konsequenz darzustellen; so wirkte es eher, als wären Saramago auf der halben Strecke die Ideen ausgegangen.

Unter dem Strich hebt sich „Eine Zeit ohne Tod“ nichtsdestotrotz weit vom Durchschnitt ab. Alleine durch Saramagos einzigartiges Sprachgefühl, seinen Ideenreichtum und die dichte und packende Atmosphäre bleibt dieses Buch positiv in Erinnerung. Allerdings kann ich mich nach wie vor nicht mit der Wendung auf der Hälfte des Buches anfreunden. Im Vergleich mit Saramagos sagenhaft genialem Buch [„Die Stadt der Blinden“ 5382 fällt das vorliegende Werk leider inhaltlich etwas ab – lesenswert bleibt es allerdings dennoch, zumal die Geschichte rund um den tod und den Todgeweihten sicherlich auch eine Geschmackssache ist.

|Originaltitel: As Intermitencias da Morte
Deutsch von Marianne Gareis
252 Seiten Broschur
ISBN-13: 978-3-499-24342-4|
http://www.rowohlt.de

Claudio Michele Mancini – Mala Vita

Handlung:

Roberto Cardone ist zutiefst geschockt: Gerade erst ist er sicher, die Frau seines Lebens getroffen zu haben, als ein Anruf seines besten Freundes und Mitbewohners Carlo ihn völlig aus der Bahn wirft. Entsetzt verfolgt Roberto in den Medien die Inszenierung der Hinrichtung seines Bruders Enrico, der vor laufenden Kameras erdrosselt wird. Nur kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse: Die Kanzlei des ermordeten Rechtsanwalts wird fluchtartig geräumt, Akten werden vernichtet und Spuren verwischt. Roberto reist selber von Bologna nach Palermo, um sich vor Ort ein Bild zu machen, entdeckt aber nichts als Rätsel.

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Edwards, Martin – Kein einsames Grab

Die Lösung von so genannten „cold cases“, also Fällen, die nie aufgeklärt wurden, aber als abgeschlossen gelten, hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Fernsehserien haben sich etabliert, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und auch in der Literatur wirbt man mittlerweile mit dem Begriff „cold case“. „Kein einsames Grab“ von Martin Edwards ist ein solcher Kriminalroman.

Dem übereifrigen Engagement eines Journalisten ist es zu verdanken, dass am zehnten Jahrestag nach dem Verschwinden von Emma Bestwick ihr ungeklärter Fall wieder aufgenommen wird. Es konnte nie geklärt werden, ob sie aus eigenen Motiven verschwunden ist oder entführt wurde. Hannah Scarlett ist Leiterin der Cold-Case-Abteilung der Polizei von Cumbria und aufgrund des öffentlichen Drucks nimmt sie sich des Falls an.

Das ist keine einfache Arbeit. Sie und ihre zwei Kollegen müssen sämtliche Zeugen von damals noch einmal befragen, in der Hoffnung, dass sie sich nun an Dinge erinnern, die ihnen vor zehn Jahren nicht eingefallen sind. Ein aussichtsloses Unterfangen – bis der Journalist Toni Di Venuto behauptet, ein anonymer Anrufer hätte ihm den Fundort von Emmas Leiche gesteckt. Es soll das Arsen-Labyrinth in den Bergen von Cumbria sein. Als die Polizei hinabsteigt, um zwischen den Trümmern der ehemaligen Mine nach Emma zu suchen, findet sie nicht nur eine Leiche, sondern zwei. Hängen die beiden Fälle zusammen? Und wer ist der anonyme Anrufer? Plötzlich gewinnt der Fall deutlich an Brisanz …

Das Aufarbeiten alter, ungelöster Fälle – das klingt eher nach trockener Büroarbeit als nach einem spannenden, rasanten Krimi. Tatsächlich ist dies das größte Problem von „Kein einsames Grab“. Die Befragungen der Zeugen gestalten sich trocken und ergebnislos, nehmen aber einen Großteil des Buches ein. Die eigentlich spannenden Ereignisse werden recht knapp abgehandelt und zudem unterbrochen von diversen anderen Perspektiven in der Geschichte, die mit der eigentlichen Handlung nur wenig zu tun haben. Zum einen ist da der Handlungsstrang des Täters, der sich aber eher weniger mit der damaligen Tat auseinandersetzt. Vielmehr wird seine durchtriebene Persönlichkeit beleuchtet, was nicht unbedingt ein Zugewinn für die Geschichte ist. Zum anderen hätten wir da Daniel Kind, den Sohn von Hannahs ehemaligem Chef, der als Historiker in Cumbria arbeitet. Er kommt vor allem dann ins Spiel, wenn es darum geht, die Geschichte des Arsen-Labyrinths aufzudröseln. Ob dafür unbedingt eine eigene Perspektive von ihm notwendig war, ist fraglich. Viele Sichtweisen auf eine Handlung können sehr aufschlussreich sein, doch in diesem Fall ist Edwards‘ Vorgehen eher verwirrend. Es fällt dem Leser schwer, der zerklüfteten Handlung zu folgen und zu erkennen, was wichtig für den Fall ist und was nur schmückendes Beiwerk.

Aufgrund der Masse der erzählenden Personen gehen auch deren Persönlichkeiten ein wenig unter. Die einzigen Figuren sind zwar anständig ausgearbeitet und besitzen Tiefgang, doch wirklich interessant sind sie nicht. Hannah ist meistens dann am besten, wenn sie gerade mal wieder Zweifel bezüglich ihrer Ehe hat. Ansonsten wirkt sie wie ein Katalysator für die Ermittlungen. Sie besitzt weder einen besonderen Humor noch deutliche Schwächen. Das Gegenteil dazu ist Guy Koenig, der sich unter falschem Namen in einer Pension in Cumbria einnistet und die Hauswirtin um seinen Finger wickelt – mit dem Ziel, ihr das Geld aus der Tasche zu ziehen. Er hat definitiv eigene Züge, da er sich häufig eine neue Identität zulegt und sehr geübt im Lügen und Täuschen ist. Allerdings wird sein Charakter einseitig beschrieben. Er scheint Reuegefühle und ähnliches nicht zu kennen. Dadurch wird er unglaubwürdig.

Der Schreibstil ist, ähnlich wie die Figuren, gut, aber nicht herausragend. Edwards schreibt flüssig und lebendig, aber er setzt sich kaum von anderen Autoren ab. Er verzichtet weitgehend auf rhetorische Stilmittel und auch seine Dialoge sind häufig etwas langweilig.

