Larson, Erik – Marconis magische Maschine

Guiglielmo Marconi und Dr. Hawley Harvey Crippen: Schon ihre Herkunft trennt sie buchstäblich durch Welten; der eine ist in Italien, der andere in den USA geboren. Auch in ihrem Werdegang sind sie grundverschieden. Marconi ist ein Erfinder, der sich dem drahtlosen Funk verschrieben hat. Seit 1894 experimentiert er wie besessen, und es gelingt ihm, die Entfernung zwischen Sender und Empfänger kontinuierlich zu steigern. Er geht nach England und wird berühmt, doch gleichzeitig wächst die Widerstand gegen den ‚Ausländer‘, der gern als Scharlatan hingestellt wird.

Crippen lässt sich zum homöopathischen Mediziner ausbilden und arbeitet für eine lange Reihe eher windiger Firmen, die rezeptfreie „Patentmedizinen“ auf den Markt werfen. Schon in jungen Jahren trifft er eine verhängnisvolle Entscheidung und heiratet eine Frau, mit der es keine Gemeinsamkeiten gibt. In den nächsten Jahrzehnten machen sich die selbsternannte Künstlerin und der unglückliche, allzu duldsame Gatte das Leben zur Hölle. Auch ein Umzug nach London bringt keinen Frieden. Scheidung ist in dieser Ära verpönt, der Druck wächst – und dann lernt Crippen die junge Ethel kennen. Seine Liebe wird erwidert, Gattin Cora misstrauisch. Keinesfalls will sie ihren Ruf sowie ihren Status als finanziell versorgte Ehefrau verlieren.

Der Druck wächst, Crippen steckt in der Klemme, die ihn 1910 einen verhängnisvollen Entschluss fassen lässt: Cora muss verschwinden! Der Arzt kennt sich mit Giften aus, aber er unterschätzt die Polizei. Nach und nach wird eine grausige Mordtat aufgedeckt. Mit seiner Geliebten will sich Crippen in die USA absetzen, wo sich ihre Spuren in dem riesigen Land verlieren werden. Die Reise per Schiff dauert nur wenige Tage, die das Paar in Verkleidung hinter sich zu bringen hofft.

Aber Crippen hat den Fortschritt gegen sich: Nach Jahren unermüdlicher, von Fehlschlägen begleiteter Versuch gelang es Marconi, den drahtlosen Funk ohne Entfernungsbeschränkungen zu realisieren. Seither werden immer mehr Schiffe mit Funk ausgerüstet. Auch an Bord der „SS Montrose“, mit der Crippen und Ethel reisen, gibt es eine Station. Als Kapitän Kendall die wahre Identität seiner Passagiere erkennt, lässt er mit Hilfe des Funks eine neue Ära der Kriminalgeschichte beginnen …

Forschung und Wissenschaft werden seit jeher gern nach der Alltagstauglichkeit ihrer Ergebnisse bewertet. Die Naturwissenschaft bietet in dieser Hinsicht die besseren Möglichkeiten. Noch immer ist es gelungen, aus der Arbeit von Chemikern, Physikern oder Astronomen wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen zu schlagen.

Guiglielmo Marconi wird von denen, die misstrauisch auf das schwer kontrollierbare Treiben in teuren Labors blicken, besonders leicht ins Herz geschlossen, denn der Erfinder des drahtlosen Funks, der die Kommunikation zwischen Kontinenten und Meeren möglich machte, war nicht einmal ein Wissenschaftler, sondern ein Autodidakt, der seine Erfolge aufgrund unermüdlicher Versuche nach dem Prinzip Versuch & Irrtum erzielte. Außerdem stand für Marconi von Anfang an fest, dass er mit seiner Schöpfung reich und berühmt werden wollte.

Was ihn heute zum Helden einer globalisierten und kommerziellen Forschung machen würde, bereitete ihm zu seiner Zeit kurioserweise Schwierigkeiten, denn Ende des 19. Jahrhunderts sah der ‚wahre‘ Wissenschaftler sich ausschließlich seiner Arbeit verpflichtet, deren Ergebnisse zwecks Überprüfung den Kollegen mitzuteilen war. Marconi sperrte sich konsequent gegen diese Tradition und betrachtete diese Kollegen stattdessen als Konkurrenten.

Schon dieser ‚menschliche‘ Aspekt verleiht Marconis Biografie Spannung, resultieren aus seinem Charakter und seinem Werk doch zahlreiche Auseinandersetzungen und Intrigen, die eines Thrillers würdig sind. Gleichzeitig fesselt die Darstellung einer Technik, die nicht mit spektakulären Effekten sparte: Gleich mehrfach ließ Marconi in unwirtlichen Regionen gewaltige Teststationen mit himmelhoch ragenden Masten und bizarren Antennengebilden errichten, die wie dem Titelblatt eines Science-Fiction-Romans nachgebildet wirkten.

Erik Larson verlässt sich indes nicht auf die Anziehungskraft der Marconi-Saga. Er sucht sich ein Ereignis, das auch dem technisch absolut abholden Leser die historische Bedeutung der drahtlosen Kommunikation vor Augen führt. Womöglich fürchtet er, dass diese im 21. Jahrhundert so selbstverständlich geworden ist, dass der Zeitgenosse die Pioniertat Marconis nicht zu würdigen weiß.

Der Autor geht damit ein Risiko ein, denn die Wege von Guiglielmo Marconi und Dr. Crippen haben sich nie gekreuzt. „Marconis magische Maschine“ spiegelt das wider: Die ‚Handlung‘ spielt auf zwei Zeitebenen. Marconi erzielte seinen Durchbruch kurz nach der Jahrhundertwende. Die Jagd auf Crippen fand 1910 statt. Da waren Marconis eigentliche Schlachten im Grunde geschlagen, der drahtlose Funk zur akzeptierten Errungenschaft geworden. Dass Crippens Flucht vereitelt werden konnte, ist nachweislich dem Einsatz des Funks zu verdanken. Trotzdem stellt dieser Kriminalfall in der Geschichte der drahtlosen Kommunikation nur eine Episode dar. Larson spitzt seine Darstellung dagegen konsequent auf dieses Ereignis zu. Die Kapitel, in denen der Verfasser zwischen Marconi und Crippen ’springt‘, werden immer kürzer: Larson inszeniert das große Finale. Das wirkt bemüht, zumal er ansonsten zwei quasi isolierte Lebensgeschichten erzählt.

Diese Zweiteilung übernimmt er aus „The Devil in the White City“ (dt. [„Der Teufel von Chicago“), 492 seinem Bestseller aus dem Jahre 2003, in dem er Leben und ‚Werk‘ der Zeitgenossen Daniel Hudson Burnham und Herman Webster Mudgett gegenüberstellt: der eine ein Architekt, der sich darum bemüht, die Stadt der Zukunft zu bauen, der andere ein Serienkiller, dem im modernen Stadtleben die Möglichkeiten erkennt, seinem Mordtrieb nachzugeben.

Burnham und Mudgett waren Zeitgenossen und leben in derselben Stadt. Ihre Lebenswege ließen sich verweben. In „Marconis magische Maschine“ muss Larson eher kleben. Marconi spielte in Crippens Leben keine Rolle, und Crippen bewegte sich in anderen Kreisen als Marconi. Die Technik bildet den eigentlichen Berührungspunkt – eine Tatsache, die Larson anscheinend für nicht publikumstauglich genug hielt.

Die nur bedingt überzeugende Verknüpfung der Marconi- und Crippen-Viten irritiert. Sie schmälert freilich nicht den Informations- und Unterhaltungswert dieses Buches. Larson ist ein exzellenter Sachbuch-Autor: Er recherchiert aufwändig und kleidet die Fakten in eine Sprache, die auch den Laien schwierige technische Sachverhalte problemlos erfassen lässt. Marconi und Crippen bewegen sich durch einfühlsam und anschaulich geschilderte Welten, denn Larson bezieht die politische und kulturelle Realität der Vergangenheit jederzeit in seine Darstellung ein. Zum Verständnis historisch bedingter und deshalb heute oft schwer oder gar nicht verständlicher Sachverhalte trägt diese Einbettung nachhaltig bei.

Überhaupt bedient sich Larson eines Stils, der die Lektüre zum Vergnügen macht – ein Kompliment, das selbstverständlich die Übersetzerin einschließt. Larson schreibt lebendig, reiht nie trockene Fakten, sondern wählt aus dem Wust der zeitgenössischen Überlieferung zentrale bzw. relevante Ereignisse. Für Abwechslung sorgen gut ausgewählte Anekdoten, die den Fakten Leben einhauchen. Vor publikumswirksamen Tricks schreckt Larson ebenfalls nicht zurück: Im Vorwort schreibt er: „Ich bitte den Leser meine Leidenschaft für Abschweifungen nachzusehen. Wenn Sie beispielsweise über ein Stück menschliches Fleisch mehr erfahren, als Ihnen lieb ist, dann entschuldige ich mich im Vorhinein, auch wenn ich gestehen muss, dass es nur eine halbherzige Entschuldigung ist.“ Wer würde da nicht neugierig? Die Erwartungen werden nicht enttäuscht, wenn wir detailfreudig erfahren, auf welche groteske Weise der sanfte Dr. Crippen seine Gattin in „ein Stück menschliches Fleisch“ verwandelte. Niemand wird anschließend behaupten, ein Sachbuch müsse zwangsläufig langweiliger als ein Roman sein …

Erik Larson (geb. 1954) wuchs in Freeport, Long Island, auf. Er absolvierte die „University of Pennsylvania“, die er mit einem Abschluss in Russischer Geschichte verließ. Klugerweise ergänzte er dies mit einem Studium an der „Columbia Graduate School of Journalism“. Im Anschluss arbeitete er viele Jahre für diverse Zeitungen und Magazine.

Inzwischen hat Larson diverse Sachbücher veröffentlicht, von denen „Isaac’s Storm“ (1999, dt. [„Isaacs Sturm“) 2068 ihm den Durchbruch und Weltruhm brachte. Der Autor lebt mit seiner Familie in Seattle.

http://www.fischerverlage.de/

Hill, Joe – Black Box

_“Best New Horror“_: Eddie Carroll ist Herausgeber der Buch-Reihe „Best New Horror“ und auf der Suche nach originellen Geschichten. Dabei wird ihm die Geschichte „Buttonboy“ empfohlen, die aufgrund ihrer schonungslosen Brutalität und ihres schockierenden Ausgangs für Aufruhr sorgte. Carroll beschließt, die Geschichte in seinem neuen Band abzudrucken, und macht sich auf die Suche nach dem exzentrischen Autor …

_“20th Century Ghosts“_: Im nostalgischen Kino „Rosebud“ spukt der Geist eines jungen Mädchens. Als Fünzehnjähriger begegnet Alec der verstorbenen Imogene zum ersten Mal. Jahre später ist er selber der Besitzer des Kinos, und immer noch erzählen verstörte Besucher von ihrer Begegnung mit der Gestalt, die sich neben einen setzt und ihre Lieblingsfilme anschaut …

_“Pop Art“_: Arthur Roth ist kein gewöhnlicher zwölfjähriger Junge. Geboren mit einem Gendefekt, besteht er aus aufblasbarem Gummi, ohne innere Organe und immer in Gefahr, zu zerplatzen. Da er stumm ist, kommuniziert er über Zettelbotschaften. Nur bei seinem besten und einzigen Freund kann er kurzzeitig ein normaler Junge sein, der gerne Astronaut wäre, alberne Scherze macht und sich fragt, wie das Leben nach dem Tod aussieht …

_“Der Gesang der Heuschrecken“_: In der Schule ist Francis ein Außenseiter, zuhause liefert er sich Streitereien mit seinem Vater und der ungeliebten Stiefmutter. Als Kind erwarb er sich bei Spielkameraden Aufmerksamkeit, indem er Insekten aß, heute trägt er dafür den verächtlichen Spitznamen „Mistkäfer“. Eines Morgens erwacht Francis im Körper eines riesigen Ungeziefers …

_“Abrahams Söhne“_: Max und Rudolf sind die kleinen Söhne des Vampirjägers Dr. van Helsing, der einst Jagd auf Graf Dracula machte. Heute lebt van Helsing mit seinen Söhnen in zweiter Ehe in Amerika. Die beiden Jungen wissen nicht viel vom Vorleben ihres strengen Vaters, doch sie leiden unter seiner beständigen Furcht vor Vampiren …

_“Besser als zu Hause“_: Der kleine Homer leidet unter Zwangsstörungen. Sein Essen muss er vor dem Verzehr erst genau prüfen und auseinander nehmen, störende Geräusche von Klimaanlagen oder Videorecordern können ihn in den Wahnsinn treiben und Familienstreits enden oft mit hysterischen Ausbrüchen. Nur sein Vater, ein Baseballtrainer, den Homer tief bewundert, versteht es, mit ihm richtig umzugehen …

_“Das schwarze Telefon“_: Der dreizehnjährige Finney wird von einem dicken Mann entführt. Als er in einem fremden Zimmer wieder zu sich kommt, ahnt er, dass er in die Fänge eines langgesuchten Kindermörders geraten ist …

_“Endspurt“_: In der Highschool war Wyatt ein erfolgreicher Baseballspieler, doch seine schlechten Noten bedeuteten das Aus in der Mannschaft. Zu allem Ärger verliert er auch noch den Job in der Videothek. Als er sich frustriert auf den Heimweg macht, begegnet er Mrs. Prezar, der er früher den Rasen mähte. Die völlig verstörte Frau bittet ihn um Hilfe …

_“Das Cape“_: Als Kind hat Eric eine Lieblingsdecke, die er überallhin mit sich trägt. Beim Spielen auf einem Baum wird er vom Cape in der Luft getragen, ehe der Wind ihn stürzen lässt. Die Decke verschwindet und Erics Leben nimmt einen normalen Lauf. Zehn Jahre später findet er das Cape im Keller seiner Mutter wieder – und schafft es erneut zu fliegen …

_“Ein letzter Atemzug“_: Eine Familie besucht das ominöse Atemmuseum von Dr. Alinger. Hier bewahrt der Leiter die letzten Atemzüge verstorbener Menschen, darunter auch vieler Prominenter, auf, die sich Besucher anhören können. Während Vater und Sohn von der makaberen Ausstellung begeistert sind, hält die Mutter die Sammlung für pervers …

„_Totholz“_: Nicht nur Menschen können zu Geistern werden, sondern auch Bäume …

_“Witwenfrühstück“_: Die Freunde Kilian und Gage ziehen als Landstreicher umher, bis Gage ums Leben kommt. Nach einem Sommer zielloser Herumreiserei landet Kilian beim Haus einer Witwe und ihren Töchtern, die ihm ein Frühstück anbietet …

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_: Nachdem seine Karriere als Komiker in New York gescheitert ist, kehrt Bobby als Schauspieler nach Pennsylvania zurück. Am Set für einen Zombiefilm von George A. Romero trifft er auf seine alte Jugendliebe Harriet …

_“Die Maske meines Vaters“_: Der dreizehnjährige Luke fährt mit seinen Eltern in die Hütte seines verstorbenen Großvaters. Seine Mutter erklärt ihm, es sei ein Spiel, bei dem sie auf der Flucht vor Spielkartenleuten seien. In der Hütte hängen seltsame Masken, die Luke beängstigen, und auf dem Waldpfad hat er eine seltsame Begegnung …

_“Die Geretteten“_: Jubal Scott macht sich mit seinem neuen Truck auf den Weg nach Norden, um nach drei Jahren seine Ex-Frau und endlich seine kleine Tochter Kelly wieder zu besuchen. Auf der verschneiten Fahrt nimmt Jubal einen Anhalter mit, der ein religiöser Fanatiker zu sein scheint …

_“Black Box“_: Nolans jüngerer Bruder Morris ist autistisch veranlagt. Mit aller Leidenschaft baut er im Keller des Hauses ganze Burgen und Irrgärten aus Pappkartons. Es erscheint wie ein harmloser Spleen, doch Nolan ahnt eines Tages, dass mehr dahintersteckt …

Mit seinem Debütroman [„Blind“ 3842 hat Joe Hill bewiesen, dass er mehr ist als nur der Sohn des berühmten Stephen King, sondern auch selbst durchaus respektablen Horror zu schreiben vermag. Mit seiner ersten Kurzgeschichtensammlung „Black Box“ unterstreicht Hill die Vermutung erst recht, denn während „Blind“ ein solider Roman war, wartet diese Sammlung gar mit einigen Juwelen auf.

Die Startgeschichte _“Best New Horror“_ spielt im Schriftstellermilieu, und allein schon die Wiedergabe der dort thematisierten Kurzgeschichte „Buttonboy“ versteht es, den Leser zu verstören. Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Ablehnung, verfolgt man die Kontaktaufnahme zwischen Eddie Carroll und dem Autor. Über der ganzen Handlung liegt eine unheilvolle Atmosphäre, obwohl man diese lange nicht begründen kann, bis zum harten und unerbittlichen Ende. In _“20th Century Ghosts“_ erlebt man den Geist einer jungen Frau, die einst in ihrem Lieblingskino verstarb und sich auch nach dem Tod nicht davon trennen kann. Die Geschichte ist eher melancholisch als unheimlich und vor allem, aber nicht nur, für Cineasten interessant. _“Pop Art“_ ist Joe Hills eigene Lieblingsgeschichte und tatsächlich ein absolutes Glanzlicht, in dem Tragik und Komik in beeindruckener Manier miteinander verschmelzen, sodass sich berührende Momente und amüsante Szenen die Klinke in die Hand geben. In selbstverständlichem Tonfall erzählt der Ich-Erzähler rückblickend von seiner komplizierten und zugleich erfüllenden Freundschaft mit dem eigenartigen Gummijungen, einem verträumten Außenseiter mit liebenswertem Charakter, der auf seine Zettelchen mal trocken-ironische Bemerkungen und mal schlichte Weisheiten kritzelt. Ein origineller, bewegender Text, den man mit Sicherheit nicht mehr vergisst.

