Richard S. Prather – Blaue Bohnen zum Frühstück

Ein Privatdetektiv gerät zwischen die Fronten eines örtlichen Gangsterkriegs. Beide Parteien halten ihn für einen Handlanger des Gegners und schicken ihm ihre Revolvermänner auf den Hals, während er nicht nur sich selbst, sondern gleich zwei junge Frauen retten muss … – „Hard-boiled“-Krimi aus einer lang laufenden Serie, die praktisch sämtliche Klischees vom eisenharten Schnüffler und Frauenhelden bedient und heute eher vergnüglich als spannend wirkt, wenngleich der Autor seinen Job versteht und gutes Handwerk abliefert. Richard S. Prather – Blaue Bohnen zum Frühstück weiterlesen

Stieg Larsson – Vergebung (Millennium 3)

Ein Jahr mussten die Leser warten, um endlich zu erfahren, wie das große Finale von Stieg Larssons „Millennium-Trilogie“ aussieht. Nun liegt mit „Vergebung“ der heiß ersehnte letzte Band der Reihe vor. „Verdammnis“, der Vorgängerband, endete derart abrupt mitten in der Handlung, dass man als Leser schon etwas unbefriedigt und ungeduldig wartend zurückblieb. „Vergebung“ knüpft unmittelbar an die Geschehnisse in „Verdammnis“ an.

Lisbeth Salander wird mit einer Kugel im Kopf in die Notaufnahme eines Göteborger Krankenhauses gebracht. Sie hat die Auseinandersetzung mit Alexander Zalatschenko, dem kriminellen russischen Ex-Spion, nur knapp überlebt. Und kaum ist sie aus dem Gröbsten raus und so langsam auf dem Wege der Besserung, da soll ihr auch schon der Prozess gemacht werden. Auch wenn sich die Mordanschuldigungen nicht erhärtet haben, so wird Lisbeth doch noch eine ganze Reihe von Taten zur Last gelegt, für die sie sich vor Gericht verantworten soll.

Der schwedische Geheimdienst setzt derweil alles daran, die Ermittlungen so zu beeinflussen, dass der Prozess nach ihren Wünschen enden wird. Lisbeth soll mundtot gemacht werden und für möglichst lange Zeit in der Psychiatrie verschwinden. Doch Lisbeth hat noch einen starken Verbündeten: Mikael Blomkvist. Mikael sammelt fleißig Beweise für Lisbeths Unschuld und versucht das Komplott gegen sie möglichst lückenlos aufzudecken. Doch das ist kein leichtes Unterfangen. Von höchster Stelle werden Mikael Steine in den Weg gelegt. Doch Mikael setzt alles daran, die Sache restlos aufzuklären …

Nachdem Stieg Larsson schon mit den beiden Vorgängerbänden „Verblendung“ und „Verdammnis“ zwei äußerst spannende Romane abgeliefert hat, sind die Erwartungen an das Finale logischerweise groß. Nachdem er am Ende des zweiten Teils ein wenig über das Ziel hinaus geschossen ist und Lisbeth im Licht der Ereignisse plötzlich wie ein mutierter Superheld erschien, wird die Handlung mit Beginn des dritten Teils wieder etwas bodenständiger.

Für Spannung ist dennoch von Beginn an reichlich gesorgt. Zunächst einmal müssen die Ärzte Lisbeths Leben retten, und kaum, dass es ihr dann etwas besser geht, muss sie auch schon anfangen, um ihre Sicherheit zu fürchten. Währenddessen sammelt Mikael Material, um die letzten Lücken in seiner Story abzudichten. Auch hier ist für Spannung stets gesorgt, denn die Gegenspieler vom Geheimdienst sind über die zu erwartende Bedrohung im Bilde und man erwartet jederzeit Aktionen, die eine Veröffentlichung des Materials vereiteln sollen.

Man weiß inzwischen, dass die Bösewichte skrupellos genug sind, um sich und ihre Machenschaften auch mit drastischen und endgültigen Maßnahmen zu schützen, und so hält Larsson den Spannungsbogen über Hunderte von Seiten auf konstant hohem Niveau. Selbst wenn er einen Nebenplot eröffnet, bleibt die Geschichte temporeich und durchgängig fesselnd. Der hauptsächliche Nebenplot dreht sich um die „Millennium“-Chefredakteurin Erika Berger, die ihren neuen Posten bei einer großen Tageszeitung antritt.

Larsson baut immer wieder Sprünge ein, so dass man ständig auf dem Laufenden darüber ist, was in anderen Erzählsträngen passiert. Auf diese Weise hält er den Leser dicht am Geschehen und lässt „Vergebung“ damit zu einem echten „Page-Turner“ werden. Man kommt einfach nicht los von dem Buch, und ich muss sagen, dass ich schon lange nicht mehr so schnell durch knapp 850 Seiten gekommen bin, wie bei diesem Buch. Man kann einfach nicht die Finger davon lassen, und die Versuchung ist groß, alles andere um sich herum umgehend zu vergessen.

Der konsequent aufstrebende Spannungsbogen ist damit schon mal die wichtigste Qualität von „Vergebung“. Eine weitere liegt, wie schon in den Vorgängerbänden, in der Figurenskizzierung. Lisbeth Salander hat vor allem mit „Verdammnis“ an Profil gewonnen, und obwohl sie dabei am Ende wie ein mutierter Superheld wirkt, bleibt sie als Figur interessant. Sie ist eine äußerst ambivalente Figur – unglaublich scharfsinnig und klug, wenngleich sie in Sachen soziale Kompetenz so ihre Defizite hat. Sie hat etwas eigenwillige moralische Ansichten, aber ist im Grunde ein ehrlicher Mensch. Es ist gerade auch die Figur der Lisbeth Salander, die den Reiz der Geschichte ausmacht. In „Vergebung“ zu sehen, welche Maßnahmen sie ergreift, um sich selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, trägt sehr zum Lesegenuss bei.

Die gesamte Spannung der Buches läuft im Grunde auf einen Punkt hinaus: den Prozess gegen Lisbeth. Als der dann vorbei ist, fällt damit die Spannung logischerweise erst einmal ab. Aber dennoch setzt Larsson noch einen weiteren Finalpunkt, der auf den letzten Metern erneut an der Spannungsschraube dreht.

Und so kann man das Buch am Ende im Grunde sehr zufrieden zuschlagen und den Puls langsam wieder runterfahren. „Vergebung“ ist das durch und durch spannende Finalspektakel der „Millennium-Trilogie“. So wirklich nennenswerte Kritikpunkte mögen mir da nicht einfallen, außer vielleicht, dass ich an den Tagen, an denen ich mit dem Buch beschäftigt war, etwas wenig geschlafen habe.

„Vergebung“ ist ein stimmiger und sehr lesenswerter Schlussakkord einer größtenteils wirklich gut durchkomponierten Trilogie, die gerade auch durch ihre ausgefeilte Figurenzeichnung überzeugt. Wer es spannend mag, für den führt vor allem nach diesem fulminanten Finale eigentlich kein Weg daran vorbei, alle drei Bände der Reihe zu lesen. Sie bauen ohnehin aufeinander auf, so dass von einem Quereinstieg dringend abzuraten ist.

Stieg Larsson (* 15. August 1954 als Karl Stig-Erland Larsson in Umeå, Schweden; † 9. November 2004 in Stockholm) war ein schwedischer Journalist, Schriftsteller und Herausgeber des antifaschistischen Magazins „EXPO“. Er galt weltweit als einer der führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus. Noch vor seinem Tod konnte er drei Kriminalromane fertigstellen, die jedoch erst posthum veröffentlicht wurden. Stieg Larsson starb 2004 an den Folgen eines Herzinfarktes. 2006 erhielt er posthum den skandinavischen Krimipreis |Glasnyckeln| für „Verblendung“, welches ein Jahr zuvor bereits vom schwedischen Buchhandel zum besten Buch des Jahres gewählt worden war.

Im März 2008 sollen die Dreharbeiten für die Verfilmungen der Millennium-Trilogie beginnen. Für den ersten Teil „Verblendung“ sind ein Kinofilm (Premiere wahrscheinlich 2009) und zwei je 90 Minuten lange Teile für das Fernsehen geplant. Die Bände „Verdammnis“ und „Vergebung“ werden nur fürs Fernsehen verfilmt. In den Hauptrollen werden Michael Nyqvist als Mikael Blomkvist und Noomi Rapace-Norén als Lisbeth Salander zu sehen sein.

Stieg Larssons Millennium-Trilogie:

„Verblendung“ (Män Som Hatar Kvinnor, 2005; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2006)
„Verdammnis“ (Flickan som lekte med elden, 2006; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2007)
„Vergebung“ (Luftslottet som sprängdes, 2007; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2008)

Goingback, Owl – Crota

_Inhalt:_

Es wird Crota genannt … und es ist erwacht. Sheriff Skip Harding wird zum Schauplatz eines Doppelmordes gerufen, der alles in den Schatten stellt, was er bisher gesehen hat: Die Leichen sind schauderhaft zugerichtet und regelrecht in Stücke gerissen.

Allgemein hält man es für das Werk eines Bären. Doch der Schamane Jay Little Hawk, im bürgerlichen Beruf ein Wildhüter, weiß es besser: Es ist Crota, eine blutrünstige Bestie aus Legenden seines Volkes – die besagen, dass Crota eines Tages erwachen und sein Blutdurst keine Grenzen kennen wird. Und dieser Tag scheint gekommen …

_Meine Meinung:_

Tief in der Erde, aus einer frühen Zeit erwacht, lauert das Böse – ein Unwesen, das Menschen mordet, weil es sie hasst. Der Stoff, aus dem die Horrorträume sind und leben! Nichts Neues, möchte man meinen, doch das könnte man bei jedem Buch sagen, das heutzutage die Leserschaft erreicht. Die Kunst besteht mittlerweile darin, Althergebrachtes mit Neuem zu verquicken, und das ist in „Crota“ bestens gelungen.

Als Opener des Romans dient ein brutaler Doppelmord. Die Handlung beginnt somit mit Pauken und Trompeten und zieht den Leser sofort in das Geschehen. Somit ist Owl Goingback schon der erste Schritt des kleinen Autoren-Einmaleins gelungen, denn die ersten Worte binden den Leser an das Buch oder nicht. Hier ist es Ersteres.

Sheriff Skip Harding bekommt es mit einem Fall zu tun, der alles andere als alltäglich ist – auch in der Brutalität, mit der die Opfer getötet und förmlich ausgeweidet wurden. Und nichts scheint an diesem Fall „gewöhnlich“. Denn selbst als Harding dem Ungeheuer begegnet, das für die Morde – den ersten beiden folgen schnell weitere – verantwortlich zu sein scheint, stellt sich ihm die Frage, ob ihn eine Halluzination heimgesucht hat, denn was er gesehen hat, kann einfach nicht der Realität entsprechen. Aber schnell stellt sich heraus, dass dem doch so ist, und so beginnt der Sheriff, „Ursachenforschung“ zu betreiben. Dabei stehen ihm Strong Eagle, ein weiser Indianer, und Little Hawk, dessen Großmutter Indianerin war, zur Seite.

Dem entgegen wirkt sein Hilfssheriff, der selbst scharf auf den Posten des Sheriffs ist und sich eigenmächtig mit einigen Männern hinab in die Tiefen begibt, in denen der „Crota“ hausen soll. Ein gefährliches Unterfangen, bei dem die Männer mehr als eine Überraschung erleben.

Die Handlung verdichtet sich besonders ab Hälfte des Bandes, wenn immer mehr Erinnerungsfragmente einzelner Charaktere eingewoben werden und „Crota“ zu einem runden Buch machen, das eher in das Genre „Mystery-Thriller“ gehört, da es perfekt Brücken zwischen dem Mystischen und einem gehörigen Nervenkitzel schlägt. Owl Goingbacks Stil ist eine gute Mischung aus „gehobener Alltagssprache“ und „horrorlastigen Szenerien“. Der Autor spielt gekonnt mit Spannungsrhythmen, die mal moderat daherkommen und dann innerhalb weniger Zeilen anziehen. Die Romanhandlung ist eine ausgereifte Verquickung von düsterem Thrill, profilierten Charakteren und der Mythologie der Indianer. Letztere hätte noch mehr in den Roman einfließen dürfen. Die verschiedenen Handlungsstränge sind allesamt straff aufgebaut und spannend geschrieben – der Roman weist nur eine Länge auf: Das ist der Teil, in dem die Polizeiarbeit allzu detailliert beschrieben wird – was den Lesefluss leider in diesem Part etwas hemmt. Aber das ist das einzige kleine Manko in diesem unterhaltsamen und stimmungsvollen Band.

Zur Aufmachung bliebe zu sagen: Wie immer liefert der |Otherworld|-Verlag sehr gute Qualität ab. Die großformatigen Hardcovers sind wahre Sammlerstücke; im Falle von „Crota“ mit einem sehr ansprechenden und stimmigen Covermotiv und einem sauberen Blocksatz auf dem Backcover, das darüber hinaus noch eine kleine Grafik (Ausschnitt des Covermotivs) ziert. Entfernt man den Schutzumschlag, findet sich ein edler roter Einband mit Goldschrift, der durch seine schlichte Eleganz zu überzeugen weiß. Auch im Innenbereich wurde ansprechend gearbeitet, sei es die Papierqualität, die Innengrafik oder der augenfreundliche Satz. Der Titel weist somit auch handwerklich – bis auf erfreulich wenige Patzer des Lekorates – zu überzeugen. Und einmal mehr wird erkennbar, dass sich die Bücher des |Otherworld|-Verlages durchaus mit den Produkten der Großverlage messen können. Wer nicht nur „fast-lecture“ sucht, sondern nach dem Lesegenuss auch ansprechende Bücher in seinem Regal zu stehen haben möchte, der ist bei diesem Verlag an der besten Adresse.

_Fazit:_ „Crota“ ist ein atmosphärischer Mystery-Thriller, der an die frühen King-Romane und Dean Koontz erinnert – und doch eine eigene „Sprache“ besitzt. Für jeden Leser des guten Horrors empfehlenswert.

|Originaltitel: Crota, USA, 1996
Otherworld, Graz, 2007
ISBN 9783950218534
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Titelillustration und Innenillustrationen von Jan Balaz
Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 300 Seiten Paperback Großformat|
http://www.otherworld-verlag.com

Shocker, Dan / Merlau, Günter / Sunjic, Janet – Fluch der blutenden Augen, Der (Larry Brent: Hörbuch 4)

Hörbuch 3: [„Nachts, wenn die Toten kommen“ 4810

Eigentlich wollte Larry Brent, seines Zeichens Spitzenagent der PSA, in London nur Urlaub machen. Doch gerade als er mit einer hübschen Inderin eine Geisterbahnfahrt unternimmt, holt ihn das Grauen ein: Seine aparte Begleiterin wird brutal ermordet, von dem Täter indes gibt es keine Spur.

Larry ahnt, dass mehr hinter diesem feigen Mord steckt, und er soll Recht behalten. Das Taxi, welches ihn ins Hotel bringen soll, ist eine Falle. Nur mit Mühe und unter Einsatz seiner |Smith & Wesson|-Laser kann er entkommen. Der Fahrer stirbt und bei der Bergung des Fahrzeuges, welches in der Themse landete, wird eine weitere Leiche gefunden. Der echte Taxifahrer wurde zuvor erschlagen und in den Kofferraum gelegt. Der Fahrer, der Larry chauffierte, war ein Mitglied der unheimlichen Sekte, die Larry Brent auf den Fersen ist.

Noch tappt der Agent im Dunkeln, doch schon im Hotel wartet die nächste Überraschung auf ihn: Auf dem Balkon seines Zimmers wird er von einem Inder angegriffen, den er ebenfalls zurückschlagen kann. Nur der Name „Robertson“ entweicht noch den Lippen des Meuchelmörders. Larry Brent ahnt, dass er das Opfer einer Verwechslung wurde, einer tödlichen Verwechslung, denn seine Gegner sind erbarmungslos. Von Scotland Yard erfährt Brent den Namen seiner indischen Begleiterin aus der Geisterbahn. Er stattet ihrem Vater, dem indischen Geschäftsmann Rasmandah, einen Besuch ab, nicht ahnend, dass er damit in die Höhle des Löwen gerät, denn der Inder huldigt einem grausamen Kult um die Blutgöttin Kali …

_Meine Meinung:_

Dan Shocker erzählt eine sehr rasante und spannende Geschichte um einen blutigen Götzenkult. Die Story ist natürlich reiner Trash, das merkt man deutlich an den unglaublichen Zufällen, durch die Larry erst in den Fall hineinstolpert. Der PSA-Agent macht just zu dem Zeitpunkt Urlaub in London, als sich Rasmandah auf die Suche nach dem verschollenen Forscher Robertson macht. Dass der Abenteurer dem sympathischen Brent zum Verwechseln ähnelt, trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Geschichte bei. Wenn man sich jedoch auf die Handlung einlässt und für die abgedrehten Ideen des Autors etwas übrig hat, wird der Hörer bestens unterhalten.

Die Szenen in dem Anwesen des fanatischen Inders und Larrys Transport nach Indien sind hochspannend und nichts für Leute mit schwachen Nerven. An Dynamik, Witz und Tempo gewinnt der Roman zudem aufgrund der Inszenierung durch Rainer Schmitt, der die Story flott und sicher erzählt und dabei sein ganzes schauspielerisches Talent unter Beweis stellt. Wie er seine Stimme den unterschiedlichen Charakteren anzupassen vermag, ist schlicht phänomenal, insbesondere dann, wenn Schmitt plötzlich lauthals den Kummer einer verzweifelten Mutter über das Verschwinden ihres Kindes ins Mikrofon ruft oder als Marktschreier Kunden für die Geisterbahn anlocken will. Ein Lob gebührt auch dem Produzenten Günter Merlau von |Lausch| und der Regisseurin Janet Sunjic (ebenfalls |Lausch|), die zur rechten Zeit und an der richtigen Stelle stimmungsvolle Musik einspielen oder die Stimme Schmitts bei Telefonaten oder der oben erwähnten Ansage technisch so überarbeiten lassen, dass es sich tatsächlich so anhört, als ob Schmitt gerade durch einen Lautsprecher redete.

