Johansen, Iris – Netz des Todes

Frauen und Leichen scheinen ein unschlagbares Team zu sein. Man denke nur an Tempe Brennan (Kathy Reichs) oder Kay Scarpetta (Patricia Cornwell), die schon seit Jahren munter die Bestsellerlisten bevölkern. Die amerikanische Schriftstellerin Iris Johansen schickt mit Eve Duncan ihre eigene Heldin ins Rennen. „Netz des Todes“ ist dabei das sechste Abenteuer mit der Frau, die die Schädel von Toten remodelliert.

Das Leben hat es lange Zeit nicht gut gemeint mit der Schädelexpertin Eve. Eine harte Jugend, ihre erste Tochter wurde entführt, ohne dass man jemals Leiche oder Entführer fand – die junge Frau musste einiges mitmachen, doch sie hat sich aufgerappelt. Nun lebt sie glücklich mit dem FBI-Agenten Joe zusammen und hat eine bereits erwachsene Adoptivtochter. Ihre Arbeit, bei der sie die Schädel von gefundenen Leichen rekonstruiert, damit diese mit Fotos verglichen werden können, nimmt sie sehr ernst. Besonders, wenn es sich um den Schädel eines Kindes handelt, denn schließlich hat sie selbst ein Kind verloren. Sie redet sogar davon, die Schädel „nach Hause zu bringen“, als ob es sich dabei um lebendige Menschen handelt, denen sie sich verpflichtet fühlt.

Doch trotzdem übernimmt Eve nicht jeden Job. Als der kolumbianische Waffenhändler Montalvo sie kontaktiert, damit er ihr den mutmaßlichen Schädel seiner Frau rekonstruiert, die von seinem Erzfeind, dem Drogenbaron Diaz, umgebracht wurde, lehnt sie sofort ab. Mit einem Verbrecher möchte sie nichts zu tun haben. Doch Montalvo hat seine Mittel und Wege, um sie zu zwingen: Er droht damit, einen Menschen umzubringen, der dem CIA Informationen über Montalvos Unternehmungen geliefert hat, wenn Eve sein Jobangebot nicht annimmt. Zähneknirschend lässt Eve sich darauf ein, obwohl Joe dagegen ist. Ohne seine Zustimmung reist sie nach Kolumbien, doch er folgt ihr natürlich. Das führt zu einigen Verwicklungen, die mit der Zeit richtig gefährlich werden. Denn Diaz, der den Schädel von Montalvos Frau hütet, lässt sich nicht gerne in die Karten gucken und kennt keine Gnade mit Leuten, die für seinen Feind arbeiten oder deren Angehörige …

Iris Johansens Heldin reiht sich willig hinter ihren Kolleginnen ein. Sie hat eine schwere Vergangenheit hinter sich und die große Liebe gefunden, die sie aufgrund ihres Berufs und ihrer Prinzipien immer wieder aufs Spiel setzt. Eve Duncan ist dadurch nicht wirklich originell, auch wenn sie relativ realistisch dargestellt wird. Johansen schafft es, Eve durch ihren lebendigen, nüchternen Schreibstil Leben einzuhauchen. Sie wirkt weniger oberflächlich als beispielsweise Tempe Brennan, was dem Buch immerhin einen Pluspunkt beschert.

Einen weiteren verspielt die seichte Handlung dummerweise. Das beginnt damit, dass der „Thriller“ nicht in Gang kommt. Johansen zieht die Entscheidung, ob Eve Montalvo hilft oder nicht, seitenlang hin. Erst ist sie dagegen, dann wird sie unter Druck gesetzt, ist immer noch dagegen, will zum Schein darauf eingehen, geht schließlich darauf ein. Abgesehen davon, dass ihre Reaktion vorhersehbar ist, weil das Buch ansonsten keinen Erzählstoff gehabt hätte, wäre hier eine etwas straffere Handlung gut gewesen. Im weiteren Verlauf geht es zwar etwas flotter zur Sache, aber trotzdem möchte keine Spannung aufkommen. Dafür gibt es zu wenig Überraschendes. Die Geschichte bleibt bis zum Ende vorhersehbar.

Was dabei tröstet, ist der sichere Schreibstil. Johansen verliert nicht viele Worte, sie kommt auf den Punkt und lässt dabei gerne den einen oder anderen Schlagabtausch einfließen. Zumeist wird aus Eves Perspektive erzählt, wobei die Autorin sehr nahe an der Person bleibt. Das hat zur Folge, dass Beschreibungen von Situationen und Umständen recht knapp sind. Es wäre zum Beispiel sehr interessant gewesen, als Leser etwas über den exotischen Schauplatz des Romans zu erfahren. Leider geht Johansen auf die Besonderheiten Kolumbiens oder das Aussehen des Urwalds oder Montalvos Festung nur sehr wenig ein. Im Endeffekt kommt man dadurch den Personen selbst zwar sehr nahe und amüsiert sich an der einen oder anderen Stelle über die schlagfertige Eve, aber den Schauplatz des Romans kann man sich nur schwer vorstellen.

„Netz des Todes“ ist ein auf weiten Strecken vorhersehbarer, nicht wirklich spannender Thriller, der immerhin teilweise mit dem Schreibstil und der Hauptperson punkten kann. Hätte die Autorin diese guten Ansätze konsequent in eine anschauliche Kulisse und eine Handlung, die den Titel „Thriller“ verdient, eingebettet, hätte die Geschichte um die Schädelexpertin Eve Duncan sicherlich eine interessante Angelegenheit werden können. So jedoch hat Iris Johansen leider einige Sympathien verschenkt.

http://www.ullsteinbuchverlage.de/listhc/

|Weitere Rezensionen zu Iris Johansen auf Buchwurm.info:|
[„Und dann der Tod“ 606
[„Das verlorene Gesicht“ 667

Conrad Anker/David Roberts – Verschollen am Mount Everest

Anker Robert Verschollen am Mount Everest Cover 2000 kleinNachdem 1999 der mumifizierte Leichnam des möglichen Mount-Everest-Erstbesteigers George Mallory gefunden wurde, kehrte die Geschichte der Gipfel-Expedition von 1924 in die multimediale Gegenwart zurück; auch dieses Buch erläutert Rolle und Bedeutung dieses historischen Unternehmens. Der faktenreiche Text leidet unter der Ärmlichkeit des Bildmaterials und ist nur einer von vielen, inhaltlich zum Teil deckungsgleichen Beiträgen zum Thema.
Conrad Anker/David Roberts – Verschollen am Mount Everest weiterlesen

Garfield, Richard – Magic: The Gathering – Zehnte Edition / Hauptset – Themendeck »Molimos Macht«

_Wuchernde Wälder_

Das grüne Deck symbolisiert auch in der Zehnten Edition des bekannten Sammelkartenspiels „Magic: The Gathering“ die lebendigen Kräfte der Natur. Die Wälder wachsen beständig und bringen einige ihrer mächtigsten Kreaturen hervor. Indes sind die Zauber des Themendecks „Molinos Macht“ vordergründig auf eine gezielte Defensive sowie eine grundsätzliche Verstärkung der Grundwerte um einen beträchtlichen Wert ausgelegt, so dass den Figuren und Mächten der Wälder erst einmal nicht so leicht beizukommen ist. Doch wer wird auch wirklich zum Zuge kommen, wenn die Manakosten nicht im Sinne der fairen ‚Preispolitik‘ sind? Irgendwo sind nämlich auch der Natur Grenzen gesetzt …

_Karteninhalt_

|Länder|

• 16x Wald

|Kreaturen|

• 2x Baldachinspinne (common)
• 2x Stadtpfadfinder (common)
• 2x Wurzeleidechse (common)
• 1x Wütende Wildebeests (uncommon)
• 2x Gekrümmter Wurm (common)
• 1x Kletterkavu (common)
• 1x Tatzelwurm (common)
• 1x Gewaltiger Baloth (uncommon)
• 1x Molimo, Maro-Hexer (rare)
• 1x Eiserne Anbeterin (uncommon)

|Andere|

• 2x Kommunikation mit der Natur (common)
• 1x Riesenwuchs (common)
• 2x Wucherndes Wachstum (common)
• 2x Bleichholzrüstung (uncommon)
• 1x Überrennen (uncommon)
• 1x Hurrikan (rare)
• 1x Wurmzahn (uncommon)

_So spielt man das Deck_

Ohne eine ausgeprägte Anzahl Standardländer läuft bei „Molimos Macht“ nichts. Die Manakosten der einzelnen Geschöpfe und Zauber sind teilweise unverschämt hoch, so dass es vorerst gilt, das Repertoire des Manas zügig zu erweitern – andernfalls landet man alsbald in einer Sackgasse. Mit dem Wuchernden Wachstum und dem Stadtpfadfinder bekommt man diesbezüglich jedoch rasche Unterstützung; beide Karten erlauben es, die Bibliothek nach Standardländern zu untersuchen und diese ggf. auch auf die Hand zu nehmen, was den Ausbau des Manas dann doch entscheidend begünstigt. Allerdings darf man währenddessen auch seine Defensive nicht vernachlässigen, weshalb es sinnig erscheint, parallel zur Mana-Erweiterung die stärkenden Zauber zu wirken, um so einige Kreaturen mit weitaus besseren Grundwerten auszustatten. Die Bleichholzrüstung sowie die Fähigkeit Überrennen scheinen hierzu bestens geeignet, verschlingen allerdings auch einiges an Mana – mit anderen Worten: Es ist häufig ziemlich schwierig, eine adäquate Entscheidung zu treffen, weil es in Windeseile an allen Fronten brennt und man aufgrund der ‚preislichen‘ Einschränkungen bezogen auf die aktiven Handlungsmöglichkeiten schnell ohnmächtig wird. Wer nämlich Figuren wie den Gewaltigen Baloth, den Tatzelwurm oder gar Molimo höchstpersönlich einsetzen möchte, muss auf diesen Einsatz teils so lange hinarbeiten, dass man das Zepter zwischenzeitlich bereits an den Kontrahenten abgegeben hat.

Dennoch ist an der Strategie nicht zu rütteln: Schnelles Mana stärkt das Deck und ist mitunter die unumgehbare Voraussetzung zur Gewährleistung einer fairen Chance im direkten Duell. Denn sind die angriffslustigen und gleichsam defensivstarken Kreaturen einmal erfolgreich im Spiel, dann ist in Molinos Armee ein unerschöpfliches Potenzial geboten …

_Persönlicher Eindruck_

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass „Molinos Macht“ im Rahmen der Zehnten Hauptedition Teil eines Einsteiger-Sets ist, erscheint mir die Zusammenstellung recht ungünstig. Um dieses Set nämlich überhaupt einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, erfordert es schon einer Menge Erfahrung, und dies nicht etwa aufgrund der Vielfalt der Kartenoptionen, sondern ganz einfach, weil man ohne Grundwissen über die taktischen Finessen hier ziemlich rasch an seine Grenzen stößt. Es ist nämlich einerseits so, dass eine Menge Geduld und demzufolge gelegentlich auch Frustration angesagt sind, andererseits aber auch die Dynamik abhanden kommt, wenn man ständig abwarten muss, bis die eigenen Kreaturen und Zauber endlich mal zum Zuge kommen. Es gibt schlichtweg zu wenige Karten, die mit geringen Manawerten ausgespielt werden können, so dass konzentrierte Angriffe von vornherein ausgeschlossen scheinen. Oft sind es nämlich nur drei Kreaturen pro Zug, die eine effektive Handlung durchführen können, und das auch erst im Idealfall des Besitzes aller Standardländer. So wird man unfreiwillig, meist aber ziemlich sicher zurückgedrängt und jeglicher Entfaltungsräume beraubt, was dem eigenen Spiel die Spritzigkeit und Dynamik raubt und hinsichtlich des persönlichen Spielbefindens schnell in Frustration ausufert – von relativer Chancengleichheit kann nämlich beispielsweise im direkten Vergleich zum parallel erschienen Themendeck „Kamahls Temperament“ kaum die Rede sein.

Insofern ist „Molimos Macht“ als Einsteigerdeck auch nicht wirklich geeignet, es sei denn, man strickt noch einige schneller spielbare Kreaturen hinein, was angesichts der hierzu nötigen Erfahrung wiederum nicht für die eigentlich angesprochenen Zielgruppe der „Magic“-Anfänger erbaulich ist. Daher ist das grüne Deck auch nur denjenigen zu empfehlen, die etwas mehr über die natürliche Seite des neuen Haupt-Sets erfahren und erste Erfahrungen mit einigen interessanten neuen Karten sammeln möchten. Beginner hingegen greifen wohl besser zu einem anderen Set der fünf Themendecks, da dort der echte Einstieg in die Welt der Sammelkarten verhältnismäßig leichter und auch sinnvoller ist.

http://www.magicthegathering.de/
http://www.universal-cards.com
http://www.wizards.com/

|Siehe ergänzend dazu:|

[Magic: The Gathering 9. Edition – Schnelleinstieg 3335
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Armee der Gerechtigkeit« 3337
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Schon wieder tot« 3370
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Luftige Höhen« 3591
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Welt in Flammen« 3592
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Handgemachte Kreaturen« 4261
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Remasuri-Entwicklung« 3371
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Kreuzritter der Hoffnung« 3372
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Pelzige Pilzwesen« 3667
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Realitätsbruch« 3670
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Endloser Marsch« 3731
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Verwirrtes Hirn« 3734
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Ixidors Vermächtnis« 3741
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Rituale der Wiedergeburt« 3746
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Rebellenvereinigung« 3748
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Ausgesetztes Urteil« 3800
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Schicksalszündung« 3873
[Magic: The Gathering – Zehnte Edition / Hauptset – Themendeck »Kamahls Temperament« 4314

[Magic: The Gathering – Zeitspirale-Zyklus Band 1 3720
[Outlaw 1864 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 1)
[Der Ketzer 2645 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 2)
[Die Hüterin 3207 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 3)
[Die Monde von Mirrodin 2937 (Magic: The Gathering – Mirrodin #1)

Ketchum, Jack – Beutezeit

Die junge Lektorin Carla hat sich in die Einsamkeit der Wälder von Maine zurückgezogen, um einmal richtig auszuspannen. Zu diesem Zweck lädt sie zugleich ihren Geliebten Jim ein sowie ihre Schwester Marjie mit deren Freund Dan und ihren Ex-Freund Nick mit dessen Geliebten Laura. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich, bis die Katastrophe über die sechs Menschen hereinbricht. Eine Familie verwilderter, degenerierter Kannibalen macht seit Jahren die Gegend unsicher und hat sich ausgerechnet jene Wälder als Jagdrevier auserkoren. Carla und ihre Freunde sind für die Menschenfresser die ideale Beute, und so beginnt eine Nacht des Grauens für die jungen Leute …

Der Roman ist bereits über 25 Jahre alt und erinnert wohl nicht ganz zufällig an Filme wie [„The Hills Have Eyes“]http://www.powermetal.de/video/review-911.html oder „Wrong Turn“. Mittlerweile ist man als Freund des härteren Horrors an solche Szenarien gewöhnt, und dennoch ist dieses Buch verstörend und grausam. Das Unterbewusstsein des Lesers ist zu einer viel eindringlicheren Auseinandersetzung mit der Thematik gezwungen, als es bei einem Film möglich ist, der nach gut 100 Minuten in der Regel vorbei ist. Vor einem Vierteljahrhundert waren derartige Storys jedoch noch eine echte Rarität, und so verwundert es nicht, dass Ketchum sein Manuskript ein wenig entschärfen musste. Die vorliegende Version ist jedoch die unzensierte Fassung des Romans und wird vom Verlag nicht zu Unrecht in der Reihe |Heyne Hardcore| publiziert.

Der Roman beginnt mit einer Hetzjagd, bei der eine Frau von einer Horde wilder Kinder gejagt und wirklich nur in letzter Sekunde gerettet wird, indem sie sich über die Klippen ins Meer stürzt, wo sie völlig verstört und schwerverletzt geborgen wird. Eine Szene, die durch ihren brutalen Charakter sehr real und bedrohlich wirkt, aber auch in anderen Werken gut darin vorkommen könnte. Auch auf den nächsten hundert Seiten, auf denen die Personen vorgestellt werden und man einen ersten Einblick in die Gesellschaftsstruktur der Wilden bekommt, sind noch nicht sonderlich hart und gewalttätig, so dass man sich unweigerlich fragt, wieso dieses Buch in der Reihe |Heyne Hardcore| erscheint und Psycho-Autor Robert Bloch sogar mit dem Satz zitiert wird: „Eines der erschreckendsten Bücher, die ich je gelesen habe.“

Bis dahin ist das Buch zwar auch spannend und kurzweilig geschrieben und man muss sich nicht durch zähe Einleitungskapitel quälen, aber der angepriesene Hardcore-Schrecken beginnt erst im dritten Teil – und zwar richtig. Der Terror bricht schlagartig und ohne Vorwarnung über die Menschen herein, und selbst der Leser, obwohl er das nahende Unglück bereits hautnah miterlebte, wird überrascht davon, wie schnell und brutal die Kannibalen zuschlagen. Was dann folgt, ist eine Belagerung der Überlebenden, die nicht ohne Grund an George A. Romeros Kultfilm „Die Nacht der lebenden Toten“ erinnert. Im Nachwort schreibt Ketchum, dass dieser Vergleich durchaus gewollt war, nur dass seine Opfer eben nicht durch Untote bedroht werden, sondern durch Menschen, die sämtlicher Zivilisiertheit beraubt nur noch instinktgetriebene Bestien sind. Und hier liegt auch das Erschreckende, Verstörende des Romans verborgen. Das Grauen ist real und der Schrecken kein aus dem Grab auferstandener Toter, kein blutgieriger Vampir aus Transsylvanien und auch kein zottiger Werwolf, sondern eine Bande Zurückgebliebener, die ihre Leidenschaft für menschliches Fleisch entdeckt hat. Wer vermag zu sagen, was in der Einsamkeit riesiger Wälder alles auf den Menschen wartet?