_“Der Gesang der Heuschrecken“_ ist unverkennbar eine Kafka-Hommage, doch anders als Gregor Samsa begnügt sich Francis nicht damit, im Bett liegen zu bleiben. Stattdessen fühlt er sich endlich von seinem alten Ich befreit und macht sich auf, sein neues Leben voll auszukosten … Eine brutale, dabei aber schon wieder amüsant-parodistisch anmutende Geschichte, die in vielen Momenten an die Monsterfilme der fünfziger Jahre erinnert. In _“Abrahams Söhne“_ bedient sich Joe Hill an Bram Stokers literarischer Figur Dr. van Helsing, ohne ihn jedoch in den Mittelpunkt zu stellen. Stattdessen konzentriert er sich auf das Schicksal seiner beiden Söhne, die unter der rigorosen Erziehung leiden und von klein auf zu Vampirjägern geschult werden sollen. Den Dracula-Bezwinger als brutal-düstere Vaterfigur darzustellen, ist eine originelle Idee und nicht nur für Dracula-Kenner faszinierend.

_“Besser als zu Hause“_ ist weit von Horror entfernt. Vielmehr präsentiert sie sich als Rückblick auf eine schwierige Kindheit, die mit einzelnen Glücksmomenten durchsetzt ist. Der Leser braucht kein Baseballfan sein, um mit dem Ich-Erzähler zu fühlen und die Verbundenheit mit seinem Vater, dem Trainer, zu spüren. Eine leise Vater-Sohn-Geschichte, wehmütig und nachdenklich. _“Das schwarze Telefon“_ bietet die Besonderheit zweier Enden, da Joe Hill einst die gekürzte Version veröffentlichte und hier eine Variante mit Anhang anbietet, auf dass der Leser selber entscheiden möge, welche Form ihm besser gefällt. In jedem Fall ist es eine gelungene, sehr spannende Geschichte über einen Jungen, der verzweifelt hofft, dem Schicksal als Mordopfer zu entkommen. Die beklemmend realistische Schilderung eines Entführungsopfers erhält durch das seltsame schwarze Telefon, das sich in seiner Zelle befindet, einen mystischen Beiklang. Die kürzere Version übertrifft die längere Variante, da der Anhang nichts wesentlich Neues mehr beitragen kann.

_“Endspurt“_ beginnt mit dem unrühmlichen Leben eines zornigen jungen Mannes und endet in einem Thrillerfinale mit recht offenem Ausgang. Eine gemäß dem Titel temporeiche Geschichte, die aber zu den schwächeren Beiträgen gehört, was auch am blassen Protagonisten liegt. _“Das Cape“_ ist eine herrlich böse Geschichte, die vor allem alle Freunde von Superhelden faszinieren dürfte. Lakonisch erzählt von einer unberechenbaren Hauptfigur, phantasievoll, mit einem würdigen Schluss. _“Ein letzter Atemzug“_ ist eine originelle Geschichte mit einer düsteren Romantik, die nicht zu Unrecht im Vorwort mit den Geschichten Ray Bradburys verglichen wird. Mit einer tragikomischen Selbstverständlichkeit präsentiert der Eigentümer seinen Besuchern die letzten Atemzüge von Edgar Allan Poe und Roald Dahl, aber auch ganz durchschnittliche Bürger haben hier ihr letztes Vermächtnis hinterlassen. Nur die Pointe, die etwas aufgesetzt und konstruiert wirkt, vermag den ansonsten sehr positiven Eindruck von der Geschichte zu trüben.

_“Totholz“_ umfasst nur zwei Seiten und ist daher weniger eine Geschichte als mehr eine Momentaufnahme, eine Ansammlung von Gedanken des Ich-Erzählers. Trotz der Kürze strahlt der Text eine hübsche, leicht morbide Poesie aus, kann aber nicht an die Intensität der meisten anderen Beiträge anknüpfen. _“Witwenfrühstück“_ ist ursprünglich ein Kapitel eines unfertigen Romans des Autors und setzt eine Nebenfigur daraus in den Blickpunkt der Handlung. Horror sucht man hier vergebens, stattdessen trifft man auf eine melancholisch-nachdenkliche Atmosphäre. Mindestens ebenso interessant wie die Haupthandlung sind die Andeutungen über die Vergangenheit, über den kürzlich verstorbenen Freund des Protagonisten und das Landstreicherleben während der dreißiger Jahre.

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_, doch es sind nur Zombiedarsteller, die hier grausig entstellt umhertorkeln. Inmitten von Dreharbeiten von George A. Romero und Tom Savini spielt sich eine humorvolle und einfühlsame Geschichte ab, als Bobby unverhofft auf seine frühere Romanze, ihren kleinen Sohn und ihren Ehemann trifft. _“Die Maske meines Vaters“_ ist eine surreale Erzählung, die Märchenmotive in eine moderne Welt einfließen lässt. Ein beklemmendes Spiel mit Phantasie und Realität voller (alb-)traumhafter Sequenzen. Nicht uninteressant, aber kein Höhepunkt der Sammlung. _“Die Geretteten“_ beginnt als alltägliches Drama eines Vaters, der einen verzweifelten Versuch unternimmt, seine alte Familie zurückzugewinnen. Die Mitnahme des seltsamen Anhalters nimmt eine unerwartete Wendung, der Horror fällt jedoch nicht so groß aus wie erwartet.

_“Black Box“_ gab der deutschen Sammlung nicht zu Unrecht ihren Namen, denn sie ist eine der besten Erzählungen des Bandes. Die Novelle vereint die berührende Geschichte zweier grundverschiedener Brüder, gewährt einen kleinen Einblick in das Leben eines Autisten sowie die Schwierigkeit der Familie, damit umzugehen, und enthält zugleich eine Prise sanften Horrors. Obwohl der Verlauf nicht wirklich überraschend ist, schafft es der Autor mühelos, eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen, die sich immer weiter zuspitzt und in einem melancholischen Abschluss endet.

_Als Fazit_ bleibt eine überzeugende Sammlung phantastischer, unheimlicher und nachdenklicher Geschichten, die bis auf ganz wenige Ausnahmen deutlich über dem Durchschnitt angesiedelt sind. Nur hartgesottene Horrorfans könnten enttäuscht werden, da der Fokus eher auf melancholischen Stimmungen liegt. Nachdem Hills Debütroman „Blind“ schon ein sehr positives Echo fand, darf man nach der noch gelungeneren Kurzgeschichtensammlung umso gespannter auf seine nächsten Werke warten.

_Der Autor_ Joe Hill, eigentlich Joseph Hillstrom King, ist ein Sohn des bekannten Autorenehepaares Stephen & Tabitha King. 2005 erschien seine Geschichtensammlung „20th Century Ghosts“, die 2007 bei |Heyne| unter dem Titel „Black Box“ auf Deutsch veröffentlicht wurde. Er ist Träger des |Ray Bradbury Fellowship|, wurde bereits zweimal mit dem |Bram Stoker Award| sowie dem |British Fantasy Award|, dem |World Fantasy Award|, dem |A. E. Coppard Price| und dem |William L. Crawford Award| als bester neuer Fantasy-Autor 2006 ausgezeichnet. Erst im Zuge des Verkaufs der Filmrechte von [„Blind“, 3842 seinem Debütroman, wurde das Pseudonym gelüftet. Joe Hill wurde 1972 in Bangor/Maine geboren und lebt mit seiner Familie in New Hampshire.

http://www.joehillfiction.com
http://www.heyne.de

Vincent – Albatros 2: Der böse Blick

Band 1: [„Shanghait“ 4355

_Story_

Nach ihrer Flucht aus dem Kabarett von Madame Couradille gelang es Ombeline, ihren Verfolgern knapp zu entrinnen und sich auf das ebenfalls gejagte Piratenluftschiff |Albatros| zu flüchten. Doch an Bord des Schiffes der schrulligen Emerance, des weiblichen Kapitäns, hat die junge Ex-Aktrice nicht sonderlich viel zu lachen. Ihre neue Vorgesetzte ächtet sie und lässt sie eine zweifelhafte Flugvorrichtung testen, die Ombeline möglicherweise in den Tod stürzen kann. Doch trotz all ihrer Ängste besteht sie die Prüfungen auf der |Albatros| und erfüllt ihre Missionen zuverlässig.

So gelingt es den Piraten, einen Absturz zu überleben und die Verfolger vor Ort ein weiteres Mal abzuschütteln, obgleich hierbei ein Teil der Schiffsladung zurückbleiben muss. Die Passagiere werden alsbald jedoch zu einer weiteren Notlandung gezwungen, da die Vorräte sich dem Ende zuneigen und auch Emerance neues Morphium benötigt, um die Wunden aus ihrem jüngsten Kampf zu betäuben. Ombeline fasst sich ein Herz und stiehlt sich an ihren alten Arbeitsplatz, um die notwendigen Mittel aufzutreiben. Doch dort macht sie eine allzu furchtbare Begegnung, die ihr gesamtes Leben mit einem Schlag verändern soll …

_Persönlicher Eindruck_

Bereits der erste Teil der Story zu „Albatros“ bot ein ambivalentes Erscheinungsbild zwischen viel versprechender Hintergrundstory und letztendlich eher unbefriedigender Charakter- und Plot-Entwicklung. Es fehlte an Highlights und Überraschungen, ganz besonders jedoch vermisste man einen erkennbaren Spannungsaufbau, der in der weitestgehend vorhersehbaren Handlung aber auch kaum möglich schien.

An dieser Struktur hat Comic-Designer Vincent beim zweiten Release der Trilogie nun doch beachtlich gearbeitet. Die Geschichte vermag ein wenig mehr zu fesseln, die Charaktere bekommen langsam aber sicher doch ein zufriedenstellendes Profil und auch die düstere Atmosphäre wirkt insgesamt geschlossener und überträgt sich auch auf die wesentlichen Punkte der Story. Doch grundsätzlich schöpft der „Albatros“-Urheber das Potenzial des Projektes weiterhin nur zu gewissen Teilen aus, sieht aber scheinbar nicht die Lücken, die seine Arbeit ganz klar offenlegt. Nach wie vor schreitet Ombelines Geschichte eher behäbig, wenn auch linear voran und scheint bis zu einem gewissen Punkt vorgezeichnet. Dann jedoch geschehen einige wirklich unvorhersehbare Dinge, die sich aufgrund Ombelines zum Ende bizarrer Entwicklung kaum mehr mit den bisherigen Geschehnissen in Einklang bringen lassen wollen. Warum zum Beispiel fühlt sie sich mit einem Mal so zur Anführerin des Piratenschiffs hingezogen und therapiert sie und ihre Wunden, obschon sie zuvor heftigste Prügel von ihr beziehen musste? Das Motiv, sie auf diesem Wege zu beseitigen, liegt zunächst nahe, findet aber im Werdegang der weiteren Story keine weitere Berechtige und lässt gerade die Schlussszenen ein wenig kurios, in gewisser Weise auch verwirrend erscheinen. Es sind weiterhin recht viele absurde Ereignisse innerhalb einer Handlung, die für derlei Außergewöhnlichkeiten eigentlich keine Freiräume bietet, es aber auch nicht schafft, von einem womöglich geschaffenen Mythos zu zehren. Dafür sind die wenigen markanten Punkte nämlich mehr verwirrend als innovativ.

Dem entgegen findet eine gehörige Entwicklung statt, die den Comic trotz der teils schon zu offenkundigen Defizite dennoch irgendwie lesenswert macht. Vincent ist es nämlich trotz allem gelungen, Ombeline in einen faszinierenden Charakter zu verwandeln, dessen Handeln nicht immer schlüssig ist, der jedoch einer eigentlich recht müden Story deutlich Farbe verleiht und „Albatros“ zumindest auf dieser Ebene einigermaßen lukrativ macht. Aber auch die Illustrationen sind eine Augenweide und werten die stellenweise ermüdende Geschichte merklich auf. Damit gehört die Serie zwar nach wie vor zu den Schlusslichtern im ruhmreichen |Splitter|-Programm, verbleibt dort aber nicht bloß mit negativer Kritik. Letztere könnte hingegen ganz ausbleiben, würden sich Zeichnungen und Story auf einem Level ansiedeln. Doch das diesbezügliche Gefälle hat der kreative Kopf hinter „Albatros“ bis dato einfach nicht im Griff. Noch nicht? Das bleibt abzuwarten!

http://www.splitter-verlag.de/

Hensley, Ken – Blood On The Highway – The Ken Hensley Story

_Eine wahrhaftige Ikone spricht_

Ken Hensley gehört zu der Sparte Musiker, die während ihrer ewig währenden Karriere jeden Nebenzweig des Business kennengelernt, ihn gelebt, gepflegt und letztendlich doch verabscheut, allerdings erst viel zu spät gemerkt haben, dass ihr bisweilen luxuriöses Künstlerleben kein Freifahrtschein in die Zügellosigkeit sein kann. Hensley merkte dies jedoch wie so viele andere Kollegen deutlich zu spät, litt insgeheim unter den Folgen von Ruhm und Ehre und konnte auch mit den finanziellen Gegebenheiten des Starlebens nicht so recht umgehen, was er jedoch letztendlich weniger bereut als die einzelnen Versäumnisse, die aus der Zeit um Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll noch in die heutige Zeit hineinreichen.

All jene Erfahrungen aus den wilden Siebzigern offenbart der Gitarrist und Songwriter in seiner persönlichen Biografie „Blood On The Highway“, die hierzulande jüngst über den |Grosser & Stein|-Verlag veröffentlicht wurde. In diesem recht unterhaltsamen Werk berichtet Hensley über seine Zeit bei URIAH HEEP, so manche Eskapade, aber auch über die zweifelhaften Nebeneffekte des ruhmreichen Musikerlebens, ohne dabei rückblickend mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel zu spielen. Von seinen Anfängen in der Jugend, den ersten Kontakten mit der Musik bis hin zum steilen Aufstieg und anschließenden Absturz in die Kokainabhängigkeit resümiert Hensley hier vor allem die unliebsamen Erlebnisse, die sein Leben bis dato zeitigten, verleiht seiner Berichterstattung aber einen insgesamt überraschend lebendigen Rahmen, der die Story des Musikers zwischenzeitlich fast schon wie ein Akt der Selbstironie verkauft. Bei all der Tragik und Brisanz, die besonders den zweiten Teil seiner aktiven Karriere überschattete, gelingt es dem Autor dennoch, ein insgesamt positives Resümee zu ziehen und sein Leben nicht als die skandalöse Geschichte eines Business-Opfers darzustellen. Man bekommt stattdessen den Eindruck, Hensley verstehe seine gesamte Laufbahn als wechselseitigen Lernprozess, der bis zum heutigen Tage und trotz aller Schicksalsschläge nicht abgeschlossen ist.

Dementsprechend versteht sich der lockere Schreibstil des Altstars (Ken zählt mittlerweile auch schon stolze sechzig Lenze) fast wie von selbst und wirkt erfrischend jugendlich – so wie im Übrigen die kompakte Zusammenfassung seiner persönlichen Autobiografie. Dies hängt mitunter auch damit zusammen, dass der Mann nicht die Band als Leitfaden für die Story verwendet hat, sondern seine eigene Befindlichkeit während all der Jahre in den Mittelpunkt stellt. Natürlich spielt seine Partizipation bei URIAH HEEP für den wesentlichen Teil seiner charakterbezogenen Entwicklung eine immens wichtige Rolle, wird aber nicht als Aufhänger für eine etwaige Sensationspublikation genutzt. Anders als erwartet nutzt Hensley nämlich die sich bietende Gelegenheit ausschließlich, um von den verschiedensten Eindrücken zu erzählen, sowohl in Sachen Musik und Therapie, aber auch hinsichtlich seiner Familie und den gewöhnlichen Hoch- und Tiefpunkten des ganz gewöhnlichen Lebensalltags. Besonders dieser Umstand verabreicht dem Buch sowie auch der Person hinter „Blood On The Highway“ das Fünkchen Menschlichkeit, welches bereits ausreicht, um die erforderlichen Sympathien beim Publikum zu wecken. Ähnlich wie einst bei URIAH HEEP …

Auf den 160 bebilderten, englischsprachigen Seiten gibt’s dennoch eine Sache, die sich ein wenig als störend erweist. Der Autor verpasst der Biografie eine in etwa chronologische Struktur, hält sich in den einzelnen Kapiteln aber kaum an diese Vorgaben. Es wird ständig rezitiert, verglichen und auch vorausgeschaut, was der Entwicklung einer stringenten Historienaufarbeitung manchmal entscheidende Steine in den Weg legt und mitunter auch schon mal ein wenig Verwirrung stiftet. Etwas mehr Gradlinigkeit hätte so manchem Abschnitt gutgetan, gerade in der ersten Hälfte, in der man noch damit beschäftigt ist, den Menschen hinter diesem Buchprojekt genauer kennenzulernen.

Doch derartige Versäumnisse bzw. vergleichsweise geringfügige Unzulänglichkeiten verwässern den angenehmen Charakter des Buchs keinesfalls. Ken Hensley hat zweifelsohne ein bewegtes Leben hinter sich und kann mit mancherlei Anekdote aufwarten, deren Humorgehalt bereits ausreichen würde, um die Anschaffung dieser Biografie zu rechtfertigen. Darüber hinaus wird hier in einer teils recht bewegten Geschichte dargestellt, wie nahe Licht und Schatten im Musik-Business zusammenliegen bzw. wie schnell man als standhafter Mensch aufs moralische Abstellgleis gerät, sobald einem die Zügel entgleiten – und zumindest dies wurde in keinem mir bekannten Buch derart glaubhaft und nüchtern vorgetragen, dass man stellenweise wirklich ergriffen ist.

