Walker, Hugh / Birker, Thomas / Hajek, Joschi / Daber, Christian – Lebendig begraben (Dreamland Grusel, Folge 3)

Dreamland-Grusel 5: [„Wolfsnächte“ 5080
Dreamland-Grusel 6: [„Der Zombie-Macher von Tahiti“ 5117
Dreamland-Grusel 8: [„Mörderische Weihnachten“ 5430

_Handlung:_

Gerhard Bermann wird beinahe bei lebendigem Leib begraben. Im letzten Augenblick wird er vor einem grausigen Schicksal bewahrt, denn scheinbar wollte jemand den Mann vergiften. Doch bedauerlicherweise hat Bermann sein Gedächtnis verloren. Viel erschreckender ist, dass er nach dem Vorfall gut zwanzig Jahre jünger erscheint. Langsam kristallisiert sich heraus, dass er einen heftigen Streit mit einem gewissen Albert Geisler hatte. Als er den Mann zur Rede stellen will, trifft er nur dessen Tochter Franziska an. Diese erklärt ihm, dass ihr Vater in ihm ein Geschöpf des Teufels sieht, das vor langer Zeit einen Pakt mit dem Satan geschlossen hat, um ewiges Leben zu erlangen. Dafür würde ihm nun der Zwang zum Bösen anhaften, der dafür sorgen würde, dass Bermann Böses tun muss, um die Menschen in seiner Umgebung ins Verderben zu stürzen.

Bermann beschließt, seinen Heimatort zu verlassen, doch Geisler beabsichtigt nicht, ihn so leicht gehen zu lassen. Er hetzt seinem Kontrahenten zwei Schläger auf den Hals, die den vermeintlichen Hexer beseitigen sollen. Doch wieder kommt Bermann knapp mit dem Leben davon – erneut um gut zehn Jahre jünger. In einem anderen Dorf hofft Bermann ein neues Leben beginnen zu können, doch dann beginnt der Zwang zum Bösen erneut zu wirken und die Vergangenheit holt den Mann mit zerstörerischer Wucht ein …

_Meine Meinung:_

Ein Hörspiel nach einem Roman des großartigen Schriftstellers Hugh Walker ist wohl der Traum eines jeden Heftroman-Liebhabers. Die Titel, die Walker alias Hubert Straßl zeit seines Lebens für den Horror-Heftroman verfasste, kann man locker an zwei Händen abzählen. Umso eindringlicher und dichter sind seine Erzählungen, die sich durch ihre Subtilität von herkömmlicher Genrekost innerhalb des Heftromangenres abheben. Im Mittelpunkt stehen häufig normale Männer, die unvermittelt in einen Strudel des Schreckens gerissen werden.

Auch „Lebendig begraben“ bedient sich dieses Musters. Der Protagonist Gerhard Bermann fungiert zugleich als Erzähler, was bedeutet, dass der Hörer nie mehr weiß als die Hauptfigur der Geschichte – ein Umstand, der die Spannung zeitweise unerträglich macht. In der Hauptrolle ist Christian Rode zu hören, der zwar nicht mehr als Zwanzigjähriger durchgeht, aber dank seiner stimmlichen Präsenz und Leidenschaft eine derart überzeugende Arbeit abliefert, dass man diese Diskrepanz leicht verschmerzen kann. Im Gegensatz zu den anderen Folgen dieser Reihe fällt dieses Hörspiel durch seinen hohen Anteil an reinen Erzählertexten auf, was stellenweise den Eindruck erweckt, ein Hörbuch im CD-Player zu haben. Verstärkt wird dieser Eindruck natürlich dadurch, dass es kaum Gelegenheit gibt, mit bombastischen Effekten zu glänzen, was bei einer derartigen Story sowieso unangebracht wäre. Kleines Manko hier ist die Szene, in der Bermann von den Schlägern misshandelt wird. Die Prügelei hört sich an, als ob jemand mit einem Fensterladen geklappert hätte. Sehr viel Spaß scheinen die Schauspieler dagegen in den Sterbeszenen gehabt zu haben, die sehr geräuschvoll ausgefallen sind.

Obwohl der Großteil des Hörspiels von Christian Rode bestritten wird, ist das restliche Ensemble wieder ein Who-is-Who der deutschen Hörspielszene. Allen voran der grandiose, leider bereits verstorbene Peter Joseph Schmitz, der mit der Rolle als Albert Geisler sein letztes Hörspiel eingesprochen hat. Den Hörspiel-Fans ist er wohl am ehesten als „Der Spuk“ aus den alten |John Sinclair|-Hörspielen von |Tonstudio Braun| bekannt. Gerade in den letzten Szenen, in denen er sich mit Bermann auseinandersetzt, stiehlt er Rode glatt die Show – ein wahrhaft begnadeter Sprachkünstler. Nicht zu unterschätzen sind auch die weiblichen Stars Kerstin Draeger als Franziska Geisler und Gisela Trowe als Andrea Bermann. Letztere hat leider nur eine sehr kleine Rolle. Ebenfalls dabei sind Konrad Halver, Fabian Harloff, H. G. Francis, Horst Kurth und Carsten Bohn. Für die sparsam, aber dafür umso effektvoller eingesetzte Musik zeichnet sich natürlich Tom Steinbrecher verantwortlich, der eine wirklich sehr breite Palette an Stücken zu bieten hat, in der für jeden Anlass das Passende dabei zu sein scheint.

Als Bonus gibt es dieses Mal einen gefühlvollen Nachruf auf Peter Joseph Schmitz, der maßgeblich zum Erfolg dieses Hörspiels beiträgt. Die Coverillustration ist sehr atmosphärisch und wirkt äußerst bizarr und surreal – einfach, aber sehr wirkungsvoll. Im Booklet selbst finden sich zwei Fotografien des großartigen Sprechers Peter Joseph Schmitz; der restliche Platz wurde für Eigenwerbung genutzt. Eine Auflistung der kommerziellen Hörspiele, in denen Schmitz mitwirkte, wäre wünschenswert gewesen.

_Fazit:_

„Lebendig begraben“ ist immer noch die bis dato beste und atmosphärischste Folge der Reihe. Ein kleines Meisterwerk, das vor allem durch die grandiosen Sprecher Christian Rode und Peter Joseph Schmitz lebt, deren Leistung über die eine oder andere Schwäche hinwegsehen lässt.

|75 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 9783939066521|
http://www.ts-dreamland.de

_Florian Hilleberg_

Die drei ??? und das Geisterschiff (Folge 93)

Mit Folge 93 der kultigen Jugend-Detektei befand man sich Ende der Neunziger bzw. Anfang Zwotausend qualitativ schon wieder auf dem Weg nach oben. Vergessen waren die zwischenzeitlich teils lieblos hingeschluderten Storys ab etwa Folge 60. Mit dem Setzen auf bewährte Rezepte und ein Besinnen auf alte Stärken schaffte man es, die Steigerung in der Formkurve – mit ein paar Ausreißern – bis heute zu halten. „Das Geisterschiff“ ist dabei quasi ein modernes Role-Model und Paradebeispiel für solide gesponnenes Garn, auf dem die Serie ihren bislang ungebrochenen Erfolg gründete.

Zur Story

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Krajewski, Marek – Gespenster in Breslau

_Das geschieht:_

Breslau im Spätsommer des Jahres 1919: Kriminalassistent Eberhard Mock, eigentlich in der Abteilung für Sittlichkeitsverbrechen tätig, wird zur Mordkommission versetzt, um bei der Aufklärung eines grotesken Massenmords zu helfen: Vier nackte Männer mit Matrosenmützen – offensichtlich Prostituierte – wurden betäubt, ihre Gliedmaßen systematisch zerschlagen und ihre Lungen mit langen Nadeln durchbohrt.

Bei den Leichen hinterließ der Täter eine Nachricht: Eberhard Mock soll sich für ein unerkannt gebliebenes Verbrechen schuldig bekennen. Fatalerweise kann sich Mock an keine entsprechende Missetat erinnern, will diese aber nicht ausschließen: Er ist Alkoholiker, betrinkt sich regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit und leidet unter Schlafstörungen.

So geschieht, womit zu rechnen war: Als Mock sich nicht offenbart, schlägt der ungeduldig gewordene Mörder erneut zu. Von seinen Vorgesetzten kaltgestellt, schart Mock eine kleine Gruppe ihm gewogener Männer um sich und führt die Ermittlungen auf eigene Faust fort. Er stößt auf eine Spur, die in die höchsten gesellschaftlichen Kreise Breslaus führt, was seine Nachforschungen erheblich erschwert. Mocks Albträume nehmen zu, denn weitere Bluttaten ereignen sich, für die er sich verantwortlich fühlt. Umso nachdrücklicher stürzt er sich in die gefährlichen Untiefen der Breslauer Halbwelt, denn nur dort findet er die Antworten, die er sucht …

_Verbrechen als zeitloses Lesevergnügen_

Historienkrimis liegen im Trend. Vor allem in Deutschland wird die Mischung aus Verbrechen und Vergangenheit sehr geschätzt, was sich in entsprechenden Verkaufszahlen niederschlägt. Wo die Nachfrage hoch ist, wird von Autoren und Verlagen selbstverständlich geliefert – um jeden Preis, was den Historienkrimi zu einem Genre macht, das unter argen Qualitätsgefällen leidet. Noch die dümmlichste Mordmär wird scheinbar geadelt, wenn man sie nur in ferner Zeit ansiedelt: So wird offensichtlich und leider viel zu oft erfolgreich kalkuliert. Dabei ersetzen Recherche und historische Akkuratesse keineswegs eine gute Story, während andererseits eine gute Story problemlos Anachronismen ausgleichen kann.

„Gespenster in Breslau“ stellt keineswegs die ideale Symbiose von Historienroman und Krimi dar – glücklicherweise: Nicht nur die Geschichte liest sich spannend, auch das historische Umfeld ist glänzend rekonstruiert. Kein Wunder, war Autor Krajewski doch einst als Bibliothekar an der Breslauer Universität tätig und hat sich tief in die Geschichte seiner Heimatstadt eingearbeitet. Gleichzeitig übertreibt er es mit den Fakten nicht. Sie unterstützen die Handlung, erdrücken sie aber nie. „Gespenster in Breslau“ bleibt vor allem eine weitere Episode aus dem bewegten Leben des Eberhard Mock, mit dem Krajewski eine Figur gelungen ist, die er zu Recht in den Vordergrund schiebt.

_Serienmord und der Tanz auf dem Vulkan_

Vier schwule Matrosen werden gerädert und mit Nadeln erstochen, weitere Pechvögel erfahren ähnlich bizarre Lebensenden: In Sachen Drastik kann Krajewski auf jeden Fall mit den Metzeleien der aktuellen Killer-Thriller mithalten. Diese ereignen sich allerdings in Breslau, einer Stadt, die erfreuliches Krimi-Neuland für den interessierten Leser darstellt. Das Jahr 1919 ist kein vom Verfasser willkürlich gewähltes Datum; es signalisiert dem historisch leidlich vorgebildeten Leser ein Umfeld, das von politischer und gesellschaftlicher Instabilität geprägt ist und in dem ein Geschehen, wie es Krajewski schildert, plötzlich gar nicht mehr außergewöhnlich wirkt.

1919 ist nicht nur das Jahr 1 nach einem I. Weltkrieg, der viele Millionen Opfer gekostet hat. Jetzt strömen die Überlebenden zurück ins ’normale‘ Leben. Eberhard Mock gehört zu ihnen – ein typischer Vertreter seiner Generation, der nach dem Grauen, das er in einem Abnutzungs- und Vernichtungskrieg erleben musste, psychisch gezeichnet ist. Er kann nicht schlafen, wird von Albträumen heimgesucht, die er mit Alkohol und Sex betäubt. Nachts suchen ihn Gespenster heim, vermischen sich seine Kriegserinnerungen mit den alltäglichen Schrecken, denen er als Polizist ausgesetzt ist.

Die Gegenwart wird ihn kaum zur Ruhe kommen zu lassen. Nach Jahrhunderten, in denen Monarchen die europäischen Staaten regierten, versuchen diese nun die Demokratie. Immer neue Krisen erschüttern die jungen Republiken. Die Inflation galoppiert. Nach sowjetischen Vorbild bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte. Eine Revolution scheint auch in Deutschland nicht unwahrscheinlich; auch Mock wird damit konfrontiert, dass sich Räte und Militär belauern und ein Funke den bewaffneten Straßenkrieg auslösen kann. Währenddessen rühren die geschassten Machthaber von einst im Untergrund, versuchen alte Positionen neu zu besetzen. Noch spricht niemand von den Nazis, aber das Fundament, auf dem sie gedeihen, wird bereits bereitet.

_Eine Atmosphäre der Bedrohung_

„Gespenster in Breslau“ ist zweifellos ein spannender Kriminalroman. Dennoch ist der Plot vergleichsweise simpel, seine Auflösung womöglich platt. Wesentlich eindrucksvoller ist dagegen die Stimmung, die über dem Geschehen liegt. Über Breslau schweben in der Tat Gespenster; es sind nicht nur die für Mock ungelösten Konflikte der Vergangenheit, von denen die Gegenwart geprägt ist. Die allgemeine Unsicherheit wird von Krajewski selten direkt angesprochen. Viel lieber und effektvoller verdeutlicht er sie durch das fast verzweifelt zu nennende Bemühen der Breslauer, sich zu amüsieren.

In dieser Stadt herrscht kein Frieden, sondern eher eine Ruhe vor dem Sturm. Die Bürger versuchen an die Vorkriegszeit anzuknüpfen und den Krieg und seine Folgen zu verdrängen. Obwohl es hoch hergeht in den Bars und Boudoirs, wirken die Ausschweifungen wie Fluchten. Man genießt nicht, sondern frisst, säuft, kokst und hurt bis zum Erbrechen, bis zur Bewusstlosigkeit, als ob es kein Morgen gäbe oder als ob man schon die nationalsozialistische Zukunft ahnt, die Breslau 1945 in Schutt und Asche sinken und als polnisches Wroclaw wiedererstehen lässt. Dekadenz ist nicht tadelnswert, sondern beinahe das Gebot der Stunde.

In dieser Situation wirken auch die Umtriebe einer obskuren Geheimgesellschaft durchaus realistisch, zumal namentlich erwähnte Personen wie Ludwig Klages, Lanz von Liebenfels oder Walter Friedrich Otto tatsächlich existierten. Natürlich übertreibt Krajewski mit dem Wissen des Nachgeborenen. Der Prägnanz seiner Darstellung tut das jedoch keinen Abbruch.

_Ein Mann wie Mock_

Eberhard Mock markiert wie schon erwähnt das eigentliche Zentrum dieses Romans. Er ist als Person faszinierend, trägt aber durchaus unsympathische Züge. Die einzige Konstante seines Wesens scheint seine Unberechenbarkeit zu sein. Er ist in dem einen Moment sentimental und mitfühlend, um im nächsten seiner Aggressivität freien Lauf zu lassen, die er selbst nicht begreift. Mocks ‚Verhältnis‘ zu Frauen ist – gelinge ausgedrückt – gestört. Eine seiner Kriegsneurosen ist die womöglich eingebildete Erinnerung an eine rothaarige Krankenschwester, in die Mock seine unerfüllten Sehnsüchte projiziert. In Gestalt einer jugendlichen Prostituierten nimmt sie Gestalt an und sieht sich Mocks innerer Zerrissenheit ausgesetzt, der hilflos zwischen Illusion und Realität taumelt.

Wohin gehört dieser Eberhard Mock eigentlich? Auch ohne Krieg wüsste er es wohl nicht. Er ist ein Mann aus dem Volk, Sohn eines Schusters, der aber in den Genuss einer höheren Schulbildung kam. Seine klassische Bildung kann und will Mock nicht verleugnen. Sie hätte ihn womöglich in eine akademische Laufbahn geführt. Stattdessen und ohne sich die Gründe vor Augen führen zu können, ist Mock Polizist geworden. Als solcher ist er gut, aber gleichzeitig korrupt: ein gelangweilter Mann mit selbstzerstörerischen Zügen, der sich im Beruf, aber auch bei seiner Familie und seinen Freunden vorsätzlich in Schwierigkeiten bringt und das heimlich zu genießen scheint.

Als Leser versteht man gut, wieso Krajewski von Mock nicht lassen mag, obwohl er ihn ursprünglich nach vier Romanen ‚entlassen‘ wollte. Er passt in die unruhigen Zeiten, in die ihn der Autor wirft. Mocks Unberechenbarkeit wird unterstrichen durch den Verzicht auf eine chronologische Abfolge seiner Fälle: Während „Tod in Breslau“, der erste Teil der Serie, 1933 spielt, springt [„Der Kalenderblattmörder“ 5001 zurück ins Jahr 1927. „Gespenster in Breslau“ geht weitere acht Jahre zurück, während wir in „Festung Breslau“ den Mock von 1945 erleben. Mit „Pest in Breslau“ geht es zurück nach 1923. Die nüchterne und das Schwelgen in historischem Lokalkolorit meidende Form der Darstellung, die Krajewski – der sich lieber als Handwerker denn als Schriftsteller bezeichnet – bevorzugt, macht auch auf diese Romane neugierig.