In der Summe ist „Kein einsames Grab“ kein schlechtes Buch, aber eben auch kein richtig gutes. Dazu fehlt es ihm an Eigenständigkeit und auf weiten Strecken auch an Spannung und interessanten Ereignissen.

|Originaltitel: The Arsenic Labyrinth
Aus dem Englischen von Ulrike Werner
ISBN-13: 978-3-404-16264-2
412 Seiten, Taschenbuch|
http://www.bastei-luebbe.de

Martin Edwards

_Martin Edwards bei |Buchwurm.info|:_
[„Tote schlafen nicht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4372

Kern, Claudia – Verrat (Der verwaiste Thron 2)

Band 1: [„Sturm“ 5299

_Nach dem_, was Ana am Ende des ersten Bandes über Jonan erfahren hat, ist sie entsetzt und enttäuscht davongelaufen. Aber obwohl sie furchtbar wütend auf ihren Leibwächter ist, fühlt sie sich ohne ihn auch unsicher und verlassen. Und tatsächlich dauert es nicht lange, und sie gerät in Schwierigkeiten …

Gerit hat ein Gespräch zwischen Schwarzauge und seinem General Korvellan belauscht, das ihm zu denken gibt. Als das Heer der Nachtschatten aufbricht, um weiter nach Süden zu marschieren, setzt Gerit sich von der Truppe ab. Allerdings muss er nur allzu bald feststellen, dass er nach der Schlacht zwischen Baldericks Heer und den Nachtschatten bei den Menschen nicht mehr gern gesehen ist. Schließlich fasst er einen Entschluss und macht sich zurück auf den Weg nach Norden …

Craymorus hat sich von Fürstin Syrahs Zofe Mellie völlig um den Finger wickeln und in eine Erpressung verwickeln lassen. Die feinen Anzeichen dafür, dass Mellie mehr zu sein scheint als eine einfach Zofe, übersieht er lieber.
König Cascyr dagegen fühlt sich von Craymorus auf den Schlips getreten und verlässt Westfall. Was nicht heißen soll, daß er seine ehrgeizigen Pläne aufgegeben hätte …

_Was die Charakterzeichnung betrifft_, hat sich nicht viel getan. Die Neuzugänge sind nicht mehr als Randpersonen.

Einzige Ausnahme ist Erys, die ehemalige Sklavin und Geliebte des Roten Königs. Jetzt ist sie die Anführerin von einem Haufen Amazonen, stolz, zielstrebig, aber geheimniskrämerisch und auch ein wenig kaltschnäuzig. Echte Tiefe fehlt aber auch dieser Figur bisher noch, mit Mitteilungen über ihre Vergangenheit ist sie mindestens so sparsam wie mit denen über ihre Absichten und Pläne. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie ganz ehrlich ist.

Bei den bisherigen Personen bleibt alles beim Alten, abgesehen davon vielleicht, dass Gerit und Ana versuchen, mehr auf eigenen Füßen zu stehen.

Dasselbe lässt sich auch über die vielen Rätsel sagen, die die Autorin dem Leser bereits im ersten Band aufgegeben hat. Es gab keinerlei neue Informationen über die Ereignisse der Vergangenheit, weder über den Krieg gegen den Roten König, noch über die Vorangegangenen. Zwar ist ein kleiner Teil von Jonans Geheimnissen gelüftet worden, dafür fragte ich mich umso mehr, was eigentlich der rätselhafte Priester Daneel bezweckt. Er hat die Nachtschatten als Gaukler verkleidet in die Festung Sommerstorm gebracht. Er hat versucht, Ana zu beeinflussen und diesmal hat er sich an Schwarzklaue herangemacht. Aber bisher hat es nicht einmal Andeutungen darüber gegeben, welches Ziel Daneel verfolgt. Auch Korvellans Verhalten mutet seltsam an. Er wirkt nicht wie ein Feind der Menschen, weder Gerit noch Craymorus noch Jonan gegenüber. Aber warum hat er dann die Nachtschatten zum Krieg aufgestachelt? Je weiter der Leser kommt, desto mehr hat er das Gefühl, dass der eigentliche Knoten des Plots bisher noch unter der Oberfläche verborgen liegt!

_Der Handlungsverlauf_ dagegen ist diesmal schwer zu beschreiben. Auf den ersten Blick hat sich nicht viel getan: Die Nachtschatten wollen noch immer den Süden erobern, Ana will noch immer Westfall erreichen, und Cascyr noch immer die Herrschaft über alle Provinzen an sich reißen. Aber die Personenkonstellation hat sich stark verändert.

Gerit hat das Heer der Nachtschatten verlassen, und Korvellan folgt ihm, um ihn zurückzuholen. Infolgedessen verlieren die Nachtschatten jegliche Disziplin, und Schwarzklaue gerät unter den Einfluss von Daneel.

Jonan hat Ana aus den Augen verloren und versucht, nach Westfall zu gelangen, weil er weiß, dass sie dorthin will. Ana hat tatsächlich versucht, mit Erys Hilfe Westfall zu erreichen, ist aber letztlich ganz woanders gelandet.

Es ist, als hätte die Autorin Zettel mit den Namen ihrer Figuren beschriftet, sie alle in einen Hut geworfen, feste geschüttelt, und sie dann paarweise wieder herausgezogen.

Tatsächlich ist sie wahrscheinlich etwas planvoller vorgegangen. Dennoch beschlich mich am Ende ein wenig das Gefühl, dass eigentlich gar nichts passiert ist. Die Leute haben sich ein wenig über den Kontinent bewegt und dabei die Gesellschaft gewechselt, aber alles Übrige – die vielen Rätsel und Geheimnisse, die Geschichte des Kontinents – ist keinen Schritt vorangekommen. Bestenfalls haben sich noch ein paar neue dazugesellt.

Dabei kann ich eigentlich nicht sagen, dass ich mich gelangweilt hätte. Die Autorin schreibt angenehm und flüssig, und es ist ja immer etwas los, von dem Überfall auf Ana über Craymorus‘ unwillige Intrige gegen Syrah bis hin zu den diversen Scharmützeln und Angriffen der Nachtschatten nach Korvellans Weggang. Wirklich spannend wollte es aber nicht werden, und der Rest entwickelte sich einfach zu langsam, um die fehlende Spannung völlig auszugleichen. So war das Buch zwar nette Lektüre, aber letztlich ein klein wenig unbefriedigend. Hoffentlich tut sich da im nächsten Band wieder ein wenig mehr.

_Claudia Kern_ lebt in Bonn und ist in vielen Bereichen tätig. Unter anderem ist sie Mitbegründerin von |Space View|, war Serienredakteurin beim Fernsehen, schreibt für Computerspiele und arbeitet als Übersetzerin. Auch für Conventions ist sie tätig, zum Beispiel für |FedCon|. Der nächste Band ihres Zyklus |Der verwaiste Thron| erscheint im August dieses Jahres unter dem Titel „Rache“.

|408 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-442-24421-8|
http://www.claudiakern.com
http://www.blanvalet-verlag.de

_Außerdem von Claudia Kern auf |Buchwurm.info|:_
[„Anno 1701: Kampf um Roderrenge“ 4436
[„S.T.A.L.K.E.R. – Shadow of Chernobyl, Bd. 1: Todeszone“ 3555

Dahl, Kjell Ola – Blutfeinde

Ein Polizist wird erschossen – bei einer Kneipenschlägerei nahe des Osloer Polizeipräsidiums. War es ein Unfall oder Mord? Kommissar Gunnarstranda wird mit dem Fall betraut, muss aber von Anfang an gegen Anfeindungen aus den eigenen Reihen kämpfen. Denn nur wenige Wochen zuvor hatte Gunnarstranda dafür gesorgt, dass Ivar Killi, der nun zum Opfer der Kneipenschlägerei geworden ist, vom Dienst suspendiert wird. Gunnarstranda ist allein auf weiter Flur, kann auf keine Hilfe seiner Kollegen hoffen und muss dann sogar feststellen, dass ihm Beweisstücke aus der eigenen Schreibtischschublade entwendet werden. Keine guten Voraussetzungen, um dem Täter auf die Spur zu kommen.