Insofern ist „Blood On The Highway“ auch samt seiner teils chaotischen Schlenker ein wirklich lesenswerter Titel und im Hardrock-Business ohne jeden Zweifel eine der gelungensten und persönlichsten Autobiografien auf dem Markt. Ganz egal, welche Verbindung man zu diesem Musiker und Menschen hat oder ob eine solche überhaupt besteht: Prinzipiell sollte sich hier jeder vom finsteren Untertitel „When too many Dreams come true“ inspiriert fühlen und Hensley in der Schilderung der Ereignisse seine Aufmerksamkeit schenken. Verdient hat „Blood On The Highway“ dies allemal.

http://www.grosser-stein.de/

Membran – Startseite

Turoff, Alan – Boggle

_Der 3-Minuten-Buchstabensalat_

„Boggle“ ist hinsichtlich des zugrunde liegenden Spielprinzips mitunter eines der ältesten Spielsysteme auf dem Markt. Die turbulente Begriffssuche wird unter anderem auch als pädagogische Lehrstütze genutzt und schult Beobachtungsgabe, Konzentration und vor allem auch den sich weiterbildenden Wortschatz. Das System ist dabei ganz einfach: Alle Spieler bewaffnen sich mit Papier und Stift, anschließend werden die 16 Würfel in eine Schale geworfen, und nun schauen alle Beteiligten, dass sie aus den gewürfelten Buchstaben so viele Begriffe wie möglich kreieren. Wichtig ist lediglich, dass man auf Eigennamen und geografische Begriffe verzichtet, ebenso auf jedwede Form gebeugter Verben und dergleichen. Und auch sollte jedes Wort mindestens drei Buchstaben besitzen, andernfalls wird es für die Wertung nicht anerkannt. Je länger die gebildeten Wörter, desto höher die erzielte Punktzahl, die am Ende über Sieg oder Niederlage entscheidet – und schon ist nach knapp fünf Minuten eines der temporeichsten Spiele der Geschichte beendet. Willkommen im Buchstabensalat von „Boggle“!

_Spielvorbereitung und -ablauf_

Vor jeder Partie sollte gewährleistet sein, dass alle Mitspieler ein größeres Blatt und einen Stift zur Hand haben. Dies ist bereits die einzige Voraussetzung, die erfüllt sein muss, um das Spiel zu beginnen. Anschließend geht es schon ans Eingemachte. Ein Spieler legt die Würfel in das spezielle Boggle-Feld, verschließt dieses mit dem Deckel und rüttelt die Würfel kräftig durch. Ist dies geschehen, nimmt man den Deckel wieder ab, richtet die Sanduhr aus und beginnt (jeder für sich) mit der irrwitzigen Raterunde.

Insgesamt stehen die Minuten zur Verfügung, um so viele Begriffe wie nur möglich aus dem Buchstabenfeld herauszusuchen. Mit dem Ablaufen der Sanduhr ist das Spiel auch schon zu Ende. Im Uhrzeigersinn lesen die Spieler ihre Wörter vor und streichen dabei diejenigen aus, die von mehreren Spielern gefunden wurden. Somit zählen in der Schlusswertung lediglich diejenigen Begriffe, die man als Einziger entdeckt hat. Zuletzt erhält jeder Spieler für ’seine‘ Wörter die entsprechenden Punkte, vergleicht sie mit den Mitspielern und ermittelt zum Schluss den Sieger, dies jedoch meist schon mit dem Hintergedanken, ein weiteres Mal zu boggeln …

_Persönlicher Eindruck_

Es gibt Spiele, deren Aufbau ist so simpel, dass es wiederum genial ist, welchen Suchtfaktor sie auf ihr Publikum ausüben. „Boggle“ gehört zweifelsohne zu dieser Kategorie, obschon es über einen Mechanismus verfügt, der in diesem Sinne eher weniger innovativ ist. Ähnlich gelagerte Spiele keimten nämlich vor allem in den 80ern immer deutlicher auf und gehörten kurzzeitig zur Dominanz auf dem Spielemarkt, bevor schließlich wieder die themengebundenen Titel diese Position an sich rissen. Ich erinnere mich jedoch noch sehr gut, dass meine Kindheit ebenfalls von diesen Wortrate- und erkennungsspielen geprägt war, zu denen man sich gerne auch stundenweise hinter den Spieltischen verschanzte.

Diesen Effekt sollte „Boggle“ nach kürzester Zeitspanne auch entfachen. Selbst im Solospiel packt einen der Ehrgeiz, das Maximum aus der Vorgabe herauszuholen, auch ohne zeitliche Limitierungen, sondern einfach nur aus Lust am Tun. Doch am interessantesten ist es natürlich, sich mit Freunden und Bekannten zu messen, zumal es doch eine gehörige Genugtuung sein kann, sich auf dieser Ebene einmal durchzusetzen. Aber auch die ‚Jetzt-erst-recht‘-Motivation ist nicht zu unterschätzen und führt schließlich zur dauerhaften Wiederholungstat mit unerschöpflichem Suchtpotenzial. Abschreckend ist lediglich der Preis, der aufgrund des wenigen Materials bestenfalls im einstelligen Bereich liegen sollte, darüber aber noch um einiges emporschießt. Sollten hier die Relationen stimmen, sollte man sich „Boggle“ auf jeden Fall ins Haus holen. Hier wird das derzeit so angesagte Gehirnjogging nämlich spielerisch leicht auf die Zielgruppe übertragen!

|Empfohlen ab 8 Jahren
1+ Spieler|
http://www.hasbro.de/mcp.php/de/app/products/overview/102/index.html

Rucka, Greg / Lieber, Steve – Whiteout

Das Leben in der Antarktis ist nicht leicht. U.S. Marshal Carrie Stetko kann davon ein Lied singen. Allein in so gut wie rein männlicher Gesellschaft, Witterungsbedingungen, welche die Antarktis zum vermutlich lebensfeindlichsten Ort des Planeten machen – und dann geschieht auch noch ein Mord.

Es liegt an Carrie, den Fall aufzuklären und den Täter in der antarktischen Eiswüste dingfest zu machen. Doch Carrie hat wenig Zeit. Der Winter steht unmittelbar bevor, die meisten Menschen werden in ihre Heimat ausgeflogen, und wenn Carrie den Täter nicht vorher findet, brechen sechs Monate Dunkelheit über sie herein – in der Ungewissheit, dass der Täter sich noch irgendwo da draußen befindet, während sie für sechs Monate von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Carries Ermittlungen werden durch die ungünstigen Witterungsbedingungen erschwert und zudem machen ihre Vorgesetzten auch noch Druck: Löst sie den Fall nicht bis zum Einbruch des Winters, ist sie ihren Job los. Doch Carrie bekommt die unerwartete Unterstützung einer britischen Kollegin namens Lily Sharpe. Gemeinsam machen die beiden sich auf die Suche nach dem Täter und stolpern dabei über weitere Leichen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Was Greg Rucka und Steve Lieber mit „Whiteout“ aufs Papier gezaubert haben, ist ein Krimi in ebenso eindrucksvoller wie ungewöhnlicher Kulisse. Die Antarktis ist als Handlungsort mit das unverbrauchteste Terrain, das man sich vorstellen kann, und das macht zu einem nicht unerheblichen Teil den Reiz der Geschichte aus. Genaugenommen ist es dabei das Zusammenspiel von Ort und Zeit.

Die Antarktis ist kurz vor Wintereinbruch ein Ort in Aufbruchstimmung. Die meisten Menschen werden in ihre Heimat ausgeflogen, bevor die restlichen Verbliebenen für sechs Monate in der Dunkelheit des antarktischen Winters eingeschlossen sind. Carrie muss den Mörder unbedingt rechtzeitig finden – zum einen, um zu verhindern, dass er vorher in Richtung Heimat verschwindet, zum anderen (falls er zur Winterbesatzung gehört), um nicht für die nächsten sechs Monate mit ihm zusammen an einem Ort festzustecken, der von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Auch die Britin Lily Sharpe weiß um dieses Problem. Die Antarktis teilt sich in verschiedene Zuständigkeitsbereiche auf, je nachdem, unter wessen organisatorischer Leitung die jeweiligen Antarktis-Stationen stehen. Ein einzelner U.S. Marshal allein kommt da nicht weit. Die entmutigende Frauenquote von etwa zweihundert zu eins macht den beiden ermittelnden Damen die Sache nicht unbedingt leichter. Aber Stetko und Sharpe schieben nicht umsonst Dienst in der Antarktis. Sie sind aus hartem Holz geschnitzt und meistern sowohl die widrigen Witterungsbedingungen als auch die männliche Übermacht.

Der Fall an sich nimmt einen durchaus spannenden, aber auch etwas vorhersehbaren Verlauf. Der aufmerksame Leser bekommt schon recht früh einen sehr entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falls präsentiert. Es ist der Wettlauf gegen die Zeit, der die Sache spannend macht, und mit zunehmender Seitenzahl ist es auch die Befürchtung, dass die beiden Heldinnen drauf und dran sind, in eine Falle zu tappen, weil sie Zusammenhänge, die der Leser schon erkannt hat, selbst noch nicht erfasst haben.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch der Handlungsort selbst. Die spannendste Szene der Geschichte spielt sich folglich mitten in einem verheerenden antarktischen Sturm ab. Daher hat die Geschichte auch ihren Titel, denn die Stürme der Antarktis mit Minusgraden bis in den dreistelligen Bereich und Sichtweiten, die im dichten Treiben von Schnee und Eiskristallen teilweise nur bei fünfzehn Zentimetern liegen, nennt man |Whiteout|. In so einen Whiteout geraten auch Carrie und Lily. Ihr Leben hängt an einem Leitseil, das die einzige Möglichkeit darstellt, sich innerhalb der Basis fortzubewegen, ohne völlig orientierungslos im Sturm zu erfrieren. Das verspricht Spannungsmomente allererster Güte und dürfte auch in der in diesem Jahr in den Kinos anlaufenden [Verfilmung]http://www.imdb.com/title/tt0365929/ des Stoffs – mit Kate Beckinsale in der Rolle der Carrie Stetko, Regier führt Dominic Sena („Passwort: Swordfish“) – ein echter Leckerbissen werden.

Besonders stimmig wirkt die Geschichte aufgrund der Zeichnungen von Steve Lieber. Er fängt die beklemmende Atmosphäre der antarktischen Kälte wunderbar ein. Man möchte meinen, dass Schwarz-Weiß-Zeichnungen bei einem Handlungsort wie der Antarktis schnell etwas öde werden, aber Lieber beweist das Gegenteil. Er arbeitet viel mit diffusen Grauschattierungen, kehrt aber auch immer wieder harte Kontraste heraus. Und so erweckt er die Geschichte wunderbar zum Leben.

Bleibt unterm Strich ein positiver Eindruck zurück. Greg Rucka und Steve Lieber haben mit „Whiteout“ eine Geschichte abgeliefert, die als Krimi sehr solide ist, aber durch ihren ungewöhnlichen Handlungsort und die damit einhergehenden besonderen äußeren Umstände ein absolut besonderes und ungewöhnliches Lesevergnügen ist. Und so kann man „Whiteout“ Krimi-Freunden und Graphic-Novel-Liebhabern gleichermaßen sehr ans Herz legen.

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Jackson, Steve / Hyland, Greg – Munchkin Fu

_Die Munchkins waren beim Film …_

… und nun bevölkern sie die Gassen der asiatischen Mega-Metropolen, leben sich in der Rolle von Samurais, Yakuiza und Ninjas aus und lassen ihrer Passion, dem Mönchsdasein, nach jahrelanger Durststrecke endlich freien Lauf. In „Munchkin Fu“, dem Schlitzaugen-Ableger der beliebten Serie, verulken Steve Jackson und Greg Hyland im Wesentlichen die fernöstliche Kultur mit all ihren Eigenheiten und merkwürdigen Herausgaben. Da blüht die Jackie-Chan-Parodie neben dem unglücklichen Bruce-Lee-Plagiat so richtig auf, es winken wertvolle Gegenstände wie das Anime-Amulett, und wenn es ganz dick kommt, begegnen einem in irgendwelchen Hinterwäldlervierteln fragwürdige Gangster-Gruppierungen wie Hong Kong Tong oder der Surferdämon Is Nich. Völlig verrückt? Aber klar doch …

_Von Hong Kong Kong zum Lotusblüten-Ecstasy_

Ein weiteres Mal waren die beiden Spieldesigner bei der Erstellung eines humorigen, teils auch recht albernen Konzepts enorm erfinderisch. Ohne das Spielprinzip in irgendeiner Form grundlegend umzuschmeißen, hat man den Charakter des bewährten, 168-teiligen Kartensatzes lediglich durch neue Grafiken und äußerst witzige Gegenstand-, Personen- und Zustandsbeschreibungen modifiziert, hierbei aber mal wieder einen umwerfenden Wortwitz bewiesen.

Insbesondere die Beschreibung der Gegenstände lockt einem die eine oder andere Zwerchfellfraktur hervor, so zum Beispiel der Stab, der den menschlichen Geist vernebelt, das Kamikaze-Stirnband oder gar fünf Jahre alte Zehennägel, scheinbar eine Spezialität der asiatischen Eigenbrötler. Auch nicht schlecht sind die Beschreibungen der altbekannten, wenn auch leicht veränderten Monster-Charaktere, angefangen bei der Godzilla-Abart Jogira über den Casino-Helden Wet-King bis hin zum Kung-Fu-Kämpfer vom anderen Stern. Sollte bis dahin immer noch niemand breit grinsend seine Kartenhand füllen und das Charakterprofil seines Helden erweitern, ist spätestens die Begutachtung der einzelnen Monster-Entwicklungen das zündende Element. Tatsächlich soll es Monster geben, die auf Lotusblüten-Ecstasy rumhoppeln, im Kampf mit sichtbaren Drähten vor der Kamera arbeiten oder sich sogar ein Stunt-Double aneignen. Keine Frage: Hier werden Tränen gelacht, unter anderem auch wegen der vorzüglichen Illustrationen von Greg Hyland, der seinem unbestrittenen Vorbild John Kovalic in nichts nachsteht.

Die wesentlichen Änderungen des Spiels beruhen also wieder vornehmlich auf der Einführung neuer Charaktere sowie der thematischen Neuanordnung des Kartenmaterials. Lediglich die Mooks lockern den bewährten Ablauf ein wenig auf und ermöglichen einige weitere Optionen im Kampf, so zum Beispiel auch die Opferung des Mooks anstatt des Weglaufwurfs am Ende des Kampfs. Dementsprechend entkommt man allen Gegnern problemlos mit Hilfe des Mooks, muss ihn dazu allerdings abwerfen. Außerdem können Monster-Bonusstufen darauf ausgespielt werden.

Für den Spielverlauf nicht ganz so entscheidend, als witziges Gimmick aber durchaus interessant sind die zwölf verschiedenen Stile, allesamt einzigartige Kampfsporttechniken, die weitere Vorteile bringen. Jeder Spieler (außer Mönchen) darf eine solche Karte offen ausliegen haben und eventuell in Kampfsituationen einsetzen, sie aber auch beliebig gegen weitere derartige Handkarten austauschen. Das erweitert zumindest ein wenig den bestehenden Modus und grenzt „Munchkin Fu“ diesbezüglich ein wenig von den übrigen Fortsetzungen ab – und das natürlich im positiven Sinne!

_Persönlicher Eindruck_

Bei der asiatischen Adaption der populären Rollenspiel-Komödie haben Jackson und Hyland ein weiteres Mal bewiesen, dass es grundsätzlich möglich ist, eine oftmals erprobtes Spielprinzip lediglich durch den Einsatz neuer Kartenmotive interessant zu halten. Die neuen Skizzen sind einfach umwerfend komisch, die Ideen zeugen von großer Fachkenntnis und gehörigem Erfindungsreichtum, und der Humor ist auch im Kung-Fu-Ableger ein Garant für heftigste Lachmuskel-Attacken und höchsten Zwerchfell-Strapazen. Dies scheint vor allem unter dem Aspekt erstaunlich, dass sich John Kovalic eine kleine „Munchkin“-Pause gegönnt und ein gewaltiges Erbe an einen bis dato noch unbekannten Grafiker weitergegeben hat, der dieses aber mit Würden verwaltet und weiterträgt.

Nicht zuletzt durch die dezenten Neuerungen des Spielverlaufs mit Mooks und Stilen ist es so gelungen, einen weiteren Dauerbrenner in der nimmer endenden „Munchkin“-Reihe erfolgreich zu etablieren und ihn selbst als Einstiegdroge in das Referenzprodukt aus dem Hause Jackson lukrativ zu machen. Klar also, dass sich die fast schon standesgemäße Empfehlung fast wie von selbst ausspricht.

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Boothby, Ian – Simpsons Comics 133

_Inhalt_

|“Ausverkauf bei Marge“|

Marge entdeckt auf dem Speicher des Hauses allerhand unbrauchbaren Kram, darunter vor allem einen riesigen Stapel uralter Fernsehzeitschriften, von denen sich Homer bislang nicht trennen wollte. Marge lässt sich hiervon jedoch nicht länger beeinflussen und sucht händeringend Abnehmer für den nutzlosen Papierkram – vergeblich. Dank Lisas Rat lernt sie dann jedoch das Online-Auktionshaus ebuy kennen und erzielt dort einen erstaunlich hohen Preis für die Illustrierten.