Die Folterungen und Gräueltaten sind realistisch und schonungslos, und der entsetzte Leser weiß, dass außerhalb seines Bettes, seiner Badewanne oder seines Wohnzimmers, wo immer er auch gerade dieses Buch liest, Menschen solche Qualen durchaus erlitten haben und erleiden werden. Und warum eigentlich immer die anderen? Was sollte einen selbst vor einem solchen Schicksal bewahren? Und wie würde man selbst in einer solchen Situation reagieren? All diese Fragen beschäftigen bei der Lektüre des Romans.

In einem Buch, welches seine Figuren und Charaktere so lebensecht nahebringt, wie Ketchum dies gelingt, ist es unumgänglich, dass man sich mit der einen oder anderen Person identifiziert, und dann hat man das Problem, sich mit dem auseinanderzusetzen, was diese Leute im Roman erdulden müssen oder wozu sie gezwungen werden. Und für all diejenigen, die meinen zu wissen, wie es ausgeht, sei an dieser Stelle verraten, dass es sicherlich ganz anders enden wird. Ketchum zeigt, wie das Leben spielt, für Hollywood-Phantasien ist dabei kein Platz. Menschen reagieren hier menschlich; das gilt selbst für den zurückgebliebenen, kannibalischen Aggressor.

Der Leser wird nach diesem Horror-Trip glücklicherweise von einem Nachwort des Autors aufgefangen, so dass er mit seinen Gedanken und Emotionen nicht allein gelassen wird und erfährt, wieso und weshalb der Autor diese und jene Formulierung wählte und was er damit versucht hat auszusagen. Im Vorwort berichtet Douglas E. Winter über den Roman, darüber, was er empfand, als er ihn las, und was sich hinter einer so grausamen, ja menschenverachtenden, Geschichte verbirgt.

Das Cover ist fast schon gediegen, zeigt lediglich den muskulösen Arm eines Mannes mit einem blutigen Jagdmesser in der Hand. Doch die riesigen blutroten Lettern des Titels schleudern dem Betrachter ihre Botschaft mitten ins Gesicht: Jetzt ist „Beutezeit“, und wie die Opfer im Roman wird der Leser zur Beute der unerträglichen Spannung, bis zuletzt muss man weiterlesen, selbst wenn man die Gewaltdarstellungen nicht gutheißen will, aber man muss einfach wissen, ob die fiesen Menschenfresser am Ende nicht das erhalten, was sie verdienen.

_Fazit:_ Ein verstörender, gewalttätiger Horror-Roman, der einen echten und durchaus denkbaren Schrecken für den Leser bereithält. Ein Buch, welches zu Recht in der Reihe |Heyne Hardcore| erschienen ist und zeigt, wie dünn die Fassade der Zivilisation wirklich ist.

|Originaltitel: Off Season
Übersetzer: Friedrich Mader
285 Seiten|

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http://www.heyne-hardcore.de

_Florian Hilleberg_

Heitz, Markus – Kinder des Judas

Leipzig, 2006: Die Krankenschwester Theresia besitzt die Fähigkeit, den baldigen Tod anderer Menschen vorherzusehen. Sie überwacht die Sterbenden und ruft kurz vor dem Ableben die Angehörigen herbei. Für die Patienten ist sie die Seele des Krankenhauses, wie ein Engel, der Trost in den letzten Stunden spendet. Niemand ahnt, dass Sia ein Doppelleben führt. Sie ist eine scheinbar alterlose Unsterbliche, eine Vampirin, die dem Bündnis der „Kinder des Judas“ angehört und bereits über dreihundert Jahre alt ist. Neben ihrem Beruf als Krankenschwester nimmt sie an illegalen Gladiatorenspielen teil, die sie dank ihrer übermenschlichen Kräfte nie verliert. Um ihr Gewissen zu ordnen, schreibt sie ihre Geschichte auf.

Das Osmanische Reich, um 1670: Die achtjährige Jitka lebt mit ihrer Mutter im serbischen Gebiet, das von den Türken beherrscht wird. Jitkas Mutter wird nach einer Intrige von den Besatzern gefangen genommen und getötet, dem Mädchen gelingt die Flucht auf den Hof des Lehnsherren. Bald darauf nimmt ihr totgeglaubter Vater Karol sie bei sich auf, dem sie zuvor nie begegnet ist. Er ist ein edel aussehender Wissenschaftler, der eine abgelegene Mühle bewohnt. Das wissbegierige Mädchen fasst Vertrauen und wird in den folgenden Jahren von ihm unterrichtet.

Mit vierzehn Jahren erfährt Jitka, die sich nun Scylla nennt, dass ihr Vater einem Geheimbund von Forschern angehört, in den sie ebenfalls eintreten soll. Scylla muss jedoch erkennen, dass die Mitglieder nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Vampire sind – und sie selber ebenfalls. Als sie die wahren Ziele der „Kinder des Judas“ erfährt und sich von dem Bund lossagt, gerät die junge Frau in einen Zwiespalt, der sie und ihre große Liebe in höchste Gefahr bringt …

In „Ritus“ und „Sanctum“ widmete sich der Autor den Werwölfen, in „Die Kinder des Judas“ stehen Vampire auf dem Programm. Mit Vampiren verbindet man gewöhnlich schwarz gekleidete Blutsauger, die Knoblauch und Kreuze ebenso wie das Sonnenlicht meiden und nachts Jagd auf Menschen machen. Mit einigen Klischees wird hier aufgeräumt, sodass auch Vampirkenner gut unterhalten werden.

_Originelle Vampirdarstellung_

Die „Kinder des Judas“, denen Scylla angehört, distanzieren sich von den anderen vampirhaften Wesen, die wahllos über Menschen und Tiere herfallen. Die Gier nach Blut ist ihnen allen eigen, aber sie bemühen sich, diese Sucht zu unterdrücken. Wer dennoch seiner Schwäche nachgibt, zeichnet seine Opfer mit drei Kreuzen, die für die römische Zahl Dreißig stehen und an ihren verehrten Stammvater Judas erinnern, der einst für dreißig Silberlinge seinen Herrn Jesus Christus verriet. Ungewöhnlich, aber umso interessanter ist die ausgeprägte Religiosität und Christus-Verehrung der Vampire. Nicht nur, dass sie das Kreuz nicht fürchten, sie tragen es zumeist sogar selber. Judas ist in ihren Augen kein Verräter, sondern ein notwendiges Mosaikstein in der Heilsgeschichte, denn ohne sein Handeln wäre Christus nicht auferstanden – damit verfolgen die Anhänger eine gerade in der Neuzeit immer populärer gewordene Ansicht, die dennoch im ersten Moment irritiert, zumal wenn sie von Vampiren vertreten wird. Wer sich als „Judaskind“ bezeichnet, ist in Augen der ahnungslosen Bevölkerung ein Gottesverräter. Auch die Forschungen der Vampire, bei denen sie Leichname aus Friedhöfen bergen und sezieren, um anatomische und biologische Studien zu betreiben, werden missinterpretiert. Die eingelegten Körperteile stammen nach Vermutungen der Menschen von Lebenden, die grausam zu Tode gequält werden, an Forschungen mag hier niemand glauben, zu weit verbreitet ist das Bild vom menschenreißenden Vampir, der mit dem Teufel im Bund ist.

_Interessante Hauptfiguren_

Beide Erzählstränge drehen sich um Scylla, die als kleines Mädchen noch Jitka heißt, sich später nach der Rächerfigur aus der griechischen Mythologie umbenennt und im einundzwanzigsten Jahrhundert den Namen Theresia trägt. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Vergangenheit. Der Leser verfolgt, wie die wissbegierige Jitka heranwächst, wie sie unter dem sorgsamen Blick ihres geheimnisvollen Vaters zu einer Gelehrten reift, deren Leben sich vorwiegend in der Bibliothek und im Labor abspielt. Furchtlos wie eine Medizinerin seziert sie bereits als junges Mädchen tote Menschen und lernt mit großer Begeisterung fremde Sprachen.

Trotzdem ist sie alles andere als eine farblose Streberin. Je älter sie wird, desto eingeengter fühlt sie sich in der abgelegenen Mühle. Daraus ergibt sich fast zwingend eine Liebelei mit dem gleichaltrigen Hirtenjungen Giure. In jugendlicher Naivität erhoffen sich die beiden eine gemeinsame Zukunft, ohne dass sie ahnen, dass Scyllas Vater diese Verbindung niemals dulden könnte. Scylla bleibt stets eine mutige Einzelkämpferin, die dennoch ihre Mühen damit hat, zwischen den Fronten zu stehen. Glaubhaft werden ihre Zwiespälte geschildert, sowohl die der jungen Frau im 17. Jahrhundert, die gerade von ihrem Vampirwesen erfahren hat, als auch die der Leipziger Krankenschwester, die immer noch mit ihrer jahrhundertealten Vergangenheit ringt.

Ein weiterer interessanter Charakter ist Scyllas Vater. Von klein auf glaubte Jitka, ein Jugendfreund ihrer Mutter, der als Soldat gefallene Radomir, sei ihr Vater gewesen, bis plötzlich Karol Illicz vor ihr steht und sie bei sich aufnimmt. Seine vornehme Kleidung samt Weißhaarperücke verwirren sie, auch seiner Angabe, dass er viele Jahre krank gewesen sei und sich daher nicht eher melden konnte, mag sie nicht recht trauen. Andererseits fühlt sie sich rasch geborgen bei ihrem noch fremden Vater, der der einzige Mensch geblieben ist, dem sie noch vertrauen kann. Je älter sie wird, desto mehr stören sie die Geheimnisse, die ihr Vater offensichtlich vor ihr bewahrt, obwohl sie gleichzeitig ahnt, dass er sie zu ihrem eigenen Schutz nicht in alle Dinge einweiht.

Eine äußerst bedrohliche Figur ist Marek, Scyllas Halbbruder, der sich ihr gegenüber zunächst charmant und ehrerbietig erweist, ehe sich herausstellt, dass er sexuelle Absichten hegt. Marek, der Scylla einst als Retter in der Not erschien, wird zu ihrem Todfeind und verfolgt seine Schwester über Jahrhunderte hinweg, bis es zur unvermeidlichen Konfrontation kommt. Die Liebesgeschichte zwischen Scylla und dem Deutschen Viktor von Schwarzhagen wird angenehm kitschfrei erzählt und tritt ohnehin erst spät im Buch in Erscheinung.

_Fokus auf Vergangenheit_

Historienfreunde kommen auf ihre Kosten dank des Erzählstranges, der zurück ins 17. Jahrhundert führt und dort größtenteils auf Gebiete des Osmanisches Reiches. Auch wenn die Kriege und die Politik der damaligen Zeit nur am Rand angesprochen werden, wird der Leser in den Aberglauben und die Lebensgewohnheiten der Menschen eingeführt. Adelige Schlösser werden ebenso zum Schauplatz wie Zigeunerwagen, und das Leben unter der türkischen Besatzung wird nicht romantisiert. Historische Personen wie der Medicus Glaser und der Obrist D’Adorno werden ebenso eingebunden wie die tatsächliche Vampirpanik 1732 in Medvegia, in der unerklärliche Todesfälle auf Vampire zurückgeführt und eine offizielle Untersuchungskommission eingeleitet wurden.

Die Sprünge in die Gegenwart fallen kürzer aus, sind aber trotz des vertrauten Terrains nicht weniger geheimnisvoll. Sia, deren Wunden sich sofort regenerieren und deren Schnelligkeit der von Menschen weit überlegen ist, tritt nachts maskiert zu illegalen Gladiatorenkämpfen an, die weltweit ausgestrahlt werden und die eine Atmosphäre morbider Faszination verbreiten.

_Wenige Schwächen_

Anzukreiden ist dem Roman in manchen Phasen eine unausgewogene Einteilung, was die Ausführlichkeit betrifft. Während viele Begebenheiten sehr detailliert geschildert werden, herrscht an anderer Stelle übertriebene Knappheit vor. Dies gilt besonders für den Teil, der Scyllas Erkenntnis folgt, dass sie eine Vampirin ist. Gleich mehrere Jahre ihres folgenden Lebens werden auf wenigen Seiten abgehandelt, ihre Entwicklung und ihr neuer Lebensstil kaum erläutert, sodass ein zu harter Sprung erfolgt. Ähnlich verläuft es kurz vor Schluss, als Scylla in wenigen Sätzen ihren Lebenslauf über gut zweihundert Jahre rekapituliert. Einmal fällt eine unrealistische Reaktion Scyllas auf, als ihr Vater gerade mit knapper Not einem tödlichen Angriff entkommen ist und sie sofort sehr nüchtern erscheint. Für empfindsame Gemüter geht es sicherlich an vielen Stellen zu blutig zu, die Kämpfe und Vampirjagden werden ohne Beschönigung formuliert, allerdings sollte jeder Phantastik-Leser ohnehin damit rechnen.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr unterhaltsamer Vampirroman, der geschickt Historie und Horror miteinander verbindet. Der Vampirmythos wird abseits Graf Draculas und der üblichen Klischees erzählt und stellt eine interessante Hauptfigur in den Mittelpunkt. Wie schon in den Werwolf-Romanen „Ritus und „Sanctum“ werden Ereignisse aus der Vergangenheit und der Gegenwart miteinander verknüpft. Negativ fallen nur einige Stellen auf, in denen im Gegensatz zur sonstigen Ausführlichkeit die Ereignisse einiger Jahre zu knapp wiedergegeben werden.

_Der Autor_ Markus Heitz, geboren 1971, studierte zunächst Germanistik und Geschichte, ehe er als freier Journalist zu arbeiten begann. 2003 gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller mit dem Fantasyroman „Die Zwerge“. Es folgten zwei Fortsetzungen, der vierte Teil ist für 2008 angekündigt. Weitere Werke sind u. a. die Werwolf-Romane „Ritus“ und „Sanctum“.

http://www.pakt-der-dunkelheit.de/
http://www.knaur.de/

|Markus Heitz auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die Zwerge“ 2823
[„Die Zwerge“ 2941 (Hörbuch)
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Der Krieg der Zwerge“ 3074
[„Die dritte Expedition“ 2098
[„Ritus“ 2351 (Buch)
[„Ritus“ 3245 (Hörbuch)
[„Sanctum“ 2875 (Buch)
[„Sanctum“ 4143 (Hörbuch)
[„Die Mächte des Feuers“ 2997

Whitfield, Kit – Wolfsspur

Die Bevölkerung unserer Erde besteht zu über neunzig Prozent aus Werwölfen, den so genannten Lykos. Die Nicht-Lykos, die „Nons“, werden abschätzig als Glatthäute bezeichnet und als Missgeburten angesehen. Sämtliche Nicht-Werwölfe müssen später bei der ASÜLA arbeiten, dem Amt zur ständigen Überwachung lykanthropischer Aktivitäten.

Zu dieser Behörde gehört auch Lola Galley, die als Anwältin und Fängerin bei ASÜLA tätig ist. Jetzt muss sie die Verteidigung eines gewissen Ellaway übernehmen, der es als Werwolf angeblich nicht mehr schaffte, bei Einbruch der Vollmondnacht einen geeigneten Schutzbunker aufzusuchen. Als Lyko überfiel er Lolas Partner Johnny Marco und biss ihm eine Hand ab. Doch der Fall erhält eine völlig neue tragische Dimension, als Johnny plötzlich erschossen wird – mit einer silbernen Kugel! Bricht hier der schon lange unterschwellig gärende Hass der Lykos gegen die Minderheit der Nons an die Oberfläche?

Kurz darauf wird bei einem Fängereinsatz, bei dem in Vollmondnächten streunende Werwölfe aufgriffen werden, auch Lolas neuer Partner, ein Praktikant, schwer verwundet. Der Täter Seligmann wird von Lola und einem weiteren Auszubildenden verhört. Wenig später wird auch dieser Azubi mit einer Silberkugel erschossen.

Lola Galley verstrickt sich nicht nur in den Machenschaften ihres eigenen Amtes, sondern muss auch die innere Kluft zwischen Nons und Lykos überwinden, um den Fall zu lösen. Dass sie sich in den Lyko Paul Kelsey, einen Sozialarbeiter, verliebt, scheint ihr zunächst dabei zu helfen. Doch dann gehört Paul plötzlich zu den Hauptverdächtigen und Lolas Welt bricht endgültig zusammen …

Eine höchst interessante alternative Realität hat Kit Whitfield hier in ihrem Debütroman entworfen, der am ehesten zur Social-Fantasy gerechnet werden muss. Die Handlung spielt in einer Großstadt in der Gegenwart, in welcher alles so ist, wie wir es kennen, nur mit dem Unterschied, dass die meisten Menschen Lykanthropen sind.

