Vincent – Albatros 1: Shanghait

_Story_

Im Jahre 1890 wird eine kleine Hafenregion an der Westküste von einer Horde schreckenverbreitender Seevögel heimgesucht. Tod und Entsetzen überschatten die einst so friedliche Ortschaft, so dass dem lokalen Gouverneur jegliche Mittel recht sind, um das Federvieh aus seiner Heimat zu verbannen. Unterdessen verdient sich seine Nichte ihre ersten Sporen im zwielichtigen Kabarett von Madame Couradille. Als sie für den hinterhältigen Kommandanten Grayson tanzen soll und er seine widerwärtigen Fingen an sie legt, dreht Ombeline allerdings durch. Sie schlägt den gemeinen Beamten blutig und flieht mit ihrer Freundin Ayette in die hintersten Winkel der Stadt.

Doch ihre Hoffnung, am Grab ihrer Mutter vorläufig Zuflucht zu finden, wird alsbald zerschlagen. Das fliegende Piratenschiff Albatros ankert über dem Friedhof, eröffnet den beiden Flüchtigen jedoch die Chance, sich an Bord des Luftmobils einzuschleusen. Gesagt, getan. Tatsächlich gelingt Ombeline der Einstieg in die ‚Albatros‘, doch macht sie das Schiff dadurch zur Zielscheibe der zahlreichen Häscher. Der Gouverneur möchte nämlich nichts lieber, als seine Nichte möglichst bald wieder in Madame Couradilles Lokalität begrüßen zu können.

_Persönlicher Eindruck_

„Albatros“ ist der Titel eines neuen Comic-Dreiteilers aus dem Hause |Splitter|, geschrieben und gezeichnet vom Szene-Frischling Vincent, der hiermit sein deutschlandweites Debüt begeht. Allerdings dürfte es dem Neuling schwerfallen, sich mit dieser Reihe zügig zu etablieren, weil die Geschichte einerseits eher minder spektakulär ist und das Gros der Inhalte anderen, weitaus bekannteren Vorlagen entnommen wurde. Komischerweise ist der offensichtlichste Querverweis zu Alfred Hitchcocks Meisterwerk „Die Vögel“ dabei nicht das zentrale Thema des ersten Hardcover-Albums, sondern bislang nur ein kleines Puzzleteil innerhalb dieser weniger komplexen Handlung. Der Leser wird zwar mit der massiven Vogelplage konfrontiert und erfährt auch auf manchen Seiten die blutigen Konsequenzen ihres unkontrollierten Treibens, erkennt aber schnell, dass es sich hierbei lediglich um schmückendes Beiwerk eines interessanten, aber noch nicht durchweg überzeugenden Plots handelt.

Unterdessen inszeniert Vincent die Story äußerst linear und beschreibt ohne weitere Ausschweife die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens, welches vergebens versucht, dem Sumpf der Prostitution zu entfliehen, obschon ihre Herkunft sie grundsätzlich in ihrem Bemühen unterstützen sollte, schließlich ist sie die Nichte des Gouverneurs – und alleine diese Tatsache mutet schon ziemlich seltsam an. Mit letzter Kraft rettet sie sich durch die Hinterhöfe und die finsteren Gassen der Stadt bis auf den Friedhof, der jedoch auch nur vorübergehend sicher ist. Schon bald machen sie und ihre unschlüssige Begleiterin Ayette bereits Bekanntschaft mit einer Horde Luftpiraten, die das junge Mädchen unter ihre Fittiche nehmen, daraufhin aber unter schweren Beschuss geraten. Ist die Liebe des Gouverneurs zu seiner Nichte also doch stärker, als die äußeren Umstände vermuten lassen?

So manche inhaltliche Wendung scheint im Auftaktband „Shanghait“ ein wenig ambivalent geraten, besonders was die Entwicklung der Charaktere anbetrifft. Zwar nutzt der Autor die Gelegenheit, die tragenden Figuren im Debüt ausführlich vorzustellen, macht dies jedoch auf Kosten der Handlung, die sich trotz der steten Rasanz inhaltlich nur bedingt fortbewegt. Bei der recht unterschiedlichen Präsentation so manch dominanten Kopfes ist dies mitunter aber auch eine schwierige Angelegenheit! Darunter leidet auch die Erzählatmosphäre ein wenig, will sich sogar bis zum Schluss nie so richtig einstellen. Man weiß weder kognitiv noch emotional, woran man bei dieser einleitenden Geschichte ist und findet folgerichtig auch keinen echten Zugang zu den vermeintlichen Sympathieträgern.

Lediglich die verblüffend stimmigen Zeichnungen lösen letzten Endes Begeisterung aus und machen den Auftakt von „Albatros“ zumindest auf dieser Ebene zu einer lohnenswerten Angelegenheit. Nimmt man indes die eigentliche Story als Maßstab, ist „Shanghait“ eher Mittelmaß.

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Cory Doctorow – Backup



Ein langes Leben?
Ein langes gesundes Leben?
Ein langes gesundes Leben ohne Krankheit?
Ein langes gesundes Leben ohne Krankheit und Tod?
Ein endloses Leben.

Ein Leben aus dem Backup. Keine Gefahr für den Geist und die Seele, Mord sinnlos. Der Körper aus der Retorte mit allen Modifikationen, die man sich wünscht. Zum Beispiel an den Weltraum angepasst oder mit einem zweiten Kniegelenk für den eleganten Schritt oder dem Gesicht eines berühmten Schauspielers (dessen Gesicht wiederum nicht sein eigenes sein muss). Oder alles das – und viel mehr.

Und das Beste: Alles kostenlos! Jedenfalls auf den ersten Blick, denn man ist auf die Achtung seiner Mitmenschen angewiesen, und mit der Achtung steigen die eigenen Whopple-Punkte. Den Punktestand kann jeder Mensch anpingen und entscheiden, ob man es würdig ist, beachtet zu werden oder in welcher Suite eines Hotels man würdig ist zu übernachten oder welche Klonmodifikationen man sich leisten kann.

Das ist die Bitchun-Society. Man legt an entsprechenden Terminals in individuellen Abständen Backups seiner Persönlichkeit an, um im Falle des eigenen Ablebens mit einem möglichst aktuellen Erinnerungsstand wiederbelebt werden zu können. Natürlich kann man auch ältere Backups nutzen, um unangenehme Erfahrungen nicht nur aus dem Gedächtnis, sondern auch aus der Persönlichkeit zu streichen. Sehr praktisch, zum Beispiel wenn man ein Verbrechen begehen will und sich danach an nichts mehr erinnert …

Cory Doctorow sagt von sich selbst, er lebe im Internet. Und so gestaltet sich auch die Geschichte: Es begann als Revolution des Internets. Die Bitchun-Society, die Gesellschaft größten Glücks, entsteht und stürzt die alten Lehrstrukturen an den Universitäten. Das Internet findet in den Köpfen der Mitglieder statt, der Informationszugriff ist optimiert. Daraus entwickelt sich die scheinbar einzig gerechte Währung, die Whopple-Punkte gegenseitigen Respekts und Achtung, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft die gleichen Chancen hat. Grundlage ist natürlich auch die Weiterentwicklung künstlicher Arbeitskräfte, so dass grundsätzlich jeder Mensch der Gesellschaft Zugriff auf alles Lebensnotwendige hat, und zwar in für unseres Verständnis luxuriösen Maßen. Es gibt Arbeiten, die weiterhin von Menschen erledigt werden müssen (wie Putzen oder kreative Programmierung), und die entsprechenden Menschen sammeln mit dieser Arbeit enorme Punkte.

Natürlich gibt es Feinde und Neider dieser Gesellschaft, aber sie hat ein schlagendes Argument: Ihre Gegner sterben aus, während ihre Mitglieder beliebig oft aus einem Backup neu erstellt werden können. Man kann sich trotz der perfekt sozialistisch anmutenden Idee der Whopple-Punkte ausmalen, dass es Betrugsmöglichkeiten in diesem System gibt. Und hinter den Kulissen ist alles viel komplizierter, als sich in wenigen Sätzen sagen lässt. Zentrales Thema des Romans ist zum Beispiel die Langeweile, die bei den fast unsterblichen Mitgliedern der Gesellschaft häufig aufkommt. Man hat schon alles erlebt, jedes Risiko genossen, jede Anstrengung vollbracht, jede Möglichkeit der Entspannung und des Nichtstuns genutzt – was kann einem dann das Leben noch bieten? Man lässt sich einfrieren, um vielleicht in hundert Jahren zu erwachen und etwas Neues zu erleben. Oder ein Computer wacht über die Ereignisse und weckt einen, wenn interessante Neuigkeiten greifbar sind. Oder man lässt sich auf unbestimmte Zeit einfrieren, sagen wir, bis zum Kollaps unseres Universums. Denn das bietet auf jeden Fall noch Unerlebtes.

Was aber passiert mit einem Menschen, der durch Fehlfunktionen seiner Implantate aus dem Netz fliegt? Normaler Weise kann er sich aus einem Backup neu erstellen lassen, aber wenn er die Erlebnisse seit dem Backup nicht vergessen will? Er wird zum Außenseiter, der keinen Zugriff mehr auf die sphärische Kommunikation seiner Mitmenschen hat, sondern auf die normale Sprache angewiesen ist. Dessen Whopple nicht mehr angepingt werden kann, der also völlig vom guten Willen seiner Mitmenschen abhängig ist. Und hinter dessen Rücken man eins-a intrigieren kann, ja, in dessen Beisein man an ihm vorbei kommunizieren und sich über ihn lustig und ihn betrügen kann.

»Backup« ist mit seinen 285 Seiten für heutige Verhältnisse ein erfrischend dünner Roman, dessen flotte Gangart seinem Thema entspricht und Lesevergnügen »in einem Rutsch« liefert. Er ist spritzig, witzig, tiefgründig – uneingeschränkt zu empfehlen.

Originaltitel: Down and out in the Magic Kingdom, 2003
287 Seiten
Aus dem US-Englischen von Michael K. Iwoleit

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Kalla, Daniel – Pandemie

In der chinesischen Provinz Gansu entwickelt sich eine neue Supergrippe, die sich womöglich als Pandemie über die ganze Welt ausbreiten wird. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schickt Dr. Noah Haldane, Spezialist für Infektionskrankheiten, und weitere Spezialisten als medizinische Verstärkung in den Osten, welche dies in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden verhindern sollen und können.

Doch inzwischen haben sich islamische Terroristen in China reichlich mit virenverseuchtem Rotz eingedeckt. Vom fanatischen Scheich Hassan angestachelt, organisiert der ägyptische Zeitungszar Hazzir Al Kabaal im Auftrag der „Bruderschaft der einen Nation“ eine biologische Attacke gegen die verhassten Ungläubigen aus dem Westen. In Somalia haben er und seine skrupellosen Schergen, unter denen sich der irre Mörder-Major Abdul Sabri besonders unrühmlich hervortut, ihre Attentatszentrale und Virenfabrik eingerichtet. Von dort aus schicken sie absichtlich infizierte ‚Märtyrer‘ in ausgewählte europäische und nordamerikanische Großstädte, wo sie sich als Virenschleudern tummeln und brave Bürger anstecken, die planmäßig wie die Fliegen umfallen und für Massenpanik sorgen.

Als die Lumpen ihre schmutzigen Klauen auch gen USA ausstrecken, wird der stets wachsame Geheimdienst CIA aufmerksam. Letzte Klarheit schafft ein Ultimatum der „Bruderschaft“, die einen vollständigen Rückzug der westlichen Truppen aus dem arabischen Raum fordert. Natürlich gedenkt sich die letzte Supermacht auf Erden nicht von dreisten Schurkenstaaten auf der Nase herumtanzen zu lassen. In Zusammenarbeit mit der Bioterrorismus-Abwehr in der Abteilung für Zivilschutz denkt man über einen Militärschlag in Somalia nach. Mit von der Partie ist wiederum Dr. Haldane, der vor Ort nach Hinweisen auf das weitere Vorgehen der Terroristen fahnden soll, was nur gut ist, denn inzwischen hat der endgültig übergeschnappte Major Sabri die Macht übernommen. Seine Virenschmiede haben einen neuen Erreger gebastelt, der noch wesentlich gefährlich ist als der Vorgänger. Mit diesem Virus will die „Bruderschaft“ den Westen endgültig in die Knie zwingen …

Spannender Thriller vor realistischer Kulisse und lachhafte Spukgeschichte auf Privatfernsehniveau – „Pandemie“ ist beides und in dieser Kombination ein Idealbeispiel für jene Instant-Bestseller, die heutzutage als leicht verdauliches Lesefutter palettenweise in die Filialen der Buchhandelsketten geschoben werden. Zur Abwechslung geht es nicht um den heiligen Gral, die Tempelritter oder vatikanische Munkeleien, sondern um das ebenfalls aktuelle Thema Vogelgrippe. Wenn man den Medien Glauben schenken möchte, sitzt diese als moderne Weltpest in den Startlöchern und ist schon längst überfällig. Daniel Kalla gehört zu denjenigen medizinischen Spezialisten, die ebenfalls dieser Meinung sind. Außerdem hat er offensichtlich bemerkt, dass viele unterbeschäftigte und/oder schlecht bezahlte Wissenschaftler und Journalisten sich ein hübsches Zubrot damit verdienen, ihr Fachwissen in Romanform einem zahlenden Publikum zu vermitteln.

Für den schriftstellernden Anfänger ergibt sich das Problem, dass ein Roman etwas ganz anderes als ein Sachbuch oder Aufsatz für eine Fachpublikation ist. Kalla, der hier sein Debütwerk vorlegt, muss erst noch lernen, seinen Hang zum Dozieren in den Griff zu bekommen bzw. in den Dienst der Handlung zu stellen. Es ist lobenswert, dass er an den medizinischen Laien denkt und die Mechanismen einer Epidemie allgemeinverständlich darlegt. Wer viel weiß, dem wohnt freilich in der Regel auch der Drang inne, seine Mitmenschen zu belehren – und es dabei zu übertreiben. (Wer sich ohne literarische Klimmzüge über Epidemien und Pandemien informieren möchte, greife zum modernen Seuchen-Sachbuchklassiker [„Influenza. Die Jagd nach dem Virus“ 2594 von Gina Kollata, erschienen im |Fischer|-Taschenbuchverlag; es ist übrigens das besser geschriebene Buch.)

Mit mehr Hirnschmalz hätte Kalla die eigentliche Story schmieren sollen. Statt eines Plots erdachte er sich eine Plotte. Auch hier gibt die Unerfahrenheit des Verfassers den Ausschlag für diese Negativkritik. Sogar die guten Thriller glänzen selten durch Originalität, die Kreuzung von Katastrophen- und Terroristenmär war schon oft da, sie wird auch noch oft zurückkehren, da sie eingängig und aktuell ist und wohl auch bleiben wird. Ein bisschen Logik darf trotzdem sein. Wie schaffen es beispielsweise Al Kabaals Virenschmuggler, zum richtigen Zeitpunkt exakt dort zu sein, wo die Gansu-Grippe entsteht? Halten sich Terroristen überall bereit, wo eine pandemietaugliche Krankheit auftauchen könnte? Außerdem scheint sich die „Bruderschaft“ über die Bedeutung des Wortes Pandemie nicht klar zu sein: Eine weltweit wütende Seuche würde natürlich auch die islamischen Länder nicht aussparen, was kaum im Sinn der Glaubenskrieger sein dürfte.

So gelingt Kalla nur ein Szenario auf Kasperletheater-Niveau. Die Welt des internationalen Terrors schildert er so, wie sie von der US-Regierung Bush gesehen wird: als Verschwörung menschenverachtender Schurkengruppen, deren Mitglieder entweder Fanatiker oder Irre oder beides sind. Zwar bemüht er sich sichtlich um Objektivität, doch letztlich läuft alles auf ein finales Simpelduell zwischen Gut & Böse hinaus.