Dies nötigt Marge dazu, gleich das Ganze Mobiliar und noch einiges mehr per Internet zu versteigern, bis sie schließlich realisiert, dass dies ein Fehler war. Da jedoch nur ein einziger Käufer die Sachen abgenommen hat, scheint die Möglichkeit, sich alles wieder zurückzuholen, noch gegeben. Als sich jedoch hinter dem mysteriösen Auktions-Profi niemand Geringerer als Marges alter Verehrer Artie Ziff verbirgt, macht sich die Familie nur noch wenig Hoffnung. Ziff plant nämlich, das Leben der Simpsons nachzuempfinden – und nun hat er endlich die notwendigen Mittel hierzu …

_Persönlicher Eindruck_

Im 133. Part der „Simpsons Comics“ erweist sich Ian Boothby mal wieder als ausgesprochen freizügiger Scharfschütze mit Spürsinn für die richtigen Zielobjekte. Dieses Mal muss das eigentlich schon längst überfällige Auktionshaus eBay dran glauben, welches hier – wenngleich namentlich leicht modifiziert – als Verursacher für ein etwas unverhältnismäßiges Kaufverhalten recht derbe durch den Kakao gezogen wird. Natürlich wählt der Autor hierzu mal wieder eine ganze Reihe überspitzter Darstellungen und verbindet sie mit einer völlig verrückten Story, wie sie wohl nur in den vier Wänden der gelben Familie stattfinden kann.

Der Plot entwickelt sich allerdings zunächst nur schleppend; man glaubt schon, es sei eine dieser typischen Marge-Hysterie-Geschichten, die letztendlich mit einer moralischen Note zum Ende kommen, doch entgegen den Erwartungen zeigt sich die etwas verdutzte Dame des Hauses keinesfalls reumütig. Generell aber sind die Emotionen in diesem Fall relativ gezügelt. Selbst Homer kann locker damit umgehen, dass seine liebsten Biervorräte im Verbund mit dem Kühlschrank außer Hauses gegangen sind, was indes auch bedeutet, dass Boothby gleichsam den gemäßigten Weg wählt und dieses Mal vor krasseren verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Hauptdarstellern zurückweicht. Doch genau dies wäre eventuell sogar erforderlich gewesen, um der Story anfangs etwas Schwung zu verpassen.

In der zweiten Hälfte geht es dann gewohnt tempo- und abwechslungsreich weiter; Boothby nähert sich der gewohnten Quote an Nettigkeiten und zwiespältigen Anspielungen und erreicht bis zum Schluss doch noch das Pensum an zweideutigem Humor, das dieser Magazin-Reihe standesgemäß innewohnen sollte.

Auch wenn die Geschichte nicht ganz so reizvoll ist wie manche erst kürzlich veröffentlichte in dieser Serie, so erhält die Nr. 133 dennoch den Zuschlag für kurzweilige, leider aber auch wieder allzu kurze Unterhaltung (mittlerweile nehmen schon mehr als ein Drittel des Heftes Rubriken und Werbung ein) auf mehr als durchschnittlichem Simpsons-Niveau. Schade ist halt nur, dass der Comic-Teil immer deutlicher abnimmt und Platz für allerhand Nebensächlichkeiten macht. Dieser Umstand sollte sich künftig besser wieder ändern, damit der Heft-Untertitel „Der große Simpsons-Ausverkauf“ demnächst nicht noch wörtlich genommen werden muss …

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Nelson DeMille – Operation Wild Fire

Durchgeknallte einflussreiche und reiche Menschen neigen seit jeher dazu, mit kurzen Eingriffen in die Weltgeschichte das Böse bekämpfen und dem Guten ewigen Frieden bescheren zu wollen. Dabei greifen sie meist auf eher schädliche Mittel zurück, die selten mit »Gut« und »Frieden« vereinbar sind – so wie in diesem Fall die Atombombe.

»Wild Fire« sei ein geheimes Protokoll der US-Regierung, nach dem im Falle eines terroristischen Attentats mit Massenvernichtungswaffen auf amerikanischem Boden ein Massivschlag gegen die islamische Welt geführt werden soll. Mittel des Gegenangriffs, bei dem Milliarden Unschuldige getötet würden und der Auswirkungen auf die gesamte Erde in allen Bereichen hätte: Hunderte von Atombomben, die seit ihrer Entwicklung unter Tausenden ihresgleichen eingelagert werden und Steuergelder verschlingen.

Wild Fire sei aus dem Kalten Krieg hervorgegangen, als beide Großmächte die Folgen eines Erstschlags erkannten und ihn darum vermieden. Laut DeMille ist dieses Geheimprotokoll den islamischen Staaten bekannt, die – bisher erfolgreich – ihre Terrororganisationen vom Einsatz von Massenvernichtungswaffen abhalten sollen.

Was wäre, wenn eine Gruppe »rechtslastiger Spinner«, um mit DeMille zu schreiben, auf die Idee käme, durch einen atomaren Anschlag auf amerikanische Großstädte dieses Wild Fire auszulösen und dadurch ihre Vorstellung von dem »Sieg des Guten« zu verwirklichen? DeMille lässt seinen arroganten Macho John Corey (ehemals NYPD-Detective und Agent einer Antiterrortaskforce ATTF) mit seiner anbetungswürdigen Gattin Kate Mayfield (Special Agent des FBI und Agent der ATTF) auf dieses »Was wäre, wenn« los und hofft, dass sie mit ihren unorthodoxen Ermittlungsweisen rechtzeitig in Reichweite des »Roten Knopfes« kommen.

Den Plan von Madox, einem reichen Ölguru, erfährt man schon anfangsnah durch die Ermittlung eines anderen Agenten, der in Folge dessen von Madox ermordet wird. Gerade das ruft Corey auf den Plan und treibt ihn dazu an, sogar direkte Befehle seiner Vorgesetzten zu missachten und weiter an dem Fall zu arbeiten, um seinen Freund zu rächen und der merkwürdigen Geschichte auf den Grund zu gehen. Hintergrund seiner energischen Ermittlungsart sind seine Erlebnisse am 11. September 2001, an dem er nur durch eigenes Verschulden (er kam zu spät) dem Anschlag entging.

Corey ist eine wunderbare Figur für den Icherzähler. Ein Macho und arrogantes Arschloch, maximal selbstüberzeugt und Sprücheklopfer vorm Herrn. Sein Humor ist trocken, hintergründig oder platt, je nach Situation, oft ironisch oder sarkastisch. Auf jeden Fall reizt er quasi jeden Gesprächspartner zur Weißglut, wenn er ihn nicht leiden kann. Das macht die Erzählung sympathisch und lockert die Spannung, die sich aus den Gedanken und der Ermittlung ergibt, bei welcher der Leser ja bereits um die Details weiß, Corey und Mayfield jedoch im Dunkeln tappen. Es ist eine besondere Leistung DeMilles, daraus einen knackigen Thriller zu zaubern.

Der Erzähler |erzählt| seine Geschichte wirklich. Man merkt es an erklärenden Sätzen und Ausdrücken, aber vor allem daran, dass er eigene Gedanken hat, die er dem Leser nicht verrät. Dadurch kann er ein Netz aus Informationen knüpfen, die der Leser zwar auch kennt, die ihm aber nicht in jedem Fall die gleichen Folgerungen aufdrängen wie Corey. Er ermittelt mehrgleisig und saugt jede Information gierig auf, auch wenn sie dem Leser oder anderen Figuren überflüssig erscheinen oder aber dem Leser aufgrund seines Wissens Schlüsse aufdrängen, die Corey so schnell nicht nachvollziehen kann und dadurch wieder Spannung erzeugt.

Man wird mit Corey in dessen Ermittlungsbahn gezogen und durch sein gedankliches Verschweigen von Denkrichtungen immer wieder mit Ergebnissen überrascht. Man fiebert mit, wenn er seiner Frau neue Erkenntnisse vorträgt oder von ihr bekommt. In einem wichtigen Punkt liegt er lange falsch, aber er begründet logisch die Schlussfolgerung, so dass man ihm sein Fehlen nicht übel nimmt. Umso erstaunlicher, dass DeMille gerade in dieser Information eine Lücke in der Ermittlung belässt, denn obwohl Corey im entscheidenden Moment drauf gestoßen wird, nimmt er sie nicht auf. MAD war nicht die Abkürzung für Madox … Dem Leser war es klar, aber Corey, der sonst alle seine Erkenntnisse auseinanderpflückt, unterschlägt die Tatsache oder übersieht sie wirklich – was nicht zu seinem entwickelten Profil passt.

Insgesamt ist »Operation Wild Fire« ein wirklich spannender Agententhriller, Hauptträger der Spannung ist Corey mit seiner großen Klappe und seinen teils zwiespältigen Gedanken zu gefährlichen Themen. Das Buch liest sich schnell, flüssig, ist sehr humorvoll und behandelt eindrücklich ein ernstes aktuelles Thema.

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McGough, Scott / Sanders, Timothy – Magic: The Gathering – Zeitspirale-Zyklus Band 2 (Weltenchaos)

[Band 1 3720

_Story_

Teferi ist es mit letzter Kraft gelungen, den bereits verloren geglaubten Kontinent Shiv wieder in das Weltengefüge einzugliedern und den beträchtlichen Zeitriss wieder ins Lot zu bringen. Und dennoch bleibt Dominaria nicht vor weiteren derartigen Erscheinungen sicher. An zahlreichen weiteren Stellen öffnen sich Portale in andere Zeiten, aus denen scharenweise Phyrexianer stürmen, um Dominaria zu unterwerfen und das ganze Multiversum ins Chaos zu stürzen.

Da Teferi beim erfolgreichen Versuch, Shiv zu retten, seine Mächte als Weltenwanderer schmerzlich einbüßen musste, ist es nun an seinen Gefährten Jhoira und Venser, die Invasion der Phyrexianer zu stoppen und die wachsenden Risse zu schließen. Doch alsbald erfahren sie, dass solche Fähigkeiten lediglich einem Weltenwanderer wie Teferi zustehen, so dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als den Fürsten Windgrace und die starrsinnige Freyalise um Hilfe zu bitten und von ihren Motiven zu überzeugen. Doch die Bedingungen sind tödlich, und die Suche nach einflussreichen Verbündeten gerät sehr bald zum schier hoffnungslosen Unterfangen. Als dann auch noch ein Seelenvampir seine Ansprüche geltend machen will, scheint Dominaria endgültig dem Untergang geweiht …

_Persönlicher Eindruck_

Immerhin, die Geschichte gewinnt im zweiten Band der „Zeitspirale“-Trilogie merklich an Tiefe und Farbe, insbesondere was die zunächst noch sehr blassen Charaktere betrifft. Dies ist in gewisser Weise auch dem recht deutlichen Wandel in der Handlung zuzuschreiben, welcher den eher merkwürdigen Helden Teferi in die zweite Reihe drängt und seine bislang kaum bemerkenswerten Kollegen mehr in den Vordergrund stellt. Die tragische Misere, die ganz Dominaria befallen hat und sich wie ein brutales Virus ständig weiter ausbreitet, wirkt innerhalb der temporeicheren Erzählung von „Weltenchaos“ glaubwürdiger, die Spannung ist bisweilen sogar wirklich greifbar, und durch die Loslösung von recht farblosen Schemen zugunsten einer individuellen Darstellung der beteiligten Figuren gewinnt die Story zunehmend an Eigenständigkeit.

Jenseits dieser überraschend positiven Entwicklung bleibt aber dennoch anzumerken, dass auch der zweite Band des Zyklus‘ noch einige Schwachstellen aufweist, speziell im Hinblick auf den bisweilen hektischen Aufbau der Geschichte. Die Hauptdarsteller verschlägt es permanent zu anderen Orten, und statt etwas fokussierter an der Problembehandlung naheliegender Konflikte zu arbeiten, verschiebt Autor Scott McGough die Prioritäten immer wieder weiter, ohne dabei klare Standpunkte zu setzen. Auch wenn Figuren wie Jhoira und Venser in ihrem Profil gefestigter wirken und in diesem Sinne so etwas wie die Konstanten der Erzählung sind, wird der intrigenreiche Roman zum Schluss noch mit allerhand divergierenden Versatzstücken aufgefüllt, die den stringent beginnenden Plot ein wenig aus den Fugen reißen. Auch hier knüpft man schließlich wieder an einige Schönheitsfehler des vorangegangenen Buches an, indem man schlichtweg kurzzeitig den Blick fürs Wesentliche verliert und versucht, die prinzipiell schon recht umfassende Story noch ein wenig künstlich aufzubauschen.

Im Vergleich zu „Zeitspirale – Band 1“ halten sich derartige Unzulänglichkeiten allerdings angenehm in Grenzen und vermögen es nicht, den überraschend vielschichtigen, insgesamt auch recht spannenden Plot wesentlich zu verwässern. Die Geschichte um die Zeitrisse wird durchaus lebendiger und weniger festgefahren fortgeführt, erscheint bei weitem nicht mehr so kopflastig und präsentiert einige mit Abstand reifere Helden als noch kurze Zeit zuvor. Und genau dies ist definitiv mehr, als man nach dem schwächlichen Auftakt erwarten bzw. erhoffen durfte! Wer sich also mit Müh und Not durch den einleitenden Band des Zyklus‘ gekämpft hat, wird in „Weltenchaos“ über weite Strecken mit einem richtig anständigen Fantasy-Roman für seine Anstrengungen belohnt.

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Willocks, Tim – Sakrament, Das

Malta: Etwas weiter im Süden Europas gelegen als das italienische Sizilien, findet man diese Insel im Mittelmeer. Malta war immer schon ein strategisch wichtiges Bollwerk für eine Vielzahl von Völkern und Kulturen. Phönizier, Römer und auch die Spanier bauten die Insel zu einer scheinbar uneinnehmbaren Festung aus. Rund um die Küstenlinie säumen Festungen und Schanzen die Grenze zum Meer.

„Das Sakrament“ von Tim Willocks schildert die Belagerung Maltas im Jahre 1565. Auf der Insel haben die Ritter vom Johanniterorden, später bekannt als der Malteserorden, ihren Stützpunkt errichtet. Nach dem Verlust und der Vertreibung von der griechischen Insel Rhodos sind sie nicht gewillt, den Osmanen die letzte Grenze Europas kampflos zu überlassen.

_Die Geschichte_

Matthias Tannhäuser, der Sohn eines sächsischen Schmiedes, dessen Familie in die Karpaten ausgewandert ist, muss mit ansehen, wie seine Schwester und Mutter von den eindringenden Türken vergewaltigt und ermordet werden. Mit dem Mut und dem Schock, die ihn umfangen, imponiert er einem General, der ihn osmanisch erzieht und Matthias zu einem Janitscharen formt. Die Janitscharen waren die Elitetruppe und persönliche Leibwache des Sultans. Rekrutiert wurden diese zumeist aus eroberten Ländern. Griechen, Bulgaren, Serben und viele andere Christen wurden islamisch umerzogen und bis zum 24. oder 25. Lebensjahr ausgebildet.

Doch Matthias entsagt später dem osmanischen Glauben und sagt sich los, desillusioniert und egoistisch baut er sich in Sizilien ein legales und ein illegales Handelsnetz auf. Tannhäuser ist politisch vollkommen neutral und nur am Profit interessiert. Zugleich respektiert und gefürchtet, macht ihn das für den Johanniterorden außerordentlich interessant. Mit einer List versuchen die Ritter vom Orden der Johanniter, Matthias für sich zu gewinnen. Seine Kenntnisse als erfahrener und kampferprobter Janitschare könnten dabei helfen, die Festung Malta vor den anrückenden Osmanen zu stärken.

Die List kommt daher in Form einer schönen Frau des Wegs, der Contessa Carla, die ihn bittet, ihren vermissten Sohn, den sie nach der Geburt nie wieder gesehen hat, auf der Insel zu finden und zurückzubringen. Matthias willigt ein unter der Voraussetzung, die Contessa später zu heiraten, da ihm dann ein Adelstitel zustünde. Ein reines Geschäft für den Kaufmann, der zusammen mit seinem britischen Partner Bors von Carlisl aufbricht, um sich diesen Titel zu verdienen.

Zusammen mit der Contessa und ihrer Dienerin Ampara machen sie sich auf den Weg nach Malta. Tannhäuser findet sich schnell inmitten der Schlacht um Malta wieder, aber nicht nur diese wird ihren Tribut fordern. Malta ist schon längst von hohem politischem Interesse geworden für den Vatikan und den Spaniern. Der „Botschafter“ und Inquisitor Ludovico, den Tannhäuser kennt und verabscheut, hat persönliche Interessen daran, dass Malta als Bastion Christi entweder fällt oder aber durch seine Hilfe und seinen Einfluss gerettet wird. Tannhäuser ist dies alles recht egal, er hat seine eigenen Pläne, weiß aber auch, dass die Konfrontation mit Ludovico stattfinden wird, schließlich hat dieser einen seiner Freunde und Gelehrten auf den Scheiterhaufen gebracht und als Ketzer verbrannt.

Es kommt schließlich, wie es kommen muss und sollte. Der Plan der Johanniter geht auf und Tannhäuser findet sich auf dem Schlachtfeld wieder. Die Osmanen rücken mit 30.000 Soldaten an, dieser Streitmacht stehen nur 700 Ordensritter und etwa 8.500 Malteser entgegen. Der Großmeister Jean de la Vallette, ein grandioser, aber auch skrupelloser Taktiker, sieht sich gezwungen, die Insel mit allen Mitteln zu verteidigen. Für jeden Tag der Belagerung wird ein Moslem auf der Festungsmauer vor den Augen der Osmanen gehängt., egal, ob dieser nun ein Kriegsgefangener ist oder früher schon auf der Insel gelebt hat. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, und das nehmen alle Beteiligten mehr als nur ernst.

