Nibelungen-Festspiele Worms 2

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_Specials_

Wie in den ersten Aufführungen 2002 und 2003 gibt es immer wieder von Dieter Wedel gedrehte Filmsequenzen auf Großleinwand. Auf die Bühne fahren richtige Autos – ein Jeep und ein Mercedes Cabrio aus Siegfrieds Fuhrpark. Auch ein Pferd – der Schimmel „Sidestep“ aus früheren Inszenierungen – taucht im Stück auf, aber dessen Tod wird durch eine Attrappe dargestellt. Auch drei große Hunde sind mit dabei. Das imposante Eispferd der früheren Jahre wird wieder eingesetzt, 2002 noch aus wirklichem Eis, seit 2003 aber schon aus Plexiglas; es wiegt drei Tonnen und ist vier Meter hoch, 3,5 Meter lang und 1,5 Meter breit. Eingelassene Scheinwerfer geben ihm eine mystische Atmosphäre und aus seinen Nüstern bläst Dampf. Brünhild reitet darauf in den Hofstaat ihres neuen Ehemannes ein. Ein anderes großes Monument ist der Kopf Dankwarts, der ist allerdings aus Styropor. Diese Statue birst auseinander, als Siegfried untermalt von lauten, grollenden Geräuschen an den Burgunderhof kommt. Das geschieht wie bei den Rollcontainern durch Muskelkraft, innen sitzen zwei der fünfzehn Bühnentechniker. Oben auf der Statue liegt Grillkohle, eine Nebelmaschine springt an und die Techniker ziehen an einem Seil. Die Illusion ist perfekt. Nach Siegfrieds Tod brennt ein Tisch und Flammen leuchten im Dunkeln um Siegfried auf. Dies ist ein beeindruckender Trickeffekt, der zustande kommt, indem ein Mitarbeiter unterm Tisch sitzend auf Kommando eine Gasflasche aufdreht.

Auch beeindruckend sind mächtige Rollcontainer, die beim Ablauf die Bühne verändern. Gleich zu Beginn gibt es eine spektakuläre Szene, wenn am Ende der Brautwerbung des finnischen Königs Jukka Thor durch die männermordende Brünhild dieser und seine Begleiter einen grausamen Tod sterben, indem er und seine Mannen in eine sich plötzlich auftuende Gletscherspalte stürzen und auf Nimmerwiedersehen im eiskalten Nebel Islands verschwinden. Diese technische Perfektion geschieht noch durch Manneskraft, denn in den Rollcontainern, die immer wieder auf- oder zugehen, stehen jeweils sechs starke Jungs, die von Stage-Manager Detlef Hahne kommandiert werden. Diese Jungs schieben die jeweils vier Tonnen schweren, auf Schienen und Rollen dahingleitenden, 13 Meter langen Container mit erstaunlicher Präzision in die vorbestimmten Positionen. Auch sonst ist diese Eingangsszene in waberndem Nebelblau für die urzeitliche Szene auf Isenstein und das archaisch anmutende Frauenvolk ein ästhetischer Genuss. Brunhild und ihre Begleiterinnen stehen auf Plaxiglasböden, die von unten angestrahlt werden und die Szene in ein eisiges Licht tauchen.

Detlef Hahne hat zwei Bühnenmonitore zur Verfügung, mit deren Hilfe er das Geschehen auf der Bühne genauestens verfolgen kann, und einen kleineren für die Videoeinspielungen. Er orientiert sich am Textbuch, in das er seine Kommandos notiert hat, wobei er das meiste auswendig kann. Er hat zusätzlich zwei Headsets zur Verfügung, also Kopfhörer und Mikrophone, und ein Mischpult für Lichtsignale.

Eine Ton- und Lichtcrew sorgt im Hintergrund für perfekte Technik. Aus dem 16 Quadratmeter großen Tonstudio hoch oben am Ende der Tribüne wird jeder Lautsprecher verwaltet. Jede Sprechrolle hat eine eigene Taste, jedes Störsignal wird herausgefiltert. Auf Tastendruck werden auch über 400 Lichtquellen, Lampen, Leuchter und Strahler bedient. Gearbeitet wird mit computergesteuerten und programmierten Effektreihen, für den Notfall steht ein manuelles Mischpult bereit. Wichtigstes Werkzeug ist ein hochauflösender Computer. Was hier im Hintergrund gemacht wird, ist sensationell, denn alles ist „wireless“ – also drahtlos und „netzwerkfähig“ und als Technik erst seit kurzem auf dem Markt. Ein Teil der Crew steht auch bereit, um verrutschte Mikrophone wieder in Position zu bringen oder Defekte zu beheben.

Die Bühnentechnik besteht aus etwa 80 Tonnen Stahl, Holz, Licht- und Tontechnik.

Die eingespielten Filmszenen, die viele vor vier Jahren noch als Fremdkörper empfanden, fügen sich nunmehr schlüssig in das Handlungsgeschehen ein und erscheinen durchaus sinnvoll. Sie erscheinen nicht mehr als Lückenfüller, z. B. kann man die eigentliche Hochzeit im Wormser Dom nun originalgetreu von außen stilecht betrachten.

Heftig im Vorfeld der Festspiele wurde eine manchen mit 30.000 Euro zu teuer erscheinende Brücke diskutiert, die dann aber doch billiger wurde als geplant und die Bühne mit dem Heylshofpark verband. Im Vorfeld hatte die CDU diese Brücke kritisiert, sich dann aber doch überzeugen lassen, dass es die einzig praktikable Lösung sei. Aber spätestens bei der Premiere mussten auch alle anderen Kritiker eingestehen, dass diese absolut notwendig war, um möglichst schnell zweieinhalb tausend Menschen in die Pause und zurück bewegen zu können. Für die richtige Festspiel-Atmosphäre war sie unentbehrlich. Erbaut wurde sie durch Spezialisten der Tribünenbaufirma Nüssli (Roth), die auch für die eigentliche Zuschauertribüne zuständig war, deren diesjährige Höhe 13 Meter betrug. Die Firma Nüssli ist im vierten Jahr mit in Worms dabei. Eine solche Anlage wird natürlich auch TÜV-überprüft, aber die Arbeiter haben gute Erfahrungen, denn sie sind auch bei den Olympischen Spielen mit dabei. Die Bühne selbst ist 29 Meter breit, 20 Meter tief und nahe an den Zuschauern, eingebaut waren auch drei Hubpodien. Mit den schon genannten Rollcontainern konnte die Bühne zudem noch unterteilt werden. Da diese auch zusätzliche Türen hatten, konnten dadurch weitere Auftrittsorte genutzt werden. Die Überwachung der Arbeiten unterlag dem technischen Leiter Michael Rütz.

Zum Premierenabend ist das Catering-Equipment mit acht Lastwagen angerückt. 130 Servicekräfte waren im Einsatz und nochmals 40 Köche. Für die 300 Prominenten beim Bürgermeister-Empfang gab es asiatische und andere Leckereien und nach der Premierenvorstellung für die insgesamt 2100 geladene Gäste halben Hummer, verschiedene Wok-Stationen bis hin zu ländlich-edlen Speisen. Das Service-Team mit seinen unzählbaren Hostessen, die auskunftsfreudig jederzeit zur Verfügung stehen, genießt überhaupt einen sehr guten Ruf. Der Catering-Bereich wird seit zwei Jahren vom Personal der Firma „Servcat“ betreut. Für die Schauspieler steht neben vegetarischem Essen Diätkost oder auch mal was Deftiges auf dem Speiseplan. Aber darüber hinaus gibt es auch Kopfschmerztabletten, Tageszeitungen und natürlich tröstende Worte bei zu schwierigen Proben. Im Catering-Bereich trifft sich jährlich über sechs Wochen hinweg ein buntes Völkchen, bestehend aus Technikern, Künstlern, Presse und Organisation. Es stehen insgesamt 25 Container und 20 Zelte um den Dom.

Besonders geschätzt von Aufführungsbesuchern mit etwas mehr Geld wird das VIP-Arrangement. Seit vier Jahren serviert Sternekoch Wolfgang Dubs im historischen Ambiente des Andreasstiftes ein exzellentes Vier-Gänge-Menü mit besten Weinen aus der Region. Danach folgt ein Festspielbesuch mit Plätzen in der ersten Kategorie. Dieses Angebot wird immer beliebter. Seit letztem Jahr wird der komplette Innenhof des Andreasstiftes genutzt, um der stetig steigenden Nachfrage nachkommen zu können. Neu in diesem Jahr ist die Beteiligung der DaimlerChrysler AG, die die Fahrzeuge für den Fahrdienst stellt. Die Gäste werden von zehn exklusiven R-Klasse-Fahrzeugen vom Andreasstift abgeholt und zum Dom chauffiert. Neben VIP-Parkplatz, Hostessenservice und VIP-Lounge in der Pause runden weitere Extras das exklusive Angebot ab. Der Preis für diesen Rundum-Service beträgt 195 Euro.

Auch Menschen, die keine Vorstellung besuchen, können das wunderschöne, illustre Ambiente genießen. Zwar ist für Touristen tagsüber während der Festspielzeit der Park geschlossen, aber ab 18 Uhr ist er offen und es gibt Essen und Trinken zu akzeptablen Preisen. Unter dem Motto „Essen im Park“ ist das Festspielresteraunt geöffnet und offeriert Köstlichkeiten vom Team des Resteraunts „Zum Stolpereck“. Und trotz des durchgehend miesen Wetters lag die Besucherkapazität 150 Prozent über dem Vorjahr.

_Rahmenprogramm_

Die Filmaufführungen der letzten Jahre wie auch das musikalische Open-Air-Programm aufgrund des Musikwettbewerbs vom letzten Jahr fanden nicht mehr statt, wobei viele im Vorfeld damit gerechnet hatten dass die Gruppe _Weena_, welche den glanzvollsten Eindruck hinterließ, nunmehr ihre Rockoper aufführen dürfte. Immerhin spielten sie stattdessen einige Stücke während der Vernissage zur Pop-und-Kitsch-Ausstellung (siehe weiter unten). So bleibt darauf zu hoffen, dass vielleicht im nächsten Jahr die ganze Nibelungen-Oper auch in Worms einmal aufgeführt werden kann. Im gedruckten Rahmenprogramm standen vierundzwanzig Sonderveranstaltungen. Im fünften Jahr ist es zum Ereignis neben dem Ereignis geworden.

_Benefiz-Vorstellung einer kindgerechten Aufführung des Nibelungenstücks_
An einem Sonntagmittag spielte das komplette Ensemble eine Version für Kinder, deren Erlös dem Bau einer Schule in Namibia zugute kommt. Das war eine Premiere – angeregt von Dieter Wedel und Joern Hinkel – in diesem Jahr. Auch hier kostete die Karte nur fünf Euro (wie schon bei der Generalprobe oder auch beim Stück der Nibelungenhorde). Die Vier-Stunden-Version wurde auf 90 Minuten heruntergestrichen und Thilo Keiner, der im Stück schon den finnischen König und den Mundschenk Sindold spielt, trat hier noch zusätzlich als Erzähler auf, der durch die Handlung führt. Er agierte dabei auch im Publikum und stellte direkte Fragen an die zuschauenden Kinder. Gestrichen wurden vor allem die nicht kindgerechten Szenen, wie die Vergewaltigungen der Isländerinnen. Auch zeigte sich Kriemhild (Jasmin Tabatabai) gemäßigt und warf als wütende und betrogene Ehefrau der Brünhild nicht ganz so böse Worte ins Gesicht. Die Schlachtszenen oder wenn der Finnenkönig und seine Mannen auf Island ins Meer stürzen fehlten allerdings nicht. Begeistert feuerten die Kinder mit „Siegfried, Siegfried“-Rufen den Helden an und amüsierten sich sehr, als Gunther unter Gestöhne von Brunhild am Baum hochgezogen wurde. Viel Gelächter gab es auch bei den witzigen Szenendialogen zwischen dem atemlosen Boten und dem Burgwächter Eisermann. Mit Klatschen, Trampeln und Rufen dankten am Ende auch die Kinder den Schauspielern.

_Nibelungenhorde_
Dahinter verbirgt sich ein ehrgeiziges Jugendprojekt für Theaternachwuchs. Die Idee entstand unter anderem durch den Film „Rhythm is it“. Auch dort wurden die schöpferischen Kräfte der jungen Menschen durch Profis aktiviert. Jugendliche sollen ohne besondere Vorbildung animiert werden, Unbekanntes auszuprobieren. Intention des Projektes ist, Interesse an Kultur zu wecken und erlebbar zu machen, indem Parallelen zwischen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und literarischen Figuren gezogen werden – sowie Einblicke in die professionelle Theaterarbeit zu geben. Laut einer Umfrage des ZfKf sind zudem Jugendliche, die sich für Kultur interessieren, toleranter gegenüber fremden Kulturkreisen. Schulen in ihrer traditionellen Form können die Defizite bei der Kulturvermittlung in der Regel nicht alleine ausgleichen. Pädagogischer Ansatz ist, durch professionelle Anleitung Kreativität und Selbstbewusstsein zu fördern sowie persönliche Emotionen und Phantasie einzubringen.
Gesponsert wurde das Ganze von Seiten der Wirtschaft durch Harald Christ, Vorstand der HCI Capital AG, mit einer fünfstelligen Summe. Christ wurde in Gimbsheim geboren und hatte seine Ausbildung bei den Stadtwerken in Worms. Es folgte eine Bilderbuchkarriere. Jüngster Vertriebsdirektor bei BHW, anschließend Direktor der Deutschen Bank in Frankfurt und Berlin, übernahm er die Führung der HCI Capital AG. Noch immer ist er sehr heimatverbunden und sein besonderes Anliegen dabei ist die Förderung von Jugend, Kultur und Bildung. Das Nibelungenprojekt spricht alle drei Bereiche an und passt in seine Strategie. Zudem empfindet er die Nibelungenfestspiele als ein deutschlandweit einzigartiges Kulturereignis. In den nächsten zwei Jahren will er ca. eine Million Euro in verschiedene Projekte der Region investieren, die in eine Stiftung übergehen sollen, damit daraus ein lebenslanges Projekt werden kann. Er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Sponsorenschaft aus seinem Privatvermögen finanziert ist.
Das Casting fand im Februar 2006 statt. Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren aus dem gesamten Rhein-Neckar-Raum wurden angesprochen. Aus rund 60 Interessenten suchte Uwe John 43 aus, die kostenlos teilnehmen konnten. Das Projekt wurde von elf zusätzlichen Jugendlichen redaktionell begleitet und später in einem Film, auf Fotos, einer Jugendkurs-Broschüre und einer Website (www.nibelungenhorde.de) dokumentiert. 40 junge Leute (drei waren wohl abgesprungen) erhielten seit dem 26. Juli vier Wochen lang intensive Theaterarbeit, während der der Stoff neu erzählt, die Rollen verteilt und eine passende Musik komponiert wurde. Zur Vorbereitung und zum Kennenlernen trafen sich alle Beteiligten aber schon am 1. April. Mit dabei waren die Teilnehmer der Jugendkurse, das Redaktions-, Dokumentations- und Websiteteam, der Regisseur, die Koordination, die künstlerischen Paten („Allee der Kosmonauten“) sowie der Musiklehrer. Davon stammt auch der zu sehende Trailer des genannten Internet-Links. Gleich mit Beginn der Proben begleitete ein Team des Südwestrundfunks das Projekt und am ersten Tag der Proben gab es schon einen Eindruck in der Sendung „Rheinland Pfalz aktuell“.
Die meisten Jugendlichen hatten sich auf Grund ihres Interesses an der Schauspielerei auf das Projekt eingelassen, aber es gab auch drei (Sissi, Swantje und Jens), die es aufgrund ihrer Mittelalter- und Rollenspielbegeisterung tun. Geprobt wurde acht bis zehn Stunden am Tag an sechs Tagen die Woche. Jeden Samstag wurde mit allen an der Textfassung des Nibelungenstücks gearbeitet. Es ging nicht um das Ergebnis, sondern um die Ausbildung. So sah man das Ergebnis auch eher als Werkschau denn als Theaterstück. Aber die Aufführung im Wormser Festhaus mit einer Länge von eineinhalb Stunden war beeindruckend, gut besucht und wurde mit stehendem Applaus belohnt.
Das Stück, das gar keinen eigenen Namen hat, handelt von Siegfried (Gianmarco Steinhauer aus Worms), dem Helden aus Xanten, der im Grunde das Gleiche erlebt wie auch in der originalen Geschichte. Er trifft Brunhild (Marie-Luise Raumland aus Flörsheim-Dalsheim), besiegt den Drachen, schlichtet den Streit der Nibelungenkönige mit dem Schwert und erhält so den Hort. Er holt, weil ihm Kriemhild dafür versprochen wird, Brunhild an den Wormser Hof – allerdings im Alleingang und rottet dabei die gesamten Isländer aus. Ulrike Schäfer von der Wormser Zeitung betont dabei als großen Unterschied zur Vorlage, dass Siegfrieds Heldentum von Anfang an problematisiert wird, Brunhild liebt ihn zwar, aber er ist ihr zu äußerlich, zu ungar. „Ich weiß, dass du zwar alles zerquetschen kannst, aber wichtiger ist mir deine Seele“. Deshalb rät sie ihm zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Siegfried aber gelingt es nicht, aus seinen Erfahrungen Lehren zu ziehen. „Wenn du sie besitzen willst, ohne sie zu lieben, kann es dich dein Leben kosten“, rieten die Isländer dem jugendgerechten Siegfried gleich zu Beginn. In dieser Version wird Siegfried also von Brunhild abgewiesen.
Die Interpretation der Nibelungenhorde orientiert sich an den mythologischen Vorbildern, ist aber in die Gegenwart transportiert. Es sind Gangs, die das Sagen haben, die Burgunder, die Dragons, die Nibelungen, es geht um Geld, Drogen, Besitz, Macht. Auch die Nibelungen selbst sind nichts anderes als eine Hinterhofgang mit kaputten Autos, koketten Bräuten, einem abgedrehten Giselher und einem Volker, der mit Gitarre und coolen Sprüchen ständig Frauen abschleppt. Dem steht die naturverbundene Brunhild entgegen, für die innere Werte und die Bildung der Seele eine entscheidende Rolle spielen. Kriemhild dagegen ist eine bildhübsche, schmollmündige Diva mit Neigung zu Klunkern und schicken Schuhen. Der Streit der Königinnen dreht sich dann hauptsächlich um Weltanschauungen. Die durch Siegfried komplett vernichteten Isländer kriechen am Ende noch mal als Geister heran. Doch dann fällt auch schon der Schuss und das ist bereits Ende.
Das Stück ist mit sparsamen, aber effektvollen Mitteln in Szene gesetzt. Die Darstellung der Drachengang, die wie ein Riesenleib aus vielen beweglichen, stampfenden und kämpfenden Teilen erscheint, begeistert ebenso wie der Chor der Isländer, der durch präzise Koordination eine starke Wirkung erzielt. Eingeübt wurde diese Drachenchoreografie von Warren Richardson (STOMP), die an einem Wochenende zusammen mit der Choreografie von Siegfrieds Tod einstudiert wurde. Die witzige Charakteristik der Figuren überzeugt genauso wie die Umsetzung der Handlung, der Reichtum der Dialoge, die plausible Übertragung auf die heutigen Verhältnisse.
Initiatorin und Projektkoordinatorin ist Astrid Perl-Haag, Regisseur ist Uwe John, Antje Brandenburg Sprachtrainerin, Jannis Spengler Körpertrainer, Philipp Pöhlert-Brackrock Musikimprovisateur und Warren Richardson Choreograf. Täglich wurde unter der Leitung von Uwe John, dem Regieassistenten von Dieter Wedel, mit den namhaften Trainern gelernt, geprobt und einstudiert in verschiedenen Bereichen wie Improvisation oder Körper- und Sprachtraining. Auch erhielten sie Einblick in die „professionelle“ Theaterarbeit bei den Festspielen, besuchten deren Proben und sahen natürlich auch eine der Aufführungen. Auch mit Moritz Rinke wurde gearbeitet, der von seiner Dramaturgie erzählte. Und unter der Anleitung von Thomas Haaß und Karsten Rischer bekamen sie Fechtunterricht. Eine dieser Fechtstunden wurde von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks gefilmt, das sich gerade auf Motivsuche für die Sendereihe „Fahr mal hin“ auf den Spuren der Nibelungen bewegte.
Das Projekt geht weiter. Durch diese Jugendkurse ist ein Anfang für Jugend-Kultur im Rhein-Neckar-Raum gemacht worden, der sich in Kooperation mit Schulen und Jugendorganisationen weiter fortsetzten wird. Als nächstes werden die Songs der „Nibelungenhorde“ mit der bekannten Rockband „Allee der Kosmonauten“ (Mischa Martin aus Kaiserslautern – Gesang – und Jürgen Fürwitt – Schlagzeug – waren von Anfang an schon die künstlerischen Paten und unterstützten die Jugendlichen in ihrer Arbeit) auf CD erscheinen. Die Band bietet deutschsprachige Rock- und Popmusik mit hochrangigem Songwriting. Bekannt wurden sie durch den Song „Du bist nicht allein“. Selbstgestaltete Schweineplastiken mit Signierungen der Schauspieler werden in Zusammenarbeit mit der Sparkasse versteigert, deren Erlös dem Projekt zukommt.

_Ausstellung: Die Nibelungen – Pop und Kitsch_
Während der Festspiele gab es im Historischen Museum Andreasstift eine Ausstellung der besonderen Art mit Nibelungen-Sammlungen seit den 60er Jahren. Private Leihgeber haben die Ausstellungsgegenstände zur Verfügung gestellt. Der größte Teil stammt von Andreas Grünewald aus Weimar, der auch seit 2003 Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft ist. Grünewald kommt deswegen öfter zu den Sitzungen der Gesellschaft nach Worms, natürlich jedes Jahr zu den Festspielen oder auch wie im April dieses Jahres zur „Höfischen Tafel“ im Andreasstift. Zur Vernissage begrüßte Bürgermeister Georg Büttler; Werner Marx hielt eine Einführung in die Ausstellung und gab eine Definition von Kitsch. Dr. Olaf Mückain vom Nibelungenmuseum sprach die Dankesworte und die Gruppe „Weena“ begleitete musikalisch mit Ausschnitten aus ihrer Nibelungen-Oper. Für die Besucher gab es Sekt und kleine Leckereien. Unter ihnen war auch der ehemalige Kulturdezernent Gunter Heiland. Im Grunde ist diese Ausstellung ganz trivial und zeigt auf, was Comics, Sexfilme und Sammelbilder mit den Nibelungen zu tun haben. Zusätzlich wurde als Ergänzung im Nibelungenmuseum im dortig ehemaligen „Schatzraum“ und jetzigen „Mythen-Labor“ eine Kabinettausstellung mit Kinoaushangbildern und Plakaten der Nibelungenfilme der 60er Jahre („Die Nibelungen“, Teil 1 und 2 von Harald Reinl sowie „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ mit Raimund Harmsdorf) gezeigt. Zusätzlich präsentierte das Nibelungenmuseum zur Ausstellung innerhalb des jährlichen Museumsprogramms einen Vortrag mit Daniel Dietrich aus Ludwigshafen, der den Einflüssen der Mythen auf moderne Filmklassiker nachging. Dazu wurden entsprechende Ausschnitte der einschlägigen Filme von George Lucas, John Boorman und Harald Reinl gezeigt. Die Beispiele machten deutlich, dass die lichten Gestalten und diabolischen Figuren von Kultstreifen wie „Star Wars“, „Excalibur“ oder „Der Fluch des Drachen“ ihre Faszinationskraft aus den Archetypen antiker und vor allem mittelalterlichen Sagenquellen beziehen. Im Worms-Verlag ist für acht Euro ein gleichnamiger Katalog zur Ausstellung erschienen. Die Ausstellung „Nibelungen – Pop und Kitsch“ war die erste städtische Nibelungenausstellung zu Kunst (wenn auch Kitsch) seit 25 Jahren. Damals wurde „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ ausgestellt.