Zur Aufmachung dieser nostalgischen und grandios produzierten Hörbuch-Reihe braucht man nicht mehr viel zu schreiben. Wieder ist die CD-Box ein echter Blickfang, und das Zusammenspiel zwischen Original-Cover und typischer |Larry Brent|-Knochenklaue könnte idealer nicht sein.

_Fazit:_

“ Der Fluch der blutenden Augen“ ist die Spitzeninszenierung eines eher durchschnittlichen Romans durch das Team von |Lausch| und dem ehemaligen |Larry Brent|-Mimen Rainer Schmitt. Lässt man die Tatsache außer Acht, dass Schmitt in den Achtzigerjahren den PSA-Agenten in der gleichnamigen Hörspielserie spielte, ist er trotzdem die ideale Besetzung und spricht seinen Text mit viel Engagement und Humor in der Stimme.

|210 Minuten auf 3 CDs
Empfohlen ab 16 Jahren
Die Vorlage erschien erstmalig 1969 in der Silber-Krimi-Reihe.|
http://www.europa-klassiker.de
http://www.merlausch.de
http://www.blitz-verlag.de

_Larry Brent auf |Buchwurm.info|:_

Band 1: [„Das Grauen“ 2164
Band 2: [„Dämonenaugen“ 2198
Band 3: [„Die Todestreppe“ 2587
Band 4: [„Die Höllenbrut“ 2588
Band 5: [„Bluthände“ 2589
Band 7: [„Der Vampir“ 4392
Band 8: [„Im Leichenhaus“ 4356
Band 23: [„Die Mordleiche“ 3896
Band 24: [„Dartmoor“ 3897
Band 25: [„Hexensabbat“ 2281
Band 26: [„Alpträume“ 2284
Band 27: [„Dämonen“ 2423
Band 28: [„Das Höllentor“ 2465
Band 31: [„Die Gruft“ 3898
Band 32: [„Deborah“ 2684
Band 33: [„Die Vampirklinik“ 2685
Band 34: [„Der Unheimliche“ 3899
Band 35: [„Borro“ 4009
Band 36: [„Das Atoll“ 4010
Band 37: [„Leichenvögel“ 4011
Band 40: [„Die Nebelhexe“ 4755
Band 108: [„Kloster des Grauens“ 4012
Band 110: [„Das Methusalem-Projekt“ 4013
Band 113: [„Der Dämonensohn“ 3042
Band 114: [„Der Schädelgürtel“ 3043
Band 115: [„Finale“ 3077

_Florian Hilleberg_

Patterson, James – Maximum Ride: Der Zerberus-Faktor

_Showdown mit der Doppelgängerin_

Die Tierärztin Frances O’Neill entdeckt eines Tages in Colorados Wäldern ein genmanipuliertes Wesen, das aussieht wie ein Mädchen mit Engelsflügeln. Tatsächlich kann Maximum, so nennt sich diese Kombination aus Mensch und Vogel, fliegen, wie man sich das von Engeln vorstellt. Der Haken dabei ist natürlich, dass es sich bei Max um das Ergebnis verbotener Experimente eines illegalen Genlabors handelt, das den Decknamen „Die Schule“ trägt. Und dass Max und ihresgleichen enorm wertvolle Organismen darstellen, die entsprechend gejagt werden. Frances gewährt Max und ihren Freunden Unterschlupf und Schutz, wodurch sie selbst in die Schusslinie gerät.

|Das Pandora-Projekt:|

Nachdem Frances O’Neill und ihr FBI-Freund Kit Brennan mit ihren sechs Schützlingen, den engelsgleichen Wesen aus den illegalen Versuchslabors „der Schule“, vier unbeschwerte Monate in einem Refugium namens „Lake House“ verbracht haben, nimmt man ihnen die liebgewonnenen Kinder wieder weg. Diese gewinnen ihre Freiheit wieder zurück, doch um den Preis gefährlichen Wissens. Es gibt nicht nur „Engel“, sondern auch „Eraser“, die gezüchtet wurden, um „Engel“ zu vernichten. Damit die Welt nie von ihrer Existenz erfährt.

|Der Zerberus-Faktor:|

Max und ihre Geschwister sind weiterhin auf der Flucht vor den Erasern, einer Kreuzung aus Mensch und Wolf. Doch gerade, als sie glauben, entkommen zu sein, wird einer von ihnen schwer verletzt, und nur das FBI kann ihnen noch helfen. Das Haus, in dem man ihnen Unterschlupf gewährt, ist für die Kinder wie ein Paradies. Auch wenn sie nun zur Schule gehen. Doch Max hat noch andere „Hausaufgaben“ zu erledigen: die in New York City gefundenen Dokumente entschlüsseln, herauszufinden, wie sie die Welt retten soll, und zu lernen, sich dem gefährlichsten Gegner zu stellen – sich selbst. Denn ihr Spiegelbild trägt die Züge eines Erasers …

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original sind bereits „Cross“ und „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; am 3. Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“. Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel [„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149 (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.

Mehr zum Flügelmädchen Maximum findet sich auf der Website http://www.maximumride.com.

Max erscheint bislang in folgenden Romanen:
1) Wenn der Wind dich trägt (When the wind blows)
2) Das Ikarus-Gen (The Lake House)
3) Das Pandora-Projekt (Maximum Ride: The Angel Experiment)
4) Der Zerberus-Faktor (Maximum Ride: School’s Out Forever)
5) Der Prometheus-Code (Maximum Ride: Saving the World and Other Extreme Sports)
6) The Final Warning (US-Ausgabe: März 2008)

Und wie uns die Pressemitteilung des Verlags verrät, planen die Filmemacher bereits die „Verfilmung der Geschichten um Max und ihre Geschwister“.

_Handlung_

Die Ich-Erzählerin ist die vierzehnjährige Max, ein Hybridwesen aus Mädchen und Vogel, mit vier Metern Flügelspannweite – und sie ist noch nicht mal ausgewachsen. Sie und ihresgleichen wurden in den Laboren der SCHULE mittels Gen-Spleißen erschaffen. Doch in wessen Auftrag und zu welchem Zweck? Sie kennen alle ihre Eltern nicht mehr.

Max und die anderen Vogelwesen, die der SCHULE vor zwei Jahren entkommen sind, werden von anderen Hybridwesen namens „Eraser“ gejagt: Wolfsmenschen, die der SCHULE als Wachen, Polizisten und Henker dienen. Sie wurden auf die sechs Angehörigen von Max‘ Familie angesetzt. Ihr Anführer heißt Ari und war Max‘ Bruder. Sie hat ihn im „Institut“ in New York getötet. Denkt sie jedenfalls.

Die Familie bzw. der Schwarm besteht aus:

Max, 14, weiblich, „Mutter“ des Schwarms, Telepathin;
Gazi alias Gasman, weil er unter Blähungen leidet, 8, männlich, kann jedes Geräusch & jede Stimme nachmachen;
Angel, 6, weiblich, Telepathin, Gasmans Schwester;
Nudge, 11, weiblich, hieß früher Monique;
Iggy, männlich, blind, hört dafür gut;
Fang, 14, männlich, stark und schweigsam.

Der Schwarm fliegt von New York nach Washington, D.C., doch bevor sie dort eintreffen, werden sie von Erasern angegriffen. In der Luft! Die Eraser haben Flügel erhalten und fliegen gelernt. Ein noch größerer Schock für Max: Ari ist wiederauferstanden! Dabei hatte sie ihn doch getötet, oder? Der Luftkampf wird zwar siegreich beendet, doch Fang stürzt ab. Sie tragen ihn auf eine Stelle am Meeresstrand, wo gerade ein Jogger vorbeikommt. Er ruft für sie einen Krankenwagen, damit Fang operiert werden und von Max eine Bluttransfusion erhalten kann. Leider muss Max ihre Identität als Vogelmensch offenbaren, und daher wundert es sie nicht, dass wenig später ein paar Typen vom FBI auftauchen.

Der Schwarm tischt den Regierungsheinis eine Menge Lügen auf, was richtig Spaß macht. Gasman nennt sich beispielsweise „Captain Terror“ und Fang „Nick“. Vor allem geht es den Agenten darum, mehr über Jeb Batchelder herauszufinden, den Leiter des Forschungsprojekts, das Hybridmenschen wie Max produziert. Dann taucht eine hübsche Blondine namens Ann Walker auf, die sich als Psychologin vorstellt. Wow! Aber wenigstens bietet sie dem verfolgten Schwarm eine feste Bleibe an, wo alle verschnaufen können und Fang von seiner Operation genesen kann. Die Frage ist aber, ob Ann es ehrlich meint.

Jeder im Schwarm bekommt sein eigenes Zimmer – was für ein Luxus! Aber eines Morgens erblickt Max im Spiegel nicht ihr eigenes Gesicht, sondern die Zerberus-Fratze eines Erasers! Und am nächsten Tag wieder. Wird sie jetzt verrückt? Die Stimme in ihrem Kopf ermahnt sie, sich nicht auf die Eraser zu fixieren, sondern das große Ganze zu betrachten. Leichter gesagt als getan. Unterdessen suchen sie nachts die Adressen, die sie als Koordinaten aus den Instituts-Unterlagen entschlüsselt haben. Durch hartnäckige Recherche gelingt es ihnen, die echten Eltern Iggys ausfindig zu machen. Sie geben ihn seinen ungläubigen Eltern zurück, gerade als Ann Walker alle selbst adoptieren will. Ann tobt frustriert.

Sie hat die Kinder allesamt in eine nahe Schule geschickt, damit sie endlich eine normale Kindheit und Jugend erleben können. Und tatsächlich fangen die ältesten des Schwarms, Fang und Max, romantische Beziehungen mit dem anderen Geschlecht an. Was haben sie das vermisst – falls sie es überhaupt schon einmal erlebt haben! Doch Unheil naht, denn die Schule ist alles andere als eine normale Schule; sie war früher ein Irrenhaus und der herrische Rektor scheint etwas vor seinen Schützlingen zu verbergen.

Die Eraser haben nicht aufgegeben. Da jedes Mitglied von Max‘ Schwarm einen implantierten Chip trägt, sind alle leicht aufzuspüren. Ari hat sie längst in der Schule lokalisiert. Noch hält er sich im Hintergrund, doch an seiner sitzt ein Mädchen, das für Max eine böse Überraschung bereithält. Es sieht nämlich genauso aus wie die echte Max …

_Mein Eindruck_

„Der Zerberus-Faktor“ ist ein Science-Fiction-Thriller, der für Jugendliche geschrieben wurde, und zwar von einem Routinier des Fachs. Schon dreimal hat er über die künstlich im Labor geschaffenen Rekombinanten geschrieben (siehe oben), nun führt er die unterhaltsame und erfolgreiche Reihe fort, aber in einem anderen Markt: dem für Jugendliche. Wenn sie so alt sind wie die Hauptfigur, nämlich 14, dann ist das ideal.

Pattersons Garn für Jugendliche ist im Grunde eine Warnung vor solchen Experimenten, hebt aber nicht den Zeigefinger, sondern schildert mit erzählerischen Mitteln, wie man sich die Folgen eines solchen Experiments für die Betroffenen vorzustellen hat. Die herrlichen Gefühle bei einem Flug im Schwarm stehen den Ängsten gegenüber, die die Hybriden bei den Angriffen durch die Menschen und ihre Wachhunde, die Eraser, ausstehen müssen.

|Mutanten|

Der Autor nimmt sich die in der SF üblichen Freiheiten bei künstlich geschaffenen Menschen oder Mutanten heraus. Er verleiht ihnen besondere Eigenschaften, die „normale“ Menschen nicht besitzen, so etwa die telepathische Verständigung und Beeinflussung anderer Personen. Philip K. Dick hat zahlreiche Geschichten und Romane über Telepathen und andere Psi-Fähige geschrieben, so etwa über Präkogs in [„Minority Report“. 142 So weit geht Patterson jedoch keineswegs. Bei ihm sind Max‘ Schwarmmitglieder nicht auf Verbrechensaufklärung aus, sondern von Motiven beseelt, die alle Waisenkinder haben: Sie suchen ihre Eltern und wollen herausfinden, warum diese sie alleingelassen haben.

|Die Chance eines Heims|

Nachdem sie in New York City die Adressen gefunden haben, stoßen sie nun in der Region Washington, D.C., auf ein Elternpaar. Iggy erhält endlich ein eigenes Heim, wie es jedem Kind zusteht. Doch was passiert nach einer Phase der Ungläubigkeit und Eingewöhnung? Seine Eltern wollen ihn auch bloß wieder ausbeuten, indem sie seine Geschichte an die Medien verkaufen. Bloß weil er so eine Art Freak ist. Offenbar ist der Schwarm, den Max anführt, auch für Iggy das einzige Zuhause, in dem er nicht als Missgeburt, sondern als vollgültiger Mensch angenommen wird. Da fragt man sich doch wirklich, wer eigentlich die wahren Freaks sind – die Hybriden oder die sogenannten „Normalen“.

Aber der Schwarm besteht immer noch aus Außenseitern: aus Andersartigen, die obendrein noch alle Waisen sind, die in einer Geheimeinrichtung aufwuchsen. Kein Wunder, dass sie „normale“ soziale Verhaltensweisen wie etwa Liebe, Küssen und mit dem anderen Geschlecht Ausgehen erst noch üben müssen. Dabei haben sie zusätzlich das Handicap, dass der Junge oder das Mädchen sich plötzlich in einen Eraser verwandeln könnte. Für genügend Paranoia ist also gesorgt.

|Peter Pan|

Ann Walker, die FBI-Psychotante, müht sich auf rührende Weise für ihren Schwarm ab, will sie sogar adoptieren. Das ruft befremdete Blicke hervor. Und als der Hund Total zu sprechen anfängt, hört auch für sie allmählich der Spaß auf. Sie ist eine Wendy, die auf verlorenem Posten steht. Anns Haus verwandelt sich zwar in ein Peter-Pan-haftes Nimmerland, doch nicht für lange, denn die Eraser liegen im Garten schon wieder auf der Lauer. Schließlich können sie die mit Funkchips (RFID) versehenen Hybriden überall orten.

|Doppelgänger|

Als sich herausstellt, dass es eine Niederlassung der „Schule“ in der Nähe gibt, muss diese Zentrale des „Bösen“ natürlich ausspioniert werden. Allerdings ist die echte Max gegen ihre Doppelgängerin ausgetauscht worden. Max #2 hat ihr Original lange genug beobachtet, dass sie sich überzeugt hat, dass sie den Schwarm jederzeit wie Max #1 unter Kontrolle halten und überallhin lotsen kann. Beispielsweise in eine vorbereitete Falle, um alle einzufangen.

An dieser Stelle wird es höchst interessant. Welche Mitglieder der Schwarms kann die geklonte Max-Kopie täuschen bzw. für wie lange? Als sie anbietet, ihnen Frühstück zu machen, merken einige zwar, dass etwas nicht stimmt, aber sie sagen noch nichts, sondern warten lieber ab, was diese seltsame Max-Kopie vorhat. Schließlich muss man den Feind erst kennen, bevor man ihn bekämpfen kann. Und solange Max #2 sie anführt, werden sich die Eraser hüten, den Schwarm anzugreifen.

|Showdown|

Von jetzt an wird es für den Autor eine Gratwanderung, wenn er das weitere Schicksal des Schwarms schildert. Der Leser bzw. Hörer darf nicht wissen, was die Schwarm-Mitglieder über Max #2 wissen oder ahnen, denn sonst wäre sofort die Frage relevant, warum sich der Schwarm so weit von Max #2 führen lässt, obwohl doch etwas nicht stimmt. Und warum sagt die telepathisch begabte Angel nichts über Max #2, deren schwarmverachtende Gedanken sie doch höchstwahrscheinlich lesen kann? Das sind eine ganze Menge Einwände, die verhindern könnten, dass es zu jenem furiosen Showdown kommt, den der Erzähler von Anfang geplant hat. Erst steigert er die Anspannung und das Bangen um den Schwarm, der offenbar von Max #2 in eine Falle gelotst wird, ins Unermessliche. Dann lässt er die Spannung sich in einer Actionorgie entladen und einen Joker auftreten. Ein Schelm, wer ihm dabei Böses unterstellt.

|Der deutsche Titel|

So wird einigermaßen erklärlich, warum der deutsche Titel „Zerberus-Faktor“ heißt, obwohl nichts am Original darauf hinweist. Es geht darum, was Max in ihrem Spiegel sieht. Es ist das Hundegesicht eines Erasers. In einer wackeligen Übertragung des Zerberus-Mythos auf Eraser und Hundegesichter. Von hier wiederum findet eine Übertragung auf Max‘ zweite Identität als Eraser statt, genauer gesagt: auf die ihrer Doppelgängerin. Da nichts davon logisch ist, handelt es sich um eine gewagte poetische Metapher, die der Verlag da bemüht. Ich finde sie nicht sonderlich befriedigend. Aber |Lübbe/Ehrenwirth| zieht eben sein Marketingkonzept durch, um vom Projekt auf den Faktor und wer weiß was noch zu kommen.

_Unterm Strich_

Für jugendliche Hörer ist „Der Zerberus-Faktor“ ein spannendes Abenteuer mit interessanten Figuren, die eine faszinierende Eigenschaft haben: Sie können wie Vögel ohne Hilfsmittel fliegen. Dennoch sind sie Außenseiter, und da sich so mancher Pubertierender ebenfalls wie einer fühlt, dürften Max und Co. viel Sympathie ernten. Erwachsene Hörer könnten die Handlung vielleicht für etwas zu trivial halten, bloß weil Kinder darin vorkommen.