Tannhäuser macht sich auf, den Sohn der Comtessa zu suchen, und was er findet, wird seine Opfer fordern …

_Kritik_

Tim Willocks legt hier mit seinem Genre-Debüt „Das Sakrament“ einen großartigen historischen Roman vor. Willocks Gespür für die historische Komplexität ist brillant und verleiht dem Roman eine eindrucksvolle Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Seite. „Das Sakrament“ ist ein klassisches Drama mit viel Sinn fürs Detail. Willocks beschreibt alle Situationen in allen Facetten. Nicht nur die vielen Kämpfe werden in ihrem Ablauf und historischen Detailreichtum einwandfrei erzählt, auch nimmt sich der Autor viel Raum und Zeit, um die schönen Insel, die Natur und die Ortschaften zu beschrieben.

Der Leser fiebert förmlich mit Willocks Hauptpersonen mit und hat stets das Gefühl, selbst am Geschehen beteiligt zu sein. Das ist emotional absolut ansprechend geschrieben. Die Protagonisten sind stark beschrieben und überaus durchdacht angelegt. Matthias Tannhäuser als Hauptfigur wird nicht nur einseitig dargestellt, auch seine Entmenschlichung und seine egoistische Seite werden detailliert geschildert. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten; osmanisch erzogen und nun wieder mehrere Jahre in der christlichen Welt lebend, fühlt er sich hin- und hergerissen zwischen Verstand und Gefühl.

Die Contessa Carla und ihre hellsichtige Dienerin Amparo bestechen zunächst durch ihre Attraktivität. Aber auch diese erfahren im Laufe der Handlung eine Wandlung, der sie sich nicht erziehen können. Tannhäusers Gegenspieler, der Inquisitor Ludovico, ist durchtrieben und grausam genug für einen mächtigen Mann der Kirche. Auch aus der ‚zweiten Reihe‘ heraus hat er viel Einfluss auf die politische Lage und das Schicksal der Menschen, die nur an Gott glauben wollen und sich eigentlich beschützt und behütet wähnen. Das Schicksal der Charaktere ist dabei nicht unbedingt vorgezeichnet. Tim Willocks hat viele kleine Überraschungen in seine Geschichte eingebaut, die das Buch umso lebendiger machen.

Der reale Hintergrund wie auch die historischen Charaktere bilden die Basis des Romans. Schon allein, wie die Ritter und die Malteser auf den Festungsmauern stehen, kämpfen und sterben, erobern und zurückgeschlagen werden, wird zwar blutig und detailreich geschildert, gehört aber zur Handlung unmittelbar dazu, gerade weil die Hauptpersonen mit all ihren Ängsten und Hoffnungen daran teilnehmen müssen.

Die Kampfszenen sind drastisch und glaubwürdig, aber es sind die Szenen im Hospital, die Verwundeten, Sterbenden, die im Gedächtnis bleiben. Die Contessa Carla opfert sich beinahe auf und macht es sich zur Aufgabe, die Opfer zu pflegen oder sie sanft in den Tod zu begleiten. Sie wird vom egoistischen unnahbaren Charakter zu einer starken, aufopfernden Frau.

Die Tragik der Geschichte findet sich wieder in der Person von Ludovico. Auch dieser wandelt sich, muss sich wandeln, und das ganz überraschend. Entgegen aller Klischees eines klassischen Bösewichts gibt es um diese Figur zutiefst bewegende Szenen.

Der Roman bietet eindringliche Porträts historischer Figuren, unter anderem das des Jean de la Vallette, Hochmeister des Malteserordens. Vallette ist brillanter Taktiker, dessen Strategien gegen jedes Kriegsrecht auch seiner Zeit verstoßen; ein korruptionsfreier und integerer Mann, der einen Kardinalshut ablehnt, aber völlig unfähig ist, im Frieden zu leben, und mit seinem Fanatismus furchteinflößender ist als so mancher korrupte, aber verhandlungsfähige Politiker.

_Fazit_

Es gibt einige Romane, welche die Belagerung von Malta durch das Osmanische Reich schildern, und der hier vorliegende gehört zum Besten, was ich zu dieser Thematik bisher gelesen habe. „Das Sakrament“ ist ein spannender und zutiefst bewegender Roman, für Freunde und Leser historischer Romane ein wahrer Leckerbissen und ein rundum gelungenes Werk, das man nur sehr ungern aus der Hand legen wird.

Es wird eine Fortsetzung mit den überlebenden Figuren geben – in welche Richtung diese verlaufen wird, vermag man bis dato noch nicht zu erahnen.

_Der Autor_

Tim Willocks wurde 1957 in Manchester geboren und begann bereits mit zehn Jahren zu schreiben. 1983 promovierte er in London, wo er Medizin und Psychologie studierte. Bis 2003 arbeitete er als Psychologe und behandelte vor allem drogenabhängige Patienten. Vor Jahren hat er mehrere erfolgreiche Thriller geschrieben. Dann entdeckte ihn der Agent von Ken Follett, der ihm auf unbegrenzte Zeit seine Villa in Florida zur Verfügung stellte, damit er sein Buch „Das Sakrament“ vollenden konnte, seinen ersten historischen Roman,

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Hammock, Lee / Faerber, Jay – Halo Graphic Novel

_Inhalt_

|“Die letzte Reise der Infinit Succor“|

Der Elite-SpecOps-Commander wird per Notruf zu einem manövrierunfähigen Allianzschiff am Rande des Threhold-Systems beordert. Zunächst scheint die Situation harmlos und der innerhalb der Infinite Succor befindliche Legat in Sicherheit. Dann jedoch taucht eine Garnison gefährlicher Flood-Monster auf, verrichtet ein verheerendes Blutbad und prägt die letzte Reise des einst so mächtigen Schiffs.

|“Rüstungstest“|

Bei einem Rüstungstest wird ein Spartaner per Fallschirm in ein Krisengebiet hinabgelassen, wo er sich mit zahlreichen Angreifern messen und seine schützende Uniform erproben soll. Doch der Test avanciert zu einem tödlichen Unternehmen für zahlreiche Beteiligte.

|“Ausbruch aus der Quarantäne“|

Seargeant Avery Johnson ist gefangen inmitten eines extraterrestrischen Artefakts, dessen Inneres nur so vor Kriegern der Flood-Lebensform wimmelt. Mit äußerster Brutalität kämpft er sich durch den Sumpf der hochinfektiösen Gegner und hat dabei lediglich die Optionen, zu entkommen oder zu sterben.

|“Zweiter Sonnenaufgang über New Mombasa“|

Vor ihrer endgültigen Zerstörung war New Mombasa eine schillernde Metropole. Nach der Vernichtung erinnert sich nun einer ihrer prominentesten Bürger an die Zeit vor der Katastrophe und ihre tapferen Bürger, die bis zuletzt gegen den Angriff der Allianz ankämpften.

_Persönlicher Eindruck_

Die grafische Aufarbeitung einiger Ereignisse der „Halo“-Historie schien vielen Verfechtern des legendären Computer- und Konsolenspiels bereits seit geraumer Zeit dringend notwendig, sollte jedoch gleichermaßen nicht zum Schnellschuss werden. Schon im Jahr 2004 arbeitete eine Kommission an der gezielten Vermarktung des Erfolgsprodukts und rief dabei auch jenes Projekt ins Leben, welches von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Comic-Künstler realisiert und zielgerichtet auf die Liebhaber der Background-Geschichte zugeschnitten war.

Insgesamt hat man vier kurze Geschichten ausgearbeitet, die sich in ihrem Erscheinungsbild recht deutlich voneinander abgrenzen, letztendlich aber allesamt aus dem direkten Umfeld der ersten Konsolenveröffentlichung entstammen. Jenes zu kennen, erweist sich dementsprechend als Vorteil, da die vier Storys zahlreiche Facetten und Nuancen als bekannt voraussetzen und darüber hinaus auch nur Momentaufnahmen der breit gefächerten Game-History anschneiden, die man teilweise gar nicht als echte Mini-Plots verkaufen kann.

Mit dem vielversprechenden Eröffnungsstrang „Die letzte Reise der Infinite Succor“ beginnt der Reigen allerdings noch sehr standesgemäß. Die Erzählung ist zwar auch nur gewissermaßen oberflächlich und verlässt sich auf die überstrapazierten Metzel- und Action-Szenen, spiegelt die Atmosphäre der Vorlage aber sehr authentisch wider. Kritisch sind nur die äußerst verschwommenen Zeichnungen, in diesem Fall zwar sicherlich typische Vertreter einer Graphic Novel, aber gerade in den Kampfszenen sehr undifferenzierte Bilder, die besonders bei der Zeichnung der Charaktere Schwierigkeiten beim Erkennen der Protagonisten hervorrufen. Eine etwas präziser skizzierte Story wäre hier jedenfalls vorteilhafter gewesen.

Letzteres ist in „Rüstungstest“ grundsätzlich vorhanden, allerdings vermisst die Geschichte sowohl Spannung als auch Tiefe. Auch hier gilt: Eine stark gezeichnete Momentaufnahme, aber es fehlt die Dynamik.

Episode drei orientiert sich wiederum am temporeichen ersten Strang, bleibt aber bis zum Schluss eine rein grafische Umsetzung. Doch die Bilder sprechen teils Bände und offerieren zwischen Gemetzel und Ballerei einige vorzügliche Einblicke in die Wirren des „Halo“-Universums – auch ohne Text.

Das Highlight spart man sich allerdings bis zum Schluss auf. Brett Lewis und Jean Giroud lassen den Untergang von New Mombasa, eine der Schlüsselszenen der bekannten Backing-Geschichte, Revue passieren und setzen dabei illustrativ und inhaltlich klare Akzente, die ihre Vorgänger zumeist nur bedingt zu präsentieren vermochten.

Der Sammelband, der hierzulande von |Panini| vertrieben wird, zeugt letztendlich auch nur bedingt von der langen Arbeit, die in der Kreation der vier Titel steckt. Die Geschichten erfordern ein wenig Vorwissen, können jedoch auch mit dem entsprechenden Background nur partiell überzeugen. Zu wenig verwertbarer, handlungsbezogener Inhalt, ein zu deutliches Schwergewicht bei der Darstellung der brutalen Action und insgesamt keine wirklich stringente Linie, die von den unterschiedlichen Künstlern gefahren wurde. Die Graphic Novel zum möglicherweise wichtigsten Action-Konsolen-Titel des aktuellen Jahres gefällt zwar durch einen interessanten Aufbau, nicht jedoch wegen einer etwaigen, spektakulären Umsetzung. Verpflichtend ist der Titel daher auch allenfalls für beinharte Fans des Klassikers – wenn überhaupt. Zwischen künstlerischem Anspruch und Realität liegen nämlich letzten Endes deutliche Unterschiede.

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Lalet, Michel / Lévi, Laurent – Abalone Quattro

_Taktische Erweiterung für Familien und Freaks_

Zum klassischen „Abalone“-Spiel muss auf diesen Seiten wohl kaum noch etwas geschrieben werden; das berüchtigte Duell der Kugeln begeistert bereits seit knapp zwei Dekaden, genauer gesagt seit 1989, generationenübergreifend einen weltweit stetig wachsenden Spielerkreis. Doch insgeheim bleib „Abalone“ immer nur das Zwei-Spieler-Spiel, dessen massiver Suchtfaktor so manches Mal dafür sorgte, dass der eine oder andere Begeisterte nachsehend und eine halbe Ewigkeit darauf warten musste, bis er schließlich auch einmal ins Spiel eingreifen und sich selber an einer Partie beteiligen konnte. Persönliche Erfahrungen mit dem Klassiker zeigen beispielsweise, dass das prinzipiell so simple Strategie-Spiel teilweise die Stundenmarke knacken kann, sofern sich zwei gleichwertige Gegner gegenübersitzen.

Diesen Mechanismus haben die Designer des Originals vor geraumer Zeit ausgehebelt. In „Abalone Quattro“ können bis zu vier Spieler gleichzeitig die Kugeln schieben bzw. der Konkurrenz die Kugel geben. Die Regeln wurden für den Mehrspielermodus ein wenig erweitert, der Schwierigkeitsgrad dadurch aber auch stellenweise erhöht. Doch die wohl wichtigste und erfreulichste Neuerung ist wohl die, dass man nun tatsächlich mit mehreren Leuten zur Tat schreiten kann und niemand mehr so schnell ob zu langer Wartezeiten auf ’seine‘ Partie in Frustrationen gerät. Oder?

_Das Spiel_

„Abalone“ in seiner reinen Form ist leicht erklärt; zwei Spieler mit jeweils 14 Kugeln treten gegeneinander an und versuchen, insgesamt sechs Kugeln des Gegners aus dem sechseckigen Feld zu stoßen, bevor ihm oder ihr das gelungen ist. Die Regeln besagen, dass man seine Kugeln in aneinanderhängenden Reihen aus bis zu drei Kugeln fortbewegen kann, ganz gleich, in welche Richtung. Um die Kugeln der Konkurrenz indes wegzustoßen, ist ein Frontalangriff notwendig. Dies bedeutet, man muss eine Überzahl bei den eigenen Kugeln schaffen, diese gegen eine geringere Kugelmenge des Gegners anstoßen und dessen Kugeln schließlich um ein Feld nach hinten bewegen. Im günstigsten Falle fällt dabei eine dieser Kugeln hinter die Begrenzung und wird schließlich ganz aus dem Spiel genommen. Ein solcher Zug würde in dem Fall einen Punkt bedeuten. Sechs Punkte wiederum reichen zum Sieg.

In der Variante zu dritt sieht das Ganze nun schon anders aus. Es wird lediglich mit elf Kugeln gespielt, wobei die Regeln zunächst die gleichen sind. Allerdings kann man Überzahlen auch doppelt nutzen. Sollte Spieler schwarz zum Beispiel mit drei seiner Kugeln auf zwei rote treffen, darf er diese natürlich verschieben. Sollten jedoch auch noch zwei andersfarbige Kugeln in derselben Linie direkt hinter diesen roten Kugeln liegen, können auch diese verschoben werden, da ja auch ihnen gegenüber eine Überzahl besteht. Ein direkter Kontakt zum Gegner ist also nicht immer zwangsläufig erforderlich, um diesen in eine nachteilige Situation zu bringen. Eine Gefahr lauert bei dieser Variante allerdings: Zwei Spieler könnten sich zusammenrotten und einen Gegner gemeinsam bearbeiten, um nachher den Sieg unter sich auszumachen. Allerdings ist auch hier schnell geblufft, so dass sich das Blatt selbst bei sicher geglaubter Souveränität noch rasch wenden kann. Und ein Sieg erfordert ebenfalls sechs herausbeförderte Kugeln beider Gegner, ist also verhältnismäßig schneller gemacht.

Die Quattro-Fassung sieht schließlich vor, dass sich jeweils zwei Spieler zu Teams zusammenschließen und im üppigeren Duell gegeneinander antreten. Die Zugbedingungen bleiben hierbei gleich, wobei die Option, auch Kugeln seines Partners zu verschieben, mitunter ein wichtiges Element sein kann, welches nicht zu unterschätzen ist. Sechs Kugeln des gegnerischen Teams reichen schließlich, um den Kontrahenten den Garaus zu machen und die Teamwertung für sich zu entscheiden.

_Persönlicher Eindruck_

Zunächst einmal war ich ein wenig perplex. Das Spielbrett wurde im Vergleich zum herkömmlichen „Abalone“ nicht verändert, und wenn man es mal grob betrachtet, hätte es auch gereicht, einfach zwei weitere Sätze Kugeln auf den Markt zu bringen, um Erstkäufern gegenüber ein wenig Fairness zu zeigen. Diesbezüglich ist die modifizierte Version des Klassikers also schon ein wenig bedenklich. Andererseits ist „Abalone Quattro“ sicherlich eine Aufwertung des Zweispieler-Mechanismus, besonders in der noch taktischeren Variante zu viert. Durch die neuen Optionen und die manchmal schwieriger zu erkennenden Überzahlsituationen wird der Modus ungleich komplexer und erfordert scharfe Sinne, da schon ein minimaler Fehler für eine etwaige Niederlage verantwortlich sein kann.

Weniger gefallen hat indes das Spiel mit drei Personen. Zwangsläufig wird ein Spieler hier Opfer eines eigentlich unfairen Bündnisses, welchem er sich nur mit Müh und Not, wahrscheinlich aber wohl kaum wird erwehren können. Als Trainingsmodus ist aber gerade dies interessant, da man hier lernt, sich aus vielen aufeinander folgenden Überzahlen herauszuwinden und Taktiken für spätere Revanchespiele zu übernehmen. Grundsätzlich schlecht ist also auch diese Variante nicht, ein dringender Kaufgrund aber ebenso wenig.

Insgesamt hängt die Entscheidung der Verpflichtung ausschließlich davon ab, ob man bereits im Besitz des Ursprungstitels ist. In diesem Fall nämlich stellt der finanzielle Neuaufwand ein beträchtliches Hindernis dar, welches man wohl nur mit lockerer Brieftasche rechtfertigen kann. Allen anderen sei aber als Einstieg in die Welt von „Abalone“ das Nachfolgeprodukt empfohlen. Eine Bereicherung für den gesamten Mechanismus ist „Abalone Quattro“ nämlich zweifelsohne!

http://www.hasbro.de/mcp.php/de/app/products/overview/102/index.html

Morrell, David – Level 9

Den Todesfallen des „Paragon“-Hotels gerade noch entkommen (s. David Morrell: [„Creepers“, 3049 |Knaur| Taschenbuch-Verlag/TB Nr. 63447), versuchen sich Ex-Polizist Frank Balenger und seine Leidens- und Lebensgefährtin Amanda Evert immer noch von ihren Qualen zu erholen, als neues Ungemach über sie hereinbricht: Ein genialer aber geistig gestörter Psychopath plant das ultimative ‚Gottesspiel‘. Der „Gamemaster“ präpariert ein abseits in den Bergen des US-Staates Wyoming gelegenes Tal für seine „Scavenger“-Jagd. Er entführt fünf Männer und Frauen, die in der Vergangenheit außergewöhnliche Krisensituationen überlebten. Sie sollen sich hier seinem Spiel auf Leben und Tod unterwerfen. 40 Stunden bleiben Ray, Bethany, Derrick, Vivian und der unglücklichen Amanda, das Ziel des ‚Spiels‘ zu erreichen: die geheimnisvolle „Grabkammer des weltlichen Begehrens“.