_Heike Makatsch: Liebeslyrik von Bob Dylan und Walter von der Vogelweide_
Zwar trennen die beiden 800 Jahre, aber sie haben viel gemein. Beide sind Außenseiter und Revolutionäre, geben in jungen Jahren ihre Heimat auf, um auf Wanderschaft zu gehen und mit ihren Liedern zu bezaubern und zu entzaubern. Bei beiden stehen die großen Themen Liebe und Gesellschaftskritik im Mittelpunkt. Sie genießen bereits zu Lebzeiten ein großes Publikum, sie singen von den Ärmsten und den Reichsten, Bob Dylan wird als einziger Songtexter sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Und beide misstrauen ihrem eigenen Ruhm. Sie suchen vor allem nach einem: nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat und von der Liebe. Film- und Fernsehstar Heike Makatsch hatte diese Lesung eigens für die Nibelungen-Festspiele zusammengestellt. Mitgeholfen an der Zusammenstellung hat ihr Joern Hinkel, der Regieassistent von Wedel, der das Projekt auch initiierte. Heike Makatsch hatte er 1999 eher zufällig beim Casting von Dieter Wedels „Affaire Semmeling“ kennen gelernt und seitdem hatten sie vor, etwas zusammen zu machen.
Heike Makatsch hatte 1995 in der Komödie „Männerpension“ von Detlev Buck ihren ersten Kinoauftritt. Dann folgte ein Filmhit nach dem anderen: „Aimée und der Jaguar“, „Nackt“ oder „Bin ich schön“. Im Fernsehen beeindruckte sie vor allem in Wedels Mehrteiler „Die Affaire Semmeling“ und in „Das Wunder von Lengede“. Seit 1999 ist sie auch im Ausland erfolgreich durch „Tatsächlich … Liebe“ neben Hugh Grant, Emma Thompsen und Liam Neeson.

_Ben Becker: Lesung aus „Berlin Alexanderplatz“_
Der Schauspieler Ben Becker las im Spiel- und Festhaus aus dem Roman von Alfred Döblin. Zwar gibt es keinen Bezug vom Roman oder Ben Becker zu den Nibelungenfestspielen, aber das war bislang bei der Auswahl des Rahmenprogramms auch nie entscheidend. Selbst Berliner und zudem bestens vertraut mit dem Roman durch die Inszenierung am Maxim Gorki Theater, für die Hörbuchlesung und Bühnenfassung, war er geradezu prädestiniert, dies in Worms zu tun. Die Leseszenen wurden zurückhaltend und sparsam musikalisch von Jacki Engelken und Ulrik Spies mit Geräuschtupfern untermalt. Drei Stunden las Becker kraftvoll mit tief vibrierender Stimme und dabei die Hauptfigur in authentischem Berliner Dialekt sprechend. Schon zur Pause wurde frenetisch applaudiert, da die meisten dachten, es sei schon Schluss. Am Ende wurde dann entsprechend genauso applaudiert. Anfragen, ob er im nächsten Jahr als Darsteller bei den Nibelungen-Festspielen dabei wäre, verneinte er. Er sei auf die nächsten zwei Jahre ausgebucht.

_Christian Quadflieg: Heinrich Heine_
Heine ist nach wie vor in Deutschland umstritten und wird von vielen als „Nestbeschmutzer“ kritisiert. Aber nach Johann Wolfgang von Goethe ist er sicherlich der größte Lyriker deutscher Sprache, nach Thomas Mann gar „die schönste deutsche Prosa bis Friedrich Nietzsche“. In diesem Jahr las Christian Quadflieg, der letztes Jahr Friedrich Hebbel las, aus Heines Lyrik, vor allem dessen „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Die Veranstaltung fand im ganz neu erst eröffneten Lincoln-Theater der Stadt Worms statt und war wie die meisten Veranstaltungen des Rahmenprogramms früh ausverkauft.

_John von Düffel: Das Heroische und das Meer_
Düffel betreut seit 2002 die Nibelungenfestspiele als Dramaturg und las dieses Jahr im Rahmenprogramm Wassertexte von Schwimmern und anderen Heroen des feuchten Elementes aus seinen Bestseller-Romanen „Vom Wasser“ und „Houwelandt“.

_Theaterbegegnungen_
Dieses eintägige Event gehört zum Qualitativsten des jährlichen Rahmenprogramms.
Diesmal fand es nicht mehr wie früher im Herrnsheimer Schloss statt, sondern direkt im Heylshofpark neben der Festspielbühne am Dom. Glücklicherweise in großem Zelt, denn es prasselte den ganzen Tag sintflutartig der Regen, was aber nicht davon abhielt, die Theaterbegegnungen zu besuchen. Das Zelt war gut gefüllt. Es beginnt morgens immer mit Vorträgen, die im zweiten Jahr das Selbstverständnis der Deutschen zum Thema hatte. In diesem Jahr sprach Volker Gallé über „Die Sage vom Ursprung: Selbsthass und seine Folgen“, Wolf-Gerhard Schmidt über „Kelten, Germanen und Skandinavier – deutsche Identität in der Literatur zwischen Aufklärung und Romantik“ und Christian Liedke über „Heine und die Deutschen“. Liedke hatte sogar noch eine fußballweltmeisterliche Deutschlandflagge ans Vortragspult gehängt und lobte das neu entstandene Nationalgefühl. Allerdings war dieser Bezug zur WM-Euphorie eher ironisch gemeint, denn in seinem Beitrag ging es dann auch ausdrücklich um Heines Kritik an jeder Form von Nationalismus.
Danach sang Jasmin Tabatabai Lieder von Helden und großen Lieben. Es gehört zur Tradition der Festspiele, dass Stars und Publikum sich in kleinem Rahmen begegnen und immer wieder tragen die Stars auch zur Programmgestaltung bei. Jasmin Tabatabai saß – wie sie sagte, gerade aus dem Bett gefallen und noch völlig müde von den anstrengenden Aufführungen – mit ihrer Gitarre allein auf der Bühne. Sie ist aber als Musikerin genauso erfolgreich wie als Schauspielerin. Sie war die Sängerin der Frauenband „Even Cowgirls get the Blues“, komponierte fast den ganzen Soundtrack und sang die Songs zu dem Film „Bandits“ (wofür sie 1997 mit über 700.000 verkauften CDs eine goldene Schallplatte bekam) und brachte das viel beachtete Soloalbum „Only Love“ heraus.
Danach fand die Talkrunde „Der Held meiner Träume – der Traum vom Helden“ mit Regisseur Dieter Wedel, dem Literaturkritiker Helmut Karasek (der irgendwie noch bei der ZDF-Sendung zum Brecht-Jubiläum hängen geblieben schien, anstatt schon bei den Nibelungen gelandet zu sein), dem Siegfried-Darsteller Robert Dölle, der Journalistin Heike-Melba Fendel (Cosmopolitan, Marie-Claire, SZ-Magazin), dem Chefredakteur der BUNTEN, Paul Sahner, dem Oberstabsarzt der Bundeswehr Dr. Rico Deterding (er versorgte in Pakistan Erdbebenopfer) und dem Journalisten Rüdiger Suchsland als Moderator statt. Dieser Talk war sehr vergnüglich mitzuerleben, denn die Meinungen gingen weit auseinander. Besonders als Karrasek den verstorbenen Showmaster Rudi Carrell aufgrund dessen Umgangs mit seinem Tod als Helden bezeichnete, kam es zu starken Differenzen. Paul Sahner und Dieter Wedel sahen es wie Karrasek, dass dessen letzter Auftritt bei der Verleihung der Goldenen Kamera ein höchst würdevoller Akt gewesen sei. Dr. Rici Deterling dagegen sah darin kein Heldentum, vor allem da viele „Unbekannte“ auch an dieser Krankheit „unbekannt“ sterben. Und Heike-Melba Fendel befand Karrasek gar als zu „sentimental“ und bezeichnete die Art des Sterbens von Carrell als ein in der Medienlandschaft normales PR-Projekt, um möglichst beispielsweise in die BUNTE zu kommen. Was ein Held ist, kam bei der Debatte trotz vieler angesprochener Möglichkeiten nicht heraus, im Grunde verzettelte sich das Podium dabei immer mehr. Sogar Dieter Wedel selbst kam in die Auswahl, da er es wagte, in einer Titelgeschichte der BUNTEN zu gestehen, dass er mit zwei Frauen lebt. „Das hat uns 100.000 mehr Auflage gebracht“, bemerkte dazu Paul Sahner und forderte ein Denkmal für Wedel in Worms. „Wenn der so alt wird wie Johannes Heesters, habt ihr noch 40 schöne Jahre vor euch“. Nicht nur Männer, auch Frauen wie Sophie Scholl oder Mutter Theresa kamen in die Auswahl. Aber erneut sorgte Karrasek für Unmut, als er Condoleezaa Rice nannte, und dann kamen auch noch Maggie Thatcher und Angela Merkel in die Vorschlagsliste. Obwohl Moderator Rüdiger Suchsland am Ende den Faden verlor, war die Diskussion insgesamt recht fesselnd.
Aufgrund der halbstündigen Überziehung fand die wenige Meter weiter im Heylsschlösschen stattfindende Wiederholung einer letztjährigen Aufführung unter Leitung von Dr. Ellen Bender und Petra Riha von der Nibelungenlied-Gesellschaft mit literarischen Szenen und Erläuterungen zum „Rollenspiel der Geschlechter – Höfische Liebe zur Zeit des Nibelungenliedes“ nicht das erhoffte Publikum. Dies blieb im Zelt und sah noch den Abschluss des Tages mit Stephan Krawcyk, ausgezeichnet mit dem Preis „Das unerschrockene Wort“ der Lutherstädte, der seine Version von Heldentum zu Gehör brachte. Er besang dies in poetischen Liedern, rühmte die Liebe in vielen Facetten und las erheiternde Passagen aus seiner Biografie vor.
Alle Vorträge der Theaterbegegnungen finden sich [hier.]http://www.o-ton.radio-luma.net/php/130806__vortraege__nibelungenfestspiele-worms__2006.php

_Vortragsreihe der Nibelungenlied-Gesellschaft_
Auch diese täglich morgens bei freiem Eintritt stattfindende Vortragsreihe hat Tradition. Die einzelnen Vorträge dieses Jahr waren „Rückfall in die Barbarei – Medea und Kriemhild“ von Erwin Martin, „Elemente nationalsozialistischen Gedankenguts in Werner Jansens Nibelungenroman von 1916“ von Hans Müller, [„Der Zorn der Nibelungen“ 2609 von Irmgard Gephardt, „Motive antiker Sagen im Nibelungenlied“ von Eichfelder, „Nibelungendenkmäler in Worms“ von Gernot Schnellbacher, „Die Nibelungen – Pop und Kitsch (Vortrag zur Ausstellung)“ von Olaf Mückain und „Otto Höfler und Bernhard Kummer – Nibelungenforscher im NS-System“ von Volker Gallé. In der Regel erscheinen sämtliche Vorträge auch Internet unter www.nibelungenlied-gesellschaft.de. Eine Buchpublikation sämtlicher bisheriger Vorträge ist ebenso geplant.

_“Die Zaubergans“ – eine sinfonische Dichtung für Orchester, Chor und Solisten_
André Eisermann, der bei der Nibelungenaufführung den Burgwächter spielt, las und führte durch den Abend mit der Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Chor des Rudi-Stephan-Gymnasiums (über 100 jugendliche Mitwirkende) unter Einstudierung von Daniel Wolf. Unter der Leitung von Reinhard Volz sind die Solisten Heike Dentzer, Christina Röckelein sowie Danilo Tepser und Martin Risch angetreten. Der Komponist Jakob Vinje hat als literarische Grundlage dafür eine jiddische Erzählung aus dem „Wunderbuch“ des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes benutzt. Die 1669 in Amsterdam erstmals gedruckte „Wundergeschichte aus Warmaisa“, dem jüdischen Worms, hat 1905 der jüdische Historiker Samson Rothschild in konzentrierter Form und in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie handeln von Verfolgung und Errettung aus Bedrohung und Not, von wundersamen Ereignissen und geheimnisvollen menschlichen Verstrickungen. Es handelt sich um eine jüdische Sage aus dem 14. Jahrhundert, die die Koexistenz von Juden und Christen im mittelalterlichen Worms zum Thema hat. Die Geschichte gibt es auch als Buch in einer neuen Bearbeitung durch die Journalistin Ulrike Schäfer und den Historiker Dr. Fritz Reuter, ergänzt durch weitere Texte sowie einen ausführlichen Kommentar.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit der Wormser Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Hamburger Komponisten Jakob Vinje bereits bei den Nibelungenfestspielen von 2002 und 2003 erhielt dieser einen Kompositionsauftrag der Stadt Worms, aus dem die „Zaubergans“ entstand. Premiere der Aufführung war bereits im letzten Jahr zu den Festspielen. Der Handlung der Sage hat Vinje eine Reihe von Gedichtvertonungen von Lasker-Schüler, Trakl, Rilke, Brecht u. a. gegenüber gestellt, die eine Art emotionalen Handlungsfaden bilden und die Erzählung musikalisch interpretieren. Eisermann wirkte in diesem Jahr dabei erstmals mit und erzählte mit eindrücklicher Intensität von der Geschichte zur Zeit der Pest, als in Worms die Juden beschuldigt wurden, die Brunnen vergiftet und den Krankheitsausbruch damit ausgelöst zu haben. Im Grunde ist es eine blutrünstige Geschichte, bei der fast alle Juden ausgelöscht und die Überlebenden mit der „Zaubergans“ ausfindig gemacht und dann ebenso getötet werden. Erst ein Pfarrer bereitet dem Treiben ein Ende und beweist den „Gläubigen“, dass auch auf dem Kirchdach eine Gans sitze, was den Mob überzeugen kann, das Morden einzustellen.

_Das Blaue Einhorn – Chansons aus der ganzen Welt_
Die Band „Das Blaue Einhorn“ aus Dresden bot Klezmer, Lieder und Tänze der Juden und Roma, Chansons, Fado, Rembetiko und Tangolieder. Der Name der Gruppe stammt von einem Fabelwesen, von dem der kubanische Sänger Silvio Rodrigues in seinem Lied „Unicornio“ erzählt, das mit seinem Horn Gesänge aus der Nacht einfängt. Seit zwölf Jahren macht die Gruppe Furore in der deutschen Folk- und Weltmusikszene und es gibt nur wenig andere Bands, die so stilsicher und gefühlvoll eine solche Vielzahl an Kulturen mischen, stilistisch und musikalisch aber über die Originale hinausgehen, indem sie etwas durch und durch Eigenes machen, das Ursprüngliche aber trotzdem erfüllen. Eingesetzt werden Gesang, Akkordeon, Trompete, Bauchgeige, Gitarre, Kontrabass, Cello, Bouzouki und Waldzither.

_Estampie-Konzert: Mittelalter trifft auf Moderne_
Erstaunliche Parallelen zwischen der Moderne und dem Mittelalter spiegeln sich in der Musik von Estampie wieder. Ihre Wurzeln liegen in der vielgestaltigen Musik und der komplexen Gedankenwelt des Mittelalters, ihre Inspiration beziehen die Musiker aus allen Bereichen gegenwärtiger musikalischer Ausdrucksformen. Estampie geht Einflüssen aus modernen Stilrichtungen wie Minimal Music, außereuropäischer Musik bis hin zur Popmusik nicht aus dem Weg. Estampie sucht die Begegnung und Überschneidung mit anderen Stilarten, denn dieser Crossover verstärkt die einzigartige Wucht und Schönheit, die in der Musik des Mittelalters liegt. Der Band-Name stammt von einer Tanzform des Mittelalters. Das Wort ist altfranzösisch und kommt vom Ausdruck für „stampfen“. Sie spielten im Wormser Dominikanerkloster.

_Yoshi Oida: „Interrogations“_
„Interrogations“ ist Körpertheater des japanischen Schauspielers Oida, das ohne Kulisse, Dekor und optische Effekte auskommt. Es lebt vom direkten Kontakt zwischen Schauspieler, Musiker, Publikum und dessen Konzentration und Imagination. Im Mittelpunkt der Performance steht die Praxis des Zen. Der Zen-Meister stellt viele Fragen an seine Studenten und auch Yoshi Oida richtet Fragen an das Publikum. Dieses ist eingeladen, Antworten zu finden durch Betrachtung und Wahrnehmung des Spiels von Oida und das Hören der Musik von Dieter Trüstedt.
Yoshi Oida wurde in Japan geboren und studierte dort Philosophie, die Künste des Nó-Theaters und des Kabuki. Er ging 1968 nach Paris und begann seine Karriere an der Seite von Peter Brook. Eigene Regiearbeiten folgten. Als Filmschauspieler arbeitete er mit Peter Greenaway und Joào Mario Grillo zusammen. Seit 1975 unterrichtet Oida in vielen Ländern Europas. Dieter Trünstedt ist promovierter Physiker und Künstler und spielt seit 1984 die Musik zu „Interrogations“ weltweit. Yoshi Oida ist nicht nur Künstler, sondern auch begnadeter Lehrer. Neben der Performance „Interrogations“ veranstaltete er während der Festspielzeit zusätzlich einen einwöchigen Workshop für junge Schauspielschüler, basierend auf den Praktiken der japanischen Kultur und des Nó-Theaters. Didaktisch befasst sich Oida mit der Entwicklung von Stimme und Körper. Im Zentrum stehen die verschiedenen Ausdruckselemente des Selbst und die Beziehungen zwischen den Schauspielern. Ursprünglich im Spiel des japanischen Nó-Theaters ausgebildet, arbeitet er mit der Avantgarde des modernen japanischen Schauspiels zusammen und setzte seine künstlerische Entwicklung in Europa fort. Der Kurs war auf 20 Personen begrenzt, unterrichtet wurde in Englisch.

_Siegfrieds Nibelungenentzündung – Darmstädter Kikeriki-Theater_
Seit drei Jahren ist dieses Blechspektakel mit im Rahmenprogramm, immer binnen weniger Tage ausverkauft und somit ein Dauerbrenner im Kulturprogramm der Festspiele. Dieses Jahr an zwei Tagen im Spiel- und Festhaus. Das Spektakel dreht sich um Siggi, Albi und den smarten Lindwurm und erzählt die Geschichte der Nibelungen, wie sie wirklich war. Vorgetragen in breitestem Hessen-Dialekt, gewürzt mit deftigen Sprüchen und immer wieder verfeinert durch verblüffend schlagfertige Situationskomik.

_“Der letzte Drache“ – Mitmachstück für Kinder_
Hier konnte der ganz kleine Schauspielnachwuchs ab vier Jahren sein Können in der Jugendbücherei unter Beweis stellen. Und über 100 Kinder standen zur Vorführung auch mit ihren Eltern Schlange für das Einpersonenstück zum Mitmachen.

_Verleihung „Buch des Jahres 2005″_
Dieser Preis an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der Festspiele integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an Gabriele Weingartner für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt Christa Estenfeld für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.

_Sonstiges_

Am 12. Mai war es so weit und das neue Ensemble und das Rahmenprogramm wurden im Weingut Schloss Wachenheim der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit Dieter Wedel sind neben Moritz Rinke die Kriemhild-Darstellerin Jasmin Tabatabai und die Darstellerin der neu erfundenen Figur Isolde, Sonja Kirchberger, in die Pfalz gekommen. Die Anekdoten, die sie auf dem Podium erzählten, waren so amüsant wie aufschlussreich. Wedel liebt das Unerwartete, Überraschende. So hat er die zarte, dunkelhaarige, in Teheran geborene Tabatabai nicht für die traditionell dunkle Brünhild verpflichtet, sondern eben für die urdeutsche Kriemhild. Auf sie gekommen war er durch eine Talkshow, in der sie heftig mit einem Maler gestritten hatte.
Rinke war recht überrascht gewesen, aus seinem Stück einen Zweiteiler machen zu sollen, hatte aber schnell die Chancen erkannt, die sich dadurch ihm bieten. „Ich habe dafür Wedel verflucht, jetzt könnte ich ihn küssen“. Um Brünhild – das Stück heißt ja „Siegfrieds Frauen“ – mit aufzuwerten, hat er als Gesprächspartnerin die Isolde dazuerfunden, eine höchst vitale Person, die dem ganzen Burgunderhof, einschließlich Hagen, den Kopf verdreht.
Vertreter der Politik und der Wirtschaft hatten ebenso das Wort und Ben Becker stellte das Rahmenprogramm der Festspiele vor. Das Schlusswort hatte dann Dieter Wedel selbst, und als eigentlicher Hauptstar der ganzen Sache erzählt er auch immer am längsten.

Eine Woche nach der Pressekonferenz auf Schloss Wachenheim füllte sich dann bereits die Gästeliste für die Premiere. Fast alle bekannten Prominenten, die erschienen (siehe den Anfang des Essays) standen da schon fest und den meisten, die im vergangenen Jahr bei der Premiere dabei waren, hat es so gut gefallen, dass sie die diesjährige offenbar nicht verpassen wollten.

Die Repräsentanten des öffentlichen Lebens in Worms konnten schon sehr früh im Juli mit den Nibelungen-Stars plaudern. Jährlich lädt der Oberbürgermeister diese zum Empfang ins Herrnsheimer Schloss ein. Dazu war auch Dieter Wedel mit einer ganzen Riege des Ensembles gekommen. Ganz offensichtlich war das für Jasmin Tabatabai, Valerie Niehaus oder Renate Krößner (die ihre Rolle als Ute kurz darauf wieder von Wedel gekündigt bekam) keineswegs ein „Pflichttermin“. Es gab Wein der Wormser Jungwinzer, die sich zur Gruppe „Vinovation“ zusammengeschlossen haben, außerdem viele Gespräche bis zum späten Abend. Auch Dieter Wedel hatte es nicht eilig und plauderte über seine neue Inszenierung. Solch ein Jahresempfang hat viele Programmpunkte und der Park war bis zum späten Abend bevölkert.

Das komplette Ensemble konnte dann zum ersten Mal komplett „bestaunt“ werden an dem Tag, als die Proben mit einer Leseprobe des kompletten neuen Rinke-Textes begann. Bevor diese begann, lud Dieter Wedel zum nächsten kurzen Pressetermin, ein Zeitpunkt, zu dem sich das Ensemble selber zum ersten Mal sah, aber zum Teil auch herzlich in die Arme fiel. Von der alten Besetzung waren ja nur noch Wolfgang Pregler, André Eisermann und Thilo Keiner übrig geblieben.

Erstmals begann man auch gezielter auf Messen für die Nibelungen-Festspiele zu werben. Eigentlich tritt bislang die Stadt Worms ja nur auf der Touristikmesse in Berlin auf, aber dabei nicht nur Festspiel-bezogen. Nunmehr gab es aber einen Auftritt auf der Nibelungenland-Ausstellung in Viernheim, was für viele dortige Besucher interessant war, die rege die Möglichkeit des Ticketkaufs am Stand nutzten. Dass nun mehr über Messen getan wird, liegt vor allem an den Stadtmarketing-Aktivitäten des neuen Stadtmanagers Stefan Pruschwitz.