Schlussendlich wird Gunnarstranda gar der Fall entzogen. Stattdessen muss er seinem Kollegen Frank Frølich dabei helfen, den vermissten Anwalt Arne Welhaven aufzuspüren. Zwar nicht mit Feuereifer, aber immerhin doch gewissenhaft stürzt sich Gunnarstranda in den neuen Fall und entdeckt bei seinen Nachforschungen bald, dass die beiden Fälle zusammenhängen. Denn die Geschäfte, in die Welhaven verwickelt war, betrafen auch den toten Ivar Killi.

Unter schwierigen Bedingungen macht sich Gunnarstranda daran, die beiden Fälle zusammenzubringen und die Fäden zu entwirren, die den Zusammenhang verbergen …

Kjell Ola Dahl hat sich im Krimigenre bereits einen Namen gemacht. Seine Oslo-Krimis mit Kommissar Gunnarstranda erfreuen sich einer festen Fangemeinde, zu der ich mich auch einmal zählte – bis zu diesem Buch …

Gunnarstranda ist eigenwillig, er scheut sich nicht, seine Kollegen vor den Kopf zu stoßen und auch mit unbequemen Wahrheiten aufzutreten. Er weiß sich durchzusetzen und tut, was ihm gefällt. Niemand kommt mit ihm aus, niemand möchte mit ihm zusammenarbeiten, und doch ist Gunnarstranda es stets, der den richtigen Riecher hat. Sympathisch wirkt er auf den ersten Blick eher nicht, man muss schon einen Hang zu derart eigenwilligen Charakteren haben, um Gunnarstranda ins Herz zu schließen. Doch was ihn ausmacht, ist seine Ehrlichkeit auf Teufel komm raus, die mich durchaus beeindruckt. Denn selbst, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, würde er nie einen Gedanken daran verschwenden, seinem Vorgesetzten Honig ums Maul zu schmieren, nur um diesem zu gefallen. Dennoch: An Gunnarstranda dürften sich die Geister scheiden; mir war er in diesem Fall ein wenig |zu| eigen …

Doch das Problem von „Blutfeinde“ ist ein anderes: Zunächst bekommen wir einen Toten präsentiert, den wir nicht kennen und dem wir daher auch nicht nachtrauern. Noch ist auch nicht klar, ob es sich um einen Unfall handelt oder um Mord. Spannung wird also nicht aufgebaut. Im weiteren Verlauf des Romans wirft uns Kjell Ola Dahl zwar einige Hinweise vor und es wird bald klar, dass Ivar Killi nicht zufällig gestorben ist, doch die Spuren sind so verwaschen, dass wir ihnen nicht folgen können. Bevor wir eine Ahnung erlangen, wohin uns Dahl führen will, schaltet er zu einem anderen Fall, nämlich zu dem vermissten Anwalt. Einen Zusammenhang gibt es zunächst nicht, doch auch der Vermisstenfall ist undurchsichtig und kompliziert. Zu viele lose Fäden versucht Kjell Ola Dahl hier zusammenzuflechten. Meiner Ansicht nach ist sein Handlungskonstrukt dabei aber total zerfasert.

Nicht nur im Polizeipräsidium treffen wir auf zahlreiche unterschiedliche Polizisten – auf Gunnarstranda und seinen Vorgesetzten, seinen Widersacher Petter Bull, auf seinen neuen Kollegen Frølich und auf die Kollegin, die ihm an die Seite gestellt wird. Es tauchen immer mehr Personen auf, die – wie im Fall Yttergjerde – kaum eine Rolle im weiteren Verlauf des Buches spielen. Noch schlimmer sieht es bei den Ermittlungen aus, denn je weiter Gunnarstranda sich in seine Nachforschungen vergräbt, umso mehr Personen fördert er zutage, die mindestens mit einem der beiden Kriminalfälle zu tun haben. Irgendwann muss der Leser zwangsläufig den Überblick verlieren.

Aufgrund der zahllosen Figuren, die wir meist nur oberflächlich kennenlernen und die natürlich meist etwas zu verbergen haben, muss man sich regelrecht durch ein Labyrinth kämpfen – und das ohne einen leitenden roten Faden. Leider vergisst Kjell Ola Dahl bei seinem komplizierten Personen- und Handlungsgeflecht, Spannung aufzubauen, die den Leser motivieren würde, all die Irrwege mitzugehen, auf die Gunnarstranda sich begibt.

Mich hat das Buch leider kein bisschen berührt, da mir die zwei wichtigsten Dinge für einen guten Spannungsroman fehlten: der rote Faden und die Spannung. Auf mich wirkte „Blutfeinde“ vielmehr völlig überladen: Da gibt es anzügliche Fotos von jungen Mädchen, Erpressung und mögliche Vergewaltigung, es werden Unsummen an Geld auf ein dubioses Konto verschoben, und es gibt Polizisten, die mehr als nur ihren Dienst tun. Weniger wäre hier sicher mehr gewesen …

|Originaltitel: Svart Engel
Aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann
ISBN-13: 978-3-431-03774-6|
http://www.ehrenwirth.de

_Außerdem von Kjell Ola Dahl auf |Buchwurm.info|:_
[„Lügenmeer“ 4434

Beagle, Peter S. – letzte Einhorn, Das

Wenn man ein wunderschönes, unsterbliches Einhorn in einem idyllischen Wald ist, hat man kaum Wünsche. Und so lebt auch das letzte Einhorn aus Peter S. Beagles gleichnamigem Roman zunächst von einem Tag zum nächsten – bis ihm eines Tages aufgeht, dass es schon seit langer Zeit keinem anderen Einhorn mehr begegnet ist. Als ihm dann auch noch ein Schmetterling flüstert, dass alle anderen Einhörner von einem Roten Stier fortgetrieben wurden, beschließt es schweren Herzens, seine Heimat zu verlassen, um sich auf die Suche nach seinen Artgenossen zu machen.

Und wie das bei einem Abenteuer eben ist, findet das Einhorn auf seiner Reise eine Reihe von Gefährten, die es in seiner Suche unterstützen. Da wäre zunächst der glücklose Zauberer Schmendrick, der das Einhorn aus den Fängen Mami Fortunas befreit, die es gefangen genommen hatte, um es in ihrem fahrenden Zirkus auszustellen. Als nächste stößt Molly Grue zu der kleinen Gruppe, die vom Leben enttäuschte Gefährtin eines Räubers mit literarischen Ambitionen.