Damit sich die ‚Spieler‘ fügen, hat der „Gamemaster“ ihre Ausrüstung vermint; als die unglückliche Bethany die weitere Teilnahme verweigert und flüchten will, wird sie in die Luft gesprengt. Also fügen sich die Überlebenden und begeben sich auf einen mit wilden Hunden, giftigen Schlangen und anderen Todesfallen gespickten Hindernisparcours durch die Geisterstadt Avalon, deren Bewohner Anno 1900 auf geheimnisvolle Weise spurlos verschwanden.

Inzwischen bleibt Frank Balenger in New York nicht untätig. Er ahnt nicht, dass der „Gamemaster“ auch ihn in sein Spiel einbeziehen will und Fährten legen lässt, die auf Amandas Aufenthaltsort hinweisen. Balenger folgt ihnen und muss feststellen, dass auch auf ihn tödliche Fallen warten. Vom „Gamemaster“ per Telefon gereizt und angestachelt, findet er dennoch heraus, wohin Amanda verschleppt wurde. Er macht sich auf den Weg nach Avalon – und gerät vom Regen in die Traufe bzw. ins Zentrum der „Scavenger“-Jagd. Alle Beteiligten spielen inzwischen mit Tricks, die Regeln sind aufgehoben. In den Ruinen der Geisterstadt beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, das die Mehrheit der Teilnehmer nicht überleben werden …

David Morrell ist ein gebildeter Mann, der flachgründige Romane schreibt. Das ist kein Widerspruch, denn da der ehemalige Professor der Literaturwissenschaften weiß, wie ein Text ‚funktioniert‘, fällt es ihm leicht, die gewünschten Spannungseffekte zu erzeugen. Das Ergebnis sind Thriller wie „Level 9“ – ein Buch, das sich praktisch wie von selbst liest und seine Leser bei der Stange hält, obwohl sie sehr bald wissen, dass ihnen hier alter Wein im neuen Schlauch serviert wird.

Dieses Bild passt gut, denn bekanntlich bekommt das Alter dem Wein meist gut. Morrell kennt die Elemente eines Thrillers genau, und er weiß sie zu einem stimmigen Gesamtwerk zusammenzusetzen. „Level 9“ ist schieres Entertainment, sollte so goutiert werden und sorgt dann für angenehme Bauch-Lektüre.

Dass die Handlung eins-zu-eins einem Computerspiel ‚entlehnt‘ ist, spiegelt Morrells noch junge Faszination am Thema wider – so will es uns der schlaue Schriftsteller jedenfalls in seinem ausführlichen und lesenswerten Nachwort weismachen. Deshalb wird eine Menge metaphysisches Stroh gedroschen, diskutieren Frank Balenger und der „Gamemaster“ zwischen diversen Großfeuern, Explosionen und Totschlägen über das Wesen der Realität, die womöglich mehrdimensional ist, wobei die nächste Ebene per Cyberspace zu betreten ist. Das klingt mächtig bedeutsam, ist aber nur geschickt formuliertes Wortgeklingel, das eine Tiefe suggeriert, die dieser Roman niemals erreicht.

Mussten unbedingt Frank & Amanda die Protagonisten sein? Auch hier arbeitet Morrell ökonomisch. Für „Creepers“ bediente er sich 2005 praktisch des gleichen Handlungsprinzips. Die Hetzjagd ging damals durch ein mit Todesfallen gespicktes Hochhaus, während im Hintergrund ebenfalls ein Marionetten spielender Psychopath sein Unwesen trieb. Relativ überzeugend begründet Morrell die ‚Fortsetzung‘ in „Level 9“ mit der Qualifikation seiner beiden Hauptfiguren als Überlebenskünstler, die deshalb ins Blickfeld des „Gamemasters“ gerieten.

Ansonsten wird variiert, und das Spielfeld ist größer geworden. Die Regie ist dieses Mal makellos, die dramaturgischen Durchhänger, die „Creepers“ kennzeichneten, bleiben aus. Hilfreich ist darüber hinaus das Wissen, dass Morrell die Verheißung außerordentlicher Rätsel nicht einlösen wird. Lang und breit führt er uns in das wahrlich faszinierende Thema der Zeitkapseln ein, in denen Dinge und Daten versiegelt und vergraben werden, die in vielen Jahren Archäologen und Historikern, aber auch dem an der Geschichte interessierten Laien eine Bestandsaufnahme der Zivilisation zum Zeitpunkt der Ablage ermöglichen sollen. Für die Handlung ist dies alles ebenso Nebensache wie die unheilvolle Geschichte des Fanatikers Owen Pentecost: Schlagsahne auf einem gewöhnlichen Napfkuchen, die der Autor unbeachtet schmelzen lässt.

Gewaltige logische Löcher des Plots gleicht Morrell durch Höllentempo aus: Eine ‚Erklärung‘ dafür, dass unsere Helden finden, was Generationen aufmerksamer Schatzsucher verborgen blieb, gibt es nicht, weshalb der Verfasser es nicht einmal versucht. Über die reale Umsetzung eines Plans, wie ihn sich der ‚geniale‘ „Gamemaster“ ausgedacht hat, denkt man lieber nicht nach. So unverschämt, dass es nur als ironische Hommage gemeint sein kann, ist die Existenz eines Hebels, mit dem der „Gamemaster“ seine unterirdische Festung in die Luft jagen kann; so haben sich schon Dr. Frankenstein und andere geniale Irre in viel zu vielen Filmen vor einem glaubwürdigen Finale gedrückt! (Mein persönlicher Favorit ist dieses Rätsel: Wie viele Giftschlangen muss man fangen und in einem See aussetzen, damit sich der in eine Todesfalle verwandelt …?)

Noch ist es nicht so weit, dass die Charaktere von Computerspielen so ausgefeilt sind wie die Figuren in Filmen oder Büchern – wieso auch, da Games wie „Scavenger“ von Action und Bildern bestimmt werden. In solcher Umgebung bleibt für eine detaillierte Figurenzeichnung weder die Zeit noch wird sie von den Spielern erwartet. Es genügen diverse Grundsätzlichkeiten, die eine Spielfigur kennzeichnen und identifizierbar machen.

An diese Voraussetzung hält sich auch David Morrell. Den nicht so leselustigen Zeitgenossen mag diese Aussage empören, doch sie trifft zu: Sämtliche Emotionen, die unsere Protagonisten – die Guten wie die Bösen – umtreiben, sind behauptet und der Klischeekiste entnommen. Sie sorgen für die Erdung einer Handlung, deren Jump-and-Run-Dramaturgie sich sonst allzu intensiv offenbaren würde. Gleichzeitig gehen die ‚Gefühle‘ der Figuren niemals so stark in die Tiefe, dass sich die Action-Fraktion der Leserschaft davon gestört weil abgelenkt fühlen müsste. Wieder einmal zeigt sich Morrells Professionalität als Autor, der ganz nüchtern einzuschätzen weiß, wie viel ‚literarischen‘ Aufwand er in ein Projekt investieren muss.

Deshalb ist es für den Leser quasi ein Spiel im Spiel zu raten, wen es als nächsten erwischt. Es dürfte kein Spoiler sein, wenn ich an dieser Stelle verrate, dass man sich im Grunde gar nicht irren kann. Gestorben wird hierarchisch von unten nach oben, es beginnt mit diversen No-Names, danach kommen die Nebenrollen an die Reihe, und zuletzt erwischt es den Stellvertreter des Bösewichts und abschließend den Oberteufel selbst.

Doch auch wenn „Level 9“ primär jene zu Begeisterungsstürmen hinreißen wird, die weder des Lesens schon allzu lange mächtig sind noch seit Jahrzehnten mit cineastischem Junkfood malträtiert wurden und deshalb das Rumpeln der Story auf ihren über Gebühr ausgefahrenen Geleisen für normal halten, muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Morrells Rechnung aufgeht. Ob Frank Balenger ein weiteres Mal auf einen Zick-Zack-Kopf-ab-Kurs geschickt wird, hängt praktischerweise nicht von Aspekten wie Logik oder Originalität, sondern nur von der Akzeptanz des Publikums ab. Das mäkelt allerdings und vermisst die munkelige Hui-Buh-Atmosphäre von „Creepers“. Vielleicht hätte Morrell berücksichtigen sollen, dass die frische Luft von Wyoming sogar im Hirn beinharten Gamer die Kritikzellen wecken kann …

Die deutsche Übersetzung lässt sich nicht nur gut lesen, sondern kommt schön und fest gebunden mit Schutzumschlag und erfreulich preisgünstig auf den Buchmarkt. Mit der Reihe „Premieren“ geht die „Weltbild“-Handelskette neue Wege: Veröffentlicht wird nicht mehr nur, was bereits anderweitig erschienen ist. „Level 9“ wird wie „Creepers“, der erste Band der Balenger-Serie, im März 2008 im Knaur Taschenbuch Verlag erscheinen. Vorab erscheint diese Ausgabe, die nur für ihr lieblos einem Bildstock entnommenen Cover zu kritisieren ist. (Abgesehen von der Frage, wieso „Level 9“ ein ‚besserer‘ i. S. von den Inhalt treffender umschreibender Titel als „Scavenger“ – „Schnitzeljagd“ – sein soll.)

David Bernard Morrell wurde 1943 in Kanada geboren, stammt also aus Kanada. 1966 emigrierte er in die Vereinigten Staaten. An der Pennsylvania State University studierte er Anglistik und schloss mit einem Magister- und einem Doktortitel ab. Einer seiner Dozenten half ihm bei ersten Gehversuchen als Schriftsteller. Morrell war ein guter Schüler: 1972 debütierte er mit „First Blood“ (dt. „Rambo“), der Geschichte eines Vietnamveteranen, der heimkommt in ein Amerika, das er und das ihn nicht mehr versteht, was in einem metapherreichen Stellvertreterkrieg an der ‚Heimatfront‘ mündet. „First Blood“ wurde zum Vorbild für unzählige Actionreißer, die mehr oder weniger nach demselben Muster gestrickt waren, ohne jedoch in der Regel die Qualität des Originals zu erreichen. Morrell wurde durch die erfolgreiche Verfilmung seines Buches mit Sylvester Stallone in der Titelrolle zum Bestsellerautor.

Ab 1970 lehrte Morrell als Professor für Englische Literatur an der University of Iowa, während er weitere Romane verfasste, Seit 1986 arbeitet er hauptberuflich als Schriftsteller. Sein Spektrum erschöpft sich längst nicht in spannenden Thrillern. Er legt auch literaturwissenschaftliche Essays vor oder berichtet über seine Erfahrungen als Schriftsteller. David Morrell lebt heute in Santa Fé, New Mexico. Er pflegt eine eigene Website (www.davidmorrell.net), die durch ihre Aktualität und ihren Informationsgehalt gefällt.

http://www.weltbild.de
http://www.knaur.de

Jackson, Steve (Autor) / Kovalic, John (Zeichner) – Chez Goth

_Slack im Schwarzkittel-Metier_

Nach den beiden erfolgreichen Ausgaben des Basisspiels „Chez Geek“ haben sich Star-Zeichner John Kovalic und sein Partner in Crime, Steve Jackson in die düsteren Welten hineinbegeben. In „Chez Goth“ werden nun allerhand Klischees des Goth-Lebens durch den Kakao gezogen und auf wunderbare Weise in den Slack-Kosmos des Ursprungstitels einbezogen.

Das Spielprinzip hat sich dabei kaum verändert; nach wie vor müssen die Spieler, in diesem Fall zumeist finstere Nachtschwärmer, mittels verschiedener Aktivitäten Slack-Punkte sammeln und das vorgegebene Slack-Ziel ihres Charakters möglichst schnell erreichen. Also, auf zur Gothic-Party, Fenster dicht, Kerzen an und mit besten Vorsätzen gen Schäferstündchen auf dem Friedhof.

_Was gibt’s Neues?_

Nun, Jackson hat den Gothic-Titel der |Chez|-Reihe fast gänzlich dem Strickmuster der Geek-Vorgänger angepasst. Jeder Spieler arbeitet in einem äußerst seltsamen Business, hat ein dementsprechendes Einkommen, nutzt seine Freizeit für allerhand skurrile Aktivitäten und sammelt im weiteren Verlauf zunehmend mehr Slack-Punkte zur Erfüllung seines Ziels. Das Spiel funktioniert durch das Ausspielen von Handkarten, die zu Beginn der Runde immer wieder auf sechs Exemplare aufgefüllt werden. Anschließend wird das Einkommen ermittelt und eventuell auch wieder verwertet. Den wichtigsten Part in „Chez Goth“, und damit auch die wesentlichste Änderung, nimmt der Anruf bei Freunden ein. Man lädt Bekannte in die WG ein und bemächtigt sich ihrer individuellen Eigenschaften. Des Weiteren erhält man nun auch Herzblut-Punkte für jeden Einzelnen, der sich im Eigenheim des Spielers niederlässt. Jene Zusatz-Punkte, symbolisiert durch Chips, sind gleichzusetzen mit Slack, verfallen jedoch, sobald die jeweilige Person aus welchen Gründen auch immer die WG wieder verlässt.

In den letzten Phasen der Runde nutzt man schließlich seine Freizeitkarten und gönnt seinem Charakter etwas Entspannung. Nach Abwerfen unnützer Handkarten wandert die Regie an den nächsten Spieler, und dies so lange, bis jemand sein Slack-Ziel vorzeitig erreicht hat.

Kurzum: Die Veränderungen sind minimal, der Mechanismus grundsätzlich derselbe. Außer den neuen Kartenmotiven, den teils noch bizarreren Inhalten und dem Herzblut-System ist „Chez Goth“ daher auch mehr eine Ergänzung zu „Chez Geek“, nicht aber eine Erweiterung im klassischen Sinne.

_Persönlicher Eindruck_

Im Grunde genommen funktionieren die Chez-Spiele kaum anders als die zahlreichen Editionen der „Munchkin“-Reihe. Der Charakter des Ursprungsspiels ändert sich in den einzelnen Abwandlungen kaum, und die wenigen Veränderungen dienen ausschließlich dazu, die Titel zumindest ein wenig über den thematischen Hintergrund hinaus abzusetzen. Doch erstaunlicherweise gelingt es den Designern bislang immer sehr schön, das Spaß-Segment auszubauen und die neuen Veröffentlichungen der Serie auch ohne große Neuerungen interessant zu machen. Dadurch, dass man die Spiele miteinander vermischen kann, entsteht zudem eine ganz besonders eigenwillige Atmosphäre, die „Chez Goth“ respektive die Vermengung des Spiels mit [„Chez Geek“ 3261 auch ohne innovative Mittel und trotz des gleich bleibenden Spielprinzips zu einer durchaus lohnenswerten Angelegenheit macht. Nicht zuletzt der skurrile Humor in Form von perfektionierter Klischeereiterei macht diesen Titel zu einer überzeugenden Aufstockung dieser sympathisch-ausgeflippten Serie!

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Edwards, Blake / Rohrbeck, Oliver – Richard Diamond, Privatdetektiv: Fall 3 & 4

_Von Zinkern und Bauchrednern_

Die amerikanische Radio-Krimiserie der 1950er Jahre aus der Feder von Blake Edwards („Der rosarote Panther“) wird von der |Lauscherlounge| wieder zum Leben erweckt und mit bekannten Stimmen als Hörspiel vertont – den Stimmen von George Clooney, Ben Stiller und Reese Witherspoon.

Der smarte New Yorker Privatdetektiv Richard Diamond gerät in seinen abenteuerlichen Fällen an fiese Verbrecher, mysteriöse Mörder und verführerische Frauen. Aber er kehrt immer wieder zu seiner geliebten Helen zurück.

1. Staffel (Dezember 2007):
Fall 1: Die schwarze Puppe
Fall 2: Der braune Umschlag
Fall 3: Der Fall Ed Lloyd
Fall 4: Der Mordauftrag
Fall 5: Der Mord am Barbier
Fall 6: Der Gibson-Fall

2. Staffel (Juli 2008):
Fall 7: Die rote Rose
Fall 8: Der Karussell-Fall
Fall 9: Der graue Mann
Fall 10: Gute Nacht, Nocturen
Fall 11: Der Nachtclub-Fall
Fall 12: Mr. Walkers Problem

_Die Inszenierung_

|Die Rollen und ihre Sprecher|

Richard Diamond: Tobias Kluckert (dt. Stimme von Tyrese Gibson, Adam Baldwin in „Firefly“)
Helen Asher: Ranja Bonalana (dt. Stimme von Julia Stiles, Renée Zellweger, Reese Witherspoon)
Lt. Walt Levinson: Detlef Bierstedt (dt. Stimme von George Clooney, Bill Pullman, Robert ‚Freddy Krueger‘ Englund)
Sgt. Frazer: Oliver Rohrbeck (dt. Stimme von Ben Stiller, Michael Rapaport)
Sowie Bodo Wolf, Deborah Weigert, Ulrike Lau, Alexander Herzog, Roland Hemmo und Andreas Hosang. Im 4. Fall kommen Santiago Ziesmer, Gisela Fritsch, Ernst Meinke, Uli Krohm, Hans Werner Bussinger und Andrea Aust hinzu.