Ständig arbeitet Kalla mit billigen Tricks. Der Haupthandlung fügt er einen Nebenstrang ein, der die Recherchen eines ägyptischen Polizisten gegen die Terroristen schildert. Diese Geschichte ist ohne Belang, Kalla erzählt sie, weil er unbedingt zeigen möchte, dass es in der muslimischen Welt neben verrückten Fundamental-Islamisten auch ’normale‘ Menschen gibt. Deshalb muss der arme Sergeant Achmed Eleish im Namen der guten Indianer – halt: Araber sind es hier ja – dem schäumenden Terror-Scheich Hassan eine flammende Anklage ob seiner kriminellen Aktivitäten in die zahnfaulige Fratze schleudern, bevor er, der seinen Dienst damit getan hat, von einem weiteren Burnus-Unhold dramatisch zu Tode gebracht wird.

Ziemlich aufdringlich sind ebenfalls die Anbiederungen an ein möglichst großes US-Publikum. Kalla ist Kanadier, wünscht sich für seinen Erstling jedoch verständlicherweise zahlreiche Käufer. Also schildert er einen Einsatz von US-Rangern in Somalia, der so abläuft, wie es Dabbeljuh Bush sicherlich gern seinen Enkeln als Gute-Nacht-Geschichte erzählen würde: Schneidig hinein geht’s in den Schurkenstaat, das Terrornest wird besetzt und ausgehoben, mit chirurgischer Präzision der Feind ausgeschaltet und ansonsten kein Grashalm gekrümmt. Damit noch der Dümmste begreift, was diese absurde, zudem unbeholfen in Szene gesetzte Episode (bei deren Lektüre sich ein Tom Clancy wahrscheinlich vor Lachen gekrümmt hat) bewirken soll, setzt Kalla auf Seite 406 noch eins drauf:

|“‚Mr. President‘, sagte Gwen, die auf halber Höhe des Tisches saß, und alle Köpfe drehten sich nach ihr um, „Ich habe einem Kameraden der Gefallenen versprochen, Ihnen zu sagen, dass die US-Ranger, die in Somalia gestorben sind, große Amerikaner waren. Jeder Einzelne von ihnen.‘ Er starrte sie mehrere Augenblicke an, bevor ein väterliches Lächeln auf seinem Gesicht erschien. ‚Und ich verspreche Ihnen, dass ich sie als solche ehren werde. Jeden Einzelnen von ihnen.'“| (Im Film hier weihevolle Musik inklusive Trommelwirbel einspielen!)

Dem holzschnittartigen Handlungsverlauf entspricht die Figurenzeichnung. Da haben wir beispielsweise Dr. Haldane, Ende 30, aber immer noch „jungenhaft aussehend“; ein Idealist und Vollblutmediziner, der in Sachen Gesundheit unermüdlich um den Globus jettet und in seiner knappen Freizeit Ehefrau und Töchterlein vergöttert. Aber, ach, die Gattin versteht das nicht, fordert Vollzeit-Balz, betrügt ihn gar – und das auch noch mit einer Frau! Wie gut, dass es Kollegin Gwen Savard gibt, die ebenso idealistisch und gleichaltrig ist, sich jedoch sogar noch besser gehalten hat. Seite an Seite jagt man Viren und Terroristen und kommt sich stetig näher dabei, bis die Neu-Geliebte im Finale klischeegerecht dem Ober-Unhold in die würgenden Hände fällt und vom plötzlich zum Nahkämpfer mutierenden Haldane gerettet werden muss.

Wenn man die Schar der Bösewichte mustert, so scheint Kalla ursprünglich eine gewisse Ausgewogenheit im Sinn gehabt zu haben. Sein Hazzir Al Kabaal ist kein Bin-Laden-Double, sondern wirkt durchaus hin- und hergerissen zwischen tiefer Frömmigkeit und weltlichen Genüssen, zwischen Terrorismus und Schrecken, da Gewalt – so begreift Al Kabaal schließlich – nie die gewünschten Paradiesfrüchte eines Gottesstaats auf Erden hervorbringen wird. Gleichzeitig bleibt er ein Weißkragen-Terrorist, der den Schrecken nur befiehlt und gar nicht wissen will, was er damit in Gang setzt.

Bald beschleicht Kalla Furcht vor der eigenen Courage. Ein Terrorist mit Selbstzweifeln? Das könnte sein Publikum ihm übelnehmen! Also rückt Major Abdul Sabri an die Spitze der Virenschurken. Er ist endlich von jener glasklaren Bösartigkeit, die von den braven Zeitgenossen verstanden wird, welche einfache Freund-Feindbilder favorisieren und sich vor den Fremden aus Nahost fürchten, denen ein grausames Schicksal die ertragreichsten Ölquellen zugespielt hat. Sabri ist nicht nur ein Mörder, sondern – viel schlimmer – ein Heuchler und als solcher eine Schande für seine abscheuliche Zunft: Er terrorisiert nicht, um den Glauben zu verteidigen, sondern weil man ihn einst nicht befördern wollte. Schnöde Rache und andere niedere Beweggründe treiben ihn folglich um. Übergeschnappt ist er außerdem, so dass es völlig legitim ist, ihn wie einen tollen Hund abzuknallen.

Ähnlich gepolte Handlager wuseln um die beiden Zentralschurken herum. Auch sie entgehen ihrem gerechten Urteil nicht. Bis es so weit ist, ergehen sie sich in Hasstiraden gegen die unmoralischen Christenhunde, lassen sich zum Wohl ihrer Sache jede Scheußlichkeit antun, fiebern einem Ende als Märtyrer entgegen und treiben auch sonst viel von jenem stereotypen Unfug, für den der islamische Modellfanatiker in Funk & Fernsehen, Weißem Haus & Hollywood bekannt ist.

Über solche Simplifizierungen und Unterstellungen könnte man lachen oder sie als unvermeidbar für ein Stück Remmidemmi-Literatur wie „Pandemie“ hinnehmen, würde nicht so offenbar, dass es Verfasser Kalla ernst meint. Das ist schade, denn unter allen Dämlichkeiten geht fast verloren, dass ihm eines zu vermitteln gelingt: Eine Seuche wird heute schneller denn je zur Pandemie, weil es auf dieser Welt keine Grenzen mehr gibt, die einem Virus Einhalt gebieten könnten. Prinzipiell jeder Punkt des Erdballs ist per Flugzeug erreichbar, der interkontinentale Fernverkehr längst so intensiv geworden, dass sich die Ausbreitung von Epidemien auf diesem Weg womöglich nicht mehr kontrollieren lässt. Es gibt keine Inseln oder anderen Orte mehr, auf oder an denen man sich in Sicherheit wiegen kann.

Solche Passagen versöhnen zwischenzeitlich mit einem Roman, der ansonsten herzlich wenig bzw. meist das Falsche aus seiner Ausgangsidee macht. Da braucht es keine Terroristen, doch leider traut Kalla seinem eigenen Stoff nicht wirklich. (Haftbar machen sollte man übrigens die zum Teil recht prominenten Schützenhelfer, die „Pandemie“ auf den Umschlagseiten allen Ernstes zum Meisterwerk hochstilisieren; sie sind entweder skrupellos und wurden für ihre Lobhudeleien gut bezahlt oder haben dieses Buch nie gelesen.)

_Autor_

Viel ist nicht über Daniel Kalla bekannt; es lohnt nach der Lektüre von „Pandemie“ ehrlich gesagt auch nicht, im Internet nach Informationsbrocken zu sieben. Also beschränken wir uns auf die kargen Angaben des Verlags. Kalla wurde demnach 1966 geboren und arbeitet als Notarzt im kanadischen Vancouver. Als dort 2003 eine SARS-Epidemie drohte, gehörte er zum Team der Mediziner, die vor Ort für eine Eindämmung der Krankheit sorgen sollten. Die gewonnenen Erfahrungen setzte Kalla 2005 in seinem Romanerstling „Pandemic“ um.

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Irvine, Ian – Turm von Katazza, Der (Die drei Welten 3)

Band 1: [„Der Spiegel der Erinnerung“ 3928
Band 2: [„Das magische Relikt“ 4217

In Thurkad herrscht Chaos. Yggurs Armee steht vor den Toren der Stadt und Tensor hat das Große Konklave angegriffen, um den Spiegel von Aachim an sich zu bringen. Während Tensor mitsamt dem widerstrebenden Llian im Schlepptau aus der Stadt Richtung Norden flieht und Karan von Shand aus der Ratshalle geborgen wird, hat sich Mendark mit Tallia und dem Straßenmädchen Lilis vorerst in der Feste verbarrikadiert. Die Lage ist aussichtslos, und Mendark weiß das. Während die Altstadt fällt, plant er seine Flucht. Doch er wird verraten …

Faelamor und Maigraith sind zwar ebenfalls aus der Ratshalle entkommen, Faelamor hat jedoch all ihre Kräfte verloren und keinen Verbündeten in der Stadt. Da entschließt sich Maigraith zu einem folgenschweren Schritt …

_Der dritte Band_ des Drei-Welten-Zyklus trägt den Titel „Der Turm von Katazza“. Dieser Turm wurde von Mendark bereits erwähnt, als er Llian in die Keller der Feste schickte, um nach Informationen über den Spiegel zu suchen. Wer jetzt allerdings glaubt, irgendjemand hätte sich auf den Weg nach Katazza gemacht und in dem Turm womöglich sogar ein paar Antworten gefunden, der wird enttäuscht sein. Offenbar hat derjenige, der den Titel für diesen Band vergeben hat, sich vorher nicht die Mühe gemacht, ihn auch zu lesen. Dabei wäre eine solche Reise eine durchaus logische Entwicklung für die Handlung gewesen. Stattdessen konzentriert sich alles auf die Eroberung Thurkads und die verzweifelten Versuche der verschiedenen Protagonisten, ihren Hals zu retten.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Mendark. Außer seinem Gold und seinem eigenen Leben liegt diesem Mann nur die Stadt Thurkad am Herzen. Oder besser: seine Macht über Thurkad, denn die Stadt selbst und ihre Bewohner sind ihm herzlich gleichgültig. Er nutzt jeden aus, der ihm begegnet, Tallia eingeschlossen. Damit ist auch schon so ziemlich alles über diesen Mann gesagt, was es bisher zu sagen gibt.

Durch die starke Gewichtung von Mendarks Person rückt auch seine getreue Gefolgsfrau Tallia etwas mehr ins Rampenlicht, was allerdings auch nicht viel heißt. Zwar wird deutlich, dass sie nicht viel von Mendarks Rücksichtslosigkeit hält, aber sie steht trotzdem in jeder Situation treu zu ihm. Lediglich im Bezug auf Lilis ist sie diejenige, die sich durchsetzt. Da Tallia alles andere als dumm ist, stellt sich die berechtigte Frage, warum sie diesem selbstsüchtigen Kerl so treu ergeben ist!

Leider geizt Ian Irvine immer noch mit Antworten, und das gilt nicht nur für die Charaktere. Der Spiegel, der die ganze Sache erst ins Rollen brachte und eigentlich so außerordentlich wichtig für das Schicksal Santhenars sein soll, fristet nur noch ein kümmerliches Randdasein. Das einzige Wort, das darüber verloren wird, ist Tensors Feststellung, dass er keine Ahnung hat, was seit dem Diebstahl durch die Charon genau mit dem magischen Artefakt angestellt wurde. Und er hat offenbar auch keinerlei Anstrengungen unternommen, seine Flucht in eine Gegend zu lenken, wo er eventuell Antwort auf diese Frage erhalten könnte …

Auch an neuen Ideen tut sich nicht viel. Neu waren allein die Kaistadt und ihre Bewohner, die Hlune und die Telt. Um frischen Wind in die Geschichte zu bringen, blieben sie aber zu nebensächlich und die Ausarbeitung zu oberflächlich. Über die historischen Ereignisse, die zu der momentanen Situation führten, erfährt der Leser überhaupt nichts Neues. Die Aachim Malien, die Llian nach der Vergangenheit fragt, lässt sich lediglich zu einer vagen Andeutungen herab.

Auch diesmal ist also der Handlungsverlauf der Hauptträger der Geschichte. Und auch diesmal bestand sie zu meinem großen Leidwesen ausschließlich aus Flucht. Der einzige Unterschied zu den Vorgängerbänden ist der, dass jetzt nicht nur Karan und Llian, sondern auch noch die Gruppen um Mendark und Tensor auf der Flucht sind. Die Schilderung, wie Yggur die Schlinge um die in der Kaistadt Versteckten immer enger zieht, sollte den Spannungsbogen straffen, was aber nicht wirklich gelungen ist.

Dasselbe gilt für die kurze Szene, in der die Gâshâd beschließen, Karan zu fangen und zu benutzen, denn sie bleibt ohne Zusammenhang oder gar Folgen – zumindest in diesem Band. Erst als Mendarks Gruppe sich endlich auf dem Wasser befindet, zieht die Handlung vorübergehend so weit an, dass der Leser sich nicht langweilt. Besonders spannend kann man aber auch diesen Teil des Buches nicht nennen.

_Mit anderen Worten:_ Im Grunde bewegt sich die Geschichte überhaupt nicht weiter! Und so bleibt unterm Strich bei diesem Band sogar noch weniger als beim zweiten: Die Handlung kommt nicht über ein wirres Hin- und Hergerenne hinaus; der Mangel an Spannung, Abwechslung und Weiterentwicklung bewirkt bestenfalls ein Gefühl von Überdruss und Unzufriedenheit. Die Charakterzeichnung von Mendark und Tallia ist ziemlich blass geraten und die Figur des Mendark zudem nicht übermäßig sympathisch und damit eher ungeeignet, die Sympathien der Leser zugewinnen, sodass eine Identifikationsfigur fehlt, mit der man mitfiebern könnte. Ian Irvine ist es nicht gelungen, seinem vielversprechenden Anfang den entscheidenden Impuls zu geben und seine Charaktere und seine Handlung lebendig zu erhalten. Falls ich mich tatsächlich dazu durchringen sollte, einen weiteren Band aus diesem Zyklus zu lesen, dann muss der einiges mehr an Intensität, Bewegung und Einfallsreichtum aufbieten, denn sonst wird er der letzte sein, zumindest für mich.

_Ian Irvine_ ist Doktor für Meeresbiologie und hat einen Großteil des südpazifischen Raums bereist. Die Idee zu seinem Drei-Welten-Zyklus entstand bereits während des Studiums. Die damals entstandenen Karten und Skizzen dienten später als Basis für die Ausarbeitung, die inzwischen zwei Tetralogien umfasst und noch weiter ausgebaut werden soll. Abgesehen davon hat Ian Irvine den Öko-Thriller „Human Rite“ geschrieben sowie den Zyklus „Runcible Jones“. Der nächste Band des Drei-Welten-Zyklus „Die Festung der Macht“ erscheint Anfang Dezember 2007.

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Volckman, Christian / Renoult , J. / Delaporte, M. / DelaPatteliere, A. / Newman, G. – Renaissance

_Story_

Paris im Jahre 2054: Der multinationale Megakonzern Avalon beschäftigt verdeckt eine Reihe ambitionierter Wissenschaftler, deren Forschungsarbeiten eines der größten Geheimnisse der Menschheit fokussieren. Abseits der Außenwelt verfolgen die Drahtzieher des Unternehmens mit kompromisslosen Methoden Ziele, die sich über sämtliche moralischen Grundlagen hinausbewegen und den biogenetischen Code der Menschheit analysieren.