Mit all den kurzfristigen Ideen ist es für Wormser vielfältig möglich, irgendwie an den Festspielen direkt beteiligt zu sein. Alles Mögliche, was spontan gebraucht wird, ist in der Wormser Zeitung mit entsprechender Telefonnummer ausgeschrieben. So z. B. das Hundecasting, der Saxophonist und Fanfarenbläser, aber auch ein Holzleiterwagen mit Platz für acht Personen, fahrtauglich für den Einsatz in der Sachsenschlacht, wurden auf diese Weise von der Requisitenabteilung gesucht.

Sogar die Natur unterstützte – abgesehen vom tatsächlichen Wetter während der Aufführungen – mit einem Omen die diesjährigen Festspiele. Ein Zeitungsleser schickte ein entsprechendes Bild vom Wormser Himmel an die WZ, das diese auch abdruckte. Dort sieht man im blauen Abendhimmel exakt das Kreuz des Nibelungen-Logos der Festspiele, gebildet durch zwei Kondensstreifen.

Sehr vergnüglich sind die täglich stattfindenden _öffentlichen Pressegespräche_ mit allen Schauspielern unter Moderation der Wormser Zeitung. Im letzten Jahr hat diese Veranstaltungsidee begonnen und dort kann jeder Interessierte die Schauspieler aus direkter Nähe ohne Kostüm sehen und hören. Im lockeren Gespräch erzählen die Ensemblemitglieder über sich, die Festspiele und ihre beruflichen Erlebnisse und Pläne. Der Eintritt dabei ist frei.

Zwar kam der Innenminister Wolfgang Schäuble aufgrund der versuchten Terroranschläge in London nicht zur Premiere, aber für seine Sicherheit wurde großer Aufwand betrieben. Beamte des Bundeskriminalamts sondierten den Heylshof, den Park und auch das Festivalgelände mit Bühne und Backstage-Bereich. Man achtete genau auf mögliche Verstecke für Angreifer und legte die Plätze fest, wo die Sicherheitskräfte und Bodyguards des Ministers Platz nehmen würden. Kurz vor der Vorstellung zur Premiere wurden noch einmal Polizeibeamte mit Suchhunden eingesetzt, die das Gelände nach Sprengstoff untersuchten.

Auch Angebote zu den Nibelungen, die über das ganze Jahr verteilt sowieso laufen, wurden von Festspiel-Besuchern gerne wieder angenommen. Z. B. unternahm der Wormser Nibelungen-Herold Nachtführungen durch das geheimnisvolle Worms des Mittelalters, und Kriemhilds Zofe Fredegunde unternahm tagsüber inszenierte Gästeführungen im historischen Kostüm. Mehr zum jährlichen Programm der Nibelungen-Thematik findet sich unter www.nibelungenmuseum.de, der freie Eintritt ins Museum ist zu den Festspielen immer über das Veranstaltungsticket gewährleistet.

Bereits im vierten Jahr versteigert die Wormser Hobby-Malerin _Sieglinde Schildknecht_ ihre Bilder, die von den Festspielen inspiriert sind. Signiert sind diese Bilder immer mit den Unterschriften der Schauspieler und der Erlös kommt wie in den Vorjahren dem Wormser Tierheim zu. Erstmals hatte dieses Jahr auch Intendant Dieter Wedel unterschrieben. Die Auktion endete am 29. September 2006, die Abwicklung übernimmt wie in den Vorjahren das Resteraunte „La Forchetta“ der Familie Vallone in der Wollstraße in Worms. Am 4. Oktober übergab der Landtagsabgeorndete Jens Guth (SPD) das Gemälde dann im Vereinsheim des Tierschutzvereins dem Gewinner der Versteigerung.

Außerhalb des „offiziellen“ Rahmenprogramms gab es auch in der Volksbank Worms-Wonnegau noch eine Ausstellung „_Die Kunst und das Lied_“. Ortsansässige Künstler – Horst Rettig, Anna Bludau-Harry, Petra-Marlene Gölz, Gabi Krekel und Anita Reinhard – stellten in deren Foyer ihre Werke aus. Die Werke von Horst Rettig standen zuvor schon im Mainzer Staatstheater. 29 Nibelungen-Bilder gab es in der Volksbank – die von Anfang an zu den Sponsoren der Festspiele gehört – zu bewundern. Zur Eröffnung spielte das Klarinetten-Duo der Jugendmusikschule, Christina und Mareike Hüll.

Wie in den Jahren zuvor, wurde auch ein neues Schmuckstück präsentiert. Bisher konnte man den Nibelungen-Ring, gestaltet durch den Künstler Eichfelder, in Gold und Silber erwerben. In diesem Jahr stellte Annette Kienast-Kistner einen weiteren goldenen Pax-Ring vor, den sie in Anlehnung an das Nibelungen-Denkmal auf dem Torturmplatz nach einem Entwurf von Horst Rettig gefertigt hat.

Da _Dieter Wedel_ als Workaholic seinen Ruf hat, verwunderte es nicht, dass er während der 14-tägigen Festspielzeit in den „Freiräumen“ regelmäßig stundenlang im alten Bäderhaus in Pfeddersheim mit Filmeditorin Patricia Rommel seinen neuen Fernsehfilm schnitt. Diese und ihr Assistent hatten bereits im Vorfeld einen „Rohschnitt“ erarbeitet. Alle gedrehten Einstellungen sind im Comupter in Ordner einsortiert und die Cutterin (wie dieser Beruf früher hieß) bietet Wedel „Takes“ (also Einstellungen) an, die Wedel überprüft und verändert. Gedreht wurde dieser eineinhalbstündige Film „_Mein alter Fritz_“ vom 30. März bis 6. Mai und er kommt im Januar 2007 ins ZDF. „Es ist der Versuch, einen heiteren Film zu machen über Probleme im Krankenhaus, über den Tod und was danach kommt“ (Wedel). Es spielt wie gewohnt ein Staraufgebot. Im Mittelpunkt steht Chefarzt Harry Seidel, gespielt von Ulrich Tukor, seine Gattin Lydia mimt Veronica Ferres. Außerdem mit dabei sind Maximilian Brückner, Otto Schenk, Uwe Bohm und Anna Hausburg. Und etliche aus Wedels Nibelungen-Ensemble der bisherigen Festspieljahre: Robert Dölle, Wolfgang Pregler, Valerie Niehaus, Wiebke Puls, Dominique Voland (Wedels Lebensgefährtin, die in diesem Jahr mit in Worms agierte) und sein Regie-Assistent Joern Hinkel.

Seit September letzten Jahres unterhalten die Nibelungen-Festspiele sogar zwei _Ausbildungsplätze_, deren Inhalt es ist, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren und zum Erfolg zu bringen. Seit einem Jahr gehören dadurch Katharina Fehlinger und Lina Kolling zum Festspielteam. Bisher waren sie in den Abteilungen Marketing, Pressearbeit, Sponsoring und Buchhaltung tätig und nun war die 21-jährige Katharina Fehlinger für den reibungslosen Ablauf der Premiere mitverantwortlich und die 23-jährige Lina Kolling betreute im Betriebsbüro das künstlerische Team mit Rat und Tat. Der berufliche Begriff ihrer Ausbildungen ist „Veranstaltungskauffrau“.

Wie immer zu den Festspielen tagte unter Leitung des Vorsitzenden Peter Weck das _Kuratorium der Nibelungenfestspiele_ im Heylshof. Etwa die Hälfte der Mitglieder war anwesend. Neben den Wormsern Gernot Fischer (Ex-Oberbürgermeister) und Gunter Heiland (Ex-Kulturdezernent) waren Jürgen Kriwitz (freier Produktionsberater aus Hamburg) und Intendant Dieter Wedel dabei, Eggert Voscherau (stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF) und Kultusminister Jürgen Zöllner hatten Stellvertreter entsandt. Zentrales Thema war die Suche nach potenten Sponsoren. Weitere Firmen, deren Spitzenvertreter man ansprechen werde, wurden genannt. Ziel des Oberbürgermeisters Michael Kissel ist es natürlich, den städtischen Zuschuss, der nach 800.000 Euro im letzten Jahr dieses Jahr nur noch 600.000 Euro betrug, noch weiter zu verringern. Der Gesamtzuschussbedarf liegt bei 2,3 Millionen Euro und muss über Landeszuschüsse und Sponsorengelder gedeckt werden. Bislang sieht es so aus, dass das diesjährige Gesamtbudget von 4,7 Millionen Euro eingehalten werden konnte. Dies kann aber erst nach endgültiger Abrechnung feststehen.

In der letzten Festspielwoche besuchten dann auch Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung die Aufführung, um sich doch einmal ein Bild zu machen. MdL Manfreid Geis (Vorsitzender Kulturpolitischer Ausschuss des Landtags), Staatssekretär Dr. Joachim Hoffmann-Göttig (Kultusministerium RLP) und Staatssekretär Roger Lewentz (Innenministerium RLP) waren begeistert von dem, was ihnen geboten wurde. Natürlich kam auch nach der Premiere öfters noch ganz andere Prominenz zu den Aufführungen, die sehr oft namentlich auch in den lokalen Zeitungen genannt wurde, was allerdings den Rahmen dieses Essay überziehen würde.

Auf den Straßen begegneten einem ständig auswärtige Festspielbesucher, die nach besonderen „_Nibelungen-Mitbringsel_n“ fragen; diese gibt es natürlich zur Genüge. Beispielsweise seit vielen Jahren als „Nibelungenschatz“ – ein köstliches Mandelgebäck in festen Schatztruhen – vom Konditor Theo Schmerker, Inhaber des Café Schmerker in der Wilhelm-Leuschner-Straße.

Aber fündig wird man zur Festspielzeit auch alleine, wenn man durch die Innenstadt läuft. Die Ladenbesitzer nutzen natürlich den Werbeeffekt und tragen im Gegenzug auch mit ihren Schaufenster-Gestaltungen zur Nibelungen-PR bei. Dieses Jahr waren gleich in mehreren Schaufenstern in der Innenstadt die Originalkostüme der Nibelungen aus der Theaterproduktion von Karin Beier ausgestellt. Im Erdgeschoss im Haus zur Münze war das prunkvolle Gewand von König Etzel mit der meterlangen bunten Schleife zu sehen. Bei Optik Meurer hing der Umhang von Wiebke Puls alias Brunhild, ergänzt mit vielen Fotos der Inszenierung. Die ganze Schaufensterfront des Kaufhofs war von den Nibelungen belegt und wurde nach einem Umzug auch in der Ludwigshafener Filiale des Kaufhofs präsentiert. Manuela Liebig von den Nibelungen-Festspielen betreut diese Aktionen und stellt auf Anfrage auch im nächsten Jahr Interessenten Dekorationsmaterial plus Poster und Flyer zur Verfügung.

Sonja Kirchberger, die Wurstbrötchen liebt und zu deren Kauf regelmäßig in die Metzgerei „Hasch“ mitsamt Kind, Ehemann und Hund kam, hat, weil ihr diese so gut schmeckten, an die Eingangstür ein dickes Herz gemalt und mit Autogramm hinterlassen.

Das Wormser Sportstudio Black & White sponsert die Festspiele, indem es den Schauspielern kostenlose Trainingseinheiten spendiert, was von einigen der Schauspieler auch genutzt wird, um ihre Muskeln und vor allem Kondition aufzubauen.

Was wohl niemanden wundert, ist die Tatsache, dass alle Wormser Hotels nur lobend über die Festspiele sprechen, denn alle Unterkünfte sind natürlich voll belegt.

Ilka Ivanova Becker war bei den Festspielen als Dolmetscherin für den bulgarischen Schauspieler Itzhak Fintzi, der den Etzel spielte, tätig. Sie übersetzte ihm alle Regieanweisungen und umgekehrt seine Worte für die Schauspielerkollegen, außerdem war sie Sprachlehrerin für Maria Schrader, die in ihrer Rolle als Kriemhild ebenfalls bulgarisch sprechen musste. Eine weitere Aufgabe betraf die kyrillischen Texte der Etzel-Rolle. Die versierte Dolmetscherin und Diplom-Philologin, die im Stadtteil Heppenheim lebt, wurde nun zum Dr. phil. promoviert. Für ihre Doktorarbeit erhielt sie den Jürgen-Frietzenschaft-Promotionspreis des Vereins zur Förderung des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Uni Heidelberg.

_Erwähnenswertes im Rückblick auf die Probenzeit_:
Die Proben dauerten täglich zehn bis zwölf Stunden und auch an Samstagen und Sonntagen von mittags ca. 15 Uhr und gingen bis zwei, drei Uhr in den Morgen (was für Anwohner natürlich eine Herausforderung an Belästigung darstellt). Das umfasste sowohl die Schauspieler wie auch die Statisten und diejenigen, die im Hintergrund arbeiten (Technik etc.). Ganz skurril war es, dass es ab der Premiere nur noch regnete und richtig kalt war, denn die ganze Probenzeit hindurch gab es eine etwa zweimonatige unerträgliche Hitze. Zwar wurde erst ab dem 8. August zur ersten offiziellen Hauptprobe in voller Montur gespielt, aber bis dahin war es auch in den Probekostümen von der Hitze her eine richtige Herausforderung. Mit am heißesten waren die Drehtermine für den Einspielfilm, in dem es um die abgewiesenen Brautwerber Kriemhilds ging. Das war bei großer Hitze ein schweißtreibender Dreh in schwerem Brokat und Rüstungen. Doch man klagte nicht über die Hitze. Aber sobald mal 15 Minuten Pause angesagt waren bei den täglichen Proben, stürmten alle Akteure ins Cateringzelt auf dem Platz der Partnerschaft, um ihre durstigen Kehlen zu kühlen. So haben in diesem Jahr die Schauspieler zwei sehr gegensätzliche Extreme durchlebt.
Eines der ungewöhnlichsten Probeereignisse waren sicherlich die Einübung der finnischen Nationalhymne und die finnischen Lektionen für die Komparserie. Neu in Rinkes Nibelungen-Interpretation war ja auch, dass finnische Bewerber bei Brunhild auf Island erscheinen. Bei ihrem Eintreffen wurde von den Komparsen die finnische Nationalhymne angestimmt. Da Finnisch auch nicht gerade zu den gängigen Sprachen gehört, wurde eine Sprachlehrerin engagiert, die alle anleitete, wie z. B. Brünhild als Königin anzusprechen ist: „kunigatterareni“. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe und die beiden „t“s werden nicht gesprochen. Richtig schwieriges Training war das.
Die ersten Besucher, die bei Proben anwesend sein durften, waren zwölf Jungreporter, die im Rahmen der Ferienspiele der Stadt am Projekt „Mit der WZ auf Reportagetour“ teilnahmen. Sie durften auf die Bühne, in die Waffenkammer und ins Atelier der Bühnenbildnerin. Was sie recherchierten, fotografierten und schrieben, war auf einer Sonderseite der WZ zu lesen, die sie selbst erstellten.
Auf der ersten Medienprobe gab es dann eine Überraschung. Regie-Assistent Joern Hinkel spielte die Königsmutter Ute. Hintergrund war, dass die dafür verpflichtete Renate Krößner von Wedel gekündigt war, da er sie beim Umsetzen der Szenen für zu langsam empfand. Krößner ist dem Kinopublikum durch „Liebling Kreuzberg“ oder „Helden wie wir“ bekannt. Bis man dann Ute Zehlen als Ersatz fand, wurde eine ganze Zeit ohne eine weibliche Ute geprobt. Zur Medienprobe reisten zahlreiche Fernsehteams, Hörfunkreporter und schreibende Journalisten an. Vorgeführt wurden dafür zwei Szenen: die Ankunft Siegfrieds am Burgunderhof und die von Rinke neu geschriebene Szene der Ankunft der Burgunder in Brunhilds eisiger Welt. Anschließend ließen sich alle Schauspieler interviewen. Und wer wie ich regelmäßig die Probenberichte in den Zeitungen verfolgte, entdeckte auf einigen Bildern Fotos mit Szenenbeschreibungen, die in der Endfassung dann doch wieder gestrichen waren.

_Ausblick_

Der zweite Teil wird „Die letzten Tage von Burgund“ heißen und mit dem Eheleben Gunthers und Brünhilds beginnen. Das Stück setzt noch ein wenig vorm Ende des ersten Teils an, so dass auch Siegfried noch einmal seinen Auftritt haben kann. Er war ja am Ende des ersten Teils bereits ermordet worden. Im zweiten Teil kommen Siegfried und Kriemhilde noch mal am Wormser Hof zu Besuch, die einstigen Themen kochen wieder hoch und das Drama beginnt. Es ist im Grunde ein eigenständiges neues Stück, das man auch sehen kann, ohne den ersten Teil gesehen zu haben. Mehr zum Inhalt auch oben unter „Besetzung“, dort unter „Moritz Rinke“.

Dieser zweite Teil wird wieder auf der Nordseite des Domes stattfinden. Ohne Dom sind die Festspiele im Grunde undenkbar, aber es ist jedes Jahr erneut ein harter Kampf, denn das Gotteshaus wird jährlich in seinem eigentlichen Zweck sehr stark beeinträchtigt. Mit Beginn des Bühnenaufbaus war dieses Jahr wieder das Südportal – der eigentliche Haupteingang des Doms – nicht mehr zugänglich und die Besucher mussten über den normalerweise ungenutzten Eingang Nordportal in den Dom gelangen. Auch der Domplatz selbst am Südportal ist mit Bauzäunen sehr früh komplett abgesperrt. Um die Finanzen etwas zu verteilen (der Aufbau der Technik und der Bühne ist das Teuerste), soll in Zukunft die Festspielzeit länger als zwei Wochen gehen. 2008 wird wahrscheinlich drei Wochen gespielt, erneut auf der Südseite des Doms, und dabei der erste und der zweite Teil abwechselnd zur Aufführung gebracht werden. Der Wunsch Rinkes, in einer langen Aufführung beide Teile hintereinander zu spielen, wird bislang von Dieter Wedel abgelehnt, da er das für eine zu große Zumutung für die Zuschauer wie auch für die Einwohner einstuft. Und 2009 wird es wieder ein ganz neues Stück geben, wo der Schreiber bereits von Regieassistent Joern Hinkel und Dramaturg John von Düffel gesucht wird. Ob Dieter Wedel seinen Fünfjahres-Vertrag, der 2008 ausläuft, überhaupt verlängert, ist von diesem bislang nicht zu erfahren.

Alle diese Pläne – wo und wie lange – müssen allerdings erst noch vom Stadtrat und vom Aufsichtsrat entschieden werden, wobei derzeit aufgrund der Wettererfahrungen darüber nachgedacht wird, ob man nicht die Aufführungen bereits im Juli anstatt wie bislang im August durchführen sollte.

Auch für Veranstaltungen des Rahmenprogramms empfiehlt sich eine frühzeitige Kartenreservierung. Auch in diesem Jahr zeigte sich, dass fast alle Veranstaltungen sehr bald ausverkauft waren.

Seit letztem Jahr im Gespräch ist auch die Aufführung eines Nibelungen-Musicals von Dieter Wedel, das der Wormser Schauspieler Eisermann sehr unterstützt. Auch setzt sich Eisermann, der aus einer Schausteller-Familie stammt, für einen Nibelungen-Freizeitpark in Worms ein. Vermischt in diesem Projekt sind Schauspielerei und Schaustellerei. Ein prächtiges Spektakel mit Drachen, Schätzen, Waffen, Wildwasserfahrten und Achterbahnen – was die Nibelungen von ganz anderer Seite her nochmals in ganz Deutschland bekannt und berühmt machen würde. Zwei mögliche Sponsoren und der Oscar-gekrönte Filmausstatter Rolf Zehetbauer hätten schon Interesse gezeigt, sagte Eisermann in einem Interview mit der dpa. Denkbar sei das Projekt in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Von Seiten der Stadt gibt es in beiden Fällen noch kein grünes Licht, denn beides erfordert hohes finanzielles Risiko, und gerade was den Freizeitpark angeht, braucht es einen sicheren privaten Initiator – einen solchen würde die Stadt natürlich auch unterstützen. Aus städtischen Mitteln zu finanzieren sind beide Vorschläge nicht.

Was funkende Ideen angeht, wäre man eigentlich gut beraten, die in Worms ansässige Journalistin Ulrike Schäfer zu befragen. Denn sie kennt sich als Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft bestens aus und bot als Chefredakteurin des „Wormser Wochenblatts“ auch schon einige Themen an. Sie schlug vor, der frustrierten Brünhild doch mal eine Affaire mit Hagen anzudichten, um ihn für ihre Rachezwecke einzuspannen, denn er bringt ja auch schon alle Qualitäten, die sie sucht, mit. Auch einen One-Night-Stand zwischen Giselher und Brunhild fände sie gut, dann aber möglichst mit Andre Eisermann als Liebhaber. Einen schwulen Siegfried hatten zwar schon Petra Riha und Heike Feldmann aus Worms in einer Szene herausgearbeitet, aber für ausbaufähig hält sie auch dieses Thema durchaus noch. Im Stil der Zeit könnte auch Siegfrieds Mord ein einfacher Motorradunfall sein. Hagen könnte ja irgendwie ’ne Schraube lockern und bei Nierstein oder Nackenheim ist es dann so weit. Aber sie persönlich würde auch gerne in Worms mal „Die lustigen Nibelungen“ von Oskar Straus sehen.

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_Veranstalter_ des kompletten Events sind die
Nibelungen-Festspiele GmbH, Bahnhofstr. 4, 67547 Worms
_Intendant_ Dieter Wedel
_Aufsichtsratsvorsitzender_ Micheal Kissel
_Geschäftsführer_ Ulrich Mieland, Thomas Schiwek
_Künstlerischer Betriebsdirektor_ James McDowell
_Aufsichtsrat_ Ernst-Günter Brinkmann, Theodor Cronewitz, Petra Graen, Alfred Haag, Hans-Werner Kloster, Heidi Lammeyer, Kurt Lauer, Astrid Perl-Haag, Hans-Joachim Rühl, Ilse Seiler, Elke Stauch
_Kuratorium_ Prof. Hark Bohm, OB a.D. Gernot Fischer, Gunter Heiland, Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Jürgen Kriwitz, Karl Kardinal Lehmann, Dr. Elke Leonhard, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Dr. Friedhelm Plogmann, Karlheinz Röthemeier, Prof. Armin Sandig, Markus Schächter, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Eggert Voscherau, Prof. Peter Weck, Prof. Dr. Jürgen Zöllner

_Rahmenkulturprogramm_ Petra Simon, Volker Gallé, Joern Hinkel
_Pressesprecherin_ Simone Schofer
_Umsetzung gestalterische PR_ Thorsten Oparaugo

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_Interessante Zusatzlinks:_

Weitere Artikel und Berichte unter http://www.wormser-zeitung.de/wasnlos/nibelungenfestspiele

http://www.nibelungenmuseum.de

http://www.nibelungenfestspiele.de

http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de

Startseite

Verweisen möchte ich auch auf den Festspielbericht von 2005 unter http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50.

|Grundlage des Berichtes bildeten die Auswertung der Berichterstattungen in der lokalen Presse sowie die eigene Teilnahme am Geschehen.|

Nibelungen-Festspiele Worms 1

LIEBE, HASS UND EIFERSUCHT

Siegfrieds Frauen

Waren anfangs in der Bevölkerung die Festspiele wegen der hohen Kosten umstritten, identifiziert sich mittlerweile im fünften Jahr der Veranstaltung die Mehrheit der Wormser mit dem jährlichen Großereignis. Man ist erfreut, dass der Kultur in Worms endlich der Stellenwert wieder zuerkannt wird, der ihr aus der Geschichte her schon lange gebührt. In den meisten Städten stagniert die Kultur, Worms dagegen investiert gegen den Mainstream. Diesen Umstand hatte auch schon der große Konzertveranstalter Fritz Rau bei seiner Lesung im Programm des diesjährigen Wormser Jazzfestivals thematisiert, die Stadt Worms als Ausnahmeveranstalter gelobt und erklärt, dass er solches Engagement und finanzielle Unterstützung für Kultur kaum zuvor kennen gelernt habe.