Bald treffen die drei auf den Roten Stier, der im Auftrag des verhärmten Königs Haggard auch das letzte Einhorn fangen soll. Um es zu retten, verwandelt es Schmendrick in eine junge Frau. In der Hoffnung, auf König Haggards Schloss Hinweise auf den Verbleib der anderen Einhörner zu finden, gehen sie bei Haggard in Dienst, woraufhin sich dessen Adoptivsohn Prinz Lír sofort in die schweigsame Lady Amalthea verliebt – keine andere als das letzte Einhorn. Zunächst ignoriert diese Lírs Annäherungsversuche, doch je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergisst sie auch ihre wahre Gestalt und ihren Auftrag. Um also zu verhindern, dass Lady Amalthea den Prinzen heiratet, muss Schmendrick einen Weg finden, sie wieder in ein Einhorn zurückzuverwandeln.

Natürlich muss sich auch Peter S. Beagles 1968 erstveröffentlichter Fantasyroman „Das letzte Einhorn“ – wie wohl jeder Roman dieses Genres – mit dem allgegenwärtigen [„Der Herr der Ringe“ 5487 von J. R. R. Tolkien vergleichen lassen. Doch was Beagles melancholisches Märchen eben gerade zu etwas Besonderem macht, ist die Tatsache, dass es eine Art Gegenpol zu Tolkiens episch angelegtem Geschichtsentwurf ist. „Das letzte Einhorn“ ist geradlinig, fast schon minimalistisch und kann gerade damit gegenüber dem 1300-Seiten-Schinken über Mittelerde durchaus bestehen.

Was Beagles Roman so anrührend macht, sind die liebevoll gezeichneten Charaktere. Denn obwohl „Das letzte Einhorn“ eine Abenteuergeschichte ist – die Erzählung einer „quest“ -, die von Helden bevölkert sein muss, die übermenschliche Dinge vollbringen, um ihr Ziel zu erreichen, sind diese Figuren in der Regel alles andere als heldenhaft. Beagle beschreibt durchweg Verlierer, tragische Charaktere, deren Schicksal es ist, ständig die falschen Entscheidungen zu treffen. Das Einhorn lässt sich blauäugig auf ein Abenteuer ein, das es ab einem gewissen Punkt nicht mehr bewältigen kann. Schmendrick der Zauberer hadert mit seiner Mittelmäßigkeit und der offensichtlichen Tatsache, dass er dem Einhorn kaum eine Hilfe ist. Und der einzige wirkliche Held Lír – der auch im Text als solcher bezeichnet wird – wird für seine Taten nur mit dem Tod belohnt.

Es ist wohl aber Molly Grue, die dem (erwachsenen) Leser – und vielleicht auch dem Autor – am nächsten steht. Alt, verhärmt, vom Leben gezeichnet und ohne Hoffnung, ruft sie dem Einhorn bei ihrer ersten Begegnung verzweifelt zu: „Wo warst du, als ich jung war? Warum kommst du erst jetzt?“ Sie ist damit das Sprachrohr einer Generation ohne Träume, ohne Fantasie, die erst langsam wieder lernen muss, was es heißt zu hoffen und zu wagen.

Beagles Geschichte ist ein Juwel von einem Roman. „Das letzte Einhorn“ lässt sich als Märchen lesen, doch es bietet ironische Passagen, die unsere Realität spiegeln, ebenso wie metaliterarische Einschübe. So gibt es für jeden Leser und jedes Lesealter etwas zu entdecken, auch wenn „Das letzte Einhorn“ keineswegs in erster Linie Jugend- oder gar Kinderliteratur ist (dazu ist der Grundton der Erzählung einfach zu melancholisch).

|Der Hörverlag| hat „Das letzte Einhorn“ als ungekürzte Lesung auf sieben CDs herausgebracht, ansprechend aufgemacht in einer blauen Box mit Booklet. Als Sprecher läuft hier Andreas Fröhlich zu Hochform auf, der sicher vielen Hörbuch-Interessierten ein Begriff ist. Bei einem so wandelbaren Sprecher besteht nie die Gefahr, dass die sieben CDs lang oder eintönig erscheinen, denn Fröhlich gibt jeder Figur ihre ganz eigene Stimme. Er reimt, er singt, er klagt – da bleiben wirklich keine Wünsche offen.

„Das letzte Einhorn“ ist wohl ein Roman, der im amerikanischen Original noch größere Strahlkraft entwickelt. So schafft die Übersetzung von Jürgen Schweier zwar teilweise wirklich wunderbare Wendungen, doch wirft sie den Leser von Zeit zu Zeit auch mit Modernismen wie „D-Zug“ aus dem märchenhaften Ton der Erzählung. Wenn es aber tatsächlich die deutsche Übersetzung sein soll, dann ist man mit dem Hörbuch des |Hörverlags| wirklich gut beraten. Man bekommt hier auf sieben CDs eine solide und liebevoll gemachte Hörversion des Fantasyklassikers, der das Märchen vom letzten Einhorn auf ganz neue Art erlebbar macht.

|Siege ergänzend dazu auch unsere Besprechung zu [„Die Sonate des Einhorns“. 1286 |

http://www.hoerverlag.de

French, Ray – Ab nach unten

Ray French erzählt in seinem Roman „Ab nach unten“ die Geschichte eines Arbeitskampfes der besonderen Art. Schon jahrelang hat Aidan in Crindau, einem Ort in Südwales, für den Elektronik-Konzern „Sunny Jim“ gearbeitet, als die Konzernleitung beschließt, zwecks Senkung der Kosten den Standort zu schließen und die Produktion nach Asien zu verlagern. Nun sollen Aidan und seine Kollegen sich also in das ohnehin in Südwales schon nicht kleine Heer der Arbeitslosen einreihen.

Aidans Leben hat seit dem Tod seiner Frau sowieso schon kaum mehr eine Perspektive. Die Kinder sind längst aus dem Haus und gehen ihre eigenen Wege und des Abends sinniert Aidan mit seinen Kumpels im Pub über die immer gleichen alten Geschichten. Aidan war nie ein großer Rebell, aber der drohende Jobverlust und das damit einhergehende Schwinden jeglicher Perspektive treibt ihn schließlich auf die Barrikaden.

Aidan entschließt sich zu einer einzigartig radikalen und bisher nie dagewesenen Strategie, um seinen Arbeitsplatz zu kämpfen. Er kauft sich einen Sarg, um sich lebendig in seinem Garten begraben zu lassen und erst dann wieder zurück in die Welt der Lebenden zu kehren, wenn „Sunny Jim“ von seinen Schließungsplänen abrückt.