Der impulsive Gestzeshüter Karas bekommt von diesen Machenschaften Wind, als er den Fall einer verschwundenen Wissenschaftlerin namens Ilona Tasuiev aufnimmt und sich innerhalb des riesigen Konzerns über die junge Dame informiert. Nach und nach entdeckt er wertvolle Indizien, die dafür sprechen, dass Tasuiev kurz vor einem großen Coup stand und ihr Verschwinden Teil einer enormen Verschwörung ist. Ihr Forschungszweig arbeitete an einem Gegenmittel zur Bekämpfung von Progerie, und inmitten der diesbezüglichen Fortschritte stieß Tasuiev scheinbar auf Erkenntnisse, die die gesamte Menschheit revolutionieren könnten. Karas nimmt die Verfolgung auf – und gerät immer tiefer in einen Sumpf aus Intrigen, Skrupellosigkeiten und Zukunftsvisionen erschütternden Ausmaßes.

_Persönlicher Eindruck_

Dass die Film-Noir-Branche mittlerweile auch ein sattes Mainstream-Comeback feiern durfte, ist nicht erst seit dem durchschlagenden Erfolg des revolutionären „Sin City“ unbestrittener Fakt. Die ästhetische Schwarz-Weiß-Grafik, die mysteriösen Figuren und die fiesen Geschichten des Genres sind längst mehr als bloß Insider-Kult und Liebhaber-Geschäft und entwickelten sich im neuen Jahrtausend schlagartigen zum boomenden Nebenzweig der Filmindustrie, dessen wahres Potenzial indes nur erstaunlich wenige Regisseure erkannt zu haben scheinen. Unter ihnen ist zweifelsohne auch Christian Volckmann, der Schöpfer von „Renaissance“, dem neuesten Werk des eigenwilligen Kulturzweigs.

In seiner weitestgehend unterkühlten Geschichte erzählt der aufstrebende Erschaffer dieses stringenten Science-Fiction-Werks die Story eines anrüchigen Unternehmens, welches sich in einigen zweifelhaften Machenschaften der Genforschung verzettelt hat. An der Spitze des Eisbergs steht eine junge Forscherin, die bei der Behandlung von Progerie scheinbar ein Mittel zur relativen Unsterblichkeit entdeckt hat und somit die Zukunft der ganzen Menschheit in der Hand hält – so scheint es zumindest. Der ungebrochen coole Bulle Karas erfährt hiervon jedoch erst, als das Schicksal dieser Wissenschaftlerin auf dem Spiel steht. Mit dem Verschwinden ihrer Person deckt er erst die intriganten Ränke des Multikonzerns auf und begibt sich alsbald in den Teufelskreis konkurrierender Mafiosi, die unter dem Tarnmantel der Wissenschaft eine ganze Reihe moralisch nicht mehr vertretbarer Experimente durchgeführt hat. Junge Menschen ließen bei diesen Versuchen ihr Leben, andere tauchten nie wieder auf, und bevor sich Karas versieht, rückt auch er in der Reihe ihrer möglichen Nachfolger auf einen der vordersten Ränge. Fragt er sich zunächst noch, warum mit dem Verschwinden Ilonas die Existenz des gesamten Unternehmens auf dem Spiel stand, erhält er schließlich die grausame Gewissheit über die fürchterlichen Manipulationen und die daraus resultierenden Befürchtungen für die Zukunft der kompletten Rasse. Für Karas die passende Gelegenheit, seine schwarze Weste wieder ein wenig aufzuhellen …

Während die Geschichte prinzipiell eindeutig und stringent scheint, ist die Strukturierung von „Renaissance“ zumindest im Comic nicht immer glücklich gewählt. Volckmann hat das Pendant zum animierten Film lediglich mit Standbildern seines Streifens gefüllt, dabei aber das Tempo partiell derart verschärft, dass der Story zwischenzeitlich der rote Faden abhanden kommt. Die Gedanken- und Zeitsprünge versprechen eine ständig wachsende Komplexität, gleichsam aber auch einen immer schlechteren Überblick über Charaktere und Handlung. So nimmt die Erzählung zwar anfangs recht schnell Fahrt auf und beschleunigt daraufhin auch ständig, bietet dem Leser aber zu wenige griffige Orientierungspunkte, an die er sich klammern könnte. Zwei Drittel der Geschichte sind schließlich verronnen, bis man das Setting und seine Protagonisten miteinander in Einklang gebracht hat, so dass die Freiräume zum Spannungsaufbau trotz des brisanten Inhalts ziemlich beschränkt sind. Volckmann versucht, diese Defizite mit der Atmosphäre der Grafik und der allgemein düsteren Gesamtstimmung wieder auszugleichen, was ihm aber nur mit verhaltenem Erfolg gelingt. Irgendwie will sich nämlich zu keiner Zeit eine vergleichbare Euphorie wie beim Genre-Vorreiter „Sin City“ einstellen, nicht einmal eine relative Begeisterung ob des zumindest visuell recht ansprechenden Unterfangens. Diesbezüglich ist das gesamte Projekt einfach zu eisig strukturiert bzw. zu emotionslos konstituiert.

Man könnte daher auch sagen, dass „Renaissance“ im Grunde genommen genau an der überstrapazierten Bemühung klassischer Noir-Elemente zerbricht und der Geschichte dadurch eine zielgerichtete Entwicklung verbaut. Dies ändert zwar grundsätzlich nichts daran, dass die Story inhaltlich durchaus interessant ist, ist aber ausschlaggebend dafür, dass „Renaissance“ letztendlich nicht in die elitäre Auswahl der animierten Noir-Klassiker eingruppiert wird – obschon bei der meisterhaften äußeren Aufmachung des schicken Hardcovers dergleichen zu erwarten war!

http://www.cross-cult.de

Sandemo, Margit – Zauberbund, Der (Die Saga vom Eisvolk 1)

_Ein lange verborgenes Juwel_

Es gilt gemeinhin als ungeschriebenes Gesetz, dass die magischsten Momente der Fantasy-Literatur ausschließlich dem englischsprachigen Raum entstammen. Es sind Autoren wie Martin, Tolkien und auch moderne Schreiberlinge wie Jordan und Barclay, die in der Vergangenheit die anerkannten Maßstäbe setzten und das Kaufverhalten der Leserschaft durch ihre fabelhaften Geschichten maßgeblich beeinflussten.

In diesem Zusammenhang mag die schwedische Schriftstellerin Margit Sandemo, immerhin Jahrgang 1924, zunächst einmal eine unscheinbare Persönlichkeit im nach wie vor aufstrebenden Genre sein, hat aber gerade die phantastische Literatur im europäischen und speziell im skandinavischen Raum in den vergangenen Dekaden richtungsweisend geprägt. Ihre |Saga vom Eisvolk| entwickelte sich zum steten Bestseller und brachte es zwischen 1982 und 1989 auf insgesamt 47 Ausgaben. Seltsamerweise hat man hierzulande niemals eine offizielle Kostprobe des historischen Fantasy-Epos‘ zu Gesicht bekommen, auch wenn vor geraumer Zeit schon einmal der Versuch gestartet wurde, die ersten neun Bände in einer Kleinauflage zu etablieren – wirklich viel Rummel haben die Veröffentlichungen nämlich nicht ausgelöst.

Gottlob wird nun via |Blanvalet| ein zweiter Versuch gestartet, diese in Insider-Kreisen hoch gehandelte Reihe in einer deutschen Übersetzung landesweit zu manifestieren – drücken wir also die Daumen, dass es diesmal funktionieren wird!

_Story_

Im Jahre 1581 wird ganz Norwegen von der heimtückischen Pest heimgesucht und mit fürchterlicher Konsequenz getroffen. Ein Großteil der Bevölkerung erliegt dem schwarzen Tod, hoffnungs- und schutzlos ausgeliefert und vor Angst schier ohnmächtig. Unter der armen Bevölkerung ist auch die Familie der jungen Silje, die mit einem Mal ihre gesamten Angehörigen verliert. Verbittert und völlig ausgehungert tritt sie die Flucht an und nimmt sich auf ihrer Reise in die Zuflucht Trondheims zweier weiterer Waisenkinder an, die ohne Hoffnung auf Überleben der Kälte und Armut alleine ausgesetzt sind.

Der Großbauer Benedikt nimmt das Mädchen auf seinem Hof auf und schenkt ihr und den Kindern Liebe und Nahrung, ohne dafür jedwede Gegenleistung zu erwarten. Allerdings ist die Freude über die neue Geborgenheit nur von kurzer Dauer, denn die intrigante Cousine des Bauern macht sich alsbald auf dem Hof breit und verscheucht alle störenden Elemente unter gemeinen Vorwänden von Benedikts Gut.

In jenen Tagen macht Silje die Bekanntschaft des verrufenen Tengel, dem Mann, dessen Bekanntschaft tödlich sein kann, und der ihr auf ihrer vorherigen Reise bereits mehrere Male in mysteriösen Situationen begegnet war. Unter seiner Obhut erfährt sie von der geheimen Sippe des Eisvolkes, seinem Heimatstamm, dessen Urvater sich einst an den Teufel verkauft hatte. In einer versteckten Berglandschaft führen die wenigen Überlebenden seiner Gemeinschaft ein zurückgezogenes Leben, stets in großer Angst, eines Tages entdeckt und alleine für ihre Herkunft mit dem Tode bestraft zu werden.

Während Silje mit ihren unverhofften Mutterpflichten zu kämpfen hat, reift die junge Dame langsam aber sicher zur selbstbewussten Erwachsenen heran und kann auch ihre geheimen Gelüste nicht mehr zurückhalten. Ausgerechnet der schroffe Tengel hat ihr Herz erobert – doch seine Nähe ist verboten, da eine Partnerschaft möglicherweise eine weitere Teufelsbrut hervorbringt. Und die Angst hiervor ist so groß, dass beide Seiten schweren Herzens auf ihre Liebe verzichten. Vorerst …

_Persönlicher Eindruck_

Der erste Teil der „Saga vom Eisvolk“ ist sicherlich ein gelungener Auftakt der Mammutserie und liefert bereits einen ziemlich detaillierten Überblick über die Protagonisten und das allgemeine Setting der Handlung. Allerdings fordert er auch sogleich zur Korrektur auf, dass es sich bei diesem Epos nur bedingt um eine echte Fantasy-Geschichte handelt, denn im Grunde genommen unterwirft sich der Plot doch recht deutlich den Gegebenheiten eines historischen Dramas, verknüpft mit den Sehnsüchten und heimlichen Gelüsten einer unerlaubten Liebesbeziehung.

Insofern ist auch der Aufbau alles andere als fantasytypisch; der Rahmenschauplatz beschreibt nämlich ein allzu realistisches Standbild im Europa der Pestepoche, welches auch atmosphärisch sehr stimmig und authentisch wiedergegeben wird. Die gesamte Stimmung des Romans ist recht beklemmend ob der anhaltenden Todesgefahr und der wachsenden Armut und Verwahrlosung des gemeinen Volkes. Das gesamte skandinavische Gebiet welkt langsam dahin, und währenddessen klafft die Schere zwischen Reich und Arm bereits zu diesen Zeiten unheimlich stark auseinander.

In dieser Zeit kämpfen auch drei Waisen kaum unterschiedlicher Generationen ums nackte Überleben, unwissend bzw. intellektuell noch gar nicht fähig, realistische Zukunftsvisionen zu spinnen. Die erst 17-jährige Silje steht im Mittelpunkt des Ganzen, übernimmt für einen ausgesetzten Säugling sowie eine hinterlassene Zweijährige die nötige Verantwortung und hilft ihnen in letzter Not, nicht selber von der Pest dahingerafft zu werden. Allerdings wird das ungleiche Trio in der Folgezeit nur herumgeschubst; nirgendwo scheint man richtig willkommen, und auch wenn einige wenige ihnen die vermisste Liebe entgegenbringen, so scheint ihr Aufenthalt nirgendwo sicher.

Aus einem Trieb heraus, gleichzeitig aber auch aus Furcht vor dem Landvogt, der ihr den verbotenen Kontakt mit dem geheimnisvollen Tengel nachsagt, steuert sie schließlich auf die Welt des Eisvolkes zu und folgt ihrem heimlichen Geliebten, der sich jedoch aus großer Furcht vor den Konsequenzen nicht eingestehen kann, dass er ebenfalls der Liebe verfallen ist. Verkrampft, verzweifelt und in ihrem Handeln zumeist ohnmächtig kämpfen sie für- und gegeneinander, wohl wissend, dass das Schicksal für beide ein Buch mit sieben Siegeln ist, ganz gleich, wie sie ihre Beziehung gestalten werden.

Bereits in „Der Zauberbund“ bestätigt sich, dass Margit Sandemo eine fantastische Geschichtenerzählerin ist; ihre detailreichen Darstellungen von Szenarien und Hintergründen bringen den Leser alsbald in das Norwegen des späten 16. Jahrhunderts und lassen ihn sofort eins werden mit dieser beklemmenden Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Gleichzeitig gelingt es ihr auch auf faszinierende Weise, einige packende Charakterzeichnungen zu entwerfen, unter denen vor allem Tengel und die Hauptakteurin Silje hervorragende Eindrücke hinterlassen. Ihr steter Wechsel aus Bestimmtheit und Unentschlossenheit beherrscht einen großen Teil des Buchs und markiert die nicht abklingende Spannung, die sich trotz der vergleichsweise nur langsam voranschreitenden Story sofort auf den ersten Seiten entwickelt.

Andererseits ist das schleppende Tempo auch ein geringfügiger Kritikpunkt, der zwar insofern fast schon widerlegt werden muss, als man es hier erst mit dem ersten Band einer Mammut-Saga zu tun hat und eine diesbezügliche Drosselung zugunsten der Detailfülle fast schon wieder erforderlich ist, insgesamt aber doch mehrfach zu einigen kleinen Längen führt, gerade im letzten Drittel des Buches, welches nur noch die unterdrückte Liebelei der beiden Protagonisten thematisiert. Hier hätte Sandemo sicherlich etwas kompakter agieren können, was man ihr aber aufgrund des begeisternden Erzählstils (der auch in der Übersetzung sehr schön zum Tragen kommt) kaum übelnehmen darf.

Daher muss man den Einstieg in diese stilistisch vermischte „Saga vom Eisvolk“ auch als durchweg gelungen und entsprechend auch als empfehlenswert bezeichnen. Zwar wollen sich noch keine magischen Gefühle einstellen, doch fühlt man sich in der Welt von Tengel, Silje und ihren beiden Waisenkindern auf Anhieb wohl, ist bereit, ihr Schicksal zu teilen und es mit ihnen gemeinsam zu bestreiten. Beste Voraussetzungen also, um die Serie endgültig auf dem deutschen Markt zu etablieren!

|Originaltitel: Sagan om Ísfolket 1: Trollbunden
Originalverlag: Boknöje ab 1982
Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt
Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs
Taschenbuch, 320 Seiten|
http://www.blanvalet.de
http://www.margitsandemo.se/

Katzenbach, John – Fotograf, Der

John Katzenbach hat sich mit Thrillern wie „Die Anstalt“, „Das Opfer“ oder „Der Patient“ in letzter Zeit zum Bestsellerautor gemausert. Dabei schreibt er nicht erst seit gestern. Deshalb veröffentlicht Knaur jetzt einen Roman wieder, der unter dem Titel „Das Auge“ bereits vor zwanzig Jahren veröffentlicht wurde. Das Buch wurde völlig neu bearbeitet und heißt jetzt „Der Fotograf“.

Der Fotograf ist in diesem Fall Douglas Jeffens, der nach einer unschönen Kindheit zum Mörder wurde. Eins seiner Opfer ist Susan, die Nichte von Detective Mercedes Barren. Obwohl man jemanden fand, der zur gleichen Zeit weitere Mädchen in Miami umgebracht hat, glaubt Mercedes nicht daran, dass dieser Täter auch Susan auf dem Gewissen hat. Es muss noch einen Mörder geben. Sie macht sich auf die Suche und stößt dabei auf Martin Jeffers, Douglas‘ Bruder, der nichts von Douglas‘ Geheimnis weiß beziehungsweise wissen will. Er hat es zwar schon immer geahnt, doch nie wahrhaben wollen.