Die Eberhard-Mock-Serie:

(1999) Tod in Breslau (btb Verlag Nr. 72831)
(2003) [Der Kalenderblattmörder 5001 (dtv Nr. 21092)
(2005) Gespenster in Breslau (dtv Nr. 21150)
(2006) Festung Breslau (dtv premium Nr. 24644)
(2007) Pest in Breslau (dtv premium Nr. 24727)

_Impressum_

Originaltitel: Widma w mieście Breslau (Warschau : Wydawnictwo W. A. B. 2005)
Übersetzung: Paulina Schulz
Deutsche Erstausgabe: August 2007 (Deutscher Taschenbuch Verlag/Dtv premium 24608)
317 Seiten
EUR 14,50
ISBN-13: 978-3-423-24608-8

Als Taschenbuch: Juli 2009 (Deutscher Taschenbuch Verlag Nr. 21150)
317 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-423-21150-5
http://www.dtv.de

Francis, H. G. / Arthur, Robert – Die drei ??? und der grüne Geist (Folge 8)

Mittlerweile sind über 120 Hörspiele der drei sympathischen Junior Detektive erschienen und die Technik geht auch an ihnen nicht vorüber, will heißen, die Storys gleichen sich dem aktuellen Zeitgeist immer wieder geringfügig an. Somit sind die Geschichten der „Drei Fragezeichen“ alles andere als statisch und immer wieder hörenswert. Auch die älteren Folgen besitzen einen Charme, der nicht nur Kinder und Jugendliche anspricht, sondern auch durchaus für Erwachsene geeignet ist. Quid ad est demonstrandum. Hier geht es um einen wahren Klassiker von 1979, also im besten Sinne der ersten Stunde: Fall Nummer acht.

_Zur Story_

Peter und Bob werden Ohrenzeugen eines grausam-kläglichen Schreis, der aus einem alten Haus dringt, das abgerissen werden soll. Scheinbar zufällig befinden sich auch einige Männer in der Nähe, die den Schrei ebenfalls vernehmen und beschließen, das Haus zu betreten, nachdem der Schrei ein zweites Mal ertönt. Geistesgegenwärtig schneidet Bob das Ganze auf Tonband mit und die beiden Jungs betreten zusammen mit den Männern das gespenstische Haus, wo sich ein grüner, schemenhafter Geist an der Wand und dann auf der Treppe zeigt.

Der Geist, von dem einer der Erwachsenen später zu berichten weiß, dass dieser derjenige vom alten Matthias Green sein muss, welcher sich vor über 50 Jahren auf der betreffenden Treppe das Genick brach, verschwindet genauso plötzlich, wie er erschien. Am nächsten Morgen sind die Zeitungen Rocky Beachs voll davon – doch Justus glaubt nicht an Geister und hört sich Bobs Tonbandaufnahme immer und immer wieder an, bis Hauptkommissar Reynolds die Jungs aufsucht und darum bittet, ihn zu Greens Haus zu begleiten, schließlich sind Peter und Bob live dabei gewesen. Justus will den „Tatort“ auch gern unter die Lupe nehmen.

Am Haus treffen sie einen entfernten Verwandten des alten Green, Harold Carlson, der sich als Neffe, Rechtsanwalt und gesetzliche Vertretung der rechtmäßigen Erbin des Hauses zu erkennen gibt. Gemeinsam macht man sich daran, im Haus nach Spuren zu suchen, und nachdem Bob und Peter Kommissar Reynolds gezeigt haben, wo die Erscheinung im Mauerwerk verschwand, ordnet dieser an, dass die Wand aufgestemmt werden soll. Als Justus in eine nun freigelegte Geheimkammer kriecht, entdeckt er einen alten Sarg, in dem die sterblichen Überreste von Greens chinesischer Frau und eine Perlenkette liegen.

Dies seien offensichtlich die lange verschollenen und legendären „Geisterperlen“, die der alte Green angeblich aus China gestohlen haben soll und weswegen er das asiatische Land fluchtartig verlassen musste. Diese Perlen sind unscheinbar, jedoch wohl extrem wertvoll. Carlson nimmt sie an sich, um sie nach San Francisco zu seiner Tante Lydia zu bringen, der rechtmäßigen Erbin. Wenige Tage später klingelt das Telefon in der Zentrale der drei ???. Es ist Miss Lydia Green – offensichtlich ist der Grüne Geist nun auf ihrem Anwesen in San Francisco aufgetaucht.

_Eindrücke_

Selbst heute versprüht diese Folge das typische ???-Flair, das uns als Jugendliche so faszinierte und nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat. Zugegeben: Die Sound-Effekte und Geräusche sind bestimmt allesamt heute besser möglich, aber nichtsdestoweniger gut gemacht und stimmig. Dass diese bei sämtlichen |EUROPA|-Produktionen jener Zeit verwurstet wurden, ist zu vernachlässigen, denn man hat sich wirklich die Mühe gemacht, eine intelligente Geschichte zu vertonen. Das spiegelt sich in der Qualität der Sprecher genauso wider wie in der spannenden, durchdachten Machart der Folge.

An keinem Punkt findet man die Angelegenheit lächerlich oder gar kitschig. Dieser Klassiker ist von der dichten Atmosphäre her herausragend, aber das ist nicht das einzig Bemerkenswerte am „Grünen Geist“: Was diese Folge von vielen anderen ???-Folgen objektiv unterscheidet, ist die Tatsache, dass hier das Triumvirat Justus/Peter/Bob ausnahmsweise mal voneinander getrennt wird. Somit ist dies keine sonst so oft präsentierte Justus-Löst-Fast-Alles-Alleine-Show, sondern die Charaktere der beiden Mitstreiter werden auch endlich noch weiter vertieft und zeigen, dass auch Peter und Bob nicht auf den Kopf gefallen sind.

_Fazit_

Mit diesem Vertreter der alten Folgen aus den Anfangstagen fällt auch Serien-Neulingen der Einstieg sehr leicht. Der „Grüne Geist“ weist vergleichsweise wenig Fehler auf und ist atmosphärisch sehr dicht, obwohl er natürlich kräftig unter den – aufgrund der begrenzten Kapazität von LP/MC damals notwendigen – Kürzungen gegenüber der Buchvorlage zu leiden hat. Dennoch gehört er zu Recht seit fast 30 Jahren zu den beliebtesten Vertonungen der „drei ???“-Reihe.

_Die Hörspieldaten auf einen Blick:_

Titel: „Die Drei Fragezeichen und der Grüne Geist“ – Folge 8
Ersterscheinung: Buch 1965, Hörspiel: 1979
EUROPA – BMG Ariola Miller
Lauflänge: ca. 50 Minuten
Regie: Heikedine Körting
Drehbuch: H. G. Francis
Musik: Zeiberts, Morgenstern

Die Figuren und ihre Sprecher:

Erzähler (alias Alfred Hitchcock): Peter Pasetti
Erster Detektiv – Justus Jonas: Oliver Rohrbeck
Zweiter Detektiv – Peter Shaw: Jens Wawrczeck
Recherchen & Archiv – Bob Andrews: Andreas Fröhlich
Hauptkommissar Reynolds: Horst Frank
Chang: Thorsten Sense
Patrick: Wolfgang Kubach
Miss Lydia Green: Marianne Kehlau
Harold Carlson: Alexander Stubbe
Mr. Jensen: Rolf Mamero
Mr. Won: Victor Bernard
Mann: Gernot Endemann (nicht aufgelistet)

http://www.natuerlichvoneuropa.de
http://www.dreifragezeichen.de
http://www.rocky-beach.com

Max Brooks – World War Z. Operation Zombie

Das geschieht:

Kaum ein Jahrzehnt ist vergangen, seit die menschliche Zivilisation beinahe unterging. Kein Atomkrieg, keine terroristischen Umtriebe und keine Ebola-Pandemie haben ihr den Untergang gebracht, sondern Zombies – verstorbene und wiederauferstandene Männer und Frauen, die nicht nur hungrig Jagd auf ihre früheren Mitmenschen machten, sondern diese durch ihren Biss selbst in lebende Tote verwandelten. Erst nach Jahren eines verzweifelten Kampfes konnten die Zombies ausgerottet werden. Die Zahl der Opfer geht in die Milliarden.

Der Autor dieses Buches gehörte einer Kommission an, die für die Vereinten Nationen die Geschichte des „Zombie-Weltkriegs“ rekonstruierte. Er konnte die Brennpunkte der Ereignisse bereisen und mit denen sprechen, die dort mit den Zombies in Berührung kamen (und dies überlebten). Die gesammelten Interviewtexte sind wichtige Steinchen in einem Mosaik, das bisher nie in seiner Gesamtheit dargestellt werden konnte. Sie wurden chronologisch geordnet und spielen an vielen Orten der Erde.

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Bendikowski, Tillmann – Tag, an dem Deutschland entstand; Der

Im September 2009 jährt sich die Varusschlacht zum zweitausendsten Mal. Schirmherrin wird Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sein. In Kalkriese, wo Archäologen und Geschichtsforscher vermuten, dass es sich um den Ort der legendären Schlacht zwischen drei römischen Legionen unter dem Statthalter Varus und aufständischen germanischen Stämmen unter der Führung Arminius des Cheruskers handeln soll, laufen schon die ersten Vorbereitungen. In der Nähe von Detmold hingegen steht seit 1875 das berühmte, gut 53 Meter hohe Hermannsdenkmal, ein heroisches Standbild, das uns daran erinnern soll, dass Arminius alias Hermann uns von dem römischen Joch befreit hat und ein strahlender, selbstloser Held deutscher Geschichte sein soll.

Doch weder wissen wir mit absoluter Gewissheit die genaue Lokalität der Schlacht, auch wenn in Kalkriese Unmengen von Münzen, Waffen, Rüstungsteile und selbst Knochen mit eindeutigen Kampfspuren gefunden worden sind, noch können wir den genauen Ablauf der Schlacht rekonstruieren. Im Laufe der Jahrhunderte verblasste die Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald und die Quellen des Tacitus und des römischen Konsuls Cassius Dio und damit auch der Mythos von der Befreiung und Einigkeit deutscher Gebiete.

Viele Jahre später, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, wurde aus Arminius dem Cherusker, Hermann, der Befreier Germaniens. Um Arminius ranken sich viele Legenden und Mythen, und gerade zum Varusjahr werden uns noch mehr Geschichten um seine Person und die legendäre Schlacht erreichen.

Dr. Tillmann Bendikowski, Historiker und Journalist, hat sich mit der Konfrontation zwischen dem Statthalter Varus und dem cheruskischen Fürsten Arminius befasst und wirft auch einen genauen Blick auf die Entwicklung des Mythos und der Person des späteren Hermann, der als Sinnbild für die Befreiung und Entstehung Germaniens immer noch über dem Teutoburger Wald sein Schwert in Pose gen Himmel richtet.

_Inhalt_

Im September des Jahres 9 n. Chr. soll es fürchterlich geregnet haben. Wir können das nicht mehr nachweisen, vielleicht handelt es sich nur um eine Ausrede der Berichterstatter, um die Katastrophe angesichts des Verlustes von drei römischen Legionen mit über 20000 Soldaten des Imperiums im fernen Germanien zu erklären. Es fand keine Feldschlacht statt, sondern die römischen Legionen wurden auf dem Weg in ihr Winterlager durch Hinterlist und Verrat in einem zermürbenden Guerillakrieg, der drei Tage anhielt, vernichtend geschlagen.

Was vor 2000 Jahren wirklich geschah, darüber geben antike Quellen nur wenig Auskunft. Das schlechte Wetter dürfte für eine Berufsarmee wie die der Römer vielleicht hinderlich, aber nicht verantwortlich für die Niederlage gewesen sein. Ausschlaggebend war die Person des Cheruskerfürsten Arminius, der lange Jahre in Diensten Roms stand und durch seine militärische Ausbildung der Taktik und Strategie der römischen Militärmacht entgegenwirken konnte. Er kannte alle Schwachstellen der Legionen, und hinzu kamen noch seine geografischen Kenntnisse des zu durchquerenden Gebietes.

Der Sieg des Arminius hatte zur Folge, dass die Römer ihre Eroberungspolitik für Germanien aufgaben, aber auch der Fürst der Cherusker hatte wenig Glück nach seinem anfänglichen Erfolg. Zwar konnte er seine Stellung innerhalb der Fürstengemeinschaft ausbauen, doch auch ihn kosteten die anschließenden Fehden und kleineren Auseinandersetzungen das Leben.

Dem historischen Arminius wurde eine Karriere zuteil, von der viele römische Offiziere nur träumen konnten. Politisch und militärisch wurde er von Varus hoch geschätzt, der als Statthalter Germanien befrieden und reorganisieren sollte. Die germanischen Stämme waren alles andere als einig. Stammesinterne und übergreifende Konflikte waren an der Tagesordnung, und längst waren sich die einzelnen Fürsten nicht einig darüber, wie sie den Römern begegnen sollten. Arminius wusste sehr wohl, welche Strategie ihn persönlich zum Erfolg verhelfen sollte; für jeden Fall sicherte er sich ab und spielte auf beiden Seiten gleichwohl seine Trümpfe aus. Ein nicht ungefährliches Pokerspiel, aber zeitweise, wie man ja weiß, recht erfolgreich.

Germaniens unmittelbarer Nachbar war Gallien und damit ein angrenzendes Sicherheitsrisiko. Die ganze Provinz, die von Julius Cäsar erobert wurde, sollte von den Barbaren geschützt werden, keine andere Aufgabe hatten die Germanen aus römischer Sicht. Für das römische Imperium waren diese Menschen ohne jede Kultur, ohne etwaige Landwirtschaft oder Bodenschätze, und die tiefen, dichten Wälder machten das Land noch unheimlicher. Es gab nichts, was die Römer in Verbindung mit Zivilisation und kulturellem Erbe sahen.

Octavian – Kaiser Augustus – berief Publius Quinctilius Varus zum neuen Statthalter der Provinz Germanien. Mit seinen 55 Jahren war Varus ein erfahrener Politiker und Offizier, der schon in Syrien für „Ruhe“ gesorgt hatte, allerdings mit militärischer Härte und Rücksichtslosigkeit, aber ebenso konnte er durchaus als feinfühliger Diplomat agieren.

Unmittelbar nach der Schlacht war der Ruf des verstorbenen Varus zweifellos in Takt. Erst später wurde sein Ruf zweifelhaft und gezielt diffamiert; angesichts politischer Streitigkeiten wurde ihm posthum persönliches Versagen vorgeworfen. Theodor Mommsen nannte Varus einen Mann von stumpfem Geist und trägem Körper, ohne Begabung und militärische Erfahrung. Fakt ist jedoch, dass Kaiser Augustus die Sicherung der wichtigsten Rheingrenze keinem Nobody anvertraut hätte, sondern jemandem, der schon Erfolge vorweisen konnte.

Nach der Schlacht muss das Gelände kilometerweit von Leichen und Verwundeten bedeckt gewesene sein. Es ist davon auszugehen, dass sich Varus zusammen mit einigen seiner Offiziere ins Schwert stürzte. Gefangene wurden nur von den Germanen gemacht, um sie ihren Göttern zu opfern. Mit einem Freitod konnte man wenigstens noch seine soldatische Ehre retten. Der Kopf des Varus wurde nach Rom geschickt, wo ihm noch eine Bestattung in allen Ehren zuteil wurde.

Das Imperium hatte drei Legionen verloren, ein neuntel seiner militärischen Größe. Augustus sandte seinen späteren Nachfolger Germanicus an die Ufer des Rheins, um die Grenzen zu sichern und gegebenenfalls die gefallenen Kameraden zu beerdigen, was dann auch genauso geschah. Doch auch Tiberius gelang es nicht, das Grenzgebiet zu Gallien zu sichern, zu hoch waren die Verluste, zu hoch das Risiko, sodass die Truppe den Feldzug letztlich nicht mehr befürwortete.

Rom behandelte das Drama um die drei verlorenen Legionen verständlicherweise sehr verschwiegen. Von germanischer Seite war nicht zu befürchten, dass die Niederlage schriftlich dokumentiert wurde, und der römische Senat hatte wenig Interesse am Gegenteil. So fiel dieses Ereignis in einen historischen Winterschlaf.

Erst Jahrhunderte später sollte der deutsche Humanist Ulrich von Hutten bei einem Studienaufenthalt in Rom über die ersten Bücher und antiken Schriften des Tacitus stolpern. Dieser stellte Arminius als den Befreier Germaniens dar, der das römische Reich durch seinen Sieg in den Grundfesten erschütterte. Für von Hutten war das ein willkommenes Geschenk, und er publizierte die Botschaft des Tacitus noch ein wenig heroischer und in einem noch strahlenderen Lichte.

Die Befreiungstat des fürstlichen Cheruskers passte sehr gut ins Gesamtbild Deutschland, und so wurde auch der Name Hermann geboren. Zwischen 1750 und 1850 entstanden mehr als 200 Schauspiele, Opern und Sagen zu diesem Themenkreis. Das Bild der militärischen Macht Roms wurde negativiert, und eine Idealisierung Arminius/Hermanns angestrebt. Die Begeisterung sollte mit dem nationalen Denkmal in Detmold ihren Höhepunkt erreichen. 1875 wurde das Hermannsdenkmal eingeweiht und präsentierte ein willkommenes Symbol für die Zuversicht und das Selbstbewusstsein eines starken Deutschen Reiches.

In den kommenden Jahren wurde es auch zum Symbol für Stärke und Kampfkraft auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges und später auch ein wichtiger Markstein der Nationalsozialisten.