Aidans Kumpels unterstützen ihn nach anfänglichem Zögern bei der Sache. Mobiltelefone werden angeschafft – für den Notfall – und die Verpflegung sowie die Entsorgung von Aidans Ausscheidungsprodukten wird organisiert. Als der große Tag kommt, steigt Aidan mutig in seinen Sarg und lässt sich von seinen Kumpels begraben.

Das ungewöhnliche Spektakel ruft schon bald die Medien auf den Plan, die sich wie die Geier auf Aidans Aktion stürzen. Schon bald wird Aidans Garten zu einer Pilgerstätte für eifrige Journalisten und die unterschiedlichsten verkrachten Existenzen, die dem Mann im Sarg ihr Herz ausschütten. „Sunny Jim“ hingegen zeigt sich zunächst gänzlich unbeeindruckt. Wie lange muss Aidan nun in der Tiefe ausharren?

Der Klappentext zieht von „Ab nach unten“ Vergleiche zu Filmen wie „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ und „Ganz oder gar nicht“. Eine tragikomische Geschichte aus dem britischem Arbeitermilieu, scheinbar einfach gestrickte Charaktere und eine Geschichte, die vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise in den letzten dreißig Jahren immer zu irgendeinem Zeitpunkt etwas bestechend Aktuelles an sich hatte.

Von den Zutaten her reiht sich Ray French mit seinem Roman hier wunderbar ein. Seine Geschichte ist so tragisch, wie sie komisch ist, und so skurril, wie eigentlich nur Geschichten aus dem Vereinigten Königreich sein können. Wer den britischen Humor und insbesondere tragikomische Geschichten von der Insel mag, der kommt auch bei „Ab nach unten“ voll auf seine Kosten.

Zwar reiht French nicht gerade einen Schenkelklopfer an den anderen – sein Humor ist sehr viel feinsinniger und ironischer -, dennoch gibt es so manche schöne Stelle mit reichlich Stoff zum Schmunzeln. Sehr schön ist z. B. gleich eingangs Aidans Versuch, bei seinem örtlichen Bestatter einen Sarg „anprobieren“ zu dürfen. Unvergessen auch die Szene, in der des Nachts der „echte“ Tom Jones an Aidans Sarg pilgert, um ihm sein Herz auszuschütten.

„Ab nach unten“ kann einiges an skurrilen und herrlich komischen Situationen vorweisen, steckt aber nichtsdestotrotz auch voller tragischer und trauriger Momente. Aidan ist ein ziemlich einsamer Mensch. Obwohl er seine Kumpels hat, gibt es doch so richtig niemanden, dem er sein Herz ausschütten kann – eine Sache, die ihm in der drückenden Einsamkeit unter der Erde erst so richtig bewusst wird. Und so ist „Ab nach unten“ eben auch ein Lehrstück über den Wert echter Freundschaft.

French schafft es, all diese Dinge so einfühlsam zu verpackend, dass „Ab nach unten“ zugleich unterhält und nachdenklich stimmt. Es gibt viele leise Zwischentöne, Momente, die rührend sind, und Szenen, die herrlich komisch sind. „Ab nach unten“ ist trotz der eigentlich etwas absurd anmutenden Grundidee wunderbar realitätsnah, einfach weil die Protagonisten so gelungen authentisch skizziert wurden. Man kann sich Aidan und seine Kumpels wunderbar als real lebende Figuren vorstellen, denn French beweist ein Händchen im Umgang mit seinen Darstellern.

Auch sprachlich ist „Ab nach unten“ ganz angenehme Lektüre. Getragen von Frenchs feinsinnigem Humor, mit durchaus spürbaren dramaturgischen Akzenten im Plot, liest sich der Roman ganz locker von der Hand weg.

Bleibt unterm Strich ein wirklich positiver Eindruck zurück. Anlass zur Kritik gibt es kaum. „Ab nach unten“ ist ein wunderbarer Unterhaltungsroman mit toller Figurenskizzierung, einer schönen Mischung von Tragik und Komik und einer herrlich schrägen Grundidee – Freunden britischen Humors wärmstens zu empfehlen.

|Originaltitel: Going Under
Deutsch von Martin R. Becker
412 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-423-24694-1|
http://www.dtv.de

Lewis, Damien – Cobra Gold

_Das geschieht:_

1979 tobt im Libanon der Bürgerkrieg. Christliche und moslemische Gruppen kämpfen erbittert um die Macht. Die Hauptstadt Beirut ist ein Trümmerfeld. Der Westen will Frieden in der wichtigsten Erdöl-Region der Erde. Nach ständigen Attacken durch Palästinenser marschierten israelische Truppen ein. Islamische Terrorgruppen versuchen das Ausland durch Anschläge von einer weiteren Einmischung abzuhalten.

Im Januar des genannten Jahres plant der britische Special Air Service (SAS) eine geheime Operation in Beirut. Dort hält trotz der prekären Situation die „Imperial Bank of Beirut“ weiterhin ihre Pforten geöffnet. Alle kriegführenden Parteien unterhalten hier Konten. Die Bank gilt als neutrales Territorium und wird verschont. Doch der SAS hat Kenntnis von Papieren bekommen, die grundlegende Informationen über arabische Terrorzellen enthalten und in einem bestimmten Schließfach aufbewahrt werden. Neun Männer sollen unter dem Kommando ihres charismatischen Anführers Luke Kilbride nach Beirut gehen, die Bank überfallen und die Papiere sichern.

Kilbride gedenkt die Gelegenheit zu nutzen: Im Tresor der Bank lagern Goldbarren im Wert von 50 Millionen Dollar! Die wollen er und seine Männer sich unter den Nagel reißen, an einem sicheren Ort verstecken und bergen, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Der Coup, Deckname „Cobra Gold“, gelingt, nur dass Kilbride im Safe nicht 700, sondern mehr als 2000 Goldbarren findet! Eine besonders fanatische Terrorgruppe, die „Schwarzen Assassinen“, lagert hier ihre Kriegskasse. Kilbride und seine Kameraden rauben 26.000 kg Gold und versenken es vor der Küste in einer Höhle der Palmeninsel. Anschließend kehren sie zu ihrem Stützpunkt zurück.

Fast drei Jahrzehnte dauert es, bis Frieden im Libanon einkehrt. Endlich kann der Schatz gehoben werden. Allerdings haben die Assassinen die Suche nach ihrem Gold nie aufgegeben. Sie planen eine weltweite Terroraktion und benötigen Geld. Außerdem sollen die frevlerischen Diebe einen schrecklichen Tod erleiden. Kilbride und seine acht Gefährten lassen sich auf ein gewagtes Spiel ein. Sie wollen nicht nur das Gold holen, sondern müssen sich auch die Assassinen vom Hals schaffen …

_Ein Haufen verwegener Hunde_

Dieser Plot erfreut sich konstanter Beliebtheit: Eine Gruppe ebenso verschworener wie kühner Profis, die sich um Gefahr und Vorschriften (oder das Gesetz) nicht kümmern, plant ein eigentlich unmögliches Unternehmen und zieht es durch, auch wenn nicht alle dies überleben werden. Vor allem in England treten Haudegen dieses Kalibers seit jeher in unzähligen Kriegsfilmen und Abenteuerromanen in Aktion. Es geht gegen einen übermächtigen, finsteren Gegner, der die schlauen Schlichen, mit denen er gehörig dezimiert wird, stets ‚verdient‘. In „Cobra Gold“ sind es nicht die sonst von den Briten immer gern an der Nase herumgeführten Nazis, sondern ihr modernes Pendant: moslemische Terroristen.