Aber auch Kinder werden missbraucht, in aller Welt. Sie werden versklavt und missbraucht, denn ihnen werden allzu häufig keine Rechte zugestanden. Der Autor warnt vor Kindesmissbrauch im Dienste der Wissenschaft, denn Profitjäger dürfte es auch unter den Weißkitteln geben. Und wenn denen dann auch noch ein Mutant unters Messer kommt, ist es mit den Menschenrechten gleich Essig. Mutanten stehen in der Welt, die Patterson schildert, auf einer Stufe mit Tieren.

Der Autor vertritt also unterschwellig berechtige Interessen für die Opfer solcher illegalen Praktiken und warnt vor den Folgen, wenn Experimente an Menschenkindern durchgeführt werden. Die Produkte der SCHULE sind genetisch labil und müssen feststellen, dass sie nur eine begrenzte Zeit zu leben haben. Die psychologischen Folgen einer solchen Entdeckung sind naturgemäß verheerend.

Diesmal gibt der Autor den Vogelkindern die Chance, ein „normales“ soziales Leben zu führen. Doch Iggy wird von seinen echten Eltern für die Medien ausgebeutet, und die Schule und das Ausgehen mit Angehörigen des anderen Geschlechts werden von der andauernden Paranoia überschattet. Der Verrat der Gesellschaft nimmt seine extremste Form mit dem Austauschen der Schwarmchefin Max an. Der Schwarm soll also von innen heraus zerstört werden. Das stellt alle Vogelkinder auf ihre bis dato schwerste Probe und macht diesen Band der Trilogie ganz besonders spannend, wenn auch erst im letzten Drittel.

In die spannende Unterhaltung hat der Autor also ernste Themen gewoben, und dies hebt wohl das Buch ein wenig aus der Masse der Bücherflut heraus, die jährlich für jugendliche Leser produziert wird. Da Patterson ein Routinier ist, kann man sich darauf verlassen, dass er sein Garn ausgezeichnet zu spinnen versteht.

|Originaltitel: Maximum Ride: School’s Out Forever, 2006
283 Seiten
Aus dem US-Englischen von Edda Petri|
http://www.ehrenwirth.de

Alexander Hartung – Spherechild: Grundregelwerk

_Allgemein_

„Spherechild“ ist weder ein klassisches Fantasy- noch ein Science-Fiction-Rollenspiel, denn beide Varianten sind hier möglich. Zur Story: Einst waren alle Sphären eins, doch durch die Sembaren wurde diese Einheit zerstört und die Sphären wurden getrennt. So entstanden unendlich viele Sphären (oder auch Galaxien), die nur durch ein dünnes Band verbunden sind. Auch dies versuchen die Sembaren nun zu zerstören.
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S.H.A. Parzzival – Germania (Titan-Sternenabenteuer 23)

Handlung

Gerade erreichen die Feierlichkeiten zur Eröffnung von „Germania“ ihren Höhepunkt, als die Ökoterroristen zu einem neuen Schlag ausholen und ein mörderischer Orkan losbricht. Shalyn Shan und die Crew der |Titan| sind mittendrin in dem Chaos, das durch die künstlich geschaffene Katastrophe ausgelöst wurde.

Darüber hinaus werden neue Mutationen in den Gebäudekomplex eingeschleust, eine bizarre Mischung aus Ratten und Fröschen, die hochaggressiv alles anfallen, was sich bewegt. Michael Moses, Besitzer und Erbauer von „Germania“, aktiviert seine eigene Privatarmee, um die Terroristen zu beseitigen und die Mutationen zu vernichten.

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Sara Douglass – Hüter der Macht (Das dunkle Jahrhundert 1)

_In einer düsteren Schlucht_ nördlich von Nürnberg stirbt ein Mönch namens Wynkyn de Worde einsam an der Pest. Ein tragischer Verlust, denn der alte Mann hat nicht nur keinen Nachfolger für sein finsteres Geheimnis hinterlassen, er hat auch seine Aufgabe nicht ganz zu Ende gebracht. Dunkle Zeiten brechen an …

Jahre später trifft der Mönch Thomas Neville in Sant‘ Angelo ein. Er wurde von Oxford nach Rom geschickt, um in dem für seine Bibliothek berühmten Kloster die Schriften zu studieren. Dabei stößt er auch auf den Namen Wynkyn de Worde, und ganz offensichtlich ist dieser Name von ungewöhnlichen Umständen umgeben. Schließlich offenbart ihm der Erzengel Michael persönlich, dass er, Thomas, künftig de Wordes Nachfolger sein soll.

Thomas ist Feuer und Flamme. Aber um diese Nachfolge antreten zu können, muss er zunächst einmal das geheimnisvolle Buch finden, das de Worde stets bei sich hatte. Er ahnt nicht, dass er eine lange, beschwerliche und gefahrvolle Reise durch halb Europa vor sich hat …

_Trotz einer Fülle von Charakteren_ steht lediglich ein einziger im Mittelpunkt: Thomas Neville war einst ein adliger Ritter und hat im Krieg auf Seiten Englands gegen Frankreich gekämpft. Das tragische Ende seines Verhältnisses mit einer verheirateten Lady hat ihn dazu getrieben, dem Orden der Dominikaner beizutreten, um für diese und viele andere Sünden zu büßen. Doch obwohl seine Reue diesbezüglich echt ist, scheint sich seine Wesensart mit dem, was einen guten Mönch ausmachen sollte, nicht ganz vereinbaren zu lassen. Thomas ist von geradezu fanatischer Frömmigkeit, aber gleichzeitig hochmütig und selbstgerecht. So etwas wie Mitgefühl scheint er nicht zu kennen.

Die übrigen Personen tauchen nur abschnittweise auf und sind lediglich skizziert, so der Prior von Sant‘ Angelo, Etienne Marcel und die junge Margaret. In den meisten Fällen stellt sich aber weniger die Frage, wer sie sind, als vielmehr, was sie sind. Die historischen Persönlichkeiten schließlich bleiben so sehr am Rand, dass sie überhaupt kein eigenes Profil haben außer demjenigen, das ihre Rolle innerhalb des historischen Rahmens ihnen verleiht.

Objektiv betrachtet hat Sara Douglass mit ihrer Hauptfigur eine Charakterzeichnung von gewohnter Qualität abgeliefert. Obwohl Thomas sich stellenweise anhört wie der „typische“ mittelalterlichen Mönch, der trotz aller offensichtlichen Fehler noch immer die bestehende Ordnung als Willen Gottes verteidigt, ist es der Autorin gelungen, ihn durch seine Unsicherheiten und Ängste lebendig und menschlich zu erhalten und vor dem Abrutschen ins Klischee zu bewahren. Subjektiv aber konnte ich trotzdem nicht recht damit warmwerden. Vielleicht lag es daran, dass mich Thomas‘ arrogante Selbstgerechtigkeit so sehr geärgert hat, vielleicht auch daran, dass er beim nichtigsten Anlass die Herrschaft über seine Triebe verliert. Ein entsetzlicher Kerl!

_Auch das Bühnenbild ist gewöhnungsbedürftig._ Karl IV. von Frankreich hat keine direkten Nachkommen hinterlassen, weshalb ihm sein Cousin Philipp aus dem Haus Valois auf den Thron folgte. Der englische König Eduard III., mütterlicherseits ein Neffe von Karl IV., ist damit nicht einverstanden und erhebt seinerseits Anspruch auf den französischen Thron. Das salische Recht jedoch schließt eine Erbfolge über die weibliche Linie aus. Eduard ist nicht bereit nachzugeben: Seit 1340 führt England immer wieder Krieg gegen Frankreich.

Ebenso wie die materielle Welt unter dem Krieg leidet, den man später den Hundertjährigen nennen wird, leidet die geistige Welt unter dem großen abendländischen Schisma. Seit Papst Clemens V. vor nahezu siebzig Jahren nach Avignon umgezogen ist, hat die Kurie massiv an Ansehen und auch an Macht eingebüßt. Und kaum ist Gregor XI. nach Rom zurückgekehrt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, da stirbt er. Das Gerücht geht um, die Kardinäle, großteils Franzosen, wollten nach Avignon zurückkehren. Rom gerät in Aufruhr, erzwingt die Ernennung eines Italieners zum Papst. Doch unmittelbar nach dem Konklave flüchten die Franzosen zurück nach Avignon und wählen einen Gegenpapst!

Das klingt erst mal stark nach Historienroman, ist es aber nicht wirklich. Sara Douglass hat den historischen Hintergrund zum Schauplatz für einen Kampf zwischen Gut und Böse gemacht, der ebenso christliche wie fantastische Züge trägt. Zwar war Mystik im Mittelalter ein fester Bestandteil der christlichen Lehre, aber schon die Methode, nach der Wynkyn de Worde seine Aufgabe erfüllt, ähnelt weit mehr der Magie als dem Gebet, und die Szene, in der Odile Thomas verführt, geht endgültig über christliche Mystik hinaus.

Auch die Dämonen entsprechen nicht unbedingt dem, was man von den vielgeschmähten Dienern des Bösen erwarten würde. Sie sind keine grausamen, abscheulichen Monster, die eine Spur aus Blut und Verderben hinter sich herziehen. Natürlich ahnt der Leser schon ehe er das Buch aufgeschlagen hat, dass die Frage, wer die Guten und wer die Bösen sind, Gegenstand vieler Wendungen und Winkelzüge sein wird, nur um am Ende auf eine Weise beantwortet zu werden, die unsere überkommenen Denkweisen herausfordern wird. Oder zumindest, dass das die Absicht der Autorin ist – unter anderem.

Tatsache ist, dass Douglass diese Frage wirklich stellt – aber nicht klar und offen gleich zu Beginn; nein, die Frage schleicht sich stattdessen ein. Sie pirscht sich an eine Situation heran, in welcher der Leser sich noch sicher ist, wer die Guten und wer die Bösen sind – einigermaßen zumindest. Und nur ganz allmählich stellt sich Misstrauen ein: in der seltsamen Art und Weise, wie der Erzengel Michael mit Thomas spricht, in kleinen, beinahe nebensächlichen Bemerkungen und Gedanken Wynkyns, Marcels, Margarets. Und doch bleibt der Verdacht vage genug, um den Leser nicht sofort umkippen zu lassen. Diese Unsicherheit hält sich bis zur letzten Seite.

Insofern ist die tatsächliche Handlung, Thomas‘ Reise von Rom über Nürnberg nach Paris und letztlich nach Chauvigny, schon beinahe nebensächlich. Und tatsächlich passiert auch nicht wirklich viel auf dieser Reise, das für sich genommen erwähnenswert wäre. Alle Ereignisse von Bedeutung sind auf der geistigen Seite zu suchen. Der Kampf zwischen Gut und Böse spielt sich unmittelbar in und um Thomas herum ab. Er ist der entscheidende Schlüssel – er weiß es nur noch nicht. Oder besser: Er hat es noch nicht begriffen.

Was diesem abstrakten Ringen letztlich die wahre Würze verleiht, ist die Tatsache, dass diese ganze Geschichte eben doch in einen historischen Kontext gestellt wurde. Sozusagen eine phantastische Spekulation darüber, was der Weltgeschichte letztlich den Impuls gegeben hat, eben diejenige Wende zu nehmen, die sie genommen hat. Eine Komposition, die deshalb nicht dissonant klingt, weil es der Autorin gelungen ist, den Übergang zwischen tatsächlicher christlicher Weltanschauung zu jener Zeit und den von ihr eingebrachten Komponenten fließend zu halten, als hätte sie die christliche Mystik lediglich zur Phantastik weiterentwickelt und nicht zwei völlig voneinander unabhängige Elemente zusammengemischt.

_Das Ergebnis ist_, wie gesagt, gewöhnungsbedürftig. Ich brauchte einige Zeit, um mich einzulesen und herauszufinden, worauf die Autorin eigentlich hinauswill. Am Ende des Buches aber stellte ich fest, dass ich die Reise als solche zwar ein wenig fad und die übernatürlichen Ereignisse etwas ungewöhnlich fand, der Kern der Geschichte mich aber interessiert und ich jetzt schon auf die Fortsetzung gespannt bin.

_Sara Douglass_ arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres Weltenbaumzyklus stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Außer dem Weltenbaumzyklus und dem Sternenzyklus schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten. Zurzeit schreibt die Autorin an ihrer neuen Trilogie |Darkglass Mountains|, deren zweiter Band „The Twisted Citadel“ im Mai dieses Jahres auf Englisch erscheint.

My Сreative


http://www.piper.de/

_Sara Douglass bei |Buchwurm.info|:_

[Die Sternenbraut 577 (Unter dem Weltenbaum 1)
[Sternenströmers Lied 580 (Unter dem Weltenbaum 2)
[Tanz der Sterne 585 (Unter dem Weltenbaum 3)
[Der Sternenhüter 590 (Unter dem Weltenbaum 4)
[Das Vermächtnis der Sternenbraut 599 (Unter dem Weltenbaum 5)
[Die Göttin des Sternentanzes 604 (Unter dem Weltenbaum 6)
[Der Herr des Traumreichs 1037
[Die Glaszauberin 1811 (Die Macht der Pyramide 1)
[Der Steinwandler 2639 (Die Macht der Pyramide 2)
[Die sterblichen Götter Tencendors 2653 (Im Zeichen der Sterne 1)
[Die Wächter der Zeiten 2947 (Im Zeichen der Sterne 2)
[Die letzte Schlacht um Tencendor 3608 (Im Zeichen der Sterne 3)

Mary, Michael – Werte im Schafspelz

Ob es auch Bücher mit versteckter Kamera gibt? Verlage, die Schulreferate von Vierzehnjährigen mit noch nicht ausgereifter Bildung und Lebenserfahrung als zeitkritische Werke herausgeben und sich dann heimlich amüsieren, wenn sich die Leser hilflos winden? Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei der Lektüre von „Werte im Schafspelz“ von Michael Mary. Der Verfasser will den Begriff der „Werte“ untersuchen, auf die sich die Menschen im privaten Leben wie in der Politik häufig berufen. Leider kommt er über Selbstverständlichkeiten und anschließend über eine völlig haltlose und ressentimentgeladene Meinungskanonade nicht hinaus. Man wird den Eindruck nicht los, dass der Verfasser früher einmal ganz fest an die eiserne Wirkmächtigkeit von Werten glaubte, dann bitter enttäuscht wurde und nun ein galliges „Enthüllungs“-Buch schreiben musste.

Immerhin macht sich Mary zunächst die Mühe, die wichtigsten Begriffe zu definieren sowie das Wesen und die Funktion von Werten anzudeuten. Werte sind keine unwandelbaren, eindeutigen Handlungsanweisungen. Sie sind kulturell geprägt, wandeln sich mit neuen historischen Situationen und gelten häufig nur in bestimmten Lebensbereichen wie Beruf oder Familie. Weil Werte allgemeine und theoretische Idealvorstellungen sind, können sie sogar widersprüchlich sein. Es sind noch die besten Abschnitte des Buches, wenn Mary – gerade mit Blick auf das wohlfeile Wahlkampfgetöse von Politikern – festhält, dass etwa „Gerechtigkeit“ ein sehr schwammiger und interpretationsbedürftiger Begriff ist, mit dem man je nach Vorstellung sogar zu gegensätzlichen Schlüssen kommen kann (Jedem das Seine oder jedem das Gleiche?) und dass „Freiheit“ und „Gleichheit“ letztendlich unvereinbar sind. Dass man Werte allein nicht als Handlungsgrundlage nehmen kann, ist keine neue Erkenntnis, auch wenn der Autor dies wie eine überraschende Entdeckung präsentiert. Genau deshalb bleiben Werte ja auch ungeschriebene Ideale und Orientierungsmarken und werden nie eins-zu-eins in Gesetzesform gegossen. Dass eine puristische Werteverwirklichung sogar gefährlich werden kann, wusste vor über 2000 Jahren schon der römische Staatsdenker Cicero, der erkannte, dass höchstes Recht auch in höchstes Unrecht umschlagen kann („summum ius, summa inuria“). Aber darüber findet sich in „Werte im Schafspelz“ genauso wenig ein Wort wie zu Max Webers klassischer Gegenüberstellung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Die mangelnde Recherche – außer den Soziologen Niklas Luhmann und Dirk Baecker tauchen keine maßgeblichen Quellen auf – rächt sich spätestens nach den Grundlagenkapiteln. Dass Werte mitunter gelogen, geheuchelt, manipulierend eingesetzt und sogar gebrochen werden, ist bekannt. Für Mary sind Werte damit völlig wertlos und gar nicht mehr anders als im Missbrauch denkbar. Ab da wird der Text zunehmend unredlich. Mit selektiver Wahrnehmung, Unterstellungen, Klischees bastelt er sich die Welt so, dass sie zu seiner Meinung passt. Die Erkenntnis der Verhaltensforschung wird zwar erwähnt, dass man „zur Befriedigung seiner Bedürfnisse auf andere angewiesen sei“ (S. 127). Genau damit ergibt sich im Spannungsverhältnis aus Interessen und Werten eine Verhaltensgrundlage in der Vertragstreue, so dass man weder gegen sich selbst handelt noch sein Gegenüber übervorteilt. Aber zu diesem Gebiet findet sich im ganzen Text kein weiteres Wort. Auch werden mehrere wichtige Aussagen, die Professor Baecker im Interview macht, das dem Buch als Anhang angefügt ist, von Mary nicht aufgegriffen.