_Kritik_

Dr. Tillmann Bendikowski hat mit „Der Tag, an dem Deutschland entstand“ ein erzählerisch dichtes und verständliches Sachbuch geschrieben. Sieht man rückblickend auf die Varusschlacht, könnte der Eindruck entstehen, dass Arminius den Grundstein für ein Deutschland als geeinigten Staatenverbund gelegt hat. Doch war dieses Ereignis nur ein kleiner Anstoß, der dann den Stein in den nächsten Jahrhunderten ins Rollen brachte, um im Verlauf ganzer Epochengenerationen einen gesamtdeutschen Staat daraus zu schmieden.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste und erzählerisch stärkere Part die Konfrontation vor zwei Jahrtausenden zwischen dem Statthalter Varus und seinem Gegenspieler Arminius präsentiert. Der Verlauf der Schlacht wird vom Autor spannend und anhand gut recherchierter Quellen fabelhaft lesbar wiedergegeben. Der Mythos von Arminius als volksnahem Helden wird dabei analytisch und detailreich infrage gestellt und anhand von Quellennachweisen ausgeräumt, die sich im Anhang nachlesen lassen.

Das Buch versteht sich nicht als Roman, sondern als Sachbuch, das ohne fiktive Erzählungen auskommt. Wissenschaftlich fundiert werden hier Irrtümer, die über Jahrhunderte hinweg selbstbewusst gepflegt wurden, aufgearbeitet und regelrecht seziert. Dass ein relativ junges Deutschland Helden, Ideale und Idole benötigte, um sich angesichts verlorener Kriege das nötige Selbstbewusstsein einzureden, ist nachvollziehbar, aber pathetisch und hat die Realität entsprechend verzerrt. Doch Propaganda war schon immer ein wichtiger Ansatz für jegliches Politikum im Staate. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde Varus als Feindbild mit dem Franzosen, einem unserer „Erbfeinde“, verglichen, und die Rolle des Hermanns spielten in diesem Stück natürlich die deutschen Truppenverbände. Ein Vergleich, der sichtlich hinkt, seinerzeit aber als Bild recht gern aufgegriffen wurde.

Unserem historischen Gedächtnis mag manchmal eine Amnesie ganz gut tun, doch ist es wichtig, dass wir uns unserer Rolle bewusst bleiben und historische Fakten nach Belieben und politischer Windrichtung zu verdrehen versuchen. Nun jährt sich nächstes Jahr die Schlacht des Varus, und an mindestens drei Standorten wird es Kundgebungen, Feiern und Informationsveranstaltungen geben, doch was daraus gemacht wird, wird sich zeigen. Wird Hermann der Cherusker, dessen Denkmal über dem Teutoburger Wald in Detmold thront, wieder zum Wahrzeichen deutschen Heldenmutes mutieren? Oder wird man den antiken Quellen gerecht und bleibt so bei der historischen Wahrheit? Brauchen wir wieder einen „Volkshelden“, zu dem wir aufschauen und mit dem wir uns identifizieren können?

_Fazit_

Die Frage, wie wir im Varusjahr dem Jubiläum begegnen werden, kann auch das Buch „Der Tag, an dem Deutschland entstand“ nicht beantworten, dafür aber viele andere wichtige Fragen; und damit ist das Buch eine wertvolle Bereicherung für die Literatur, die sich jetzt zeitgleich mit der Varusschlacht befasst und noch befassen will. Dr. Tilmann Bendikowski hat mit fundiertem Wissen ein Werk verfasst, das allen empfehlen kann, die in diesem Jahr vielleicht vor dem Denkmal bei Detmold stehen werden oder sich die Fundstücke der Legionäre in Kalkriese anschauen wollen. Ein Stück Geschichte wird erzählt, das nicht übertreibt oder ins Phantastische abdriftet, sondern aufräumt mit einer Heldengestalt, die letztlich ein ganz normaler, auch nur nach Macht strebender Mensch seiner Zeit gewesen ist.

_Der Autor_

Dr. Tillmann Bendikowski, Historiker und Journalist, ist Leiter der Medienagentur Geschichte in Hamburg. Er verfasste Beiträge für Printmedien und Hörfunk, betreut Forschungsprojekte und übernimmt die Realisierung historischer Ausstellungen.

|271 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und 56 Abbildungen
ISBN-13: 978-3-570-01097-6|
http://www.cbertelsmann.de
http://www.hermann2009.de
http://www.arminiusforschung.de
http://www.arminius-varusschlacht.de
http://www.varusschlacht-am-harz.de
http://www.kalkriese-varusschlacht.de

Katie MacAlister – Kein Vampir für eine Nacht

In Katie MacAlisters „Blind Date mit einem Vampir“,  dem Auftaktroman ihrer Reihe um die „Dunklen“, durfte die geneigte Leserin verfolgen, wie die Hauptfigur Joy in Tschechien zwar nicht den Vampir, aber doch den Mann fürs Leben fand. In der Fortsetzung „Kein Vampir für eine Nacht“ kann man nun zwar erfahren, wie es mit Joy und Raphael weitergegangen ist, aber nur in einer Nebenhandlung. Tatsächlich hat sich MacAlister für den zweiten Band eine neue Protagonistin ausgedacht, die es auf den folgenden 400 Seiten erfolgreich zu verkuppeln gilt.

Allegra ist Beschwörerin, das heißt, sie ruft Geister herbei. Inwiefern so etwas die Miete, den Supermarkteinkauf und anfallende Rechnungen bezahlen soll, erklärt MacAlister zwar nicht. Trotzdem hat Allegra eine Festanstellung, und das, obwohl es ihr in ihrer gesamten Karriere noch niemals gelungen ist, auch tatsächlich einen Geist herbeizurufen. Ihr Chef ist davon kaum begeistert, darum hat er sie nach London geschickt, wo sie nun endlich mal etwas Ordentliches beschwören und damit den Beweis ihrer Fähigkeiten erbringen soll. Tatsächlich ist London ihrem geheimen Beschwörer-Gen offensichtlich sehr zuträglich, denn am Schluss des Romans hat sie sieben Geister beschworen, die ständig um sie herumschwirren (wenn sie sich nicht gerade im Fernsehen „Buffy“ ansehen).

Nebenbei soll sie bei ihrem London-Aufenthalt auch unbedingt einer Lesung von J. C. Dante beiwohnen und ihrer Freundin ein signiertes Buch mitbringen. Allie selbst hält von Dantes Romanen überhaupt nichts und wirft sich eher widerwillig in das weibliche Getümmel, das den Starautor paranormaler Romanzen umgibt. Allerdings lernt sie dort Joy und Roxy kennen, die sofort beschließen, dass Allie Dantes Auserwählte sein muss. Und dass, obwohl sie Dante unglaublich arrogant und unsympathisch findet! Es kommt natürlich alles, wie es kommen muss: Sie fällt mit Christian (also Dante) in die Kissen, sie gestehen sich ihre ewige Liebe und dazwischen müssen noch ein böses magisches Triumvirat besiegt und ein Dämon zurück in die Hölle geschickt werden – aber das ist eher lästiges Beiwerk. Stattdessen konzentriert sich MacAlister auf Bettgeschichten, wahnsinnig süßliche Liebesgeständnisse und unglaublich nervtötende Dialoge.

Wer „Blind Date mit einem Vampir“ kennt, kennt auch „Kein Vampir für eine Nacht“, denn die Fortsetzung ist „more of the same“, wie der Engländer so schön sagt. Wieder gibt es eine Ich-Erzählerin und wieder ist sie leicht fehlerhaft – diesmal sind es ein vernarbtes Bein und verschiedenfarbige Augen. Ganz klassisch kann sie den Mann ihrer Träume zunächst nicht ausstehen, nur um schließlich doch noch seinem Charme zu erliegen und als ultimativen Liebesbeweis ihr Leben für den Liebsten zu riskieren. Selbiger war zwar anfangs auch nicht von seiner Auserwählten angetan, doch ist er selbstverständlich gegen sein Schicksal machtlos: Allie ist dazu auserkoren, Christians Seele zu retten, und das wird sie auch tun, da kann der arrogante Macho sich noch so sehr wehren. Das bedient natürlich das gleiche Klischee wie der Erstling, nämlich das Männer zwar gutaussehend und sexy, aber geistig auf dem Stand von Neandertalern verblieben sind und deshalb nicht wissen, was gut für sie ist. Darum müssen sie gegen ihren Willen von einer gutmeinenden Frau verführt und in den Hafen der Ehe verschifft werden.

Viel Handlung ist bei „Kein Vampir für eine Nacht“ nicht zu erwarten, und was MacAlister an Handlung bietet, ist reichlich abstrus und teilweise widersprüchlich. Das macht der Autorin offensichtlich nichts aus, man hat nie den Eindruck, dass sie ihren Roman oder ihre Charaktere sonderlich ernst nehmen würde. Ihr Personal ist dermaßen überzeichnet und viele Szenen sind so slapstickartig aufgebaut, dass einem als Leser schnell schwindelig wird. Das alles soll natürlich kurzweilig und witzig sein, doch wirkt es meistens nur übertrieben und spleenig.

Offensichtlich ist MacAlister der Meinung, Vampire seien das Ultimum an Romantik. Deshalb nennt sie sie auch nicht „Vampire“, sondern „Dunkle“ – gerade so, als wäre Vampir politisch unkorrekt und diskriminierend. Dunkle, das sind bei MacAlister unsterbliche, Blut trinkende Männer, die verzweifelt auf der Suche nach ihrer Auserwählten sind, denn nur sie kann die Seele des Dunklen retten. Ohne Frau ist er verzweifelt, deprimiert, selbstmordgefährdet – mit Frau ist er vollkommen, glücklich und endlich ein ganzer Mann. So sagt Allie an einer Stelle über Christian: „Christian war im Grunde seines Herzens zutiefst verzweifelt und sehnte sich nach Liebe, denn sie war der Schlüssel zur Rettung seiner Seele.“ Hach, wie schön! Ist der Dunkle erst einmal romantisch errettet (d. h. aus seinem Neandertalerstadium befreit), mutiert er zum zuvorkommenden Liebhaber und potenten Sexgott; schließlich ist es fortan seine Lebensaufgabe, seine Geliebte wunschlos glücklich zu machen. Na, das sind doch Aussichten!

Schon diese völlig an den Haaren herbeigezogene und gänzlich auf den Romance-Plot ausgelegte Vampirmythologie ist an Kitsch kaum zu überbieten. Leider sind MacAlisters Charaktere auch nicht viel besser. Allie ist die typische Heroine, die nicht ganz perfekt ist und anfangs an sich zweifelt (es ist aber auch blöd, ein Beschwörer zu sein, wenn man offensichtlich gar nicht beschwören kann). Schlussendlich findet sie aber im Laufe der Handlung sich selbst und damit auch den Mann ihrer Träume. Und auch wenn sie anfangs mit Christian nicht viel anfangen konnte, so sieht sie doch irgendwann die Vorzüge eines Vampirs und erklärt ganz hingerissen: „Von einem Dunklen geliebt zu werden, ist alles, was sich eine Frau nur wünschen kann.“

Dumm nur, dass auch die Liebe völlig zerredet wird. MacAlister scheint unfähig, dem Leser Dinge zu zeigen – durch Taten oder Andeutungen. Schließlich hat sie einen Liebesroman geschrieben, und da muss alles deutlich und auch für den naivsten Leser zu durchschauen sein. Deshalb wird geredet, ständig und unaufhörlich. Anstatt zu zeigen, wie die Charaktere sich lieben, lässt MacAlister sie ihre Liebe gestehen – immer und immer wieder. Das geht so weit, dass selbst die Sexszenen so von Dialogen durchzogen sind, dass die Erotik vollkommen verloren geht. Wenn Allie und Christian das erste Mal Sex haben, hat man eher den Eindruck, die beiden würden eine gepflegte Unterhaltung führen (bei der sie zufällig nackt sind und Körperflüssigkeiten austauschen). Wie abtörnend.

Auch die Nebencharaktere sind nicht besser. Da hochschwanger, erscheint Joy noch mehr wie eine unförmige Planschkuh. Und deren beste Freundin Roxy, die schon in „Blind Date mit einem Vampir“ nie den Rand halten konnte, ist nun tatsächlich noch nerviger – unglaublich, aber wahr. Ständig plappert sie unzusammenhängendes Zeug, macht peinliche Bemerkungen und unterbricht Dialoge gerade dann, wenn doch einmal so etwas wie Handlung transportiert werden soll. Ohne Frage ist Roxy die Gülcan der Supernatural Fantasy. Leider fällt ihr nie ein Backstein auf den Kopf. Sie wird auch nicht vom Auto überfahren oder von einem Dämon gefressen. Es besteht also die berechtigte Gefahr, dass sie auch in zukünftigen Fortsetzungen ihr sinnloses Gelaber verbreiten wird.

„Kein Vampir für eine Nacht“ ist uninspirierte Schnulzenkost, ein Roman vom Fließband, der sich nur minimal vom Vorgänger „Blind Date mit einem Vampir“ unterscheidet. Wer Kitsch mag, ist hier vermutlich richtig. Wer eine gute Liebesgeschichte will, sollte sich eher ein anderes Buch suchen.

Man muss Egmont LYX zugute halten, dass sie die Romanreihe wunderbar aufgemacht auf den Markt gebracht haben. Die Covergestaltung und das Artwork sind wirklich peppig und liebevoll. Nur schade, dass der Inhalt nicht hält, was die Verpackung verspricht.

Die Dunklen

1. „A Girl’s Guide to Vampires“ („Blind Date mit einem Vampir“)
2. „Sex and the Single Vampire“ („Kein Vampir für eine Nacht“)
3. „Sex Lies and Vampires“ („Küsst du noch oder beißt du schon?“)
4. „Even Vampires Get the Blues“ („Vampir im Schottenrock“)
5. „The Last of the Red-Hot Vampires“ („Vampire sind zum Küssen da“)

Originaltitel: Sex and the Single Vampire
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
398 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8139-7
www.egmont-lyx.de
www.katiemacalister.com

King, Stephen – Nachtschicht 2 (Hörbuch)

_Inhalt:_

Das zweite Hörbuch mit Kurzgeschichten aus der Sammlung „Nachtschicht“ wird gelesen von Uli Krohm und enthält folgende Storys:

|Spätschicht|

Im Keller einer alten Spinnerei hausen monströse Ratten und machen für eine Handvoll Männer die außerplanmäßige Spätschicht zum Alptraum.

|Der Mann, der Blumen liebt|

Ein junger, gutaussehender Mann ist auf dem Weg zu seiner Verlobten und wird von allen Menschen, denen er begegnet, bewundert. Und doch hütet er ein dunkles Geheimnis …

|Der Wäschemangler|

In einer Wäscherei wird eine Frau bei einem Arbeitsunfall auf schreckliche Art und Weise getötet. Doch war es tatsächlich ein Unglück, oder haust in dem alten Wäschemangler ein böser Geist?

|Schlachtfeld|

Ein Auftragsmörder erhält ein Paket mit Spielzeugsoldaten, die nicht so leblos sind, wie es den Anschein hat. Ein Rachefeldzug der besonderen Art nimmt seinen Lauf.

|Quitters INC.|

Ein Mann versucht das Rauchen aufzugeben und wendet sich an die Firma Quitters INC. Doch diese hat reichlich fragwürdige Methoden, um ihren Kunden zu helfen. Heiligt der Zweck wirklich die Mittel?

|Ich weiß, was du brauchst|

Nachdem Elisabeths Freund bei einem mysteriösen Autounfall stirbt, tritt plötzlich Ed in ihr Leben, den sie vor ein paar Monaten aus den Augen verlor. Der junge Mann scheint ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, und Elisabeth verliebt sich in ihn. Doch irgendetwas scheint mit Ed nicht zu stimmen. Ein dunkles Geheimnis umgibt den jungen Mann …

_Meine Meinung:_

Mit dieser Hörbuchausgabe präsentiert |Lübbe Audio| eine gelungene Auswahl origineller Kurzgeschichten aus dem Buch „Nachtschicht“ als günstige Alternative zum Selberlesen. Der Großteil der Geschichten wurde bereits verfilmt und gehört mit Sicherheit zu den bekanntesten Werken des Autors. Wie so oft spielt Stephen King gekonnt mit den Ängsten seiner Leser und Hörer, indem er Alltagssituationen zum Auslöser des Grauens macht und normale Menschen zu den Leidtragenden.

Während „Spätschicht“ und „Der Wäschemangler“ einen greifbaren, plakativen Schrecken bereithalten, bleibt der Horror in den anderen Storys stets subtil und hintergründig. „Schlachtfeld“ besitzt dabei noch stark ausgeprägte satirische Züge und wartet mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors auf.

Gelesen und interpretiert werden die Erzählungen von Uli Krohm, einem bekannten deutschen Schauspieler und Synchronsprecher, der mit seiner markanten Stimme einen erfrischenden Gegenpol zu Joachim Kerzel darstellt, der für die meisten Stephen-King-Hörbücher von |Lübbe Audio| engagiert wurde. Krohm ist ein begnadeter Sprecher, der jede Geschichte zu einem kleinen Erlebnis macht. Modulation, Aussprache und Sprechtempo harmonieren perfekt miteinander, ohne dass Krohm überzogen und unglaubwürdig klänge.

In der stabilen Klappbox aus Pappe findet der Hörer zudem umfassende Informationen und Porträtfotos von Sprecher und Autor.