Einfühlsam versteht es Whitfield, die Kluft zwischen den Werwölfen und den „Nons“ herauszuarbeiten, und benutzt die Lykanthropie als gelungene Metapher auf unsere eigene Gesellschaft, nur dass bei Whitfield die „normalen“ Menschen die Minderheit bilden. Wurde der Werwolf bislang in der phantastischen Literatur meistens als Einzelgänger oder Verfluchter dargestellt, so dreht die Autorin dieses Mal den Spieß um und zeigt dem Leser eine Welt, in der es von Nachteil ist, ein gewöhnlicher Mensch zu sein. Wobei diese Normalität gänzlich im Auge des Betrachters liegt und in Whitfields Vision eben darin besteht, die Gabe der Metamorphose zu besitzen. Allerdings können die Werwölfe ihre Verwandlung nicht steuern, sondern sind gänzlich dem Mondzyklus ausgeliefert.

Gekonnt zeigt die Schriftstellerin auf, wie paradox eine Gesellschaft auf Andersartigkeit reagieren kann. Obwohl die „Nons“ verpönt und geächtet werden, sind sie ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Systems. Damit sich die Lykanthropen während der Vollmondnächte nicht gegenseitig zerfleischen oder Nons anfallen, müssen sie sich bei Vollmond in Schutzbunker flüchten, wo sie sich in Ruhe austoben können. Vereinzelte Streuner werden von Angehörigen der ASÜLA eingefangen. Gerade deshalb ist die Minderheit der Nicht-Werwölfe für eine Gesellschaft, die sich bei Vollmond fast komplett in eine Horde wilder Tiere verwandelt, von unermesslichem Wert. Hier zeigt die Schriftstellerin realitätsnah die Schizophrenie dieser Gesellschaft. Da die Mehrheit sich in Werwölfe verwandelt, wird abschätzig auf jene hinabgeschaut, die diese Fähigkeit nicht besitzen und somit unnormal sein müssen. Verhaltensweisen, die auch auf unsere Lebensgemeinschaft durchaus zutreffend sind und immer wieder beobachtet werden können.

Die Protagonistin des Romans, Lola Galley, ist eine solche „Non“ und bei der ASÜLA als Anwältin und Fängerin beschäftigt. Als Nicht-Werwölfin hat sie wie alle Nons keine leichte Kindheit gehabt, und auch in ihrem Berufsleben leidet sie unter ihrer Andersartigkeit. Whitfield hat es hervorragend verstanden, den zynisch-depressiven Charakter von Lola glaubhaft herauszuarbeiten. Lola berichtet ihre Erlebnisse aus der Ich-Perspektive, was die Suche nach dem Täter spannender gestaltet, da der Leser genauso im Dunkeln tappt wie die Protagonistin selbst, dafür wird er aber auch mit den düsteren und schwermütigen Gedanken Lolas hautnah konfrontiert. Das macht die Lektüre bisweilen ein wenig langatmig und trostlos, denn Optimismus gehört nicht zu den Eigenschaften von Whitfields Hauptfigur.

Wer aufgrund von Titel, Cover oder auch dem Klappentext einen reißenden Werwolf-Schocker im Stil von „Der Mr.-Hyde-Effekt“ oder „Underworld“ erwartet, wird sicherlich enttäuscht sein. Dieses Buch lotet das gesamte Spektrum der Möglichkeiten aus, die ein solches alternatives Szenario zu bieten hat, und vermeidet die simple Darstellung von Gewalt und Action. Der Roman ist stellenweise sehr beklemmend, wenn die Verhörmethoden der ASÜLA geschildert werden, die stellenweise starken Gestapo-Charakter aufweisen. Auch hier wird die Ohnmächtigkeit der Minderheit der Nons gegenüber der Mehrheit der Werwölfe deutlich. Die Angehörigen der ASÜLA nutzen die Verhöre oftmals, um Frust und Hilflosigkeit abzubauen. Der Leser wird direkt mit der dunklen Seite der menschlichen Seele konfrontiert, wenn sich selbst die Ich-Erzählerin Lola solcher Methoden bedient, auch wenn sie mit Gewissensbissen zu kämpfen hat.

Die Eingliederung in ein Genre war selten so schwer wie bei diesem Werk, und die oben erwähnte „Social-Fantasy“ wird diesem Buch nicht ganz gerecht. Es ist kein Horror-Roman, keine Kriminalgeschichte und auch keine „Fantasy“. Es steckt sowohl ein Liebesroman als auch eine gelungene Gesellschafsstudie in diesem Werk. Ein hochaktueller und sehr brisanter Roman, der mit Sicherheit nicht verfilmt werden wird.

Die Aufmachung ist dem Verlag hervorragend gelungen. Als Relief erhebt sich der Titel unter einem vollen, strahlenden Mond, über den sich die blutigen Kratzer eines wilden Prankenhiebs erstrecken. Hier wird dem Leser vielleicht eine gänzlich andere Story suggeriert, aber im Nachhinein ist das Motiv dennoch passend ausgewählt worden und funktioniert als Gleichnis zur angeschlagenen Seele einer Nicht-Werwölfin.

_Fazit:_ Ein faszinierender Erstling aus der Feder von Kit Whitfield. Die alternative Realität, in der die meisten Menschen in den Vollmondnächten zu Werwölfen mutieren, wird hier als gelungene Metapher auf die heutige Gesellschaft und ihre Reaktion auf Minderheiten angewendet. Wolfsspur ist kein Horror-Roman, sondern vereint vielmehr die Hauptgenres der Literatur zu einem düsteren, pessimistischen Werk voller Gefühl und Spannung. Dem innerlich zerrissenen Charakter der Protagonistin wird dabei viel Aufmerksamkeit geschenkt.

„Wolfsspur“ ist ein Buch für Freunde anspruchsvoller Fantasy- und Horrorliteratur; Fans von Kriminal- und Liebesgeschichten kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Allerdings hat der Roman auch seine Längen, und der Zynismus und Pessimismus der Hauptfigur bleiben nicht ohne Wirkung auf den Leser.

http://www.heyne.de

_Florian Hilleberg_

McMurchie, Tom – Tsuro. Der Weg ist das Ziel

_Der Weg ist das Ziel_

Diese altbekannte Floskel beschreibt im Falle des neuen |Kosmos|-Titels „Tsuro“ ziemlich genau, worum es geht. Die Spieler schlüpfen in diesem hierzulande erstmals offiziell aufgelegten Spiel (vorher gab es bereits eine leicht alternierende Variante von |WizKids|, die via |Pegasus| vertrieben wurde) in die Rolle von Wegebauern und müssen sich mittels ihrer Wegekarten über die verschlungensten Pfade kämpfen, dabei jedoch darauf achten, nicht vom rechten Weg abzukommen und aus dem Spielfeld geschoben zu werden. Ziel des Ganzen ist es nämlich, als letzter Spieler in der Welt von Drachen und Phönix zu überleben. Oder anders gesagt: Der Weg ist das Ziel – und wer ihn bis zum Ende nicht verlassen muss, der wird auch seine Bestimmung erreichen!

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 8 Spielfiguren
• 64 Wegekarten

Schlicht, jedoch trotzdem hübsch aufgemacht: „Tsuro“ ist sicherlich kein Spiel, das grafisch auf den ersten Blick aus dem Rahmen fällt, dennoch aber mehr als solides Augenfutter. Ein echter Hingucker ist in diesem Sinne der beidseitig bedruckte Spielplan, der zudem äußerst zweckmäßig aufgebaut ist. Abhängig von der Spielerzahl kann man nämlich den größeren respektive kleineren Plan verwenden, was sich mit ein wenig Spielerfahrung auch als durchaus sinnvoll erweist, da es somit gelingt, die Dynamik unabhängig voneinander ungefähr auf demselben Level zu halten.

Davon abgesehen sind die Spielmittel zu diesem bereits 1979 erstmals erschienen Titel vorrangig zweckdienlich gestaltet, in Sachen Spielbarkeit aber vollkommen überzeugend. Es bedarf nämlich keiner illustrativen Effekthascherei, um den gebührenden Respekt einzufahren. Manchmal – und dementsprechend auch hier – ist weniger eben doch mehr!

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie werden die Wegekarten in drei ungefähr gleichgroße Nachziehstapel gemischt. Jeder Spieler darf sich nun drei Karten als Einstiegsmaterial auf die Hand nehmen; hiermit gilt es nun in den kommenden Runden zu arbeiten. Nachdem jeder Spieler eine Spielfigur gewählt hat, entscheidet man sich für eine Seite des Spielplans und positioniert seine Figur an einer der am Rand befindlichen Schnüre. Von hier aus startet man nun seine Reise in das quadratische Spielfeld, immer darauf bedacht, es bloß nicht mehr zu verlassen.

_Spielablauf_

Sobald die Figuren aufgestellt sind, darf der älteste Spieler den ersten Zug ausführen und das Spiel beginnen. Dabei befolgt er folgende Schritte:

|1.) Eine Wegekarte legen|

Der Spieler wählt eine seiner drei Wegekarten und legt sie an ein Feld, das direkt an seine eigene Figur grenzt, an. Es ist dabei egal, in welche Richtung man die Karte legt, solange sie nur derart verbunden ist, dass die Spielfigur weitergesetzt werden kann.

|2.) Eigene Spielfigur setzen|

Die Spielfigur setzt er jetzt anhand des sich nun bietenden Weges an den Seilen auf der Karte entlang vorwärts, bis er schließlich am Rand der neu gelegten Karte angelangt ist. Sollten hierbei mehrere Karten miteinander verbunden sein, wandert er so weit, bis seine Spur endet. Auch andere Spielfiguren, deren Wege möglicherweise nun verlängert werden, müssen weitergeschoben werden – eventuell auch ins Aus!

|3.) Eine Wegekarte nachziehen|

Im Anschluss an seinen Zug füllt man seine Kartenhand wieder auf, indem man eine Wegekarte von einem beliebigen Nachziehstapel nimmt.

Das Spiel schreitet nun Zug für Zug fort; die Figuren gehen ihres Weges, es sei denn, sie erfüllen eine der beiden Bedingungen für den vorzeitigen, unfreiwilligen Ausstieg. Sobald sie nämlich am Rand des Spiels ankommen oder aber den Weg eines Mitspielers treffen, müssen sie sofort das Feld räumen. Im letztgenannten Falle scheiden sogar direkt beide Spieler aus.

_Spielende_

In „Tsuro“ überlebt der stärkste Spieler, und das ist derjenige, der als Letzter auf dem Spielfeld stehen geblieben ist. Falls hingegen mehrere Spieler infolge eines Zuges als Letzte das Feld räumen müssen, wird der Sieg untereinander aufgeteilt.

_Persönlicher Eindruck_

„Tsuro“ macht Spaß, ist schnell erlernt, fast noch schneller gespielt und besitzt, zumindest zu Beginn, einen hohen Wiederspielreiz, der darin begründet ist, dass man unablässig nach Taktiken und Strategien sucht, wie man die eigenen Karten am besten positioniert, um nicht zu schnell in eine missliche Lage hineinzugeraten bzw. schnell ins Abseits zu rücken. Gute Voraussetzungen also, um den Neuheiten-Katalog des |Kosmos|-Verlags um ein weiteres Highlight zu ergänzen. Wie sich jedoch von Partie zu Partie immer deutlicher herauskristallisiert, ist der Einfluss, den man auf sein eigenes Schicksal ausüben kann, nicht ganz so groß wie erhofft, da gewissermaßen das Glück oder das Geschick der anderen Spieler dem Verlauf des Spiels viel stärkere Impulse verleihen. So kann es bereits im Spiel zu fünft oder zu sechst schnell geschehen, dass man nach seinem eigenen Zug noch glaubt, das Spiel völlig im Griff zu haben, in den Zügen der anderen Spieler dann aber mit einem Mal in eine Bredouille gerät, die man aus eigenen Kräften kaum mehr verlassen kann. Es besteht die Gefahr, dass man partiell zu sehr vom Spiel gespielt wird, gerade wenn man bei der Entwicklung eigenes Strategien noch unsicher oder aber experimentierfreudig ist – doch was ist in „Tsuro“ schon sicher?

Dennoch funktioniert das Spiel als etwas krassere „Mensch, ärgere dich nicht“-Abart wirklich gut, weil es schlichtweg sehr kommunikativ und interaktiv ist, ein hohes Tempo aufweist und trotz der verschachtelten Wegweisungen völlig simpel strukturiert ist. Was vielleicht fehlt, sind einige taktischere Elemente, um die Spielvielfalt noch ein wenig auszubauen. Bedingt durch die stete Auswahl aus drei Karten kann man seinen Zug nämlich eigentlich immer recht sicher durchführen und ist schließlich stark vom Vorgehen der Mitspieler abhängig. Diesbezüglich hätte das Gleichgewicht sicher noch ein Stück weit in die Richtung des aktiven Spielers gedrängt werden können, damit der eben nicht in einen wachsenden Passiv-Part abfällt. Doch dies sind im Nachhinein alles nur Spekulationen, über die man während des Spiels nur wenig Gedanken verschwenden wird. Im Vordergrund steht nämlich der Spielspaß – und der reißt trotz der genannten Einschränkungen kaum ab!

http://www.kosmos.de/

Jenkins, Paul – Civil War: Der Tod eines Traums (Marvel Exklusiv 70)

_Story_

In einem spektakulären Kampf haben Iron Man und Captain America das Ende des Civil Wars herbeigeführt und ihn zugunsten derjenigen entschieden, die von Anfang an das Gesetz zur Registrierung der Superhelden begrüßt hatten. Tony Stark kann sich dennoch nicht so recht über diesen Erfolg freuen, schließlich wurde das ganze Universum in eine heftige Krise gestürzt, und ein Großteil seiner einstigen Freunde verbringt nun seine Zeit in Sicherheitsverwahrung, um jedwede Rebellion bereits im Keim zu ersticken.

Im Anschluss an die letzten Schlachten des Krieges begeben sich Ben Urich und Sally Floyd an die Spitze beider Fronten, hinterfragen Captain Americas plötzliche Kapitulation und halten eine sensationelle Behauptung für die direkte Konfrontation mit dem siegreichen Stark zurück. Dieser scheint nämlich im gerade abgeschlossenen Krieg von Beginn an nicht mit fairen Mittel gespielt und somit die Misere zu seinen Gunsten geplant und entschieden zu haben. Der Captain alias Steve Rogers erhält jedoch keine Gelegenheit mehr, die Hintergründe des Iron Man zu erforschen. Noch auf dem Weg zu seiner Vernehmung wird er Opfer eines Attentats und erliegt den schweren Verletzungen kurze Zeit später.

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem Ende des Bürgerkriegs startet erst der eigentlich brisanteste Teil des „Civil War“. Die Schlacht ist geschlagen, die Welt frustriert, und niemand weiß so recht, wie es weitergehen soll. Unter dem Regiment der Vertreter des Gesetzes scheint sich eine wachsende Depression einzuschleichen, die sich besonders bei den Hauptverantwortlichen, Captain America und Iron Mark, deutlich bemerkbar macht. Dennoch scheinen beide im Bezug auf die Zukunft guter Dinge und kompromissbereit, stehen möglicherweise sogar eines Tages wieder auf dem Standpunkt, gemeinsam für die Bürger Amerikas eintreten zu können.

Allerdings wird dieser anfängliche Hoffnungsschimmer im abschließenden Band zum „Civil War“ recht schnell aus dem Bild gedrängt, denn mit einem Mal bekommt der Leser erst wirklich zu spüren, dass der Gesetzesbeschluss viel weniger den eigentlichen revolutionären Akt darstellte, sondern vielmehr die Folge der Auseinandersetzungen mehrerer einstiger Freunde, die im Laufe der Zeit unverhofft zu erbitterten Feinden wurden. Dies erscheint unter Berücksichtigung der jüngsten Vorwürfe, die das Reporterteam aus Ben Urich und Sally Floyd gegen die beiden Protagonisten erhebt, allerdings noch einmal eine Spur dramatischer, indes aber auch überraschend politisch. Man durfte vorab schon vermuten, dass sich |Marvel| dieses Mal auch ein ganzes Stück gegen die Entwicklungen im eigenen Land auflehnt, zumindest waren einige Einsprengsel bereits in der vorangegangenen Heftserie zu sehen. Nun aber wird das Ganze in der Tat zum offensichtlichen Politikum und als solches betont kritisch und bissig, wobei der verschwörerische Eid Starks ebenso an den Pranger gestellt wird wie die konservativen Strategien Steve Rogers, welche in ihrer Wechselwirkung das Geschehen tragen und es in diesem Band auch (zumindest halbwegs) konsequent zu Ende führen.