Bald zeigt sich, wie sehr Michael Mary vom Thema seines Buches intellektuell überfordert ist. Dass ach so aufgeklärte Kirchenkritiker dogmatische Begriffe wie Unfehlbarkeit oder unbefleckte Empfängnis regelmäßig falsch verstehen und ihre Kritik dann letztlich gegen die eigenen Bildungslücken richten, ist man ja schon gewohnt. Der Autor bildet hier keine Ausnahme, aber sogar dieses Niveau unterbietet er noch spielend. Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man zu den amerikanischen Gefangenenlagern in Abu Ghuraib und Guantanamo einen Satz liest wie: Für die Gefangenen „gilt das Gebot der Nächstenliebe offenbar nicht, was logisch ist, weil es sich nicht um Menschen (…) handelt, sondern um ‚Kombattanten‘, also gewissermaßen um Nichtmenschen“ (S. 97). Hier fehlt jemandem auch nur der Hauch einer Kenntnis vom internationalen Kriegs- und Völkerrecht, und den grundlegenden Begriff des Kombattanten hat er so falsch verstanden, wie es nur geht. Aber das hindert ihn nicht daran, uns in pausbäckiger Unbekümmertheit die Welt zu erklären. Fast schon erheitert liest man, wenn sich der Autor auch nicht der Bemerkung entblödet (S. 151), dass der Papst Präsident Bush nicht von den Sakramenten ausgeschlossen hat. (Vielleicht weil Bush wie die meisten US-Amerikaner Protestant ist? Ach ja: Der Papst ist übrigens katholisch.) In dieser Qualität geht es seitenweise weiter. Ob Kindermangel oder Evolutionstheorie/Kreationismus, zu etlichen vielschichtigen und komplexen Themen äußert sich Mary auf einem Niveau irgendwo zwischen „Bildzeitung“ und Internetforum. Als Leser findet man sich irgendwann in der unappetitlichen Rolle des Voyeurs wieder, der zuschaut, wie sich jemand – ähnlich der tragikomischen Fernsehfigur „Dittsche“ – an Fragen überhebt, die weit über seinen Horizont gehen, und unaufhaltsam immer lächerlicher macht.

Viel schlimmer als diese Bildungslücken ist die Tatsache, dass Mary seine Anfangserkenntnisse nicht zu Ende denkt und die Fragwürdigkeit von Werten scheinbar nur noch zum Anlass nimmt, uns einfach ohne Fundament seine Meinung aufzudrängen. Das sei nur an einem Beispiel verdeutlicht: Seit Jahren wird in regelmäßigen Abständen das gegliederte deutsche Schulsystem wegen angeblich mangelnder „Chancengleichheit“ attackiert. Der Autor hat überhaupt nicht bemerkt, dass diese Angriffe aus den immer gleichen Funktionärs- und Lobbyistenkreisen kommen und ihre Formulierungen sich verdächtig gleichen, sondern er plappert diesen Vorwurf ohne jede Begründung einfach nach. Als Werteaufklärer hätte er seine Erkenntnisse auf genau diesen Fall anwenden und darlegen müssen, wie gewisse Kreise unter dem Wortgeklingel von „Ungleichheit“ und „Benachteiligung“ eigene ideologische und Machtinteressen verfolgen. Er hätte seine Leser aufrufen müssen, sofort misstrauisch zu werden, wenn uns immer häufiger unter der Parole „Chancengleichheit“ ein neuer Obrigkeitsstaat und Nivellierung auf unterstem Niveau verkauft werden sollen – und das nicht nur auf dem Gebiet Schule. Eine Chance ist eine immer wieder neue Herausforderung, die der Einzelne bestehen kann oder auch nicht. Eine gleiche Abiturientenquote in allen Bevölkerungskreisen als Naturzustand zu unterstellen, macht den Begriff „Chancengleichheit“ sinnlos.

Auf welcher Grundlage beklagt überhaupt jemand, der eben noch Werte destruieren wollte, vermeintliche Missstände? Man kann sich nur noch auf den Standpunkt stellen: Das ist halt meine Meinung, und die brauche ich nicht zu begründen. Aber letztlich beruhen Marys Tiraden dann doch wieder auf – seinen eigenen – Werten.

Für sehr weltfremde und blauäugige Menschen mag „Werte im Schafspelz“ in der ersten Hälfte einige neue Erkenntnisse bieten. Der Rest ist unzumutbar. Schade ums Papier.

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Sabottka, Thomas – Backstage 1967-2007

Geschichten zwischen Wahrheit und Fiktion. „Backstage 1967-2007“ ist die Hörbuchumsetzung des gleichnamigen Buches, in welchem der Autor Thomas Sabottka Anekdoten aus seinem Leben mit erdachten und auf wahren Ereignissen beruhenden Kurzgeschichten vermischt hat.

Insgesamt 16 Storys wurden vertont und mit der jeweiligen Jahreszahl ihres Geschehens betitelt, wobei natürlich nicht jedes Jahr berücksichtigt werden konnte. Die Geschichten decken so ziemlich alle Genres ab und sind mitreißend, emotional, einfühlsam und zugleich spannend und witzig geschrieben worden. Der Autor beschreibt dabei vor allem seine eigenen Jugendjahre und legt dort viel Wert auf eine gute Freundin, die er später aus den Augen verliert, die aber immer wieder in den Geschichten eine Rolle spielt. Das zentrale Thema sind verpasste Gelegenheiten und die Gefühle, die dabei entstehen und die jeder Mensch kennt.

Nur selten sind die Geschichten ein wenig zu detailliert und abstrakt ausgefallen, um den Leser wirklich zu fesseln. Die meiste Zeit aber lauscht man gebannt den abwechslungsreichen Erzählungen, gelesen von sehr professionellen Sprechern. Die beiden CDs wurden hervorragend in Szene gesetzt, und ein Großteil der Geschichten wird vom Verfasser selbst vorgetragen, der dies auch mit wahrer Leidenschaft und Hingabe tut. Da sitzt jede Betonung, und das Sprechtempo wird jeder Szene entsprechend angepasst, ohne dass das Resultat abgelesen wirkt. Ebenso professionell gestaltet sich der Part von Christian von Aster, der schon einige Hörbucherfahrung besitzt und sich auch als Autor einen Namen gemacht hat. Sehr bedächtig wird „1973“ von Barbara Volpert gelesen, die ein wenig zu nah am Mikro gestanden zu haben scheint, denn es sind häufig Geräusche des Mikrofons zu hören.

Bei der zweiten Scheibe wurde Sabottka von Alexander F. Spreng (|ASP|), Sonja Kraushofer (|Persephone|, |L’Âme Immortelle|), Dirk Bernemann („Ich habe die Unschuld kotzen sehen“) und Rebekka Brandt unterstützt. Dirk Bernemann liest seinen Text sehr rasant, verliert sich aber schnell in seiner Rolle und zieht die Vokale in der Geschichte von „1993“ am Ende der Worte extrem in die Länge. Die Einschübe von Rebekka Brandt in den Tracks vier und sechs auf der zweiten CD stören mehr, als dass sie Abwechslung in die Lesung von Sabottka bringen. Dafür ist der Text von Sonja Kraushofer einfach genial gesprochen worden. Sehr emotional und leidenschaftlich trägt sie den Text vor und passt ihr Tempo der jeweiligen Situation perfekt an.

Den Einleitungstext auf der ersten CD und die Nachrichtenmeldungen werden sehr souverän von Pit Hammann („Starfucker“, „Die Kleine Ballade vom Schwarzen Schmetterling“) gesprochen.

Die Aufmachung des Hörbuchs ist äußerst gut gelungen und die Titelillustration vermittelt einen erstklassigen Eindruck des Inhalts. Im Booklet findet der Hörer nicht nur Fotos des Autors in den unterschiedlichsten Lebensphasen sondern auch eine sehr lebendige Kurzgeschichte, in der Sabottka über seine Eltern, speziell seinen Vater berichtet.

_Fazit:_ Ein absolut empfehlenswertes Hörbuch mit ganz und gar nicht alltäglichen Themen und Texten, die wunderbar vorgetragen wurden und nur an wenigen Stellen kleine Mängel offenbaren. Den Mix aus Fakten und Fiktion, angelehnt an das eigene Leben, haben Thomas Sabottka und seine Sprecher wirklich kongenial in Szene gesetzt.

|118 Minuten auf 2 CDs|
http://www.teamofdestruction.de
http://www.trisol-download.de

_Florian Hilleberg_

Meister, Derek – Knochenwald (Rungholt, Band 3)

[„Rungholts Ehre“ 4460
[„Rungholts Sünde“ 4767
[Unser Interview mit Derek Meister vom März 2008]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=88

Im Mittelalter gab es unzählige Reliquien, die in verschiedenen christlichen Wallfahrtsstätten oder Kirchen ausgestellt wurden. Ein Splitter vom Kreuze Jesu, ein Dorn des Rosenkranzes, mit dem Jesus gefoltert wurde, ein Knochen eines Heiligen usw. Das Sortiment an heiligen Reliquien war vielfältig, und Pilger aus aller Welt nahmen nicht selten unter Lebensgefahr die Strapazen auf sich, um vor solchen Heiligtümern zu beten, oder sie versprachen sich davon, ihre Sünden vor Gott begleichen zu können.

Für die Städte, in denen ein „Gnadenjahr“ veranstaltet wurde, wie z. B. in München im Jahre 1392, war es wirtschaftlich gesehen jeweils ein sehr gutes Jahr. Mit den Pilgern kam das Geld dieser Sünder in die Stadt, in die Wirtshäuser und Unterkünfte, besonders für die Kirche stellten diese zahlenden Pilger eine wahre Geldquelle dar. Ablassbriefe, persönlich unterzeichnet von der Obrigkeit Römisch-Katholischen Kirche durch einen Bischof oder sogar Kardinal, wurden genauso gerne verkauft wie Spendenkassen vor angeblich heiligen Reliquien aufgestellt.

Alles in allem war dies also ein sehr lukratives Geschäft für die Stadt und die Geschäftsleute, genau wie für die Kirche und ihre Fürsten. Nicht wenige Gemeinden oder gar Fürstentümer und Herrschaftshäuser sahen die Chance, hierbei an Geld, Macht und Ansehen zu gelangen. Alle Welt reiste zu diesen Wallfahrtsorten, egal ob nun Edelmann oder ein einfacher Kaufmann. Kranke versprachen sich Heilung, Ritter und Adelige vielleicht die Unterstützung für einen Feldzug Krieg gegen die Ungläubigen, Kaufmänner einen Aufschwung ihrer Geschäfte und die Vergebung ihrer Sünden, um gleich darauf ihre Konten mit Geld und dafür oder damit begangenen Sünden wieder auffüllen zu könnten. Die Absolution wurde gegen ein gewisses Entgelt immer gerne erteilt.

Und wenn einmal keine Reliquien zur Hand waren, so fälschte man diese halt. Wer konnte denn schon beweisen, dass dieser kleine Knochen nicht heilig war? Was daraus folgte, war ein reger Austausch und Handel mit Fälschungen von Reliquien jeglicher Art, und nicht selten war man auch bereit, dafür zu morden.

Derek Meister, der Autor von „Runholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“, lässt diesmal seinen bärbeißigen Patrizier Rungholt im dritten Fall im fernen München auf Mörderjagd gehen.

_Die Geschichte_

Rungholt ist in seinen Vierzigern, und seit dem Tod seines Freundes und Mentors Winfried ist ihm der Tod bewusster geworden. Seine Sünden, die noch immer an ihm nagen und ihn innerlich nicht zur Ruhe kommen lassen, belasten den Lübecker Ratsherren und Kaufmann sehr. Schon von Kinderbeinen an ist der Tod ein ständiger Begleiter; seine Eltern und seine Schwester sind ertrunken, und dieses Trauma wiegt ebenso schwer wie seine eigenen Bluttaten und der Tod seiner geliebten Irena.

Auch in Lübeck kommt der Kaufmann nicht zur Ruhe und musste bei seinen beiden Mordfällen erneut töten, wenngleich dies in Notwehr geschah. Rungholt verspürt Angst vor dem Tod und Respekt vor der Hölle, die ihn vielleicht erwartet. Er will für sich endlich seinen Seelenfrieden finden.

Und gerade jetzt im Jahre 1392 findet im Wallfahrtsort München ein ‚Gnadenjahr‘ statt. So nimmt also der dickschädelige Hanser die weite Reise von Lübeck nach München auf sich. Zwei Wochen in einem Holzwagen lassen auch den Pilger Rungholt bei seiner Ankunft seinen wunden Hintern spüren, den er noch Tage später zu pflegen hat.

Die Zeit in München wird er zudem nutzen, um seine älteste Tochter Margot zu treffen, bei der er auch während seines Aufenthaltes wohnen wird. Doch es gibt Spannungen zwischen dem erfahrenen Patrizier und seiner Tochter, die nur einen ärmlichen Flößer geheiratet hat. Sein Schwiegersohn Utz ist Rungholt ein Dorn in Auge. Margot und Utz leben in bescheidenen, fast schon ärmlichen Verhältnissen, und auch des Schwiegersohnes Umgangsformen und dessen auch nur bescheiden anmutender Geist stimmen den Pilger und Sünder Rungholt sehr skeptisch.

Auf dem Weg zu den Kapellen, in denen die Reliquien ausgestellt sind, ereignet sich ein Zwischenfall, und Rungholt wird es verwehrt, die Kirche besuchen zu dürfen. Sein Seelenfrieden und seine Absolution rücken damit in weite Ferne. Hinzu kommt noch, dass ihn weitere Sorgen plagen, denn der Bau seiner Bierbrauerei ist ein finanzielles Desaster und der Handel in der Ostsee verläuft wegen Blockaden der Piraten mehr als nur schleppend.

Auf die drängende Bitte seiner Tochter hin, die davon berichtet, dass eine Freundin von ihr, die Frau eines Goldschmiedes, spurlos verschwunden ist, soll sich Rungholt auf die Suche nach der Vermissten machen. Sein Ruf als Ermittler scheint ihm vorausgeeilt zu sein. Rungholt, der nun vielleicht seine einzige Chance für die Vergebung seiner Sünden darin sieht, die vermisste Frau zu finden, nimmt die Ermittlungen auf. Diese führen den Patrizier in die dunklen, tiefen Wälder der Stadt, und er wird dort tatsächlich fündig. Mit der Hilfe von Torfstechern findet Rungholt zwei Leichen, die noch nicht lange tot, aber bereits tief im Moor und Schlamm versunken sind.

Die weiteren Ermittlungen verlaufen nur schleppend, und der Zunftmeister der Gilde der Goldschmiede ist nicht sehr kooperativ, ebenso wenig wie ein Kollege des Goldschmiedes. Unerwartet bekommt Rungholt dafür Unterstützung durch seinen dänischen Freund und Kapitän Marek. Dieser wurde von Alheyd, Rungholts Ehefrau, nach München geschickt. Rungholt und Marek müssen erneut in den unheimlichen Wald gehen, um mit den Ermittlungen voranzukommen. Sie werden jedoch zusammen mit dem Goldschmied, der Rungholt und Marek begleitet, in einen Hinterhalt gelockt und entkommen nur knapp und verletzt diesem Mordanschlag.

Als die Identität der beiden Toten aus dem „Knochenwald“ aufgeklärt ist, verdichten sich die Spuren um eine geheime Gesellschaft, die sich der Alchemie verschrieben hat. Was wusste die Goldschmiedin darüber, und hat dies etwas mit den wundertätigen Reliquien zu tun, die so viel Geld in die Stadt und die anliegenden Klöster bringen?

Zu spät stellt Rungholt fest, dass es um mehr geht als nur falschen Handel und seine Gegner in eine Verschwörung verstrickt sind, von der eine tödliche Gefahr ausgeht …

_Kritik_

Im dritten Teil um den bärbeißigen und dickköpfigen Rungholt lässt Derek Meister die Geschichte nicht in Lübeck, sondern ausgerechnet in München spielen. Ohne seinen regionalen Vorteil und sein Wissen um die Menschen vor Ort ist Rungholt bis auf die unerwartete Unterstützung seines Freundes Marek auf sich allein gestellt. Ein Hanser von der Ostsee, der inmitten eines Pilgerstromes im bayrischen, von Bergen umgrenzten München Spuren deuten und Mörder überführen soll, ist eine Herausforderung nicht nur für den Protagonisten, sondern ebenso für den Autor selbst.

„Knochenwald“ ist fast ebenso spannend wie seine beiden Vorgänger geworden. Inhaltlich gesehen, wird die Verschwörung bis auf einen kleinen Teil schon im Laufe der Handlung aufgeklärt, auch das Schicksal der Vermissten ist schon bald kein Rätsel mehr, so dass sich die Geschichte auf den jeweils laufenden Stand und das Fortschreiten der Ermittlungen von Rungholt konzentriert. Dem Autor geht es hier darum, dem Leser die Geschichte in kleinen Puzzleteilen zu präsentieren, um damit die Spannung langsam steigern zu können – natürlich werden die Verschwörung und die Motivation der Täter erst am Ende verraten.

Um es vorab zu verraten, ohne dass dies den Leser erstaunen wird: Die verschwundene Goldschmiedin lebt natürlich, und sie ist der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte – auch die geschilderte Situation aus ihrer Sicht ist übrigens fast schon spannender, als die Ermittlungen Rungholts es sind.

Rungholts Charakter wird hier ebenso dickköpfig und aufbrausend geschildert wie in den beiden vorherigen Romanen auch. Sein Verhältnis zu seiner ältesten Tochter Margot und ihrem einfachen Ehemann Utz ist integraler Bestandteil der Geschichte, und die beiden sind ebenso wie sein Freund Marek der einzige Rückhalt, auf den er bauen kann. Analysiert man den Charakter Margots, so lässt sich sagen: Die Tochter hat wirklich fast die gleichen Eigenschaften wie ihr jähzorniger Vater geerbt, und auch sie ermittelt auf ihre eigenen Weise.