Gemeinsam mit Mercedes macht er sich auf die Suche nach Douglas, der auf „Erinnerungsreise“ gegangen ist. Er hat kein gutes Gefühl dabei und ist sich auch nicht sicher, ob er Mercedes wirklich vertrauen kann. Gleichzeitig fährt Douglas durch ganz Amerika, auf dem Beifahrersitz die junge Literaturstudentin Anne, die den Auftrag hat, das mitzuschreiben, was Douglas zu erzählen hat – und was er tut. Douglas ist schließlich immer noch ein gefährlicher Serienmörder und Anne ist sich dessen ständig bewusst …

Auch wenn man den Namen Katzenbach stets in allen möglichen Bestsellerlisten findet, bedeutet das noch nicht, dass auch alles von ihm gut sein muss. „Der Fotograf“ hat sicherlich seine Vorzüge, aber auch einige bedeutsame Schwächen. Dazu zählt vor allem die Handlung. Das Buch hat weit über 600 Seiten, doch es kommt nur selten Spannung auf. Mercedes‘ Jagd auf Douglas ist recht spannungsarm, da dem Leser – im Gegensatz zum Detective – von Anfang an bekannt ist, wer Susan ermordet hat. Dadurch ist die einzige Frage, die man sich während der Lektüre stellt, wann sie Douglas denn endlich hat. Katzenbach konzentriert sich dabei nicht auf eine einzige Hauptperson, sondern auf mehrere. Dadurch wird der Leser mehr oder weniger allwissend, was auch nicht unbedingt einen positiven Effekt auf die Spannung hat. Zudem wird das Buch stellenweise sehr lang, da zu wenig passiert. Viele Dinge sind außerdem vorhersehbar oder werden nicht besonders spannend dargestellt.

Was auf der Habenseite steht, ist der Schreibstil. Katzenbach schreibt sehr akkurat und versucht, wirklich alles wiederzugeben. Dass er sich dabei nicht in Unwichtiges verstrickt, ist ihm hoch anzurechnen. Sein Wortschatz ist groß, sein Stil eher nüchtern. Er stellt Gefühle zwar dar, aber trotzdem bleibt stets eine gewisse Distanz zwischen Personen und Leser.

Die Personen sind gute Handarbeit, kommen durch diese Distanz aber nicht immer völlig zur Geltung. An einigen Stellen wirkt das Buch wie mit Handbremse geschrieben. Dabei gefallen die Charaktere eigentlich durch ihre ansprechende Ausgestaltung. Jede bzw. jeder hat eine Vergangenheit und ist sehr menschlich. Es gibt Ecken und Kanten und Katzenbach hält sich von Klischees fern. Mercedes erinnert beispielsweise anfangs an die taffe, etwas burschikose Polizistin, doch sehr bald muss man als Leser überrascht feststellen, dass sie durchaus auch sehr weiblich sein kann. Anders als manche Autorin schlachtet Katzenbach diese Tatsache aber nicht aus. Es ist sehr erfrischend, dass es keine obligatorische Romanze in „Der Fotograf“ gibt.

Der einzige Charakter, der etwas klischeehaft wirkt, ist ausgerechnet Douglas Jeffers, der Mörder. Seine Geschichte – schlechte Kindheit et cetera – ist wirklich schon oft dagewesen. Katzenbach hat dazu den Gegenpol in Form von Martin Jeffers geschaffen, der trotz ähnlicher Erlebnisse eben nicht kriminell geworden ist. Das ist geschickt gemacht, aber der Autor scheint das Potenzial dieses Gegensatzes nicht völlig auszuschöpfen. Zu wenig kommt der Konflikt zwischen den Brüdern zum Tragen.

„Der Fotograf“ ist ein Thriller, der nicht unbedingt spannend ist, aber immerhin gut geschrieben. Er hat viele Längen und kann selten mitreißen, Katzenbach schafft es aber, die Erlebnisse der einzelnen Charaktere in gute, dichte Worte zu fassen und anschaulich darzustellen.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.knaur.de

_John Katzenbach auf |Buchwurm.info|:_
[„Das Opfer“ 3414
[„Der Patient“ 2994
[„Die Anstalt“ 2688

Martin Edwards – Tote schlafen nicht

In einem kleinen englischen Dorf zweifelt ein Historiker an der Schuld eines ortsansässigen Mörders. Er stellt Fragen und versucht sich ungeschickt als Detektiv, was den wahren Täter so nervös werden lässt, dass er den lästigen Schnüffler (mund-) tot machen möchte … – Sehr britischer Krimi, der hinter einer idyllischen Szenerie menschliche Abgründe offenlegt. Die Handlung bietet weder inhaltlich noch formal Neues, hebt sich aber wohltuend von den Seifenoper-Krimis ab, die andere Autoren bzw. Autorinnen in ähnlichen Kulissen verbrechen.
Martin Edwards – Tote schlafen nicht weiterlesen

Lanzing, Kevin – Take Judo

_Kraken-Catchen auf dem Schachbrett_

‚The Timeless Sport Of Octopus Wrestling‘ – vielleicht ein seltsamer Untertitel für ein Strategiespiel, dessen thematischer Aufhänger nur insofern witzig ist, dass die Rahmengeschichte sich mit dem Ringkampf zweier oder vierer befeindeter Kraken beschäftigt. In „Take Judo“ steigen sie zusammen in einen schachbrettartigen Ring und versuchen jeweils, ihre Kontrahenten zugunfähig zu machen und ihre Arme von der direkten Verbindung zum restlichen Körper zu trennen. Seltsam? Auf jeden Fall …

_Spielidee_

In „Take Judo“ stehen sich zwei konkurrierende Kraken bzw. ein Team aus jeweils zwei Kraken auf einem 8 x 8 bzw. (im 4-Spieler-Modus) 10 x 10 Quadrate großen Feld gegenüber. Jeder Spieler erhält eine 2 x 2 Felder große Krakenfigur und jeweils acht Kraken, deren Basis jeweils auf einem Feld des Spielbrettes Platz findet. Bei der Startaufstellung positioniert man seinen Kraken nun jeweils in die Mitte der Randleiste des verwendeten Spielbretts, also quasi auf den Positionen von König und Dame auf dem Schachbrett. Nun wird diese Figur von ihren acht Armen regelrecht umzingelt, so dass sich von der einen Randseite zur anderen ein Halbkreis um den Kraken bildet. Bei zwei Spielern stehen sich die beiden Krakenaufstellungen gegenüber, bei vier Teilnehmern hingegen sind die Teams in einer gegenüberliegenden Position, nutzen aber alle Randflächen des Spielbretts.

Ziel des Spiels ist es nun, die gegnerische(n) Krake(n) insofern unschädlich zu machen, dass keine direkte Verbindung mehr zwischen allen Armteilen und der Krake bestehen. Hierzu ist es erforderlich, direkte Verbindungslinien zwischen den unterschiedlichen Elementen zu blockieren, indem man zum Beispiel seine eigene Figur zwischen Krake und Arm des Gegners bringt oder aber diesen dazu zwingt, sich quasi selber zu behindern, indem er eine eigene Armfigur zwischen Krake und einen zweiten Arm stellt.

Die Zugmöglichkeiten sind dabei vergleichbar mit den Handlungsalternativen einer Dame im klassischen Schach. Man darf diagonal, vertikal und horizontal unbegrenzt weit ziehen, allerdings natürlich nicht durch gegnerische oder eigene Figuren hindurch. Eine Einschränkung besteht diesbezüglich vor allem für die voluminösere Krakenfigur, die aufgrund ihrer verhältnismäßig großen Basis nicht jede Lücke nutzen kann.

Gezogen wird indes immer abwechselnd, wobei all diejenigen Figuren, die nicht mehr über besagte Verbindung verfügen, stillgelegt sind. Das Spiel ist bei zwei Spielern sofort zu Ende, wenn alle Arme vom Kraken abgetrennt sind und regungslos auf ihren Positionen verharren müssen. Bei vier Spielern ist ein Team erst dann geschlagen, wenn alle Elemente ihrer beiden Spielfarben ausgeschaltet sind.

_Spielmaterial_

Das Spielmaterial zu „Take Judo“ besteht aus vier hölzernen Puzzlestücken, die zu einem quadratischen Spielplan zusammengefügt werden, jeweils neun Spielfiguren (acht Arme und ein Krake) in den vier Spielfarben und natürlich der Spielanleitung. All dies wird in einem kleinen Holzkästchen aufbewahrt und ist dementsprechend schnell verstaut. Allerdings ist die Verarbeitung doch eher mäßig bis schwach, gerade was die Konstellation der Puzzlestücke betrifft, die sich bei kleinsten Bewegungen immer wieder lösen und für unfreiwillige Unterbrechungen sorgen. Auch die Spielfiguren sind ein wenig halbherzig konstruiert worden; die Farben haben schon nach dem Transport einzelne Schäden, das Handling ist auf dem sehr kleinen Spielfeld ebenfalls nicht wirklich angenehm, besonders wenn alle 36 Spielsteine im Einsatz sind. Bei einem fast schon unverschämt hohen Preis von 30 $ bzw. 33 $ (für den europäischen Markt) muss hier einfach echte Qualitätsware geliefert werden – wird sie aber nicht!

_Persönlicher Eindruck des Spiels_

Unter der Vielzahl der Schach-Abarten und –Varianten ist „Take Judo“ derzeit eine der interessantesten, vor allem was die durchweg strategische Konzipierung betrifft. Jeder Spieler ist von Beginn an mit den gleichen Möglichkeiten ausgestattet, so dass der gesamte Ablauf ausschließlich auf dem eigenen taktischen Vorgehen basiert, man für diesbezügliche Fehler dann aber auch sofort die Konsequenzen tragen muss. Schach lässt grüßen! Allerdings muss ich eingestehen, dass ich schon meine Befürchtungen hatte, das Spiel würde etwas langatmig werden, weil es grundlegend den Eindruck macht, die Finalsituation würde so schnell nicht eintreten. Man mag jedoch gar nicht glauben, wie schnell man sich selbst matt setzt bzw. in diese missliche Lage gebracht wurde, nur weil man eine oder zwei Figuren leichtsinnig ein Feld zu weit oder zu kurz geschoben hat. Bedingt dadurch, dass man Fehler nicht unmittelbar ausgleichen kann, indem man einen vorherigen Zug in der nächsten Bewegung wieder rückgängig macht, ist somit eine unerwartete Dynamik im Spiel, die vor allem die ersten Runden zu einem kurzweiligen, spannenden Vergnügen macht. Andererseits ist die Fortgeschrittenen-Variante nicht minder reizvoll, denn sobald man alle Tücken des Spiels kennt und sich vorsichtiger über das Spiel bewegt, steigt die Spannung ein weiteres Mal. Der Gegner ist besser geschult und der Schwierigkeitsgrad unverhältnismäßig größer, wobei dennoch jeder Zug verheerende Auswirkungen haben kann. Ganz zu schweigen vom ungleich komplexeren Spiel zu viert, welches zwar anfangs (und vor allem auch wegen der schwachen farblichen Trennung) etwas unübersichtlich ist, letzten Endes aber richtig viel Spaß macht. Gerade Planer und Strategen kommen hier voll auf ihre Kosten – wie im Übrigen in „Take Judo“ im Allgemeinen.

_Fazit_

„Take Judo“ ist ein feines, interessantes Strategiespiel und trotz des simplen Spielprinzips von enormer Tiefe. Dass das Spiel höchstwahrscheinlich dennoch die hiesigen Tische kaum erreichen wird, ist am indiskutablen Bezugspreis sowie den besonders deswegen qualitativ unterdurchschnittlichen Spielmaterialien festzumachen. Man mag zwar mit den begrenzten Mitteln eines Kleinverlags argumentieren, doch auch diesbezüglich gibt es auf Seiten des Konsumenten eine Toleranzgrenze, die hier deutlich überschritten wird. Schade ist es um die gute Idee, die hier wahrscheinlich untergeht bzw. nie die entsprechende Zielgruppe erreicht. Aber bei einem Endverbraucherpreis von rund 30 €uro für den europäischen Interessenten scheint dieses prinzipiell gute Spiel kaum mehr diskussionswürdig.

http://www.bluepantherllc.com/

Ruckley, Brian – Winterwende (Die Welt aus Blut und Eis 1)

Wir schreiben das Jahr 1102 des Dritten Zeitalters. Der Clan des Schwarzen Pfads, vertrieben aus seiner Heimat, durchquert das Land Car Criagar. Verfolgt von Stämmen der Wahren Geschlechter tritt der abtrünnige Clan die Flucht in den Norden an. Doch der Weg ist beschwerlich und nur die Stärksten haben eine Chance. Verwundete und Schwache müssen zurückgelassen werden, damit die letzten standhaften Krieger den Frauen und Kindern die Zuflucht in den Norden, in das Tal der Steine ermöglichen können. Viele tapfere Männer lassen ihr Leben, und als der Clan endlich sein Ziel erreicht, ist er auf wenige hundert Männer, Frauen und Kinder dezimiert.

150 Jahre später. Es ist viel passiert, die Länder und Herrschaftshäuser haben sich stark verändert. Die Wanderung des Schwarzen Pfads ist zur Legende geworden, die Geschichte wird nur noch am Kamin erzählt. Das Reich ist nun aufgeteilt in große Stämme, über die der Hoch-Than Gryvan oc Haig herrscht. Wer es wagt, seinen Herrschaftsanspruch in Frage zu stellen, muss mit einer harten Strafe rechnen. Wer sich nicht seinem Willen beugt, muss um sein Leben fürchten. Der Clan des Schwarzen Pfades jedoch ist längst aus dem Blickfeld des Thans und seiner Häuser geraten. Die einst Vertriebenen haben ihr Exil im hohen Norden angenommen. Seitdem herrscht Ruhe, an den nördlichen Grenzen zumindest ein stabiler Waffenstillstand.

Doch die Zeichen stehen auf Sturm und eine Rückkehr des Clans, der sich für die Vertreibung in den Norden nach all den Jahren rächen will, steht kurz bevor. Der Than hat die Exilanten aus dem Blickfeld verloren und bemerkt erst viel zu spät, dass sie sich erheben – aus einem Land aus Stein, Schnee und Eis.

„Winterwende“ nennt sich der Auftakt der neuen Saga „Die Welt aus Blut und Eis“, das schriftstellerische Debüt des Autors Brian Ruckley. Ganz im Stil George R. R. Martin versucht sich Ruckley an einer epischen Erzählung, die rau, brutal und erbarmungslos daherkommt. Doch kann „Winterwende“ dem Vergleich zum Genrekönig „Das Lied von Eis und Feuer“ standhalten?

_Inhalt_

Orisian nan Lannis-Haig ist zu Besuch bei seinem Onkel Croesan auf der Burg Anduran, als er zusammen mit seinem Neffen Naradin auf die Jagd geht. Orisian ist erst 16 Jahre alt, doch bereits ein geschickter Jäger und gewandt auf dem Rücken eines Pferdes. Mit der Erfahrung seines Neffen, der erst kürzlich geheiratet und einen Sohn gezeugt hat, der eines Tages als auf der Burg Anduran herrschen soll, kann es der Junge aber noch nicht aufnehmen. Doch auch Naradin hat sich den Kampf mit dem Eber, den er und Orisian schließlich stellen, wesentlich einfacher vorgestellt. Denn das Tier sucht nicht, wie üblich, sein Heil in der Flucht, sondern geht zum Angriff über. Als Naradin es schließlich erlegt, entdeckt dieser den Grund für dessen eigenartiges Verhalten. Eine abgebrochene Pfeilspitze, die noch im Fleisch steckt, muss es zum aussichtslosen Kampf getrieben haben. Auch die Pfeilspitze gibt Rätsel auf, denn Naradim kann sie den Kyrinin zuordnen, den Waldelfen. Doch es ist lange her, dass sie sich so weit in die Nähe der Menschen gewagt haben. Was muss in dem rauen, schneebedeckten Land hoch im Norden vor sich gehen, dass sich Tiere wie auch Kyrinin so dicht an die Grenzen der Menschen heranwagen?