_Fazit:_ Eine erstklassige Auswahl von Kurzgeschichten aus Stephen Kings Storysammlung „Nachtschicht“. Gelesen von Uli Krohm, steht der zweite Teil der Hörbuchumsetzung dem ersten in nichts nach – ein Muss für alle Fans von Stephen King.

|247 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Amerikanischen von Harro Christensen, Ingrid Herrmann, Bernd Seligmann u. a.
Titelgestaltung von Christin Wilhelm
ISBN-13: 978-3-7857-3766-8|
http://www.stephenking.com
http://www.luebbe-audio.de

_Mehr von Stephen King auf |Buchwurm.info|:_

[„Wahn“ 4952
[„Qual“ 4056
[„Sunset“ 5631
[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Brennen muss Salem“ 3831 (Hörbuch)
[„Briefe aus Jerusalem“ 3714 (Hörbuch)
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Hörbuch)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Hörbuch)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Hörbuch)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Hörbuch)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum“ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45
[„Kinder des Zorns / Der Werwolf von Tarker Mills“ 5440 (Hörbuch)

_Florian Hilleberg_

Perry, Anne – Würger von der Cater Street, Der

London, 1881: Die dreiundzwanzigjährige Charlotte Elison ist eine Tochter aus gutbürgerlichem Haus, die mit ihren emanzipierten Ansichten immer wieder ihre Familie vor den Kopf stößt. Ihre ältere Schwester Sarah ist mit dem gutaussehenden Dominic verheiratet, die siebzehnjährige Emily ist ähnlich dickköpfig wie Charlotte, hält aber viel mehr an Konventionen fest. Charlotte schwärmt heimlich seit der ersten Begegnung für Dominic, was sie um des Familienfriedens willen verbirgt.

Zum Entsetzen der Bevölkerung geschehen in der Cater Street mehrere Frauenmorde. Junge Mädchen werden mit einer Drahtschlinge erwürgt, vom Täter gibt es keine Spur. Das Motiv gibt Rätsel auf, da die Frauen weder vermögend waren noch vergewaltgt wurden. Als auch ein Dienstmädchen der Ellisons ermordet wird, die in einer Nebenstraße wohnen, werden sie in den Fall verwickelt. Der ermittelnde Polizist Inspector Pitt stellt der Familie zu ihrem Ärger unangenehme Fragen. Vor allem Familienoberhaupt Edward Ellison stört sich an dem direkten und selbstbewussten Inspector, der ungeachtet seines niedrigen gesellschaftlichen Ranges immer wieder nachhakt.

Brisant ist auch sein auffallendes Interesse an Charlotte, was diese zunächst als unverschämt empfindet. Doch allmählich entwickelt sie selbst ein gesteigertes Interesse an dem Fall, zumal das letzte Opfer aus ihren eigenen Kreisen stammt. Beunruhigend ist auch, dass sich Emily neuerdings ausgerechnet für den zwielichtigen Lord Ashworth interessiert, der in der Halbwelt verkehrt. Und sogar Charlottes Vater Edward und Dominic scheinen etwas zu verbergen …

Fünfundzwanzig Bücher über ihr Gespann Charlotte und Thomas Pitt hat Anne Perry mittlerweile veröffentlicht. Für alle, die sich mit dieser Reihe befassen wollen, bildet dieser Band den Ausgangspunkt, um mit den Figuren vertraut zu werden und zu erfahren, wie sich das spätere Ehepaar Charlotte und Thomas Pitt überhaupt kennenlernte.

|Spannung und Atmosphäre|

Wenige Jahre, bevor Jack the Ripper das reale London in Angst versetzen wird, treibt ein Würger in der gutbürgerlichen Cater Street sein Unwesen. Vor allem das unerkannte Motiv beunruhigt die Bevölkerung, denn die Opfer scheinen nicht viel miteinander gemein zu haben. Bald wagt sich keine Frau mehr allein auf die Straße und Misstrauen zieht sich durch die ganze Stadt. Bekannte verdächtigen sich gegenseitig, denn die Polizei vertritt die Theorie, dass es sich um eine Person handelt, die im öffentlichen Leben völlig unverdächtig wirkt – vielleicht sogar ein Geisteskranker, der außerhalb seiner Anfälle gar nichts von seinen Taten weiß. Das macht die Morde umso beunruhigender und für die Polizei umso schwerer zu lösen.

Besonders heikel wird es, als sich auch Charlottes Schwager Dominic und ihr Vater Edward eigenartig verhalten. Vor allem Edward reagiert zunehmend gereizt auf die häufigen Befragungen des Inspectors, weicht aus und wird bei einem falschen Alibi ertappt. Trotz dreißig Jahren guter Ehe zweifelt seine Frau Caroline plötzlich an ihrem Mann und fürchtet sich davor, dass er mit den Morden zu tun haben könnte. Dazu kommt der innere Zwiespalt, ob sie sein falsches Alibi unterstützen oder dem Inspector die Wahrheit sagen soll. Charlotte verdächtigt zusätzlich den ominösen Lord Ashworth, den Emily für sich zu gewinnen sucht. Sie bangt nicht nur darum, dass der verrufene Lord ihre Schwester unglücklich machen könnte, sondern traut ihm zu, der Würger zu sein …

Trotz der Kriminalhandlung steht aber die Porträtierung der viktorianischen Gesellschaft im Vordergrund. Ansehen ist alles, die Stände bleiben gewöhnlich unter sich, Frauen haben sich zurückzuhalten und vor allem hübsch auszusehen. Charlotte ist mit Anfang zwanzig beinah schon eine alte Jungfer und mit ihrer Offenheit eine denkbar ungeeignete Partie. Die Eigenheiten der konservativen Gesellschaft werden immer wieder auf die Spitze genommen, sei es durch die schadenfrohen Lästereien beim Kaffeeklatsch über scheinbare Skandale oder empörte Reaktionen auf Charlottes ungehöriges Interesse an Tageszeitungen.

|Gelungene Charaktere|

Schon in diesem ersten Band spürt der Leser, dass sich mit Charlotte Elison und Inspector Pitt eine interessante Kombination gefunden hat. Charlotte ist kein Prototyp des viktorianischen Zeitalters; sie verabscheut den Standesdünkel und gibt nicht viel auf oberflächliche Konventionen. Sie spricht aus, was sie denkt, auch wenn sie mit ihrer Ehrlichkeit ihr Gegenüber vor den Kopf stößt, stört sich nicht an Gerede und zeigt echtes Interesse an den Geschichten über die Armenwelt Londons, die ihr von Pitt nahegebracht werden. Die Sympathie des Lesers ist ihr sicher, da Charlotte einerseits alles andere als makellos-langweilig ist, aber auch nicht aufdringlich oder gar zickig. Reizvoll ist auch ihr Verhältnis zu ihrem Schwager Dominic. Von der ersten Begegnung an hat sie für ihn geschwärmt und die Heirat mit ihrer Schwester mit gemischten Gefühlen betrachtet. Noch heute, Jahre später, gerät sie in seiner Gegenwart in Verlegenheit und hofft gleichzeitig, dass niemand, am wenigsten ihre Schwester, davon je etwas erfahren möge. Im Laufe der Handlung muss Charlotte allerdings ihre Meinung zu Dominic ein wenig revidieren und zum ersten Mal erkennen, dass sich ihre Gefühle getäuscht haben.

Auch Pitt hat man wegen seiner unkonventionellen Art schnell ins Herz geschlossen. Ein solider Polizist, der keine Scheu vor der höheren Gesellschaft kennt und sich von Arroganz nicht abschrecken lässt; stattdessen begegnet er Herablassung mit Souveränität und Belustigung. Eine mysteriöse Figur ist der schwer einzuschätzende Lord Ashworth. Gutaussehend und charmant, wie er ist, wählt ihn die naive und sture Emily als zukünftigen Ehemann aus. Allerdings munkelt man, dass der reiche Herr ein Spieler sei, der sich gerne in zwielichtigen Etablissements herumtreibt – und in Emily wahrscheinlich nur ein kurzes Vergnügen sieht.

|Ein paar kleine Schwächen|

Zwar ist die Verbindung aus viktorianischem Gesellschaftsroman und Krimi reizvoll, allerdings steht der Krimi-Teil vergleichsweise im Hintergrund. Es dauert eine Weile, bis die Taten des Würgers Charlotte und ihre Familie direkt betreffen, und bis dahin steht der viktorianische Alltag im Fokus. Das Ende ist dagegen etwas zu knapp gehalten. Schön wäre gewesen, nach dem großen Finale samt Auflösung noch einmal den Rest von Charlottes Familie zu erleben, stattdessen folgt ein abrupter Schluss. Und auch wenn alle den Fall betreffenden Fragen geklärt sind, gibt es doch einen Handlungsstrang, der etwas in der Luft schwebt, anstatt richtig zu Ende geführt zu werden. Die letzten Geschehnisse werden auf zu wenige Seiten gedrängt und wirken eher wie ein Aufhänger für den Nachfolgeband, anstatt den Roman abzuschließen. Diese Punkte verhindern, dass dieser Roman der ganz große Wurf geworden ist, doch für ein Debütwerk ist Anne Perry seinerzeit ein guter Krimi gelungen.

_Unterm Strich_ ist der erste Krimi aus der Inspector-Pitt-Reihe, der die Leser ins viktorianische London führt, gelungen. Die Hauptfiguren sind interessant, die Spannung ist weithin gegeben, allerdings entwickelt sich die Krimihandlung recht schleppend und das Ende ist in allen Belangen etwas zu knapp geraten.

_Die Autorin_ Anne Perry wurde 1938 als Juliet Hume in London geboren. 1954 beging sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin einen Verzweiflungsmord an deren Mutter, der ihnen eine Haftstrafe einbrachte. Der Fall wurde als „Heavenly Creatures“ verfilmt. Nach ihrer Entlassung nahm Perry ihren heutigen Namen an und beann in den sechziger Jahren zu schreiben. 1979 veröffentlichte sie mit „The Cater Street Hangman“ ihren ersten Roman. Seither hat sie Dutzende von Büchern in mehreren Reihen herausgebracht. Am bekanntesten sind ihre Inspector-Pitt- und Privatdetektiv-Monk-Romane, die jeweils im viktorianischen London spielen.

http://www.dumont-buchverlag.de/

_Mehr von Anne Perry auf |Buchwurm.info|:_

[„Feinde der Krone“ 1723
[„Die Verschwörung von Whitechapel“ 1175

le Carré, John – Marionetten

Mit dem 11.9.2001 hat sich durch den terroristischen Anschlag auf das symbolträchtige World Trade Center der USA das gesellschaftliche, politische und kulturelle Leben auf immer verändert. Diese Form des besonders radikalen und bis dahin ungeahnt gewaltbereiten Terrorismus hat den westlichen Staaten der Welt gezeigt, dass man sich selbst in behüteter und gut verteidigter Position nicht sicher wähnen kann. Die Frage, die sich nicht nur die Geheimdienste aller Regierungen stellen, ist: Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass 19 junge Islamisten im militärisch stärksten Land der Welt derart koordiniert vier Passagierflugzeuge kapern und auf das Pentagon und die Twin Towers steuern?

Welche enorme logistische Detailplanung dafür notwendig war – Ausbildung der Attentäter zu Piloten, finanzielle Mittel, Gesamtkoordination, aber auch die ideologische Schulung -, ist erschreckend. Erschreckend deswegen, weil trotz der Zusammenarbeit der Geheimdienste verschiedener Nationen einige Täter bekannt waren, aber nicht genug oder nur fahrlässig recherchiert, observiert und informiert wurde. Etwas mehr Kommunikation und Zusammenarbeit hätte vielleicht die Katastrophe verhindern können, bei der über 3000 Menschen den Tod fanden.

Warum war die CIA, der israelische Mossad, der britische MI6 und der deutsche Bundesnachrichtendienst derart machtlos und unvorbereitet? Gab es keine Anzeichen und keine Warnungen von Agenten, die in den al-Qaida- oder anderen Terrorzellen im Untergrund tätig waren?

Nach dem Terroranschlag wurde durch die Bush-Doktrin und dessen Politik ein Präventivkrieg ausgelöst, der auch heute, mehr als sieben Jahre später, in Afghanistan und dem Irak noch kein Ende gefunden hat und sich in weitere Staaten überträgt. Bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen dort, die einen Flächenbrand in Form eines weiteres Religionskrieges auslösen könnten, der schließlich auch Europa erreichen wird.

Viele terroristische Anschläge in den Jahren danach haben die Regierungen, ihre Geheimdienste und das Militär unter eine kalte Dusche gestellt, die wahrlich wachrüttelte. Das Rad der Zeit kann man zwar nicht mehr zurückdrehen, doch kann man die Gegenwart beeinflussen, damit in naher und ferner Zukunft so etwas nicht mehr passieren sollte. Inzwischen sind die Geheimdienste verschiedenster Nationen enger zusammengerückt, um der terroristischen Gefahr entgegenzuwirken, und ein neuer kalter Krieg zeichnet sich ab, in dem einfache Menschen aus dem zivilen Leben nur Marionetten dieser Geheimdienste sind, ebenso wie die Agenten, Spione, Analysten, Diplomaten und andere, aber wer zieht die Fäden in diesem Spiel? Wer lässt die Marionetten nach seinen Spielregeln auf der Bühne tanzen?

John le Carré gibt in seinem zuletzt veröffentlichten Roman „Marionetten“ einen interessanten Einblick in die Schattenwelten der Geheimdienste.

_Handlung_

Issa ist ein sonderbarer Flüchtling, ein Moslem, der nach Hamburg-Altona über verschiedene Stationen gereist ist. Langsam, vorsichtig, fast schon ängstlich folgt der junge Mann Big Melik, einem jungen und aufstrebenden türkischen Boxer, der einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Issa erbittet auf einem Stück Papier, das er dem jungen Türken in die Hand drückt, Obdach. Doch Meliks Reaktion ist zunächst negativ, und er möchte den Jungen am liebsten davonjagen, doch seine Mutter Leyla sieht in dem streunenden Mann Gottes Willen und entspricht mitleidsvoll dessen Wunsch nach einer Bleibe.

Auch Melik bekommt Mitleid und schämt sich für seine barschen Worte, als er die Folternarben auf Issas Rücken erblickt. Issa kann sich kaum verständlich machen, er ist tschetschenischer Herkunft, aber seine Zukunft sieht er schon fest vor sich. Er will Deutsch lernen, möglichst schnell, er möchte Medizin studieren und ein großer Arzt werden, der das Leiden von Menschen mindert. Seine einzigen Habseligkeiten sind ein Päckchen mit 500 recht druckfrischen Dollars und ein auf kyrillisch verfasster Brief. Melik kann darauf nur eine sechsstellige Zahl identifizieren.

Doch Issa ist schon längst einer inoffiziellen Abteilung des Bundesnachrichtendienstes bekannt. Hamburg ist schließlich die Stadt, aus welcher der Attentäter Mohammed Atta zusammen mit einigen anderen aufbrach, um den Vereinigten Staaten zu zeigen, was Terror bedeutet, indem sie das WTC vernichteten und das Pentagon beschädigten. Damit wurde eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, welche die Eskalation nur noch weiter vorantreiben sollte.

Der erfolgreiche schottischer Investment-Banker Tommy Brue macht wenig später ebenfalls Bekanntschaft mit dem mysteriösen Flüchtling Issa. Als Vermittlerin fungiert die ebenso undurchsichtige Annabel Richter, eine Anwältin aus bester Familie. Die sechsstellige Zahl ist der Code für einen Schlüssel zu einem dubiosen Depot, das Brue von seinem ebenfalls im Finanzwesen tätigen Vater geerbt hat. Mit diesen Mitteln soll sich der naive Issa eine Zukunft aufbauen, doch zu welchem Zweck?

Der deutsche Geheimdienst und bald nicht nur dieser hat jetzt nicht nur Issa im Visier, sondern ebenso die türkische Familie, die Juristin Annabel Richter sowie den Investment-Banker Tommy Brue widmet. Alle werden zu Spielbällen der Geheimdienste, die ganz eigene Interessen verfolgen.

_Kritik_

John le Carré, selbst ein früherer Agent des britischen Geheimdienstes, kennt die Verbindungen und Methoden aus eigener Erfahrung und setzt sein spezielles Wissen natürlich gern in seinen Romanen ein. Er ist ein Altmeister der Geheim- und Spionagedienstthriller.

Auch „Marionetten“ weist eine sehr reale Handlung auf, die le Carré in der Gesamtschau spannend, wenn auch mit einigen Längen präsentiert. Seine detailreiche Beschreibung über die Methoden von Agenten, die observieren, recherchieren und analysieren, ist thematisch eindrucksvoll und realistisch beschrieben. Dass Dreh- und Angelpunkte der Terroristenszene wie der Hamburger Hauptbahnhof von Geheimdiensten observiert werden, sich Agenten unter die Passanten mischen und durch Drohung oder Bestechung Informationen erschleichen, wird glaubwürdig dargestellt, gerade wenn man daran denkt, dass Hamburg einige terroristischen Zellen beherbergt(e).

Dabei stellt sich unmittelbar die Frage: Wie viele solcher Aktivitäten und Keimzellen gibt es noch und in welchen Städten? Handelt es sich bei den noch in Deutschland aktiven Zellen um aktive Mitglieder terroristischer Gruppierungen, die Anschläge vorbereiten und ausführen, oder sind es lediglich Mittelsmänner und Informanten, vielleicht gar so genannte Schläfer, die irgendwann aktiv werden, aber bis dahin das biedere Leben durchschnittlicher Bürger innerhalb ihrer sozialen Stellung führen? Genau diese Fragen beschäftigen die Geheimdienste in „Marionetten“. Welchen Geistern jagt man nach, die sich später vielleicht als sehr real und allzu menschlich herausstellen?