Die Dramaturgie der Handlung ist simpel; warum auch nicht, denn sie hat sich bewährt und funktioniert immer, wenn bestimmte Regeln beachtet werden. Es beginnt mit einem unkonventionellen Plan und setzt sich mit der Suche nach entsprechenden Kampfgefährten fort, die erst einmal tüchtig gedrillt werden, damit sie in Form für ihre Taten kommen. Dabei wird mächtig gestöhnt und geflucht, aber an einem Strang gezogen, denn in der Sache sind solche Draufgänger eisern und höchstens in der Umsetzung eigenwillig. Immer gibt es Konfrontationen mit Greenhorns und Sesselfurzern, denen Verachtung demonstriert und die eigene Feigheit widergespiegelt wird.

Untereinander halten ‚die Jungs‘ wie Pech und Schwefel zusammen. Sie saufen, prügeln sich, steigen den Frauen hinterher, lieben Landser-Scherze und geistlose Foppereien. Kritiker können ihnen zu Recht vorwerfen, sie wollten nicht erwachsen werden. Das dürfen sie auch nicht, da sonst niemals unterhaltsame Schwachsinns-Unternehmen wie „Cobra Gold“ zustande kämen.

Der Anführer gibt den Kitt, der die Teufelskerle zusammenhält. Luke Kilbride ist der Kopf, der koordiniert, was sich acht Querköpfe einfallen lassen – der ‚Vernünftige‘, der es inzwischen zu einem soliden Leben gebracht hat, während sich ‚die Jungs‘ ziellos treiben ließen. Die Bergung des Goldes ist ihnen nicht nur des Geldes wegen wichtig – es gibt ihrem Dasein wieder Sinn.

_Einst und jetzt – gut und mittelmäßig_

Als Roman zerfällt „Cobra Gold“ in zwei Hauptteile. Nummer eins schildert die Ereignisse des Jahres 1979. Hier läuft Verfasser Lewis zu grandioser Form auf. Der Banküberfall in den Wirren eines mörderischen Bürgerkriegs liest sich kinoreif. Jedes Wort sitzt, die Handlung wird im Höllentempo vorangetrieben. Lewis kennt Land und Leute und weiß dies für seine Geschichte zu nutzen. Der große Coup bietet Spannung pur.

Leider gelingt dem Verfasser die Rückkehr in den Libanon nicht mehr so überzeugend. Die Fahrt lässt sichtlich nach, stattdessen wirkt die Handlung zerfahren. Vor allem beginnt Lewis seinen Figuren ein Privatleben zu generieren, für das sie nicht geschaffen wurden. Bisher auf ihre Rolle als Tausendsassas beschränkte ‚Jungs‘ entwickeln plötzlich Frühlingsgefühle, soll heißen: Männer in ihren Fünfziger verlieben sich in knapp zwanzigjährige und selbstverständlich wunderschöne Frauen, die sich gern dem Werben solcher Kämpen ergeben, weil in Afrika das Alter geehrt wird. Klischeehaft und unbeholfen geschriebene Liebesszenen lassen den Leser peinlich berührt stöhnen. Der generell unnötige Versuch, einer Räuberpistole ‚Tiefe‘ einzuhauchen, schadet ihr nachhaltig.

Keine gute Idee ist auch die Weitung des Blickwinkels. Die Realität bot im ersten Teil die Folie, vor der neun Männern ihr ganz privater Husarenstreich gelang. Nunmehr wird das Gold zur Nebensache. Plötzlich geht es um die Ausschaltung islamischen Terrorgesindels. Aus Bankräubern werden Handlanger des britischen Geheimdienstes und Retter der Welt. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Hebung eines Schatzes. Zum Wohl der Menschheit wird stattdessen einer Lumpenbande eine gigantische Bombe untergeschoben, die sie in Stücke reißen soll. Das hinterlässt einen schlechten Nachgeschmack, wozu passt, dass Kilbride und Co. nunmehr metzeln, was ihre prall gefüllte Waffenkammer hergibt, und sogar vor Folter nicht zurückschrecken.

_Haut die Burnusköpfe – aber nur die richtigen …_

Aber es sind ja richtig böse Mistkerle, die ins staubige Gras beißen. Lewis versucht beschwichtigend zu differenzieren: 99,9 % aller Moslems sind friedliche Menschen, die weder einander noch ihren christlichen Nachbarn Böses antun. Die restlichen 0,1 % sind jene Brandstifter, die frömmelnd und verlogen ihre eigenen Landsleute unterdrücken und die nicht-islamische Welt mit Terror überziehen.

Weil Lewis vorsichtshalber möglichen Protesten zuvorkommen möchte, konstruiert er für seine Geschichte eine eigene, ganz besonders fiese Mördertruppe. Die „Schwarzen Assassinen“ knüpfen an eine arabische Attentäter-Organisation an, die vor einem Jahrtausend ihr Unwesen trieb. Sogar die religiösen Fanatiker im eigenen Land fürchteten sie. Lewis kreiert mit dem „Scheich“ einen richtigen Bilderbuch-Buhmann, der feurigen Blickes Fremdenhass predigt und Mordbefehle erteilt, während er fromm seine Teekanne schwingt. Solcher Abschaum gehört geradezu ausgetilgt, so Lewis‘ Schlussfolgerung, die er nicht ausspricht, sondern seinen Lesern überlässt.

Um den etwaigen Vorwurf rassistischer Schmähungen endgültig abzufedern, stellt Lewis den Assassinen einen britischen Verräter zur Seite. Dieser übergelaufene und ganz besonders blindgläubige „Sucher“ ist der eigentliche Bösewicht. Er tückt noch ärger als der Scheich. Auf ihn kann und soll der Leser seinen vom Verfasser aufgepeitschten Rachedurst („Legt sie um, die Teufelsbrut! Hurra, schon wieder ein Schweinehund von einer Mine/einem Kampfhund/einer MG-Garbe zerfetzt!“) konzentrieren.

Im Finale geht es mit Nervengas und selbst gepanschtem Napalm noch einmal richtig zur Sache. Im Schatten dieses Feuerzaubers verdorrt die eigentliche Auflösung. Die Aktionen werden unrealistisch, Hektik ersetzt die ausgeklügelte Dramaturgie, die den ersten Teil des Buches auszeichnet. Als der Held zuletzt im Duell mit dem Schurken sein Ende zu finden scheint, ist dies nur billiger Vorwand für einen schmalzreichen Aufschub des Happy-Ends, mit dem selbstverständlich – und das ist kein Spoiler – das Unternehmen „Cobra Gold“ ausklingt. Schade, denn dieser Roman hatte das Zeug zu richtig großer Unterhaltung. So bleibt nur die Erinnerung an einen steilen Aufstieg, dem bis zum jähen Finalabsturz ein sanftes Abgleiten auf hohem unterhaltsamen Niveau folgt.