In diesem Sinne mag aber dennoch ein Großteil des jahrelangen Publikums erstaunt und verbittert zugleich sein. Captain America geht als Opfer aus der Konfrontation hervor und erliegt den Folgen seines unerbittlichen Kampfes für seine Version der Gerechtigkeit. Natürlich mag man nun einwerfen, dass Todesfälle im |Marvel|-Universum lediglich von relativer Dauer sind, doch nach dem Abschluss der Reihe hat man in der Tat den Eindruck, als sei es den Autoren und Denkern hinter „Civil War“ mit dieser Entwicklung ernst – so ernst zumindest, dass man bereit ist, an den Schluss der Story einen echten Scherbenhaufen zu platzieren, den es nun in den nächsten Monaten wieder langsam zu rekonstruieren gilt. Dabei stellt sich aber unweigerlich die Frage: Ist dieses enorm große Opfer wirklich notwendig, um die Fortschrittlichkeit im eigenen Comic-Kosmos auch künftig zu gewährleisten? Die Zukunft wird darüber Aufschluss geben, und daher darf man auch auf die folgenden Ausgaben gespannt sein, aber es mutet schon sehr krass an, derartige Schritte zu gehen – wollen wir also hoffen, dass der Mut belohnt wird.

Abseits derartiger Philosophien sei für „Civil War: Der Tod eines Traums“ gesagt, dass die Geschichte fulminant beginnt, wagemutig Neuland betritt, dann aber in einem allzu konfusen, hektischen Treiben die eigentliche Dramaturgie aufgibt und somit einen der wohl rührseligsten Momente der Verlagsgeschichte ad absurdum führt. Der eigentliche Plot wird mehrfach fallen gelassen, um einige Retrospektiven zu gewähren, die mit der Handlung nur sehr vage in Zusammenhang stehen und sie dementsprechend auch kaum vorwärts bringen. Überlegt man also, welch revolutionäres Ereignis der Sonderausgabe zugrunde liegt und wie sträflich nachlässig man mit der Aufarbeitung dessen vorgeht, ist also ein deutliches Kopfschütteln angebracht – nicht etwa ob des unglaublichen Inhalts, sondern ganz klar wegen der verwirrenden Umsetzung. Dass die 70. Episode von „Marvel Exklusiv“ aber dennoch unverzichtbar ist, liegt ob der tragischen Hintergründe auf der Hand. Schade nur, dass man im Kapitel nach dem Grand Finale nicht mehr mit den gleichen Ambitionen zu Werke gegangen ist wie noch in den unzähligen Teilartikeln zum |Marvel|-Mega-Crossover. Im Grunde genommen ist „Der Tod eines Traums“ nämlich in Sachen Aufarbeitung eine echte Enttäuschung!

http://www.paninicomics.de/?s=CivilWar

Bustamente, Frank / Nickoloff, Michael – Testimony Of Jacob Hollow, The

_Lovecraft again …_

Der Großmeister der Horror-SciFi und Ikone der düsterromantischen Bewegung spannt seine Netze immer weiter über den großen Schauplatz der internationalen Spiellandschaft. Lovecrafts Welt der spirituellen Geheimnisse und übersinnlichen Entdeckungen gehört mittlerweile zu einem der Leitmotive bei der Kreation neuer Strategie-, Brett- und Kartenspiele und brachte den Liebhabern des Genres in den vergangenen Jahren schon einige echte Klassiker des Metiers, unter anderem das hoch gelobte [„Arkham Horror“ 4085 aus der erfolgreichen Schmiede von |Fantasy Flight Games|.

Doch auch kleinere Verlage haben sich an diesen großen Namen herangewagt, jüngst zum Beispiel auch das kleine amerikanische Label |Third World Games|, über welches vor nicht allzu langer Zeit ein viel versprechendes Kartenspiel namens „The Testimony Of Jacob Hollow“ veröffentlicht wurde. Monster, Mythen und unheimliche Begegnungen sind hierbei anzutreffen, und bevor man sich versieht, ist man erneut mitten eingetaucht in den großräumigen Fundus von H. P. Lovecrafts Kosmos.

_Spielidee_

In Castle Bay geschehen seit einiger Zeit unheimliche Dinge. Grässliche Gestalten säumen das Bild der mittlerweile verlassenen Stadt, und die Angst derjenigen, die das Krisengebiet neuerlich zu erforschen begonnen haben, wächst von Minute zu Minute mehr. Jeder hat es nun selber in der Hand, sich den Kreaturen zu stellen, sich auf den Horror merkwürdiger Begegnungen einzulassen und in den abgelegenen Schauplätzen des beschaulichen Örtchens Punkte für erledigte Recherchen zu sammeln, die nicht nur das Überleben, sondern auch den Sieg in diesem Spiel sichern. Doch es ist Obacht geboten; häufig sind die Geschöpfe der Finsternis stärker, als man es zunächst vermutet …

_Spielmaterial_

Das Kartenmaterial zu „The Testimony Of Jacob Hollow“ besteht auch insgesamt 110 Einheiten, unterteilt in 90 Terror-, 14 Ortschafts- und 6 Charakterkarten. Jede dieser Karten zeigt ein besonderes Szenario des Spiels und trägt dank der wundervoll illustrierten Grafiken unheimlich deutlich zur schaurigen Spielatmosphäre bei – was die visuelle Komponente betrifft, haben wir es also schon einmal mit einem absoluten Volltreffer zu tun. Bezogen auf Anschaulichkeit und damit auch auf das sich bietende Gameplay muss gesagt werden, dass recht viele Infos auf den Karten enthalten sind, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Gerade in der ersten Spielrunde ist die Vielzahl der abgebildeten Werte noch ein wenig verwirrend, weil man nie so recht weiß, welche Punktzahlen nun in welcher Situation gewertet werden bzw. welche Bedeutung der Karteninhalt nun genau für die Entwicklung des Spiels hat. Zwar folgt dies alles einem logischen Aufbau, jedoch ist dieser definitiv nichts für Einsteiger in Sachen strategisches Kartenspiel.

Dennoch ist das Material weitestgehend gefällig und überzeugt letztendlich auf jeden Fall wegen der feinen Horror-Grafik. Nur inwiefern die pinkfarbenen und leuchtend gelben Würfel damit in Einklang zu bringen sind, ist mir nicht ganz verständlich.

_Der Spielablauf_

In „The Testimony Of Jacob Hollow“ übernimmt jeder Spieler die Rolle eines der sechs Charaktere, die vor der Partie zur Auswahl stehen. All diese Charaktere haben in unterschiedlicher Anordnung die Werte vier und fünf für Lebenskraft respektive Willensstärke und müssen nun Runde für Runde an die entlegenen Orte reisen, entscheiden, ob sie sich den dort befindlichen Monstern stellen und möglicherweise auch kämpfen wollen und auf diese Weise versuchen, die erforderlichen zehn Recherchepunkte zu sammeln.

Zu Beginn des Spiels besitzt jeder Spieler genau fünf Terrorkarten auf der Hand sowie seinen Charakter, der ebenfalls als Karte offen ausliegt. Den Spielern bleibt nun selber überlassen, ob sie einen Ort aufsuchen oder doch nur ziellos vor der Gefahr flüchten und die gegebenen 14 Lokalitäten meiden – Letzteres wäre allerdings extrem kontraproduktiv, da man auf diese Weise arg schnell ins Hintertreffen gerät und die Punkte für Recherche leichtfertig den Gegnern überlasst.

Der Aufbau einer Runde gliedert sich nun in die folgenden Spielphasen:

|1.) Karten nachziehen|

Zu Beginn des Spielzuges zieht man bis zu drei Karten nach, bis man auf ein Maximum von fünf Karten kommt.

|2.) Ortschaften besuchen|

Nun kann man sich entschließen, eine neue Karte vom Ortsstapel zu ziehen und sich dorthin zu begeben oder eine bereits ausliegende Location zu besuchen. Die unterschiedlichen Orte haben dabei ganz verschiedene Eigenschaften. Gemeinsam ist ihnen nur, dass dort Investigationspunkte, also in diesem Sinne Siegpunkte, versteckt sind, die man nach erfolgreich bestandener Begegnung einsammeln darf. Allerdings ist dieser Mechanismus ein wenig komplexer, weil man nicht etwa die eigenen Handkarten während der Begegnungen ausspielen darf, sondern blind vom Nachziehstapel der Terrorkarten zieht, um sein Schicksal zu bestimmen. Auf den Location-Karten sind feste Werte abgebildet, die nun über den so genannten Flip-Modus genau getroffen werden müssen, um Monstern auszuweichen und an diesem Ort einigermaßen sicher zu sein. Beispielsweise ist der ‚Evade‘-Wert für die Flucht bei 1, 2 und 4 festgelegt. Der Spieler, der nun am Zuge ist, zieht (flip) nun eine Karte vom Terror-Stapel und betrachtet den Flip-Wert auf dieser Karte. Ist er identisch mit einer der erforderlichen Ziffern, konnte man erfolgreich entkommen. Ansonsten muss man sich der Begegnung stellen und kämpfen. Auch für Letzteres werden Karten nachgezogen, und zwar für sich selbst als auch für das Monster, das man bekämpft. Wer den Kampf gewinnt, überlebt das Szenario und darf nun schauen, ob er erfolgreich Investigationspunkte bekommen kann. Andernfalls droht eine bittere Konsequenz, möglicherweise auch der Tod und damit das Ende des Spiels. Allerdings dürfen vorzeitig Dahingeschiedene weiterhin ihre verbliebenen Terror-Karten ausspielen und die Gegner noch einmal richtig ärgern.

Investigationspunkte sind das A und O in diesem Spiel und führen schließlich auch zum Sieg. Man wird sie nur erlangen, wenn man sich an gefährliche Orte heranwagt und dort entweder vor dem Bösen flieht oder aber die Begegnungen überlebt. Bei Erfolg zieht man nach besagtem Flip-System eine neue Karte, addiert seine Werte für Willensstärke und vergleicht sie mit dem Target-Wert der Location-Karte. Wird dieser übertroffen, hat man die Ortschaft erstürmt und bekommt die entsprechende Punktzahl, die auf der jeweiligen Karte abgebildet ist.

|3.) Terror-Karten ausspielen|

Die Terror-Karten in der Kartenhand erlauben einige Bonusaktionen. So kann man zum Beispiel weitere Begegnungen für sich als auch für die Kontrahenten initiieren, die eigenen Werte aufstocken, die gegnerischen hingegen manipulieren, hilfreiche Gegenstände einsammeln oder direkt gegen neue Monster antreten. Diesbezüglich gibt es keine Begrenzungen, so dass man nach Wunsch sogar direkt alle Karten spielen kann.

|4.) Karten abwerfen|

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass man mit der aktuellen Kartenhand nicht gänzlich zufrieden ist und bestimmte Karten in der individuellen Spielsituation von eher geringem Nutzen sind. In diesem Falle darf man nun im letzten Zug bis zu drei Karten abwerfen, um sich dieser Lasten zu entledigen.

_Spielende_

Sobald ein Spieler die erforderliche Anzahl Investigation Points besitzt, ist das Spiel sofort zu Ende. Gewonnen hat man „The Testimony Of Jacob Hollow“ mit insgesamt zehn Punkten – doch dies zu erreichen, ist leichter gesagt als getan.

_Persönlicher Eindruck_

Ein Spiel, das sich mit einem Teil des Lovecraft’schen Mythos auseinandersetzt, sollte natürlich vordergründig auf die Umsetzung des Themengebiets überprüft werden, welche in diesem Fall im Grunde genommen von ähnlicher Relevanz wie das Gameplay ist. Grafische Feinheiten werden bewertet, die Spielatmosphäre im Allgemeinen sowie die generelle Stimmung unter den Spielern, die sich während einer Partie dieses Kartenspiels entwickelt. Doch in dieser Hinsicht braucht sich „The Testimony Of Jacob Hollow“ vor keinem vergleichbaren Titel zu verstecken, denn in wirklich allen Belangen auf thematischer Ebene glänzt dieses flinke Horror-Spiel mit Authentizität und inhaltlicher wie visueller Brillanz. Die Illustrationen sind dabei das definitive Highlight und wohlweislich an die größten illustrierten Werke zum Thema Lovecraft angelehnt – zu denen im Übrigen auch das eingangs angeführte „Arkham Horror“ zählt, welches trotz weitaus üppigerer Gesamtausstattung zumindest in der visuellen Ausstrahlung ganz ähnliche Gänsehaut-Momente erzeugen konnte. Der Transfer des zugrunde liegenden Themenbereichs ist dementsprechend schon alleine die Investition wert.

Die Interaktion des Spiels steht diesen positiven Eindrücken indes in nichts nach. Der Mechanismus, mit dem die Begegnungen und Kampfsituationen simuliert werden, mag zwar letztendlich ein echtes Glücksspiel sein, unterstreicht aber die basische Spannung, die mit wachsender Spieldauer steil emporsteigt. Risikofreude und Abenteuerlust sind gefragt, gleichzeitig aber auch Wagemut und Geschick, denn schließlich muss man auch abwägen, inwiefern die Konkurrenz sich bestimmten Orten und Begegnungen stellt. Allerdings sind die Mittel, das eigene Schicksal zu beeinflussen, verhältnismäßig gering, so dass Strategie und Taktik hier nur minimal den Verlauf des Spiels bestimmen. Und dennoch lässt sich eine leichte Komplexität nicht wegdiskutieren, einerseits natürlich bezogen auf den etwas verwirrenden Aufbau der Karten, andererseits aber auch wegen der Fülle an Entscheidungen, die einem hier abverlangt werden. Denn auch wenn so mancher Entschluss sich eigentlich von selbst versteht, ist noch lange nicht alles selbstverständlich und transparent. Doch gerade deshalb – und nicht ausschließlich wegen der thematischen Umsetzung – lohnt es sich, „The Testimony Of Jacob Hollow“ über unzählige Spielrunden zu erforschen, dabei den eigentliche Witz des Spiels herauszufiltern und sich dennoch ständig von der prickelnden Atmosphäre mitreißen zu lassen. Mich persönlich hat das Spiel zunächst nicht überzeugt, nach genauerer Analyse der Dynamik und wachsender Erfahrung schließlich aber begeistert. Zwar scheinen knapp 20 US$ ein wenig happig für ein Kartenspiel, zumal mangels deutschem Vertrieb eventuell noch hohes Porto hinzukommt – doch wer die Chance bekommt, dieses Spiel irgendwie zu beschaffen, und dazu ein Fable für Lovecraft hat, der sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und damit sind auch diverse Verlage angesprochen …

http://www.thirdworldgames.com/

Meyer, Kai / Maetz, Stefan / Berling, Simon / Hagitte, Christian – Vatikan-Verschwörung, Die

_Der Herr der Einfälle …_

wurde Kai Meyer dereinst von |Sat.1| betitelt, und an Einfällen scheint es dem umtriebigen Federschwinger beileibe nicht zu mangeln, betrachtet man seine muskulöse Bibliographie, die seit 1993 auf über 40 Romane herangewachsen ist, die zusätzlich Hörspiele, Hörbücher und zwei Drehbücher für zwei Filme enthält. Da ich hier nur einen unbefriedigend kleinen Ausschnitt aus Meyers Schaffen beleuchten könnte, lasse ich den Versuch hiermit vollends bleiben und widme mich stattdessen der „Vatikan-Verschwörung“, einer High-End-Hörspieladaption des Romans „Das Haus des Daedalus“.

_Kirchen, Kunst und Killerkardinäle._

Zumindest für die ersten beiden ist Rom bekannt, weshalb Kunstdetektiv Jupiter seinem Job dort in einer alten Kirche nachgeht. Er nutzt die Gelegenheit, um Coralina wiederzutreffen, und da sie keine 15 Jahre mehr alt ist, kann er sich endlich eingestehen, wie hübsch sie ist. Außerdem ist sie selbst zu einer erwachsenen Kennerin des Kunstgewerbes herangewachsen, wie Jupiter spätestens dann feststellen muss, als sie ihm in besagter Kirche einen fantastischen Fund offenbart: 16 Druckplatten, Grundlage für die morbiden „Carceri“-Motive des Künstlers Piranesi. Aber damit nicht genug: Coralina hat eine 17. Druckplatte gefunden, von deren Existenz die gesamte Kunstwelt keine Ahnung hat. Ehe Coralina damit auf illegale Weise ihre knappe Kasse füllen kann, wird sie zusammen mit Jupiter in einen Strudel des Geheimnisvollen gerissen:

Polizei und hohe Würdenträger der Kirche versperren den Zugang zur Kirche, in der Coralina die 16 Platten des Piranesi gefunden hat, aber ehe die beiden unauffällig von dannen ziehen können, fällt ihnen der Straßenkünstler Cristofero ins Auge: Der hockt nämlich seelenruhig auf der Straße und hat ein genaues Abbild der 17. Druckplatte angefertigt! Schnell versuchen sie den Straßenmaler in Sicherheit zu bringen, dumm nur, dass sie dabei vom zwielichtigen Kirchenmann Landini beobachtet wurden.