John le Carré erzählt in „Marionetten“ sehr plastisch und schildert zynisch die Arbeit der Geheimdienste, die wiederum für Eingeweihte, die ihre Tiefen erforschen, noch viel geheimer und undurchschaubarer wirken können. Eine wahre Karikatur bürokratischer Arbeitsmethodik, der man als Leser gern verfolgen mag.

In der ganzen Handlung ist die Atmosphäre recht bedrückend. Nach wie vor herrscht die Angst vor terroristischen Anschlägen, ebenso bewirkt der Gedanke, dieses erneut nicht früh genug erkennen zu können, einen bitteren Beigeschmack, ebenso wie die Frage, ob diese Situation es wert ist, die Freiheitsrechte einzelner Menschen quasi außer Kraft zu setzen. Was wiegt das Schicksal einer einzelnen Person im Vergleich zum vermeintlichen Wohl eines Volkes in seiner Gesamtheit?

Die Protagonisten sind intensiv und detailreich dargestellt, auch wenn man für wirklich keinem von ihnen sonderliche Sympathie entwickelt. Einzelne Schicksale werden final nicht abgeschlossen und unseren Phantasien und Theorien überlassen – zu vage, wie ich finde. John le Carrés Motivation – und das hat er in diesem Roman auch erfolgreich umgesetzt – war es, den Protagonisten den Status einer Marionette zuzuweisen. Dass jeder Geheimdienst aufgrund der Ereignisse vor sieben Jahren seine eigenen Interessen stärkt und seine Ziel verfolgt, oftmals ohne Rücksicht auf Verluste und unter Inkaufnahme von Kollateralschäden, zeigt Carrés Roman eindrucksvoll und für den Laien absolut nachvollziehbar.

John le Carré rüttelt die Leser wach und nimmt die Rolle des kritisch Fragenden ein: Was ist aus unserer Gesellschaft geworden? Ein Opfer seiner selbst? Sind diese Ereignisse ein Produkt aus Ursache und Wirkung, und wir sind nur aus Versehen in den Unfall verwickelt? Aber zahlen wir dann auch bereitwillig den Preis, selbst wenn er uns zu hoch erscheint? Carrés Dramaturgie ist bestechend und die – im Wortsinne – untergründige Spannung bleibt konstant erhalten, allerdings gibt es keine klar definierten Höhepunkte und das Ende des Romans ist so offen wie der Großteil der Handlung mitsamt ihren Protagonisten.

_Fazit_

„Marionetten“ ist mit Einschränkungen zu empfehlen. Den Leser erwartet kein Roman, der unmittelbar nach 9/11 spielt, sondern eine Handlung in der Gegenwart, auch wenn immer wieder auf die Vergangenheit und ihre Auswirkungen Bezug genommen wird.

John le Carré ist seit vielen Jahren routinierter Autor verschiedener Agenten- und Spionage-Romane. Sein Stil ist dabei unverändert geblieben. Er verfasst komplexe Sätze, liebt die ausführliche Form der Darstellung, die Dialoge seiner Protagonisten sind manchmal verworren und man liest entsprechend die eine oder andere Passage noch einmal, was durchaus ermüdend wirken kann.

Die Spannung und das Interesse an der Handlung und den Personen sind anfangs recht hoch, später allerdings wird dem Leser zunehmend auch klar, dass alle Protagonisten, egal ob nun verdächtig oder nicht, ob nun Geheimdienstler der CIA oder des Bundesnachrichtendienstes, zu verwirrend für eine klare Linie konzipiert sind. Die Botschaft, die uns John le Carré vermitteln will, ist spiegelbildlich und sehr real gezeichnet und konfrontiert uns mit der recht aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage. Welche Macht räumt man den Geheimdiensten noch ein und wer bewegt sich in dieser Schattenwelt? Sind alle Abteilungen eigenverantwortlich oder existieren andere geheimdienstliche Zellen, denen fast jedes Mittel recht ist, um etwaige Verdächtige als Terroristen zu überführen oder eigene Ziele zu verfolgen? Viele Fragen werden aufgeworfen, die der Leser mit sich selbst oder auch mit anderen diskutieren sollte.

„Marionetten“ ist insgesamt ein authentischer Roman mit einer interessanten, durchaus auch spannenden Geschichte, die leider zu viele Längen beinhaltet und am Ende – wohl bewusst – für meinen Geschmack zu viele Fragezeichen hinterlässt.

_Der Autor:_

John le Carré, geboren 1931 in Poole, Dorset, studierte in Bern und Oxford Germanistik, bevor er in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg und für den britischen Geheimdienst als Secret Service Agent tätig war. „Der Spion, der aus der Kälte kam“ begründete seinen Weltruhm als Bestsellerautor. Der Autor lebt mit seiner Frau in Cornwall und London.

|Originaltitel: A Most Wanted Man
Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson
366 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-550-08756-1|
http://www.ullstein.de
http://www.johnlecarre.com

_Mehr von John le Carré auf |Buchwurm.info|:_

[„Absolute Freunde“ 399
[„Geheime Melodie“ 2975

Sara Douglass – Gesandter des Teufels (Das dunkle Jahrhundert 4)

Band 1: „Hüter der Macht“
Band 2: „Tochter des Krieges“
Band 3: „Diener des Bösen“

_Hal Bolingbrokes Plan_ zur Beschaffung der Schatulle mit Wynkyn de Wordes Buch ist misslungen. Nicht nur, dass es nicht die richtige Schatulle war, sie hat auch noch einen entsetzlichen Preis gefordert. Und Thomas Neville muss erkennen, dass seine Überzeugung, er könne zu Margaret genügend Distanz wahren, um sich nicht zu verlieben, eine gravierende Fehleinschätzung war. Jetzt versucht er, sich selbst davon zu überzeugen, dass seine unleugbare Liebe zu Margaret nicht bedeuten muss, dass er ihr auch seine Seele schenkt.

Sara Douglass – Gesandter des Teufels (Das dunkle Jahrhundert 4) weiterlesen

Lovesey, Peter – Abschied auf Englisch

_Das geschieht:_

Der unglücklich verheiratete Zahnarzt Walter Baranov und die Blumenverkäuferin Alma Webster haben sich ineinander verliebt. An eine Scheidung darf Walter nicht einmal denken; Gattin Lydia hat in dieser Ehe die Hosen an und das Geld auf der Bank. Außerdem schreibt man das Jahr 1921, und untreue Ehemänner, die ihre Frau verlassen und sich zu ihrer deutlich jüngeren Geliebten bekennen, können mit finanziellem Ruin und gesellschaftlicher Ächtung rechnen.

Alma findet die Lösung: Lydia muss sterben! In seiner Not ist Walter einverstanden. Allerdings erinnert er sich an den unglücklichen Dr. Hawley Crippen, der es 1910 ebenfalls mit Gattinnenmord versucht hatte, nach einer aufsehenerregenden Verfolgungsjagd über den Atlantik in Kanada festgenommen und später gehenkt worden war. Er hatte die Leiche nicht gut genug entsorgt, was ihm zum Verhängnis wurde. Walter und Alma wollen es besser machen: Da Lydia eine Schiffsreise in die USA plant, wollen sie ihr an Bord des Luxusdampfers „Mauretania“ folgen, sie erst dort ermorden und die Leiche durch ein Bullauge verschwinden lassen, worauf Alma in Lydias Rolle schlüpft: Niemand wird auf der Passagierliste fehlen, und das verliebte Paar kann in der neuen Welt in eine ungestörte Zukunft starten!

Doch der Zufall spielt Walter und Alma einen bösen Streich: Eine zweite Frau geht ermordet über Bord. Ihre Leiche kann geborgen werden. Erfreut hört Kapitän Rostron, dass sich unter seinen Passagieren ein berühmter Polizist befindet: Keck nennt sich Baranov an Bord der „Mauretania“ ausgerechnet „Walter Dew“. Dew war der Inspektor, der einst Crippen stellte. Daran erinnert sich der Kapitän. Notgedrungen versucht sich Walter als Ermittler. Ihm hilft seine Vergangenheit als Bühnenmagier; tatsächlich sind seine Nachforschungen so erfolgreich, dass der Mörder unruhig wird und seinem Verfolger nachzustellen beginnt …

_Die Realität schlägt wieder einmal die Fiktion_

„Abschied auf Englisch“ ist der im Deutschen (wie üblich, muss man sagen) nichtssagende Titel einer Geschichte, deren Originaltitel den eingeweihten Leser bereits auf die Handlung einstimmt: Inspektor Dew ist zumindest in England eine bekannte Figur der (kriminologischen) Zeitgeschichte: der Mann, der 1910 den (natürlich ungleich berühmteren) Dr. Crippen stellte.

Das reale Geschehen bildet den idealen Untergrund für diesen Roman. Crippen war kein außergewöhnlicher Verbrecher und Dew als Polizist und Mensch niemand, an den man sich normalerweise erinnert hätte. Es sind die Umstände, die beide unsterblich machten: Crippen floh mit seiner Geliebten per Schiff nach Kanada. Vor 1910 hätte er in dem riesigen Land untertauchen können und wäre nie zur Rechenschaft gezogen worden. Doch Crippen bestieg mit der „SS Montrose“ eines der ersten Schiffe, das mit einer Funkstation ausgestattet war. Als Passagiere das flüchtige Paar erkannten, wurde die Nachricht nach London durchgegeben. Scotland Yard setzte Inspektor Dew in Marsch, der im Wettlauf mit der „Montrose“ nach Toronto reiste. Während Crippen sich ahnungslos auf dem Weg in die Freiheit wähnte, war nicht nur die Polizei, sondern auch die Weltpresse über jeden seiner Schritte informiert. (Diese fesselnde Geschichte rekonstruiert übrigens Eric Larson in seinem Buch [„Marconis magische Maschine. Ein Genie, ein Mörder und die Erfindung der drahtlosen Kommunikation“, 4545 das der Rezensent a. a. O. dieser Website besprochen hat.)

Peter Lovesey orientiert sich stark am Crippen-Fall. Der Zahnarzt Walter Baranov gleicht charakterlich dem unglücklichen Mörder, der ebenfalls als zurückhaltender und von seiner Ehefrau dominierter Mann galt. Auch die Dreiecks-Konstellation Baranov – Lydia – Alma ist der Realität entlehnt. Erst als sich die Handlung an Bord der „Mauretania“ verlagert, weicht Lovesey vom Vorbild ab.

Für diese Nähe zur Realität ist keineswegs die Denkfaulheit des Verfassers verantwortlich. Im Gegenteil: Lovesey setzt sich unter verstärkten schöpferischen Druck, indem er Crippens Odyssee sich in Baranovs Abenteuern widerspiegeln lässt. Auf diese Weise gelingt ihm weit mehr als eine geistreiche Variation. Er dringt tief in die Psychen von Hawley Crippen (der hier durch Baranov ‚gedoubelt‘ wird), Cora Crippen (= Lydia) und Ethel le Neve (Crippens Geliebte = Alma Webster) ein und schafft ein Stimmungsbild, das vielleicht nicht der historischen Realität entspricht, aber auf jeden Fall zeigen könnte, wieso Crippen, der alles andere als der ‚typische‘ Verbrecher war, zum fast perfekten Mörder mutierte.

_Mörderisches Durcheinander als vergnüglicher Historienkrimi_

In diesem ersten Drittel wird der puristische Krimi-Leser womöglich nicht auf seine Kosten kommen. Es geschieht nichts Kriminelles, stattdessen erzählt Lovesey die Lovestory von Walter und Alma. Er beachtet die zeitgenössischen Gesellschaftsregeln genau und verdeutlicht seinen Lesern, wieso eine Befreiung für das Paar aus seinem Dilemma nur in Mord bestehen kann. Dabei brüstet sich der Verfasser nicht mit aufdringlich dargebotenem historischem Wissen. Das Jahr 1921 fließt wohldosiert dort in die Geschichte ein, wo es ihr zugute kommt.

In diesen Handlungsstrang eingeflochten werden Ereignisse und Personen, die zunächst nicht mit dem Hauptgeschehen in Einklang gebracht werden können. Der Autor, der dazu quasi vor unseren Augen und ohne Scheu in die Rolle des allwissenden Erzählers schlüpft, weist uns darauf hin, dass es wichtig ist, diese Informationen im Hinterkopf zu bewahren, weil sie später ihre Bedeutung gewinnen werden. Auf diese Weise liefert er uns jenes Hintergrundwissen, das der Leser von einem ‚fairen‘ Rätselkrimi aus dem „Golden Age“ dieses Genres erwarten darf.

_Fakten & Fiktion in idealhomogener Mischung_

Doch „Abschied auf Englisch“ ist kein ‚authentischer‘ „Whodunit“, obwohl sich die Handlung 1921 abspielt. Erst mehr als sechs Jahrzehnte später schrieb Lovesey seinen Roman. Er ist ein ehrgeiziger und auch guter Schriftsteller, der sich nicht damit begnügt, die alten Schablonen möglichst deckungsgleich abzupausen. „Abschied auf Englisch“ ist ein Historienkrimi, ein Spiel mit dem Genre Kriminalroman und mit seiner Geschichte.

Der Widerhall des Crippen-Dramas ist ein Merkmal. Auch an Bord der „Mauretania“ hinterfragt Lovesey jedoch die zeitgenössischen Verhältnisse, indem er sie einerseits akkurat schildert und seine Kritik daran andererseits behutsam in die Handlung einfließen lässt. Jene Tiefen, die Loveseys figurenpsychologische Bohrungen erreichen, wird man in einem tatsächlich 1921 entstandenen Kriminalroman kaum finden.

Dabei gerät dem Verfasser den Unterhaltungsaspekt nie aus den Augen. Im zweiten Drittel beginnt sich der Grundton zu ändern. Aus der mit durchaus tragischen Zügen angereicherten Liebesgeschichte wird ein ‚echter‘ Krimi bzw. eine Krimi-Komödie. Der ernsthafte Unterbau wird nicht ignoriert; dass Walter Baranov sich so flüssig in Inspektor Dew verwandelt, bliebe ohne das Wissen um seine charakterlichen Eigenschaften schwer verständlich. Doch die Weichen der Handlung werden neu gestellt.

_Jeder verbirgt etwas, das niemand wissen darf_

Die Launen des Schicksals versetzen den Kriminellen in die Rolle des Vertreters von Recht & Gesetz; womöglich muss er sich sogar selbst verfolgen: Neu war diese Konstellation schon 1982 nicht mehr. Sie zählt aber zum Kanon klassischer Plots und wird gut erzählt ihre Wirkung weiterhin nicht verfehlen. Die Begleitumstände sind einfach zu reizvoll: „Inspektor Dew“ geht seiner Arbeit – die er nie erlernt hat – nicht allein nach, sondern wird von der Besatzung und den Passagieren der „Mauretania“ neugierig beobachtet. Fehler muss er tunlichst vermeiden bzw. sie kunstvoll überspielen. An Bord eines Dampfers ist er in seiner Rolle buchstäblich gefangen. Der Zeitfaktor spielt eine wichtige Rolle: Wenn die „Mauretania“ in New York anlegt, sollte „Dew“ nicht nur den Täter gestellt, sondern sich auch über seine Zukunft Gedanken gemacht haben. Als Baranov Dew wurde, hat er sich öffentlich gemacht. Die daraus resultierenden Konsequenzen sorgen für ein Ansteigen der Spannungskurve.

Wer ist der Mörder? In dieser Frage segelt Lovesey im Kielwasser der Klassiker. Verdächtig sind sie alle, diese ausdrucksstarken Figuren, die er uns gründlich vorstellt; so verlangt es das Genre. Selbstverständlich wird im großen Finale kein Deus ex Machina herbeigezaubert. Der Täter rekrutiert sich aus der Schar der Verdächtigen. Wer aufmerksam liest, wird ihn (oder sie) gemeinsam mit „Inspektor Dew“ entlarven, denn Lovesey sorgt wie gesagt für entsprechende Hinweise.

Was ihn allerdings nicht daran hindert, der Krimi-Klassik in einer originellen Coda kategorisch zu entsagen. „Abschied auf Englisch“ schließt mit einer Schlusspointe, die so in einem Krimi der 1920er Jahre nicht möglich gewesen wäre. Lovesey stellt das Geschehene binnen weniger Zeilen auf den Kopf und sorgt für den würdigen Ausklang eines Romans, der inzwischen selbst zum Klassiker seines Genres geworden ist. Dies der Leser nach Abschluss der Lektüre ebenso deutlich unterstreichen wie die fachkundige Jury der „Crime Writers Association“, die „The False Inspector Dew“ mit einem „Gold Dagger Award“ als besten englischen Kriminalroman des Jahres 1982 auszeichnete.

_Die „Mauretania“ sticht wieder in See_

„The False Inspector Dew“ ist bereits 1983 in deutscher Übersetzung erschienen. Noch einmal als Taschenbuch aufgelegt, verschwand der Roman vor vielen Jahren aus den Buchläden verschwunden und blieb nur mehr antiquarisch greifbar.