„Von helden lobebaeren und großer arebeit“

Nach Karin Beiers Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen der letzten beiden Jahre war für 2006 wie auch für 2007 wieder Moritz Rinke verantwortlich, der auch schon das Stück für die Aufführungen von 2002 und 2003 schrieb. Allerdings war es keine Wiederholung, sondern Wedels Überarbeitung hat das Werk im Grunde auf zwei Teile angelegt. Die ersten Kritiker vermuteten dahinter Strategie, denn wer den ersten Teil gut fand, will auch den zweiten sehen. Im Grunde typisch für Wedels Fernseharbeiten. Der erste Teil (ein dreistündiges Spektakel um Liebe, Verrat und starke Weibsleute) „Siegfrieds Frauen“ wurde in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Wo Karin Beier im letzten Jahr auf die starken Hebbel-Dialoge setzen konnte, lässt Wedel die Macht der Bilder sprechen und nutzt zudem die Fläche vor dem Wormser Dom vollständig aus. Dabei schwirren bis zu fünfzig Personen gleichzeitig herum und auch die imposanten Bäume sind mit in das eigentliche Spielgeschehen einbezogen. Sehr positiv ist, dass Wedel die Kritik an der damaligen Rinke-Inszenierung sehr ernst nahm und die als störend empfundenen Gags auf ein Mindestmaß zurückgefahren hat, was bewirkt, dass das Stück insgesamt ernsthafter und weniger slapstickhaft daherkommt. Das wird besonders bei Siegfried deutlich. Dieser feierte 2006 sein Comeback als ernst zu nehmender tragischer Held. Ansonsten orientiert sich das Stück weitgehend an den Aufführungen von 2002 und 2003. Immer wieder wird auch dezent die Stadt Worms in die Handlung mit eingebaut. König Gunther trinkt Flörsheim-Dalsheimer Wein, Andre Eisermann macht köstliche stadttypische Scherze auf „wormserisch“ oder Hagen und Isolde wollen für ein „Date“ im „Wäldsche“ (dem Wormser Naherholungsgebiet) verschwinden. Mehr zum Inhaltlichen des Stückes auch weiter unten unter „Besetzung“ und dort unter „Moritz Rinke“.

Gespielt wurde wie in den ersten Jahren wieder auf der Südseite des Doms (die letzten beiden Jahre gab es die Festspiele auf der Nordseite). Mit 2450 Plätzen standen somit für die gesamte Dauer 13550 Sitze mehr als in den Vorjahren zur Verfügung. Anders gerechnet, gab es 2005 19000 Plätze und in diesem Jahr 32000 Plätze. Oder statt 1450 2450 pro Abend.

Schon der Vorverkauf übertraf das Vergleichsjahr 2005. Recht bald waren die Premiere wie auch alle Wochenendaufführungen inklusive der Freitage ausverkauft. Neu war auch der mögliche Besuch der Generalprobe – was in den Vorjahren nicht möglich war – zu sehr günstigem Preis (5 Euro), die einem wohltätigen Zweck zufließen: der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses. Alle 1000 Lose waren Gewinne, wenn auch nur 750 Aufführungskarten. Die anderen 250 Karten waren 100 Karten für Führungen hinter der Kulisse, 100 Familienkarten fürs Nibelungenmuseum sowie 50 Einkaufsgutscheine der WZ. Hinter dieser Aktion standen die Wormser Zeitung, die Nibelungenfestspiel GmbH und der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel. Initiator der Aktion war Kissel, weil er wollte, dass diejenigen, die nie reguläre Karten kaufen, sich dennoch mal ein Bild von den Festspielen machen können. Eine sinnvolle PR-Aktion, um die Akzeptanz in der Stadt noch mehr zu steigern. Diese Karten wurden öffentlich verlost und waren innerhalb von nicht ganz einer halben Stunde ausverkauft. Schon eine Stunde zuvor waren die meisten gekommen. Allerdings gab es auch keine 2450 Plätze, sondern das Publikum blieb auf 750 beschränkt. So reichten die tausend Lose auch nicht für alle, die Lose wollten. Ausgeteilt wurden die Gewinnerkarten direkt durch OB Kissel und Pressesprecherin der Festspiele, Simone Schofer. Eine Generalprobe ist ein besonderes Ereignis. Gespielt wird wie in den kommenden zwei Wochen auch, aber Regisseur Wedel sitzt in den Zuschauerrängen und beobachtet mit seinem Assistenten noch einmal sehr genau. Es kann sein, dass er auch unterbricht und Anweisungen gibt. Es ist auch die letzte Gelegenheit, etwas vor der Premiere noch mal zu ändern. Und Dieter Wedel hat nach dieser Aufführung auch eine kleine Szene noch einmal umgestellt, da sie ihm bei der Generalprobe zu schleppend vorkam. Normalerweise kann man für eine Generalprobe keine Karten erwerben.

Überhaupt zeigte man sich dieses Jahr sozial und spendabel. Zwar vergibt die Stadt schon immer Freikarten an sozial tätige Verbände als Dankeschön für die geleistete Arbeit. Dieses Jahr wurden nun erstmals in einer Sonderaktion auch bundesweit Freikarten für junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren, die ehrenamtlich in den Bereichen Kultur, Soziales, Politik und Sport aktiv sind, zur Verfügung gestellt, um sie an die Nibelungensage heranzuführen. Auch die Inhaber von Jugendleitercards waren herzlich eingeladen. Diese Idee gab es bereits seit langem, aber bisher reichte das Platzangebot dafür nicht aus. Gruppen, die mehr als zehn Personen umfassten, konnten von zwei Begleitern betreut werden. Deren Tickets waren ebenfalls kostenlos. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten bot die Jugendherberge Worms. Natürlich war das Kontingent dennoch begrenzt. Ob das Angebot im nächsten Jahr wieder besteht, entzieht sich meinen Informationen. Es lohnt sich vielleicht ein Blick ins Internet, wo das Anmeldeformular in diesem Jahr zu finden war unter http://www.worms.de in der Rubrik Tourismus. Oder einfach mal beim Kinder- und Jugendbüro der Stadt Worms nachfragen.

Die Prominenz läuft in Worms zum Empfang über den „roten Teppich“ und die Bürger schauen dabei neben dem Presseaufgebot zu. Bewundernswert, wie da ausgeharrt wurde, um diese zu sehen, und bei Sonnenschein wäre es sicherlich noch mehr Publikum geworden. Ich bin allerdings auch irgendwann – bevor es richtig losging – frierend und bibbernd durch den Regen wieder nach Hause gelaufen. Zu den Prominenten der diesjährigen Premiere (die dieses Jahr noch zahlreicher waren als im letzten Jahr, insgesamt fast 2100 geladene Gäste – 1470 plus 250 Medienvertreter plus den 300 Personen die über den roten Teppich liefen und eigenen Empfang erhielten, aber auch 450 Normalzahlende) gehörten Götz und Jenny Elvers-Elbertzhagen, Jessica Stockmann, Mariella Ahrens, Christian Quadflieg, Anuschka Renzi, Dagmar Berghoff, Claus Kleber (heute journal, ZDF), Wilhelm Wieben (Ex-Tagesschau-Sprecher), Konstantin Wecker, Mariella Ahrens, Roberto Cavollo, Ute Henriette Ohoven, Joachim Król, Manfred Zapatka, Karin Beier, Felicitas Woll, Inez Björg David, Janin Reinhardt, Bettina Zimmermann, Uwe Bohm, Ilja Richter, Michael Greis, Wolfgang Holzhäuser, Patrick Graf von Faber-Castell, Joy Grit Winkler, Margit Conrad, Klaus Bresser (ehemaliger Chef-Redakteur ZDF) und viele ungenannte. Innenminister Wolfgang Schäuble – für den im Vorfeld besondere Sicherheits-Maßnahmen vorbereitet werden mussten (mehr unten unter „Sonstiges“) – hatte aufgrund der vereitelten Terroranschläge tags zuvor in London kurzfristig absagen müssen. Die meisten Prominenten reihen die Nibelungenstadt inzwischen in die Riege der großen Festspielstädte ein. Vorgefahren sind die Prominenten in edlen Karossen einer Stuttgarter Nobelfirma. Allerdings kam Kurt Lauer, Fraktionsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, zwar auch mit Chaffeur, aber in einer abgasfreien Rikscha, wofür es von den Zaungästen einen Extra-Applaus gab. Enthusiastisch wurde ansonsten nur bei Dieter Wedel und seinen Begleitdamen geklatscht. Zum Essen der Prominenten spielte die Drei-Mann-Kapelle „Farfareilo“ aus Köln. Kameramann Markus Wolfsiffer vom „Montagsmagazin“ im Offenen Kanal Worms war mitten im Pulk der Medienvertreter, die die Stars und Prominente filmten, die zur Premiere gekommen waren und dies wurde auch im lokalen Fernsehen ausgestrahlt. Genauso wie auch Ausschnitte der Aufführung, die der ehemalige ZDF-Kameramann Wilfried Saur für den Offenen Kanal vorbereitet hatte.

Ein Beweis der „Nibelungen-Treue“ zeigte ein Fax, das bei der Festspiel GmbH einging: „Wir wünschen allen Nibelungen eine tolle Zeit 2006“, unterzeichnet mit Königskrone und „Familie Król“. Fast alle Mitglieder des Ensembles vom letzten Jahr kündigten zur Premiere oder zu einer Vorführung danach zahlreich ihr Kommen an. Wibke Puls reiste von München an, Maria Schrader hat gerade ihr erstes Filmprojekt als Regisseurin beendet und kam aus Israel, Karin Beier und Michael Wittenborn stoppten kurz in Worms auf der Durchreise. Regisseurin Karin Beier ist in der Spielzeit 2007 Schauspielchefin am Kölner Schauspielhaus. Auch konnte sie von der Festspielleitung gleich noch ganz andere Glückwünsche für sich und ihren Mann Michael Wittenborn (der in ihrer Nibelungeninszenierung den Markgrafen Rüdiger von Bechelarn spielte) entgegennehmen. Sie hat eine Tochter zur Welt gebracht. Auch Joachim Nimtz, der in den ersten beiden Jahren den Burgwächter spielte, war gekommen. Und ebenso Manfred Zapatka, der zurzeit für eine ZDF-Serie als Kriminalkommissar vor der Kamera steht, die ab Oktober ausgestrahlt werden wird. Und natürlich die Königsfamilie von Joachim Król („Król“ bedeutet „König“ auf Polnisch). Diese „Nibelungentreue“ fand schon während der gesamten Proben statt. Joachim Król rief öfter an, um sich nach deren Verlauf zu erkundigen. Auch Maria Schrader rief öfter an und sprach dabei auch mit den neuen Ensemblemitgliedern.

Für die Premierengäste steht auch ein spezieller Styling-Service zur Verfügung. Top-Stylist und Prominentenfrisör Jens Dagné frischt den Gästen kostenfrei das Make-up auf und macht auch das Haarstyling wieder perfekt. Jens Dagné ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe. Wenn dagegen etwas mit dem edlen Gala-Outfit passieren sollte, steht Schneidermeisterin Gerlinde Schidrich mit Nadel und Faden bereit.
Im Vordergrund steht dergleichen leider immer: Was tragen die Promis an teurer Mode? Das war zur Premiere angesichts der überraschend eingebrochenen Kälte nach der wochenlangen Hitze etwas bitter. Obwohl bereits Tage zuvor klar war, welches Wetter zu erwarten ist, hatten dies nicht alle in ihrem Outfit beachtet. Bei der Premiere goss es leider nach der Pause – in der es in dem herrlichen Park-Ambiente Sekt, Wein und Bier gab – in Strömen; trotzdem hielten Schauspieler und Zuschauer bis zum Schluss tapfer durch. Es stand durchaus auf der Kippe, dass abgebrochen hätte werden müssen. Trotz des Regens ist die Premiere mit stehenden Ovationen und minutenlangem Applaus des Publikums über die Bühne gegangen. Die Amazonen Brünhild und Isolde froren klatschnass und nur leicht bekleidet. Umgekehrt kam vom Ensemble der Beifall an das Publikum, das trotz der widrigen Umständen auch nicht aufgegeben hatte. Die Promis sind fast allesamt bis in den Morgen im nassen Heylshof geblieben. Von Trübsal zeigte man keine Spur. Giselher (Christian Nickel) schnappte sich im Stil von „dancing in the rain“ eine Tanzpartnerin auf dem klatschnassen Rasen um halb drei Uhr nachts, und andere Paare schlossen sich ihnen an. Nur Autor Moritz Rinke und Intendant Dieter Wedel waren aufgrund des Wetters etwas gedrückt und keineswegs euphorisch. Natürlich wäre es bei sommerlichem Wetter viel besser gewesen, aber immerhin musste nicht abgebrochen werden. Die Technik hat gehalten, ohne dass bei strömenden Regen die Mikrophone aufgaben. Es gab nur einen kleinen Kurzschluss, weshalb eine Filmeinspielung erst etwas später losging. Keiner der Schauspieler ist auf der rutschig-nassen Bühne ausgerutscht, es gab keine Verletzungen. Nicht zuletzt sorgte der Dauerregen für ein Gemeinschaftsgefühl, das dem Publikum auch in Erinnerung bleiben dürfte.

Eine Aufführung gilt als vollständig, wenn bis zur Pause nicht abgebrochen wurde. Ob es regnen würde, konnte man nie vorher sagen. Nur bei Abbruch in der ersten Halbzeit wird für die Besucher Ersatz angeboten und dann an den sonst eigentlich spielfreien Montagen die Vorstellung nachgeholt. Kleine Regenpausen in der ersten Halbzeit, wo eventuell kurzzeitig abgebrochen würde, waren eingeplant, so dass sich die Aufführungszeit entsprechend verlängert hätte. Nur bei ganz starkem Regen kommt es zum vollständigen Abbruch. Nur eine Aufführung musste – obwohl es durchweg schlechtes Wetter während der Festspiele gab und jeden Tag regnete – kurz vor 0.30 Uhr abgebrochen werden. Es goss wieder in Strömen, aber es drohte auch die Gefahr einschlagender Blitze. Alle Schauspieler ernteten trotz aufkommender Hektik auch hier freundlichen Applaus, bevor das Unwetter völlig hereinbrach. Ich besuchte regenfrei die Vorstellung direkt nach der Premiere, aber es war ziemlich kalt und eingehüllt in Decken gerade so zu ertragen. Großen Respekt verdienen deswegen die Schauspieler, die teilweise kaum bekleidet und barfuß diese Festspielzeit durchstanden. Trotz des diesjährigen wirklich miserablen Wetters für Freilichtaufführungen hatten die Aufführungen eine Auslastung von 87 %. Die Spielstätte vorm Dom ist für eine Theateraufführung auch grandios, die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Das Zuschauer- und Medieninteresse geht zudem jährlich nach oben.

Das Stammlokal des Nibelungenensembles ist das kleine Ristorante „La Carbonara“ im Adenauerring. Auch im fünften Festspieljahr gehört es schon zur Tradition, dass die Nibelungen nach den Proben oder Aufführungen dort einkehren. Hier hat man sich gemeinsam in diesem Jahr auch das WM-Spiel „Deutschland gegen Italien“ angesehen. Auch in der Festspielzeit war dort dieses Jahr Mario Adorf zu Gast, der seinerzeit die Nibelungenfestspiele mit aus der Taufe hob. Später war er zusammen mit dem Initiatorenteam Bettina Musall und Hans Werner Kilz im Zorn geschieden, weil das Trio mit der Berufung von Dieter Wedel als Intendant nicht einverstanden war. Da er aufgrund dieser Entwicklung keine guten Erinnerungen an die Nibelungenfestspiele hat, interessiert er sich auch nicht mehr sonderlich dafür.

Wie auch im letzten Jahr besuchten alle Schauspieler die Wäscherei der Wormser Lebenshilfe – eine Behinderteneinrichtung –, in welcher seit nunmehr drei Jahren täglich deren Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt wird. Die schwierigste Reinigung ist nicht, wie man meinen könnte, das blutige Hemd von Siegfried, sondern es sind die Kostüme der Ordensschwestern. Während der Festspiele wird mehr gearbeitet als sonst, die Arbeitszeit beginnt früher und schließt auch die Wochenenden mit ein. Diese Behinderten sind mittlerweile große Fans der Nibelungen, sammelten teilweise schon vor den Festspielen Merchandising-Utensilien und gehen auch zu den Aufführungen. Der Besuch der Darsteller bei ihnen ist deswegen eine besonders nette Geste und darüber hinaus eine direkte menschliche Begegnung, die sich länger einprägt als irgendwelche städtischen Sehenswürdigkeiten. Im Gegenzug bekommen jährlich die Behinderten – „das Team der königlichen Burgunder-Wäscherei“ – auch eine Backstage-Führung geboten. Dabei beeindruckt sie vor allem die „Waffenkammer“ (ein entsprechendes Zelt und Container), über und über mit Theaterwaffen gefüllt. Mancher kam sogar in den Genuss, eine der Rüstungen anziehen zu dürfen. Die Kostüme sind wiederum in anderen Containern verstaut. Die meisten Kostüme sind doppelt bis dreifach vorhanden. Der Weg, den die Schauspieler zur Bühne zurücklegen müssen, erwies sich für die Behinderten als schwierig. Rollstühle z. B. mussten zusammengeklappt werden. Ein Rollstuhlfahrer durfte zur Entschädigung eine Fahrt mit der Hubbühne nach oben mitmachen. Die Zusammenarbeit der Festspiele mit der Lebenswerkstatt wird in den nächsten Jahren fortgeführt.

Und nachdem alles vorbei war, bekundeten wie jedes Mal alle Schauspieler, dass sie durchaus auch mit Abschiedsschmerz von Worms fortgehen.

Presseecho

2002 gaben sahen noch viele Kritiker die Aufführung vorm Wormser Dom als Eintagsfliege und attestierten kaum Überlebenschancen. Die Geschichte hat ihnen mittlerweile das Gegenteil bewiesen. Die Berichterstattung in der Boulevard-Presse zu den Festspielen war wie jedes Jahr überaus groß. Schon zur Fotoprobe vor der Premiere gab es Riesenandrang: acht Fernsehteams von ARD und ZDF bis RTL und ca. 60 Fotografen aus dem gesamten Bundesgebiet nutzten die Gelegenheit, Szenen und Bilder aufzunehmen. Während der eigentlichen Aufführungen besteht ja auch für die Medien Fotografier- und Drehverbot. Aber auch in den Wochen zuvor zur Probezeit kamen die Journalisten von überall, ob München, Hamburg oder Berlin, um bei den Proben dabei zu sein und Interviews zu machen. Vorberichte erschienen in Magazinen wie der „Gala“, in der „Bunten“, in der „Frau im Spiegel“ oder als Programmtipp im „Focus“. SAT.1 hatte in seiner „Kulturzeit“ auf die Festspiele hingewiesen, 3sat begleitete mit der Sendung „Foyer“ die Proben. Im Theaterkanal wurde Jasmin Tabatabai in der Sendung „Abgeschminkt“ portraitiert. Auch die Nachrichtenagenturen brachten bundesweit mehrere Meldungen zum Verlauf der Proben. Zeitgleich zur Wormser Premiere fand die Premiere der „Dreigroschenoper“ unter der Regie von Karl Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast statt. „Frau im Spiegel“ schrieb dazu mit fettem Titel: „Wedel siegt, Brandauer floppt in Berlin“. Damit war der „Promi-Besucher“-Faktor gemeint, denn im Gegensatz zur Berliner Premiere kamen zur Nibelungen-Inszenierung rund 2500 Premieregäste, die in Regencapes und dicke Decken gehüllt die grandiose Schauspielerriege frenetisch feierten. Diese Promistars sind der Regenbogenpresse wichtiger als die Nibelungenschauspieler selbst – abgesehen von Fotos von Dieter Wedel im Arm mit Sonja Kirchberger und Jasmin Tabatai. Die „Bunte“ titelte „Nasse Premiere – Jubel für Wedel und Crew“, die „Revue“ „Nibelungen-Festspiele – Jessica Stockmann glücklich als Single“ und verwechselte inhaltlich das Ganze mit dem „Ring der Nibelungen“, „Gala“ brachte eine Doppelseite und war angetan, natürlich auch die „BILD“ sogar in mehrfachen Ausgaben (wenn auch wie in früherer Berichterstattung wegen des Sex). Der Tagesspiegel war voll des Lobes über das neue Stück. Nicht immer sind die Kritiken natürlich gut, strenge Theater-Puristen haben ihre Schwierigkeiten mit der modernen Inszenierung. Die „Süddeutsche Zeitung“ fand, es gehe Wedel vor allem darum, das Stück „aufzusexen“. Dabei sollte man allerdings auch wissen, dass der dortige Chefredakteur Hans Werner Kilz einer der damaligen Festspiel-Initiatoren war und im Streit geschieden ist. Die Kritik der „Süddeutschen“ war dadurch auch am schärfsten: „Der Abend wirkt, als müsste Woody Allen im Mainzer Karneval eine Büttenrede halten“. Szenen wie die Vergewaltigungen sind allerdings inhaltlich notwendig, weil sie die Verkommenheit am Burgunderhof und die latente Gewaltbereitschaft aufzeigen sollen. Der „Mannheimer Morgen“ wiederholte einfach nur die Kritik an der damaligen Inszenierung, aber fügte auch ein Lob für die Verbesserungen der neuen Version hinzu. Und die „Rheinpfalz“ vermochte auch wenig mit dem Stück anzufangen. „Die Welt“ und „Frankfurter Rundschau“ druckten lediglich die Agenturmeldungen ab. In der „FAZ“ stand nach der Premiere gar nichts. Die meisten begrüßen es allerdings, dass dem klassischen Stück, dessen Verlauf und Ausgang fast jeder in Deutschland kennt, neues Leben eingehaucht wird. Für die Liebhaber klassischen Theaters war die Hebbel-Fassung von Karin Beier besser, für die Liebhaber von Event-Theater dagegen natürlich Wedels Version der Rinke-Fassung. All dies gehört dazu, wenn Festspiele erfolgreich bleiben sollen. Und berichtet wurde im Grunde überall: Ob „Kieler Nachrichten“, „Reutlinger General-Anzeiger“ oder „Leipziger Volkszeitung“. Die meisten mittelständischen Zeitungen bedienten sich der von dpa oder ddp-Agenturjournalisten positiv geschriebenen Berichte. Die Internetsuchmaschine „yahoo“ zählt 70 Tageszeitungen auf, die freundlich über die Festspiele berichteten. Erfreulicher sind natürlich seriösere Berichte wie in „Leute heute“ (ZDF), „Brisant“ (ARD) oder „Exclusiv“ (RTL). Im Mittagsmagazin des ZDF berichtete Dieter Wedel live im Mainzer Studio über seine neue Inszenierung und zeigte auch Ausschnitte aus seinen Filmsequenzen, die er in Worms und Umgebung gedreht hat. Ein ZDF-Team hatte zuvor dafür auch die Dreharbeiten in Worms begleitet, und auch davon wurden Szenen ausgestrahlt. Einen längeren Bericht strahlte auch der SWR in seiner Sendung „Landesart“ aus, mit Interviews mit Moritz Rinke, Jasmin Tabatabai und anderen Stars sowie Eindrücken vom Statistenlager, Interviews mit Komparsen und Vorstellung der Rüstungen und Kostüme. Jasmin Tabatabai hatte auch einen eigenen Auftritt im ZDF in der Sendung „Volle Kanne“, wo sie über ihre Arbeit in Worms sprach. Im SWR4 kam der Hörfunkbeitrag in der „Radiogalerie“, wo sich Korrespondent Ralf Krause in der Wormser Innenstadt bei der Bevölkerung umhörte, um die Stimmung vor den Festspielen einzufangen. Ebenfalls im Hörfunkprogramm: ein Beitrag mit Jasmin Tabatabai (siehe unter Besetzung weiter unten). Und in der Radiosendung SWR1 „Leute“ war bei Katja Heijnen bei Sonja Kirchberger zu Gast. Während mittlerweile die Bayreuther Festspiele als staatlich subventionierte Reichenfestspiele in Verruf geraten sind, erklimmen die Nibelungenfestspiele in Worms ungeahnte Höhen in der Gunst des Publikums wie auch der Kritiker. Denn in Worms können sich auch „Otto Normalverbraucher“ eine Eintrittskarte leisten. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ bewertete in seiner diesjährigen Auswahl der „Top Ten“ der wichtigsten Festspiele in Europa das Wormser Kulturereignis mit Platz 1! In der Wertung sind bekannte Veranstaltungen aufgeführt, wie das Festival d`Avignon in Frankreich oder das Classic Open Air in Berlin. Eine wichtige Auszeichnung, übertitelt mit „Jenseits von Bayreuth“. Auch der SPIEGEL schrieb in Ausgabe 27/2006: „Nicht nur in Bayreuth, auch in Worms gibt es die Nibelungen – unter der Leitung von Dieter Wedel“. Aber nicht nur auf Platz 1 im „Capital“, sondern inzwischen auch in allen anderen Magazinen rangiert das hochrangige Wormser Theater unter den „Top Five“ aller deutschsprachigen Festspielstädte.