_Der Autor_

Damien Lewis, geboren 1966 und aufgewachsen im englischen Dorset, ist ein Journalist und Autor, dessen schriftstellerisches Spektrum zunächst verblüfft: Er schreibt einerseits militärhistorische Sachbücher bzw. Militär-Thriller und andererseits Biografien über Frauenschicksale in restriktiven muslimischen Gesellschaften. Vor allem als Ko-Autor der Sudanesin Mende Nazar, der eine abenteuerliche Flucht aus moderner Sklaverei gelang, fand Lewis zahlreiche (nicht nur weibliche) Leser und die entsprechende Aufmerksamkeit der Medien.

Die Schnittmenge seiner Hauptthemen findet Lewis in den Krisenzonen vor allem der sog. „Dritten Welt“ und hier in Afrika und im Nahen Osten. Hier geht er immer wieder auf Reisen, seit er – noch als Student – eine ausdehnte Pkw-Reise durch den afrikanischen Kontinent unternahm. Als Journalist zog es ihn im Auftrag von Zeitungen und Fernsehsendern aber auch in eher gefährliche Regionen Asiens und Südamerikas. Nach einer beinahe tödlichen Krankheit im Jahre 2000 schränkte Lewis seine Reisetätigkeit ein und begann Bücher zu schreiben, die sich – es wurde bereits erwähnt – mit humanitären und militärischen Krisen beschäftigen. Seine Werke – Bücher und Filme – wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet.

Wenn er nicht reist, pendelt Damien Lewis zwischen Südwest-England, Irland und Frankreich. Über seine Aktivitäten informiert der Autor und Filmemacher auf seiner Website: http://www.damienlewis.com.

_Impressum_

Originaltitel: Cobra Gold (London : Century Books 2007)
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Knaur Taschenbuchverlag/TB Nr. 50143)
Übersetzung: Stefan Troßbach
448 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-426-50143-6
http://www.knaur.de

Richardson, Kat – Poltergeist

„Poltergeist“, Kat Richardsons zweiter Roman um die Privatdetektivin und Grauwandlerin Harper Blaine, knüpft an, wo [„Greywalker“ 5500 aufhörte. Und zur Freude des Lesers sind bei der Autorin noch längst keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen: Die Fortsetzung kommt spannend und unterhaltsam daher und liest sich genauso flott wie der Vorgänger.

Harper hat weiterhin fleißig mit den Danzigers geübt und findet sich mittlerweile besser im Grau zurecht. Sie hat die Zwischenwelt besser unter Kontrolle, und es passiert nur noch selten, dass sie zufällig im Grau landet. Ben Danziger, als Wissenschaftler mit einigen Kontakten zur Uni von Seattle gesegnet, verweist Harper an einen Kollegen, der eine Privatdetektivin mit starken Nerven braucht. Professor Tuckman stellt mit großem Aufwand das bekannte Philip-Experiment nach und befürchtet, dass jemand die Ergebnisse manipuliert. Seit Monaten trifft sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe in Tuckmans verkabeltem Testlabor, um kraft ihrer Gedanken einen Geist zu erschaffen. Zwar hat Tuckman – wohl als positiven Verstärker für die Gruppe – einige Kniffe und technische Spielereien parat, um künstlich Klopfgeräusche und Tischewackeln zu erzeugen, doch in letzter Zeit scheint sich bei den Sitzungen der Gruppe tatsächlich ein Geist zu manifestieren. Das Problem ist nur: Tuckman glaubt überhaupt nicht an Geister. Und so soll Harper Blaine die Mitglieder der Gruppe überprüfen, um herauszufinden, ob jemand das Experiment sabotiert.

Harper nimmt den Fall an, und das, obwohl ihr Tuckman äußerst unsympathisch ist. Durch ihr Wissen als Grauwandlerin vermutet sie, dass die Gruppe bei ihren Sitzungen tatsächlich irgendetwas Übernatürliches auf den Plan gerufen hat. Doch um das glaubhaft zu vermitteln, muss sie erst nachweisen, dass tatsächlich niemand die Ergebnisse manipuliert. Der Fall verkompliziert sich jedoch plötzlich, als ein Mitglied der Gruppe tot aufgefunden wird.

„Poltergeist“ ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes Buch. Kat Richardson hat sich mit der Grundidee und der Handlung viel Mühe gegeben, denn ein Großteil des Romans lebt ausschließlich von der umfassenden Recherchearbeit der Autorin. Sicher, der Leser erfährt auch Neues über das Grau und darf miterleben, wie Harper Fortschritte darin macht, sich zwischen den Welten zu bewegen. Doch hauptsächlich illustriert „Poltergeist“ verschiedene Aspekte des Spiritismus und der Psychologie und beleuchtet außerdem, wie sich beide beeinflussen können.

Die Handlung des Romans – eine Gruppe „kreiert“ durch gemeinsame Geistesanstrengung einen fiktiven Geist, der sich daraufhin selbstständig macht – basiert auf dem Philip-Experiment, das in den 1970er Jahren von einer Gruppe Parapsychologen in Kanada durchgeführt wurde. Zuerst erschuf die Gruppe die Biographie einer fiktiven Person, nämlich Philip Aylesford. In der Folge versuchten die Teilnehmer dann in Sitzungen, tatsächlich Kontakt zum Geist dieser fiktiven Person aufzunehmen. Nachdem die ersten Monate keine nennenswerten Ergebnisse zutage förderten, verlegte man sich auf klassische Séancen, und siehe da, Philip begann tatsächlich durch Klopfzeichen mit der Gruppe zu kommunizieren. Die Erfolge des Philip-Experiments inspirierten zahlreiche Nachahmer: Kat Richardsons fiktiver Professor Tuckman befindet sich also in durchaus illustrer (und realer) Gesellschaft.

Kat Richardson führt die Grundidee des Philip-Experiments, nämlich dass man durch anhaltende geistige Konzentration eine Art kollektiven Geist schaffen kann, konsequent weiter. In ihrer Version des Experiments entsteht nicht nur dieser kollektive Geist, der sich von der Psyche der Gruppenteilnehmer nährt, sondern dieser Geist übernimmt auch die unbewussten Aggressionen, Ängste und Wünsche der Teilnehmer. Da es in der Gruppe zunehmend zu Spannungen kommt, wird auch der Geist immer aggressiver, bis er gar die Teilnehmer bei einem Treffen mittels eines galoppierenden Tisches durchs Zimmer treibt und teilweise verletzt.