In der „CrimeClassic“-Serie des |Fischer|-Verlags erlebt er endlich seine Wiederkehr. Die Neuausgabe beinhaltet ein Nachwort von „Krimi-Couch“-Chefredakteur Lars Schafft, der unter dem Titel „Ein Maskenspiel auf hoher See“ relevante Hintergrundinformationen zum gerade gelesenen Roman liefert.

_Impressum_

Originaltitel: The False Inspector Dew (London : Macmillan 1982/New York : Pantheon 1982)
Übersetzung: Herbert Neumaier
Diese Neuausgabe: Februar 2009 (Fischer Taschenbuch Verlag/Fischer Crime Classic Nr. 18246)
318 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-596-18246-6
http://www.fischerverlage.de

Sara Douglass – Diener des Bösen (Das dunkle Jahrhundert 3)

Band 1: [„Hüter der Macht“ 4812
Band 2: [„Tochter des Krieges“ 5506

Thomas hat auf Betreiben Lancasters Margaret geheiratet. Doch er ist fest davon überzeugt, dass es ihm trotzdem gelingen wird, sich nicht in sie zu verlieben. Viel mehr Kopfzerbrechen als die Versuchung durch Margaret bereitet ihm inzwischen die Suche nach der Schatulle, in der sich de Wordes Buch befindet. Thomas ist der Überzeugung, dass sie sich in Westminster befindet, bei Richard, der inzwischen König von England ist. Es scheint aussichtslos, an das kostbare Stück heranzukommen. Bis Bolingbroke einen merkwürdigen Plan ersinnt …

_An der Charakterzeichnung_ hat sich nicht viel verändert, nur drei neue Caraktere werden wichtig. Der eine ist Mary de Bohun. Die junge Frau ist eine reiche Erbin und Hal Bolingbrokes Braut. Sie ist jung, von zarter Gesundheit und auch ein wenig schüchtern, und sie fürchtet sich zunächst vor ihrem Mann. Gleichzeitig beweist sie erstaunliche geistige Stärke und Großherzigkeit, indem sie Margaret beisteht, und das, obwohl sie diese für Bolingbrokes Geliebte hält.

Der zweite ist Katherine, die Tochter des französischen Königs. Sie ist jung und intelligent, da aber nach salischem Recht die weibliche Linie nicht erbberechtigt ist, hat sie sich bisher zurückgehalten. Erst nach einem Gespräch mit ihrer Mutter Isabella beginnt sie, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ihre erklärte Gegnerin ist … Jeanne d’Arc.

Und zu guter Letzt wäre da noch Robert de Vere, der Earl of Oxford, ein schmieriger, intriganter Kerl, der den jungen König komplett um den Finger gewickelt hat und sich von ihm nun mit Titeln und Ländereien überschütten lässt, was ihm eine enorme Machtfülle verleiht. Eine ausgesprochen einseitige Machtfülle, wie vor allem Lancaster und seine Anhänger finden.

Die Intensität dieser drei neuen Figuren reicht nicht an die von Thomas und Margaret heran. Mary ist bisher nicht wichtig genug, de Vere taucht nur zusammen mit Richard auf, und Katherine steht von Anfang an als Verbündete Bolingbrokes fest, was viel von dem Raum beansprucht, den die Autorin auf die Charakterzeichnung verwandt hat. Trotzdem haben sie alle genug Profil erhalten, um nicht hölzern oder plakativ zu wirken.

_Die Handlung dagegen_ hat einiges an Neuem zu bieten. Inzwischen kann der Leser sicher sein, dass Margaret und Hal wie auch Katherine mehr sind als „normale“ Menschen. Aber gehören sie wirklich zu den schaurigen Geschöpfen, die Neville und Lancaster in Frankreich begegnet sind? Hier besteht noch immer eine erstaunliche Diskrepanz. Und dann sagt Margaret, sie sei kein Dämon, sondern ein Engel! Fest steht allerdings auch, dass der Erzengel Michael ein unversöhnlicher Gegner Margarets ist! Es scheint, als würde die einfache Frage, wer Dämon und wer Engel, wer gut und wer böse ist, schon gar nicht mehr ausreichen, als wäre hier noch eine dritte Gruppe beteiligt.

Auch Hal gibt verstärkt Anlass zu Spekulationen. Ganz offensichtlich gehört er zu Margarets Verbündeten, sie bezeichnet ihn gelegentlich sogar als ihren Lord, so, als wäre er eine Art Vorgesetzter. Der Plan im Zusammenhang mit der Beschaffung der Schatulle erinnert massiv an Thomas‘ frühere kaltherzige Rücksichtslosigkeit. Auch die Hochzeit mit Mary zeigt ziemlich kaltschnäutziges Kalkül. Ist Hal womöglich – mehr oder weniger absichtlich – auf dem Weg ins gegnerische Lager?

Und dann ist da auch noch Richard Thorseby. Der Ordensgeneral der Dominikaner fühlt sich durch Thomas‘ Austritt aus dem Orden sozusagen persönlich gekränkt und sinnt nun auf Rache. Nicht, dass er große Lust zu reisen hätte, doch in diesem Fall kommt ihm die Einladung zu einem Konzil in Rom dennoch zupass. Vielleicht lässt sich in dem Kloster in Rom, in dem Thomas‘ Reise durch Europa begann, etwas aufspüren, woraus er dem ehemaligen Mönch einen Strick drehen kann …

_All dies ist eingebettet_ in den geschichtlichen Hintergrund der Regierungszeit Richards II. Die Lancasters geraten immer weiter unter Druck, denn Richard fühlt sich durch John of Gaunt bevormundet und durch Hals Beliebtheit im Volk sogar in seiner Stellung bedroht. Schon aus gekränkter Eitelkeit ist er nicht bereit, die Argumente gegen seine Politik auch nur anzuhören, ganz gleich, wie vernünftig sie auch sein mögen. Außerdem ist er bestrebt, seinem Favoriten de Vere zu gefallen.

Ein zusätzlicher Streitpunkt ist die geplante neue Kopfsteuer, mit der Richard einen Feldzug nach Irland finanzieren will, obgleich der Krieg gegen Frankreich noch gar nicht beendet ist. Diesbezügliche Warnungen fasst er als Kritik auf und reagiert ausgesprochen scharf. In seinem Streit mit den Adligen des Reiches übersieht er allerdings völlig einen weiteren Faktor: sein Volk! Längst hat der Same, den Wanderprediger wie John Wycliff und John Ball im Volke gesät haben, Wurzeln geschlagen …

Sara Douglass hat diese verschiedenen, recht unterschiedlichen Aspekte geschickt zu einer nahtlosen, glatten Geschichte verwoben und dadurch den historischen Hintergrund auf eine Weise zum Schauplatz eines Kampfes zwischen Gut und Böse gemacht, der schon fast realistisch anmutet, trotz der vielen Fantasy-Elemente, die er enthält. Und noch immer ist sich der Leser nicht wirklich sicher, mit wie vielen Parteien er es eigentlich zu tun hat und wer zu welcher Partei gehört. Abgesehen von der Gefahr, die den Lancasters durch Richard II. droht, und dem sich anbahnenden Bürgerkrieg sorgt besagte Undurchsichtigkeit im Zusammenhang mit der Frage, wie Thomas Neville sich letztlich wohl entscheiden wird, wenn er endlich Wynkyn de Wordes Buch gefunden hat, für stetig steigende Spannung. Je weiter ich lese, desto faszinierter bin ich.

_Sara Douglass_ arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Streß. Nach dem Erfolg ihres |Weltenbaumzyklus| stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Außer dem |Weltenbaumzyklus| und dem |Sternenzyklus| schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten. Zurzeit schreibt die Autorin an ihrer neuen Trilogie |Darkglass Mountains|. Der Folgeband zum Zyklus des dunklen Jahrhunderts erschien diesen Monat unter dem Titel „Gesandter des Teufels“.

|Originaltitel: The Wounded Hawk. The Crucible Two
Aus dem australischen Englisch von Sara Riffel
409 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13: 978-3-492-70164-8|

My Сreative


http://www.piper-verlag.de

Mehr von Sara Douglass auf |Buchwurm.info|:

[„Die Sternenbraut“ 577 (Unter dem Weltenbaum 1)
[„Sternenströmers Lied“ 580 (Unter dem Weltenbaum 2)
[„Tanz der Sterne“ 585 (Unter dem Weltenbaum 3)
[„Der Sternenhüter“ 590 (Unter dem Weltenbaum 4)
[„Das Vermächtnis der Sternenbraut“ 599 (Unter dem Weltenbaum 5)
[„Die Göttin des Sternentanzes“ 604 (Unter dem Weltenbaum 6)
[„Der Herr des Traumreichs“ 1037
[„Die Glaszauberin“ 1811 (Die Macht der Pyramide 1)
[„Der Steinwandler“ 2639 (Die Macht der Pyramide 2)
[„Die sterblichen Götter Tencendors“ 2653 (Im Zeichen der Sterne 1)
[„Die Wächter der Zeiten“ 2947 (Im Zeichen der Sterne 2)
[„Die letzte Schlacht um Tencendor“ 3608 (Im Zeichen der Sterne 3)

Ed McBain – Die Gosse und das Grab

Ein abgehalfterter Ex-Detektiv lässt sich zu einer Ermittlung überreden, die umgehend in einen Mordfall mündet. Bedrängt von der Polizei, attackiert von unbekannten Schlägern und im Kampf mit den inneren Dämonen setzt er hartnäckig seine Arbeit fort, an deren Ende nichts als sein Tod stehen könnte … – Sehr ‚schwarzer‘ und pulpiger Thriller, der seine düstere Geschichte temporeich, in klaren Worten und ohne Beschönigungen erzählt; die Welt ist schlecht, und McBain liefert den Beweis!
Ed McBain – Die Gosse und das Grab weiterlesen

Bionda, Alisha (Hg.) / Clauß / Ludwigs / Markert / Büchner / Bomann / Weissen / Hardebusch / Zietsch – Dark Ladies 1

_Inhalt:_

Der erste Band der zweiteiligen Anthologie „Dark Ladies“ vereint 13 Kurzgeschichten talentierter, meist namhafter deutscher Autoren.

Nach einem Vorwort der Herausgeberin Alisha Bionda entführt Martin Clauß den Leser bis an das Ende der Zeit, wo „Luzifers Schöpfung“ ihren Anfang nimmt. Sabine Ludwigs entlässt Gottes männermordende Dämonin „Machlath“. Günter Suda beschreibt in „Der letzte Pendelschlag“, wie stark der Einfluss einer Frau auf einen Mann sein kann. „Eiskalt“ geht es in Eva Markerts gleichnamiger Geschichte zu, in der eine dämonische Eisdrachin auf Beutezug geht. Barbara Büchner offenbart „Das Geheimnis“, und Martin Kay spekuliert in „Der Kuss Walhallas“ auf ein anregendes Leben nach dem Tod.

„Der Fluch der Hexengräfin“ von Corina Bomann ist eine fast schon klassische Gruselgeschichte, in der ein jahrhundertealter Fluch eine hochschwangere Frau trifft. Harald A. Weissen belauscht in „Stadttiere“ ein Kneipengespräch zwischen zwei Männern, in dessen Verlauf eine unglaubliche Geschichte von Mischwesen erzählt wird. Der Fantasyautor Christoph Hardebusch berichtet in „Tag & Nacht“, wie der Sohn sein gepeinigtes Volk gegen die Armee seiner bildschönen Mutter in die Schlacht schickt. Die Verlegerin und Autorin Uschi Zietsch erzählt das berühmte Märchen von „Dornröschen“ auf eine neue und düstere Art und Weise. Damian Wolfes „Hexenspiele“ nehmen für zwei Teenager ein böses Ende, während „Thanatos Muse“ von Lothar Nietsch den Protagonisten der Geschichte auf ewig straft. „Die, die tote Herzen bricht“ stammt direkt aus der Hölle und bereitet Peter, dank Boris Koch, den Himmel auf Erden.

_Meine Meinung:_

Die „Dark Ladies“ von Alisha Bionda bilden in dem ersten Band der zweiteiligen Anthologie einen abwechslungsreichen Reigen. Mal düster-melancholisch, mal unheimlich und schaurig sind die Geschichten, welche die oben genannten dreizehn Autoren zu Papier gebracht haben. Martin Clauß schrieb eine abenteuerliche Story mit einem interessanten Plot, der den Schöpfungsmythos ad absurdum führt. Blutig und unheimlich geht es dagegen bei Sabine Ludwigs zu, deren morbide Story „Machlath“ zeigt, wie weit eine Frau zu gehen bereit ist, wenn sie ein bestimmtes Ziel verfolgt.

Bestsellerautorin Barbara Büchner schrieb die kürzeste Geschichte dieser Sammlung und zugleich eine der einfühlsamsten: ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass man auch mit wenigen Worten sehr viel auszudrücken vermag. Die längste Story, von Corina Bomann, kommt da schon viel geradliniger daher und bietet dem Leser eine fast schon klassische Gruselgeschichte nach dem Schema düsterer Romantik-Thriller. Wer sich innerhalb des Genres ein wenig auskennt, weiß recht schnell, welche Richtung die Geschichte einschlägt. Mit einer Länge von über 50 Seiten ist „Der Fluch der Hexengräfin“ eigentlich schon eine Novelle, die handwerklich solide und stimmig ist, aber keine Überraschungen für den Leser parat hält.

Poetisch und leidenschaftlich zeigt sich Christoph Hardebusch mit seiner Mär von Tag und Nacht, die er literarisch sehr kunstvoll zum Besten gibt. Uschi Zietsch schrieb für die Anthologie eine schauerliche Dornröschen-Variante, und macht aus der lieblichen, aber langweiligen Prinzessin einen lasziven Vamp, der sich Riesenspinnen als Schoßtiere hält. Ebenfalls herausragend ist Boris Kochs Beitrag, der Humor und Erotik auf einzigartige Art und Weise verbindet und damit den krönenden Abschluss des ersten Bandes der „Dark Ladies“ bildet. Im Anhang erfährt der Leser mehr darüber, wer hinter den Geschichten steht.

Äußerlich gehören die „Dark Ladies“ zu den edelsten Anthologien auf dem deutschen Buchmarkt. Eine erstklassige Papierqualität bringt die wunderbaren Grafiken von Gaby Hylla auch in Schwarzweiß perfekt zur Geltung. Einige Bilder wirken aufgrund der 3D-Technik zwar etwas hölzern, doch der Großteil ist sehr kunstvoll ausgefallen und passt immer hervorragend zum Inhalt der Geschichten. Bei den Verschnörkelungen vor und nach den Storys sowie bei den Szenentrennern hat man sich ebenfalls sehr viel Mühe gegeben. Um dem guten Eindruck die Krone aufzusetzen, erwartet den Käufer ein einklappbarer Umschlag, auf dessen Innenseiten zusätzliche Grafiken aus Band zwei in Farbe zu betrachten sind.

_Fazit:_

„Dark Ladies“ ist eine wunderschön aufgemachte Anthologie mit dreizehn düsteren Geschichten über wahrhaft dunkle Damen. Abwechslungsreich und äußerst unterhaltsam präsentiert sich dem Leser fast die komplette Bandbreite der düsteren Phantastik.

|237 Seiten, kartoniert
Illustration von Gaby Hylla
ISBN-13: 9783927071254|
http://www.fabylon-verlag.de
http://www.alisha-bionda.net

_Florian Hilleberg_

Harris, Robert – Ghost

Robert Harris ist ein absoluter Ausnahme-Autor. Punkt. Ob man nun seine erschreckenden Zukunftsvisionen „Vaterland“ oder „Aurora“ zur Hand nimmt oder ihn durch ein Stück antike Geschichte in „Pompeji“ oder „Imperium“ begleitet: Der Mann erstaunt immer wieder mit einer begeisternden Tiefe, die weit über die eigentliche Geschichte des jeweiligen Romans hinausgeht. Mit „Ghost“ hat der britische Bestseller-Schreiber ein weiteres ambitioniertes Projekt aus der Taufe gehoben. Eine Art Abrechnung mit der Politik soll es sein – allerdings eine, die sich erwartungsgemäß nicht auf die üblichen Klischees des Polit-Thriller-Sektors stützt.

_Inhalt:_

Der kürzlich aus dem Dienst geschiedene britische Premier Adam Lang bereitet traditionsgemäß eine Nachlese zu seinem Abschied vor. Michael McAra, ein langjähriger Begleiter des Staatsoberhaupts, soll die Memoiren des einstigen Ministers schreiben und ihn so noch einmal als Ehrenmann würdigen. Doch McAra kommt auf mysteriöse Art und Weise ums Leben und räumt seinen Platz für einen Skandal-Biografen, der dafür bekannt ist, selbst die glattesten Karrieren bloßzustellen.

Doch als McAras Nachfolger seinen Dienst antritt, wird er mit zahlreichen ominösen Hindernissen konfrontiert. Er darf das Manuskript seines Vorgängers nicht aus seinem zeitweiligen Arbeitsplatz entnehmen, sieht sich einer verschworenen Mannschaft um den geschiedenen Politiker ausgesetzt und erlebt zudem, dass die Familienbande im Hause Lang deutlich angeknackst sind.

Verheerender als dies scheint jedoch der Umstand, dass die Gerüchte um einen unnatürlichen Tod McAras nicht abflauen. Unbedarft forscht Langs neuer Memoiren-Spezialist inkognito im Skript des Dahingeschiedenen und begibt sich schließlich auf dessen Spur. Als Lang dann auch noch öffentlich angeklagt wird, mit der CIA gemeinsame Sache gemacht zu haben und bei der Entführung und Folterung vier mutmaßlicher Terroristen beteiligt gewesen zu sein, scheint der Eklat perfekt. Ränke und Intrigen scheinen sich im Umfeld es Ex-Premiers zu manifestieren – und mittendrin steht ein Mann, der einen Mythos analysieren soll, der als solcher womöglich gar nicht existiert.