Ab diesem Zeitpunkt werden Jupiter und Coralina gejagt, entführt und gefoltert, sie dringen in das Herz des Vatikan vor, enthüllen dort interne Zerwürfnisse und schreckliche Geheimnisse, von denen das Geheimnis um die 17 Kupferplatten des Piranesi das beunruhigendste ist, wie sie bald am eigenen Leib erfahren müssen …

_Warum isset im Vatikan so schön?_

Das möchte man fragen, wenn einem der Rahmen der Story ins Auge hüpft. Geheimbünde, Geheimnisse, fiese Folterer im Namen der Kirche, Verschwörungen und Unerklärliches, das alles in den Mixer und gut durchgemanscht. Na, das hatten wir doch schon. Aber halt: Man darf dabei nicht vergessen, dass „Die Vatikan-Verschwörung“ bereits 2000 erschienen ist, unter dem Titel „Das Haus des Daedalus“! Meyer in diesem Zusammenhang Trittbrettfahrerei nachzusagen, wäre daher unfair und schlicht falsch; die große Welle startete in Deutschland erst 2003 mit Dan Browns „Illuminati“.

Ich allerdings habe die Story eben 2007 gehört, zugebombt und gemästet mit diesem Sujet, und das macht es mir verdammt schwer, einen objektiven Eindruck über „Die Vatikan-Verschwörung“ zu äußern. Angefangen hat es überaus atmosphärisch und spannend: Kunstdetektiv Jupiter, herrlich gesprochen von Andreas Fröhlich (u. A. Edward Norton und „Gollum“), führt den Hörer mit seiner angenehmen Stimme in die Story hinein, in der gleich zu Beginn subtile Anzeichen eine mysteriöse Stimmung erzeugen: So regt sich Jupiter darüber auf, dass in Rom nicht mehr alles dort zu sein scheint, wo es sein sollte, und löst mit diesem Eindruck auch bei eingefleischten Einheimischen unbehagliche Zustimmung aus …

Aber auch so entwickelt sich die Story dicht und mitreißend: Hintergrundinfos über Coralina und Jupiter fließen locker in den Spannungsaufbau ein, ohne ihn zu behindern. Als die Druckplatten von Piranesi entdeckt werden, gestaltet sich die Informationssuche der beiden Protagonisten als spannende Schnitzeljagd, die von Verfolgern geprägt ist, von Gefahren und zweifelhaften Verbündeten – schon zu Beginn zeichnet sich ab, dass es sich bei den Druckplatten nicht nur um ein unschätzbar wertvolles Kunstwerk handelt!

Und Meyer setzt der dichten Atmosphäre noch einen drauf: Zwischen den Szenen bollert immer wieder eine herrlich rumpelige Tonbandaufnahme aus den Boxen, auf der Unbekannte mit ängstlichen Stimmen eine Art Expeditionstagebuch führen. Dass die Luft immer schlechter wird, sagen sie, dass ihnen der Abstieg zunehmend körperliche Mühen bereitet und irgendwann übertönen überaus beunruhigende Geräusche die ängstlichen Rufe der Sprechenden … Und genau das fixt den Hörer an und unterstreicht, dass Jupiter und Coralina auf etwas sehr Unheimliches gestoßen sind.

_Flotte Fahrt zu fadem Finale._

Das Problem bei der Sache ist und bleibt allerdings, dass sich für den übersättigten Kirchenthrillerfreund so manche Enthüllung recht unspektakulär anfühlt. Die besagten Geheimbünde sind nichts Neues, und dass Vertreter der Mutter Kirche über Leichen gehen, um Geheimnisse zu bewahren, ist beileibe kein schockierendes Attentat auf das moderne Weltbild mehr. Trotzdem fiebert man mit den beiden Protagonisten mit, denn wer Freund ist und wer Feind, das erkennt auch ein geschultes Thrillerauge (oder -ohr) nicht auf den ersten Blick.

So richtig bei der Stange halten einen allerdings das Geheimnis der 17 Druckplatten und das seltsame Tonband. Leider bekommt der Leser nicht die Antworten, die er sich wünscht – zumindest gilt das für mich. Als Jupiter und Coralina diesen Geheimnissen auf die Spur kommen und nebenbei noch das Rätsel um die seltsamen Ortsverschiebungen in Rom lüften, bleibt ein leicht fader Nachgeschmack. Oh, Fragen bleiben keine offen, aber dummerweise machen die Antworten fast neugieriger, als es die Fragen zu Beginn der Story getan haben. Und das ist für mich der entscheidende Kritikpunkt an der „Vatikan-Verschwörung“.

Dass die Story zu spät auf den Markt gekommen ist, dafür kann Meyer natürlich nichts, aber dass die „Vatikan-Verschwörung“ genau dort mit Ideen geizt, wo sie eigentlich so richtig hätte loslegen können, enttäuscht mich gewaltig. Meyer baut Spannung auf, reißt den Deckel von etwas wirklich Großem herunter, um ihn sofort wieder draufzuknallen, nachdem man einen unbefriedigend kurzen Blick hineingeworfen hat. Verschenktes Potenzial, ein Mystery-Häppchen, auf das kein Hauptgang kommt.

_Professionell angerichtetes Ohrenfest._

Das drückt „Die Vatikan-Verschwörung“ dann auf das Prädikat „unterhaltsam“ herunter. Spaß macht das Hörerlebnis nämlich allemal, die Figuren zeichnen sich zwar nicht durch unauslotbare Tiefen aus, sind aber vollkommen glaubwürdig und echt, die beiden Protagonisten sind sympathisch, die Gegner sind schön hinterhältig und böse. Der Spannungsaufbau ist sauber und der Informationsfluss ist es auch; Meyer hat ein solides Puzzle gebastelt, das man gemeinsam mit Coralina und Jupiter zusammensetzen darf. Es gibt Action, es gibt Fieslinge, es gibt Wendungen, Romantisches gibt es auch und historisch Interessantes sowieso.

Soundtechnisch ist das Ganze obendrein hochprofessionell umgesetzt worden: Bombastische Choräle und Kirchenmusik sorgen für Hollywood-Flair, die Spannungsmusik wurde exquisit ausgewählt und eingesetzt und Hintergrundgeräusche erwecken mit großer Liebe zum Detail römisches Flair, Kirchen- oder Höhlenstimmung.

Selbst Unterhaltungen werden überaus detailliert dargestellt, Stühle knarren, wenn jemand aufsteht, die Stimme des Aufgestandenen wird leiser, wenn er sich entfernt, verrückt sich im Stereobild in der Richtung, in die er unterwegs ist, und wird mit Schrittgeräuschen untermalt. Klasse! Die hervorragend ausgewählten Sprecher tun ihr Übriges, um das sprichwörtliche „Kino im Kopf“ entstehen zu lassen: Wenn Andreas Fröhlich zur Vernunft drängt, kann man das besorgte Gesicht von Julius beinahe sehen; ähnlich ergeht es einem mit Coralina, wenn Antje von der Ahe mit einem koketten kleinen Lachen Zustimmung signalisiert und gleichzeitig zeigt, wie jung und verspielt Coralina eigentlich noch ist. Keine Frage, hier haben absolute Profis den Figuren von Meyer Leben eingehaucht und sorgen für ein Hörerlebnis auf Hollywood-Niveau.

Für kurzweilige Unterhaltung sorgt die Vatikan-Verschwörung also unbedingt; ob man die B-Noten Abzüge verkraften kann, für das überstrapazierte Vatikan-Thema und das enttäuschende Finale, muss der geneigte Mystery-Freund aber selbst entscheiden. Ein Fehlkauf ist diese Doppel-CD aber bestimmt nicht.

|Originaltitel: Das Haus des Daedalus, 2000
158 Minuten auf 2 CDs|
http://www.stil.name
http://www.luebbe-audio.de

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Garfield, Richard – Magic: The Gathering – Zehnte Edition / Hauptset – Themendeck »Kamahls Temperament«

_Beschleunigtes Temperament_

Das rote Themendeck der zehnten Edition des Hauptsets setzt auf Eile und Geschwindigkeit; mächtige Kreaturen werden beschleunigt ins Rennen geschickt und überdies birgt jeder Zauber eine Garantie für gegnerische Schadenspunkte, manche sogar über den Friedhof hinaus. Dies macht „Kamahls Temperament“ zweifelsohne zum zerstörerischsten der fünf neuen Einsteigersets, mitunter aber auch zum am leichtesten spielbaren Deck der Jubiläumsedition.

Wie gehabt steht die Farbe Rot wieder für Chaos und Wut, derer man in „Kamahls Temperament“ Herr werden muss. Doch wer das rote Mana beherrscht, braucht sich um eventuelle Strategien und Taktiken kaum mehr Gedanken zu machen. Die Welle der Zerstörung schreitet unaufhaltsam fort und spielt sich mit wachsender Dauer fast von alleine. Das perfekte Einsteigerset? Wir werden sehen …

_Karteninhalt_

|Länder|

• 17x Gebirge

|Kreaturen|

• 1x Wütender Goblin (common)
• 1x Viashino-Sandspäher (common)
• 2x Zyklop vom Blutfelsen (common)
• 2x Bogardanischer Feuerunhold (common)
• 1x Verschwenderischer Feuerkundler (common)
• 2x Blitzelementar (common)
• 1x Welpe der Schmelze (uncommon)
• 2x Donnerriese (uncommon)
• 1x Kamahl, der Grubenkämpfer (rare)

|Andere|

• 1x Schock (common)
• 2x Einäscherung (common)
• 2x Kochende Erde (common)
• 1x Bedrohen (uncommon)
• 1x Leitstern der Zerstörung (rare)
• 1x Heiße Glut (uncommon)
• 1x Drachenklaue (uncommon)
• 1x Phyrexianische Gruft (uncommon)

_So spielt man das Deck_

„Kamahls Temperament“ ist ein temporeiches Set, welches sich in einer ganzen Reihe Karten mit der Eigenschaft ‚Eile‘ konstituiert. Kreaturen wie der Donnerriese oder der Blitzelementar können sofort ausgespielt werden, sobald sie aufgedeckt werden, und verfügen zugleich über eine beachtliche Offensivkraft. Des Weiteren besitzt das rote Deck ein recht ausgeprägtes Repertoire angriffslustiger Zauber. Der Leitstern der Zerstörung versetzt zum Beispiel einen heftigen, fünffachen Schadenspunkt-Schlag und darf anschließend wieder in der Bibliothek geschützt werden, wohingegen die Einäscherung immerhin noch drei Schadenspunkte garantiert, die zudem nicht mehr regeneriert werden können. Abhängig von der Zahl der getappten Gebirge können mit der Heißen Glut sowie der Kochende Ehre schließlich äußerst variable Schäden verursacht werden, die den Gegner bereits in den ersten Runden wesentlich zurückwerfen. Bevor dieser sich nämlich versieht, wird er entweder Opfer der Eile oder eines der mächtigen Zaubersprüche.

Nicht zu verachten sind auch die Spezialeigenschaften der Kreaturen; der Zyklop vom Blutfelsen greift mit satter 3/3-Energie ständig an, der Viashino-Sandspäher wandert nach jedem Angriff auf die Hand zurück, um mit ‚Eile‘ erneut zu kontern, und der Bogardanische Feuerunhold schafft es sogar, seinen Gegner selbst nach seinem Tod noch zu verwunden. Der Clou dabei: Die Manakosten für Zauber und Kreaturen sind verhältnismäßig gering, so dass man die eiligen Züge auch ruhigen Gewissens planen und schließlich auch durchführen kann, ohne dabei an anderer Stelle zu knapp zu kommen – und dies ist sicherlich der wohl entscheidende Aspekt von „Kamahls Temperament“. Im Blitztempo hat man sich des Gegners bemächtigt, sein Tempo gedrosselt und seine Defensivlinien durchbrochen. Kamahl der Grubenkämpfer hat schließlich leichtes Spiel und gibt den Kontrahenten endgültig den Rest – fast zu einfach, um wahr zu sein, aber letztendlich erfreuliche Realität!

_Persönlicher Eindruck_

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie mächtig und ausgewogen die Mana-spezifischen Sets neuer Editionen bereits strukturiert sind. „Kamahls Temperament“ ist mit seiner Einstiegsgröße von lediglich 40 Karten zwar noch kein fähiges Turnierdeck, für Offensivstrategen aber sicherlich ein gutes Anfangsset, um das herum sich eine stete Erweiterung mit destruktiven roten Karten lohnen sollte. Die Angriffselemente sind in der Tat gewaltig, das Zusammenspiel von Kreaturen und Zaubern sogar fantastisch. Dort, wo die eine Partei kleine Lücken lässt, ist die andere bereits zur Stelle, um Chaos und Vernichtung herbeizuführen. Selbst kurze Rückschläge lassen sich ohne regenerative Kräfte wieder leicht ausmerzen, so dass das Deck schon fast zum Selbstläufer wird, zumindest im Vergleich zu den übrigen Decks der neunten Edition.

Und insofern ist „Kamahls Temperament“ auch in gewisser Weise aussagekräftig, was die gesamte zehnte Hauptedition von „Magic: The Gathering“ angeht. Die roten Karten scheinen nämlich mächtiger als je zuvor, selbst die Vielzahl der Common-Karten enthält diesbezüglich einige wirklich interessante und auch innovative Aspekte, die im kleinen Themendeck sehr gut zusammengefügt wurden. Neulinge unter den Befürwortern des erfolgreichsten Trading-Card-Games der Welt sollten auf jeden Fall überlegen, sich zu Beginn mit diesem kleinen Päckchen zu verstärken. „Kamahls Temperament“ ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man ein offensives Deck homogen und enorm effektiv zusammenstellt!

http://www.magicthegathering.de/
http://www.universal-cards.com
http://www.wizards.com/

|Siehe ergänzend dazu:|

[Magic: The Gathering 9. Edition – Schnelleinstieg 3335
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Armee der Gerechtigkeit« 3337
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Schon wieder tot« 3370
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Luftige Höhen« 3591
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Welt in Flammen« 3592
[Magic: The Gathering – Haupt-Set – Themendeck »Handgemachte Kreaturen« 4261
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Remasuri-Entwicklung« 3371
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Kreuzritter der Hoffnung« 3372
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Pelzige Pilzwesen« 3667
[Magic: The Gathering – Zeitspirale – Themendeck »Realitätsbruch« 3670
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Endloser Marsch« 3731
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Verwirrtes Hirn« 3734
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Ixidors Vermächtnis« 3741
[Magic: The Gathering – Weltenchaos – Themendeck »Rituale der Wiedergeburt« 3746
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Rebellenvereinigung« 3748
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Ausgesetztes Urteil« 3800
[Magic: The Gathering – Blick in die Zukunft – Themendeck »Schicksalszündung« 3873

[Magic: The Gathering – Zeitspirale-Zyklus Band 1 3720
[Outlaw 1864 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 1)
[Der Ketzer 2645 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 2)
[Die Hüterin 3207 (The Gathering: Kamigawa-Zyklus, Band 3)
[Die Monde von Mirrodin 2937 (Magic: The Gathering – Mirrodin #1)

Hegen, Hannes (Hrsg.) / Dräger, Lothar (Text) / Hegenbarth, Edith (Zeichnungen) – Digedags in den Rocky Mountains (Amerikaserie, Band 5)

Unter der Schirmherrschaft von Hannes Hegen erschienen im „Mosaik“ Monat für Monat die Abenteuer des zwergenhaften Trios bestehend aus den mutmaßlichen Brüdern Dig, Dag und Digedag – kurz: „Die Digedags“. Allerdings nur im Osten der Republik, denn im Westen waren (und sind) die drei umtriebigen Wichte – und Vorväter der etwas bekannteren „Abrafaxe“ – weitgehend unbekannt. Nach der Wiedervereinigung wurde es still um die Digedags, bis 2005 alle bisher erschienenen Geschichten vom wiederauferstandenen Verlag |Junge Welt| noch einmal als Sammelbände zu je vier Heften komplett neu aufgelegt wurden.

_Die Digedags_

Die drei tauchen in verschiedenen Menschheitsepochen auf und erleben dort ihre Abenteuer bzw. begleiten Persönlichkeiten dieser Ära mit Fleiß, Wissen und Witz. Die stets jugendlich wirkenden Digedags altern nicht und ihr markantes Äußeres bleibt weitgehend unverändert – sämtliche leichten Variationen in ihrem Aussehen sind wohl eher der Weiterentwicklung Edith Hegenbarths als Zeichnerin zuzuschreiben. Die Texte legte ihnen Lothar Dräger in den Mund, das heißt: Nein, nicht direkt. Bei den Digedags herrscht nämlich weitgehend Sprechblasenfreiheit. An die Untertitelung der Panels hat man sich aber schnell gewöhnt und sie schätzen gelernt.

_Die Amerikaserie_

Die Amerikaserie, welche 1969 (Hefte) und 1979 (Hardcover) erstveröffentlicht wurde, ist eine der größten und umfasst 60 Einzelhefte (von 152 bis 211). Diese schafften es, ursprünglich zusammengefasst in insgesamt zehn Sammelbände, bis zur stolzen achten Auflage. Diese erschien noch 1989, kurz vor dem Mauerfall. Die Geschichte der Amerikaserie beginnt in New Orleans 1860 bevor der amerikanische Bürgerkrieg ausbrach und sie endet in New York vier Jahre später. Bis dahin haben sich die Digedags quer durch den nordamerikanischen Kontinent gewuselt und im Kampf gegen die Sklaverei allerhand erlebt.