Orisian kehrt einige Tage später wieder nach Kolglas zu der Burg seines Vaters zurück. Dort beginnen bereits die Vorbereitungen für das große Fest zur Winterwende. Um Orisians Vater Kennent steht es allerdings schlecht. Denn seit vor vielen Jahren eine Krankheit Kennets Ehefrau und seinen ältesten Sohn dahinscheiden ließ, hat der Herrscher über Kolglas jeden Lebenswillen verloren. Orisian und Anyara, seine Tochter, sind das Einzige, was Kennet noch geblieben ist. Das Winterfest, so hoffen Orisian und seine Schwester, wird nicht nur die Stadt und die Burg, sondern auch Kennet, zumindest für ein paar Tage, die dunklen Stunden der Trauer vergessen lassen. Doch es kommt zu einem unerwarteten Angriff, bei dem die Burg in Schutt und Asche gelegt wird und Orisian und Anyara gefangen genommen werden.

Zur selben Zeit belagert Hoch-Than Gryvan oc Haig weit im Süden die Feste An Caman, um Abtrünnige des Dargannan-Clans, die sich seiner Herrschaft widersetzt haben, auszubluten. Mit Männern aller ihm unterstehenden Häuser hat er die besten Kämpfer aus den nördlichen Landen abgezogen. Und während der Hoch-Than kurz davorsteht, einen leichten, aber unbedeutenden Sieg einzufahren, bemerkt er nicht, wie der Norden überrannt wird.

_Bewertung_

Brian Ruckley fährt mit „Winterwende“ ein wahrlich beachtliches Debüt auf. Der Prolog zieht den Leser direkt in die Geschehnisse hinein und lässt ihn bis zum Schluss nicht mehr los. „Winterwende“ ist grausam und brutal ist, ergeht sich allerdings nicht in blutigen Schilderungen, sondern lässt den Leser durch die raue und umbarmherzige Umgebung am harten Leben der Protagonisten teilhaben. Sprachlich versiert vermischt Ruckley den rauen Ton der Geschichte mit der eisigen Winterwelt. Die Kombination gelingt und ergibt ein stimmungsvolles Ganzes.

Obwohl Ruckley darauf achtet, nur kleine Ausschnitte zu zeigen, wird die Welt bereits nach wenigen Seiten plastisch, als wäre sie historisch mit der Zeit gewachsen. Das gelingt den meisten Autoren selbst nach seitenlangen Beschreibungen über historische Hintergründe nicht. Wo andere sich verzweifelt bemühen, ihre Geschichte plausibel rüberzubringen, aber lediglich die Welt um die viel zu konstruiert wirkende Handlung anlegen, schafft es Ruckley, seine Geschichte als Teil eines großen Ganzen darzustellen. Gerade dadurch vermittelt „Winterwende“ Realismus, der zu fesseln weiß, ohne die fantastischen Elemente in den Hintergrund zu drängen.

Ruckley richtet seine Erzählung, obwohl er keine geringe Anzahl an Personen einführt und die Schicksale vieler Charaktere über die Grenzen ihrer Völker hinweg miteinander verbindet, auf einige wenige Personen und Schauplätze. Er lässt bewusst weiße Flecken auf der Landkarte, die er erst mit der Zeit (und vermutlich erst mit den nächsten Bänden) allmählich gestalten wird. Im Gegensatz zu George R. R. Martin, der aufgrund der epischen Breite und Erzählstruktur tatsächlich als Referenz herangezogen werden kann, erzählt Ruckley jedoch nicht aus der Sicht vieler Personen, sondern beschränkt sich auf zentrale Figuren. Gerade dadurch wird ihr Überlebenskampf im hereinbrechenden Winter(krieg) umso deutlicher und bietet Identifikationsmöglichkeiten für den Leser.
Ruckley nimmt keine Einteilung in Gut und Böse vor, schafft es jedoch noch nicht, seine Charaktere so bunt und tiefgründig zu zeichnen, wie es ein Martin vermag. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, vor allem nicht angesichts eines bis zum Ende hin steigenden Spannungsbogens, der bis zum Finale gehalten wird.

Weniger geglückt, aber nicht dem Autor zuzuschreiben ist die eher zweckmäßig zu bezeichnende Karte, welche die Länder und Orte abbildet. Die wichtigsten Städte, Burgen und Regionen sind eingezeichnet, hübsch sieht das allerdings nicht aus. Hilfreich ist sie trotzdem, ebenso wie die Zeittafeln und Namensregister, die die Orientierung erleichtern. Vor allem die Namen sind anfangs gewöhnungsbedürftig, tragen jedoch unweigerlich zur Atmosphäre der miteinander in Verhältnissen stehenden Herrschaftshäusern bei.

Bewusst verzichtet wurde auch auf die klassischen Fantasyelemente. Fantastische Wesen gibt es schon einmal gar nicht. Obwohl Elfen auftauchen, allerdings in der Bezeichnung der Kyrinin, unterscheiden sie sich deutlich von ihren herkömmlichen Artgenossen. Dem Grundtenor des Romans angemessen sind sie ebenso unbarmherzig, rau und kalt wie die Wälder um sie herum. Magie wirken die Kyrinin daher ebenso wenig, und wenn überhaupt von Magie die Rede ist, dann in einer unklaren, mysteriösen Form, die eher unserem weltlichen, im Mittelalter üblichen Verständnis für Zauberei nahekommt.

Brian Ruckley gelingt mit „Winterwende“ ein rundum gelungenes Debüt. Die Erzählung ist vielschichtig, die Welt komplex und nicht einfach in Schwarz und Weiß eingeteilt und die Charaktere besitzen Profil. Hie und da merkt man dem Autor an, dass es sein Erstlingswerk ist, doch das fällt angesichts der überzeugenden Gesamtleistung kaum ins Gewicht. Bis zum Ende mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen und hofft darauf, dass diesem Werk möglichst bald weitere aus der Feder Ruckleys folgen. Diesen Autor sollte man im Auge behalten – sein Stil ist frisch, klar und stimmungsvoll.

http://www.piper-verlag.de/fantasy

Abnett, Dan / Edginton, Ian / Antonio, Lui – Warhammer 40.000: Kreuzzug der Verdammten (Band 1)

_Story_

Raclaw wächst als treugläubiger Krieger im Corps der Black Templars auf und erarbeitet sich im Orden der Space Marines alsbald eine Position als Novize. Unablässig streitet er für die Normen und Werte des Imperators und widersetzt sich in zahlreichen entscheidenden Schlachten dem universellen Ungeziefer. Orks, Eldar und schier unzerstörbare Necrons stellen sich ihm in den Weg, doch nicht zuletzt mit der Unterstützung der unsterblichen Kampfmaschine Tankred gelingt es ihm und seinen Mitstreitern stets, die feindlichen Legionen vernichtend zurückzuschlagen. Sein ganzes Leben ist lediglich auf das höchste aller Ziele ausgerichtet; eines Tages will auch Raclaw in die Bruderschaft der Black Templars aufgenommen werden. Und für diese Ehre setzt er in jeder noch so aussichtslosen Schlacht ohne jegliche Furcht sein Leben aufs Spiel …

_Persönlicher Eindruck_

Es ist ja allgemein bekannt, dass die literarischen Adaptionen aus der Welt von „Warhammer“ respektive „Warhammer 40.000“ bislang zumeist hinter den hohen Erwartungen zurückblieben, weil sie einfach nicht die tolle Atmosphäre der gleichnamigen Tabletop-Simulation wiederzugeben vermochten. Zu sehr setzten bewährte Schreiber wie Dan Abnett oder Graham McNeill auf wenig ausgeprägte militante Endzeitszenarien und inhaltlich unbefriedigend durchdachte Durchschnittskost, von der sich letzten Endes immer mehr begeisterte Strategiespieler enttäuscht abwendeten. Aus diesem Grund durfte man umso mehr auf die erste illustrierte Fassung aus dem Universum des |Games Workshop|-Ablegers gespannt sein, zumal auch hier die Erwartungen hoch sind. Wieder einmal hat sich Dan Abnett die Gelegenheit nicht nehmen lassen, die Story zum Comic-Debüt „Kreuzzug der Verdammten“ zu konzipieren – und wieder einmal hat der erfahrene „Warhammer“-Schreiber bei der Gestaltung eines zugleich spannenden und sphärisch dichten Plots versagt.

Bereits die Inhaltsangabe lässt Schlimmes vermuten; die Handlung wird zwar stringent bis zum Ende durchgezogen, ist aber im Grunde genommen ein echter, uninspirierter Langweiler, der lediglich vom Schlachtengetümmel und der kompromisslosen Ehrerbietung dem Imperator gegenüber berichtet. Im steten Rhythmus wird der Leser mit neuen Kostproben der militanten Maschinen konfrontiert, ohne dass Abnett bei der Beschreibung der Szenarien zu weit in die Tiefe gehen würde. Meist folgen einigen brutalen Zeichnungen auch schon wieder völlig irritierende Gedankensprünge, die den Begriff ‚Handlung‘ bisweilen gar nicht mehr nachvollziehen lassen, da eine solche zumindest einzelne Zusammenhänge erfordert. Jene bestehen aber selbst bei genauerer Betrachtung nur teilweise und lassen sich einzig und allein am Werdegang Raclaws festmachen. Der junge Novize macht eine beispielhafte Karriere an vorderster Front, wird mit der Zeit zum gefeierten Helden und stirbt zum Schluss eines ehrenvollen Todes. Mehr geschieht eigentlich nicht. Ab und an bemüht man sich zwar, mit einigen Nebensträngen etwas Leben in den statischen Ablauf der Story hineinzubringen, doch scheitert dies durch den latenten Mangel an fließenden Übergängen. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist aber auch irrelevant, wo sich welcher Protagonist zu der gegebenen Zeit befindet, weil die erforderliche Linearität längst nicht mehr gegeben ist. Man erlebt zwar, wie sich Raclaw und auch der kompromisslose Tankred von Erfolg zu Erfolg winden und sich siegessicher durch die düsteren Zeiten im „Kreuzzug der Verdammten“ kämpfen, jedoch fehlt es von Beginn an einem relevanten Beziehungsgebilde, welches der Geschichte eine gewisse Struktur gibt – und ohne dergleichen funktioniert derlei nun mal einfach nicht.

Im Kontrast hierzu sind die Zeichnungen der ersten Graphic Novel eine Augenweide und trotz ihrer rauen Grundrisse sehr stimmig und präzise den Vorlagen des Tabletop-Games nachempfunden. Gerade die detailgetreue Darstellung der Maschinen und Kämpfer ist eine wahre Pracht und verleiht „Kreuzzug der Verdammten“ jene majestätische Ausstrahlung, die von der blassen Story leider wieder völlig verwischt wird – womit wir wieder bei der Problematik wären, die auch das Gros der „Warhammer“-Roman-Literatur beherrscht. Die guten Voraussetzungen werden nämlich nur sehr bedingt genutzt und zu Lasten unnützer Plattitüden geopfert. Damit wurde letztendlich eine echte große Chance leichtfertig vertan; gerade im Comic-Bereich schien der militante Kosmos der futuristischen Tabletop-Landschaft nämlich bestens aufgehoben. Die inhaltlich mangelhafte Umsetzung im Debütband zeigt aber seltsamerweise, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss – leider!

http://www.paninicomics.de/warhammer-40000-s10517.html

Daschkowa, Polina – falsche Engel, Der

Polina Daschkowa gehört zu den bekanntesten russischen Autorinnen. Ihr neuestes Buch „Der falsche Engel“ ist typisch Daschkowa – und doch wieder nicht. Auf der einen Seite hat man wie gehabt eine verwobene Handlung, viele Personen, deren ungewohnte Namen man sich nur schwer einprägen kann, und ein nicht besonders positiv dargestelltes Russland. Auf der anderen Seite hat man zugleich eines der besten Bücher der Russin in Händen.

Der verwöhnte Unternehmersohn Stas, der einfach nicht erwachsen werden will, wird aus seinem Luxusleben aufgeschreckt, als er eines Tages beobachtet, wie vermummte Männer sein Auto in die Luft zu sprengen versuchen. Es scheint, als ob jemand hinter ihm her ist. Nur wer? Er kann sich das nicht erklären und dann wird auch noch sein Chauffeur erschossen. Seine Eltern haben Angst um ihn und da sein Vater Wladimir nur wenig von der Miliz hält, beauftragt er seinen Freund Raiski, sich um seinen Sohn zu kümmern.

Er kann natürlich nicht ahnen, dass Raiski auf zwei Hochzeiten tanzt: Er beschützt nicht nur Stas, sondern benutzt ihn auch oder zumindest sein Gesicht. Raiski lässt Major Sergej Longinow mittels plastischer Chirurgie zu einem Ebenbild von Stas operieren. Sergej soll für eine Weile Stas‘ Leben führen, um einen persönlichen Rachefeldzug für Raiski zu führen, während der echte Stas im „Urlaub“ ist. Doch worauf zielt Raiski ab? Und an wem will er sich rächen?

„Der falsche Engel“ verbindet viele verschiedene Handlungsstränge, die schließlich in einem gewaltigen Knoten enden. Irgendwie hängt alles zusammen, jede Person hat eine Aufgabe in der Geschichte. Das sorgt, vor allem dank Daschkowas spannender und erdiger Erzählweise, für eine Menge Spannung. Die Handlung an und für sich ist zwar an einigen Stellen etwas zu verworren, schlägt sich aber in Anbetracht der Masse von Ereignissen erstaunlich gut. Die russische Autorin schafft es tatsächlich, aus einer Menge loser Enden, die anfangs unabhängig voneinander scheinen, ein dicht gewebtes Netz von Geschichten zu spinnen. Dabei schlägt sie ein flottes, aber nicht rasantes Erzähltempo an und hält sich nicht an Kleinigkeiten auf. Sie sorgt vielleicht nicht von der ersten bis zur letzten Seite für Hochspannung, aber eine gewisse unterschwellige Spannung ist stets vorhanden und macht das Buch lesenswert.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen, wie so oft bei Polina Daschkowa, Kriminelle, unbescholtene Bürger, die plötzlich mit dem Verbrechen in Berührung kommen, und vor allem Menschen, die alle eine dunkle Seite haben. Was an „Der falsche Engel“ besonders gefällt, ist die Tatsache, dass die Autorin, anders als in beispielsweise [„Keiner wird weinen“, 4224 völlig darauf verzichtet, ihre Figuren beinahe lächerlich überzeichnet darzustellen. Stas ist zwar ein Muttersöhnchen, wie es im Buche steht, aber dieses Mal gibt es keine dickliche, unverheiratete und deshalb frustrierte Russin. Vielmehr setzt Daschkowa auf ernste, tiefgründige Charaktere. Das tut dem Buch sehr gut. Es steigert die Spannung und den Nervenkitzel, der nicht durch witzige Zwischenspiele aufgelockert wird. Die Charaktere sind dabei wie gewohnt gut ausgearbeitet und anschaulich dargestellt. Das Einfließen von vergangenen Erlebnissen und Gedanken sorgt dafür, dass das Buch nicht zu handlungslastig wird, sondern den Fokus auch auf die Personen legt.