„Knochenwald“ ist in seiner Kompisition ein historischer Krimi von erzählerischer Raffinesse, die Ihresgleichen sucht. Die Epoche des späten Mittelalters wird hier detailreich und getreu wiedergegeben, und dem Autor gelingt es vorbildlich, den historischen Hintergrund mit einer spannenden Kriminalgeschichte zu kombinieren.

Es wird vorkommen, dass der eine oder andere Leser die Stadt Lübeck und den einen oder anderen Charakter aus den beiden Romanen „Rungholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“ vermissen wird, doch diese Expedition nach München war für den Charakter Rungholt durchaus auch nötig, um Abwechslung ins Spiel zu können.

Die Geschichte hat vielleicht nicht so viele verschiedene Handlungsstränge, wie es der Leser dieser Reihe bislang gewohnt ist, aber die kleineren Nebenschauplätze und die Verhältnisse der Charaktere untereinander machen dies schnell wieder wett.

Vermissen könnte man allerdings in dieser Geschichte die Chance, das mittelalterliche München dargestellt zu bekommen. Hier wird nicht viel über das tägliche Leben oder die zahlreichen Unterschiede im Vergleich zu einer Hansestadt aufgeschlüsselt, ebenso wenig werden die Reliquien und ihre Wichtigkeit für die Pilger und die Stadt München über Maß hervorgehoben.

_Fazit_

Eine historische Krimireihe mit den jeweils gleichen Charakteren im Zentrum der Geschehnisse unterliegt dem Gesetz des Fortschrittes. Die Figuren müssen dem Leser vertrauter und inhaltlich wie chronologisch glaubhaft aufgebaut werden. Genau hier liegt der Anspruch des Lesers, und dem wird der Autor Derek Meister absolut gerecht.

Ebenso muss das historische Ambiente fast schon lückenlos recherchiert sein; sicherlich bedarf es hier schriftstellerischer Freiheiten, doch es werden Alltagsgegenstände, Berufe und dergleichen zeitgemäß dargestellt. Lobend sei hier erwähnt, dass sich der Autor die Zeit nimmt, in einem Nachwort auf seine Geschichte einzugehen und auch die Hintergründe plausibel zu erklären. Auch eine Landkarte der Umgebung Münchens lässt es zu, dass der Leser die Touren Rungholts nachverfolgen kann. Ebenso hilfreich ist das kleine Glossar am Ende des Buches, in dem man Ausdrücke und Gegenstände des alltäglich mittelalterlichen Lebens erklärt bekommt.

„Knochenwald“ von Derek Meister ist wie seine Vorgänger ein dichter Krimi mit sehr gut ausgebauten Charakteren, die man schnell ins Herz schließt. Die Spannung baut sich verhältnismäßig schnell auf und der Autor ist bereit, auch mal unkonventionelle Wege zu beschreiten, die gleichsam für die Figuren und die Handlung unabdingbar sind, ansonsten würde dieser Krimireihe wie vielen anderen auch vielleicht die Luft ausgehen.

Prädikat: erneut sehr gut und auch noch beim dritten Mal absolut lesenswert. Freuen wir uns auf den vierten Teil, und dem Autor zufolge wird es dann auch ein Wiedersehen mit der schönen Stadt Lübeck und ihren Charakteren geben.

http://www.rungholt-das-buch.de

inhalt


http://www.blanvalet.de

Soininvaara, Taavi – Finnischer Tango

[„Finnisches Requiem“ 1909
[„Finnisches Quartett“ 2988
[„Finnisches Blut“ 3465

_Vom Gefolterten zum Folterer_

In Camp Bucca wird Adil al-Moteiri qualvoll gefoltert. Doch er übersteht die Erniedrigungen und Qualen schwer verletzt. Anschließend ist er allerdings nicht nur körperlich gekennzeichnet, sondern er will dieses Unrecht wieder gutmachen …

Eeva Hallamaa, ehemals drogenabhängig, hat dagegen einigermaßen ins Leben zurückgefunden. Nach dem Sorgerechtsstreit um ihre Tochter Kirsi und der gescheiterten Beziehung zu Adil al-Moteiri ist sie glücklich in ihrer Partnerschaft mit Mikko, der allerdings nur unter der Bedingung mit ihr zusammen ist, dass Eeva keine Drogen mehr nimmt. Als sie eines Tages im Dezember in ihre Wohnung zurückkehrt, stimmt etwas nicht, sie spürt sofort, dass etwas anders ist. Und richtig: Ein Mann, der sich als „der Türke“ vorstellt, bedroht sie und setzt vor ihren Augen einem bekannten Drogendealer den goldenen Schuss. Der Türke trägt Eeva auf, der Polizei eine Botschaft zu übermitteln, und zwar soll sie ihnen sagen, dass Wassili Arbamov den europäischen Drogenmarkt erobern möchte. Noch ahnt Eeva allerdings nicht, dass ihr Alptraum erst begonnen hat.

Sie flüchtet sich zu Arto Ratamo, den sie in der Vergangenheit kennen und schätzen gelernt hat, weil Kirsi mit Ratamos Tochter Nelli gut befreundet ist. Arto Ratamo glaubt Eevas Schilderung, doch als sich in ihrer Wohnung außer Spuren von Amphetamin nichts findet, beginnt auch Ratamo, skeptisch zu werden. Der tote Drogendealer wird später gefunden – mit Spuren aus Eevas Wohnung direkt an der Leiche, und erschossen wurde er mit der Waffe von Eevas Vater. Eeva rutscht ungewollt in eine schier ausweglose Situation. Bald wird sie wieder vom Türken bedroht, der weitere Pläne mit ihr hat. Doch noch weiß sie nicht, dass hinter allem ihr Exfreund al-Moteiri steckt, der einen wahrlich teuflischen Plan ausgeheckt hat, bei dem Eeva eine entscheidende Rolle spielen soll …

_Rasant_

Der finnische Erfolgsautor Taavi Soininvaara spinnt erneut seine spannende Reihe um Arto Ratamo weiter. Ratamo, der früher als Wissenschaftler gearbeitet hat, ist nun schon seit geraumer Zeit bei der SUPO, der finnischen Sicherheitspolizei. Seine ehemalige Liebe Riitta Kuurma kehrt nach ihrem Dienst bei Europol in die finnische Hauptstadt zurück, und Ratamo merkt, dass Riitta die Trennung noch nicht vollkommen verkraftet hat. Arto Ratamo jedoch steckt bereits in einer neuen Beziehung, in der er zwar glücklich ist, doch Ilona möchte gerne eine Familie gründen und mit Ratamo zusammenziehen; das allerdings ist Ratamo zu viel der Nähe, sodass er ins Zweifeln gerät, ob diese Beziehung wirklich das Richtige ist oder ob er womöglich einfach beziehungsunfähig ist. Gleichzeitig hadert er mit seiner Freundschaft zu Eeva Hallamaa, die schwer belastet wird durch all die Indizien, die gegen sie sprechen und auch Ratamo an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.

Schon im Prolog nimmt die Geschichte Fahrt auf, denn wir lernen Adil al-Moteiri kennen, der schwerste Folterungen zu erdulden hat, diesen aber standhält und neue Pläne schmiedet, wir erfahren, dass er nun einen Weg einschlagen will, von dem es kein Zurück mehr gibt. Doch was genau al-Moteiri plant und welche Rolle Eeva Hallamaa, seine Exfreundin, dabei spielt, das bleibt sehr lange Zeit im Dunkeln. Nur häppchenweise erfahren wir von Taavi Soininvaara, welche Figuren in den Plan verwickelt und welche teuflischen Anschläge auf die Menschheit geplant sind.

Erst kurz vor Ende erfahren wir dann aber, was genau das oberste Ziel al-Moteiris ist, und sind genauso schockiert wie die Polizisten, die kurz vor knapp ebenfalls herausbekommen, was al-Moteiri vorhat. Der Spannungsbogen setzt von Beginn an ein, steigert sich dann immer mehr, um schließlich im großen Finale seinen Höhepunkt zu erreichen. Soininvaara schafft es daher wieder einmal, seine Leser völlig zu fesseln und in seine Geschichte eintauchen zu lassen. So musste ich das Buch auch in wenigen Tagen verschlingen, um endlich zu erfahren, was al-Moteiris Plan ist.

_Gut gegen Böse_

Insbesondere Eevas Rolle in al-Moteiris Plänen verleiht der Geschichte ihren besonderen Reiz. Wir wissen, dass Adil al-Moteiri Eeva immer noch liebt, gleichzeitig bringt er sie aber in eine ausweglose Lage; er lässt Reste von Amphetaminen in ihrer Wohnung verteilen, obwohl er weiß, dass Eeva dadurch höchstwahrscheinlich ihren Job an der Uni sowie das Sorgerecht für ihre Tochter verliert. Er hetzt den Türken auf Eeva und versetzt sie dadurch in Angst und Schrecken, er legt falsche Fährten, die Eeva stets als Schuldige dastehen lassen, und versteckt schlussendlich kiloweise Drogen in Eevas Wohnung und im Atelier ihres Lebensgefährten. Wieso al-Moteiri das seiner Geliebten antut, bleibt lange im Dunkeln. Eeva Hallamaa wird dadurch zur Sympathieträgerin, da der Leser ja weiß, dass sie unschuldig und ohne ihr Zutun in diese Situation geraten ist. Wieso Eeva der Schlüssel zum Gelingen von al-Moteiris Plan ist, fand ich zwar arg unlogisch, doch über diesen kleinen Schönheitsfehler mag man hinwegsehen.

Der zweite Sympathieträger ist wieder einmal Arto Ratamo, der vom Unglück verfolgt zu sein scheint. Seine Beziehungen scheitern der Reihe nach, seine Tochter Nelli war wochenlang krank, sodass Ratamo sich große Sorgen um sie macht und den Ergebnissen ihrer Blutuntersuchung ängstlich entgegenblickt, und dann macht er sich auch noch wiederholter Dienstvergehen schuldig, um seine Freundin Eeva Hallamaa zu decken. Ratamo hat wirklich das Potenzial, einen Wallander abzulösen, zumal in der Tat einige Parallelen zu entdecken sind. Und mir scheint, ein Krimi- oder Thrillerheld muss einfach eine tragische Figur sein, die nie zum Happy-End gelangen wird. Und da passt Arto Ratamo hervorragend ins Profil, obwohl er am Ende natürlich stets als mehr oder weniger gefeierter Held dasteht. Mit Ratamo hat Taavi Soininvaara eine Figur geschaffen, die durchaus eine längere Thrillerreihe trägt, weil sie Ecken und Kanten besitzt, stets glaubwürdig bleibt und uns so nahe gebracht wird, dass wir immer mitfiebern und mitleiden. Das ist mal wieder ganz großes Kino.

Neben den Sympathieträgern baut Soininvaara auch die unliebsamen Gestalten zum Teil weiter aus und stellt Ratamo bei der SUPO zwei ungeliebte Gegenparts gegenüber, mit denen Ratamo immer wieder in Clinch geraten kann und die nach und nach immer sympathischer werden – herrlich!

_Wenn Frisuren zu Hauptdarstellern werden_

Auch sprachlich überzeugt Taavi Soininvaara. Obwohl seine Bücher ausgesprochen spannend geschrieben sind, nimmt Soininvaara sich dennoch ab und an die Zeit, um seine Situationen durch nette Metaphern oder Ironie aufzulockern. Insbesondere in der Figurenbeschreibung macht sich das bemerkbar, ein Beispiel:

|“Sie machte einen ganz ruhigen Eindruck und klopfte mehrmals leicht auf ihre massive Frisur, die heute gewissermaßen haargenauso aussah wie ein Hexenbesen am Ast einer Birke.“|

Doch die misslungene Frisur von Arto Ratamos Chefin ist Hauptdarstellerin in einer weiteren Situation:

|“[…] und Arto Ratamo beobachtete interessiert, wie sich ihre massive Haartracht in der Waagerechten verhalten würde. Die Stützkonstruktion hielt, stelle er enttäuscht fest, das imposante tütenförmige Gebilde wackelte kaum, während die Chefin der SUPO vorsichtig Kaffee schlürfte.“|

So gerät das vorliegende Buch nicht nur zu einem spannenden Pageturner, sondern auch noch zu einem vergnüglichen Leseerlebnis, denn Soininvaara trifft stets den schmalen Grat zwischen locker-flockiger Figurenzeichnung und den spannenden Passagen, die natürlich von derlei Schnickschnack verschont bleiben.

_Ein teuflischer Plan_

Auch die Hauptstory überzeugt über weite Teile. Taavi Soininvaara greift verschiedene Probleme auf; so thematisiert er unter anderem den europäischen Drogenhandel. Er beschreibt, auf welchen Wegen die Drogen nach Europa geschmuggelt und dort weiterverbreitet werden, um immer mehr Menschen drgenabhängig zu machen – und das offensichtlich sehr erfolgreich, denn die Strippenzieher schwimmen im Geld, sodass Arbamov eine Erpressung um 25 Millionen Euro eigentlich ganz gut verkraften kann.

Die Drogen sind aber nur ein Schauplatz, denn auch der Konflikt zwischen den islamischen Staaten und den westlichen Mächten ist ein weiterer Themenschwerpunkt. Adil al-Moteiri kämpft als Vertreter des Islams für das Recht seines Volkes, außerdem möchte er vergelten, was seiner Familie widerfahren ist. Dabei bewegt er andere Menschen wie Bauern auf einem Schachbrett und opfert das Leben seiner Mitmenschen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Nach und nach wird einem immer klarer, dass al-Moteiri vor nichts zurückschreckt, was am Ende die islamischen Staaten allerdings auch wieder als die einzig Bösen hinstellt. Taavi Soininvaara baut jedoch ein Feindbild auf, das durchaus glaubwürdig ist; er macht sehr deutlich, welch schreckliches Elend einzelne Terroristen erzeugen können, wenn sie zu viel Macht und Geld erlangen …

_Darf ich bitten?!_

Unter dem Strich ist Taavi Soininvaara erneut ein erstklassiger Thriller gelungen, der von der ersten Seite an fesselt und mit überzeugenden und authentischen Charakteren aufwarten kann. Nicht nur sprachlich, sondern auch thematisch unterhält Soininvaara seine Leser gut, auch wenn seine Geschichte an manchen Stellen ein wenig hakt (mir erschien Eevas Rolle und Mithilfe dann doch etwas zu konstruiert). Vielleicht nicht allerbeste Sahne, aber insgesamt dennoch verdammt lesenswert!

http://www.aufbauverlag.de

Greg Rucka, Steve Lieber – Whiteout: Melt

Mit „Whiteout“ haben Autor Greg Rucka und Zeichner Steve Lieber einen ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Comic abgeliefert. US-Marshal Carrie Stetko muss unter den lebensfeindlichen Bedingungen der Antarktis einen Mord aufklären. Dabei hat sie als einzige Frau unter 400 Männern schon genug andere Sorgen und einen durch das gespaltene Verhältnis zu ihren Vorgesetzten alles andere als leichten Job.

Mit „Whiteout: Melt“ legen Rucka und Lieber nun den zweiten Teil der Mini-Serie vor, und von der bedrückenden Enge der antarktischen Forschungsstationen geht es diesmal hinaus in die stillen Weiten des ewigen Eises.

Greg Rucka, Steve Lieber – Whiteout: Melt weiterlesen

Bishop, Anne – Belladonna (Die dunklen Welten 2)

Band I: [„Sebastian“ 3671

_Oberflächlich gesehen_, ist Michael nicht mehr als ein schäbiger Vagabund, der sich sein Geld mit Flötespielen verdient. Das liegt daran, dass das, was unter dieser Oberfläche schlummert, bestenfalls mit Misstrauen, wenn nicht gar mit Ablehnung betrachtet wird. Doch nun scheint es, als müsse sich daran dringend etwas ändern! Grausame Dinge sind geschehen, die Menschen haben Angst, und die vernünftigeren unter ihnen sind eher dafür, dass Michael etwas dagegen unternimmt, anstatt ihn dafür verantwortlich zu machen.

Allerdings zieht Michael damit die Aufmerksamkeit des tatsächlichen Verursachers auf sich. Prompt wird er angegriffen, und die einzige Gegenwehr, die ihm einfällt, bringt ihn an einen Ort, der fremder und wundersamer kaum sein könnte: Ephemera …

_Unter den diversen neuen Charakteren_ dieses zweiten Bandes ist Michael der einzige wirklich wichtige. Erstaunlich dabei ist, dass es über ihn eine Menge zu sagen gäbe, allerdings kaum Eigenschaftswörter. Zumindest solche, die seinen Charakter beschreiben könnten. Bestenfalls könnte man sagen, er besäße Verantwortungsbewusstsein. Obwohl Bewusstsein hier auch schon übertrieben ist, denn tatsächlich ist Michael absolut ahnungslos, was seine wirkliche Tätigkeit betrifft. Seit zwölf Jahren ist er auf Wanderschaft, bereist regelmäßig dieselben Ortschaften, ohne zu wissen, warum das so ist und was es bedeutet. Inzwischen ist er seines Lebens als Außenseiter müde und sehnt er sich nach Zugehörigkeit, sowohl zu einem Ort als auch zu anderen Menschen, sprich: nach einem Zuhause.

Seine Schwester Caitlin besitzt ebenfalls eine besondere Gabe, für die sie misstrauisch beäugt und verspottet wird. Sie empfindet ähnlich wie Michael, nur noch viel stärker. Denn erstens ist sie ein Mädchen und deshalb einer zusätzlichen, besonders unangenehmen Art von Diskriminierung ausgesetzt. Zum zweiten ist sie im Gegensatz zu Michael nicht unterwegs. Wie ihr Bruder weiß auch sie nicht wirklich, was es mit ihrer Gabe auf sich hat, und da sie nicht fort kann, reagiert sie mit wachsendem Trotz und Zorn.