_Band 5 – Die Digedags in den Rocky Mountains (Mosaik 168 bis 171)_

Mit List und Tücke schaffen es die Digedags, aus dem Fort Major Pinkertons auszurücken, wo sie von ihm auf Verlangen von Mrs. Jefferson und Colonel Springfield festgehalten wurden, um ihnen das Geheimnis bzw. den Lageplan der vermeintlichen Goldmine zu entreißen. Sie suchen Zuflucht bei den Indianern, laufen aber dabei ihren Erzrivalen – den ehemaligen Flusspiraten – unvorsichtigerweise direkt in die Fänge. Fiesling Coffins nimmt ihnen den Plan sowie ihre Pferde ab, es scheint, als sei die Mine verloren, denn die drei verschlagenen Ganoven machen sich sofort im Schweinsgalopp auf den Weg Richtung Reichtum. Nebenher wird auch noch das Problem der geklauten Indianer-Mustangs (vgl. „Die Digedags bei den Indianern“) zufriedenstellend gelöst.

Doc Tombstone und Jack realisieren erst viel zu spät, dass ihr Anführer gar nicht daran denkt, die Minenausbeute zu teilen, und ihnen nach dem Leben trachtet. Der Anschlag auf die beiden misslingt, doch Coffins erarbeitet sich einen komfortablen Vorsprung. Er scheint das Rennen ums Gold zu gewinnen. Die Digedags lesen derweil die Madam und den Colonel aus prekärer Lage auf und schließen einen Teilfrieden mit den ehemaligen Rivalen – jetzt, wo der Plan eh futsch ist, versucht man sich in Schadensbegrenzung und hofft, die drei Widersacher doch noch mit gemeinsamen Kräften irgendwie austricksen zu können. Auf deren Spur, retten sie Jack und den „Doktor“ aus ihrer Notlage, in welche sie ihr (nun Ex-)Boss versetzt hat. Und noch jemand Unerwartetes kreuzt ihren Weg: Der angebliche tote Goldgräber Abe Gunstick ist offensichtlich quicklebendig.

_Eindrücke_

Mit dem gleichnamigen Band vier aus der letzten DDR-Sammelausgabe hat Band fünf der Neuauflage fast nur den Titel gemein – und ein Kapitel. Wir erinnern uns: Die Neuauflage von 2005 ist anders aufgeteilt als die Originale von damals. Ein Sammelband enthält nun nur noch vier Mosaik-Einzelausgaben (repräsentiert durch Kapitel) statt wie früher deren sechs. Somit wuchs die Gesamtausgabe der Amerikaserie von zehn auf fünfzehn Bände und die Seitenzahlen verringerten sich entsprechend von 150 auf 100 pro Ausgabe. Natürlich wirbelt das die ursprünglich angewandte und recht akkurat gewählte Kapitelisierung vollkommen durcheinander. Es macht Zwischenbände nötig bzw. verschiebt die Episoden in den bereits vorhandenen Büchern (un-)verständlicherweise nachhaltig.

Der im letzten Band („Die Digedags bei den Indianern“) bereits vorgestellte Major Pinkerton ist wieder mit von der Partie, wenn auch diesmal nur recht kurz. Doch er wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal den Weg der Digedags kreuzen. Hinzu kommt jedoch erst einmal eine weitere Hauptfigur: der alte Abe Gunstick. Zur Erinnerung: Das ist eben jener, der das seltsame Testament und den Minen-Lageplan verfasste, welche den Stein zur Goldsuche in den Rockies überhaupt erst in Rollen brachte (vgl. „Die Digedags am Mississippi“ und „Die Digedags bei den Piraten“). Warum das geschah und was von ihm zu erwarten ist, wird in den folgenden Bänden noch zu sehen sein. Alle anderen Figuren bewegen sich weiter in dem für sie typischen Rahmen, seien es die Digedags, die Jefferson, der Colonel oder die Piraten.

_Fazit_

Natürlich stecken auch dieser Band wieder liebevolle Details und ein feiner Humor, gewürzt mit pädagogisch geschickt verstecktem Allgemeinwissen zur USA und dem Wilden Westen im Besonderen. Das bedeutet – wie für den Rest der Serie – eine absolute Leseempfehlung. Dieser Band vollendet die im Band zuvor begonnene Verfolgungsjagd und löst primär das Rätsel um das Testament und die geheimnisvolle Goldmine. Das wurde bis 1989 bereits einen Band früher aufgeklärt und dort zu einer wesentlich saubereren Zwischenbilanz geführt. Der Schnitt zum Ende erscheint in der Neuauflage etwas unglücklich und abrupt. Wann immer es geht, sollte man also versuchen, an die alten Versionen der Sammelbände zu kommen. Damit kommt man vermutlich auch billiger weg, denn neuerdings 12,95 € pro Band (und das Mal 15!) sind schon arg happig.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

„Die Digedags in den Rocky Mountains“ – Amerikaserie, Band 5
Enthält die Mosaik-Hefte 168 bis 171
© 1979 und (Neuauflage) 2005 – Buchverlag Junge Welt, Berlin
Herausgeber: Hannes Hegen
Text: Lothar Dräger
Figurinen: Edith Hegenbarth
ISBN: 3-7302-1877-8 (neu)

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Merlau, Günter – Vril (Die Schwarze Sonne 4)

Folge 1: [„Das Schloss der Schlange“ 2317
Folge 2: [„Böses Erwachen“ 4022
Folge 3: [„Weißes Gold“ 4023

_Story_

1886: Nathaniel de Salis und sein inoffizieller Ziehsohn Adam Salton reisen von Bombay in die Bergregionen Tibets, wo sie sich Antworten auf einige drängende Fragen erhoffen. Durch ein gefährliches Bergmassiv gelangen sie endlich in die Nähe des heiligen Berges Kailash. Unterdessen haben sich zwei verbündete Missionare der Expedition angeschlossen und begleiten Adam und Nathaniel durch die unwegsame Landschaft. Durch Sturm und Kälte quält sich vor allem der stark angeschlagene, fast todkranke de Salis, dessen merkwürdige Ambitionen Salton immer mehr zweifeln lassen. Selbst in größter Gefahr fasst er kein Vertrauen und scheint seinem Unglück geradezu in die Arme zu laufen.

1938, Wewelsburg, Deutschland. Die obersten Gestalten des Nazi-Regimes stehen kurz vor dem Abschluss eines gewaltigen Forschungsexperiments. Himmler und dem mysteriöse Gefolgsmann Weisthor gelingt es tatsächlich, eine allzu scheußliche Kreatur zum Leben zu erwecken. Mit Hilfe des sagenumwobenen Speer des Longinus wollen sie das Wesen zum Avatar ihrer rassistischen Ideologie aufsteigen lassen – doch ein Unbekannter stellt sich ihnen in den Weg; ein Mann aus vergangenen Zeiten, der sich mit ganzer Kraft gegen den Wahnsinn aufbäumt …

Unterdessen wird Major Berger seit geraumer Zeit vermisst. Nach dem Flugzeugabsturz hat er seinen Lebensodem fast ausgehaucht und wird von seinen einstigen Auftraggebern sogar gejagt, um ein weiteres Experiment durchführen zu können. Berger bleibt keine Chance, aber dennoch gelingt ihm die Flucht – ins Jenseits?

_Persönlicher Eindruck_

Im vierten Teil der fantastischen Mystery-Saga ist nicht nur äußerste Konzentration, sondern auch eine ganze Menge Geduld gefragt. Die Story nimmt hinsichtlich ihrer Komplexität nämlich Formen an, die allen herkömmlichen Strukturen widersprechen und somit auch mit gewöhnlicher Logik kaum noch zu durchschauen sind. Günter Merlau erlaubt sich in „Vril“, gleich drei Stränge parallel zu forcieren und den Hörer mit rasanten Sprüngen durch die Zeit zu jagen, bis dieser irgendwann droht, völlig den Überblick zu verlieren, weil die Unterschiede zwischen Jetztzeit und Vergangenheit aufgrund des hohen Action- und Spannungsanteils kaum noch zu differenzieren sind. Zwar ist diesmal ein klarer Fokus auf die Machenschaften zu Zeiten des Dritten Reiches zu erkennen, die Merlau auch tatsächlich mit einigen eigenwilligen Theorien adäquat in die Historie einordnet, doch sind die permanenten Wechsel teilweise derart überraschend und anspruchsvoll, dass selbst deutliche Definitionen und Einteilungen zu weiten Teilen nicht mehr ziehen. Wider den Mainstream, wider die Massenware – nicht nur Theorie, sondern hier wundervoll zelebrierte Realität!

Aufmerksamen Hörern wird dabei von Beginn an klar, dass man ohne Hintergrundwissen nicht nur Verständnisprobleme haben, sondern insgesamt wahrscheinlich völlig überfordert sein wird. Die Handlung wird mit Zitaten aus Vergangenheit und Zukunft durchsetzt, die unterschiedlichen Entwicklungen werden teils herb durcheinander gemischt, dazu ein gewisses historisches Wissen vorausgesetzt und als Letztes auch noch knallhart eingefordert, dass man die Motivation der einzelnen Protagonisten begreift, da andernfalls die gesamte Story auf wackligen Beinen steht. Hörspiel-Action mit höchstem Anspruch also, diesbezüglich aber auch durchweg feine Kost mit garantierter dynamischer Entwicklung und fantastisch ausgeprägten Charakteren.

Immer mehr Figuren werden in die Handlung eingebaut, somit auch die Last der Geschichte auf Dutzende Schultern verteilt. Natürlich sind es noch immer Salton und de Salis, an denen das Hauptpaket des Plots haftet, jedoch inszeniert Merlau anderweitig eine Brisanz, infolge derer sich die inhaltlichen Highlights in kurzen Schüben aneinanderreihen, um schließlich den Zuhörer regelrecht zu überrollen. Die Fülle der Details ist enorm, die differenzierte Umsetzung indes eine Kunst, für die den Beteiligten größter Respekt zusteht. Die Sprecher leben die Story, die klanglichen Effekte sorgen einmal mehr für eine absolut stimmige Inszenierung, das inhaltliche Geschehen verlangt dem Hörer alles ab, darf letztendlich aber auch als eine echte Belohnung betrachte werden – schließlich mischt sich sphärisch und erzähltechnisch die Genialität des Cthulhu-Mythos mit der Kraft und Poesie von Meistern wie Lovecraft, Stoker und dem einst noch |in personae| eingeflochtenen Jules Verne.

Und worum geht es in „Vril“ nun konkret? Tja, dies auf den Punkt zu bringen, hieße, all die bisherigen Ungereimtheiten aufzulösen und Ausblicke zu geben, die jegliche Spannung zunichte machen würden. Das Produktionsteam hat sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt, in Sachen Esoterik und Spiritualität in seinem Metier neue Grenzen definiert und Inhalte verknüpft, die auf den ersten Blick einer homogenen Struktur entbehren, in all ihrer Komplexität aber gerade durch diese kuriose Mixtur erst so lebendig erscheinen. Insofern sollte es wohl niemanden verwundern, dass man nach unzähligen Enthüllungen nach wie vor den Eindruck nicht loswird, man stehe erst am Anfang eines kaum durchschaubaren, gewaltigen Gedankenkonstrukts, dessen innere Tiefe und besonderer Geist in gewisser Weise zu Höherem berufen sind. Feststeht bis dato jedenfalls, dass „Die Schwarze Sonne“ sich Folge für Folge zum wohl besten phantastischen Independent-Titel einer ganzen Dekade mausert. „Die Schwarze Sonne“ ist Abenteuer, Erlebnis und Herausforderung zugleich und derzeit das wohl am ambitionierteste Projekte der modernen deutschen Hörspielgeschichte. Und was dies für das gesamte Genre bedeutet, muss sicher nicht mehr näher erläutert werden …

http://www.die-schwarze-sonne.de/
http://www.merlausch.de

Auf der Website zur Serie gibt es übrigens Hintergrundinformationen und ein noch im Aufbau befindliches Lexikon, um den Überblick besser wahren zu können.

Gerber, Rip – Pharma

Im brasilianischen Regenwald werden zwei Touristinnen von einer riesigen Venusfliegenfalle angegriffen und beinahe getötet. Auch die Forscherin Susan Plotkin muss sich einer höchst aggressiven Aya-Ranke erwehren, die sie nur dadurch vernichten kann, indem sie den Jeep, in welchem sie die Pflanze transportierte, in die Luft jagt. Susan und ihr Kollege Ben Maxwell sehen in der Entdeckung die unglaubliche Chance, die Schließung ihres Labors im Regenwald zu verhindern.

Ursprünglich sollte die Einrichtung, welche die Firma ChemGen finanziert, der Entdeckung eines Medikaments gegen Progerie dienen. Doch diverse Experimente schlugen fehl, und als ein Indianermädchen, an dem das Arzneimittel getestet wurde, starb, wurde das Projekt beendet. Nun stehen die Arbeitsplätze der Wissenschaftler auf dem Spiel. Doch das ist nur das geringste Problem von Susan und ihren Mitarbeitern, denn der fanatische und stinkreiche Urwaldschützer Hopkins hat Wind von den killenden Riesenpflanzen bekommen und schickt sich an, das Geheimnis des Gigantismus zu ergründen, notfalls auch mit Gewalt durch hiesige Söldner …

Rip Gerbers Debütroman wird direkt mit folgendem Werbeslogan angepriesen: „Ein rasanter Wissenschafts-Thriller von erschreckender Aktualität“. So oder ähnlich werden allerdings zahllose Romane dieses Genres beschrieben, aber im Gegensatz zu vielen anderen Werken beschäftigt sich das vorliegende Buch nicht mit Viren oder mutierten Tieren, sondern rückt erstmals die Welt der Pflanzen in den Mittelpunkt des Geschehens. Dass dabei riesige Venusfliegenfallen Menschen angreifen, hört sich im ersten Moment sehr plakativ und trashig an – und ist es letztendlich auch. In erster Linie interessiert den Autor mit Sicherheit der Unterhaltungswert seines Buches und weniger die Glaubwürdigkeit oder Authentizität. Auch wenn auf der sehr anschaulich gestalteten [Internet-Seite]http://www.pharmathriller.de einige interessante Fakten zu den Pflanzen des Regenwaldes und den genetischen Versuchen, die mit ihnen gemacht werden, stehen, so ist der größte Teil der Geschichte reine Fiktion.

Bei den Charakteren bedient sich Gerber kräftig bei den üblichen Klischees und kreiert nicht nur die taffe, attraktive Forscherin Susan, sondern auch den etwas heruntergekommenen, aber dafür umso brillanteren Wissenschaftler Ben Maxwell, der neben dem ganzen Trubel um Firmenverschwörung und Killerpflanzen auch noch sein verkorkstes Familienleben auf Vordermann bringt. Leider ließ es sich der Schriftsteller auch nicht nehmen, ebenfalls einen dieser klugscheißenden und über die Maßen hinaus mutigen Jugendlichen in den Roman einzubauen, der dank seiner genialen Computerkenntnisse selbstverständlich einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Falles leistet. Als der knapp 14-jährige Bengel aber dann auch noch einen Hubschrauber steuert, dessen Handhabung er allenfalls aus diversen Computersimulationen her kennt, verlässt der Autor endgültig die Ebene der Glaubwürdigkeit. Der habgierige Geschäftsmann Hopkins weist zunächst noch überraschend differenzierte Charakterzüge auf, wird aber zum Ende hin ein genauso wahnsinniger wie bösartiger Gegenpart zu den oben erwähnten Gutmenschen, wie man ihn aus unzähligen Geschichten solcherlei Art her kennt.

So hervorragend Gerber in Sachen Botanik und Chemie recherchiert haben mag, was an sonstigen Fakten dem Leser geboten wird, ist gelinde gesagt haarsträubend für einen Wissenschaftsthriller. Susan Plotkin jagt ihren Jeep nebst Monsterpflanze allein dadurch in die Luft, dass sie eine Kugel in den Tank schießt. Ein Motorrad, welches aus einigen Metern zu Boden stürzt, fängt ebenfalls sofort Feuer, und als Vater und Sohn den Urwald erkunden, finden sie zufällig eine zehn Meter lange Anakonda im Wipfel eines Baumes, wo die Riesenschlange einen Hirsch (!) verschlingt und blitzschnell die Flucht ergreift, als der Junge einen Stein nach ihr wirft. Abgesehen davon, dass man Anakondas auch im Regenwald Amazoniens nicht an jeder Ecke sieht, ist ein Exemplar von zehn Metern Länge eine echte Seltenheit. Eine Schlange von diesen Ausmaßen ist aber auch derart schwer, dass sie meistens im Wasser jagt und kaum in der Lage ist, einen Baum zu erklimmen, schon gar nicht mit einem Hirsch in den Fängen. Hinzu kommt, dass eine Riesenschlange beim Fressen und anschließend beim Verdauen kaum in der Lage ist, irgendwohin zu kriechen bzw. die Flucht zu ergreifen. Hier hat sich der Autor sein Wissen wohl in schlechten Filmen angeeignet.