Das Publikum reagiert im Grunde genauso wie die Medienkritiker. Die einen sind enttäuscht und fanden die Erstversion viel besser, die anderen finden die neue Inszenierung bisher am besten (auch besser als die Hebbel-Aufführung von Karin Beier).

Besetzung

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde im fünften Jahr eine komplett neue Ensemble-Besetzung eingeführt.

Moritz Rinke hat das Stück neu geschrieben. Die erste Fassung von 2002 erstreckte sich über dreieinhalb Stunden, so dass nicht viel Zeit blieb, um das ganze Epos darzustellen. In der Hebbel-Version (nicht der von Karin Beier, sondern der originalen) dauert das Stück fast neun Stunden. Durch die Verlängerung konnte Rinke sehr viel vertiefen und hat bei den Frauen damit begonnen. Er erzählt mehr über Brünhild, die im eigentlichen Nibelungenlied irgendwann einfach verschwindet. Der Beginn des Stückes spielt in ihrer eigenen Welt in Island. Nach Burgund begleitet wird sie von ihrer Amme, Freundin und Beraterin Isolde, die frei dazuerfunden wurde und im Originaltext gar nicht vorkommt. Sie steht zudem in einer besonderen Beziehung zu Hagen, dessen Herz sie gewinnt und der bei Rinke ein „Anwalt des Rechts“ und keineswegs ein grimmiger Meuchelmörder ist und sich auch verlieben darf. Mit dieser Neuschöpfung steht er durchaus in einer Tradition, in der sich das Nibelungenlied immer wieder auch verändert. Gerade die Zudichtungen und Neuinterpretationen der bisherigen Schöpfer des Stoffes haben diese Tradition im Grunde so reich gemacht. Als Beispiel dazu dient vor allem Richard Wagners Inszenierung vom „Ring der Nibelungen“, der viele Elemente aus der Edda in den Stoff hineinbrachte. Auch das Verhältnis von Siegfried zu Brünhild und Kriemhild hat mehr Raum bekommen. Schon in der ersten Rinke-Version liebt Kriemhild zwar Siegfried, ist aber genauso auch von ihm enttäuscht. Ein neuer interessanter Aspekt ist, dass Kriemhild offen zugibt, den langweiligen Siegfried irgendwie loswerden zu wollen („ich habe zehn Jahre Hirschragout gegessen“) und dieser, immer öfter zur Flasche greifend, macht Brünhild überraschende Liebesgeständnisse. Diese männermordende Königin hatte ihm ja als Einzigem schon in Island angeboten, ihn ohne Kampf als Mann zu nehmen, was Siegfried ablehnte. Gernot, einer der Brüder König Gunthers, trägt auch neue überraschende Züge in seinem Charakter. Rinke ist mit seinen modernen Inszenierungen immer auch politisch. Die Gewalt im Stoff bekam in diesem Jahr eine besondere Aktualität durch den Libanonkrieg. Kriemhilds und Giselhers politische Ambitionen sind vertieft. Von Anfang an ist bei Rilke die Figur Kriemhilds ja auch schon an Ulrike Meinhof angelehnt, wobei sie sich im Stück natürlich nicht zur Revolutionärin in Meinhof’schem Sinne entwickelt. Überhaupt bleibt das Nibelungendrama aktuell, was den Kampf der Kulturen angeht und während die Gefahr des globalen Kriegsausbruchs täglich wächst. Nicht erst im zweiten Teil mit dem Untergang am Hunnenhof zeigt Rinke dies auf, sondern schon im ersten Teil, wo die christliche Welt der Burgunder auf die der heidnischen nordischen Königin Brünhilde prallt. Durch das Gefolge Brünhilds, die isländischen Edelfrauen, die mit ihrem heidnischen Götterkult einen krassen, fremden Gegenpol zur höfischen Welt in Worms darstellen, wird ein hochaktuelles Migrationsproblem thematisiert. Auch ist in den Dialogen zwischen Boten und Burgwächter viel Politik enthalten, besonders, was Soziales und Reformfähigkeit des Landes angeht. Dieter Wedel hat massiv in die Vorlage Rinkes eingegriffen, die als Buch nächstes Jahr zusammen mit dem 1. Teil erscheinen wird. Szenen wurden umgestellt, verschachtelt und einige gestrichen, wie beispielsweise, dass Siegfried in der besagten Nacht Kriemhild nicht nur mit Brunhild betrügt, sondern auch noch mit Isolde schläft. Eigentlich ein interessanter Zug, wo zur dreifachen Göttin oder den drei Nornen Analogien hätten hergestellt werden können. Andererseits hat Wedel der Figur der Brünhild noch mehr Tiefe gegeben, als diese in Rinkes Vorlage gehabt hatte. Was das Publikum letztlich sah, war nicht Rinkes Stück. Allerdings ist das eine Normalität im Theaterbetrieb. Der Streit zwischen Drehbuchautor und Regisseur gehört einfach dazu. Aber mit Wedel streitet sich Rinke am liebsten, da dieser psychologisch denkt, was es derzeit sonst im Theaterbetrieb nicht gäbe. Zum Zeitpunkt der diesjährigen Festspiele hatte Moritz Rinke den zweiten Teil „Die letzten Tage von Burgund“ fast fertig. Dieser wird mit dem zehnten Hochzeitstag von Gunter und Brunhild am Wormser Hof beginnen, die genervt, enttäuscht und verbittert sind. Zu solch einem Jubiläumsanlass werden natürlich die alten Streitigkeiten wieder ausgekramt. Zwei Drittel dieses Teiles sind vollkommen neu. Es gibt mehr Raum für Figuren wie Dietrich von Bern, König Etzel oder Rüdiger von Bechelarn. Siegfrieds Tod wird es noch einmal geben, denn die Handlung setzt noch einmal weiter vorne an. Kriemhild und Siegfried besuchen nämlich erstmal erneut ihre Verwandtschaft. Zwei Drittel des zweiten Teils handeln davon, wie es kommt, dass Siegfried getötet wird. Denn der Untergang wird schnell erzählt werden. Spannender ist die Verdichtung zwischen den bekannten Personen; das Darsteller-Tableau bleibt auch das gleiche. Für Moritz Rinke sind die Wormser Festspiele etwas ganz Großes, mehr Zuschauer habe auch Shakespeare in seinem Globe Theatre nicht gehabt. Irgendwann sollen beide Teile auch in einer langen Nibelungennacht nacheinander aufgeführt werden. Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede geboren, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitete als Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.

Dieter Wedel ist Intendant und führt auch Regie. Wie Moritz Rinke könnte er eigentlich nach der Premiere gehen, denn seine Arbeit ist dann im Grunde getan. Aber als Intendant blieb er die gesamte Festspielzeit (siehe auch weiter unten unter „Sonstiges“).

Joern Hinkel ist Regie-Assistent, aber spielt sogar bei der Brautwerbung einen finnischen Gesandten und nochmals einen bayrischen Brautwerber. Hinkel ist eigentlich studierter Opern-Regisseur. Aber er wollte schon immer auch Filme drehen. In München hatte er die Verleihung des bayrischen Fernsehpreises inszenieren dürfen und kam dadurch in Kontakt zu Starregisseur Wedel. Er kam deswegen zum Casting für die „Affaire Semmeling“ und Wedel hielt ihn für den Kameramann. Hinkel hat sich das Missverständnis nicht anmerken lassen und einfach gedreht und Wedel fand, er sei ein interessanter Kameramann. Zwar hat sich natürlich das Missverständnis aufgeklärt, aber seitdem arbeiten sie zusammen. Als Wedel 2002 nach einem Assistenten für die Nibelungenfestspiele Ausschau hielt, war von ihm aber noch gar nicht die Rede. Doch die vorgesehene Kollegin wurde krank. Seitdem wurde er zur „lebenden Telefonverbindung“ von Wedel. Seit Oktober 2005 lebt Hinkel in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung mit seiner spanischen Frau Monica, die er genauso zufällig kennen lernte. Nach den stressigen Festspielen 2002 begab er sich auf den Jacobs-Pilgerweg und begegnete ihr. Sie sprach kein Englisch, kein Deutsch und er kein Spanisch. Mit Wörterbuch wurde kommuniziert, aber es hat „gefunkt“. Mittlerweile klappt es spanisch-deutsch querbeet. Sie haben inzwischen einen eineinhalbjährigen Sohn Romeo, den man immer von dem Papa durch Worms geschoben begutachten kann. Nach den diesjährigen Festspielen will er einen eigenen Dokumentarfilm drehen über einen Mann, einen Außenseiter, der von Berlin nach München reitet.

Jasmin Tabatabai spielt die Kriemhild und damit viele Schattierungen: Revolutionärin am Burgunderhof in Worms, eitle Königstochter, liebende Frau und Antreiberin Siegfrieds. Sie musste sich als Kriemhild gegen ihre Vorgängerin Maria Schrader behaupten und wird vor allem erst 2007, wenn sich ihre Figur langsam aber stetig bis zum Wahnsinn steigert, zeigen können, ob die Glanzleistung von Schrader getoppt werden kann. Ihr letzter Bühnenauftritt liegt schon 13 Jahre zurück. Aber es war ihr ein Herzenswunsch, wieder Theater spielen zu können. Die Menge der 2400 Leute war kein Problem, sie hat schon vor mehr Menschen gespielt, als sie in der Kieler Ostseehalle mit ihrer Band als Vorgruppe für Nena vor 10000 Leuten einheizte. Zwar hatte sie noch nie so hart arbeiten müssen wie bei den Proben in Worms, aber sie ist begeistert von allem und natürlich auch ihrer Rolle. „Das ist eine faszinierende, gebrochene Person. Kriemhild träumt von der Weltrevolution, will am erstarrten Burgunderhof eine neue Staatsform einführen und strebt nach Macht wie alle Männer. Gleichzeitig wird sie verschachert, reagiert sie, als Brünhild Siegfried einen Lehnsherrn nennt, wie eine echte Königstochter“ (im Interview mit Roland Keth von der Wormser Zeitung). Sie wurde am 8. Juni 1967 in Teheran geboren und ist in Persien aufgewachsen. Schon in ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Teheran übte sie sich in Schauspielkunst. Noch vor der Machtübernahme von Revolutionsführer Khomeini kam sie nach Deutschland. Ihr Abitur machte sie 1986 im bayrischen Planegg. Danach studierte sie an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart. Ihre Karriere als Filmschauspielerin begann 1991 mit dem Kinofilm „Kinder der Landstraße“. Den ersten kommerziellen Erfolg – und auch den Durchbruch in ihrer Karriere – hatte sie 1997 in „Bandits“. Mehr dazu weiter unten auch unter „Rahmenprogramm“ und dort unter „Theaterbegegnungen“, wo sie einen Soloauftritt mit Gitarre hatte. In weiteren Filmen überzeugte sie mit „Late Show“ von Helmut Dietls oder als laszive Sängerin Billie in Xavier Kollers Tucholsky-Adaption „Gripsholm“. 2002 kam ihre Tochter Angelina Sherri Rose zur Welt, die sie auch in Worms dabeihat. 2005 wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Fremde Haut“ – sie spielt eine junge Iranerin, die aus ihrem Heimatland fliehen muss, weil sie der Homosexualität bezichtigt wird und ihr nun die Todesstrafe droht – als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis 2006 nominiert. Jasmin Tabatabai erwies sich als richtig sympathische Person, was sich auch daran zeigte, dass sie sich einmal im Vorfeld mitten in den Proben zurücklehnte und über den Mond schwärmte, der sich am Himmel zeigte. Auch das SWR1 „Leute live“-Radio widmete ihr während der Festspiele eine Livesendung, zu der bei freiem Eintritt auch Publikum ins Wormser Andreasstift zugelassen war.

Sonja Kirchberger spielt Brünhilds Vertraute Isolde und überzeugte in ihrer Präsenz fast mehr als Annika Pages als Brünhild. Die Rolle der Isolde sagte ihr von Anfang an sehr zu („Sie ist der Punk, den ich immer spielen wollte“) und zudem war es vorteilhaft, eine „leere“ Rolle etablieren zu können, die noch nicht durch Vorbilder geprägt ist. Und: „Als Dieter Wedel mich fragte, bin ich im Dreieck gesprungen und habe zugesagt, ohne eine Sekunde zu zögern“. Vor den 2400 Leuten hatte auch sie keine Bedenken zu spielen, sie hatte schon mal im Berliner Dom gespielt, was zwar nicht der Größenordnung entspricht, aber dem Gefühl eines ehrfurchterbietenden Gotteshauses. Sie findet, dass in Worms sehr lebendiges Theater gespielt wird. Geboren wurde sie 1964 in Wien, nahm zehn Jahre Unterricht im klassischen Ballett und gehörte bis 1978 zum Ballett der Wiener Oper. Sie lernte den Beruf der Zahnarztassistentin und arbeitete nebenbei als Model. Bekannt wurde sie 1988 durch den Film „Venusfalle“ von Robert van Ackeren sowie u. a. auch durch Arbeiten mit Dieter Wedel. Andere sehr erfolgreiche Filme sind „Der König von St. Pauli“ (Dieter Wedel 1998, sie spielt dort die Rolle der verzweifelten Lajana) oder „Seven Servants“ (an der Seite von Anthony Quinn). Sie spielte die unterschiedlichsten Charaktere – von der warmherzigen fürsorglichen Mutter in „Die Liebende“ (von Matthias Tiefenbacher) bis hin zur eiskalten Geschäftsfrau in „Der Runner“ (von Michael Rowitz). In der Trilogie der Kommissarin Anna Göllner hatte sie die Hauptrolle. Sie stand für viele weitere nationale und internationale Produktionen vor der Kamera und feierte Theatererfolge in Stücken wie „Der Weibsteufel“, „Jedermann“ (dreimal spielte sie die Buhlschaft) oder „Effie Briest“ und „Madame Melville“. In Worms ist sie mit ihrem Sohn.

Annika Pages spielt Brünhild. Auch sie musste sich zwangsläufig an der früheren Brünhild Wiebke Puls messen lassen, aber auch sie konnte überzeugen. Vor Wiebke Puls spielte schon Judith Rosmair in Worms die Brünhild. Sie hatte auch nicht gezögert, als das Angebot von Sabine Schroth kam, die schon viele Ensembles im Auftrag Wedels zusammengestellt hat. „Wenn Dieter Wedel einem diese Rolle anbietet, sagt man nicht nein. Ich habe gar nicht überlegt“. Der eigentliche Held im neuen Nibelungenstück ist für sie auch Brünhild, denn diese sei die einzige Anständige unter allen, die nichts aus Berechnung macht wie alle anderen, die sich bis zum Schluss nicht korrumpieren lässt, nicht bestechlich ist und ihrem Herzen Ausdruck geben will. Pages spielte in diversen Kino- und Fernsehfilmen, unter anderem auch in „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel, in der sie an der Seite Robert Atzorns dessen Freundin Doris Berg spielt, oder in „Peter Strohm“, „Die Verbrechen des Professor Capellari“, „Mann sucht Frau“ und „Unser Opa ist der Beste“. Geboren wurde sie 1968, besuchte die Staatliche Hochschule für Musik in Hannover, absolvierte danach eine Gesangsausbildung in Hamburg und München sowie eine Tanzausbildung an der Royal Academy of Dancing in Hamburg und London, hatte Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, am Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich sowie am Deutschen Theater Berlin. Nach einer zehnjährigen Schauspielzeit an den Kammerspielen in München wechselte sie an das Bayrische Staatstheater, wo sie bis 2004 engagiert war. Am Deutschen Theater Berlin war sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ zu sehen. 1994 bis 2004 spielte sie erst an den Kammerspielen München, dann am Bayrischen Staatsschauspiel. In Worms hatte auch sie ein eigenes Haus gemietet, wo sie mit ihren beiden Kindern lebte sowie ihrer Mutter, die während der Proben und Aufführungen die Kinder betreute. Für die Rolle der starken Brünhild trainierte sie täglich ihre Muskeln an Geräten im Studio Black & White, das die Festspiele dadurch sponsert, dass es die Trainingseinheiten spendiert.

Robert Dölle spielt Siegfried und trägt wie sein Vorgänger Götz Schubert eine Glatze. Dies irritiert vor allem das ältere Publikum, weil deren Heldenprägung die eines blonden Siegfrieds noch ist. Moritz Rinke hat auf die Auswahl und das Aussehen der Schauspieler keinen Einfluss, aber gerade diese Andersartigkeit gefällt ihm – wie er öfter erwähnte – besonders gut, denn er möchte die Klischees von den Helden verändern. Robert Dölle hat dem Publikum als Nachfolger von Götz Schubert sehr gut gefallen und wurde akzeptiert. Ähnlich wie Kriemhild ist auch Siegfried in der aktuellen Wedel-Inszenierung eine vielschichtige Figur: der strahlende Held, der degenerierte Recke und der liebende Mann. Er genoss seine Rolle und auch die vielen Komplimente der Aufführungsbesucher sehr und hatte noch nie zuvor vor 2400 Zuschauern gespielt. In einer der Filmszenen auf Großleinwand sah man ihn sogar komplett nackt badend im Drachenblut. Nach der nackten Brunhild unter Karin Beier im letzten Jahr ist es also diesmal ein nackter Siegfried, der die Frauen begeistert an der Stelle, wo sonst die Männer begeistert sind. Robert Dölle wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er studierte Amerikanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Von 1996 bis 1999 war er Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, danach arbeitete er am Schauspielhaus Frankfurt von 1999 bis 2001 und spielte dort in „Don Carlos“ von Friedrich Schiller und „Das Missverständnis“ von Albert Camus, ehe er 2001 wieder zu den Münchner Kammerspielen zurückkehrte. 2001 trat er aber auch noch bei den Salzburger Festspielen als Rosse in Calixto Bieitos Inszenierung von „Macbeth“ auf. „Rosenstraße“ von Margarethe von Trotta, „Polizeiruf 110“ und Dieter Wedels neuer ZDF-Einteiler „Mein alter Freund Fritz“ sind Filme, in denen er mitspielt.

Wolfgang Pregler spielt Hagen und ist als einziger Schauspieler bereits im fünften Jahr bei den Nibelungen. 2002 und 2003 spielte er den König Gunther, 2004 und 2005 Dietrich von Bern. Seine neue Rolle als Hagen – er spielt sie, als sei er schon immer Hagen gewesen – war mit die beste Leistung von allen Mitwirkenden (ohne dabei die anderen schmälern zu wollen). 1956 wurde er in Höntrop geboren und erhielt seine Ausbildung an der Hochschule der Künste in Berlin. Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Schillertheater in Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo er u. a. unter der Regie von Jossi Wieler, Leander Haussmann und Karin Beier spielte. Genauso auch Fernsehproduktionen wie „Die Affaire Semmerling“ von Dieter Wedel (2001) und dem internationalen Kinofilm „Rosenstraße“ mit Maria Schrader (2003). Auch im neuen Fernsehfilm von Dieter Wedel „Mein alter Freund Fritz“ spielt er mit. Zurzeit ist er an den Münchner Kammerspielen engagiert.

Roland Renner spielt König Gunther als zaudernden Herrscher absolut überzeugend und verlieh dieser Figur ganz neue fiese Charakterzüge. Er genoss sehr die Magie des Wormser Spielortes, das Abenteuer des Live-Spielens unter freiem Himmel und fühlte sich, als sei er an die griechischen Ursprünge des Theaters zurückgekehrt. Renner machte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Es folgten Engagements an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum: Schauspielhaus Köln, Schauspielhaus Zürich, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und bei den Salzburger Festspielen. Wilfried Minks engagierte ihn für seine Produktion von Peter Turrinis „Tod und Teufel“ sowie die Dostojewski-Adaption „Der Idiot“, beides am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mehrfach hat er mit Johann Kresnik zusammengearbeitet: in Hamburg bei dem Projekt „Gründgens“, am Schauspiel Hannover in Büchners „Woyzeck“ und der „Antigone“ des Sophokles, bei den Salzburger Festspielen in „Peer Gynt“ nach Henrik Ibsen. Neben seiner Theaterarbeit auch Fernseh- und Kinoproduktionen, u. a. „Zwei Tickets nach Hawaii“ von Markus Imboden oder ein „Tatort“ in der Regie von Thomas Jauch. Zur Wormser Aufführung gestand er, dass er zwar seit 30 Jahren Theater spiele, „aber diese Art von Regisseur, wie Wedel einer ist, dem Theater abhanden gekommen sei – deshalb ist es ein Genuss“ und sei eine gute Entscheidung gewesen, die Rolle anzunehmen.