Regie führte Oliver Rohrbeck, die Musik komponierte Dirk Wilhelm, für Sounds/Mischung/Mastering war Tommi Schneefuß zuständig, die Geräusche trug Jörg Klinkenberg bei, die Aufnahme erfolgte im Hörspielstudio |Xberg|.

Mehr Info: http://www.lauscherlounge.de.

_Der Fall 3: Der Fall Ed Lloyd_

Rick klagt seiner Helen, dass er schon drei Tage ohne Auftrag sei, als eine junge hübsche Frau eintritt und ihn um Hilfe bittet. Sie heiße Gale Lloyd, und ihr Vater Ed sei nach zehn Jahren gerade aus dem Knast entlassen worden. Doch der alte Mann sei verschwunden. Rick erinnert aus seinen Polizeitagen an den bekannten Zocker. Auf dem Revier lässt er sich eine Liste mit Lloyds alten Kontakten geben. Belle Collins, ein ehemaliges Showgirl, erinnert sich mit großer Zuneigung an Ed, und im Nachtasyl stößt Rick auf Louis Gates, der endlich etwas Konkretes liefert. Louis hat Ed gesehen, und der hat ihm gesagt, er habe einen Job bei Frank Morris, in einem Klub namens „Bluebird“.

Von Lt. Walt Levinson erfährt Rick, dass Morris‘ Laden nur Tarnung für illegales Glücksspiel ist. Leider fliegt Ricks Spiel auf, als er sich bei Morris als ahnungsloser Spieler aus Little Rock ausgibt. Ein Gorilla namens Jack nimmt ihn auf der Gasse hinter dem Lokal auseinander. Doch auf Gales Bitte macht er weiter, stellt sich mit Louis vor den „Bluebird“ und erspäht schließlich Ed Lloyd. Dieser geht mit Jack in ein Apartmenthaus. In der Wohnung liegen die gezinkten Karten schon bereit, als Rick mit einem gezielten Schwinger Jack ausschaltet und ein Wörtchen mit Ed redet.

Doch Ed arbeitet für Morris nur deshalb, weil dieser gedroht hat, sonst Gale etwas anzutun. Also muss Rick erstmal ein Wörtchen mit Morris reden …

|Mein Eindruck|

Über Geld wird meist nicht geredet – so auch hier. Rick, der edle Ritter mit dem goldenen Herzen, tut Gale einfach einen Gefallen und führt ihren Papi wieder auf den rechten Weg zurück, auch wenn der, wie man weiß, stets ziemlich schmal und gewunden ist. (Es ist die vergoldete Straße des Bösen, die breit und gerade ist.) Ein amerikanischer Zuhörer hat sicherlich keine Probleme damit, dass Rick vor allem seine Fäuste sprechen lassen muss, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Die Diskussion über Gewalt verläuft in Amerika in ganz anderen Bahnen als hierzulande.

Apropos häusliche Gewalt. Fällt es unter Gewaltanwendung, wenn eine Frau (Helen) einen Mann (Rick) nötigt, in ihrem holden Heim zu bleiben? Wenigstens muss er ihr diesmal nichts vorsingen …

_Der Fall 4: Der Mordauftrag_

Helens Anruf weckt Rick mal wieder auf, denn das Geschäft geht schlecht. Da tritt ein potenzieller Kunde ein. Er nennt sich Herbert Weatherby und wünscht, dass Rick jemand für ihn umbringt. Einen Kerl namens Danny Denver. Den habe er zwar selbst schon mehrmals selbst getötet, aber er komme immer wieder zurück. Rick ist überzeugt, dass Herbert eine Schraube locker hat. Da eröffnet ihm Herbert, dass Danny Denver seine Bauchrednerpuppe sei, aber eine hinterhältige und grausame. Er müsse sie endlich loswerden. Für 200 Piepen übernimmt Rick den Job. Draußen auf dem Gang hört er das hämische Lachen von Danny Denver …

Herberts feudales Domizil scheint eine Künstlerkolonie zu sein. Ein alter Künstler namens Nat begrüßt Rick, bevor Herberts Adoptivtochter Jean ihn einlässt. Sie ist die Assistentin von Marco, dem Gedankenleser. Auch Margaret, Herberts alte Frau, lebt in ihrem eigenen Zimmer. Das Erste, was sie von Rick will, ist ein Drink. Erst nach dem Abendessen erhält Rick Gelegenheit, zu Herberts Zimmer zu gehen. Schon vor der Tür hört er ihn mit Danny Denver streiten. Mit vereinten Kräften gelingt es ihnen, das Bauchrednermonster auf einem Scheiterhaufen im Garten in die ewigen Jagdgründe zu schicken.

Da es schon spät ist und New York weit, übernachtet Rick in diesem Haus. Doch schon um fünf Uhr morgens weckt ihn ein nervöser Herbert Weatherby aus seinen Träumen. Danny Denver sei in Margarets Zimmer! Wie das, fragt sich Rick noch müde, als er in Margarets Zimmer trottet. Da liegt sie – aber jetzt als Leiche – auf ihrem Bett. Und wer hat die Hände würgend um ihren Hals gelegt? Kein anderer als Danny Denver!

|Mein Eindruck|

Das klingt nach einem Fall für den Irrenarzt, und dazu kommt es auch fast. In der ersten Staffel ist dies der einzige Fall, der tiefenpsychologische Einsicht verlangt. Diese Einsicht muss nicht sonderlich tief sein, ist es doch offensichtlich, dass Bauchredner mitunter eine gespaltene Persönlichkeit aufweisen. Aber muss Herbert deswegen auch gleich der Mörder seiner Frau sein? Das wäre zwar ein naheliegender Schluss, aber damit begäbe sich Rick schwer auf den Holzweg.

Daher verfällt er auf eine andere, erfolgversprechendere Methode, um die wahren Verhältnisse im Haus von Herbert Weatherby ans Licht zu fördern. Er lässt alle Künstler ihre Nummer vortragen. Das Ergebnis zeigt schon bald den wahren Mörder. Doch weil Danny Denver immer noch triezt und lacht, fragt Rick schließlich kurzerhand: Wo ist der nächste Scheiterhaufen?“ Dies ist bislang die einzige Folge ohne Epilog, der bei Helen spielt.

_Die Inszenierung_

Es ist schon unterhaltsam, wenn man in einem Serienhörspiel all jene Schauspieler sprechen hört, die man sonst mit bildschirmfüllenden Actionkrachern oder großartigen Romanzen in Verbindung bringt: Reese Witherspoon, Ben Stiller und George Clooney. Das hebt die Handlung, die ansonsten leicht etwas trivial hätte wirken können, doch gleich eine Stufe höher, verleiht ihr den Glanz von Hollywood.

Tobias Kluckert, 1972 geboren, ist Schauspieler und Synchronsprecher. Er lieh u. a. Joaquin Phoenix als Johnny Cash in dem Film „Walk the Line“ seine Stimme, ist aber auch die deutsche Synchronstimme von Colin Farrell in „The New World“, von 50 Cent in „Get rich or die tryin'“ und Brian Krause als Leo in „Charmed“.

Kluckert trägt mit seiner Darstellung der Hauptfigur das ganze Hörspiel und macht Diamond zu einem sympathischen Burschen, der tagsüber für Recht und Ordnung sorgt und – meistens, nicht immer – abends zu seiner Herzensdame zurückkehrt. Er will immer cool erscheinen, doch seine Aktionen sprechen eher dafür, dass er seinem Herzen gehorcht, so etwa, als er den Mord an seinem Lieblingsfriseur aufklärt.

Ranja Bonalana, die deutsche Stimme von Reese Witherspoon, spricht Helen Asher und somit zwar eine Nebenfigur, aber eine feste Konstante in der Besetzung. Die Wortgeplänkel, die sich Helen mit Diamond liefert, gehören zum Feinsten, das Blake Edwards je geschrieben hat. Leider sind sie allzu kurz, denn sie gehören nicht zum jeweiligen Fall. Ich habe nie herausbekommen, was Helen Asher tagsüber macht. Wahrscheinlich füttert sie die Katze.

|Geräusche|

Alle Geräusche sind natürlich aus der Realität entnommen und verleihen der Handlung den Anstrich von Filmqualität. Aber sie kommen nie den Dialogen in die Quere, sondern sind in dieser Hinsicht zurückhaltend. Wir hören also sowohl Straßenverkehr und Hintergrundstimmen als auch altmodisches Telefonklingeln und Nebelhörner usw. In den diversen Wohnungen sind Standuhren, miauende Katzen (bei Helen) und natürlich Türen zu hören.

|Musik|

Die Musik von Dirk Wilhelm fungiert meist als Pausenfüller, um so die Szenen voneinander zu trennen, aber auch um die Stimmung der nächsten Szene einzuleiten. Der Musikstil erinnert an nichts so sehr wie an die Filmmusik von [„L.A. Confidential“. 1187 Zu hören sind also gedämpfte Trompeten oder Posaunen, eine gedämpftes Klavier und sehr dezente Streicher. Von Jazz kann also keine Rede sein, vielleicht sollte man einfach nur von „Cool“ sprechen.

Die Ausnahme von dieser Regel sind Ricks selbst vorgetragene Stücke, die er am Klavier für seine Helen spielt.

_Unterm Strich_

Nach dem Erfolg von „L.A. Confidential“ und [„Die schwarze Dahlie“ 3353 feiern Nostalgie-Krimis wieder Erfolge. Andere Hörverlage haben dies mit diversen Serien – Lester Powells Damen-Krimis, Stahlnetz, Tatort, Derrick, Dr. Mabuse, Francis Durbridge u. v. a. – vorexerziert. Höchste Zeit also, dass auch Lübbe Audio so etwas Entsprechendes in sein Angebot aufnimmt.

Im dritten Fall beweist sich Rick Diamond nach den Actionszenen von Fall 1 und 2 erstmals als der weiße Ritter, der er in Wahrheit ist. Er sucht den alten Zocker, um ihn und seine Tochter vor dem Sumpf des Verbrechens zu bewahren. Und im Fall Nr. 4 zeigt sich Diamond von seiner humorvollen Seite, als er den Fall des halb schizophrenen Bauchredners nicht gleich von sich weist, sondern ihm vielmehr mit Gespür nachgeht und zu einem Abschluss bringt, der beim Hörer einen Aha-Effekt auslöst. Natürlich bewegt sich auch dieser Fall am Rande der Plausibilität, aber darum geht es in den meisten Fällen, die Diamond übernimmt, sowieso nicht.

Das Hörspiel ist von Rohrbecks |Lauscherlounge| sorgfältig produziert worden und ich habe an der Technik nichts auszusetzen. Die Stimmen der Hollywoodschauspieler verleihen der abwechslungsreichen Handlung etwas Filmglamour. Da „L.A. Confidential“ einer meiner Lieblingsfilme ist, konnte ich mich im Ambiente von Rick Diamond sofort zurechtfinden und die Produzenten brauchten keinerlei Erklärungen zum kulturellen Hintergrund mehr liefern.

Mag sein, dass die Figuren in ihren männlichen und weiblichen Geschlechterrollen recht überholt sind, aber herrje, das sind die Karl-May-Geschichten schließlich auch, und doch werden sie weiterhin von Millionen Lesern und Zuschauern verschlungen. Helen Asher ist keineswegs das häusliche Heimchen am Herd, sondern sie weiß ihren Rick durchaus zu nötigen, ihr zu Gefallen zu sein. Die Katze im Hintergrund ist nicht umsonst ihr Haustier, denn es heißt, Katzen seien unabhängig. Diese Rollenbilder sind also weit entfernt von der moralischen Korruption, die in den Noir-Filmen der dreißiger und vierziger Jahre gespiegelt wurde.

|Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Wilhelm
60 Minuten auf 1 CD|

lauscher news


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Hennen, Bernhard – Alica und die Dunkle Königin

|Alica reist zum Rittergut ihrer Großeltern und damit mitten hinein in ein Fantasy-Märchen der etwas anderen Art: In dem Gemäuer treibt ein Geisterfalke sein Unwesen und Alica verliebt sich bald in einen jungen Husaren, der ihr im Spiegel erscheint. Und dann taucht auch noch der Heinzelmann Wallerich auf, von Köln in die Eifel strafversetzt, um den Falken mit Magie, modernster Technik und Alicas Hilfe nach ‚Nebenan‘ zu bringen – der Welt der Fabelwesen. Auf dem Rücken der Möwe Schnapper stürzen sich die beiden ins Abenteuer und rufen damit die Dunkle Königin hinter den Spiegeln auf den Plan.|

Bernhard Hennen ist den Fantasy- und Phantastiklesern längst ein Begriff. Nun hatte ich bisher nur Texte für Erwachsene von ihm gelesen und „Alica und die Dunkle Königin“ war mein erstes |Jugend|fantasybuch des Autors. Die Atmosphäre, die den Seiten entströmt, ist märchenhaft, oftmals mit einer gehörigen Prise Humor gewürzt und merklich auf die Zielgruppe ausgerichtet. Besonders jugendliche Leser|innen| werden sicher ihre wahre Freude an dem Titel haben.

Angesiedelt ist die Rahmenhandlung in der Eifel: ein Spuk, der sich um das Herrenhaus Greifenstein rankt, das Alica Bäuers Großeltern gehört und auf das sie geschickt wird. Der Beginn des Romans liest sich beschaulich, eher herkömmlich und mit einer gewissen Antriebsschwäche – aber schon bald entwickelt sich die Handlung in eine spannend-romantische Richtung und nimmt an Tempo zu, denn Alica gerät in eine wahre Welt der Fabelwesen.

Da ist Wallerich, der Heinzelmann, der Alica, die wegen familiärer Probleme bei ihren Großeltern weilt, einen Ring gibt, der es ihr ermöglicht, Märchenfiguren wie Feen und andere Geschöpfe zu sehen. Von Wallerich erfährt sie auch, dass diese für alle unsichtbar sind, die den Glauben an das Wunderbare verloren haben.

Und eben jene Wesen und deren besondere Welt und Eigenarten, die Bernhard Hennen liebevoll in Szene setzt, machen den Reiz dieses Buches aus, seien es Wallerichs „Spionagetechnik“ – natürlich ist wie er sein Computerraum ebenfalls in Heinzelmanngröße (seit Wallerichs Auftauchen steckt Alica mitten in einer „Heinzelmännergeheimdienstoperation“) – oder Schnappers Flugkünste. Jene Möwe, auf deren Rücken sich Wallerich und Alica, die dank des Zauberrings ihre Größe verändern kann und dann ebenfalls auf Wallerich-Maße schrumpft, durch die Lüfte bewegen – hinein in eine Wirklichkeit gewordene Märchenwelt. Alica erfährt von Trollsöldnern, die nicht so leicht in Großstädten wie Köln einzusetzen sind, weil sie dann immer „die halbe Zeit vor dem Fernseher hocken und sich Actionfilme ansehen, weil sie auf Prügeleien und Autocrashs stehen“, begegnet einer waschechten Hexe und hört mit Erstaunen, dass selbst Zauber ein Verfallsdatum haben, weil „normale Gebrauchszauberei“ irgendwann nicht mehr wirksam ist, sich Saucenbinder besser als anderes zum Binden von verschiedenen Zaubern eignet, man die Sprache aller Tier versteht, wenn man die Schwanzspitze einer weißen Schlange isst … und vieles mehr.

Doch richtig phantastisch wird es, als Alica den Zauberspiegel im Bad entdeckt, durch den man nach „Nebenan“ gelangt – was sie dann auch mutig vollbringt. Dort hört sie von der Dunklen Königin, Arduinna Silva, der Göttin der dunklen Wälder und der Jagd – geheimnisvoll und unbarmherzig -, die im Laufe der Jahre zur Dunklen Königin wurde und um die sich die Sage rankt, dass „wer sie erblickt, des Todes ist“.

Alica begegnet „General Lollejan“, dem Oberbefehlshaber aller Kobolde, Soldat „Knochenheiß“, „Buddel“, dem Reithasen, „Kleereißer“, dem Feigling, der, sobald er einen Schuss hört, auf und davon hoppelt und darüber hinaus zu blöd ist, um Erbsen und Hasenköttel zu unterscheiden, Kobolden, die Nussschalen als Sturzhelme tragen und vielen weiteren wundersamen Gestalten. So auch dem Geist der Freifrau Magdalena von Greifenstein, die nicht eher ruhen kann, bis sie Gewissheit darüber hat, warum ihr Verlobter Johannes Reisigendorf von einer Reise nach Cöln nie zu ihr zurückkehrte, und die Alica davor warnt, sich zu sehr zu verlieben, weil es das Leben zerstören kann. Doch genau dieses allumfassende Gefühl befällt Alica, als sie einem „Reiter in stürmischer Nacht“ begegnet – dem Husarenjungen Francois Ibrahim de la Croix, der sich ebenso in sie verliebt, wie sie sich in ihn … Mehr sei an dieser Stelle nicht über den weiteren Verlauf der Handlung verraten!

Die Mixtur von „Alica und die Dunkle Königin“ ist eine geschickte Verknüpfung historischer Ereignisse und Fantasyelemente – selbst die erste Liebe wird hier einmal anders eingebettet – und entführt den Leser auch in eine Handlung im Jahre 1812. Und genau diese Mischung macht den Reiz aus. Es sind die liebevollen ‚Kleinigkeiten‘, die in die Story einfließen und die sie letztendlich zu Leben erwecken; sei es der „Orden der Goldenen Haselnuss“ oder das „Altenheim für irregeleitete Kobolde“, um nur zwei zu nennen.