Der Storyaufbau ist allerdings wirklich rasant und der Schreibstil sehr flüssig, so dass man das Buch recht zügig durchlesen kann, zumal die einzelnen Kapitel auch nicht sonderlich lang sind. Der Spannungsbogen wird trotz aller Mängel konstant gehalten. Wer es mit den Fakten nicht so genau nimmt und sich einfach für ein paar Stunden unbeschwert unterhalten möchte, der kann bei diesem Schmöker getrost zugreifen.

Die Aufmachung des Romans ist ebenso schlicht wie wirkungsvoll. Der Titel wurde in erhaben blutroten Lettern auf den Einband gedruckt und der schwarze Hintergrund mit dem grünen Fangblatt einer Venusfliegenfalle macht dem potenziellen Leser sofort klar, worum es in dem Buch geht. Für die Innenseiten des Bandes hat sich der Verlag auch eine originellere Lösung als die langweilige weiße Pappe einfallen lassen. Wenn man das Buch aufklappt, sieht man unter der vergrößerten Abbildung des Fangblattes vom Cover ein Foto des Autors. Auf der Innenseite des Klappentextes hat der Verlag die Chance für ein wenig Eigenwerbung ergriffen und präsentiert aktuelle Wissenschafts-Thriller in farbigen Abbildungen.

Fazit: Ein flüssig geschriebener Thriller über die Abgründe moderner Pharmazeutikunternehmen. Wer auf anspruchsvolle Unterhaltung hofft, wird bei diesem Buch sicherlich enttäuscht werden. Wer sich allerdings nur die Zeit mit einer kleinen Horror-Story à la Hollywood vertreiben will und nicht viel Wert auf Charakterzeichnung legt, der kann sich den Roman bedenkenlos zulegen.

http://www.pharmathriller.de
http://www.heyne.de

_Florian Hilleberg_

Guillou, Jan – Madame Terror. Sonderauftrag für Hamilton

Schon seit vielen Jahren versuchen die Palästinenser ihren anerkannten Anspruch auf ein eigenes Staatsgebiet durchzusetzen – bislang ohne Erfolg. Der schwedische Schriftsteller Jan Guillou entwirft in seinem Roman „Madame Terror“ ein Szenario, wie die Palästinenser ihrem Ziel ein Stückchen näher kommen könnten.

Eine tragende Rolle spielt dabei Mouna al-Husseini, eine einflussreiche Agentin der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Sie ist diejenige, die den wahnwitzigen Plan entworfen hat, mit einem U-Boot die israelische Flotte unschädlich zu machen, um der Forderung nach einem rein palästinensischen Gaza-Streifen Nachdruck zu verleihen. Aus diesem Grund lässt sie mit der Hilfe von Russlands Präsident Putin ein bis dato unerreichtes Wunderwerk von U-Boot bauen und wirbt russische und arabische Männer an, die ihr im Kampf zur Seite stehen sollen. Doch bei der ersten Testfahrt geht einiges schief. Die Russen und die Palästinenser geraten sich in die Haare, was unter anderen Umständen das Ende von Mounas Mission bedeutet hätte.

Kurz und gut: Es muss ein Mann her, der nicht nur ein U-Boot befehligen kann, sondern auch Russisch, Englisch und Arabisch spricht, der Charisma hat und ihr Anliegen versteht. Da kann es selbstverständlich nur einen geben: Carl Hamilton alias Coq Rouge, der Held aus Guillous früheren Büchern. Hamilton sitzt eigentlich in der Falle. Wegen Mordes müsste er in Schweden eine lebenslängliche Haftstrafe abbüßen, aber ihm gelang die Flucht, und nun lebt er im Zeugenschutzprogramm des FBI mit neuer Identität in Kalifornien. Als eines Abends seine alte Freundin Mouna auftaucht und ihn um Hilfe bittet, ziert er sich nicht lange: Er hat es satt, in Kalifornien festzusitzen. Gemeinsam mit der Agentin arbeitet er einen Plan aus, wie man eine möglichst kompetente U-Boot-Mannschaft zusammenstellt und den Krieg gegen Israel am geschicktesten führt. Hamilton stellt sich als Glücksgriff heraus, den Mouna auch bitter nötig hat. Der Anschlag auf den israelischen Marinestützpunkt in Haifa verläuft zwar mehr oder weniger nach Plan, doch ehe die U-Boot-Mannschaft sich versehen hat, wird sie von der ganzen Welt gejagt. Von der ganzen Welt? Nein, eigentlich gibt es nur einen, der glaubt, das U-Boot unbedingt versenken zu müssen, und das ist der amerikanische Präsident …

… und der amerikanische Präsident ist, wie wir wissen, momentan George W. Bush. Jan Guillou nimmt in „Madame Terror“ kein Blatt vor den Mund. Viele politische Figuren in dem Buch existieren auch im realen Leben, darunter Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Tony Blair, Wladimir Putin oder der palästinensische Präsident Mahmud Abbas. Doch der Schwede baut diese Personen nicht nur in seine Geschichte ein, er schreibt sogar aus ihrer Perspektive. Dabei lässt er es sich nicht nehmen, einige Politiker als eher einfältig und dumm darzustellen, ohne den Bogen aber wirklich zu überspannen.

Er geht dabei sehr selbstverständlich mit den Personen um und führt jede neue erst einmal mit ihrer Biografie und der Darstellung ihres momentanen Gefühlszustandes ein. Dadurch schweift er gelegentlich etwas ab, was aber letztendlich für gut ausgearbeitete Charaktere sorgt. Dabei liegt sein Fokus nicht wirklich auf einer einzigen Person. Vielmehr hat man das Gefühl, dass jede vorkommende Perspektive des Romans gleichberechtigt ist. Das ist natürlich sehr gewagt. Viele Personen sorgen oft dafür, dass ein Buch zerfasert und inkonsistent wird. Nicht in diesem Fall. Guillou schafft es, die Geschichte zusammenzuhalten, und verleiht ihr durch die Vielzahl von Charakteren unterschiedlichster Nationalität und Aufgabe eine bemerkenswerte Tiefe.

Die Handlung unterstreicht diese Tiefe. Sie ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt. „Madame Terror“ ist einer dieser Polit-Thriller, die Konzentration erfordern, weil sie so detailreich sind. Widmet man dem Roman diese Konzentration, wird man mehr als entlohnt. Das Buch ist spannend, der Autor scheint zu wissen, worüber er schreibt. Gerät der Anfang noch etwas zäh, kommt das Buch später wie ein schweres U-Boot in Fahrt und gewinnt an Spannung, die man aufgrund des eher trockenen Sujets nicht erwartet hätte. Die politischen Verwicklungen sind an der einen oder anderen Stellen für Leser, die sich auf diesem Gebiet nicht so gut auskennen, etwas verworren, aber im Gesamtkontext sind diese Stellen trotzdem verständlich und mindern die Spannung nicht. Selbige wird im Übrigen auch durch das handwerkliche Geschick des Autors erzeugt. Er weiß mit Perspektivenwechseln zu spielen. Sobald ein großes Ereignis naht, setzt er einen Schnitt, um dann während oder nach dem Ereignis wieder einzusetzen. Meistens tut er dies aus der Sicht einer außenstehenden Person, wie zum Beispiel der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice, die des Öfteren zu Worte kommt.

Gestützt wird das gut recherchierte und realistisch wirkende Material durch einen gestochen scharfen und intelligenten Schreibstil. Guillou gelingt es dabei, Abwechslung in die Geschichte zu bringen, indem er unterschiedliche Stimmlagen verwendet. Kommen beispielsweise die Amerikaner zum Zuge, wird die Sprache oft etwas ordinärer, so, wie man sich einen – leicht überspitzten – George W. Bush eben vorstellt. Ansonsten lässt sich das Buch wunderbar flüssig lesen. Guillou greift auf einen großen Wortschatz zurück, und obwohl er auf einem hohen technischen Niveau schreibt, vermisst man weder Leben noch Gefühl, auch wenn darauf sicherlich nicht sein Hauptfokus liegt.

In der Summe ist dem Schweden mit „Madame Terror“ ein sehr ausgefeiltes, technisch gut geschriebenes und vor allem spannendes und realistisch dargestelltes Schreckensszenario gelungen, wie es hoffentlich nie passieren wird. Was das Buch für viele sicherlich besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass die Amerikaner und ihre Kriegspolitik nicht besonders gut wegkommen. Das hebt die Geschichte auch positiv ab von vielen amerikanischen Thrillern, die sich mit dieser Thematik befassen. Dennoch begeht Guillou nicht den Fehler, die Vereinigten Staaten zu einseitig darzustellen. Im Gegenteil schafft er mit der des Öfteren eingesetzten Perspektive von Condoleezza Rice ein angenehmes, unaufdringliches Gegengewicht, das sehr gefällt.

http://www.piper-verlag.de/nordiska/

Schreiber, Joe – Untot

Sue Young beginnt sich beruflich wie privat endlich in ihr neues Leben einzufinden. In Boston, US-Staat Massachusetts, lebt sie allein mit ihrer einjährigen Tochter Veda, nachdem Phillip, Ehemann und Vater, den sie schon seit ihrer Kindheit in dem kleinen Flecken Gray Haven kennt, sie vor 18 Monaten verlassen hat.

An einem unfreundlichen Winterabend stürzt Sues kleine Welt neuerlich in sich zusammen. Am Telefon meldet sich ein unbekannter Mann, der sie mit der Nachricht schockiert, Veda und ihr Kindermädchen Marilyn gekidnappt zu haben. Er will kein Geld, sondern fordert Sue auf, sich unverzüglich auf den Weg nach Gray Haven zu machen. Sollte sie sich weigern oder die Polizei verständigen, wird er Veda umbringen.

Sue geht kein Risiko ein. Obwohl in Panik, befolgt sie die Anweisungen des Entführers, der drakonische Strafen für jede Verzögerung oder Abweichung von seinen Befehlen androht. Dass er meint, was er sagt, weiß Sue spätestens dann, als der Mann ihr bei einem Zwischenstopp die Leiche von Marilyn ins Auto setzt.

Zu diesem Zeitpunkt ist Sue allerdings längst zu einem noch tieferen Grauen zurückgekehrt. Sie hatte einen guten Grund, Gray Haven den Rücken zu kehren. Im Sommer 1983 haben sie und Philipp, damals noch Kinder, einen berüchtigten Kindermörder gestellt, umgebracht und die Leiche unter einer Brücke begraben. Sie wurde nie gefunden, bis mehr als zwei Jahrzehnte später der Kidnapper Sue zwingt, die sterblichen Überreste zu bergen und in ihren Wagen zu schaffen, woraufhin die Irrfahrt durch die Nacht weitergeht bis zu einem kleinen Ort an der neuenglischen Atlantikküste.

Zwar versucht Jeff Tatum, ein Teenager aus Gray Haven, die Pläne des Mörders zu durchkreuzen. Er kennt ihn als Isaac Hamilton, einen Serienkiller aus dem Totenreich, und er will dessen Treiben endlich beenden. Sue soll ihm dabei helfen, aber Hamilton ist allgegenwärtig, und er & seine toten Schergen reisen nicht nur schnell, sondern sind auch unerbittlich …

Wo ist er geblieben, der echte, blanke Horror, der kein subtiles Grauen durch Andeutungen und huschende Spukgestalten verbreitet, sondern hart und deutlich die Mächte der Finsternis bei ihrer blutigen Arbeit zeigt? Im Film ist er so präsent wie nie, doch in der phantastischen Literatur fristet er ein Mauerblümchendasein. Unfreundliche Kritiker hassen ihn und haben ihn sofort im Visier, wenn er sein hübsch-hässliches Haupt erhebt. Die Phantastik soll ihr Genre-Ghetto verlassen, gefälligst ‚erwachsen‘ und präsentabel werden, und da stört er gewaltig, denn das wird und will er nie.

Leider sind die meisten Autoren, die sich dem eigentlichen Horror widmen, höchstens Zeilenschinder, die sich und ihre Geschichte durch pure Unfähigkeit nicht nur der Kritik, sondern auch der Lächerlichkeit preisgeben. Nicht viele fähige Schriftsteller lassen es krachen, ohne um ihren Ruf zu bangen, und diejenigen, die es dennoch wagen, zahlen ihren Preis dafür. Dabei kann es ungemein unterhaltsam sein, wenn das Böse sich brachial seinen Weg bahnt. Wieso haben Schlagetots wie Jason Vorhees, Michael Myers oder Freddy Krueger wohl so viele Fans? In diese Runde reiht sich Isaac Hamilton mit seiner Flinte und seiner Vorliebe für zerschossene Augäpfel würdig ein.

Buchstäblich geradlinig erzählt Schreiber seine Geschichte: Sie folgt einem Kurs, der von der Landkarte vorgegeben wird. Die Idee, dass sich Tote wecken lassen, indem ihr ‚Erwecker‘ – in unserem Fall weiblichen Geschlechts – einer bestimmten Fahrtroute folgt, ist fast originell. Vor allem funktioniert sie, denn von Ort zu Ort steigert Schreiber die Intensität, mit der die Toten sich melden.

Dass die unfreiwillige ‚Assistentin‘ des Bösewichts nicht aus der Reihe tanzt, garantiert die Entführung ihrer Tochter. Die Platzierung in der Schublade „Muttertier“ (s. u.) sichert diesen Teil der Handlung und sorgt für zusätzliche Spannung: Wird der grässliche Unhold dem armen Baby wehtun?

Die Antwort soll hier ausbleiben, doch vermutlich genügt die Andeutung, dass Schreiber im Finale seiner Horrorgeschichte einerseits die Munition ausgeht, während er andererseits gewaltigen Pulverdampf verbreitet: Dosierte er den Schrecken bisher sorgfältig, so lässt er ihm nunmehr sämtliche Zügel schießen. Er übertreibt es maßlos, lässt Zombiehorden umhertorkeln, den bitterbösen Hamilton spuken und den Wintersturm rasen. Trotz der geballten übernatürlichen Übermacht kann Sue obsiegen, doch wie sie das schafft, wirkt keineswegs überzeugend.

Selbstverständlich – so muss man heute leider sagen – folgt im letzten Absatz der unlogisch aus der Luft gegriffene, aber gern benutzte Ätsch-Bätsch-Twist, der suggeriert, dass der Schurke gar nicht ausgeschaltet ist, sondern sein übles Spiel umgehend fortsetzen wird: Ring frei für Runde zwei bzw. eine Fortsetzung. Schade, dass Schreiber diesen flauen Trick anwendet.

„Untot“ ist das literarische Gegenstück zu einem Zwei-Personen-Stück. Die schauspielerische Herausforderung wird bei einer eventuellen Verfilmung darin liegen, dass die weibliche Hauptperson beinahe die gesamte Handlung allein bestreiten und auf die zunächst nur per Telefon eingespielten Attacken ihres Gegenspielers reagieren muss.

Einer jungen Mutter wird ihr Kind entführt, um sie zu Handlungen zu zwingen, auf die sie sich sonst niemals einlassen würde; damit sie spurt, droht der Kidnapper immer wieder, dem Kind etwas anzutun: Das funktioniert als Treibriemen für eine eher brachiale als raffinierte Geschichte, denn der Verfasser kann sich auf uralte Klischees stützen: Selbstverständlich wird Susan ihrem Peiniger wortgetreu Folge leisten, denn schließlich ist sie eine Mutter, und als solche – so suggeriert Schreiber – kann sie gar nicht anders. Also bemüht er sich erst gar nicht, der Geschichte eine zweite Ebene zu schaffen, die z. B. Susan beim ernsthaften Versuch zeigt, dem Kidnapper ihrerseits eine Falle zu stellen. Als unfreiwillige Heldin, die dem Hamilton-Spuk endlich ein Ende setzt, wirkt sie deshalb nicht gerade authentisch.

Angst und Not eines unter Druck gesetzten Menschen weiß Schreiber dagegen gut darzustellen. Wie so oft ist die Reise deshalb interessanter als das Ziel. Das schließt Isaac Hamilton ein. Als überlebensgroßer und (scheinbar) unüberwindlicher Gegner leistet er solange einen guten Job, bis Schreiber ihn reden lässt. Als Hamilton damit erst einmal begonnen hat, kann er gar nicht mehr aufhören. Er quatscht und quatscht, bis er sein Geheimnis gelüftet hat. Anschließend stellt er sich in der finalen Schlacht zwischen Gut (Sue) und Böse für ein Gespenst mit mehrhundertjähriger Erfahrung im Schurken & Tücken auch noch denkbar tölpelhaft an. Leider ist Hamilton außerdem nur böse und überhaupt nicht originell, was seine Unzulänglichkeiten umso deutlicher offenbart.

Selbstverständlich ist solche Kritik zu streng und eigentlich fehl am Platz. „Untot“ ist Lesefutter, womöglich Trash. Dennoch fängt die Geschichte vielversprechend an und bleibt auch im Hauptteil spannend. Deshalb mischt sich in die Nachsicht des Rezensenten – der schließlich auch Leser ist – ein wenig Frustration und Zorn: Das mit dem Finale müssen Sie noch lernen, Mr. Schreiber. Ansonsten vielen Dank für ein paar rasante Lesestunden – und Hut ab vor der Entscheidung, diese Geschichte auf nicht einmal 300 Seiten zu erzählen, statt sie wie heute üblich auf das Doppelte oder Dreifache auszuwalzen!