Robert Josef Bartl spielt Gernot und erheiterte in ähnlicher Weise wie Eisermann das Publikum. „In der Hebbel-Fassung ist Gernot nur ein Edel-Statist, aber bei Rinke hat der Königssohn eine menschliche Figur, die Freude macht zu spielen. Die Figur hat jetzt Kontur, aber keine glatte“, sagt er im Interview von Susanne Müller mit der WZ. Moritz Rinke hat Gernot eigene Szenen hinzugeschrieben, er trifft darin auf Hagen und auch auf Brünhild. Aber in einer Friedhofsszene entpuppt er sich als schmieriger Intrigant, denn er ist der ewig Zweitgeborene, der immer an die Macht will, aber den älteren Bruder vor sich hat. Bartl hat Mediävistik studiert und kennt daher die Nibelungen sehr gut, auch im „Original“. Vor Worms hat er Hochachtung, weil sie in nur fünf Jahren Festspiele von diesem Kaliber aus dem Boden gestampft haben. Ausgebildet wurde er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Wichtige Lehrer waren für ihn Nikolaus Windisch-Spoerk und Klaus Maria Brandauer. Während seiner Ausbildung erhielt er den Darstellernachwuchspreis der deutschsprachigen Staatlichen Schauspielschule und wurde anschließend am Burgtheater übernommen. Weitere Stationen waren Schweiz, Kampnagel Hamburg und Städtische Bühnen Frankfurt/Main. 2001 wurde er Ensemble-Mitglied am Bayrischen Staatsschauspiel. Während der diesjährigen Festspielzeit hatte er am 17. August auch Premiere im Kino mit dem Film „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Vor offiziellem Filmstart hatte der Film aber auch schon bei Festivals einige Preise bekommen. Bartl spielt darin den sanften Pfarrer Behrendt.

Christian Nickel spielt Giselher aufgrund seiner langjährigen Theaterarbeit durchaus sehr gut, aber kam seinem Vorgänger Andre Eisermann und dessen Darstellung der stürmischen Draufgängerlust nicht ganz hinterher. Eisermann zu toppen, wäre allerdings sicherlich auch jedem anderen schwer gefallen. Verantwortlich in der Auswahl war wie bei allen Schauspielern Dieter Wedel, und der mag nun mal auch Brüche in der Wahrnehmung der Figuren. Ausgebildet wurde Nickel an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch in Berlin. 1997 spielte er an den Salzburger Festspielen, danach am Frankfurter Schauspiel. Von 1999 bis 2001 gehörte er zu Peter Steins Faust-Ensemble und spielte dort zunächst den jungen Faust, bevor er nach dem Ausscheiden von Bruno Ganz den gesamten Part der Titelfigur übernahm. Seit 2002 arbeitet er am Bayrischen Staatsschauspiel. Im September 2003 gab er sein Debüt als Regisseur mit Lessings „Emilia Galotti“ im Alten Schauspielhaus Stuttgart, weswegen ihm Wedel weitgehend in seiner Interpretation der Giselher-Rolle freien Lauf ließ. Seit 2005 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater in Wien.

Ute Zehlen spielt Ute. Sie ist Ensemble-Mitglied am Schauspiel in Essen. Interessanterweise hat sie dort in einer Hebbel-Nibelungen-Inszenierung von Anselm Weber bereits zuvor die Ute gespielt. Vor Essen war sie u. a. am Staatstheater Kassel, Staatstheater Stuttgart, Schauspiel Frankfurt und Stadttheater Heilbronn. Zu den wichtigen Produktionen gehören „Maria Stuart“, „Onkel Wanja“ und „Der jüngste Tag“. Für ihre Rolle der Rose in Martin Shermans gleichnamigen Stück wurde sie in der Kritikerumfrage der Kulturzeitschrift „neues Rheinland“ 2000/2001 zur besten Schauspielerin gekürt. Eigentlich hätte Renate Krößner die Mutter Kriemhilds in Moritz Rinkes Stück „Die Nibelungen – Siegfrieds Frauen“ spielen sollen. Doch schon kurz nach Probenbeginn hatte Dieter Wedel sich von Regina Krößner wieder getrennt.

Marcus Calvin spielt Ortwin von Metz, den Bruder von Hagen. Er wurde an der Otto-Falckenberg-Schule in München ausgebildet. Sein erstes Engagement war am Theater der Stadt Heidelberg. Es folgten Staatstheater Kassel, Nationaltheater Mannheim und Staatstheater Stuttgart. Seit 2001 ist er Ensemblemitglied des Bayrischen Staatsschauspiels und spielte dort u. a. den Leopold Blum in „Tropfen auf heißen Steinen“ in der Inszenierung von Tina Lanik und den Ariel in „Der Kissenmann“ in der Inszenierung von Hans Ulrich Becker. Seit Juni 2006 ist er in Franz Xaver Kroetz`s Uraufführung von „Tänzerinnen und Drücker“ als einer der vier Drücker zu sehen.

Mathias Redlhammer spielt Hunold. Er absolvierte seine Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Danach arbeitete er am Schauspielhaus Bochum, Burgtheater Wien, Schillerhaus Berlin, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Düsseldorf und Zürich. In zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen war er zu sehen, u. a. im Kinofilm „Bluthochzeit“ von Dominique Derrudre, in dem TV-Sechs-Teiler „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel sowie in „Die Kommissarin“, „Ein Fall für Zwei“ oder „Tatort“.

Tilo Keiner spielt vier Rollen: Sindold, den Mundschenk, den finnischen König Jukka Thor (und wirbt darin um Brunhild gar auf finnisch, dessen Text er mit einer Sprachlehrerin lernen musste), einen Sachsenkönig und einen üblen Burgunder, der mit einem Kumpel eine Isländerin (Valerie Niehaus) erst vergewaltigt und dann tötet, sowie bei der Kinder-Vorführung sogar im Mittelpunkt als zusätzlicher Erzähler. Keiner ist 1962 geboren, stammt aus Düsseldorf und besuchte zwei Jahre die London Academy of Music and Dramatic Art. Seit 1986 spielt er Theater in Köln, Nürnberg und Trier. Neben Engagements am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg und vor dem Schauspielhaus Bochum stand er von 1993 bis 1995 am Schauspielhaus Nürnberg auf der Bühne. Seit 1995 wirkt er in deutschen und englischsprachigen Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben zahlreichen Fernsehserien wie „SOKO 5113“ oder „Girlfriends“ verfügt er auch über Hollywood-Erfahrung, wo er mit Steven Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ arbeiten konnte. Im deutschen Kino spielte er in „Der Ärgermacher“. In Stuttgart spielte er seit zwei Spielzeiten im „Abba“-Erfolgsmusical „Mamma Mia“. Auch bei mehreren Inszenierungen von Karin Beier, die im letzten Jahr in Worms noch die Nibelungen aufführte, hat er mitgewirkt. Im letzten Jahr war er bei den Wormser Festspielen auch schon mit dabei und spielte die Rolle des Hunnen Werbel.

Andre Eisermann spielt dieses Jahr den „wormserisch babbelnden“ Burgwächter und ist sowieso als Wormser das eigentliche Lieblingskind des Wormser Publikums. Er ist von Anfang an dabei und spielte in den vier Jahren zuvor den Giselher. Die Rolle in diesem Jahr war nicht mehr ganz so umfangreich. Wahrscheinlich wäre er auch nicht mehr im neuen Ensemble gewesen, wenn er für die Wormser nicht als Institution dazugehören würde. Deswegen geht es ihm vor allem darum, überhaupt dabei zu sein. Zur Ensemble-Vorstellung im Mai war er noch für die Rolle des Hunold vorgesehen, die jetzt Matthias Redlhammer spielt. Der Burgwächter war eigentlich für den Politiker Norbert Blüm vorgesehen, der allerdings, nachdem er dachte, er würde aufgrund seiner früheren Finanzpolitik durchs Drehbuch veralbert, und sich an einigen der „Reformsätze“ störte, von seiner Zusage zurücktrat. Eisermann wurde bekannt durch die Filme „Kaspar Hauser“ und „Schlafes Bruder“. Besonders „Kaspar Hauser“ (1993) machte ihn mit 25 Jahren überraschend quasi „über Nacht“ zum Weltstar. Dafür wurden ihm zahlreiche Preise verliehen (z. B. der Darstellerpreis des internationalen Filmfests von Locarno, der Bayrische Filmpreis und der Deutsche Filmpreis). „Schlafes Bruder“ von 1995 wurde für den Golden Globe nominiert. Ausgebildet wurde er an der Otto-Falckenberg-Schule in München, spielte u. a. an den Kammerspielen München und wurde danach von Regisseur Axel Corti ans „Theater in der Josefstadt Wien“ geholt. Mit großem Erfolg übernahm er 2005 die Rolle des Prinzen Otto im Musical „Ludwig2“ auf der Bühne des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen. Er trägt auch regelmäßig etwas für das Rahmenprogramm der Festspiele bei – in diesem Jahr sein Auftritt bei „Die Zaubergans“, wo er die verbindenden Texte sprach.

Andreas Bisowski spielt den witzigen radelnden Boten Hans. Er war so angetan davon, dass er nach den Aufführungen der Requisite sogar das Bühnenfahrrad abgekauft hat. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Berliner Universität der Künste. Danach war er Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters. Es folgten ein Engagement am Deutschen Theater Berlin und Inszenierungen mit Robert Wilson, Hans Neuenfels und Peter Wittenberg. Er spielte in TV-Serien und -Filmen wie „Der Landarzt“, „Balko“, „Stauffenberg“. Für die Neuköllner Oper schrieb er Theaterstücke, das Libretto für die Oper „Friendly Fire“ und die Oper „Wischen/No Vision“. Bei den Nibelungen war er schon in der ersten Inszenierung von Dieter Wedel als Hans der Bote zu sehen. Dieter Wedel hatte er durch einen Werbespot mit Mario Adorf kennen gelernt. Wie auch Thilo Keiner trat er in Worms bereits als Hunne Werbel bei Karin Baier auf.

Valerie Niehaus spielt eine Isländerin und dabei zum ersten Mal auch open-air. Sie ist 1974 geboren. 1987 wurde sie für Klaus Emmerichs TV-Film „Rote Erde“ entdeckt. Am Tag ihres Abiturs erhielt sie die Rolle der Julia in „Verbotene Liebe“ und war von 1994 bis 1996 in dieser Rolle zu sehen. 1997 zog sie nach New York und absolvierte ihre Ausbildung am Lee Strasberg Theatre Institute. Zu ihren weiteren Fernsehauftritten zählen die Krimiserie „SOKO 5113“ und Karola Zeisberg-Meeders TV-Film „Rosamunde Pilcher: Stunden der Entscheidung“. Im Kino war sie in Sönke Wortmanns Episodenfilm „St. Pauli bei Nacht“ und 2000 im Michael Karens Horrorthriller „Flashback – Mörderische Ferien“ zu sehen. Weitere Filme sind „Vera Brühne“ (2003) und „Donna Leon – Beweise, dass es böse ist“ (2005). 2006 landete sie einen großen Erfolg mit dem TV-Zweiteiler „Rose unter Dornen“ mit Heinz Hoenig. Derzeit im Fernsehen zu sehen ist sie in der ZDF-Serie „Alles über Anna“. Sie spielt auch in Wedels neuem Film „Mein alter Freund Fritz“ eine Krankenschwester, die Vanessa heißt. Bei den Arbeiten zu diesem Film wurde sie für die Nibelungenfestspiele verpflichtet. Die Erfahrungen, die sie hier machen konnte, sind eine große Bereicherung für sie und vor allem begeistert sie der Schauplatz der Bühne vor dem Dom. Sie findet es interessant, wie im diesjährigen Stück aufgezeigt wird, wie an Brünhild und den Isländerinnen eine ganze Kultur zerstört wird, und ist stolz, dass gerade mit ihrer Rolle ein Exempel statuiert wird. Sie war aber eine der wenigen, die erstmal zögerte, als sie die Rolle angeboten bekam. In Worms hatte sie für die Festspielzeit eine kleine Wohnung mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Freund gemietet.

Weitere Isländerinnen:

Nina Kolberg debütierte nach ihrer Ausbildung für Bühnentanz der Stadt Köln am Kölner Schauspielhaus. Es folgten Engagements am Ernst-Deutsch-Theater, an den Hamburger Kammerspielen, am Altonaer Theater Hamburg und an weiteren Häusern. Im Fernsehen war sie in den Serien „Verbotene Liebe“, „Großstadtrevier“, und in Fernsehfilmen wie „Typische Sophie“ oder in „Die Rettungsflieger“ zu sehen. 2001 moderierte sie die „Ally McBeal Nacht“, im gleichen Jahr wurde sie für den Puck-Nachwuchspreis für junge Schauspieler nominiert.

Christina Dais absolvierte das Studium für Schauspiel, Gesang und Sprechausbildung bei Irene Haller in Heidelberg. Neben vielfältiger Bühnentätigkeit stand sie zum ersten Mal 1995 mit dem Episodenfilm „Der Mond scheint auch für Untermieter“ mit Heikko Deutschmann vor der Kamera. Seitdem wirkte sie in einigen TV-Produktionen mit, z. B. im „Tatort“, „Bin ich sexy?“, „Niedrig und Kuhnt“, „Zwei bei Kallwass“ und in Dieter Wedels Zweiteiler „Papa und Mama“. Neben zahlreichen Synchronarbeiten ist sie auch mit Lesungen präsent, so z. B. zu den letztjährigen Nibelungenfestspielen.

Dominique Voland ist eigentlich Tänzerin und lernte an der Palucca-Schule Dresden und an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Sie tanzte an verschiedenen Theatern und Opernhäusern und war Mitglied der Jazzdance-Company „MM Dancers“. Bereits in den Nibelungen-Inszenierungen 2002 und 2003 in Worms spielte sie die schöne und stumme Dietlinde von Bechelaren.

Statisten und andere Mitwirkende

John von Düffel ist seit 2002 betreuender Dramaturg. Er las dieses Jahr auch aus seinen Romanen im Rahmenprogramm (siehe „Rahmenprogramm“).

James McDowell ist künstlerischer Betriebsdirektor

Thomas Schiwek und Ulrich Mieland sind die Geschäftsführer der Festspiele GmbH.

Monika Liegmann ist Pressereferentin von Dieter Wedel. Zuvor war sie VIP-Reporterin, die ihre Karriere bei der Pirmasenser Zeitung begann. Im Anschluss machte sie Praktika bei verschiedenen Zeitungen in den USA, war allerdings auch in Deutschland bei der Saarbrücker Zeitung beschäftigt. Durch ihre Starberichte hat sie Dieter Wedel kennen gelernt und sich als Pressereferentin selbstständig gemacht.

Michael Rütz ist technischer Leiter und war unter anderem dafür zuständig, dass der ganze Tribünenaufbau nach den Wünschen der Festspielleitung vonstatten ging. Er ist hauptberuflich technischer Direktor am Stadttheater Krefeld/Mönchengladbach. Der Auftrag in Worms macht ihm Spaß und er lernt hier viel dazu.

Jens Kilian: Bühnenbild

Ilse Welter-Fuchs aus Hamburg ist die Kostümbildnerin. An ihrem Arbeitsplatz stehen drei Nähmaschinen nebeneinander an einer Wand, eine große Platte auf mehreren Holzblöcken dient als Zuschneidefläche. An einer Kleiderstange hängen Kostüme. Seit 30 Jahren macht sie diesen Job. Innerhalb kürzester Zeit hat sie für das Nibelungenstück 300 Kostüme organisiert. Kriemhild, Ute, Brünhild und Hagen bekamen ein völlig neues Outfit und die Solisten benötigten 33 Anfertigungen großer, komplizierter Kostüme. Hilfe erhält sie von Gerlinde Schidrich, die wie jedes Jahr zu den Festspielen ihr Geschäft in Gundheim für sieben Wochen schließt, um hier mit ihrem schneiderischen Können zu unterstützen. Welter-Fuchs hat aber die Kostüme entworfen. Ein Brokatkleid für Kriemhild, ein Gewand mit Keulenärmeln für Ute, ein knapp bemessenes in Leder für Brünhild, einen so genannten „Gänsebauch“ über breitem Gürtel für Sindold, für Burgwächter Eisermann Anzug, Hornbrille und Seitenscheitel. Für das Ende des Stückes dann noch mal ein Businesskostüm für Kriemhild und eine Elvis-Lederjacke für Siegfried. Aber das Outfit der Charaktere ändert sich auch ein paar Mal während der Probezeit und diesen Anweisungen muss sie sich fügen und sie kreativ umsetzen. Um sich vorzubereiten, wälzte sie Bücher über die Kleidung des Mittelalters, um sie auf die heutige Zeit übertragen zu können. „Mittelalter, Renaissance, Moderne, das fließt alles zusammen“.

Gerlinde Schidrich schneidert für die Festspiele und unterstützt die Kostümbildnerin. Seit vier Jahren ist sie dabei und arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sie hat ihre eigenen Mitarbeiterinnen Marianne Röß und Anna Mengel. Anne Mengel ist Praktikantin. Mit den ganzen historischen Kostümen, Waffen und dem vier Meter hohen Eispferd der letzten vier Jahre Nibelungenspiele könnte man ein eigenes Museum aufmachen.

Wolfgang Siuda ist musikalischer Leiter. Er war schon bei den ersten Festspielen 2002 mit dabei und erinnert sich, dass das technisch gesehen viel stressiger war, da man noch völlig unerfahren war und es bis zum letzten Tag unklar blieb, ob man die Festspiele würde durchführen können. In letzter Not wurde er von Dieter Wedel damals noch kurz vor der Premiere direkt aus seinem Urlaub nach Worms geholt. Dieses Jahr war er zum zweiten Mal in dieser Funktion zugegen, allerdings vom ersten Tag an beteiligt. Er hatte vielfältige Aufgaben, denn in Rinkes Stück singen die Schauspieler wie die Komparsen. Er sucht die Lieder dafür aus, z. B. die finnische Nationalhymne für den Auftritt finnischer Soldaten, einiges komponiert er auch selbst und probt es mit den ‚Betroffenen‘. Zudem steuert er selbst komponierte Einspielungen bei, die die unterschiedlichen Klangwelten symbolisieren. Natürlich kümmert er sich auch um flächendeckende Klänge etwa bei Schlachten, wo die Musik die Wucht und Dramatik auf der Bühne unterstreicht. Livemusiker wie bei Karin Beiers Hebbel-Inszenierung gibt es in der neuen Wedel-Inszenierung nicht – ausgenommen von Trommlern, Fanfarenbläsern und dem Auftritt eines Saxophonisten, der kaum auffiel, da er nur für Hintergrundmusik beim Hochzeitsbankett am Burgunderhof sorgte. Es ist Jonathan van der Loo, der letztes Jahr schon als Trommler dabei war. Zusammen mit Jacob Eberhard, auch ein Trommler vom letzten Jahr, tritt er zudem wiederum als Trommler auf. Ständig fährt Siuda von Worms aus ins Hamburger Tonstudio, um die gewünschten Klänge zu komponieren und zu produzieren. Diese Klänge wurden auf Tonträger gespeichert, in den Computer übertragen, um dann vom Toningenieur abgefahren zu werden. Sein Job war also mit der Generalprobe beendet. Er hat bereits an vielen Schauspielhäusern gearbeitet, darunter das Burgtheater in Wien, die Kammerspiele in München oder das Schauspielhaus in Zürich. Er wollte gerne wieder mit Wedel zusammenarbeiten, kannte auch viele der Schauspieler und findet die Freilichtbühne vor dem Dom natürlich sehr reizvoll. Nicht zuletzt genießen die Nibelungen-Festspiele in Künstlerkreisen auch außergewöhnlichen Stellenwert.

Jacinta Walsh: Choreografie

Karsten Riecher ist der Waffenmeister, der mit seinen Helfern die Theaterwaffen herstellt und betreut (Schwerter, Hellebarden, Spieße, Schutzausrüstung, Handschuhe, Rüstung, Helm) und auch selbst im Stück mitspielt. Er ist bereits zum dritten Mal mit dabei.

Cornelia Ehrlich ist Chefin der Komparserie, die die Statisten betreut.

Klaus Figge: Kämpfe

Katharina Böhner ist Maskenbildnerin. Sie studierte in Dresden und ist seit fünf Jahren freiberuflich bei den Nibelungenfestspielen dabei. Sie stammt aus einer Theaterfamilie und hat sich dadurch aufs Schminken und Frisieren spezialisiert. Für Brünhild fertigte sie eine auch echten Haaren handgefertigte Perücke an, und da jedes Haar einzeln angepasst werden muss, benötigte sie dafür 50 Stunden. Täglich wird Brünhild von ihr zudem zwei Stunden mit Make-up am ganzen Körper geschminkt. Ihre Mitarbeiter Phil Hinze, Nicola Olbs, Nora Leibiz und Maria Reder schminken außer den Hauptdarstellern auch noch ein paar der neunzig Komparsen. Alle Schauspieler haben einen Maskenbildner, der für sie zuständig ist und sie mehrmals nachschminkt. Die Mikrophone werden an der Haut geschminkt, so dass man sie nicht mehr sieht. Sie sind an Stirn oder Wange angebracht. Im vorigen Jahr mussten die Schauspieler in einer Szene in ein Wasserbecken fallen, und damit keine Mikros beschädigt wurden, wurden diese mit Zellophanpapier abgedeckt und wieder überschminkt. Die Maske befindet sich in zwei kleinen gut ausgestatteten Containern, wo pro Raum drei Personen geschminkt und frisiert werden können. Auf einem langen Tisch stehen drei große beleuchtete Spiegel und Köpfe aus Styropor, die die Perücken tragen. Diese müssen, wie ganz normale Haare auch, gewaschen werden können.

Juliane Eckstein: Requisite

Tilo Steffens: Bühnenbildassistenz

Bastian Korff: Musikassistenz

Kerstin Matthies: Kostümassistenz

Ilona Rühl: Souffleuse

Jörg Grünsfelder ist mit seinem Team Tonmeister, Ferry Siering (fett film) ist Video-Designer und Ulrich Schneider Licht-Designer (siehe unter „Specials“).
Zum Team von Jörg Grünsfelder gehört auch der Tontechniker Christian Ruppel, der seit 18 Jahren weltweit als Tontechniker engagiert wird und bereits seit drei Jahren bei den Nibelungenspielen mit dabei ist. Er plant die Tontechnik komplett durch. Jeder Umkleide-Container für die Schauspieler verfügt auch noch über Lautsprecher, die sie über das Geschehen auf der Bühne informieren. Das meiste an Technik ist aber auf der Bühne. Die 30 Meter lange und 20 Meter tiefe Bühne wurde von 30 schwitzenden Arbeitern aufgebaut. Insgesamt sind 200 Arbeiter auf dem Gelände beschäftigt. Mehr zur Technik im Folgenden unter den „Specials“.

Detlev Hahne ist Stage Manager und kommandiert aus einem einfachen Bretterverschlag direkt hinter der Bühne. Er arbeitet seit 1977 als Inspizient am Stadttheater Heilbronn und kommt nunmehr seit fünf Jahren auch zu den Festspielen nach Worms, die er als „Abenteuer-Urlaub“ empfindet.

Shoddy ist einer der fünfzehn Bühnentechniker.

Monika Liegmann und Simone Schofer machen die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Patrick Garneur koordiniert mit zwei weiteren Kollegen den kompletten Aufbau der vielen Zelte, Rampen, Tische, Wege und Lampen. Es gibt ein großes Bewirtungszelt, weitere kleinere Zelte, einen eigenen VIP-Bereich, eine kleine Bühne für einen Pianospieler und auch Heylsschlösschen und erstmals Heylshof selber konnten mitgenutzt werden.

Stefan Lubojanski ist der Wormser Stammfahrer von Dieter Wedel, der diesen mitunter auch mit frisch gebackenem Zwetschgenkuchen seiner Mutter versorgt.