Brighid, die Tante, die die beiden aufgezogen hat, war ursprünglich die Oberste der Gemeinschaft auf der Insel des Lichts, ehe sie die Insel verließ, um die beiden verwaisten Kinder großzuziehen. Sie ist eine strenge, aufrechte Frau und kann die beiden Kinder, obwohl sie diese nach außen stets verteidigt hat, selbst nicht vorbehaltlos akzeptieren. So ist auch sie mit ihrer Situation nicht glücklich, nicht einmal, als sie wieder auf die Insel zurückkehrt.

_Im Vergleich zum ersten Band_ ist die Charakterzeichnung ein kleine wenig schwächer ausgefallen. Caitlin und Brighid sind nicht so stark ausgearbeitet wie Teaser oder Nadia, vielleicht auch, weil Brighid überhaupt eher wenig und Caitlin im letzten Drittel so gut wie gar nicht mehr vorkommt. Aber auch Michaels Darstellung ist nicht so intensiv ausgefallen wie Sebastians, was daran liegen mag, dass er sich den Mittelpunkt mit Glorianna Belladonna teilen muss. Gloriannas Charakter stand bereits, sodass die Autorin sich in diesem Fall mehr auf ihre Gefühlswelt konzentrieren konnte, was sie auch getan hat, allerdings ohne dabei die Balance zu verlieren. Insgesamt sind wir somit noch immer auf einem Niveau, das ein gutes Stück über dem Durchschnitt liegt.

Was „Belladonna“ weit mehr von „Sebastian“ unterscheidet, ist die Unwissenheit sämtlicher neuer Figuren in Bezug auf das wahre Wesen Ephemeras. Sie alle leben in dem Teil der Welt, der durch den Kampf gegen den Weltenfresser nahezu unversehrt geblieben ist. Offenbar waren dort keine Brückenbauer notwendig, die die einzelnen Bruchstücke miteinander verbanden. Trotzdem hat es mich doch ein klein wenig erstaunt, dass das Wissen um die Landschaffer und ihre Aufgaben dort so nahezu vollständig untergehen konnte. Zumindest Brighid, die ja immerhin noch wusste, was sie selber war, hätte erkennen müssen, was ihre Nichte und ihr Neffe waren!

Ein wenig verwirrt hat mich außerdem die Frage, wie sehr die beiden Gebiete – das unversehrte und das zersplitterte – nun eigentlich wirklich voneinander getrennt waren. Einerseits tauchten in den Orten auf Michaels Route gelegentlich Geschöpfe auf, die aus den dunklen Landschaften in der Nachbarschaft des Sündenpfuhls stammen, zum Beispiel Wasserpferde. Warum aber gab es dann keine weiteren Kontakte? Warum hat niemand aus Michaels Gegend daran gedacht, die Schule der Landschafferinnen zu besuchen, bevor das Wissen so weit verloren gehen konnte, dass niemand mehr eine Ahnung davon hatte? Warum hat niemand aus den anderen Landschaften je versucht, den unversehrten Teil der Welt zu erreichen? Schon eigenartig.

Andererseits fällt es im Hinblick auf die eigentliche Handlung nicht schwer, diese kleinen Unstimmigkeiten beiseite zu lassen. Nachdem die Autorin den Leser gleich im ersten Drittel beinahe in eine Katastrophe laufen lässt, die halb aus zwischenmenschlichen Konflikten, halb aus der Bedrohung durch den Antagonisten besteht, wird es eine Weile etwas ruhiger, nur um nach einem weiteren Drittel noch einmal massiv an Dramatik und Spannung zuzulegen. Auch der Schluss des Buches war nicht unbedingt vorherzusehen. Die Art und Weise, wie Belladonna den Weltenfresser bekämpft, ist wirklich erst ab dem Zeitpunkt klar, als Anne Bishop ihn verrät. Und das sagt noch gar nichts darüber aus, wie dieser Kampf endet.

Faszinierend finde ich auch stets aufs neue, wie die Autorin Licht und Schatten ausbalanciert. Immer wieder malt sie die düstersten Stimmungen und muss dabei nicht im Geringsten auf blutige Details zurückgreifen. Und ein paar Seiten weiter sprüht trockener Humor aus den Dialogen und bringt den Leser dazu, breit zu grinsen oder sogar zu lachen.

_Diese Mischung aus phantasievoller, interessanter Welt, menschlichen, lebendigen Charakteren, Spannung und Humor macht beinahe süchtig._ Zumindest gilt das für mich. Ephemera hat mir fast noch besser gefallen als der Juwelenzyklus. Der Zweiteiler ist nicht so brutal und auch stofflich noch nicht so sehr beansprucht wie sein großer Bruder, der immerhin schon fünf Bände umfasst. Und eigentlich gäbe es auch keinen Grund, aus Ephemera eine Trilogie zu machen, aber man weiß ja nie. Geschichten, die eigentlich abgeschlossen sind, noch einmal weiterzuspinnen, ist meistens keine gute Idee. Aber das muss ja nichts heißen, wie selbst Anne Bishop bereits bewiesen hat.

_Anne Bishop_ lebt in New York, liebt Gärtnern und Musik, und hatte bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, ehe ihr mit dem Zyklus der |Schwarzen Juwelen| der internationale Durchbruch gelang. Außerdem stammen aus ihrer Feder die Trilogie |Tir Alainn|, die auf Deutsch bisher anscheinend nicht erschienen ist. Dafür kommt im Oktober dieses Jahres unter dem Titel „Nacht“ noch mal ein weiterer Band aus dem Juwelenzyklus in die Buchläden.

|Originaltitel: Belladonna (Ephemera, Bd. 2)
Übersetzt von Kristina Euler
Mit Illustrationen von Animagic
Taschenbuch, 528 Seiten|
http://www.heyne.de
http://www.annebishop.com/

_Anne Bishop auf |Buchwurm.info|:_

|Die dunklen Welten|:

Band I: [„Sebastian“ 3671
Band II: [„Belladonna“ 4722 (zusätzliche Buchrezension)

|Die Schwarzen Juwelen|:

Band I: [„Dunkelheit“ 3375
Band II: [„Dämmerung“ 3437
Band III: [„Schatten“ 3446
Band IV: [„Zwielicht“ 3514
Band V: [„Finsternis“ 3526
Band VI: „Nacht“ (dt. im Oktober 2008)

Bodenski (Autor) / Vieweg, Oliver (Herausgeber) – Subway To Sally Storybook

Abgesehen von der Akustik sind es vor allem die Texte, die einen besonderen von einem weniger besonderen Song unterscheiden und über die sich eine Band im Musikmarkt positioniert. Wer nicht auf die zwar eingängigen, aber in der Regel oberflächlichen One-Hit-Wonders oder den Einheitsbrei von Castingbands steht, findet speziell im Sektor der etwas härteren Musik zahlreiche Künstler, die viel Wert auf ihre vermittelten Botschaften legen – und, nicht zu unterschätzen, ihre Stücke selbst schreiben. Wenn es sich nicht gerade klischeebeladene Trink- oder Machoinhalte sind, die Rock, Metal und Punk natürlich auch prägen, liegt der Fokus auf stimmungsvollen Lyrics: von metaphorischen Strophen, die viel Spielraum für eigene Interpretationen gewähren, bis hin zu ganzen Konzeptalben, die durchdacht aufgebaut eine ganze Geschichte erzählen.

Zu jenen Bands mit vielseitigen, anspruchsvollen Texten zählt die siebenköpfige Formation |Subway To Sally|, die seit 1992 mittelalterliche, historische Klänge mit harten Gitarren mischt. Die letzten Albumveröffentlichungen „Engelskrieger“, „Nord Nord Ost“ und „Bastard“ belegten vordere Chartplatzierungen, ausschweifenden Tourneen und Festivalauftritten folgte eine |Echo|-Nominierung. Den bisherigen Höhepunkt stellte die Teilnahme an Stefan Raabs |Bundesvision Song Contest| dar, den |Subway To Sally| im Februar 2008 für sich entscheiden konnte.

Obwohl Sänger Eric Fish durch seine markante Stimme und seine selbstbewusste Erscheinung im Mittelpunkt des Interessen steht, ist für das Songschreiben und damit für das wichtige Liedgut ein anderer verantwortlich: Michael Boden alias Bodenski, der seit der Bandgründung den Großteil der Texte beisteuert. Viel Material hat sich da im Laufe der Jahre angesammelt, so dass Bodenski nun in Zusammenarbeit mit dem |Egmont|- und |Schwarzer Turm|-Verlag ein Storybook konzipiert hat, das seine Arbeit als Songschreiber mit dem visuellen Medium verknüpft: Das „Subway To Sally Storybook“ enthält nämlich 19 Comics diverser Nachwuchskünstler, die sich einige der bei den Fans beliebtesten und schönsten Stücke der Folk-Rocker als Vorlage genommen und visuell umgesetzt haben.

_19 Songs, 19 Werke_

Einleitend gibt Bodenski zu jedem Comic ein paar Informationen darüber preis, wie es zu dem jeweiligen Songtext gekommen und wovon er beim Schreiben inspiriert worden ist. Obwohl nur wenige Zeilen umfassend, sind die Hinweise durchweg interessant und halten auch für langjährige Fans der Band einige neue Informationen zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Titeln bereit. Mit den Comics haben diese einleitenden Worte aber nichts weiter zu tun, denn diese sind allein Interpretation des Zeichners – mal nah an der ursprünglichen Aussage des Textes, mal aber auch von ihr losgelöst und nur im übertragenen Sinne gezeichnet.

Sehr nah am Text hält sich Tara Starnegg mit „Unterm Galgen“, die das rund 230 Seiten dicke Buch eröffnet. Ebenso wie der Song vom „Bannkreis“-Album schildert die bebilderte Geschichte die letzten Minuten eines durch den Strick zum Tode verurteilten Menschen. Die Zeichnerin lässt den von Schaulustigen überfüllten Platz einer mittelalterlichen Stadt entstehen, konzentriert sich dabei aber vor allem auf den Ausdruck des Verurteilten. Der Wahn steht ihm ins Gesicht geschrieben, als er zum Galgen geführt wird. Immer wieder reißt er die Augen weit auf, wenn es wie im Refrain heißt: „Sterben, sterben kann ich nicht.“ Der leicht überzeichnete Mangastil wirkt passend und verleiht dem Comic eine moderne Note. Die Bilder sind in Schwarzweiß gehalten, nur sporadisch hebt Starnegg einige Motive durch leichte rote Farbtöne hervor.

So wie „Unterm Galgen“ sind auch alle anderen Comics in Schwarz, Weiß und Rot gehalten. Dadurch fällt der gesamte Band düster und, den Songtexten entsprechend, sehr poetisch aus. Nicht immer jedoch wird die rote Farbe als zusätzliche Nuance nur spärlich eingesetzt. „Feuerkind“ von Julia Schlax geizt nicht mit roten Tönen, als am Ende des Songs und damit auch dem Ende des Comics das knisternde Feuer hervorbricht. Auch Caroline Sander, die die Bilder zu „Minne“ beisteuert, offenbart ihr Faible für diese Farbe und lässt anschaulich die umworbenen Schönheiten mit blutig-roten Lippen erstrahlen.

So ähnlich wie die Farbgestaltung bei den Comics auch ausfällt und diese miteinander verbindet, so unterschiedlich sind die Zeichenstile, die das „Subway To Sally Storybook“ in diesem Band vereint. Beeindruckend plastisch kommt etwa Iona Haiducs Version der „Henkersbraut“ daher: realistische Konturen gemischt mit einem leicht japanischen Zeichenstil. Grotesk dagegen fällt die „Arche“ von Annelie Kretzschmar aus. Statt Bilderabfolgen reizt sie mit großformatigen Motiven die zur Verfügung stehenden Doppelseiten aus und füllt das Schiff, der nicht gerade bibeltreuen |Subway To Sally|-Arche angemessen, mit menschlichem Wahnsinn und Verderben. „Kleid aus Rosen“ von Katharina Niko geht wiederum minimalistisch vor, stellt vor allem die Hauptfigur des Songtextes in den Vordergrund und lässt den Hintergrund bewusst schwammig. Damit gelingt es ihr, die abschließende Pointe als zentrales Motiv ihres Comics hervorzuheben.

Nicht jeder Comic ist auf gleich hohem Niveau angesiedelt. Durch die unterschiedlichen Stile bietet der Band aber genügend Auswahl für seine eigenen Favoriten, die je nach persönlichem Geschmack unterschiedlich ausfallen dürften. Die einzelnen Interpretationen entsprechen auch nur selten den eigenen. Das ist jedoch weniger schlimm, da die eigenen Bilder beim Hörer der Stücke durch die Comics nicht zerstört werden – ganz im Gegenteil zu Filmumsetzungen, die nach der Filmbetrachtung die Lektüre guter Buchvorlagen erschweren. So ist das Storybook also vielmehr als nette Ergänzung zu verstehen, um beim Hören der Songs entspannt mitzulesen. Wer sich schon immer für die Songtexte interessiert hat und auf die visuellen Umsetzungen neugierig ist, bekommt ein schönes Buch geliefert, das jeden |Subway To Sally|-Fan und solche, die es noch werden wollen, zufriedenstellt. Obligatorisch ist es aber nicht, denn |Subway To Sallys| Musik liefert auch ohne Comic als Stütze Bilder im Kopf.

http://www.ehapa-comic-collection.de
http://www.manganet.de
http://www.subwaytosally.de

Gößling, Andreas – Freimaurer, Die. Weltverschwörer oder Menschenfreunde?

Andreas Gößling stellt sich eine altbekannte Frage: „Die Freimaurer, Menschfreunde oder Weltverschwörer?“ Den gleichlautenden Titel seines 2007 erschienenen Buches über die Freimaurerei könnte man für müßig halten. Zu oft haben uns Autoren unterschiedlicher Couleur mit ihren x-fachen Abhandlungen über Freimaurerei gelangweilt. Gößling scheint auf den ersten Blick mit seinem plakativen Titel genau hier anzuknüpfen, er beackert ein vorbelastetes Feld. Doch seine Ausführungen stechen aus der Masse einschlägiger Literatur zum Thema heraus – inhaltlich und stilistisch. Gößling arbeitet akribisch, historisch genau und bedient sich einer gleichsam verständlichen und anspruchsvollen Sprache. Die flüssige Prosa verhindert, dass man sein Buch mit dem polarisierenden Titel gelangweilt zur Seite legt.

Gößling macht kein zusätzliches Geheimnis um freimaurerische Termini, er erläutert sie – und das ist hervorhebenswert – in ihrer modernen und ursprünglichen Bedeutung. Die Ambivalenz zwischen den freimaurerischen Wurzeln, etwa den antiken Mysterienkulten, und der seit der Aufklärung um- und neugedeuteten Symbole der Freimaurerei gehört zu Gößlings Schwerpunkten. Bezeichnend hierfür sind seine Thesen:

(1) Die moderne, „symbolische“ Freimaurerei basiert auf einer „humanistischen Umdeutung“ archaischer Symbole. Das „Mysterium“ der Freimaurer ist der Prozess kultureller Überführung von synkretistisch-okkulten Lehren in die Moderne.

(2) Die aktuelle Freimaurerei besteht aus Überbleibseln archaischer Männerbünde, die z. B. auf den Mithras-Kult oder die Mysterien der Isis zurückgehen. Magie und Mystik spielten in diesen archaischen Bünden stets eine große Rolle. Der Kerngedanke der bis in die Moderne gelangten Weiterentwicklungen dieser Bünde ist, trotz der aufklärerischen Einflüsse, von magisch-mystischen Denkfiguren geprägt. Die Betonung der Freimaurerei auf ethisch-humanistische Werte ist kein Widerspruch zu magischen Weltbildern. Nur vordergründig schließen Aufklärung und Humanismus den Bezug auf Emotionales, Numinoses und Okkultes aus. Vielleicht zeigt sogar die Versöhnung von Magie und Ratio am Beispiel der Freimaurerei, dass es den magischen Theorien unserer Vorfahren im Kern auch um ethische Fragen ging (die Alchemie bezeugt diese These); oder sie zeigt, dass das Weltbild der Aufklärung auch die okkulten Aspekte von Welt und Selbst zu integrieren vermag.

(3) Gößling bezeichnet nicht ganz frei von Ironie den Freimaurerorden als „Geheimbund ohne Geheimnis“. Das maurerische Geheimnis ist laut Mythologie bekanntermaßen verlorengegangen. Aber im Kollektiv der Brüder kann es erneuert werden; das soziale Gefüge bringt es – angepasst an Zeit und Kontext – beständig neu hervor. Somit ist es kein normatives Geheimnis, ja eigentlich auch keine „teilbare Erkenntnis“, denn es „lebt“ erst in jedem Einzelnen.

Wohl aber besitzt es einen archetypischen, exemplarischen Kern: die Tatsache, dass es in der Geschichte als „Geheimnis“ bezeichnet wurde. Und Kennenlernen kann es logischerweise nur, wer am Kollektiv der Freimaurer partizipiert. Das „verlorene Meisterwort“ – das subjektive Geheimnis – dient als Hülse facettenreichster Deutung; das macht auch Gößling deutlich, wenn er die wesentlichen Unterschiede zwischen Johannismaurerei, schottischer Hochgradmaurerei, französischer Co-Maurerei und anderen zum Teil nationalen Formen des Ordens anführt.

Gößling referiert spannungsreich das überlieferte Wissen der Freimaurer; er nimmt den Leser mit auf 16 Reisen durch die Mythologie und Geschichte des Ordens. Dabei scheint er sich am Einweihungsweg der Brüder selbst zu orientieren. Vom Lehrlingsgrad über den des Gesellen bis hin zum Meistergrad führt er in die ambivalente Symbolik und Ritualistik der Freimaurerei ein. Der Autor tut dies kritisch und scheut sich nicht, auch exakte Anleitungen wie zum Beispiel Vereidigungstexte aus den Initiationsritualen zu zitieren.