Joe Schreiber wurde in Michigan geboren. In seinen jungen Jahren war er überaus reiselustig, lebte in Alaska, Wyoming und Nordkalifornien, bevor ihn das Familienleben sesshaft werden ließ. Nunmehr arbeitet Schreiber hauptberuflich als Mathematiklehrer an einer Schule in Palmyra (US-Staat Pennsylvania), ist verheiratet und Vater zweier Söhne. „Chasing the Dead“, seinem Romandebüt von 2006, folgte inzwischen „Eat the Dark“.

Selbstverständlich hat Schreiber eine [Website,]http://chasingthedead.blogspot.com die er mit einem Blog kreuzt. Dies zu durchschauen, ist ein wenig kompliziert, denn originellerweise schreibt nicht „Joe Schreiber“ die Einträge, sondern ein (fiktiver und) reichlich unheimlicher Zeitgenosse namens „Jeff“.

http://www.bastei-luebbe.de

Pfeifer, Will / Camuncoli, Guiseppe / Hope, Sandra – Captain Atom: Armageddon

_Story_

Captain Atoms Schicksal scheint besiegelt, als er sich in einen mit Kryptonit bestückten Asteroiden wirft und damit seine Welt und sein Idol Superman kurzerhand vor dem Ende rettet. Allerdings wird seine unglaubliche Heldentat nicht mit dem Tod gerächt. Captain Atom wacht in einem völlig anderen Universum fernab seiner Heimat auf und muss sich dort den fiesesten Schurken im Superheldenkostüm stellen. Der Cap sucht nach Fluchtmöglichkeiten, um wieder auf die Erde zurückzugelangen, auf der er einst respektiert und geachtet wurde, erlebt diesbezüglich jedoch fortlaufend Rückschläge. Niemand will ihm helfen, und seine gesamte Existenz wird ihm immer mehr zum Rätsel.

Eines Tages stößt er dabei auf ein finsteres Geheimnis um seine Person; irgendjemand hat ihn verändert und zur Universalwaffe zur Vernichtung des gesamten Multiversums gemacht. Atom ist eine tickende Zeitbombe, ohne zu wissen, was in ihm vorgeht und wann der Zünder ausgelöst wird. Der Captain bemüht sich in einer Verzweiflungstat, Ursachenforschung zu betreiben und die Gründe für sein Schicksal in Erfahrung zu bringen. Doch alles, was ihm entgegengebracht wird, sind Unverständnis und der dringende Wunsch, ihn ins Totenreich zu verabschieden. Schließlich steht sein Leben gegen das mehrerer Milliarden Menschen …

_Persönlicher Eindruck_

Willkommen daheim: Captain Atom, einst eines der Trademarks des |Wildstorm|-Universums, meldet sich nach zeitweiliger Abstinenz im Schoße der |DC Comics| nun in einem fulminanten Crossover zurück, der nicht nur die jüngsten Ereignisse der DC-Historie mit intelligent eingestreuten Querverweisen streift, sondern inhaltlich ein allzu typisches Prachtstück von Seiten des renommierten amerikanischen Verlags geworden ist, das sich durchaus mit den alten Atom-Comics messen darf. Dabei kommt die Reinkarnation des eigentlichen B-Helden ziemlich überraschend, wenngleich der Zeitpunkt kaum besser sein könnte. Die „Infinite Crisis“ mit den Konflikten der zahlreichen Universen ist gerade beendet, da wird auf Grundlage der dortigen Ereignisse gleich ein neuer Mini-Crossover angehängt, der die Dramaturgie besagter Krise in einer eigenwilligen, aber durchaus lesenswerten Geschichte wieder aufkocht.

Der tragische Titelheld wird in „Armageddon“ durch die Galaxie gejagt und landet nach seiner aufopferungsvollen Rettungsaktion auf einer Parallel-Erde, die sich in menschlicher Hinsicht völlig von seiner ursprünglichen Heimat unterscheidet. Die Menschen dort sind skeptisch und ohne jegliches Vertrauen, haben geradezu Böses im Sinn, wohingegen der Captain lediglich nach Verbündeten sucht, die ihm aus seiner Misere helfen und einen Weg zurück zur Erde weisen können. Aber sein ganzes Hoffen und Bitten stößt auf Abweisung und Unverständnis, obwohl der Authority dieser Parallelwelt nichts lieber wäre als die Auslöschung des neuen Bewohners, der in sich Kräfte trägt, die den gesamten Planeten, ja die gesamte Galaxie auszulöschen vermögen. Atom kämpft gegen Windmühlen, während sein Zorn gemeinsam mit seiner Verzweiflung ständig anwächst. Verrat und hinterhältige Intrigen weben sich um seine Person, bis er endlich spürt, dass in ihm immer noch die Kraft steckt, seinem Schicksal zu entrinnen. Anders jedoch als im typischen Superhelden-Kosmos scheint der Weg dorthin aber nicht mit guten Vorzeichen gepflastert!

Im Grunde genommen ist diese hier zusammengefasste Mini-Serie sicher keine ungewöhnliche Heldensaga, selbst wenn mancher Inhalt ein wenig bedrückend, nahezu finster ist. Allerdings ist das Happy-End in „Armageddon“ zu keinem Zeitpunkt greifbar, was an der wechselseitigen Entwicklung des Plots sowie der generellen Depression, die den Hauptcharakter umgibt, festzumachen ist. Geradezu naiv wendet sich Atom gegen eine wachsende Zahl von potenziellen Kontrahenten, bewahrt dabei zwar seine Political Correctness, verhält sich jedoch selten wie ein standardisierter Superheld. Seine Motivation ist klar, sein Handeln indes unstet und somit Garant für eine unberechenbare, spannende Story, die so manche erstaunliche Wendung nimmt.

Und dementsprechend ist dieser Crossover der beiden Lager |DC| und |Wildstorm| auch wirklich prächtig gelungen; bekannte Charaktere werden trefflich in Nebenrollen integriert, das aktuelle Zeitgeschehen der beiden Universen geschickt miteinander verflochten und die Geschichte stringent aber dynamisch fortgeführt. „Captain Atom: Armageddon“ ist ergo ein prächtiges Beispiel dafür, wie man eine prinzipiell weniger originelle Storyline dennoch mit innovativen Elementen spickt. Definitiv ein Highlight des gerade gestarteten Comic-Herbstes!

http://www.paninicomics.de

Sabine Thiesler – Hexenkind

In einem einsamen Waldhäuschen wird Sarah Simonetti brutal ermordet. Ihre Kehle ist so tief durchgeschnitten, dass ihr Kopf fast abgetrennt wurde. Ihr Ehemann Romano ist erschüttert – wer könnte seine Frau ermordet haben? Schnell tauchen aber die ersten Verdachtsmomente auf, denn Sarah hatte einen jüngeren Liebhaber. Als dann die Polizei auch noch bemerkt, dass in der Küche der Trattoria, die die Familie Simonetti betreibt, das größte Messer fehlt, ist für den Chefermittler Donato Neri klar, dass Romano die Tat begangen hat. Kurzerhand nimmt er den Familienvater fest, der seinen behinderten Sohn Edi in der Obhut seiner Großeltern lassen muss und sich fortan in einer winzigen Zelle befindet, die von drei weiteren mutmaßlichen Mördern bewohnt wird.

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McGraup, Per / Gruppe, Marc – Hexenfluch, Der (Gruselkabinett 21)

Der Hexenjäger Junker Harper verbrennt im Jahre 1662 die angeblich der Hexerei überführte Katrina van Kampen öffentlich auf einem Scheiterhaufen. Vor ihrem grausigen Tod stößt sie einen schrecklichen Fluch aus. Am Abend vor Allerheiligen würde sie zurückkehren und Rache an ihrem Peiniger nehmen, ebenso wie an seinen Nachkommen.

300 Jahre später jährt sich abermals die Halloween-Nacht. Mittlerweile sind nur noch zwei Nachkommen Junker Harpers am Leben, die Schwestern Emily und Abigail Harper. Während sich Erstere wie jedes Jahr zu Tode fürchtet, ist die Letztgenannte von der Geschichte eher amüsiert und von der albernen Furcht ihrer Schwester schon ziemlich genervt.

Dieses Jahr spielen beide wie so oft die Babysitter für Charlotte Andrews, während die Eltern eine Party besuchen. Da klingelt das Telefon und eine Stimme verkündet Emily Harper den Tod …

Die 21. |Gruselkabinett|-Folge kommt mit einer fast schon trivialen Story daher. Die Geschichte vom Hexenfluch ist beinahe so alt wie das Gruselgenre selbst. Klassischer als dieses Hörspiel kann eine solche Handlung nicht beginnen und Klaus-Dieter Klebsch ist ein idealer Erzähler, der es mit seiner sonoren, kräftigen Stimme schafft, dem Hörer die Szenerie plastisch vor Augen zu rufen. Bekannt ist der Sprecher beispielsweise als Stimme von Alec Baldwin, Gabriel Byrne oder „Dr. House“.

Im Laufe der Geschichte betritt das Hörspiel regelrecht Neuland, was die Reihe „Gruselkabinett“ betrifft, denn bislang spielten die ersten 20 Hörspiele weit in der Vergangenheit, im 17., 18. oder 19. Jahrhundert. „Der Hexenfluch“ von Per McGraup beginnt zwar im Jahr 1662, der Großteil der Handlung aber spielt 1962, gerade mal 45 Jahre vor unserer Zeit und die böse Hexe kann sich sogar eines Telefons bedienen. Neben dem Zweiteiler [„Spuk in Hill House“ 1866 ist dies auch die einzige Folge, in der Autos eine Rolle spielen. Die beiden alten Damen erinnern zunächst frappant an die skurrilen Hauptdarstellerinnen des Hörspiels „Tödliche Begegnung mit dem Werwolf“ aus |Europas| legendärer Gruselserie von H. G. Francis. Bei näherer Betrachtung hinkt der Vergleich allerdings gewaltig. Die beiden Damen im vorliegenden Hörspiel sind zwar ebenfalls Schwestern, aber während die eine fest an den Fluch glaubt, tut die andere ihn als Spinnerei ab und setzt ihn sogar für eigenen Zwecke ein.

Gesprochen werden die beiden Protagonistinnen übrigens von Marianne Wischmann und Edith Schneider. Erstere ist mit ihrer markanten Stimme in erster Linie den Comedy-Fans ein Begriff. In der Kultserie „ALF“ lieh sie ihre Stimme der tratschenden Nachbarin Rachel Ochmonek. Edith Schneider hat unter anderem Doris Day synchronisiert. Beide Sprecherinnen waren im „Gruselkabinett“ zuerst in [„Dracula“ 3489 mit dabei. Die Hexe Katrina van Kampen wird sehr leidenschaftlich und dämonisch von Cathlen Gawlich dargestellt, so dass man ein wenig betrübt darüber ist, dass sie relativ wenig Text bekommen hat.

Effekte und Musik sind wieder erstklassig, wenn auch nicht überragend. Vor allem der Soundtrack wurde dem Zeitgeist angepasst und gerade die Musik zu Beginn des dritten Tracks erinnert stark an die ersten |John Sinclair|-Hörspiele aus dem Tonstudio Braun.

Die Illustration, erneut von Firuz Askin, ist von gewohnt hoher Qualität, auch wenn die Hexenjäger im Hintergrund schon recht grob aussehen, fast wie einem Comic entliehen.

Fazit: Das Gruselkabinett wartet in der 21. Folge mit einer etwas anderen Story auf, deren Plot aber schon so alt wie die Inquisition selbst ist. Die Handlung erinnert ein wenig an einen Gruselheftroman, vermag einen regnerischen Oktoberabend aber dennoch gekonnt zu versüßen. Die Besetzungsliste strotzt vor lauter neuen Namen, so dass die Folge auch in sprachlicher Hinsicht frisch und unverbraucht klingt.

Home – Atmosphärische Hörspiele


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_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

_Florian Hilleberg_

alte Volkssage – Klaus Störtebeker (Europa Originale 36)

_Besetzung_

Erzähler – Horst Stark
Klaus Störtebeker – Claus Wilcke
Radlev – Hans Meinhardt
Wulf – Konrad Halver
Magister Wigbald – Helmut Lange
Baldwin – Michael Hinz
Nachtwächter von Stralsund – Michael Poelchau
Güdecke Michaeel – Hans Paetsch
Bürgermeister von Wisby – Rudolf Fenner
Margarete, Königin von Dänemark -Gisela Trowe
Bürgermeister von Bergen – Lothar Zibell
Tetta, Störtebekers Frau – Ingrid Andree
Keno tom Broke – Hans Clarin
Simon von Utrecht – Konrad Mayerhoff

Regie: Konrad Halver

_Story_

Störtebeker und die Mannschaft seines ‚Haifischs‘ gehören zu den am meisten gefürchteten Freibeutern in der Nord- und Ostsee. Von Tag zu Tag wächst der Respekt der Seefahrer, denn jedem ist bewusst, dass mit dem unberechenbaren Piraten nicht zu spaßen ist. Auch Güdecke Michaeel, ebenfalls im räuberischen Metier unterwegs, schätzt Störtebeker für seine Kompromisslosigkeit, weiß jedoch auch um den verdienten Ruhm seines Kollegen. Dennoch ist er zunächst skeptisch, als der ‚Haifisch‘ die Segel gen Stockholm setzt, um den verbliebenen Teil Schwedens gegen die dänische Krone zu verteidigen. Wie durch ein Wunder ist er vor der östlichen Küste erfolgreich, will nun aber endgültig Norwegens hinterhältige Monarchie in die Knie zwingen – bis ihm schließlich bewusst wird, dass er auf den Rat des erfahrenen Güdecke Michaeel hätte hören sollen.

_Persönlicher Eindruck_

Die Sage um den tatsächlich im Norden Europas aktiven Seefahrer Störtebeker gehört mitunter zu den größten klassischen Inszenierungen der deutschen Literatur und wird auch immer wieder gerne bemüht, wenn es darum geht, ein eher eigenwilliges Heldenepos aus hiesigen Landen zu erzählen. Im Gegensatz zu den meisten Piratengeschichten folgt der Werdegang von Klaus Störtebeker nämlich keinesfalls typischen Schemen, sondern steckt stattdessen voller Überraschungen und Unwegsamkeiten, aufgrund derer der gute Mann ständig mit den härtesten Fronten aufeinandergeprallt ist, ohne dabei auch immer erfolgreich zu sein. Als Robin Hood der Meere stach der Kapitän des ‚Haifischs‘ einst in See, ließ sich jedoch bezogen auf seine Motive nie so recht in die Karten schauen. Diese stete Unberechenbarkeit dokumentiert in der berüchtigten Erzählung um den so mythenträchtig enthaupteten Seefahrer schließlich auch den Spannungsanteil, da man in der Tat wirklich nie wirklich weiß, welche Ideen Störtebeker demnächst zu realisieren versucht.

Leider ist dieses Hauptelement in der Hörspielfassung aus dem Jahre 1969 kaum berücksichtigt worden. Die Story wird zumeist in Berichtform abgeliefert und gleicht einer Aneinanderreihung von Fakten und Tatsachen, ohne dabei eine dynamische Entwicklung zuzulassen. Mit Horst Stark scheint die Rolle des führenden Sprechers dabei auch noch relativ unglücklich besetzt, steht doch mit dem ebenfalls deplatzierten Hans Paetsch die naheliegende und durchaus bessere Variante schon bereit, den eher drögen Monolog mit Leben zu füllen.

Die Geschichte wird ergo über weite Strecken ziemlich ruckartig erzählt, unternimmt zwar kleine Schlenker in der Interaktion zwischen Störtebeker, Güdecke Michaeel und der Königin Dänemarks, macht aber in ihrer Darbietung einen eher unmotivierten, wenig ambitionierten Eindruck. Hektische Übergänge, wenig Leben in den Dialogen und einige nicht ganz auf dem Höhepunkt befindliche Sprecher beschreiben die Misere schließlich ziemlich passend und fassen die krampfige Hörspiel-Variante dieser grundsätzlich schönen Abenteuergeschichte zusammen.
Natürlich muss man den Re-Release des Hörspiels auch im Rahmen der Entstehungszeit sehen und zumindest diesbezüglich die Perspektive ein klein wenig modifizieren. Doch wie einige weitere Hörspiele dieser Reihe ganz klar aufzeigen, war es auch vor vier Dekaden schon möglich, ein lebhaftes, kommunikatives Szenario zu gestalten. Somit blicke ich schlussendlich mit gemischten Gefühlen auf den 36. Part der „Europa-Originale“ zurück. Der Inhalt ist potenziell stark, die Umsetzung hingegen in vielerlei Hinsicht äußerst dürftig. Wer also nachempfinden möchte, was Klaus Störtebeker zu Lebzeiten angestellt hat, greift besser auf eines der vielen Bücher zu diesem Thema zurück.

http://www.natuerlichvoneuropa.de