Einziger Wermutstropfen bei der Lektüre ist der Schreibstil. Nicht, dass er nicht gut wäre. Daschkowa schreibt auf den Punkt genau. Sie verliert nicht viele Worte, sondern schildert in klarer, beobachtender Sprache, was um die einzelnen Perspektiven herum passiert. Der Stil erinnert dabei weniger an einen Krimi als an einen guten Roman, denn sie schreibt sehr literarisch. Sie verzichtet auf wertende Emotionen innerhalb des Textes, sondern beschreibt beinahe stur, was passiert. Manchmal ist sie dabei aber etwas unaufmerksam. Sätze, die Zusammenhänge zwischen Absätzen erklärt hätten, scheinen an einigen Stellen zu fehlen. Dadurch hat man als Leser das Gefühl, als ob ein Sprung in der Geschichte vorkäme. Da dies nicht nur einmal passiert, sondern öfter, wird die Lektüre ab und an etwas kompliziert.

Allerdings ist dies nur ein kleines Manko. Da es sich zumeist nicht um handlungsrelevante Dinge handelt, die vorschnell abgehandelt werden, kann man darüber wegsehen. Immerhin hat „Der falsche Engel“ genug Positives zu bieten. Die Handlung ist flott, spannend und unglaublich gut ausgedacht, der Schreibstil gefällt durch seine nüchterne Betrachtungsweise und die Personen sind toll ausgearbeitet. Wer von Polina Daschkowa trotz ihrer zahlreichen, deutschen Veröffentlichungen noch nichts gehört hat, der sollte zu „Der falsche Engel“ greifen. Bei diesem Buch handelt es sich nämlich ohne Frage um eines der besten der Russin.

http://www.aufbauverlag.de

|Polina Daschkowa auf Buchwurm.info:|
[„Für Nikita“ 807
[„Keiner wird weinen“ 4224

Arleston, Christophe / Labrosse, Thierry – Morea 1: Das Blut der Engel

_Story_

Kuba im Jahre 2082: Die Doloniac World Company dominiert die Geschicke der Weltwirtschaft und ist mittlerweile zum mächtigsten Konzern auf Erden angewachsen. Im riesigen Familienunternehmen ist auch Nathan Doloniacs Urgroßnichte Morea beschäftigt, wenngleich sie aufgrund ihrer Schludrigkeit bei ihren Vorgesetzten nicht immer gerne gesehen ist. Als die Zentrale der DWC eines Tages von einer organisierten Terror-Organisation angegriffen und die gesamte Familie ausgelöscht wird, scheint das Unternehmen am Ende. Die Erbfolge wurde komplett durchbrochen, die verbliebenen Überlebenden der Doloniac-Familie rücksichtslos umgebracht.

Nur für Morea scheint es ein Leben nach dem Tod zu geben. Trotz tödlicher Verletzungen konnte sie dem Gewaltakt trotzen, hat allerdings im Jenseits erfahren, wo die Ursache für ihr scheinbares Glück liegt. Ihr wird mit einem Mal bewusst, dass sie ein entscheidendes Element im Zwist zwischen Engeln und Drachen geworden und dank ihres speziellen genetischen Codes unsterblich ist. Als Führungskraft der DWC kehrt sie alsbald zurück, um ihre Familie zu rächen, ihr eigenes Leben zu beschützen und den Erwartungen der Drachen in diesem infernalischen Krieg gerecht zu werden. Denn trotz allem scheint ihre Unsterblichkeit lediglich relativ zu sein …

_Persönlicher Eindruck_

Als einer der angesagtesten Fantasy-Autoren im französischen Comic-Sektor hat Christophe Arleston in den vergangenen Jahren einige markante Spuren in der internationalen Szene hinterlassen können. Hierzulande schaffte er es vor allem mit seinen Geschichten aus Troy sowie der bei |Carlsen| veröffentlichten Serie „Die Feuer von Askell“ in die Hitlisten, lediglich getoppt vom |Splitter|-Debüt „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“, welches unlängst auch schon in die vierte Runde gegangen ist.

Mit seiner neuen futuristischen Fantasy/Science-Fiction-Saga „Morea“ möchte er nun an seine jüngsten Erfolge anknüpfen, was unter den gegebenen Voraussetzungen – Setting und Story des ersten Bandes sind durchaus interessant – auch ein problemloses Unterfangen zu sein scheint. Allerdings fehlt es „Das Blut der Engel“ noch an gewissen eigenständigen Elementen, um sich auf Anhieb als Senkrechtstarter zu manifestieren. Vor allem die Figuren lassen eine besondere Identität missen, sozusagen das gewisse Etwas, das ihren Charakter in der weiten Welt der Comic-Heroen prägnant herausstellt – und genau diese Entwicklung hat einen recht großen Einfluss auf den Verlauf der einleitenden Geschichte.

Andererseits ist „Das Blut der Engel“ ein sicheres Unterfangen. Die Handlung beginnt und bleibt temporeich, die verarbeiteten Ideen bürgen für kontinuierlich hohe Spannung und auch das zeichnerische Fundament setzt sich als eines der besten Kooperationswerke Arlestons umgehend fest. In diesem Sinne muss auch die tolle Hintergrundstory erwähnt werden, die dem Ganzen erst die entsprechende Würze verpasst und die zunächst noch nicht vermutete Komplexität äußerst würdevoll darstellt. „Morea“ mag zwar strikt und stringent aufgebaut sein, schlicht ist der Plot jedoch bis dato sicher nicht.

Dass es vorerst aber noch nicht zum sofortigen Durchbruch reicht, ist ergo auch fast ausschließlich an den weniger präzise entwickelten Figuren festzumachen. Individuell fehlen entscheidende persönliche Merkmale, was sich teils auch für die Basis der Storyline sagen lässt. Arleston kann diese vergleichbar geringen Defizite zwar im Prinzip wieder spielerisch mit einem wahrhaftigen Geschwindigkeitsrausch beheben, könnte durch die effizientere Nutzung sich bietender Freiräume aber sicher noch ein ganzes Stück mehr aus der Grundidee herausholen.

Nichtsdestotrotz sind „Morea“ respektive „Das Blut der Engel“ Qualitäten definitiv nicht abzusprechen. Die Story ist spannend und kurzweilig, das grundlegende Szenario sehr vielversprechend. Berücksichtigt man unter diesem Aspekt, dass dieser neue Zyklus gerade erst den Auftakt eines fünfteiligen Spektakels durchlebt, kann man die geringfügigen Schwächen auch leicht wieder vergessen. Im Vergleich zu manch anderem selbsternannten Spartenhighlight hätte dieser erste Band diesen Status nämlich trotz allem noch verdient.

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Koontz, Dean – Trauma

_Handlung_

Kurz vor Jimmy Tocks Geburt liegt sein Großvater im Sterben und sagt die genaue Größe und das Gewicht des zu erwartenden Kindes voraus. Aber nicht nur das, denn er prophezeit seinem Enkel noch fünf furchtbare Tage in seinem zukünftigen Leben, samt der genauen Daten. Und gleich bei seiner Geburt scheinen sich die bösen Omen zu verdichten, denn ein wahnsinniger Clown läuft im Krankenhaus Amok und richtet ein Blutbad an. Kurz vor der Flucht verspricht der wahnsinnige Mörder Jimmy Tocks Vater, dass er ein Auge auf dessen Familie werfen wird …
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Shocker, Dan – Im Leichenhaus (Larry Brent, Band 8)

_Um Mitternacht im Leichenhaus_

Der Komponist Henry Olander verunglückt mit seinem Wagen auf einer Küstenstraße tödlich. Seine junge Witwe Karen möchte nach dessen Beerdigung nicht alleine sein, daher bietet ihre beste Freundin – die Schauspielerin Judy Bartmore – der Trauernden an, die nächsten Tage bei ihr und ihrem Ehemann Ernest zu verbringen.

Judy möchte am selben Abend noch ein paar Sachen für Karen aus dem Haus des Verstorbenen holen, als sie im Kleiderschrank auf eine Leiche stößt. Bevor sie sich jedoch näher mit dem Toten befassen kann, wird sie von einem Unbekannten betäubt, und der Angreifer sowie der Körper des Ermordeten sind nach ihrem Erwachen spurlos verschwunden.

Von diesem Moment an hat es wohl jemand auf das Wohlbefinden der Schauspielerin abgesehen. Ein anonymer Anrufer droht ihr permanent mit dem baldigen Tod, und ein gesichtsloser Mann entführt sie eines Nachts in ein Leichenhaus, in dem sie zu allem Überfluss mit dem ermordeten John Taylor konfrontiert wird; einem entwischten Häftling, der sich in an diesem makaberen Ort verstecken wollte, dort aber anscheinend von einer nicht ganz so toten Leiche niedergestochen wurde. Glaubte die Bartmore anfänglich noch, dass ihr ihre ohnehin schon angegriffene Psyche einen bösen Streich spielt, werden die Angriffe auf die Dame zusehends heftiger.

Letztendlich muss auch Larry Brents Schwester Miriam, die in Salisbury zusammen mit der Bemitleidenswerten an einer Theaterpremiere arbeitet, feststellen, dass man ihrer populären Schauspielkollegin tatsächlich nach dem Leben trachtet. Als Miriam beinahe selbst dem unheimlichen Gesichtlosen zum Opfer fällt, wird umgehend X-RAY-3 eingeschaltet, welcher sowieso bereits mit der gesamten Familie Brent in Salisbury weilt, um der Premierenfeier seiner Schwester beizuwohnen.

Larry deckt ein unglaubliches Komplott auf und wird am Ende mit einer gewaltigen Überraschung konfrontiert …

Ein wenig zu durchsichtig erschienen mir der klassische Autounfall und der mögliche Unfalltod einer gewissen Person, welches wie schon öfters einen Rattenschwanz an ominösen Ereignissen nach sich ziehen musste. Schon gleich auf den ersten Seiten stellte sich die Frage: Na, ist denn unser lieber Mr. Olander auch wirklich umgekommen? Erinnerungen an solche Geschichten wie „Die Treppe ins Jenseits“ (BLITZ-Band 3 „Die Todestreppe“) oder einfach nur „Die drei ??? und das Gespensterschloss“ ließen hier doch berechtigte Zweifel am Ableben Henry Olanders aufkommen.

Dennoch bastelt Shocker einen atmosphärisch absolut ansprechenden und gut durchdachten Grusel-Krimi zusammen, der mit einigen richtig stimmungsvollen Szenerien bestückt wird. Vor allem die schleichende Bedrohung gegen Judy Bartmore, die ebenso ahnungslos scheint wie der Leser, bereitet einige Stunden Vergnügen. Auch das nächtliche Treiben im Leichenhaus mit dem seligen Taylor und der wandelnden Leiche sorgen für die gewisse Portion Grusel.

Ab der Hälfte der Geschichte blickt man dennoch im Gegenteil zur gebeutelten Judy recht schnell hinter die Kulissen dieses düsteren Komplotts und ahnt, dass der Übeltäter am Ende wohl nicht allzu paranormal aussehen dürfte.

Alles in allem zwar nicht |der| Riesenknaller, aber eine passende Lektüre für einen nebligen kalten Herbstabend mit einer Tasse Tee oder einem Gläschen Whisky und dem obligatorischen Kürbis auf dem Fensterbrett …

_Im Todesgriff der Schreckensmumie_

Die siebenköpfige Expeditionsgruppe des englischen Gelehrten Eldin Jameson in Helwan (Ägypten) wird nach dem erfolgreichen Auffinden der Grabkammer der vierarmigen Hohepriesterin Khto-Ysiro anscheinend von einem schrecklichen Fluch verfolgt. Vier Teilnehmer aus dem Forscherteam sind seit der Rückkehr bereits verstorben, wobei die eigenartigen Todesfälle in der Öffentlichkeit als Unfälle abgetan werden. Jameson selbst gilt als verschwunden.

David Gallun alias X-RAY-1 ist von dieser Theorie nicht überzeugt und beauftragt den PSA-Agenten X-RAY-17 mit den entsprechenden Nachforschungen. Es haben sich Hinweise darauf ergeben, dass die Mumie der Priesterin aus der Pyramide in Helwan nach London geschmuggelt wurde. Bevor die PSA jedoch an präzisere Hinweise gelangen kann, wird X-RAY-17 ebenfalls ermordet.

Umgehend werden Larry Brent und Iwan Kunaritschew auf den Fall angesetzt. Zufälligerweise konnten sie schon im Vorfeld einen gewissen Professor Bunter – ebenfalls ein Mitglied der Jameson-Expedition – auf der Straße vor einem Mordanschlag bewahren. Larry wird nach London geschickt, um dort für die Sicherheit der beiden überlebenden Gelehrten zu sorgen und mehr über die wahren Beweggründe der Expedition herauszufinden.

Iwans Weg führt nach Ägypten zu der Pyramide der Priesterin Khto-Ysiro, wo er sich zusammen mit dem PSA-Vertrauten Achman durch das beklemmende Labyrinth der Grabkammer kämpfen muss. Hier treffen sie auf die treuen und wiedererwachten Anhänger der geheimnisumwitterten Priesterin, die sich selbst auch als die Anhänger der Schwarzen Göttin bezeichnen. Sehr schnell stellt sich heraus, dass diese Gottheit und die Priesterin zu ein- und derselben Person geworden sind und dass diese Dame durch die Handlungen der Jameson-Expedition wieder zum Leben erweckt worden ist, wie es die alten Schriften bereits vorausgesagt haben.

In London muss sich Larry auch tatsächlich mit der leibhaftigen Khto-Ysiro herumschlagen und kann dabei nicht verhindern, dass er selbst in ihren tödlichen Bann gerät …

Die titelgebende Mumie ist kein modriger, in Bandagen gewickelter Leichnam, sondern eine wohl recht ansehnliche Dame, die aufgrund einer Missbildung mit vier Armen bestückt ist. Dan Shocker geht in diesem Fall mal wieder recht fantasievoll und innovativ zu Werke.

Nur eben die tatsächliche Handlung ist nicht allzu einfallsreich und neuartig. Da laden die Expeditionsteilnehmer einen tödlichen Fluch auf sich, weil sie mal wieder trotz aller Warnungen in der Grabkammer einer ägyptischen Prominenz zugange waren. Natürlich muss nun einer nach dem anderen sein Leben lassen. Auch die obligatorischen Anhänger dieser Dame und ihre recht wirren Riten wollten mir nicht wirklich schmecken – hatte ich schon mal erwähnt, dass ich keine Sekten-Storys mag?

Einfach zu konstruiert und übers Knie gebrochen gestalteten sich die Ereignisse in der Pyramide, wobei mir die beklemmende Atmosphäre da unten in dem engen Grabmal mit seinen vielen, düsteren Gängen hingegen ganz gut gefallen hat.

Zusätzlich hatte ich immer wieder den Eindruck, als ob Shocker selbst nicht so genau wusste, wie er denn die Existenz der Khto-Ysiro nun tatsächlich erklären soll; er verfängt sich zunehmend in den wildesten Theorien, welche sich aber nur schwerlich zu einem einheitlichen Bild verweben lassen. Und genau diese vielen Facetten werden dann abrupt und Hals über Kopf einem schnellen Ende zugeführt – schade!

_Insgesamt_

Und wieder sind in diesem Band zwei gänzlich unterschiedliche Abenteuer aus dem Larry-Brent-Universum verpackt. Zuerst ein düsterer Mystery-Thriller und anschließend eine klassische Gruselgeschichte, die mit altägyptischer Mumien-Magie verquickt wird. Der |BLITZ|-Verlag hat natürlich sein vorbildliches Lektorat auf den Text angesetzt, Sätze aus der Originalvorlage wie „… Vom Speiseraum aus führte eine Tür in eine Art Rumpelkammer, die als Lift getarnt war …“, die zu unfreiwilliger Komik führten, wurden entsprechend korrigiert oder zum Vorteil des Leseflusses gelegentlich auch entfernt.

Die Geschichte „Im Todesgriff der Schreckensmumie“ wird sogar mit einem zusätzlichen Anfang bestückt. Hier werden vor den dramatischen Ereignissen um Jerome T. Pratch zusätzlich auch die Todesfälle von Frank Burling und Professor Harris beschrieben.