Gößling ist an zeitgemäßer Deutung der Freimaurergeschichte interessiert. Er streift mit seinen Thesen aktuelle Fragestellungen der internationalen Esoterikforschung. So zeigte beispielsweise auch Kocku von Stuckrad, dass okkulte und esoterische Weltbilder seit dem Mittelalter das soziale Phänomen, das wir „Moderne“ nennen, mit hervorgebracht haben.

Gößlings „Die Freimaurer. Weltverschwörer oder Menschenfreunde?“ ist ein spannend geschriebenes Buch, das mehr als einen flüchtigen Einblick in die Geschichte der Freimaurerei bieten kann. Das Buch bleibt nicht bei der Geschichte stehen, sondern thematisiert letztlich auch die Probleme und Grenzen eines auf archaischen Wurzeln ruhenden sozialen Gefüges in einer individualistischen und rationalistischen Zeit.

http://www.andreas-goessling.de
http://www.droemer-knaur.de

_Andreas Gößling auf |Buchwurm.info|:_
[„Faust der Magier“ 3904

Miéville, China – Un Lon Dun

China Miéville – ein britischer, aufstrebender Autor, der gleich mit seinem Debüt „King Rat“ im Jahr 1998 von sich reden machte. Sein Rezept: Er beschränkt sich in seinen Werken nicht auf ein Genre. Er mischt kräftig Fantasy mit Sciencefiction-Elementen, dazu gibt er gerne eine Spur Horror bei und – wenn man so will, sein Markenzeichen – grotesken Humor. Dieser kommt auch in seinem Jugendroman „Un Lon Dun“ nicht zu kurz, steht aber nicht im Zentrum einer abenteuerlichen Geschichte um Freundschaft und die Rettung einer ganzen Welt.

_Inhalt_

Zanna ist ein ganz normales Mädchen. Sie besucht die Kilburn-Gesamtschule in London, schreibt gute Noten und verbringt ihre Freizeit mit ihren besten Freundinnen, allen voran Deeba aus ihrer direkten Nachbarschaft. Seit einiger Zeit häufen sich jedoch Ereignisse, die das aufgeweckte Mädchen durcheinanderbringen. So sehr sie diese auch nicht überbewerten möchte, an Zufälle glaubt Zanna schon lange nicht mehr.

Fremde Personen sprechen das Mädchen auf offener Straße an und begrüßen sie als Schwasie, später entdeckt sie an einer Hauswand ein Graffiti mit der Aufschrift „Zanna for ever“. Und Tiere beobachten sie mit einem außergewöhnlich großen Interesse, vor allem Hunde blicken ihr hinterher. Auf dem Schulgelände hat sie sogar eine kurze Begegnung mit einem Fuchs. Nur Deeba kann sie sich anvertrauen, doch obwohl ihre Freundin zu ihr hält, will sie nicht so recht glauben, was da passiert.

Bis zu dem Tag, als sich das Leben der beiden Jugendlichen ändert. Angezogen von einer offen stehenden Kellertür, die die beiden Mädchen eines Tages in einer ruhigen Nebengasse Londons entdecken, folgen sie den dunklen Korridoren bis zu einer Sackgasse. Nur ein verrostetes Ventilrad befindet sich in dem Raum. Aus reiner Neugierde drehen Zanna und Deeba an dem Rad, und ehe sie sich versehen, finden sie sich in einer neuen Welt wieder: Müll und weggeworfener Elektroschrott, der zu Leben erwacht, menschenähnliche und menschenunähnliche Gestalten, die auf der Straße mit im normalen London als Schrott bezeichneten Gegenständen Handel treiben, und Kinder, die als geisterhafte Wesen durch die Straßen huschen, beherrschen das Stadtbild. Und darüber, über der ganzen Szenerie, schwebt eine Sonne in Donutform.

Ein Passant klärt die zwei Londonerinnen schließlich auf: sie befinden sich in Un Lon Dun, einer Parallelwelt, die auf paradoxe Weise das Leben in London persifliert. Hier funktioniert alles nach ähnlichen, aber doch ganz anderen physikalischen Gesetzen. Vieles scheint vertraut, doch auf so absurde Weise ins Lächerliche verkehrt, dass Zanna und Deeba nicht wissen, ob sie nun lachen oder weinen sollen.

Viel Zeit zum Grübeln bleibt ohnehin nicht. Ein Mann namens Obaday Fing, der sich in die Romanseiten literarischer Klassiker gekleidet hat, nimmt sich der Mädchen an. Als er auf Zannas Travelcard entdeckt, wen er dort vor sich hat, will er die Mädchen schnell in Sicherheit bringen. Denn in Zanna sieht er die Schwasie, die Auserwählte, die Un Lon Dun von dem Smog retten soll. Doch wenn die Geschichte mit der Schwasie auf einer Prophezeiung Un Lon Duns beruht und eben jener Name auch schon im richtigen London gefallen ist, dann muss, so hoffen die Mädchen, mehr als ein Weg zwischen ihren Welten existieren. Die Chance auf eine baldige Rückkehr treibt sie an.

Zunächst gilt es jedoch, zu den Prophezeiern zu gelangen, die laut Obaday den Mädchen alles erklären und ihre Fragen, auch zu ihrer Heimkehr, beantworten können. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn ihre Verfolger, die der Smog um sich versammelt hat, haben sich bereits an ihre Fährte geheftet. Geister, die sie nach Nebulos, in eine leere Welt ziehen wollen, Zyklopsbrummer und Aerobanditen, die auf den Brummern durch die Gegend jagen. Doch zum Glück, nachdem sie sich bei einer hektischen Verfolgungsjagd von Obaday trennen müssen, bekommen Zanna und Deeba unterwartete Hilfe. Endlich bei den Prophezeiern angelangt, geht das Abenteuer aber erst richtig los.

Denn der Smog wagt einen verzweifelten Angriff, dringt in Zannas Lunge ein und lässt sie bewusstlos zu Boden gehen. Unschirme, lebende Regenschirme, können die giftige Smogwolke wieder vertreiben, doch die Auserwählte ist erst einmal außer Kraft gesetzt. Ist die Prophezeiung also nur ein Hirngespinst, das auf Hoffnung, aber nicht auf Tatsachen beruht? Gibt es die Schwasie vielleicht gar nicht? Die Mädchen und die Bewohner Un Lon Duns müssen Antworten erhalten und sich entscheiden, ob sie trotzdem den Kampf gegen den Smog aufnehmen wollen.

_Bewertung_

China Miéville erschafft mit Un Lon Dun eine Parallelwelt, die an eine moderne Form von Alices Wunderland erinnert. Fantastische Elemente finden sich zuhauf, doch sind sie ins Absurde gezogen und persiflieren Alltäglichkeiten der normalen Welt. Der Einfallsreichtum des Autors ist enorm. Auf fast jeder Seite baut er neue Geschöpfe ein, die in Un Lon Dun aus entsorgten Elektrogeräten oder weggeworfenem Müll zum Leben erwachen. Der Milchkarton Krissel etwa begleitet die Mädchen als eine Art Haustier auf ihrer Reise durch die Parallelwelt, und mit dem Fledderschrimm steht ein tapferer Regenschirm an ihrer Seite, der sich mehr als einmal zwischen sie und den Smog wirft. Und wenn die Protagonisten nicht auf lebendige Gegenstände treffen, dann auf verrückte Menschen oder Tiere, die auf gleicher Augenhöhe durch die skurrile Welt wandern.

So viele farbenfrohe Wesen auch durch Un Lon Dun wuseln, so wenig plastisch fügen sie sich in Miévilles Roman ein. Die Figuren sind zwar einfallsreich gestaltet, hinterlassen allerdings keinen bleibenden Eindruck, da sie meist genauso schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Auch den Nebencharakteren, von denen sich im Laufe der Handlung eine stattliche Anzahl ansammelt, mangelt es an Charaktereigenschaften, die sie liebens- oder verabscheuenswert machen. Ihr absonderliches Erscheinungsbild oder Verhalten ist das Einzige, was dem Leser im Gedächtnis bleibt, wesentliche Charakterzüge fehlen leider. So bleiben die Figuren austauschbar und wirken nur als Fassade einer Welt, in die man nicht so recht einzutauchen vermag, trotz grandioser und zahlreicher Einfälle, Un Lon Dun zum Leben zu erwecken.

Auch die Protagonisten erscheinen blass und austauschbar. Zanna Und Deeba sind anfangs kaum voneinander zu unterscheiden, wäre da nicht die Prophezeiung, die Zanna auf eine scheinbar höhere Stufe stellt. Zwar baut sich im Laufe der Handlung eine angenehm überraschende Wendung auf, die Hauptfiguren bieten aber insgesamt nur selten Identifikationsmöglichkeiten, um den Leser dauerhaft packen zu können.

So als wolle Miéville diese meist nur oberflächliche bleibende Figurendarstellung und Entwicklung unterstützen, ist das mit knapp 600 Seiten wahrlich nicht dünne Buch von einem hektischen, flüchtigen Stil geprägt. Die einzelnen Kapitel sind selten mehr als zehn Seiten lang. Kurze Sätze sowie der häufige Gebrauch einer elliptischen Satzstruktur prägen den Roman. Hinzu kommt ein ausgeprägter Nominal-Stil samt zahlreichen Wortneuschöpfungen, um den Un Lon Duner Geschöpfen und Gegenständen einen neuen Namen zu verleihen. Das wirkt stellenweise komisch, behindert in der Häufung aber eher den Lesefluss und fällt im Handlungsverlauf eher störend auf. Schieferläufer, Unschirmissimo, das Faselland, Graffel-Häuser und Miefschniefer klingen gekünstelt. Statt Namen, die sich selbst beschreiben und selbsterklärend sein sollen, wäre ein beschreibender, verbaler Stil angebrachter gewesen. Auch, oder sogar gerade ein Jugendbuch benötigt Raum zur Entfaltung.

Das ist schade, denn die Handlung kann überzeugen und durchbricht gekonnt die Konventionen des fantastischen Genres. Eine Auserwählte, die zusammen mit ihrer besten Freundin in eine Parallelwelt gelangt, scheint auf den ersten Blick altbekannt. Miéville spielt allerdings mit den altbewährten Mustern eines unfreiwilligen Helden und gibt nicht viel auf Prophezeiungen, die irgendwann und irgendwo einmal aufgestellt worden sind. In Un Lon Dun wird nur der zum Helden, der sich selbst dazu berufen fühlt, und das ist in diesem Fall nicht die Person, die auf den ersten zweihundert Seiten als vermeintliche Hauptfigur in Erscheinung tritt.

Durchweg rasant zieht sich die Handlung durch den Roman, dem Leser bleibt kaum Zeit, sich auf die Eindrücke einzulassen. Das entspricht zwar dem bereits ausgeführten Stil des Buches, der wie der rasante Schnitt eines schnellen Films daherkommt, verschenkt aber die Möglichkeiten, in ruhigen Passagen neu an Fahrt zu gewinnen. „Un Lon Dun“ macht Spaß, verschenkt aber zu viel, denn hier wäre deutlich mehr drin gewesen.

http://www.bastei-luebbe.de

_China Miéville auf |Buchwurm.info|:_

[„Perdido Street Station“ 695
[„Die Narbe“ 591
[„Leviathan“ 612
[„Der Eiserne Rat“ 2293

Hrissomallis, Simeon – Faith – The Van Helsing Chronicles: Verwandlungen (Season 1 – Episode 2)

Episode 1: [„Die Zusammenkunft“ 4811

Faith und ihre Freunde erfahren von Christopher Lane, dass sie übernatürliche Kräfte besitzen. Während es bei Vin und Shania unklar ist, wie sich diese Kräfte äußern, muss Faith die Tatsache verarbeiten, dass ihre Mutter ein zum Mensch gewordener Engel war, dessen Fähigkeiten nun auch in ihrer Tochter erwacht sind. Darüber hinaus macht sie die Bekanntschaft mit dem geheimnisumwitterten Raven, einem Freund Christophers, der helfen will, die drei Teenager im Kampf gegen das Böse auszubilden. Zunächst aber müssen sich Raven und Faith allein auf die Jagd nach einem mörderischen Werwolf machen …

_Meine Meinung:_

Die zweite Episode der ersten Staffel setzt die Ereignisse aus Folge eins konsequent fort. Die Parallelen zu „Buffy“ werden immer offensichtlicher, denn auch Faith ist mit übermenschlichen Kräften gesegnet. Die Sprecher, allen voran Nana Spier, sind voll bei der Sache. Da klingt nichts gekünstelt oder abgelesen. Nur einige Dialoge sind eher lächerlich und hören sich an wie aus einer Teenie-Sendung im Nachmittagsfernsehprogramm. Gerade die dümmlichen Kommentare von Vin nerven eher, als dass sie komisch wirken. In den Dialogen zwischen ihm und Shania hört man deutlich, dass Tessmann und Hugo ihre Rollen als pubertierende Teenager gezielt übertreiben.

Sehr schön war der Gastauftritt von Helmut Krauss als Schuldirektor; der Sprecher arbeitet ansonsten als Synchronsprecher oder steht selbst vor der Kamera. Christians Rodes Part als Professor Ryan war schlicht grandios – mit dieser Stimme konnte das Label einen der ganz Großen in der Hörspielbranche gewinnen. Petra Wolf als Sprecherin überzeugt immer mehr und vermittelt mit ihrer dunklen Stimme das richtige Flair.

Die Story mit den Werwölfen ist sehr originell, und die Darstellung des indianischen Rituals zeigt, dass Simeon Hrissomallis beim Verfassen der Skripte Wert auf eine genaue Recherche legt. Der Epilog der Geschichte treibt zudem den roten Faden voran, der die komplette erste Staffel verbinden soll.

All dies ist unterlegt mit filmreifen Effekten und einer klangvollen, unaufdringlichen Musik.

_Zur Aufmachung:_

Das Cover von Timo Würz zeigt Faith mit ihrer Armbrust. Der Werwolf sieht zwar ein wenig wie eine Riesenratte aus, doch davon abgesehen ist die Illustration gelungen. Im Innenteil des Booklets sind sogar Fotos von den Sprechern Nana Spier, Petra Wolf, Helmut Krauss und Thomas-Nero Wolff abgebildet.

_Fazit:_

„Verwandlungen“ ist eine eher durchschnittliche Fortsetzung der Abenteuer von Faith Van Helsing. Während die eigentliche Story sehr spannend und originell erzählt wird, ist die Hintergrundgeschichte um Faith und ihre übernatürlichen Kräfte ziemlich haarsträubend. Hinzu kommen die albernen Dialoge zwischen Vin und Shania, die den Hörspaß etwas trüben.

_Besetzung:_

Faith Miles: Nana Spier (Sarah Michelle Gellar, Claire Danes, Drew Barrymore)
Christopher Lane: Thomas-Nero Wolff (Hugh Jackman, Jason Statham, Anthony ‚Giles‘ Head)
Shania Francis: Dorette Hugo (Jennifer Garner, Christina Ricci in „Ally McBeal“)
Melvin Masters: Boris Tessmann (David ‚Angel‘ Boreanaz)
Raven: David Nathan (Johnny Depp, Christian Bale, James ‚Spike‘ Marsters)
Direktor Arowic: Helmut Krauss (Marlon Brando, James Earl Jones, Samuel L. Jackson)
Professor Ryan: Christian Rode (Michael Caine, Christopher Plummer)
Hunter: Udo Schenk (Ray Liotta, Ralph Fiennes, Kevin Bacon, Gary Oldman, Jeffrey Combs …)
Jill: Daniela Hoffmann (Julia Roberts, Calista ‚Ally McBeal‘ Flockhart)
Harry: Erminio Juliano
Erzählerin: Petra Wolf
Joe Hagett: Thomas Kästner (William ‚Raucher/Krebskandidat‘ Davis)
Alex Elwood: Wolfgang Strauss
Unbekannter: David Russel

|51 Minuten auf 1 CD|
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Broughton, Rhoda – Geistergeschichten

_Inhalt_

– |“Mrs. Smith von Longmains“| (Mrs. Smith of Lingmains, 1886), S. 7-44: Ein düsterer Traum von kaltblütigem Mord treibt Mrs. Smith trotz eisigen Winterwetters zu einer ungeliebten Nachbarin, doch es wird schwieriger als gedacht, dem Schicksal in den Arm zu fallen …

– |“Bettys Visionen“| (Betty’s Visions, 1886), S. 45-81: Viermal wird Betty in ihrem Leben von Todesahnungen überfallen, die sich als schrecklich zutreffend erweisen; als sie denkt, dass es schlimmer nicht kommen kann, belehrt sie Vision Nr. 5 eines Schlechteren …

– |“Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“| (The Truth, the Whole Truth and Nothing But the Truth, 1868), S. 82-95: Eine bemerkenswert günstige Mietwohnung in London erweist sich als Wohnstatt eines Wesens, dem man besser nicht begegnet …

– |“Der arme, hübsche Bobby“| (Poor Pretty Bobby, 1872), S. 96-122: Falls etwas schiefgehen sollte auf See, werde er seiner Verlobten auf jeden Fall eine letzte Botschaft übermitteln, verspricht der junge Seemann – und als Mann von Ehre hält er sein Wort …

– |“Sind Träume Schäume?“| (Behold, It Was a Dream, 1873), S. 123-138: Leidlich beruhigt reist Dinah heim, denn sie hat ihre Freunde, die Watsons, erfolgreich vor einem Mörder gewarnt, von dem ihr träumte. Leider ist das Schicksal ebenso einfallsreich wie boshaft und lässt sich gern von voreiligen Menschen die Drecksarbeit abnehmen …

– |Nachwort von S. M. Ellis: „Rhoda Broughton“| (Rhoda Broughton, 1920), S. 139-143

_Einige Anmerkungen zu dieser Sammlung_

Das 19. Jahrhundert ist für die phantastische Literatur eine wichtige Epoche. Die ‚Geburt‘ der Kurzgeschichte bietet ungeahnte Möglichkeiten, Geschichten auf den Punkt zu bringen. Gleichzeitig lässt der Fortschritt von Wissenschaft und Technik das Stellen nie gekannter Fragen zu, deren Beantwortung nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Dazu gehört das uralte Rätsel, ob es ein Jenseits gibt, das bewohnt wird von den Geistern der Verstorbenen, aber auch von fremden oder bösartigen Kreaturen, die in die diesseitige Welt vordringen und den Lebenden Botschaften übermitteln oder Böses antun können. Gibt es eine Verbindung zwischen den Sphären, lässt sich Kontakt aufnehmen, ist es möglich, die Motive von Geistern zu entschlüsseln?