Die Autorin hat offensichtlich großen Spaß an diesen Gedankenspielen. Viel Action gibt es in „Poltergeist“ also nicht. Natürlich muss Harper Blaine auch ganz normaler Deketivarbeit nachgehen, d. h. sie verfolgt, vernimmt und wandelt im Grau. Doch geht es Richardson offensichtlich nicht um die Action. Stattdessen ist „Poltergeist“ ein theoretischer Roman, der geprägt ist von (pseudo)wissenschaftlichen Passagen und parapsychologischen Erläuterungen. Sie lässt viel von ihrer Recherche einfließen. Es wird viel referiert, z. B. über die Versuchsanordnung des originalen Philip-Experiments oder verschiedene Arten, Geisterscheinungen (Klopfgeräusche, sich bewegende Tische) vorzutäuschen. Dadurch kann man den Roman nicht nur als packende Urban Fantasy lesen, sondern auch als unterhaltsame Einführung in die Parapsychologie und den Spiritismus.

Mit dieser Konzentration aufs Theoretische und Wissenschaftliche läuft Kat Richardson natürlich Gefahr, trocken und langatmig zu klingen. Das wird jedoch durch die bunte Ansammlung von Charakteren verhindert, die die Autorin dem Leser präsentiert. Quinton, der geekige Bastler, ist wieder mit von der Partie, genauso wie die Danzigers. Ein Neuzugang ist Harpers Lieblingsbuchhändlerin Phoebe, die für heimelige Szenen in einer durch und durch gemütlichen und abgefahrenen Buchhandlung sorgt (und beim notorischen Amazon-Besteller ein wirklich schlechtes Gewissen aufkommen lässt). Einzig Harpers Love Interest Will kommt diesmal ziemlich kurz. Die Fernbeziehung (er arbeitet in London) tut den beiden keineswegs gut; sie scheinen sich einfach nichts mehr zu sagen zu haben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Richardson in „Poltergeist“ keine Verwendung für Will hatte, sich jedoch alle Alternativen offen halten will. Und so tritt er dann auch kaum in Erscheinungen. Es bleibt abzuwarten, was sie in den folgenden Romanen mit dem Charakter anstellen möchte.

Kat Richardson hat die Begabung, leichte und unterhaltsame Prosa zu schreiben. Ebenso begabt zeigt sie sich, wenn es um ihre Personage geht. Keiner der Charaktere ist eindimensional, der durchaus umfangreiche Personenkreis des Romans ist bis ins Letzte durchcharakterisiert. Da bleiben keine Wünsche offen.

|Originaltitel: Poltergeist
Übersetzt von Franziska Heel
Taschenbuch, Broschur, 496 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52486-6|
http://www.heyne.de

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O’Connor, Ed – Leda

Literarische Serientäter gibt es mittlerweile in allen möglichen Formen und Farben. Der englische Schriftsteller Ed O’Connor fügt dem Thema in seinem Krimi „Leda“ eine neue Nuance hinzu: Schwäne und einen guten Schuss Kunst.

Detective Inspector Lucy Maguire steht vor einem Rätsel. Innerhalb kurzer Zeit werden in London zwei weibliche Leichen gefunden. In beiden Fällen fand eine Vergewaltigung statt und die Opfer wurden merkwürdig drapiert. Zu ihren Füßen finden sich zertretene Eierschalen, in ihren Hälsen stecken die Schnäbel von Schwänen. Es scheint, als habe man es hier nicht mit einem normalen Killer zu tun. Ob ein Ritualmörder sein Unwesen treibt?

Zur gleichen Zeit wird der betagte Kunsthistoriker Siegfried Gratz von einer jungen Frau kontaktiert, die behauptet, die Tochter seiner großen, aber unerwiderten Liebe Elizabeth Weir zu sein. Sie überreicht ihm einen Briefumschlag mit seltsamen Dokumenten, darunter die Fotografie eines Michelangelo-Gemäldes. Es scheint, als habe sie ihm vor ihrem Tod ein Rätsel aufgeben wollen, in dessen Mittelpunkt das verschwundene Gemälde der „Leda“ steht. Ob Elizabeth eine Spur hatte, wo sich das Kunstwerk befindet? Helen Aurel und Siegfried Gratz machen sich auf die Suche danach, und schon bald kreuzen sich ihre Wege unvorhergesehen mit denen der Londoner Ermittler …

Die Handlungsstränge mit Gratz und Maguire sind allerdings nicht die einzigen. Begleitend beschreibt Ed O’Connor den Werdegang des Gemäldes „Leda“. Er streut immer wieder voneinander unabhängige historische Rückblicke ein, die nicht in die eigentliche Geschichte passen wollen. Sie gewinnen erst gegen Ende an Bedeutung. Vorher sind sie eher ein Ärgernis, das man gerne überblättert. Die Geschichte zerklüftet dadurch sehr stark, und die kurzen Abschnitte, die im sechzehnten Jahrhundert beginnen, passen nicht in den Kontext. Die Sprünge zwischen den einzelnen Handlungssträngen machen es für den Leser schwierig, der Geschichte zu folgen. Hinzu kommt, dass der Autor die einzelnen Abschnitte häufig sehr kurz hält. Dadurch verschenkt er einiges an Potenzial – auch hinsichtlich der Spannung des Thrillers.

Durch die vielen, nebeneinander stehenden Perspektiven gibt es nur wenig Raum zur Entfaltung der Charaktere. Siegfried Gratz wird zum Glück recht ausführlich behandelt, denn er ist ein interessanter Mensch mit einer spannenden Vergangenheit. Außerdem macht es Spaß, seinem Wissen über die Kunst zu folgen. Anders sieht das bei Aiden Duffy, dem Londoner Forensikspezialisten, aus. Er kommt eindeutig zu kurz. Seine Figur besitzt sehr viel Tiefgang, der sich aber aufgrund der Kürze seiner Auftritte nicht völlig entfalten kann. Zudem fällt besonders an dieser Stelle auf, dass der Autor zu viel Drumherum in sein Buch packen wollte. Neben der Geschichte des Gemäldes, den Morden in London und Gratz‘ Suche nach dem Gemälde behandelt er außerdem Duffys Vergangenheit, seine Beziehung zu DI Maguire sowie Vergangenheit und Gegenwart des Mörders.

Es ist löblich, dass Ed O’Connor das Geschehen aus so vielen Blickwinkeln wie möglich beleuchten möchte, doch in diesem Fall wäre weniger mehr gewesen. O’Connors unaufgeregter, flüssiger Schreibstil und das Handlungsgerüst an und für sich hätten einen ordentlichen Thriller gegeben, doch das ausschweifende Beiwerk schadet „Leda“ mehr, als es nützt. Schade.

|Originaltitel: Leda
Aus dem Englischen von Marion Sohns
ISBN-13: 978-3-404-16263-5
412 Seiten, Taschenbuch|
http://www.bastei-luebbe.de

_Ed O’Connor bei |Buchwurm.info|:_
[„Mit eiskalter Klinge“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3653