Thorsten Kublank ist einer der neunzig Statisten, für die Dieter Wedel voll des Lobes ist. Er ist einer derjenigen, die Wedel gerne als Schauspieler fördern möchte. Der 34-Jährige steht seit 17 Jahren beim Theaterkreis Bobenheim-Roxheim auf der Bühne und hat in der jetzigen Inszenierung sogar eine kleine Rolle bekommen. Er spielt einen fränkischen Bewerber an Brunhilds Hof, ein anderes Mal einen verletzten beinamputierten Burgundersoldaten, dann als ein Nibelunge und später, als sächsischer Soldat, steckt er Prügel von Siegfried ein. Aber die meisten Komparsen spielen mehrere Rollen. Wie viele seiner Kollegen spielt er bereits zum fünften Mal bei den Festspielen mit. Jeden ersten Freitag im Monat ist Statistentreffen. Man ist aus Leidenschaft dabei, denn Geld gibt es nicht viel. Für jede Probe 10 Euro, für jede Aufführung 25 Euro – für einen Zwölfstundentag, wofür man sich eigens Urlaub nimmt, ist das nicht gerade viel. Auch viele Schüler opfern dafür ihre Ferien. Die Schauspieler bedanken sich regelmäßig bei den Statisten, was eigentlich außergewöhnlich, denn im Theaterbetrieb keineswegs üblich ist.

Andreas Gaul ist Chef-Caterer. Zu seiner Arbeit siehe unten unter „Specials“, dort am Ende.

Manuela Liebig betreut das Marketing mit der lokalen Geschäftswelt und den Festspielen auf Messen.

Sidestep ist das eingesetzte Pferd auf der Bühne. Sollte man es unter Mitwirkenden erwähnen? Wohl durchaus, denn der Wallach gehört zum Stamm des Festspiel-Ensembles und ist zum dritten Mal mit dabei. In den beiden Vorjahren hatte er unter Karin Beiers Regie Otnit, Etzels Sohn, auf die Bühne getragen. In diesem Jahr darf er mit König Gunther auf dem Rücken vor die Zuschauer treten. Neben seiner Besitzerin Carmen Bonnet waren zwei weitere für ihn zuständig: die Kostümbildnerin und der Waffenmeister. Denn er musste einen imposanten Überwurf bekommen (dem König geziemend) und Waffenmeister Karsten Rischer fertigte für ihn einen Harnisch und Brustgeschirr aus Stahlblech. In der neuen Inszenierung stirbt er, wofür er zur Sicherheit von einem Papppferd gedoubelt wird. Denn eigentlich legt er sich auf Befehl auch hin und bleibt selbst länger liegen.

Die Hunde müssen dann auch ehrenhalber erwähnt werden. In den vergangenen Jahren gab es bei Karin Beiers Stück ja eine ganze Hundemeute. Diesmal blieb es auf drei Hunde des Königs Gunther beschränkt. Es gab für diese „Rollen“ ein richtiges Hunde-Casting, wo viele Hundebesitzer verschiedenster Rassen erschienen waren. Wedel war sehr ernsthaft bei der Auswahl, die wuchtige Dogge „Einstein“, die das Herz der Schauspieler sofort eroberte, war ihm zu „wuchtig“, die knuffigen Malteser waren ihm zu „süß“ und die Windhunde zu „edel“. In die engere Wahl kamen zwei Dobermänner („Attila“ und „Zora“ von Manuela Scheibs aus Biblis) und zwei Ridgebacks.(„Muffin“ und „Julius“ von Mareike Rosner-Groll aus Worms). Alle vier waren bei den Proben dabei, welche drei dann auf der Bühne letztlich standen, entzieht sich meinem Wissen. Und die Besitzer durften ihre Hunde auch auf die Bühne begleiten und als Statisten mitspielen.

Weber, David – Windreiter, Der (Schwerter des Zorns 3)

Mit „Der Windreiter“ setzt der gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbundene Autor David Weber seinen „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus fort. Das Original „Wind Rider’s Oath“ wurde für die deutsche Übersetzung in die Einzelbände „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ aufgeteilt.

Der sture Hradani-Barbar Bahzell Bahnakson erkämpfte sich in den ersten beiden Bänden der Serie die Achtung des Kriegsgottes Tomanâk, wurde gar zu einem seiner Paladine und bewahrte seine Heimat vor einem Krieg mit dem Reitervolk der Sothôii. Gegen alle Widerstände und Vorurteile auch in den eigenen Reihen (Hradani sind nicht ganz zu Unrecht als blutrünstige Barbaren bekannt, außerdem essen sie Pferde, was den Sothôii ein Gräuel ist) konnte er viel Unheil verhindern und sich behaupten, doch die bösen Götter Norfressas greifen nun zu subtileren Mitteln und greifen an mehreren Fronten an. Ausgerechnet der „pferdefressende“ Hradani Bahzell muss sich mit den Sothôii auseinandersetzen, deren von ihnen verehrte magische Rösser, die Windreiter, von einem unbekannten Feind gejagt werden. Kaeritha hingegen wird von Tomanâk zur Untersuchung von Rechtsstreitigkeiten der Kriegsbräute Lillinaras im Reich der Axt geschickt, hinter denen sich weit mehr als nur ein juristisches Problem steckt …

Bahzell ist ein Barbar im Stile Conans, jedoch mit einem gutmütigem Humor gesegnet, was sich auch in seinen Dialogen widerspiegelt. Egal, ob er mit dem Kriegsgott Tomanâk selbst oder seinem Freund Brandark spricht, sie sind stets eine gelungene Mischung aus an David Eddings erinnernder Schnoddrigkeit und Gutmütigkeit, gepaart mit dem passend rauen, herzlichen Humor der Hradani-Barbaren.

Standen in der umfangreichen und detaillierten Fantasywelt Norfressa, in der sich Zwerge, Elfen und Halbelfen (genannt „Rote Lords“) sowie das Reitervolk der Sothôii neben den barbarischen Hradani tummeln, im Vorgängerband „Der Kriegsgott“ neben dem Kampf gegen dunkle Götter und ihre Schergen die Überwindung von Vorurteilen im Mittelpunkt, wendet sich Weber in diesem Doppelband den an Amazonen erinnernden Kriegsbräuten der Lillinara sowie den magischen Rössern der Sothôii, den Windrennern, zu.

_Die Windrenner_

Die Windrenner sind den für ihre leichte Kavallerie berühmten Sothôii heilig. Die intelligenten Pferde leben in Herden auf den weiten Ebenen und kehren im Winter in der Art von Ehrengästen an den Höfen der Sothôii Fürsten ein. Körperlich größer und stärker, schneller und ausdauernder als normale Pferde, wählen sie sich ihre Reiter selbst aus. Diese können sich telepathisch mit ihrem Windrenner verständigen. Als Windreiter auserwählt zu werden, ist für jeden Sothôii die größte denkbare Ehre.

Das Konzept hinter dieser intelligenten Pferderasse ist eine vereinfachte Version der „Nighthorses“ in C.J. Cherryhs „Finisterre“-Zyklus, von dem Weber sichtlich inspiriert wurde. Wieder einmal spielt er mit Vorurteilen, denn gerade den aus dem Stamm der Pferdediebe stammenden Barbaren Bahzell ihren traditionellen Erzfeinden, den Sothôii, und ihren Windreitern zur Hilfe zu schicken, garantiert Konfliktpotenzial. Dieses wird jedoch bei weitem nicht ausgereizt wie in den vorherigen Bänden, stattdessen konzentriert sich Weber auf die Beschreibung der neuen Pferderasse. Kaerithas Abenteuer im Reich der Axt wird man erst im Folgeband lesen können.

Hier ist auch der große Haken dieses Buchs zu finden: Es endet in der Mitte abrupt mit der Heilung einer verwundeten Windrenner-Stute durch Bahzell. Die Aufteilung ist gründlich misslungen, denn so hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, bleibt völlig offen und es mangelt an Höhepunkten. So fehlt der Bezug zu Kaeritha und der ins Reich der Axt geflohenen Tochter Baron Trellians, die sich den Kriegsbräuten anschließen will, um einer politischen Hochzeit zu entgehen. Der Handlungsbogen um Selbstbestimmung und Emanzipation geht so völlig unter. Auch an der sonst üblichen und gelungenen Action wird diesmal leider arg gespart.

_Fazit_

Die Aufteilung hat diesem Roman schwer geschadet. „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ haben mit 351 beziehungsweise 366 Seiten fast nur die Hälfte des Umfangs der 559 Seiten von „Der Kriegsgott“. Die Handlung baut sich langsam auf und kommt erst im Folgeband in die Gänge, dessen Verständnis durch die Aufteilung erheblich erschwert wird. Die sieben Seiten lange Auflistung der wichtigsten Personen, die diesem Roman zusätzlich zu dem exzellenten Kartenmaterial und dem detaillierten Anhang zum kompletten griechisch-nordisch inspirierten Götterpantheon Norfressas hinzugefügt wurde, kann da leider auch nicht helfen.

Denn die sonst so zahlreichen humorvollen Dialoge Bahzells werden zugunsten einer Unzahl neu eingeführter und eher blasser Charaktere vernachlässigt, die schreckliche Bedrohung der Windreiter bleibt diffus. Dennoch ist dieser Roman lesenswert – man muss ihn nur zusammen mit dem Folgeband „Die dunkle Göttin“ lesen. Denn die neue Schwerpunktsetzung Webers auf Themen wie Emanzipation und Selbstbestimmung wird klarer und die Handlung unterhaltsamer, sobald sich der Handlungsstrang Bahzells mit dem der in diesem Roman nahezu nicht erwähnten Kaeritha im Reich der Axt verbindet.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Yoshida, Sunao / Kyujo, Kiyo – Trinity Blood 1

_Story_

In einer fernen Zukunft: eine feindliche Lebensform, eine moderne Variante des klassischen Vampirs, deren Ziele jedoch noch unklar sind. Der Vatikan ist die erste Instanz, die sich gegen diese neue Bedrohung aufzulehnen vermag und sie überhaupt erst erkennt. Und so wird von Rom aus der geheimnisvolle Pater Abel Nightroad entsandt, um die Gefahr zu analysieren und schließlich auch abzuwenden. Als Agent der Spezialeinheit Ax ermittelt er verdeckt gegen den zwielichtigen Graf Gyula Kádár, der in der Stadt Istvan sein Unwesen treibt und als Vorhut dieser Vampir-Spezies gilt.

Bei diesem Auftrag lernt Nightroad auch bei einem zufälligen Zusammenstoß die gläubige Schwester Esther und ihren Gefährten Dietrich kennen, die wegen ihrer grausamen Vergangenheit beide Rache an den Vampiren geschworen haben. In ihnen findet der Pater willkommene Verstärkung gegen den undurchschaubaren Grafen, ist aber schließlich doch auf sich alleine gestellt. Während Esther sich nämlich als zu schwach erweist, um sich gegen die ungerechten Begleiterscheinungen dieses Kampfes zu behaupten, entwickelt sich der verräterische Dietrich zu einem gefürchteten Gegner, dessen Motive ebenso rätselhaft sind wie die des Grafen. Und das macht das ungleiche Gefecht zwischen dem Vatikan und den befeindeten Vampiren nicht gerade leichter.

_Meine Meinung_

Mit „Trinity Blood“ beginnt dieser Tage eine neue Manga-Serie auf dem |Panini|-Sublabel |Planet Manga|, und dazu eine von Beginn an äußerst vielversprechende. Autor Sunao Yoshida hat mit dieser Serie eine etwas eigenwillige, teils auch humorvolle Vampirstory entworfen, bei der es direkt zum Auftakt schon ordentlich zur Sache geht und der Leser auch sofort mitten ins actionreiche Geschehen hineinbefördert wird, noch bevor er sich überhaupt mal ein Bild über die Rahmenbedingungen machen kann – und das ohne jegliche Hektik. Nicht schlecht, wird man denken, allerdings ist „Trinity Blood“ aufgrund ihrer vielfältigen Charaktere keine herkömmliche Vampir-Serie, sondern schon eine etwas verzwicktere Sache, die auf den ersten Blick leicht überschaubar scheint, im Nachhinein aber dann doch komplexer ist, als der Fortschritt der Handlung dies vermuten lässt.

Feststeht am Beginn lediglich, wie einzelne Rollen verteilt sind, und in diesem Sinne weiß der Leser erstmal nur, dass sich Nightroad als menschlicher Vertreter des Vatikans und Gyula als unbekannte, vampirische Macht gegenüberstehen. Doch was bezweckt der vermeintliche Schwächling Dietrich? Was steckt hinter der schüchternen Esther? Und wie ist ihre leidenschaftliche Hingabe zur Bischöfin zu verstehen, deren Tod sie völlig aus der Bahn wirft?

Ungeklärte Fragen gibt es bereits im ersten Band von „Trinity Blood“ genügend und ihre zwischenzeitlichen Lösungen sind auch durchaus befriedigend, lassen einen nicht schon am Anfang verwirrt und grübelnd zurück, obwohl sie eigentlich auch weiter offen bleiben. Der Autor macht dies äußerst geschickt, indem er Spannung kreiert, diese ausbaut, ihre Hintergründe kurzzeitig aufdeckt, aber auch weiterhin noch Hintertürchen offen lässt, die das Ganze nicht endgültig erscheinen lassen, was es ja dann auch nicht ist.

Lediglich ein Problem ergibt sich hieraus, und das sind die manchmal überzogenen Ausschmückungen der Szenarien. Aus dem stetigen Hin und Her ergeben sich vor allem im direkten Aufeinandertreffen von Gyula und dem Pater einige Längen, welche die Konfliktlösung nur sinnlos aufschieben, aber keine Gründe liefern, warum dies jetzt noch nötig ist. Jeder kündigt x-mal an, dass er sich des jeweils anderen jetzt entledigen wird, es kommt zu mehrfachen Kampfhandlungen, aber es passiert nichts Konkretes. Und das hemmt die Entwicklung des Plots doch ganz ordentlich. Erst zum Schluss hin, eigentlich erst mit dem sich langsam andeutenden Cliffhanger, erlangt Yoshida die vorab erzielte Spannung wieder zurück, kommt wieder deutlicher auf den Punkt und bringt der gesamten Geschichte auch das Potenzial zurück, das zwischenzeitlich ein wenig auf der Kippe stand.

Ganz zufrieden sein darf man wegen dieser etwas zu ausgiebig gestreckten Abläufe im dritten von insgesamt vier Kapiteln daher auch noch nicht mit „Trinity Blood“. Die Story ist interessant, ebenso die Charaktere, und man hat auch sofort den Eindruck, als würde der Autor von der ersten Seite an ziemlich zielgerichtet auf eine Entwicklung hinarbeiten. Doch er verliert für eine kurze Zeit die ansonsten sehr stringente Spur, zerrt so ein wenig an der Geduld und rettet sich durch einen dennoch befriedigenden Übergang geschickt über die Zeit, um zum Schluss dann wieder das Tempo zu steigern.

Keine schlechte Sache, klarer Fall, aber (zumindest gilt dies für den ersten Band) auch noch nicht das, was man einen überragenden Auftakt nennen darf. Dank der starken Zeichnungen, die besonders die Hauptfiguren sehr vielseitig und individuell erfassen, ist „Trinity Blood“ aber dennoch sehr zu empfehlen, nicht zuletzt, weil man innerlich weiß, dass in dieser Serie noch jede Menge Potenzial schlummert, das erst noch ausgereizt werden muss. Gerade erschien auch Teil zwei, dann wird man hierzu mehr sagen können.

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Arakawa, Hiromu – Fullmetal Alchemist 1

_Story_

Die beiden Brüder Alphonse und Edward Elric ziehen durch die Welt, um ihr alchemistisches Grundwissen noch weiter auszubauen. Während der eine unter dem Makel eines verlorenen Beins leidet, steckt der zweite in einer riesigen Stahlrüstung – beides Konsequenzen von Grenzübertretungen in ihrem Job als Alchemisten. Doch die jungen Männer haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, an ihrem Zustand etwas ändern zu können.

Zumindest Alphonse glaubt immer noch daran, dass er eines Tages wieder seine Rüstung ablegen kann, auch wenn er gemeinsam mit Edward schon nicht mehr ihre Mutter wiederbeleben konnte. Ein Problem haben die beiden jedoch: Wirklich überall, wo sie auftauchen, ist Ärger garantiert.

Vor allem Edwards Stellung als Staatsalchemist sorgt immer wieder für Unruhe, weil die Ganoven, die den ungleichen Brüdern begegnen, genau wissen, dass sie ihnen kaum gewachsen sind. Und so ist die Reise der beiden Alchemisten geprägt von Rangeleien, Hinterlisten und Schmierereien. Edward und Alphonse machen sich aber deswegen keinen Stress, denn wo ihre vermeintlichen Gegner ziemlich cool auftreten, sind die zwei Alchemisten noch einen ganzen Tick abgezockter …

_Meine Meinung_

Der Auftakt der neuen Manga-Serie „Fullmetal Alchemist“ ist recht ungewöhnlich ausgefallen. Zwei völlig obskure Typen ziehen umher, kämpfen in gewissem Sinne für Gerechtigkeit (oder besser gesagt gegen Ungerechtigkeit) und kümmern sich dann doch wieder um kaum etwas anderes als sich selbst.

Der erste Band ist in mehrere Kapitel unterteilt, die grundsätzlich für sich selber stehen könnten, aber auch in einem gewissen Zusammenhang zueinander stehen. Anders gesagt: Es gibt einen roten Faden, der die einzelnen Episoden zusammenhält, aber nicht notwendig verfolgt werden muss. Zu Beginn werden auch direkt die gesamten Eigenheiten der Handlung bzw. ihrer Charaktere offenbar. Große Klappe vs. große Klappe, sprich ständige Wortgefechte sind an der Tagesordnung, meist geführt vom Staatsalchemisten und Unruhestifter Nummer eins, Elric, der sich hier als Moralapostel aufspielt und einen betrügerischen Pater entlarven will – aber nicht mit aller Konsequenz.

Dieser Schein-Geistliche gibt vor, er könne Menschen wiederbeleben, allerdings wissen die beiden aus eigener Erfahrung, dass dies nicht möglich ist. Mit dem Grundwissen der Alchemie ausgestattet, bekämpfen sie seine Theorien, leisten permanent Widerstand, rufen den Zorn des Paters und seiner verbrecherischer Helfershelfer auf sich herab. Und urplötzlich bekommen die beiden auch Anerkennung bei den Bürgern der Stadt, doch bevor ihnen dies nahe gehen kann, lassen sie die Leute dort wieder mit ihren Problemen links liegen, selbst ein Mädchen, das sehr großes Vertrauen in den Pater gesetzt hat und nun dringende Unterstützung braucht.

Im nächsten Abschnitt wollen Alphonse und Edward eigentlich nur einen Zwischenstopp in einem Gasthaus machen, bekommen sich aber – wieder mal wegen der Position des Staatsalchemisten – mit den Eignern in die Wolle. Dann aber lernen die beiden den Grund für den dortigen Unmut kennen. Der korrupte Leutnant presst haufenweise Steuergelder aus den unschuldigen Bürgern heraus, muss aber einlenken, als er die beiden Elric-Brüder antrifft. Diese nämlich haben sich schon einen Plan zurechtgelegt, wie sie in der Ortschaft wieder für Gerechtigkeit sorgen und den falschen Politiker überlisten können.

Im letzten Kapitel kämpfen die Elric-Brüder gegen eine Bande von Geiselnehmern an, die zudem einen ganzen Zug in Beschlag genommen haben. Gewieft wie immer setzen sie sich zur Wehr und sprengen die Situation mit taktischer Raffinesse und einer guten Spürnase.

Insgesamt sind alle drei Geschichten ziemlich stark und bieten kurzweilige, teils auch sehr humorvolle Unterhaltung. Lediglich im letzten Teil namens „Kampf im Zug“ gerät die Action zu Ungunsten der Spannung ein wenig außer Kontrolle, was aber ebenfalls durch viele lustige Szenen und Dialoge wieder locker ausgemerzt werden kann. Dies ist auch der mitunter wichtigste Aspekt dieser frischen Serie: Es ist leichte Kost, hat aber trotzdem von allem etwas und ist überdies auch sehr ausgewogen. Und noch viel wichtiger: Die Charaktere sind echt sympathisch, cool und fördern den Spaß umso mehr.

„Fullmetal Alchemist“ ist sicherlich kein innovativer Überflieger in seinem Genre, aber eine echte Bereicherung. Das kann ich zumindest für den ersten Band unterschreiben. Die beiden Elric-Brüder haben Witz und sind super illustriert, soll heißen, auch die Rahmenbedingungen stimmen. Auf den Punkt gebracht, heißt dies, dass der Einstand absolut gelungen ist und man auf jeden Fall noch einiges von dieser Serie erwarten darf. Die Fortsetzung folgt im November 2006. Hoffentlich dann auch wieder mit so lässigem Manga-Entertainment.

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W. J. Stuart – Alarm im Weltall

stuart-alarm-im-weltall-cover-kleinEine Suchaktion führt den Raumkreuzer C-57-D auf den Planeten Altair 4, doch der einzige Überlebende eines vor Jahren dort havarierten Forschungsschiffs will gar nicht gerettet werden. Statt Dankbarkeit erwartet die Ankömmlinge ein unsichtbares Ungeheuer, das sie in Stücke reißen will … – Angelehnt an Shakespeares Drama „Der Sturm“ entstand dieses solide geschriebene und übersetzte Buch zum Filmklassiker von 1956, das sich erstaunlich spannend und wie ein Kompendium der Science Fiction seiner Entstehungszeit liest.
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Lukianenko, Sergej – Wächter des Zwielichts

Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390

Sergej Lukianenko lädt uns in seinem dritten Teil der Wächter-Serie erneut dazu ein, mit ihm die verschiedenen Schichten des Zwielichts zu erkunden. Dieses Mal werden wir mit den Anderen bis in die fünfte Schicht des Zwielichts eintreten, die wir bislang nie kennen lernen durften. Ins Zwielicht können nur die so genannten Anderen eintreten, nämlich Menschen mit besonderen Kräften. Die Anderen teilen sich in die Dunklen und die Lichten ein, die einst einen Waffenstillstand geschlossen haben, der nun von der Tagwache und der Nachtwache kontrolliert wird. In diesem Waffenstillstand müssen sich die Kräfte der beiden Wachen stets ausgleichen, doch haben bereits die ersten beiden Bände der Wächter-Serie gezeigt, dass dieses Kräftegleichgewicht mehr als wackelig ist. Im vorliegenden Teil geht es jedoch nicht so sehr um die Zwistigkeiten zwischen den beiden Wachen, sondern um den Konflikt zwischen Menschen und Anderen, denn was sind überhaupt Andere? In diesem Buch verrät es uns Sergej Lukianenko …

_Tritt ein ins Zwielicht_

Im dritten Teil steht erneut der Lichte Anton im Mittelpunkt, mit dem in „Wächter der Nacht“ einst alles begonnen hat. Anton lebt inzwischen mit der mächtigen Anderen Swetlana zusammen, die ihm zuliebe aus der Wache ausgetreten ist. Die beiden haben eine kleine Tochter zusammen, deren Schicksal im ersten Teil bereits vorbestimmt worden ist und die voraussichtlich die mächtigste Andere aller Zeiten werden wird. Während Anton von seinem Chef Geser zu einem Auftrag weggeschickt wird, verbringt Swetlana mit ihrer Mutter und ihrer Tochter ihren Urlaub und fürchtet gleichzeitig um Antons Leben, da sie in die Zukunft schauen kann und spürt, dass er in eine Falle tappen könnte.