In der bürgerlichen Mittelklassewelt der Rhoda Broughton haben Geister einen festen Platz. Die vergleichsweise forschen Heldinnen glauben entweder bereits an ihre Existenz oder werden nachdrücklich davon überzeugt. Da gibt es etwas, das fremd, aber näher ist, als wir es uns vorstellen können, und es verstört oder schadet uns. Wir erleben womöglich das Wirken von Geistern, doch verstehen können wir sie nicht. Wieso erhalten „Mrs. Smith von Longmains“, Betty („Bettys Visionen“) und Dinah („Sind Träume Schäume?“) Einblicke in die Zukunft? Warnungen sind es nicht, denn unweigerlich trifft ein, was geträumt wurde. Wer steckt dahinter? Es bleibt offen, und für diese Entscheidung ist die Verfasserin zu loben, denn die daraus resultierende Ungewissheit teilt sich dem Leser mit.

Manchmal lassen sich Geister tatsächlich blicken. Auch dann fragt man sich nach dem Sinn ihres Spukens. Seemann Bobby ist seiner Braut kein Trost, als er sie aus seinem nassen Grab zum Abschied besuchen kommt („Der arme, hübsche Bobby“). Sein Geist vermag sich nicht verständlich zu machen und sät nur Schrecken. Völlig ratlos bleibt man über die Natur des Wesens, dass in „Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ umgeht. Eine Begegnung raubt den Verstand oder tötet. Die Unbarmherzigkeit dieses Spuks hinterlässt seinen Eindruck beim Leser.

_Eine Fußnote der phantastischen Literatur_

Solche Höhepunkte sind wichtig, denn leider bleiben sie recht rar. Das hier vorgestellte Bändchen sammelt Geschichten, die in Deutschland noch nie veröffentlicht wurden oder längst vergessen sind. Solche Wiederentdeckungen können äußerst reizvoll sein. Oft stellt sich freilich heraus, dass der Staub der Zeit ruhig weiter über ihnen hätte ruhen können. Broughtons Geistergeschichten können heute nur sehr bedingt fesseln. Zu stark sind sie ihrer zeitgenössischen Umgebung verhaftet. Inhalt und Stil sind veraltet, Schrecken sieht heute nicht nur anders aus, sondern wird auch anders entfesselt. Gar zu ruhig geht Broughton ans Werk. Jene andeutungsreiche Zurückhaltung, die Literaturkritiker gerade in der Phantastik so schätzen, ist ein Job für richtig gute Schriftsteller, und zu denen gehört die Verfasserin aus heutiger Sicht nicht. Böse Visionen in Serie oder spukende Liebhaber gab es zudem in den letzten 150 Jahren mehr als genug. Wie der Plot aussehen wird, weiß der Leser des 21. Jahrhunderts sicherlich früher als Broughtons zeitgenössische Leserschaft. Dafür kann sie nichts, aber es sorgt für gewaltige Längen, was einer Kurzgeschichte schlecht bekommt.

Was ihren Unterhaltungsfaktor angeht, kann selbst der an der Historie des Genres interessierte Gruselfan auf die Neuveröffentlichung (oder Exhumierung) von Broughtons Geistergeschichten leider – es muss so deutlich gesagt werden – verzichten. Die Verfasserin mag ein Baustein im Gefüge der Literatur des 19. Jahrhunderts sein, doch zumindest in der Phantastik weist dieser höchstens die Größe eines Kiesels auf.

_Figuren einer viktorianischen Welt_

Eine wirklich interessante Fassette der „Geistergeschichten“ wird die meisten Leser kaum interessieren, da sie mit dem eigentlichen Thema – der Heimsuchung aus dem Jenseits – nichts zu tun hat. Dagegen findet der (Literatur-)Historiker die fremde Welt faszinierend, in der sich Broughtons Figuren bewegen. Auch Unterhaltungsliteratur ist eine Art Spiegel der realen Welt, hier die der ‚besseren Leute‘ der englischen Gesellschaft in der Hochzeit der viktorianischen Ära. Diese wird heute gern als bigotte, prüde, chauvinistische Hölle verdammt, was jedoch ein Pauschalurteil ist. Diejenigen, die sich in die zeitgenössische Gesellschaftsordnung einfügten (und über ein geregeltes Einkommen verfügten), fühlten sich hier durchaus wohl. Broughton macht darüber hinaus deutlich, dass sich die Frauen trotz des in der Rückschau restriktiven Klimas ihre Freiräume schufen und sich nicht auf die Rolle der demütigen Dame des Hauses und Mutter einschränken ließen. Die Autorin lässt sie aus eigenem Willen denken, reden und handeln – und die männlichen Figuren nehmen daran keinen Anstoß, da sie es als selbstverständlich kennen.

Die ältere Rhoda Broughton – wir können es ihrem diesem Band angefügten Nachruf entnehmen – urteilte in dieser Hinsicht deutlich schärfer. Mit dem Fortschreiten des viktorianischen Zeitalters wurde die Schicht der sozialen Verkrustungen dicker; es blieb ihr weder verborgen noch unkommentiert. Die junge Nachwuchsautorin beschränkte sich darauf, ihren eigenen Status in die Charakterisierungen ihrer weiblichen Figuren einfließen zu lassen: Broughton war eine Frau, die unter ihrem eigenen Namen zahlreiche erfolgreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlichte. Das verschaffte ihr eine privilegierte Stellung, denn sie stand auf eigenen Beinen.

_Die Autorin_

Rhoda Broughton wurde am 29. November 1840 in die Familie eines Geistlichen geboren. Schon früh widmete sie sich der in der viktorianischen Epoche für Frauen gerade noch tolerierten Tätigkeit der Schriftstellerei, wobei sie einen gewichtigen Starthelfer an ihrer Seite wusste: Joseph Sheridan Le Fanu (1814-1873), der zu den größten Romanciers des 19. Jahrhunderts gehört – er schuf u. a. die klassische Novelle [„Carmilla“, 993 in der ein weiblicher(!) Vampir im Mittelpunkt steht -, war nicht nur ihr Onkel, sondern wurde auch ihr Förderer. Ersten Kurzgeschichten folgte 1872 der Roman „Red as a Rose is She“, der ihr sogleich literarische Ehren und gute Verkaufszahlen bescherte. 20 weitere folgten, dazu weitere Storys, die Broughton vor allem in den 1880er Jahren zu einer Bestsellerautorin werden ließen. Ihre weiblichen Helden waren gerade das Quäntchen selbstständiger als die üblichen Frauenfiguren, das die zeitgenössischen Leser/innen dulden mochten.

Broughton ließ sich in den 80er Jahren in Oxford nieder, wo sie – mit einer kurzem Zwischenspiel in Surrey – bis zu ihrem Tod am 5. Juni 1920 immer noch aktiv, wenn auch allmählich in Vergessenheit geratend blieb. (Diese biografische Skizze stützt sich auf das Nachwort von S. M. Ellis, welches dem vorgestellten Buch angehängt wurde.)

_Anmerkung_

Als Buch gibt die deutsche Sammlung „Geistergeschichten“ übrigens keinen Anlass zu echter negativer Kritik. Das Paperback ist schön gestaltet und angenehm stabil gebunden; vor allem Letzteres ist leider hierzulande keine Selbstverständlichkeit, gerade im Bereich der Kleinverlage! Die Übersetzer haben sehr gute Arbeit geleistet; ihnen gelang es, die Altertümlichkeit des Stils zu bewahren, ohne die Leserschaft des 21. Jahrhunderts zu überfordern oder abzuschrecken. Auf den Seiten 83/84 blieb ein Steuerzeichen unkorrigiert, das eine längere Textpassage im hellen Graudruck erscheinen lässt – eine Nichtigkeit angesichts der erfreulichen Tatsache, dass insgesamt kaum Druckfehler auftauchen.

http://www.verlag-lindenstruth.de

McIntosh, Fiona – dunkle Gabe, Die (Der Feuerbund I)

Wyl Thirsk ist noch ein Junge, als sein Vater, der General der morgravianischen Arme, in einer der zahllosen Schlachten gegen das Nachbarreich Briavel fällt. Da er gemäß der Tradition einst das Amt seines Vaters als Heerführer der morgravianischen Armee übernehmen soll, muss er das Landgut seines Vaters verlassen und seine Ausbildung in der Hauptstadt Pearlis beenden.

Damit beginnen schwere Zeiten für den Jungen, denn der fast gleichaltrige Kronprinz Celimus hat es von Anfang an darauf abgesehen, Wyl zu demütigen. So nimmt ihn Celimus unter anderem zu einem Hexenprozess mit, dessen Grausamkeit Wyl schwer zusetzt. Nicht, dass das junge Mädchen namens Myrren wirklich eine Hexe wäre. Aber es ist doch etwas Besonderes an ihr. Denn kurz vor ihrem Tod macht sie Wyl ein ungeheuerliches und beängstigendes Geschenk, von dem der Junge zunächst keine Ahnung hat.

Dann stirbt Celimus‘ Vater König Magnus …

_Ein Großteil der Geschichte lebt von der Rivalität zwischen Wyl und Celimus._ Wyl ist ein Abbild seines Vaters, in jeder Hinsicht. Er ist rothaarig und untersetzt, also eher unansehnlich, davon abgesehen aber ist er ein hervorragender Kämpfer, intelligent, treu und von einer manchmal geradezu spröden Direktheit. Mit Celimus‘ Bosheiten kann er vor allem deshalb schlecht umgehen, weil ihm aufgrund seiner schwächeren Position die Möglichkeit verwehrt ist, diesem angemessen Paroli zu bieten. Dazu kommt, dass der Prinz auch noch wesentlich besser aussieht und im Kampf ein nahezu ebenbürtiger Gegner ist. Über die Jahre hinweg baut sich in Wyl ein Hass auf, der ihm schließlich selbst gefährlich zu werden droht.

Celimus dagegen braucht nicht eine einzige Minute, um Hassgefühle gegen den designierten Heerführer zu entwickeln. Schon dessen Vater war ihm verhasst, und nun hat er den gleichen Kerl in junger Ausgabe vor sich. Wie einst seinen Freund zieht der König nun den jungen Thirsk seinem eigenen Sohn vor, worauf Celimus sowohl mit Eifersucht als auch mit Hass auf seinen Vater reagiert. Abgesehen davon tyrannisiert Celimus auch den Rest seiner Umgebung: Pagen und Diener, später die Frauen, die er sich ins Bett nimmt. Er kann unerhört charmant sein, ist im Grunde aber kaltherzig und grausam, außerdem intrigant und hinterhältig, eitel und anfällig für Selbstüberschätzung.

Und wie’s das Drehbuch will, kommt zu dem ohnehin schon verbissen geführten Zweikampf auch noch die Rivalität um eine schöne Frau. Valentyna ist die Königin von Briavel, wunderschön, von erfrischender Natürlichkeit, intelligent und mutig. Leider ist ihr dünn besiedeltes Land vom letzten Krieg noch immer so geschwächt, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren leisten kann. Sie hat genug von Celimus gehört, um einer Heirat mit diesem Mann eher ablehnend gegenüberzustehen, aber sie hat ebenfalls genug von ihm gehört um zu wissen, dass ihre Weigerung eben jenen Krieg bedeuten würde, den sie lieber vermeiden möchte. Außerdem ist sie bereits verliebt, muss aber über diesen Mann Dinge erfahren, die sie zutiefst erschrecken. Die Zwickmühle scheint ihr über den Kopf zu wachsen.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte: Im Gebirge nördlich der beiden verfeindeten Königreiche ist es einem jungen, charismatischen, aber jähzornigen Stammesführer namens Cailech gelungen, die von den südlichen Ländern als Barbaren verachteten Bergstämme zu einen. Jetzt bedroht er die nördlichen Grenzen sowohl Morgravias als auch Briavels. Vor allem durch Celimus‘ Verhalten fühlt er sich provoziert. Wenn es um das Abschlachten von Kindern geht, ist er empfindlich. Andererseits ist er selbst nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Eindringlinge in sein Gebiet zu bestrafen. Sein treuester Freund und Weggefährte beobachtet diese Tatsache mit wachsender Besorgnis.

_Insgesamt_ ist die Charakterzeichnung für meinen Geschmack etwas zu stark einem Gut-Böse-Schema verhaftet. Aus diesem Rahmen scheinen allein Cailech und ein Söldner namens Romen Koreldy ein wenig herauszufallen. Ersterer ist allerdings noch zu grob skizziert, um zu einer wirklich lebendigen Figur zu werden, und Letzterer überlebt nur ein paar Seiten. Immerhin steht zu erwarten, dass Cailech im zweiten Band noch wichtig genug wird, um ihm etwas mehr Detail und Intensität zu verleihen.

Für den Hass zwischen Wyl und Celimus hat sich die Autorin dagegen viel Zeit gelassen. Trotz eines Zeitsprungs von sechs Jahren zieht sich der Aufbau dieser Feindschaft ziemlich hin. Einen vorläufigen Höhepunkt bildet der Zweikampf der beiden auf dem Turnier, doch richtig zur Sache geht es erst, als Celimus den Thron besteigt. Bis dahin ist nahezu ein Viertel des Buches gelesen.

Auch danach verfällt die Autorin gelegentlich in Weitschweifigkeiten. So hätte es die Szene zwischen Romen Koreldy und Arlyn nicht unbedingt gebraucht, und die Beschreibung des Weges zu Cailechs Festung hätte ebenfalls ein wenig Straffung vertragen können. Der Spannungsbogen hängt immer wieder mal durch.

Als besonders langatmig und noch dazu unlogisch empfand ich den Prolog. Da beschließen ein weiser, gütiger König und sein treuer und strategisch brillanter General, den Feind nach der gewonnenen Schlacht nicht völlig zu besiegen, sondern sich zurückzuziehen, um dem Gegner Zeit zu geben, sich für den nächsten Krieg angemessen zu erholen. Denn man hat ja große Achtung vor dem König des Nachbarlandes. Meine Güte, wenn dem so ist, warum bemüht sich dann keiner um einen Friedensschluss? Zumal alle ständig von der wachsenden Bedrohung aus dem Norden reden! Abgesehen davon halte ich es für strategischen Schwachsinn, den Gegner jetzt zu schonen, um ihn in ein paar Jahren unter schwierigeren Bedingungen doch wieder umzubringen!

Mag sein, dass die Grundsituation, die aus diesem seltsamen Anfang resultiert, Voraussetzung dafür war, dass die Handlung sich so entwickeln konnte, wie sie es tat. Man hätte diese Situation aber auf andere, glaubwürdigere Art aufbauen können. Das wäre dann vielleicht etwas komplizierter geworden, aber das hätte der Geschichte nur gutgetan. Denn die Grundidee, die Wanderung einer Seele durch verschiedene Körper, fand ich gar nicht schlecht. Sie eröffnet unendlich viele Möglichkeiten. Und dementsprechend viele Handlungsstränge sind am Ende des Buches auch offen. Insgesamt aber ist der Handlungsverlauf dadurch, dass das Augenmerk so stark auf Wyl liegt, ziemlich eingleisig gestrickt. Sämtliche Fäden, die sich durch die Trennung der Personen von Wyl entfernen, sind so lange auf Eis gelegt, bis sie Wyl wieder begegnen. Einzige Ausnahmen sind Celimus und Valentyna, die trotzdem gelegentlich kurz eingestreut werden. Durch diese Methode bleiben viele interessante Charaktere blasse Randfiguren, allen voran Cailech, wie oben bereits erwähnt, aber auch dessen Magier oder Celimus‘ neuer Berater Jessom.

_Mit anderen Worten_, die Autorin hat das Potenzial ihrer Idee bisher nicht voll ausgenutzt. Vielleicht war das Absicht, immerhin handelt es sich bei dem Buch um den Auftakt eines Zyklus. Trotzdem hoffe ich, dass die Folgebände etwas mehr Ausgewogenheit zeigen. Ein wenig mehr Vielschichtigkeit der Hauptfiguren, die in ihrer Aufgabe als Pro- beziehungsweise Antagonist ein wenig zu stereotyp ausgefallen sind, eine straffere Erzählweise und etwas mehr Leben für all die Nebenfäden, die im Wust der Haupthandlung so völlig untergegangen sind.

_Fiona McIntosh_ stammt ursprünglich aus England, ist aber bereits als Kind viel zwischen Afrika und England hin- und hergereist, hat eine Zeit lang in Paris gearbeitet und ist schließlich in Australien gelandet, wo sie mit ihrem Mann und zwei Kinder hängengeblieben ist. Der Herausgabe eines Reisemagazins folgte 2005 der Roman „Myrren’s Gift“, der erste Band ihrer |Quickening|-Trilogie und im Februar dieses Jahres unter dem Titel „Die dunkle Gabe“ auf Deutsch erschienen. Das Erscheinungsdatum des Folgebandes ist noch nicht bekannt. Seither hat die Autorin mit |Trinity| und |Percheron| zwei weitere Trilogien geschrieben, die allerdings bisher nur auf Englisch erhältlich sind.

|Originaltitel: Myrren’s Gift
Übersetzt von Beate Brammertz
Mit Illustrationen von Paul Young
Paperback, 800 Seiten|

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