_Persönlicher Eindruck:_

Auf dem Buchrücken von „Ghost“ hat der Verlag die Anmerkung platziert, dass dieses Buch die endgültige Abrechnung mit dem Politiker Blair sein soll. Diese Suggestion weckt natürlich gewisse Erwartungen, die Harris jedoch nur bedingt erfüllen kann, vor allem aber auch nur bedingt erfüllen möchte. Der Autor beschäftigt sich nämlich im Wesentlichen keinesfalls mit einer Politiker-Biografie, sondern entblättert vielmehr das Leben einer Führungspersönlichkeit und die merkwürdigen Gerüchte und potenziellen Skandale, die sich um eine solche Existenz aufbauen können.

Der Ansatz ist dabei mal wieder unheimlich interessant und eröffnet dann auch die Parallele zu besagtem früheren Premier: Harris unterstellt eine Art Selbstbetrug durch die offensichtliche Fälschung des eigenen Handelns in der literarischen Nachlese. Mittels der karriereträchtigen Memoiren soll die politische Führung nicht nur beschönigt, sondern die gesamte Autobiografie ins Rosarote verschoben werden, damit die verdeckten Skandale und Affären unter dem Schwarzweiß-Druck für immer ins Reich der Mythen befördert werden. Gewohntermaßen hat der Autor hierzu wieder einige kluge Charaktere in den Plot eingebaut, wie etwa den Protagonisten, der die Geschichte aus seiner eigenen Perspektive erzählt, hierbei anonym bleibt, aber eben nicht den naiven Typen mimt, den die Lang-Familie für diesen Posten gerne gehabt hätte. Seine Ermittlungen und Analysen der Historie des Premierministers stoßen alsbald auf Widersprüche, die er wiederum dem peniblen Forschungsdrang seines offensichtlich nicht natürlich umgekommenen Vorgängers zu verdanken hat. Und hier beginnt die Geschichte eigentlich erst richtig …

Zu Beginn zieht sich die Handlung allerdings erst einmal ziemlich träge vorwärts. Die Zusammenkunft des Ghostwriters, der hier im Hintergrund für die rechte Politur der Memoiren sorgen soll, mit seinem Auftraggeber ist unspektakulär und langwierig, vor allem aber noch nicht besonders stimmungsvoll. Die Geschichte baut sich verhalten auf, wird dabei Gott sei Dank mit Harris‘ typischem, beißendem Zynismus vorangetrieben, kommt aber erst relativ spät auf den Punkt. In der Zwischenzeit zeichnet der Autor ein feines Diagramm des Lebens in der High Society und beleuchtet hierbei die menschlich-emotionalen Anteile, dies aber wiederum mit einer Nüchternheit, die zuerst abschreckt, dafür aber umgehend den Zugang zu den Personen verschafft. Viele paradoxe Gegebenheiten kommen in „Ghost“ zusammen und stellen letzten Endes die solide Basis für den Plot.

Die (politische) Brisanz hat sich Harris indes für den letzten Teil seines Romans aufgespart, dem Grand Finale, in dem er aber weiterhin auf Effektreichtum und große Ausschweifungen verzichtet und stattdessen ein echtes Drama ausmalt, das genauso rasant wieder beendet wird, wie es kontinuierlich bis zu einem gewissen Höhepunkt wahrlich begeisternd authentisch geschildert wurde.

Die Krux der Rezension besteht nun darin, auf dieses stille Meisterwerk aufmerksam zu machen, ohne jedoch die wesentlichen Inhalte zu verraten. Während dies allgemein jederzeit eine lösbare Aufgabe scheint, tut man sich diesbezüglich mit „Ghost“ unheimlich schwer. Es passiert im Grunde genommen gar nicht viel, doch das, was passiert, ist von einer solchen Tragweite, dass es durchaus auch langfristig zum Nachdenken anregt. Die Story ist pikant, der Umgangston meisterhaft, die Erzählung informativ, aber dennoch lebhaft und der tiefgründige Humor fabelhaft. Oder um es anders zu sagen: Harris hat es wieder geschafft, ein Buch zu schreiben, das gerade deshalb so gut zu ihm passt, weil es eigentlich gar nicht zu ihm zu passen scheint. Paradox? Auf jeden Fall. Aber das sind die Bücher des begnadeten Briten eigentlich immer – und dennoch so beängstigend realistisch.

_Fazit:_

„Ghost“ ist im Gesamtkatalog vielleicht das unauffälligste Buch von Robert Harris, deswegen aber sicher nicht weniger lesenswert. Enttäuschend ist lediglich das Ende, aber das womöglich auch deshalb, weil man ein Spektakel erwartet, das dieser Autor jedoch bewusst nicht liefert. Lässt man diesen Aspekt außer Acht, darf man sich wirklich über ein neues Klassewerk des Bestseller-Garanten freuen.

|Originaltitel: Ghost
Originalverlag: Heyne
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Taschenbuch, Broschur, 398 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-40614-8|
http://www.heyne.de

Mehr von Robert Harris auf |Buchwurm.info|:

[„Vaterland“ 1485
[„Pompeji“ 274
[„Pompeji. Das Hörspiel“ 3530
[„Imperium“ 2916

Deaver, Jeffery – Täuscher, Der

Biometrische Daten – der Weg zum ‚gläsernen Bürger‘, über den zahlreiche Daten, so banal und unerheblich sie auch für uns im Alltag erscheinen mögen, gespeichert werden. Datenschützer, die unsere Grundrechte schon angegriffen und vergewaltigt sehen, gehen auf die Barrikaden und prognostizieren Manipulationen unseres persönlichen und privaten Umfelds, die wir uns (noch) nicht vorstellen können oder vor deren drohender Gefahr wir lieber die Augen verschließen.

Längst schon gibt es Firmen in privater Hand, die unsere Kaufdaten analysieren und mit den Daten prophetische Voraussagen über die nächsten Käufe treffen, die wir tätigen wollen. Auch statistische Ämter und andere staatliche Behörden horten unsere ganz persönlichen Daten. Noch unangenehmer wird es, wenn wir darüber nachdenken, was die vielen verschiedenen Kreditinstitute über uns wissen.

Spinnen wir den Gedanken weiter, dass es eine Firma gibt, die möglichst alle persönlichen, privaten und beruflichen Daten speichert, aufbereitet und daraus strukturierte Dossiers erstellt. Ein Alptraum, erst recht dann, wenn diese Daten durch dritte Personen manipuliert werden, denn Wissen ist Macht und vermag Machtvoles zu tun: Manipulation von Kontobewegungen oder Kreditwürdigkeiten, Veränderungen von offiziellen persönlichen Daten oder medizinischen Details.

Ein Horrorszenario, das bereits einige Male in Buch und Film aufgegriffen wurde. Jeffery Deaver hat mit seinem aktuellen Roman „Der Täuscher“ diese Gefahr zum Kernthema gemacht und wie immer in seinen Thrillern um Lincoln Rhyme und Amelia Sachs einen unaufhaltsamen Spannungsbogen darauf aufgebaut.

_Inhalt_

Lincoln Rhyme ist seit einem Unfall vom Kopf abwärts gelähmt, sein messerscharfer Verstand und seine Fähigkeiten, sich in die Denkweise eines Kriminellen zu versetzen, lassen ihn jedoch weiterhin für jeden Verbrecher zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr werden. Mit psychologischer Raffinesse und der Hilfe seiner Assistentin und Geliebten Amelia Sachs, die die Hände und Augen für den behinderten Ermittler am Tatort ist, kommt es diesmal zu einer persönlichen Konfrontation mit einem Killer, der scheinbar schon seit Jahren sein blutiges Handwerk ausübt.

Ein schockierender Anruf lässt den Kriminalisten Lincoln Rhyme an seine Vergangenheit denken. Vor seiner Karriere als Polizist wuchs er mit seinem Cousin Arthur Ryhme auf. Ihr Verhältnis war eng, sie empfanden fast wie Brüder füreinander, bis sie sich völlig zerstritten und seitdem keinen persönlichen Kontakt mehr pflegten.

Und doch ist für seinen Cousin nun Lincoln die einzige Hoffnung. Arthur ist des vorsätzlichen Mordes angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft, die Kautionssumme ist zu hoch, als dass er bis zum Prozess auf freien Fuß kommen könnte. Die Beweislage ist niederschmetternd und Staatsanwalt wie auch seine Verteidigung bedrängen Arthur, sich schuldig zu bekennen und einzulenken, doch der ehemalige Professor beteuert verzweifelt seine Unschuld. Die Chance, dies zu beweisen, tendiert gegen null, denn in Arthurs Auto wurden das Blut der jungen Frau und andere Spuren gefunden, ein anonymer Anrufer hat ihn zudem aus dem Wohnhaus der Getöteten flüchten sehen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Arthur für die Tatzeit den Beamten kein Alibi vorlegen kann und im Zusammenhang mit dieser Tat ein kostbares Bild gestohlen wurde, für das sich Arthur interessierte.

Lincoln Rhyme folgt dem Bitten von Arthurs Frau und beginnt zusammen mit Amelia Sachs, den Fall zu analysieren. Wenig später stößt das Duo auf zwei weitere Todesfälle, die nach gleichem Muster abgelaufen sind. Kann es sein, dass auch die beiden in diesen Fällen verurteilten und inhaftierten Täter unschuldig sind? Rhyme und Sachs vermuten dies und kommen dem Verhaltensmuster des gefährlichen Killers immer näher. Bei einem weiteren Mord unterläuft dem flüchtenden Täter ein erster gravierender Fehler: Er verliert einen Zettel mit einer Hoteladresse in Manhattan.

Als Sachs diese Adresse prüft, trifft sie auf einen verzweifelten und ruinierten Mann, der behauptet, jemand habe seine Identität erst gestohlen und dann mit Kalkül zerstört. Wer hat in seinem Namen ganze Häuser gekauft und enorme Schulden angehäuft? Seine Familie ist zerstört, seinen Beruf als Arzt darf er nicht mehr ausüben, ihm bleibt nichts mehr. Die Spuren führen Rhyme und Sachs zur führenden Firma in Manhattan, die sich auf Datensammlungen und deren Auswertung spezialisiert hat – Strategic Systems Datacort (SSD). Die Firma kooperiert mit Sachs und ihren Ermittlern, und der Kreis der verdächtigen Personen, die Zugriff auf die enorm ausführlichen Datenmengen hatten, wird enger. Aber auch der Täter beginnt zu ‚ermitteln‘ und nutzt sein Wissen, um systematisch gegen die Polizei vorzugehen. Ein erster Todesfall in deren Reihen beweist, dass er zu allem fähig und entschlossen ist …

_Kritik_

„Der Täuscher“ von Jeffery Deaver ist grandios konzipiert. Mit viel Gespür für unsere ärgsten Alpträume und dem immer wiederkehrenden aktuellen Thema des Datenmissbrauchs und der Datenmanipulation als Grundlage, ist der Roman in seinem Spannungsaufbau kaum zu übertreffen. „Der Täuscher“ ist ein psychologischer Thriller, kein typischer Krimi, denn Lincoln Rhyme und „Täuscher“ fechten hauptsächlich mit ihrer Intelligenz ein Duell aus, das mit einiger Wucht die Gefahren des ‚gläsernen Menschen‘ thematisiert. Wenn Deaver den Täuscher zeigen lässt, welche Daten er sammeln und auswerten kann, um sie dann in teuflischer Weise dafür zu nutzen, um zu seiner eigenen Befriedigung Existenzen zu zerstören, überläuft es den Leser eiskalt.

Die Handlung wird aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt. Neben Lincoln Rhyme, der – an sein Bett oder seinen Stuhl gefesselt und auf die Hilfe seiner Mitarbeiter Amelia Sachs und Ron Pulaski angewiesen – Spur für Spur analysiert, plant sein Gegner minutiös jeden weiteren Schritt, und ist dabei scheinbar immer im Vorteil. Der Täuscher gibt sich selbstsicher und gottgleich, bis er erkennen muss, dass auch er Fehler begeht. Seine Arroganz lässt ihn unvorsichtig werden; zwar versucht er den angerichteten Schaden immer wieder zu begrenzen, doch auch der Protagonist Zufall hat seinen Auftritt und spielt mit.

Wer hinter der Identität des Täuschers steckt, wird bis zuletzt nicht verraten; immer wieder werden Nebenfiguren ins Spiel gebracht, welche die Handlung vorantreiben und durchaus eigene Motive besitzen, um solche Verbrechen zu begehen, doch das Blatt wendet sich unaufhörlich, während sich die Ermittler und der Täuscher ein Psychoduell liefern. Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel zieht sich als roter Faden durch die Handlung.

Doch es gibt auch viele und interessante Nebenhandlungen, beispielsweise wird ein Teil von Lincoln Rhymes Vergangenheit aufgearbeitet. Der unterschwelligen Rivalität und dem Konflikt, der seit Jahren zwischen Arthur und Lincoln vor sich hin dämmert, müssen sich beide stellen. Einige alte Bekannte tauchen wieder neben Rhyme und Sachs auf, wie zum Beispiel Detective Selito. Trotzdem kann man diesen Thriller auch gänzlich unabhängig von den anderen Teilen lesen, da sie nur wenig aufeinander aufbauen.

Den Realismus bezieht die Handlung nicht nur aus den detailierten Ermittlungsmethoden, auch wenn sie vielleicht ein wenig unkonventionell wirken, nein, es sind tatsächlich die Verbrechen, welche der Täuscher verübt. Wie oft hinterlassen wir im Alltag persönliche Daten in Behörden, Geschäften oder bei Banken? Wie oft werden wir gefilmt, ohne es vielleicht zu merken, oder nehmen dies als alltäglich hin, da es unserer Sicherheit dienen soll. Der Täuscher verwendet diese Daten als Waffe, und das sehr effektiv und berechnend – er ist allwissend. Ein Zukunftsszenario? Nein, Jeffery Deaver hat sich größtenteils an Fakten gehalten, und wer mehr über Firmen wissen möchte, die Daten von Privatmenschen sammeln, findet im Anhang einige Internetadressen, die sich mit dem Thema wie auch den Gefahren auseinandersetzen.

Lincoln Ryhme und Amelia Sachs ergänzen sich bei den Ermittlungen gekonnt, jeder Teil dieses Ganzen wäre ohne den anderen zwar immer noch ein guter Ermittler, aber nur zusammen sind sie derart erfolgreich. Lincoln, der körperlich sehr eingeschränkt ist, klingt dabei manches Mal verbittert und kaltherzig. Amelia Sachs dagegen hat sich ihre Menschlichkeit bewahrt und geht eher gefühlsbetont und mit weiblicher Intuition vor. Von beiden Ermittlern erfährt man persönliche Details und nimmt sie als Persönlichkeiten wahr. Der Täuscher dagegen könnte jedermann sein, ein Normalbürger, jemand mit zwei Gesichtern und Persönlichkeiten. Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn ist bei diesem unsichtbaren Gegenspieler fließend und nicht überzogen unrealistisch gezeichnet worden.

_Fazit_

„Der Täuscher“ von Jeffery Deaver ist der achte und sicherlich nicht der letzte Fall des Ermittlungsduos Rhyme und Sachs. Stilsicher und spannend geschrieben, ist „Der Täuscher“ einer der intensivsten Psychothriller des Autors und wird den treuen Leser begeistern, auch wegen der aktuellen Debatte um Daten und ihren Missbrauch, die zum Glück immer wieder in den Medien aufgegriffen wird. Der Roman zeigt erschreckend auf, was passieren kann, wenn sensible Daten in falsche und kriminelle Hände geraten können. Das Gesetz kann hier trotz aller Beteuerungen nur schwerlich helfen und Geheimhaltung garantieren.

„Der Täuscher“ ist also in der Summe ein genialer, tiefsinniger und psychologischer Thriller, der spannender kaum gemacht sein könnte. Jeffery Deaver hat mit diesem Roman einen seiner Höhepunkte als Schriftsteller erreicht.

_Der Autor_

Jeffery Deaver wurde 1950 in der Nähe von Chicago geboren. Bereits mit elf Jahren schrieb er sein erstes Buch – es bestand aus zwei Kapiteln. Er studierte Journalismus und arbeitete danach als Autor für ein Magazin, ehe er sich an der Fordham Law School für ein Jurastudium einschrieb. Nach seinem Abschluss war er mehrere Jahre als Anwalt an der Wall Street. Auf den langen Bahnfahrten zu seinem Arbeitsplatz begann er, Thriller zu schreiben – übrigens auch seine bevorzugte Lektüre. Seit 1990 arbeitet er hauptberuflich als Schriftsteller und gilt seitdem als einer der erfolgreichsten Thrillerautoren. Seine Bücher erscheinen in 150 Ländern, werden in 25 Sprachen übersetzt und stehen weltweit ganz vorne auf den Bestsellerlisten.

Für seine Romane und Kurzgeschichtensammlungen hat er zahlreiche Preise erhalten. Sechsmal war er für den Edgar Award der Mystery Writers of America nominiert und ist unter anderem mit dem Steel Dagger Award und dem Short Story Dagger Award der British Crime Writers Association ausgezeichnet worden.