Pat Hachfeld hat diesmal zwei wirklich sehr ansprechende Illustrationen zum Besten gegeben – keine metaphorischen oder symbolträchtigen Werke, sondern die nahezu lebensechte Wiedergabe von Larrys Gegenspielern aus der jeweiligen Handlung.
Beide Geschichten zählen zwar leider nicht unbedingt zu den besten der Serie, dennoch lassen sich hier allemal ein paar Stunden netter Unterhaltung in einem ansprechenden Rahmen für einen dunklen Herbstabend ausfüllen …

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Johns, Geoff (Autor) / Eaglesham, Dale (Zeichner) – Justice Society Of America 1

_Story_

Ein Jahr nach der Infinite Crisis werden die führenden Köpfe der einstigen Justice Society von Batman, Superman und Wonder Woman beauftragt, die Truppe zu neuem Leben zu erwecken und zwecks dessen neue Rekruten für das bis dato so glorreiche Team zu gewinnen. Alsbald machen sich Flash, Wildcat, Power Girl und Green Lantern daran, Amerika nach neuen Superhelden zu durchforsten und die Mannschaft gezielt zu verstärken. Doch just in dem Moment, als die Justice Society von neuer Euphorie gepackt wird, erleben ihre Mitglieder einen herben Rückschlag. Die Leiche von Mr. America wird ihnen auf dem Präsentierteller serviert und leitet schließlich eine Reihe prekärer Mordfälle ein, deren Opfer die Familien und Angehörigen alter Society-Mitglieder sind. Die Auflösung der Serienattentate lässt nicht lange auf sich warten – eine rassistische Vereinigung militanter Neonazis steckt hinter den Vorfällen und geht beim Vorhaben, das Vierte Reich zu etablieren, selbst über die prominentesten Leichen …

_Persönlicher Eindruck_

Es scheint, als verlören sich die Stammschreiber des |DC|-Universums nach der sagenhaften „Infinite Crisis“ ein wenig im ideenlosen Niemandsland. Kurz nachdem nämlich die weitaus prominenter besetzte Justice League wieder ins Rennen geschickt wurde, darf auch die wesentlich ältere Society wieder in den Krisenregionen dieser Welt mitmischen, dies jedoch ohne einen winzigen Funken an Innovation in die Background-Story zu investieren. Im Grunde genommen orientiert sich der Handlungsstrang, der dem Eröffnungsband von „Justice Society Of America“ zugrunde liegt, recht deutlich an den Geschehnissen im Auftakt der jüngst gestarteten JLA-Reihe, nur eben, dass die B- und C-Prominenz der |DC|-Comichelden das Pendant zur erfolgreicheren „Justice League Of America“ beherrscht.

Diese unumstößliche Tatsache ist zweifelsohne auch einer der größten Kritikpunkte am Debütband der neuen Society-Heftserie. Zwar wird einschlägigen Lesern das Gros der Protagonisten schon aus anderen Reihen bekannt sein, doch fehlt insgesamt ein echter Hammer-Charakter, der die ganze Story im Wesentlichen voranbringen könnte. Die alten Helden der Society vermögen diesen Platz nämlich nicht einzunehmen. Green Lantern ist nur eine kurzzeitige Begleiterscheinung, Flash hat auch nur einen minimalen Auftritt und Power Girl respektive die zuvor erwähnten Helden der JLA haben ebenfalls nur einen sehr kurzen Auftritt und können der Geschichte kaum brauchbare Impulse verpassen.

Zu diesem defizitären Manko gesellen sich außerdem diverse, recht auffällige Parallelen zur kürzlich neu ins Leben gerufenen Serie um Batman, Superman und Co., die zwar inhaltlich nicht wirklich besser, letztendlich jedoch die Inspiration für den ersten Teil des JLA-Äquivalents ist. Es geht ebenfalls um den Aufbau einer neuen Heldentruppe, und das in einem größtenteils vergleichbaren Setting mit fast schon identischem Procedere. Da mag man kaum glauben, dass ein erfahrener Autor wie Geoff Johns hinter dem Ganzen steht, verspricht er doch in der Regel erstklassig ausgearbeitete Storys und dynamische Action.

Dass der ‚Beginn einer neuen, goldenen Ära‘ indes langweilig ist, entspricht entgegen den Befürchtungen nicht der Realität. Betrachtet man den Comic losgelöst von allen Rahmenbedingungen, muss man ihm zumindest bescheinigen, spannend und temporeich gestaltet zu sein. Des Weiteren verfolgt Johns einen recht stringenten Verlauf und scheut sich vor allzu komplexen Themen, obwohl ihm bedingt durch die Masse an beteiligten Figuren die Grundlagen eines verschachtelten Plots definitiv zur Verfügung gestanden hätten. Stattdessen setzt der |DC|-Stammschreiber auf bewährte, erfolgreich erprobte Mittel und lässt seine Erzählung mithilfe des hohen Tempos in kürzester Zeit erstaunlich tiefgreifend reifen. Lediglich die Betonung einzelner, zweifelhafter Klischees ist ein fragwürdiges Nebenelement, das einem auch schnell bitter aufstößt. Ausgerechnet ein Haufen desillusionierter Nazi-Schurken stellt die Seite des Bösen und schmückt sich dann auch noch mit peinlichen Namen wie Swastika und Reichsmark. Wer da unfreiwillig schmunzelt und den Kopf schüttelt, erhält jedenfalls mein vollstes Verständnis.

Letztendlich ist die Häufung der inhaltlichen und äußeren Mängel auch ausschlaggebend für den eher mäßigen Gesamteindruck des neuen JSA-Debüts. Die Geschichte ist prinzipiell zwar in Ordnung, die zahlreichen unerwünschten Begleiterscheinungen aber sicherlich ein Grund für verschärfte Kritik. Das Resümee könnte dementsprechend anders aussehen, hätte man nicht elementare Inhalte der neuen JLA-Serie entliehen und auf den Nazi-Blödsinn verzichtet. Da dem aber nicht so ist, bleibt eine Empfehlung für den ersten Band von „Justice Society Of America“ meinerseits aus.

http://www.paninicomics.de/jsa-s10376.html

Wichert, Alex – Fatimas Tränen

_Story_

Als Anführer der Wolverines hat Jari in den letzten Jahren schon einige brisante Aufträge erfolgreich zu Ende gebracht. Nun jedoch soll seine Söldnereinheit in eines der größten Krisengebiete auf dem Globus eingeschleust werden, um ein muslimisches Artefakt zu bergen und zu retten. Unter seiner Leitung wird der einst gefangene Adlerschamane Voiata zusammen mit dem naiven, noch jugendlichen Nachwuchsrunner Reynard und der mysteriösen Flechette hinter die Grenzen Afghanistans eingeschleust, von wo aus die Jagd nach ‚Fatimas Tränen‘ beginnen soll.

Doch noch bevor der Auftrag in die ernste Phase kommt, gerät das Team in interne Schwierigkeiten. Voiata muss sich unfreiwillig seiner bedrückenden Vergangenheit stellen und dabei realisieren, dass sein Wandel zum Schamanen die düsteren Flecken auf seiner Seele nicht hat verdrängen können. Immer häufiger bringt der unberechenbare Adler seine Mitstreiter in Gefahr – und verurteilt die Mission aufgrund seiner persönlichen Egotrips gleich mehrfach beinahe zum Scheitern. Doch was verbirgt sich hinter Voata wirklich?

_Persönlicher Eindruck_

Zeichneten sich gerade die vergangenen Romane aus der großen Fantasy-Welt von „Shadowrun“ vor allem durch einem großen Hang zur rücksichtslosen Action aus, fokussiert Stammschreiber Alex Wichert seine Gedanken in „Fatimas Tränen“, einem aktuellen Beitrag zur Serie (Roman Nr. 79), vordergründig auf die Darstellung seiner Charaktere. Nicht die Story an sich ist über weite Strecken das zentrale Element des Romans, sondern ihre äußerst lebendigen Träger, allen voran der faszinierende Voiata, aus dem Wichert einen echten Vorzeige-Schamanen gebastelt hat. Unglaublich jedenfalls, wie authentisch und leidenschaftlich der Autor die Emotionen und verstörten Gedanken des eigentlichen Protagonisten aufarbeitet, ohne dabei an den Rand jedweden Klischees zu stolpern. Dies ist im Hinblick auf das ungewöhnlich Setting gleich umso erstaunlicher, da der Verfasser sich insgesamt doch recht weit vom klassischen „Shadowrun“ entfernt.

Die Welt der Schatten ist gekennzeichnet von ihren finsteren Helden, und dazu gehört natürlich auch besagter Schamane, von Gesetzlosigkeit, Intrigen und blutiger Action. All die typischen Themengebiete, die diesen breiten Zweig der internationalen Fantasy mittlerweile markant verwurzelt haben, werden in „Fatimas Tränen“ zugunsten einer unkonventionellen, allerdings stilistisch sehr angenehmen, erfrischenden Herangehensweise weit hinten angestellt. Wichert gönnt seinen Figuren ungeheuer viel Zeit zur persönlichen Reife und neigt gerade im ersten Drittel zu einer deutlichen Temporeduzierung, die zuerst einmal geschluckt werden muss. Inwiefern das Buch später von diesem Vorgehen profitieren wird, ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht abzusehen, so dass manch einer sich sicherlich wundern wird, warum das Setting erst in aller Ausführlichkeit, bisweilen auch ein bisschen kompliziert aufgebaut wird. Nach geraumer Zeit – sobald die Dynamik der Geschichte ins Rollen kommt und für den Außenstehenden ersichtlich ist – schließt sich diesbezüglich jedoch der Kreis. Die persönlichen Merkmale der Schicksalsträger gewinnen inhaltlich Gewicht und forcieren schließlich auch die Entwicklung des Romans, der mit dem undurchschaubaren Spiel Voiatas einerseits an Würze und Spannung gewinnt, aufgrund der intelligent konstituierten Action schließlich aber auch wieder den Anschluss zum bekannten, geliebten „Shadowrun“-Universum gewinnt.

Brisant bleibt die Story jedoch allemal, nicht zuletzt weil Wichert wagemutig über den eh schon breiten Tellerrand des Genre-Kosmos hinausschaut und auch Themen anschneidet, die auf den ersten Blick gar nicht so recht in eine solche Story hineinpassen wollen. Voiatas merkwürdige sexuelle Neigungen sind hier zum Beispiel ein wesentliches Element, das perspektivisch eher in einen Thriller einzuordnen wäre, sich aber überraschend gut in die Entwicklung der Geschichte einbinden lässt, unterdessen sogar die Dramaturgie noch einmal wesentlich erweitert. Von den toll inszenierten Flashbacks des Hauptdarstellers und der generell sehr prickelnden Erzähl-Atmosphäre mal ganz zu schweigen …

Insofern darf man dem populären Autor zweifelsohne bescheinigen, die Grenzen des Genres innovativ ausgedehnt und einen Beitrag zum Themenkomplex „Shadowrun“ geleistet zu haben, der durch eine ganze Reihe interessanter Neuerungen auch komplett neuen Schwung in die bisweilen durchaus limitierte Serie gebracht hat. „Fatimas Tränen“ gehört auf jeden Fall zu den besten Titeln, die parallel zum erfolgreichen Rollenspiel in den letzten beiden Jahren veröffentlicht wurden, und überzeugt vor allem mit einer Palette überaus faszinierender Charaktere.

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Wilson, Robert Anton – Cosmic Trigger 3: Mein Leben nach dem Tod

Am 11. Januar dieses Jahres starb Robert Anton Wilson, bekannt für seine anarchistische und verquere Literatur. Just ist nun die deutsche Übersetzung von Wilsons \“Cosmic Trigger 3\“ erschienen, und just trägt das Buch den Untertitel \“Mein Leben nach dem Tod\“. Das ist doch mal eine interessante Synchronizität!

\“Cosmic Trigger 3\“ erschien in Originalsprache im Jahr 1995. Das Buch ist anders als die übrigen Werke Wilsons. Es ist – trotz Wilsons unverkennbaren Zynismus\‘ – ein nachdenkliches Buch. 1994 starb Wilsons Freund und Kollege Robert Shea an Krebs. (Zur Erinnerung: Mit Shea schrieb Wilson die \“Illuminatus!\“-Trilogie, mit der beide Schriftsteller bekannt wurden.) Wilson schreibt nun in \“Cosmic Trigger 3\“ über den Tod seines Freundes, und über seinen eigenen. Angeblich, so hieß es in einem der zahlreichen \“Weltverschwörungsforen\“ im Internet, sei Wilson 1995 verstorben. Verblüfft über den eigenen Tod, nimmt sich Wilson dieses Gerücht zum Anlass, über seinen eigenen Tod zu schreiben. Im Sinne seiner eigenen Weltbildentwürfe schließt Wilson letztlich nicht völlig aus, dass er sich über seinen eigenen Tod nicht auch von einem Gerücht eines Besseren belehren lassen könnte. Es folgt die typisch Wilson\’sche Bearbeitung: Generierung und Vermischung von Fakt und Fiktion – Guerilla-Ontologie eben.

Synchronizität oder Zufall? Ganz gleich, wie man diese Verquickung bewertet, sie ist für das Werkverständnis nicht uninteressant, denn sie ermöglicht einen zusätzlichen Zugang zu Wilsons nicht immer einfacher Schreibweise. \“Cosmic Trigger 3\“ thematisiert diesmal die Erzeugung subjektiver Realität und ihre \“Ontologisierung\“ in der objektiven Welt auf eine besondere Art und Weise. Wilsons Bezugssystem, aus dem er seine Anekdoten und Beispiele herleitet, ist die \“Welt des schönen Scheins\“, wie es Schiller nannte, die Kunst.

Nach sechsunddreißig praktischen Kapiteln folgt ein theoretisches: Wilson \“erlöst\“ den Leser von der geballten Fülle seiner konkreten Beispiele und schreibt vom allgemein philosophischen Prinzip besagter Realitätserzeugung durch \“ästhetische Masken\“. Es geht um die künstlerische Inszenierung von Welt, mit der man es schaffen könne, \“echte\“ Realität zu erzeugen. Dieser Ansatz ist nun bei weitem nicht mehr so skurril wie manche Anekdote in \“Cosmic Trigger 3\“ auf den ersten Blick vermitteln mag, dieser Ansatz zeugt von der Möglichkeit eines ernsthaften In-Beziehung-Setzens von kulturell erzeugten Werken und agierendem Subjekt. Die künstlerischen \“Weisen der Welterzeugung\“, von denen Wilson spricht, erinnern stark an eine ästhetische Theorie, die zum Beispiel bei Nelson Goodman ihresgleichen findet.

\“Cosmic Trigger 3\“ ist anders. Es markiert eine besondere Phase in Wilsons Leben und Schreiben. Es bedient sich nicht außerordentlich ungewöhnlicher Sujets, besitzt doch aber innerhalb Wilsons Werk einen besonderen Stellenwert. Die deutsche Ausgabe von \“Cosmic Trigger 3: Mein Leben nach dem Tod\“ ist im |Phänomen|-Verlag erschienen. Das Buch selbst präsentiert sich als \“künstlerische Maske\“: Der Maler Tate Tränensohn hüllte es in eines seiner abstrakten Ölgemälde.

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Ketchum, Jack – Beutezeit

Privat und beruflich arg gestresst, beschließt die Lektorin Carla eine Auszeit und mietet sich in Dead River – einem kleinen Ferienort an der Ostküste des US-Staates Maine – eine ruhig und abseits gelegene Holzhütte. Damit die Eingewöhnung nicht so schwerfällt, lädt sie ihre Schwester Marjie, ihren Freund Jim und ihren Ex-Freund Nick ein. Marjie bringt ihren momentanen Lebensgefährten Dan mit, während Nick mit Laura zusammen ist.