So viel zum Text des Buches, komme ich zur Aufmachung, die wie immer bei |Ueberreuter| souverän und ansprechend ist, das Papier bestens, Layout und Schriftgröße sehr augenfreundlich sind – einzig das Lektorat ist nicht optimal und hätte etwas sorgfältiger sein dürfen. Besonders negativ ins Auge stachen die „ganz“-Kombinationen, die sich durch den gesamten Text ziehen und auf die ein guter Romantext im Gros verzichten sollte: ganz unverhohlen, ganz verzweifelt, ganz kalte Hände, ganz zufrieden, ganz offensichtlich, ganz übel, ganz frisch … etc pp. Aber auch stilistische Stolpersteine wie „Sie wirkten wirklich ergriffen“, die aber eher die Seltenheit waren.

Das ist aber auch das einzige (kleine) Manko dieses Bandes, der jedem empfohlen werden kann, der Jugendliche zu beschenken hat oder sich selbst ein märchenhaftes Lesevergnügen bereiten will – ein humorvolles, märchenhaftes Fantasyabenteuer für Jung und Alt.

|Titelillustration Jill Baumann
Titelgestaltung von Nele Schütz Design, München
323 Seiten, Hardcover|

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http://www.bernhard-hennen.de

_Bernhard Hennen auf |Buchwurm.info|._
[„Die Elfen“ 2169
[„Die Elfen“ 2962 (Hörbuch)
[„Elfenwinter“ 2185
[„Elfenlicht“ 3505
[„Der Wahrträumer“ 390 (Magus Magellans Gezeitenwelt)

Graeff, Alexander – Gedanken aus Schwerkraftland

Alexander Graeff hat ein schönes Büchlein mit kurzen Prosastücken vorgelegt, die leicht zu lesen sind und zugleich in die Tiefe gehen. Eine echte Bereicherung sind auch die Illustrationen von Guglielmo Manenti, bei deren Betrachtung sich ähnlich vielfältige Assoziationsräume öffnen wie beim Lesen der Texte.

Lesend und schauend tun sich Welten auf, die sonst unter der Alltagsoberfläche verborgen liegen oder gar ein noch heimlicheres Dasein in tieferen Schichten des Ichs führen. Alexander Graeff spielt mit Assoziationen und Erinnerungseinbrüchen, welche die „Realität“ für die Dauer der Geschichte an den Rand drängen, ohne jedoch das „Alltägliche“ gänzlich aus den Augen zu verlieren. Zuweilen erscheinen die geschilderten Begegnungen und Begebenheiten seltsam zeitlos, losgelöst von konkreten Orten und aktuellem Tagesgeschäft. Dann wieder liest man, leichthin eingestreut, von vertrauten Straßennamen, bekannten Plätzen, Café-Besuchen, U-Bahn-Fahrten und all jenen Dingen, die bei einem Spaziergang durch die Großstadt mit wachem Blick erfahrbar sind. Gerade dieses Wiedererkennen alltäglicher „Rituale“ trägt dazu bei, dass der Leser auch vor abstrakteren Gedankengängen nicht zurückschreckt.

Ein besonders gelungenes Beispiel für das locker verwobene Netz von Alltag und Transzendenz, Exotik und allzu Vertrautem stellt für mich die Geschichte „Die Kunstmaler“ dar: Ein Kaleidoskop an „Parallelwelten“ eröffnet sich, in dem die Bewohner einer Künstlerkolonie mit den Meistern, deren Werke sie kopieren, verschwimmen, der Erzähler sich von einem Unbekannten verfolgt glaubt und der verzweifelte Kinderwunsch eines jungen Paares in der Errichtung einer unheimlichen, halborganischen Skulptur gipfelt.

Nach dem Zuschlagen des Büchleins liegen unzählige Fragen auf der Zunge, hängen unzählige Bilder im Kopf.

Wie schon in den Worten zum Geleit dem Leser mitgegeben, sind die Texte essentiell „unabgeschlossen“, die Gedanken, die Alexander Graeff vor dem Leser ausbreitet, „in Schleifen gebettete Fragmente“. Darauf kann sich sicherlich nicht jede/r Leser/in in jeder Situation einlassen, trotz der Kürze der Texte. Mehr als intellektuelle Konzentration erfordert das Lesen eine beinahe meditative Herangehensweise. Wer sich die Zeit und Ruhe nimmt, sich auf die literarischen Kontrapunkt zur hektischen, reizüberfluteten Alltagswelt einzulassen, dem werden flüchtige Blicke hinüber in jene verschollenen „Parallelwelten“ gewährt, ähnlich jenen Erinnerungsfetzen aus der Kindheit, die überreich an Sinneseindrücken, aber aus jeglichem „vernünftigen“ Kontext gerissen, uns ein Leben lang begleiten. In diesen Erinnerungen gibt es kein klar voneinander abgegrenztes „Gut“ und „Böse“, sie sind intensiv und wunderschön und zugleich oftmals verstörend.

Mancher Leser wird sich von den hingestreuten Hinweisen, den aufgenommenen und wieder fallen gelassenen Fäden, den kurz geöffneten und wieder zugeschlagenen Falltüren sicherlich irritiert fühlen. Zu sehr sind wir darauf trainiert, Antworten auf unsere Fragen zu verlangen, und werden leicht ungehalten, wenn wir sie nicht unmittelbar und in mundgerechten Stücken serviert bekommen. Jedoch schafft es das Buch durch seine spielerische Leichtigkeit im Umgang auch mit philosophischen, metaphysischen Fragen, den Leser aus den alltäglichen Erwartungen herauszureißen und zum Versinken in eine andere Welt einzuladen.

Mehr als die Tür einen Spalt weit aufstoßen kann der Autor nicht tun. Hindurchgehen muss jeder Leser allein.

http://www.alexander-graeff.de/

_Anja Kümmel_

Marzi, Christoph – Fabula

Christoph Marzi macht es einem nicht leicht. Nachdem er mit seiner „Lycidas“-Reihe so grandios gestartet ist, entpuppte sich schon die Fortsetzung seines Jugendbuchromans [„Malfuria“ 3398 als Enttäuschung. Mit seinem neuesten Werk „Fabula“ knüpft er schon rein äußerlich an die „Lycidas“-Zeiten an und so hofft man als Leser zu Recht darauf, dass „Malfuria“ nur ein Ausrutscher war und Marzi sich mit „Fabula“ zurück auf sein anfängliches hohes Qualitätsniveau begibt.

„Fabula“ ist eine Art fantastisches Märchen, das in Schottland spielt. Colin Darcy lebt schon seit Jahren in London, lehrt an der London Business School und ist heilfroh darüber, Ravenscraig, seinem Elternhaus in den Rhinns of Galloway, entronnen zu sein. Vor allem an seine Mutter Helen Darcy hegt Colin keine allzu positiven Erinnerungen. Seinem jüngeren Bruder Danny geht es nicht anders. Ihn zog es sogar bis in die USA, wo er Karriere als Musiker macht.

Eigentlich ist Colin mit seinem Leben ganz zufrieden, als ihn eines Tages eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse aus seinen so geregelten Bahnen wirft. Zunächst stirbt sein Freund und Kollege Arthur Sedgwick unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall und dann erreicht ihn ein Anruf aus der alten Heimat: Seine Mutter ist verschwunden – und zwar kurz bevor sein Bruder Danny ebenfalls verschwand, der sich, aus Gründen, die Colin schleierhaft sind, in Ravenscraig aufhielt.

Colin bleibt nichts anderes übrig, als in seine alte Heimat zu reisen und herauszufinden, was den beiden zugestoßen ist. Und so ist er nach jahrelangem Verdrängen jetzt auch dazu gezwungen, sich seiner Vergangenheit zu stellen – und damit den Geschichten, die Helen Darcy ihren Kindern zu erzählen pflegte und die auf magische Weise immer wahr wurden …

Den Zutaten nach ist auch „Fabula“ eigentlich wieder ein typischer Marzi. Er sucht sich Elementen aus unterschiedlichsten Einflüsse, nimmt eine Prise keltische Mythologie, einen guten Schuss „1001 Nacht“, garniert das Ganze mit ein wenig klassischer Western-Atmosphäre und schmeckt es am Ende mit ein paar Rockmusik-Anleihen ab. Die Mischung ist in gewohnter Manier höchst eigenwillig und unterhaltsam. Dennoch muss auch „Fabula“ wieder ein wenig hinter dem Glanzstück [„Lycidas“ 1081 zurückstecken.

Da wäre zum einen die Figur des Colin Darcy. Kurz gesagt ist Colin Darcy ein Langweiler. Ein trockener Wirtschaftswissenschaftler, der nun wirklich nicht die Ausstrahlung eines Helden hat. Zwar mausert er sich im Laufe der Handlung und wächst in seine Rolle hinein, je mehr er sich darauf einlässt, sich an seine Vergangenheit zu erinnern, doch so ganz kann er halt nicht raus aus seiner Haut. Und so braucht das Buch, das am Anfang ja erst einmal nur Colin näher beleuchtet, seine Zeit, um in Fahrt zu kommen.

So wirklich interessant wird es also erst in dem Moment, als Colin in Schottland eintrifft und dort auch ganz unverhofft seine große Liebe von damals wiedersieht. Die wiederum ist als Figur wesentlich interessanter und geheimnisvoller. Liviana Lassandri ist ein Friedhofsmädchen, die Tochter eines Bestattungsunternehmers. Sie ist sympathisch und eigenwillig und verleiht der Handlung mit ihrem Auftauchen den nötigen Schwung, der bis dahin fehlt.

Dabei ist das Grundthema der Geschichte eigentlich ein ganz schönes, das Marzi sich bei „1001 Nacht“ ausgeliehen hat. Helen Darcy hat eine Begabung, mit der sie ihre Kinder immer wieder das Fürchten lehrt. Sie ist magisch begabt im Umgang mit Worten. Geschichten, die sie erzählt, werden auf magische Weise wahr. Die Geschichten erwachen zum Leben, und plötzlichen stecken ihre eigenen Kinder mittendrin in der Handlung einer Geschichte, die nicht selten einen schaurigen, furchtbaren Verlauf nimmt. Marzi gelingt es sehr gut dieses Element in die Geschichte einzufügen. Obwohl die Geschichte im Hier und Jetzt spielt, fügt sich die Fantasy-Komponente der Handlung stimmig in den Plot ein, und so kann die Romankomposition im Großen und Ganzen durchaus überzeugen.

Kommt die Geschichte erst einmal auf Touren, weiß Marzi den Leser ausgesprochen gut zu unterhalten. Nachdem sich die ersten gut 110 Seiten in wenig ziehen, kommt die Geschichte mit Colins Ortswechsel nach Schottland und den ersten aufkommenden Erinnerungen an die Geschichten seiner Mutter ganz gut in Fahrt. Zum Ende hin baut Marzi dann sogar noch richtig Spannung auf und strafft das Tempo der Erzählung. Und so kommt es dann, dass im Finale dann plötzlich alles sehr schnell geht. Die Auflösung ist zwar stimmig konstruiert, kommt aber eben auch sehr plötzlich. Die erzählerische Balance und das Gefühl für das Tempo und den Spannungsbogen hat Marzi in der wesentlich umfangreicheren „Lycidas“-Reihe einfach besser hinbekommen.

Dennoch ist „Fabula“ durchaus unterhaltsame Kost für Freunde der Urban Fantasy. Mag die Geschichte um die uralte Metropole auch um einiges besser sein – nachdem Marzi mit dem zweiten Teil von „Malfuria“ ein erschreckend schwaches Buch abgeliefert hat, ist hier doch schon wieder eine deutliche Steigerung der Qualität wahrzunehmen.

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass „Lycidas“ zwar unerreicht bleibt, Marzi aber mit „Fabula“ dennoch einen durchaus unterhaltsamen Roman abgeliefert hat. Colin Darcy ist zwar nicht unbedingt ein Vorzeigeprotagonist, aber trotzdem weiß „Fabula“ den Leser zu unterhalten, nachdem der Plot erst einmal in Bewegung gekommen ist. Marzis Meisterwerk ist und bleibt aber die „Lycidas“-Reihe.

http://www.christophmarzi.de/
http://www.heyne.de

_Christoph Marzi auf |Buchwurm.info|:_

[„Lycidas“ 1081
[„Lilith“ 2070
[„Lumen“ 3036
[„Malfuria“ 3398
[„Malfuria – Die Hüterin der Nebelsteine“ 4167

Möbis, Carolina – Duo Infernale (Classic BattleTech 16)

|BattleTech|-Liebhaber haben es seit geraumer Zeit richtig schwierig. Das gleichnamige Spiel wird nur noch schleppend erweitert, und die zugehörige Romanreihe ist spätestens nach dem kurzzeitigen, erfolgreichen Interludium von Michael A. Stackpole wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet, zuletzt noch eher minder eindrucksvoll belegt vom schwachen „Bear“-Zyklus, dem völlig technisierten, spannungsarmen Tiefpunkt der noch gar nicht mal so alten Roman-Reihe. Seit der letzten Ausgabe „En passant“ vertraut man die Welt der tonnenschweren Mechs nun deutschstämmigen Autoren an, und dies mit wachsendem Erfolg. „Duo Infernale“ hat definitiv das Zeug dazu, die Misere zu beenden – und dies mit relativ unkonventionellen Methoden!

_Story_

Die treuherzige Söldnerin Mad Dog Maloy erwacht in einem völlig verwüsteten Umfeld. Ihre Basis in New Tuscon wurde zu großen Teilen zerstört, kollegiale Mech-Piloten während eines verheerenden Attentats getötet. Lediglich die Elementarin Shin erlebt an Maloys Seite noch die letzten Minuten ihres Kommandanten Craighton, der die beiden Verbliebenen auf die Spur einer systematischen Intrige bringt.

Alsbald macht sich unter den flüchtigen Pilotinnen die Gewissheit breit, dass ihr Standort nicht mehr sicher und New Tuscon sofort zu evakuieren ist. Eine uralte Waffe ist wieder aufgetaucht und droht, das riesige Erzabbaugebiet zu vernichten. In letzter Sekunde gelingt die Flucht nach Tharkid, wo man von einem anrüchigen Geschäftsmann und dessen Plänen erfährt, die Hauptstadt des Planeten bei einer feierlichen Zeremonie dem Erdboden gleichzumachen. Shin und Maloy vereinen sich mit dem Techniker-Ass Randy Parker und dem großspurigen Saladin, um die tickende Atombombe in der Kürze der Zeit vor der Detonation aufzuspüren und somit die endgültige Zerstörung der lyrianischen Allianz zu verhindern. Doch in der Euphorie des feierlichen Anlasses ist es für die vier vermeintlichen Helden nahezu unmöglich, inkognito eine Rettungsaktion einzuleiten …

_Persönlicher Eindruck_

Die Geschichte des nunmehr bereits 16. „Classic BattleTech“-Romans mag zwar nicht sonderlich innovativ sein, distanziert sich jedoch wohlwollend vom hochtechnisierten Kampfgemenge der vorangegangenen Episoden und gewährleistet zumindest schon einmal die Entwicklung einer nachvollziehbaren, bisweilen auch spannenden Handlung. „Duo Infernale“ erzählt keine Geschichten von endlosen Mech-Schlachten, leblosen Rangeleien und schwachbrüstigen Charakteren. Stattdessen wird nach etwas schwermütiger Einleitung ein äußerst vielseitiger, teils auch überraschend humorvoller Plot kreiert, in welchem den einzelnen Figuren reichlich Entwicklungsspielraum zur Verfügung gestellt wird, der aber in seiner eigenen Entwicklung die notwendigen Fortschritte erzielt. Zwar basieren einzelne, entscheidende Aspekte der Story auch auf einer gewissen Willkür, insbesondere die merkwürdige Verbindung der vier Protagonisten, doch darf man dies im Rahmen dieser temporeichen Geschichte nicht einmal wirklich kritisch betrachten, da eben jener Umstand die prägnanten Breaks in der Storyline erst ermöglicht.

Davon abgesehen darf man sich natürlich fragen, ob dieser futuristische Thriller thematisch überhaupt zu „Classic BattleTech“ passt. Die stählernen Kampfmaschinen werden nämlich nur am Rande erwähnt und tragen lediglich in den Action-Szenen ihren Teil zur Identifikation bei, so dass der Roman grundsätzlich auch außerhalb des bewährten Rasters funktioniert hätte. Während der ständigen aberwitzigen Wortgefechte der strikten Elementarin mit der mitunter verkorksten Maloy verschwendet man mitunter ebenso wenig Gedanken an den Background der Serie wie in den Szenen, in denen der ängstliche Randy die Bombe zu entschärfen versucht oder der vorlaute Saladin sich über die Nettigkeiten zwischen den beiden Damen amüsiert. Und dennoch: Eine lose Verbindung zu den bewährten Schauplätzen und Figuren bleibt und rechtfertigt schließlich auch die Unterbringung des Plots unter dem bekannten Banner.

Zur Story sei gesagt, dass sie überaus kurzweilig strukturiert und durch das verschärfte Tempo und den gewitzten Sprachgebrauch sehr leicht zugänglich und nachvollziehbar ist. „Duo Infernale“ ist inhaltlich leichte Kost mit nuancierten Sprüngen zwischen verschiedenen Genres, äußerst farbenfroh und sympathisch umgesetzt. Damit hat „BattleTech“-Neuling Carolina Möbis in kurzer Zeit genau das geschafft, was einigen ihrer Vorgänger nicht vergönnt blieb, nämlich den Plot auf recht lebendige Weise über die Demonstration des technischen Wissens um die Kampfmaschinen zu stellen. Der Lohn ist ein anständiges, wenn auch phasenweise noch ausbaufähiges Buch mit guter Story, feinen Charakteren und einer deutlichen Loslösung von mehrfach erfolglos erprobten Strukturen. Hoffentlich bleibt dieser Roman keine Ausnahmeerscheinung und ermutigt auch Möbis‘ Nachfolger zu eher untypischen Arbeiten!

http://www.fanpro.com