„Dead Silence“ (Buchtitel: „Die Schule des Schweigens“) wurde mit James Garner in der Hauptrolle verfilmt und lief im Fernsehen. Der erste Roman um den gelähmten Ermittler Lincoln Rhyme, „Der Knochenjäger“ (Buch: „Die Assistentin“), kongenial besetzt mit Denzel Washington und Angelina Jolie, war auch in den Kinos ein großer Erfolg.

„Die Menschenleserin“ war 2008 der Auftakt zu einer neuen Serie um die Verhörspezialistin Kathryn Dance. Weitere Romane um Lincoln Rhyme und seine Partnerin Amelia Sachs sind in Vorbereitung. Jeffery Deaver lebt abwechselnd in Virginia und Kalifornien.

|Originaltitel: The Broken Window
Lincoln Rhyme, Band 8
Übersetzung von Thomas Haufschild
543 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7645-0296-6|

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http://www.jeffery-deaver.de

_Mehr von Jeffery Deaver auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Teufelsspiel“ 2272
[„Der faule Henker“ 602
[„Das Gesicht des Drachen“ 608
[„Der Insektensammler“ 1449
[„Tod eines Pornostars“ 2177
[„Lautloses Duell“ 1631
[„Die Saat des Bösen“ 1191

Kenner, Julie – Dämonen zum Frühstück (Die unglaublichen Abenteuer der Kate Connor 1)

Seit den Präsidentschaftswahlen in den USA im vergangenen Jahr kann auch jeder Bundesbürger etwas mit dem Begriff Soccer Mom anfangen. Eine Soccer Mom fährt mit ihrem riesigen Van die Kinder zur Schule, geht bei Wal-Mart einkaufen, holt die Kinder wieder ab, fährt sie zum Fußball, Ballett oder Kino und dazwischen macht sie den Haushalt und ist ihrem Ehemann eine treusorgende Ehefrau. Das klingt zunächst weder spannend noch nach dem Stoff für einen Roman, und doch hat sich Julie Kenner in „Dämonen zum Frühstück“ genau solch einer Soccer Mom angenommen.

Nun gut, es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass die Protagonistin des Romans, die zweifache Mutter Kate Connor, früher mal für die Forza – die Dämonenabteilung des Vatikan – Untote und Dämonen zur Strecke gebracht hat. Aber das ist schon seit Jahren vorbei. Mittlerweile ist sie mit dem Juristen Stuart verheiratet und hat zwei Kinder, eins im Teenager- und eins im Windelalter. Tatsächlich ist zu Beginn des Romans ihr größtes Problem eine Dinnerparty, die ihr Mann ihr kurzfristig aufs Auge drückt. Stuart will nämlich als Bezirksrichter kandidieren und muss dafür natürlich viele Hände schütteln. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass Horden von Politikern in Kates Haus einfallen und sie ihnen Delikatessen und teuren Wein auftischt, während sie gepflegte Konversation betreibt und die perfekte Ehefrau spielt. Für die meisten Frauen wäre schon diese Aufgabe Stress pur, doch Kates Situation verschlechtert sich schlagartig, als frühmorgens ein Dämon durch ihr Küchenfenster springt und sie zu töten versucht.

Plötzlich sieht sich Kate also mit mehreren Problemen konfrontiert: Sie war einst in das Städtchen San Diablo gezogen, weil es dort eben keine Dämonenaktivität gab. Wo kommt also plötzlich dieser Dämon her und was will er von ihr? Wie kann sie die Leiche verschwinden lassen? Und schafft sie es noch rechtzeitig, die Party vorzubereiten?

Julie Kenners Romanidee klingt zunächst spannend und kurzweilig: Was würde wohl passieren, wenn jemand wie die allseits bekannte Buffy Summers die Vampirjagd aufgibt und stattdessen sesshaft wird – so ganz klassisch mit Kind und Kegel? Und was passiert, wenn ihr altes Leben dann doch wieder an die Türe klopft? Dieser Clash der Kulturen könnte sich durchaus faszinierend gestalten, und doch schafft es Kenner nicht ganz, den Bogen zwischen humoristischer Frauenliteratur und fetziger Dämonenjagd zu schlagen.

Kenner schreibt ihre Kate Connor – die ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt – flott und frei von der Leber weg. Das soll natürlich spritzig wirken und dem Leser den ein oder anderen Lacher entlocken. Nur leider traut Kenner ihrer Leserschaft nicht über den Weg. Jede ironische Bemerkung erklärt sie dem Leser groß und breit, was natürlich den Witz im Keim erstickt. Und ihr kurzweiliger Erzählstil führt hauptsächlich dazu, dass sie von einem Thema zum nächsten springt, in der Regel mit in Klammern gesetzten Einschüben, die auch schon mal eine halbe Seite in Anspruch nehmen können. Das nimmt das Tempo aus der Erzählung und nervt nach einer Weile nur noch.

Apropos nerven: Wer schon immer mal einen Roman über den Tagesablauf einer Hausfrau mit zwei Kindern lesen wollte, der ist bei „Dämonen zum Frühstück“ an der richtigen Adresse. Wer aber auf einen spannenden Roman hofft, in dem wenigstens zwischenzeitlich dämonisch die Post abgeht, der wird sich bei der Lektüre schnell langweilen. Kenner interessiert sich offensichtlich mehr fürs Hausfrauliche als fürs Dämonenjagende in Kate Connors Charakter. Wir erfahren nämlich ganz viel über Partys, Delikatessgeschäfte, pubertierende Mädchen, die Windeln eines Zweijährigen, Kates beste Freundin und darüber, dass deren Mann (der im Übrigen nie im Roman auftaucht) eine Affäre hat. Wir lernen was über Kindererziehung und wie man Leute verköstigt, wenn man nicht kochen kann. Wir begleiten Kate dabei, wie sie Todesängste aussteht, als sie ihren Sohn das erste Mal in den Kindergarten bringt, und steigen in die politische Karriere ihres Mannes ein. Wir erfahren dagegen ganz wenig über den Vatikan und dessen Geheimorganisation Forza oder Dämonen im Allgemeinen und Besonderen. Obwohl Kenner mehrmals von „Dämonen niederer und höherer Ordnung“ spricht, sieht sie sich nie bemüßigt, diese Begriffe wenigstens skizzenhaft auszuführen. So sind die Dämonen zwar irgendwie da, bleiben aber unerklärt – eine eigene Mythologie macht Kenner nicht auf.

Damit gibt es in „Dämonen zum Frühstück“ zwar ganz viel „Desperate Housewives“, aber ganz wenig „Buffy“, ganz viel amerikanische Alltagskultur, aber ganz wenig Dämonenjagd. Der Plot um den Oberdämon, der nach irgendeiner unbekannten Reliquie sucht, bleibt dünn und uninspiriert und die Auflösung am Schluss erweist sich kaum als überraschend. Überhaupt besteht Kates Dämonenjagd hauptsächlich darin, dass sie im verstaubten Kirchenarchiv sitzt und nach etwas sucht, von dem sie nicht weiß, was es ist. Diese Recherche-Szenen wiederholen sich, ohne dass sie den Plot voranbringen. Das wirkt auf Dauer ermüdend.

Genauso ermüdend sind die männlichen Charaktere, die Kenner einbaut. Kates Mann Stuart ist praktisch nie da (er arbeitet schließlich hart an seiner politischen Karriere), und da man die beiden selten zusammen als Eltern oder Ehepartner sieht, kann man nicht nachvollziehen, was Kate an ihm findet. Larson, der Kate als |alimentatore| (bei „Buffy“ würde man ihn Wächter nennen) vom Vatikan an die Seite gestellt wurde, zieht sich ebenfalls ständig aus der Affäre und taucht im Roman hauptsächlich auf, um Kate zu erklären, dass er keine Zeit hat und ins Gericht zurück muss (im Hauptberuf ist er Richter). Die einzige rühmliche Ausnahme ist der Karatetrainer Cutter, bei dem sich Kate kurzentschlossen anmeldet, um wieder in Form zu kommen. Cutter ist witzig und schlagfertig, definitiv eine Bereicherung für den Roman.

„Dämonen zum Frühstück“ ist ein Roman für Hausfrauen, die sich ein wenig mehr Action in ihrem Alltag wünschen. Wollte man Kenner hehre moralische Absichten unterstellen, so könnte man den Roman als ein Plädoyer dafür lesen, dass Mütter zurück in den Beruf sollten und es nicht verwerflich ist, sein Kind in eine Betreuung zu geben. Tatsächlich lässt Kenner Kates beste Freundin an einer Stelle sagen: „Du bist jetzt nicht mehr nur Hausfrau und Mutter. Kate Connor, du hast jetzt einen Job, der dich tagsüber beschäftigt.“ Eine solche Message ist natürlich zu begrüßen, doch scheint es, dass Kate Connor Probleme mit ihrem neuen „Job“ hat. Sie kann sich nicht recht trennen von ihrem Hausfrauendasein. Im Arbeitsleben ist sie jedenfalls noch lange nicht angekommen, und so mäandert der Roman irgendwo zwischen Küche und Waschmaschine und lässt dabei große Höhepunkte vermissen.

|Originaltitel: Carpe Demon
Übersetzung von Mechthild Barth
411 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-453-53283-0|
http://www.heyne.de

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Nix, Garth – Listiger Freitag (Die Schlüssel zum Königreich / Keys to the Kingdom 5)

[„Schwarzer Montag“ 3719 (Die Schlüssel zum Königreich 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Grimmiger Dienstag“ 3725 (Die Schlüssel zum Königreich 2)
[„Grimmiger Dienstag“ 4528 (Hörbuch)
[„Kalter Mittwoch“ 4242 (Die Schlüssel zum Königreich 3)
[„Kalter Mittwoch“ 5101 (Hörbuch)
[„Rauer Donnerstag“ 4831 (Die Schlüssel zum Königreich 4)
[„Rauer Donnerstag“ 5051 (Hörbuch)

_Vom Regen in die Traufe!_ Da hat Blatt es tatsächlich geschafft, Susi Türkisblau das verhängnisvolle Stück Stoff aus Arthurs Hemd zu übergeben, und dann landet sie ausgerechnet in den Fängen von Lady Freitag! Völlig klar, dass sie dort nichts Gutes erwartet. Aber was genau hat die Lady vor? Und was hat es mit all diesen seltsam schlafwandelnden Menschen auf sich?

Arthur ergeht es nicht viel besser. Durch einen Trick landet er in Lady Freitags Domäne, was ja eigentlich gar nicht so schlecht wäre in Anbetracht der Tatsache, dass Arthur ohnehin als nächstes den fünften Vermächtnisteil befreien und Lady Freitag ihren Schlüssel abnehmen muss. Leider ist er unpraktischerweise nahezu direkt vor den Füßen einer Horde Bringer gelandet, die er erst mal wieder loswerden muss. Und zu allem Überfluss hat er offenbar auch noch zwei Gegenspieler, die es ebenfalls auf Lady Freitags Schlüssel abgesehen haben …

_Auch diesmal gibt es wieder_ einige neue Charaktere: Da wäre zum Beispiel Papierschieber Pirkin, der so außerordentlich auf die wenigen Vorrechte seiner Gilde bedacht ist und Arthur samt Begleitern deshalb nur äußerst widerwillig auf seinem Floß mitnimmt, gleichzeitig aber offenbar keinerlei Probleme damit hat, Arthur geheime Briefe lesen zu lassen. Oder Meistereinbinder Jakem, der Arthur so ausgesprochen höflich willkommen heißt, mit seiner Unterstützung dafür aber wesentlich geiziger ist als der pingelige und nörgelnde Pirkin. Oder Harrison, der alte Mann, der sich um die Schläfer in den Sälen Lady Freitags kümmert und solche Angst vor seiner Vorgesetzten hat, dass er sich trotz seines Heimwehs nicht getraut, auch nur über eine Fluchtmöglichkeit nachzudenken, bis Blatt ihm ordentlich einheizt.

Und dann ist da natürlich noch Lady Freitag selbst, die Blatt entführt hat, um Arthur mit ihr zu erpressen, und außerdem Blatts Tante, um Blatt damit zu erpressen, und die außerdem einem ausgefallenen Vergnügen frönt, das selbst an einem Ort wie dem Haus illegal ist!

Leider ist über die Neuzugänge weiter nichts zu sagen. Allein Pirkin und Jakem reichen ein wenig über grobe Skizzierung hinaus, und selbst diese beiden sind nicht wirklich lebendig ausgefallen. Der neue Vermächtnisteil lässt im Vergleich zu seinen Vorgängern ebenfalls Profil vermissen, vielleicht, weil er das ausgleichende Element darstellt. Besonders enttäuscht war ich allerdings von Lady Freitags Charakter. So einfallsreich ihre Falle aufgestellt war, so fade wirkte sie als Person. Hier ist der fünfte Band der Reihe stark hinter dem vierten zurückgeblieben.

_Auch die Handlung_ ist diesmal nicht ganz so fesselnd ausgefallen, dafür verläuft alles zu glatt und zu problemlos. Außer den Bringern und einem Nichtling stellen sich Arthur diesmal kaum Schwierigkeiten in den Weg. Gleich zu Beginn findet er eine Möglichkeit, das Versteck des Vermächtnisteils zu orten, sowie rechtzeitig Helfer, die ihn an sein jeweils nächstes Ziel bringen. Und auch den Showdown kann man kaum als solchen bezeichnen. Immerhin hatte ich nach Lady Freitags Worten an Blatt etwas mehr Tatkraft erwartet, als es schließlich so weit war. Stattdessen hat sich Blatts Entführung als ziemlich überflüssig erwiesen.

Interessant fand ich dagegen die Ideen im Zusammenhang mit der Magie, so unter anderem das textuell angereicherte Wasser, das alles ertränkt, was nicht beschrieben ist, und genauso gut bergauf wie bergab fließen kann; die streunenden Samenschoten; und natürlich Lady Freitags Spiegel. Gefallen haben mir auch die Krieger Lady Freitags, die Vergoldeten Jünglinge und die geflügelten Diener der Nacht, wenngleich ich sagen muss, dass ein paar Details mehr in diesem Zusammenhang nicht geschadet hätten. Zum Beispiel hätte ich gern gewusst, warum die geflügelten Diener der Nacht nicht sprechen.

_Um die Verluste_ in Handlung und Charakterzeichnung auszugleichen, reichen diese Punkte allerdings nicht aus. Dabei hätte dieser Band so viele Möglichkeiten für Verwicklungen und Hindernisse geboten, immerhin hat Arthur diesmal gleich drei Gegner, die sich allerdings erstaunlich wenig bemerkbar machen, wenn man bedenkt, dass sie zu den mächtigsten Leuten im ganzen Haus gehören. Womöglich wäre weniger hier mehr gewesen, hätte Garth Nix sich auf einen Widersacher beschränkt und diesen dafür etwas stärker ausgebaut. Erhabene Samstag bot sich dafür nur wenig an, da sie als Kontrahentin im sechsten Band benötigt wird. Lady Freitag dagegen hätte nach dem Scheitern ihrer List nicht unbedingt wie eine schlaffe Stoffpuppe wirken müssen, wo sie doch noch ein Ass im Ärmel hatte.

So aber konnte der fünfte Band mit den ersten vier nicht wirklich mithalten. Schade.
Bleibt zu hoffen, dass der Zyklus im nächsten Band wieder etwas mehr Fahrt aufnimmt und Erhabene Samstag als Gegnerin wieder etwas mehr Biss zeigt.

_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Aus seiner Feder stammen der Jugendbuchzyklus |Seventh Tower| sowie die Trilogie |Das alte Königreich|. Der sechste Band aus der Reihe |Keys to the Kingdom|, „Mächtiger Samstag“, erscheint am 14. April 2009, die Lesung von Oliver Rohrbeck zwei Monate darauf.

|Originaltitel: Lady Friday (The Keys to the Kingdom, Vol. 5)
Übersetzt von Axel Franken
300 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Mit Illustrationen von Daniel Ernle
Empfohlen ab 10 Jahren|
http://www.ehrenwirth.de/

Außerdem von Garth Nix auf |Buchwurm.info|:

[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)

Robert Louis Stevenson / Lloyd Osbourne – Die falsche Kiste

Das geschieht:

Vor vielen Jahren zahlte der Kaufmann Jacob Finsbury aus London im Namen seiner beiden Söhne Joseph und Masterman je 1000 Pfund in eine Tontine ein: 36 Väter handelten ebenso, das Geld wurde zinsbringend angelegt, und dem letzten noch lebenden Sohn – und nur diesem! – wird es ausbezahlt!

Inzwischen ist es beinahe so weit. Die letzten beiden Kandidaten sind ausgerechnet Joseph und Masterman, die einander keineswegs in brüderlicher Liebe zugetan sind. Der leichtlebige Joseph steckt zudem in finanziellen Schwierigkeiten. Er hat das Erbteil seiner Neffen John und Morris durchgebracht. Vor allem Morris macht ihm deshalb das Leben zur Hölle. Die inzwischen auf stolze 116.000 Pfund angewachsene Tontine soll den Familienfrieden wieder herstellen. Mit Michael, Mastermans Sohn, einem gerissenen Winkeladvokaten, kann man sich einigen, denkt Morris. Als der ablehnt, wittert Morris Betrug: Lebt Masterman überhaupt noch oder will Michael nur diesen Anschein erwecken, um die Tontine an sich zu reißen?

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