Des Nachts kommt sich Carla manchmal beobachtet vor, doch sie schiebt dies auf die Nervosität der ehemaligen Großstädterin. Das wird sich rächen, denn an anderer Stelle erkennt Sheriff Peters, dass Ungutes in Dead River umgeht. Eine Touristin wird halbtot aus dem Meer gezogen. Sie gibt zu Protokoll, von einer Gruppe verwilderter, in Tierfelle gehüllter Kinder und Jugendlicher überfallen worden zu sein, die sie buchstäblich gejagt und über eine Klippe getrieben haben.

Sollte etwas dran sein am Fluch von Catbird Island, einer vor der Küste gelegenen Insel, auf der im 19. Jahrhundert einige Menschen spurlos verschwunden sind? Haben diese etwa eine von Zeit, Zivilisation und Gesetz vergessene Kolonie gegründet, auf deren Speiseplan nicht nur die Wildtiere des Waldes, sondern auch die Touristen von Dead River stehen? Peters recherchiert und muss feststellen, dass in seinem Revier schon lange mehr Menschen verschwinden, als die Statistik es gestattet. So beschließt er, der Sache auf den Grund zu gehen.

Für Carla und ihre Gäste ist es da leider schon zu spät. Sie müssen feststellen, dass ihre Hütte inmitten des ‚Jagdreviers‘ der Wilden steht, die sich hocherfreut über die frische Beute hermachen …

Im Zeitalter brachialer Horrorfilme wie „Saw“, „Wrong Turn“ oder „Seed“ ist es kaum zu glauben, aber dennoch wahr: Als Jack Ketchum 1980 seinen Roman „Off Season“ vorlegte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Viel zu explizit sei seine Geschichte vom Überlebenskampf einer in der Wildnis gefangenen Touristengruppe mit einer Rotte vertierter Menschenfresser, mahnte bereits der Verlag, der das Manuskript immerhin angekauft hatte. (Die Irrfahrt des Manuskripts beschreiben Horror-Experte Douglas E. Winter in einem Vorwort und Autor Ketchum in einem Nachwort zur Ausgabe von 1999.)

Diese Reaktion überrascht, markieren die Jahre um 1980 doch eine Ära, in der wahrlich schonungslose Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974; Regie: Tobe Hooper), „The Hills Have Eyes“ (1977; Regie: Wes Craven) oder „Mother’s Day“ (1980; Regie: Charles Kaufman) entstanden, die auf ähnlichen Plots basierten. Aber Ketchum beging eine Sünde, die ihm nicht verziehen wurde: Er lotete nicht nur allzu schonungslos die Abgründe aus, die sich in der menschlichen Seele auftun können, sondern verweigerte seinen Lesern ein Happy-End. Das ist nach Ansicht politisch korrekter Vordenker und selbsternannter Tugendbolde freilich zu meiden; das reale Grauen muss nach ihrer Auffassung symbolhaft durch Umschreibungen getarnt werden, hinter denen sich empfindsame Leser verschanzen können, und im Finale hat ‚das Gute‘ zu siegen (wobei das Niedermetzeln der ‚Bösen‘ dazu keinesfalls im Widerspruch steht).

Vor einem Vierteljahrhundert war ein Verstoß gegen diesen Kodex dem Debütanten Ketchum unmöglich. Also erschien eine zusammengestrichene und entschärfte Fassung, die nichtsdestotrotz für Aufsehen sorgte, obwohl sie der Verlag rasch und unauffällig aus dem Verkehr zog. Die Story ließ sich zum Verdruss der „moral majority“ einfach nicht ihrer Widerhaken berauben, während liberal denkende Zeitgenossen auch im kastrierten Text noch die moralische Sprengkraft erkannten.

„Off Season“ wurde zum Mythos, und 1999 war die Zeit endlich für eine „Unexpurgated Edition“ gekommen. Allerdings hatte der Verfasser das Original zwei Jahrzehnte zuvor frustriert in den Abfall geworfen. Jack Ketchum musste sein Buch quasi aus dem Gedächtnis rekonstruieren. „Off Season“ von 1999 ist deshalb nicht identisch mit dem ursprünglichen Text, zumal der Verfasser die Gelegenheit nutzte, die Geschichte zu überarbeiten.

Bissig ist sie nun wieder. Im 21. Jahrhundert kann „Off Season“ freilich keine Offenbarungen mehr bieten. Die Zeit hat diesen Roman eingeholt. Wer begreifen möchte, welchen Schock er den Lesern von 1980 zumuten sollte, muss entweder die Existenz von Filmen wie „Wrong Turn (1 u. 2)“, „The Hills Have Eyes“ (gemeint sind die Neuverfilmungen, Teil 1 u. 2) oder „Texas Chainsaw Massacre“ bzw. „TCM: The Beginning“ vergessen oder sich bewusst machen, dass „Beutezeit“ eine der Hauptquellen ist, aus denen die jungen Wilden des aktuellen Horrorfilms ihre Inspiration schöpfen.

Dennoch geht es knochenknackend hart und blutspritzend eklig zu. Ketchum redet nie um die Dinge herum – er schildert sie detailgetreu und weigert sich abzublenden. Er lässt uns keine Möglichkeit zum Entkommen, wir müssen mit ihm und den gequälten Figuren den blutigen Weg bis zu seinem Ende gehen.

Dabei schwelgt Ketchum nicht in Metzeleien um der Metzeleien willen, sondern verfolgt einen Zweck mit der Darstellung expliziter Scheußlichkeiten. Das erkennt der Leser schon an einem Gefühl, das sich in den oben genannten Filmen nur selten oder gar nicht einstellt: Unbehagen. In „Beutezeit“ wird nicht zur gruselvergnüglichen Unterhaltung gemordet. Der Tod und vor allem das Sterben sind bei Ketchum schmutzig, ekelhaft, erschreckend. Nicht einmal die im Horrorfilm beliebte ‚Erlösung‘ – das Monster tötet, deshalb ‚dürfen‘ seine Opfer noch gewaltsamer zurückschlagen – gönnt er uns. Der Verweigerung des Happy-Ends geht das Rühren an grundsätzlichen Tabus voran: Nachdem sie ausgiebig von ihren Peinigern geschunden wurde, entdeckt Marjie die eigene, bisher tief in ihrer Seele begrabene Ader für Grausamkeiten. Sie wehrt sich nicht nur, sondern gibt diesem Drang nach, verwandelt sich letztlich selbst in eine Wilde.

Diese Volte, die Ketchum zudem meisterlich in knappe aber eindringliche Worte zu fassen vermag, ist harter Tobak. „Beutezeit“ endet nach dem obligatorischen Gemetzel an den Außenseitern wie gesagt nicht mit einem Happy-End. Der Schrecken lebt in den Überlebenden fort, und niemand weiß, ob oder in welcher Gestalt er erneut ausbrechen wird: ein starkes Ende.

In drei Gruppen gliedert Ketchum seine Figuren, und die ihnen innewohnende Dynamik stellt er trotz der Kürze des Romans sorgfältig dar. Der Blickwinkel wechselt, die Gruppen bleiben bis zum Finale getrennt. Bis dahin machen ihre Mitglieder Erfahrungen, die sie physisch und psychisch zeichnen werden.

Beides trifft natürlich in erster Linie auf die bedauernswerten sechs Urlauber zu, die sich genau dort einquartieren, wo sie fehl am Platze sind. Carla und Marjie, Jim und Nick, Laura und Nick repräsentieren durchschnittliche Männer und Frauen um die 30. Die ersten großen Stürme des Lebens liegen hinter ihnen, sie haben in der Gesellschaft ihre Plätze gefunden. Der Trip in den Wald bereitet ihnen nur insofern Sorgen, als sie die Fortsetzung alter Streitigkeiten fürchten.

Die Attacke der Kannibalen zerstört sämtliche Lebensregeln, die sie erlernt zu haben glauben. Sicherheit ist eine Fiktion, der Zufall dagegen ein mächtiger Faktor. Die starke Carla stirbt, ihre ‚kleine‘, als ’schwach‘ charakterisierte Schwester überlebt nicht nur, sondern entwickelt einen Selbsterhaltungstrieb, der nahtlos in Mordlust übergeht.

Die drei Männer dieser Gruppe ‚versagen‘ in ihrem ‚Auftrag‘, die Frauen zu ‚beschützen‘ – ein weiterer Affront gegen Leser, die eine traditionelle Rollenverteilung schätzen. Nick kommt ihm zwar nach, doch die ‚Belohnung‘ bleibt aus – er findet ein absurd überflüssiges Ende (das Ketchum aus Romeros Filmklassiker „Night of the Living Dead“ ‚übernommen‘ hat, wie er offen zugibt).

Die Gruppe der Polizisten wird dominiert vom Veteranen Peters. Er kennt und liebt seinen Job, obwohl ihm bewusst ist, dass er ihm zumindest körperlich nicht mehr gewachsen ist. ‚Seine‘ jungen Beamten sind noch nicht so weit, sagt er sich, und ahnt dabei nicht, dass auch er überfordert ist, als er das wahre Grauen trifft. Am Ende haben Peters und seine Leute voller Wut und Angst und nackter Mordlust unter den Kannibalen gewütet wie 1968 US-Soldaten im südvietnamesischen My-Lai – eine Anspielung, die Ketchums Leser 1980 sehr wohl registriert haben dürften. Peters bleibt seelisch zerstört zurück und gibt seinen Job auf.

Kannibalen sind es, die „off season“, d. h. außerhalb der offiziellen Urlaubs- oder Jagdsaison, Angst und Schrecken verbreiten. Ketchum gelingt es, sie gleichzeitig abstoßend und – es mag absurd klingen – ‚unschuldig‘ zu zeichnen. In ihrer isolierten Welt haben die Kannibalen nicht nur ihre Nische gefunden, sondern sich dort gemäß ihren Vorstellungen recht behaglich eingerichtet. Sie waren niemals Teil der menschlichen Gemeinschaft und kennen deshalb deren Gesetze und Regeln nicht. Sie haben eigene entwickelt, die wie eine Mischung aus Steinzeit und Ghetto anmuten. Was ihre Opfer als grausam empfinden, ist für sie normal. Das Leben in der Wildnis ist hart und kurz, und es hat diese Gruppe geprägt. Touristen sind für sie nur eine weitere Jagdbeute, die in ihrem Gepäck zusätzlich willkommene Gaben tragen. ‚Zeitvertreib‘ bedeutet Folter und Mord, doch würde man einer Katze solche Motive unterstellen, weil sie mit einer Maus spielt?

Kompromisslos bis in den Tod wehren sich die Kannibalen gegen ihre Angreifer. Sie können gar nicht anders, haben es nie anders gelernt. Schon die Kinder haben den alltäglichen Kampf ums Überleben verinnerlicht. (Übrigens begegnete man „Off Season“ auch deshalb so feindselig, weil Ketchum Kinder als Killer darstellte und sie bestialische Tode sterben ließ.) Deshalb fliehen selbst im Angesicht der finalen Übermacht nicht, obwohl sie die Möglichkeit haben, sondern greifen an. (Gleichwohl ist Jack Ketchum auch nur ein Mensch: Gegen gute Bezahlung wrang er sich 1991 mit „Offspring“ eine Fortsetzung zu „Off Season“ aus dem Hirn: Einige gefräßige Kannibalen-Kinder haben überlebt und terrorisieren eine neue Generation von Touristen …)

Letztlich ist es die Normalität des monströsen Geschehens, die beeindruckt: Das Aufeinandertreffen der drei Gruppen fällt so aus, wie es außerhalb Hollywoods ausfallen musste. Tod und Verderben trifft sie alle, die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen. Das wollte Jack Ketchum seinen Lesern begreiflich machen, und das ist ihm – zuverlässig unterstützt von Übersetzer Friedrich Mader – wahrhaftig gelungen! Dass womöglich ein schaler Geschmack zurückbleibt, ist gewollt: Manche Medizin schmeckt bitter, aber sie wirkt.

Dass „Jack Ketchum“ ein Pseudonym ist, daraus machte Dallas William Mayr (geb. 1946) nie ein Geheimnis. Er wählte es nach eigener Auskunft nach dem Vorbild des Wildwest-Outlaws Thomas „Black Jack“ Ketchum, der es Ende des 19. Jahrhunderts sogar zum Anführer einer eigenen Bande – der „Black Jack Ketchum Gang“ brachte, letztlich jedoch gefangen und aufgehängt wurde.

Im Vorwort zur deutschen Erstausgabe von „The Girl Next Door“ (dt. [„Evil“) 2151 weist Stephen King außerdem darauf hin, dass „Jack Ketch“ in England der Spitzname für den Henker war und sich als Pseudonym für Mayr wesentlich besser anbietet, denn: „Immer klappt die Falltür auf, immer zieht sich die Schlinge zusammen, und auch die Unschuldigen müssen baumeln.“

Als Jack Ketchum durchlief Mayr diverse ‚Karrieren‘ als Schauspieler, Sänger, Lehrer, Literaturagent, Handlungsvertreter usw. – die typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Laufbahn à la USA, nur dass Mayr nie wirklich seinen Durchbruch schaffte, da er sich als reichlich sperriger Schriftsteller erwies, der lieber im Taschenbuch-Ghetto verharrte als der Bestsellerszene Mainstream-Zugeständnisse zu machen – kein Wunder für „ein früheres Blumenkind und früheren Babyboomer, der erkannte, dass 1956 Elvis [Presley], Dinosaurier und Horror sein Leben retteten“. (So liest es sich jedenfalls in Mayrs ‚Biografie‘ auf seiner Website http://www.jackketchum.net.) Noch heute ist der Autor stolz auf eine Kritik der „Village Voice“, die sein Romandebüt „Off Season“ 1980 als „Gewaltpornografie“ verdammte.

Die Literaturkritik musste Mayr alias Ketchum inzwischen als unkonventionellen, aber fähigen Schriftsteller zur Kenntnis nehmen. 1994 gewann seine Story „The Box“ einen „Bram Stoker Award“, was Ketchum 2000 mit „Gone“ wiederholen konnte. Zudem wurde Ketchum mehrfach nominiert. Längst wurde auch Hollywood aufmerksam auf sein Roman- und Kurzgeschichtenwerk, das indes ob seiner Kompromisslosigkeit vor allem im plakativ Sexuellen prüden US-Amerika vor Problemen steht. Nach „The Girl Next Door“ entstand 2007 unter der Regie von Gregory Wilson und nach einem Drehbuch von Phil Nutman und Daniel Farrands ein eindrucksvoller, nicht leicht zu goutierender Spielfilm.

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Peter Burley – Take it to the Limit!

Take it to the – Wahnsinn!

„Take it to the Limit!“ ist einer dieser Spieltitel, denen man aufgrund ihrer schlichten optischen Aufmachung zu Beginn noch nicht recht trauen will, deren erhöhtes Suchtpotenzial jedoch schon nach der ersten Runde geradezu wahnsinnig macht. Dabei handelt es sich bei diesem bereits in den späten 70ern von Peter Burley entwickelten Spiel um gar kein wirklich komplexes, außerordentlich verworrenes Spiel; ganz im Gegenteil, das Geheimnis liegt wohl definitiv in der Schlichtheit des gesamten Mechanismus, der „Take it to the Limit!“ zugrunde liegt. Es geht lediglich darum, durch das geschickte Legen von sechseckigen Plättchen gleichfarbige Reihen miteinander zu verbinden und einem Puzzle gleich möglichst viele komplette gleichfarbige Linien fertigzustellen. Also ein schlichtes Procedere. Allerdings sieht man sich bereits nach der ersten Partie dazu genötigt, immer wieder zu probieren und zu experimentieren, um einen möglichst hohen Punktewert zu erzielen. Mit anderen Worten: Dieser Titel bereitet schlaflose Nächte, zermürbte Köpfe und mitunter auch ein wenig Frustration. „Take it to the Limit!“ eben, dies jedoch in jeglichen Belangen!

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