Mysteriöse Dinge sind aufzudecken, denn die beiden Moskauer Wachen und auch die Inquisition haben Briefe erhalten von jemandem, der sie darüber hinformieren will, dass ein Anderer einem Menschen alles über die Anderen verraten hat und diesen Menschen zu einem Anderen machen will. Wer hat aber diese Briefe geschrieben, denn die Adresse der Inquisition kennen alleine Geser und Sebulon?! Anton geht dem auf den Grund und trifft dabei auch auf seinen alten Freund Kostja, der inzwischen zu einem hohen Vampir geworden ist. Aber auch die Inquisition ist wieder durch einige Magier vertreten, um herauszufinden, wer einen Menschen zu einem Anderen machen möchte.

„Wächter des Zwielichts“ teilt sich wie schon die Vorgänger in drei Geschichten ein, die in diesem Fall allerdings eng miteinander verknüpft sind und immer Anton als Bezugsperson haben. Nachdem die mysteriöse Geschichte um die anonymen Briefe gelöst ist, fährt Anton nämlich zu Swetlana und seiner Tochter und trifft dort im Urlaub auf eine überaus mächtige Hexe, die sich jedoch nie hat registrieren lassen. Schon gehen die Ermittlungen also weiter, sodass Anton keinen Urlaub haben wird.

_Die faszinierende Welt der Anderen_

Sergej Lukianenko hat mit seiner Wächter-Serie eine Geschichte erschaffen, die auch weit über Russland hinaus erfolgreich ist, und dies nicht ohne guten Grund. Lukianenkos Welt der Anderen ist einfach nur faszinierend. Obwohl die Idee an sich einfach ist und wir Magier, Vampire und Werwölfe schon aus zahlreichen anderen Romanen kennen, hebt Lukianenko sich dennoch von der Masse der Fantasy-Schreiber positiv ab. Unter anderem liegt das darin begründet, dass seine Zeichnungen nicht schwarz-weiß sind. Die Lichten sind zwar die offiziell Guten und die Dunklen die Bösen, doch haben wir bereits in den ersten beiden Teilen der Wächter-Reihe gelernt, dass auch die Lichten ihre dunklen Seiten haben und sogar der mächtige Geser, der die Nachtwache anführt, immer wieder neue Intrigen spinnt und seine eigenen Wächter für seine egoistischen Zwecke benutzt oder sogar missbraucht.

Dass der Leser dennoch eher mit den Lichten mitfiebert als mit den Dunklen, liegt sicherlich in der Person des Anton begründet, der immer wieder auftaucht und in einigen der Geschichten unsere Bezugsperson ist, die wir auf Schritt und Tritt begleiten. Anton wird zu einem guten Bekannten, der uns nur allzu menschlich erscheint. Antons Schicksal ist dadurch vorbestimmt, dass er nie ein ganz mächtiger Anderer werden wird, immer wird er im Schatten seiner Freundin Swetlana stehen, die schon jetzt mächtiger ist als er. Aus Liebe zu Anton ist Swetlana zwar aus der Wache ausgetreten, dennoch nagt es immer wieder an Anton, dass sowohl Swetlana als auch seine Tochter über höhere Kräfte verfügen werden als er selbst. Dass dies Antons Stolz verletzt und ihn an sich selbst zweifeln lässt, ist nur natürlich, auch wenn sich Antons Zorn dadurch oft genug gegen seine eigene Freundin richtet, die ihn in dieser Hinsicht immer wieder übertreffen wird. Wir lernen im Laufe der Erzählung immer neue Seiten von Antons Charakter kennen, der für uns dadurch immer vollständiger wird. Doch das Schicksal hält auch für Anton dieses Mal noch einige Überraschungen bereit, die ihn einen großen Schritt nach vorne machen lassen.

Ein sehr interessanter Konflikt ist in „Wächter des Zwielichts“ der zwischen Anton und seinem früheren Nachbarn Kostja, der zu einem mächtigen Vampir aufgestiegen ist. Anton weiß, auf welche Weise ein Vampir zu solcher Macht gelangt, nämlich dadurch, dass er Menschen aussaugt. Aus Angst vor den möglichen Enthüllungen ist Anton daher bisher davor zurückgeschreckt, Kostjas Akte zu lesen, in der festgehalten ist, wie viele Menschen zu seinen Opfern geworden sind. Obwohl Anton und Kostja auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sie ihre frühere Freundschaft noch nicht vergessen und hängen daher ihren eigenen wehmütigen Erinnerungen nach. Lukianenko nutzt diese alte Freundschaft aus und spinnt darum einen Konflikt, der in „Wächter des Zwielichts“ zu weit reichenden Konsequenzen führen könnte.

_Faszinosum Lukianenko_

Sergej Lukianenko spinnt in diesem dritten Band „Wächter des Zwielichts“ seine Geschichte der Anderen weiter und bedient sich wieder seiner erfolgversprechenden Elemente: Auch in diesem Teil streut Lukianenko Gerüchte und Verdachtsmomente ein, die die Protagonisten, aber auch die Leser zum Nachdenken bringen. Besonders Geser und Sebulon bleiben in ihrer Charakterzeichnung stets undurchsichtig, auch wenn Sebulon in diesem Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt. Immer wieder gibt es Momente, in denen die anderen das Gefühl haben, dass jemand hinter all den mysteriösen Ereignissen steckt, der eigene Ziele verfolgt und die Anderen dafür missbraucht. Aber Lukianenko lässt uns stets so lange wie möglich im Unklaren, sodass genug Gelegenheit bleibt, eigene Vermutungen anzustellen. Durch diese „Hinhaltetaktik“ animiert uns Lukianenko natürlich dazu, seine Geschichte immer weiter zu verfolgen und seine Bücher weiter zu lesen, da wir auf eine echte Aufklärung für manche Geschehnisse hoffen, die bislang ausgeblieben ist.

Wie schon in den beiden ersten Bänden der Wächter-Reihe ist auch „Wächter des Zwielichts“ in drei Geschichten unterteilt, die jeweils ein anderes „Problem“ thematisieren, doch in diesem Buch sind die Geschichten eng miteinander verwoben und gehen direkt ineinander über. Es sind keine Zäsuren eingebaut, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Die Lektüre erleichtert uns Lukianenko dieses Mal dadurch, dass stets Anton im Mittelpunkt steht und wir uns nicht immer neue Figuren kennen lernen, wie es im zweiten Teil „Wächter des Tages“ der Fall gewesen ist.

Lukianenko ist inzwischen zu einem Faszinosum geworden, seine Bücher verkaufen sich auch in der westlichen Welt hervorragend, sodass sicherlich schon wieder zahlreiche Buchfans sehnsüchtig auf die „Wächter der Ewigkeit“ warten, also auf den vierten Teil der Reihe. Lukianenko hat eine fantastische Welt geschaffen, in der Menschen und Andere zusammenleben, und in diesem dritten Teil wagt Lukianenko erstmals eine Erklärung, was Andere überhaupt sind. Dabei bedient er sich einfacher Grundsätze der Thermodynamik, die ich hier etwas merkwürdig fand, aber glücklicherweise hält er sich mit physikalischen Spekulationen weitgehend zurück, sodass man darüber hinwegsehen kann. Wer also wissen möchte, was Lukianenko sich unter den Anderen vorstellt, sollte unbedingt zu den „Wächtern des Zwielichts“ greifen.

_Und wieder heißt es warten_

Ungeduldig habe ich auf das Erscheinen des dritten Teils der Wächter-Reihe gewartet, doch habe ich es wieder nicht geschafft, den Lesegenuss hinauszuzögern. Dies macht Lukianenko praktisch unmöglich, da er genau an den richtigen Stellen Cliffhanger einbaut und seine Hauptfiguren immer wieder in gefährliche Situationen geraten lässt, die dringend überwunden werden müssen. Das Erzähltempo in „Wächter des Zwielichts“ empfand ich als noch höher als bei den beiden Vorgängerbänden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten waren fließend, sodass ich dieses Buch praktisch nicht aus der Hand legen konnte, was mit Sicherheit aber auch auf die gelungene Figurenzeichnung zurückzuführen ist. Von allen auftretenden Figuren lernen wir neue Seiten und Eigenarten kennen, sodass sich langsam aber sicher ein immer detaillierteres Bild der Hauptcharaktere zusammensetzt.

„Wächter des Zwielichts“ überzeugt auf ganzer Linie und führt überzeugend fort, was Lukianenko in „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ bereits begonnen hat. Diese Wächter-Serie ist zu Recht so erfolgreich und ich warte schon jetzt wieder sehnsüchtig auf das Erscheinen der [„Wächter der Ewigkeit“! 3594

http://www.heyne.de
http://lukianenko.ru/eng/

|Anm.: Zuvor erscheint bei Heyne Anfang 2007 noch die 700-seitige Space-Opera [„Spektrum“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453522338/powermetalde-21 Man darf gespannt sein.|

Connelly, Michael – Vergessene Stimmen

Nach drei Jahren Pension nimmt Hieronymus „Harry“ Bosch wieder den Dienst für das Los Angeles Police Department auf. Nachdem sich seine ehemalige Partnerin Kizmin Rider eindringlich für ihn eingesetzt hatte, holte ihn der neue Polizeichef zurück. Bosch und Rider arbeiten nunmehr für „Offen-Ungelöst“, eine Unterabteilung der Mordkommission, die sich mit ungelösten Kapitalverbrechen der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Mordfälle blieben seit 1960 im Großraum Los Angeles ungesühnt – eine Zahl, die Bosch tatendurstig zu senken gedenkt.

Sein erster Fall scheint einfach: 1988 wurde die 16-jährige Rebecca Lost erschossen in der Nähe ihres Elternhauses gefunden. Die Tatwaffe lag neben der Leiche; der Hahn hatte ein Stückchen Menschenhaut abgerissen, die möglicherweise dem Mörder gehörte, was mit den zeitgenössischen Untersuchungsmethoden indes nicht hatte geklärt werden können. Seither hat die Kriminalistik vor allem im Bereich der Identifikation per DNS gewaltige Fortschritte gemacht. Die konservierte Probe wurde neu untersucht, die Ergebnisse durch neue Datenbänke gejagt. Ein Name wurde ausgespuckt: Der Hautfetzen gehört Roland Mackey, einem kleinkriminellen Drogenabhängigen mit reicher Knasterfahrung, die indes Gewalt bisher nicht einschloss.

Bosch hat kein gutes Gefühl; nach seiner Erfahrung passt Mackey nicht ins Täterprofil. Stattdessen lässt die Ermittlung einen monströsen Fall von „High Jingo“ zu Tage treten: eine Verschwörung krimineller Polizisten in hohen Rängen, unter denen sich ausgerechnet Chief Deputy Iverson, Boschs alter Intimfeind, befindet. Als der längst begraben geglaubte Lost-Fall in gesamter Breite aufgerollt wird, reagiert man ‚oben‘ erst nervös und beginnt dann, die ganze Macht des Departments gegen Bosch aufzuwenden …

Wird ein Mordfall nicht binnen möglichst weniger Tage gelöst, beginnen die Spuren sich abzukühlen, die Ermittlungen geraten in Gefahr abzuirren und müssen schlimmstenfalls eingestellt werden: Der Fall ist „kalt“ geworden, die Beweismittel verschwinden in einer großen Kiste und verstauben in einem Lager, wo in Sachen Gerechtigkeit die Zeit buchstäblich stehen bleibt. Die Polizei hasst diese Fälle, denn nehmen sie an Zahl allzu stark zu, erregen sie die Aufmerksamkeit nicht unbedingt wohlmeinender Kritiker.

In seinem neuen Fall öffnet nun ausgerechnet Harry Bosch eine dieser „kalten“ Zeitkapseln. Wie sich herausstellt, ist dieser Temperaturangabe keineswegs zu trauen: Ein Mord beendet zwar das Leben eines Menschen, doch sind da die Familie, Freunde, Kollegen. In Fällen gewaltsamen Todes konservieren die Hinterbliebenen Empfindungen wie Entsetzen, Trauer und Zorn perfekt unter einer dünnen Schicht seelischer Asche. „Vergessene Stimmen“ schildert nicht nur die Geschichte einer kriminalistischen Ermittlung, sondern thematisiert auch die Folgen einer Tragödie, die eben nicht vergessen wird: Die Toten sprechen mit den Stimmen derjenigen, die sie zurücklassen.

Zuverlässig verschmilzt Michael Connelly die beiden Komponenten zu einem rasanten Thriller mit Tiefgang. Nachdem der Autor zuletzt mit seinem Helden experimentierte, indem er u. a. die Erzählperspektive wechselte (s. u.), kehrt er zur bewährten Form zurück. „High Jingo“ heißt ein Großkapitel des vorliegenden Romans. Dies ist Polizeijargon für ein Komplott in der Führungsspitze: Hochrangige Beamte missbrauchen ihre beträchtlichen Kompetenzen, um eigene Verbrechen oder kriminelle Taten politischer Verbündeter zu decken.

Ermittlungen in diese Richtung sind für einen Detective wie Bosch, der recht weit unten in der Hierarchie steht, verständlicherweise eine brandgefährliche Sache. Korrupte Polizisten müssen besonders harte Strafe gewärtigen, was sie antreibt, bis zum Äußersten zu gehen, wenn sie aufzufliegen drohen. Verfügen sie gleichzeitig über entsprechende Macht, brechen für den Ermittler harte Zeiten an. Harry Bosch ist notgedrungen ein „High Jingo“-Experte. Schon mehrfach hat er sich den Zorn krimineller Vorgesetzter zugezogen, waren Karriere und sogar Leben in Gefahr. „High Jingo“ war mit ein Grund für Boschs Kündigung.

In gewisser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte also. Trifft dies auch auf Connellys Bosch-Serie zu, die immerhin in die elfte Runde geht? Glücklicherweise nein, denn die Zeit ist nicht stehen geblieben. Der Kunstgriff, Bosch für einige Jahre aus dem Polizeidienst zu nehmen, gestattet die Konfrontation des Helden mit einem System, das sich entwickelt hat. Das „neue“ LAPD muss Harry Bosch – zusammen mit dem Leser – erst kennen lernen; geschickt baut Connelly einige Szenen in die Handlung ein, die den Detective merken lassen, dass er Rost angesetzt hat.

Dennoch ist Harry Bosch definitiv zurück – nicht nur als zentrale Figur einer der besten Serien des modernen angelsächsischen Kriminalromans, sondern vor allem als Cop mit Dienstmarke und –waffe. Drei Jahre bzw. zwei Romanlängen war Bosch „draußen“; zermürbt von polizeiinternen Querelen und ausgebrannt von zu viel hautnah miterlebter alltäglicher Gewalt. Doch rasch wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Zwar ging er als Privatdetektiv weiterhin auf Mörderfang, aber er vermisste die Vorrechte und Möglichkeiten, die ihm der Polizeidienst sicherte. Ohne blieb er eingeschränkt und angreifbar – ein zahnloser Tiger, dem mehr als genug Zeit blieb, sich seinem komplizierten Privatleben zu widmen.

Der Harry Bosch dieser Phase berichtete in der „Ich“-Form über seine Erlebnisse. So erhielten die Leser auch einen tieferen Einblick in das Seelenleben dieser Figur, was ihr nicht zwangsläufig gut bekam, weil darüber verloren ging, was die eigentliche Attraktivität der Harry-Bosch-Reihe ausmacht: die Verzahnung zwischen Polizeiarbeit und aktuellem Tagesgeschehen, wobei ein Mordfall als roter Faden dient, der tief in gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen ausläuft.

Auch in der Welt des Hieronymus Bosch heilt die Zeit manche Wunde. Ein neuer Besen kehrt im LAPD, und für Bosch, den Ermittler mit eindrucksvoller Erfolgsquote, gibt es eine ideale Aufgabe – er versucht sich an Fällen, die nie geklärt werden konnten; ein angenehmer Nebeneffekt, so denkt der Polizeichef, ist die Tatsache, dass Bosch bei diesen Ermittlungen niemandem auf die Füße treten kann.

Womit er sich natürlich getäuscht hat, was er nach seinem einleitenden Vortrag selbst hätte wissen müssen, hat er doch selbst betont, dass die Stimmen der Toten nicht überhört werden können. Bosch nimmt ihn beim Wort, gräbt gewohnt tief – und fördert zu Tage, was mancher Zeitgenosse buchstäblich begraben glaubte und gern weiterhin begraben sähe. So beginnt der alte „High Jingo“-Tanz erneut, den Bosch mindestens ebenso liebt wie die Polizeiarbeit: der Kampf mit dem Apparat bzw. mit denen, die das System korrumpieren und unterminieren.

Die Randfiguren erleben neuerlich einen Wechsel. Bosch-Kumpel Edgar, der sich ihm in den Jahren als Privatdetektiv eng angeschlossen hatte, rückt in den Hintergrund. Kiz Rider, die weiblich, schwarz und lesbisch und auf diese Weise gleich dreifach diskriminierenden Attacken ausgesetzt ist, steht Bosch dagegen wieder zur Seite (soweit dies möglich ist; Bosch wird nie wirklich ein Teamspieler sein). Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil es in „Vergessene Stimmen“ auch um das hässliche Thema Rassismus geht. Bosch gerät tief in den Sumpf faschistoider „Kämpfer für ein weißes Amerika“, die in ihrer bornierten Bösartigkeit vor keinem feigen Anschlag auf alle, die nicht „arisch“ sind wie sie, zurückschrecken.

Viel Arbeit also für Harry Bosch. Nur halbwegs spöttisch nennt er sich einen „Missionar“ und „Kreuzritter“. In gewisser Weise ist er das wirklich. Dass er in dieser Rolle nicht lächerlich wirkt, verdankt er seiner Aufrichtigkeit, die verknüpft ist mit persönlichen Schwächen. Nach vielen Jahren ist in Bosch immer noch der Soldat, der voller Angst aber entschlossen in den Erdhöhlen des Vietcong um sein Leben kämpfte. Er wird es hoffentlich noch weitere Jahre bleiben.

Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. (2006 erschien eine Auswahl in Buchform unter dem Titel „Crime Beat. A Decade of Covering Cops and Killers“ – ein Werk, das übersetzt hoffentlich ebenfalls seinen Weg nach Deutschland findet.) Nach einigen Jahren heuerte die |Los Angeles Times|, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.

Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. [„Schwarzes Echo“), 958 den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.

Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.

S. L. Viehl – Stardoc – Die Seuche (Band 1)

Story

Dr. Cherijo Grey Veil, Tochter des angesehenen und berühmten Joseph Grey Veil, möchte nur noch fliehen. Weg von Terra, und vor allem weg von ihrem tyrannischen Vater, dessen Einfluss sie nicht mehr länger ertragen kann. Während eines Bar-Besuchs lernt sie den Piloten Dhreen kennen, der mit seinem Schiff alsbald nach Kevarzangia Zwei reist und anbietet, die junge Ärztin mitzunehmen. Cherijo willigt ein und startet gemeinsam mit ihrer Hauskatze Jenner auf dem Kolonieplaneten ein völlig neues Leben.

S. L. Viehl – Stardoc – Die Seuche (Band 1) weiterlesen

Weber, David – Kriegsgott, Der (Schwerter des Zorns 2)

David Weber wird gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbunden, in „Der Kriegsgott“, dem zweiten Band der „Schwerter des Zorns“-Trilogie (der dritte Band wurde für den deutschen Markt zweigeteilt), entführt er seinen Leser jedoch in urig barbarische Fantasygefilde.

Bahzell Bahnakson, Prinz von Hurgrum, ist stark, sehr stark – und mit viel gutmütigem Humor gesegnet. Zwar ist der fuchsohrige (im wörtlichen Sinne!) Hradani-Barbar wie die meisten Conan-Archetypen nicht gerade der hellste, aber dafür ein ausgesprochen moralischer Charakter. Das muss er auch sein, denn am Ende des ersten Bandes „Der Schwur“ ist der sture Bahzell, wenn auch widerstrebend, zum Paladin des Kriegsgottes Tomanâk geworden.

Leider muss der jüngste und wohl auch starrsinnigste Paladin Tomanâks erkennen, dass er mit seinem Rang auch eine ganze Menge an Pflichten aufgebürdet bekommen hat. So ist er wie die anderen Paladine ein Führer des Ordens des Tomanâk, einer militärischen Organisation, die überall in Norfressa für das Gute streitet.

Doch der Orden ist selbstgefällig und eitel geworden, viel zu viele Ritter sind wie Vaijon von Almerhas, der stets in schillernder Wehr und voller Standesdünkel aufgrund seiner adeligen Herkunft droht, die nötige Demut und Bodenhaftung zu verlieren. Dass ein stinkender Hradani-Pferdedieb von Tomanâk selbst zum Paladin auserwählt wurde, ist für ihn und viele andere Ritter ein Schlag ins Gesicht. Kaeritha, der zweite Paladin, der das Kapitel aufsucht, entpuppt sich als eine ehemalige Bauerntochter. Die beiden Paladine haben einige Erziehungsarbeit zu leisten, bevor das Kapitel in die Schlacht ziehen kann. Die Intrigen der dunklen Götter sehen vor, die von internen Konflikten zerrissenen Hradani in einen Krieg mit den Sothôii, ihren Erzrivalen, zu verwickeln.

Hier zu vermitteln, strapaziert die beschränkten diplomatischen Fähigkeiten Bahzells auf das Äußerste, die kluge und besonnene Kaeritha ist ihm dabei eine große Hilfe.

_Vorurteile sind härter als stählerne Fäuste_

Dem Kriegsgott bereitet es offensichtlich großen Spaß, seinen jüngsten Paladin vor eine Aufgabe zu stellen, für die er so scheinbar gar nicht geeignet ist. Bahzell lernt Verantwortung für mehr als nur sich selbst zu übernehmen. Das Thema Vorurteile gegenüber anderen Rassen/Hautfarben oder gegenüber Frauen hat Weber bereits in der Honor-Harrington-Serie aufgegriffen, dieses Mal wird es jedoch vielschichtiger und interessanter behandelt als die recht eindimensionalen und groben Vorurteile der Graysons gegenüber Frauen.

Dabei zeichnet er die durch ihre Vorurteile geblendeten Charaktere differenzierter als sonst üblich, gute und böse Charaktere sind in dieser Saga sonst von vornherein klar definiert. Hier jedoch beschreibt er sehr interessante Entwicklungen, einige Figuren werden ihre Vorurteile überwinden und gar vom Saulus zum Paulus werden, während andere von ihnen zu an Verrat grenzenden Handlungen getrieben werden.

Wie bereits im ersten Teil spart Weber nicht mit gelungenen, humorigen Dialogen, die ein wenig an den schnoddrigen Stil von David Eddings erinnern, aber passend zu der Figur des starken Hradani und seines Freunds Brandark rauer, hart aber herzlich sind. Die Paladina Kaeritha trägt dazu ebenso ihren Teil bei, sie ist mehr als nur eine Quotenfrau. Interessant ist, dass Weber wie bereits im ersten Teil auf eine Liebesgeschichte völlig verzichtet, er belässt es bei sehr zart angedeuteten Romanzen.

Action und Abwechslung satt werden geboten. Von den Höhlen der technisch sehr bewanderten Zwerge über die weiten Ebenen der Sothôii und ihren mystischen „Windrenner“-Pferden bis hin zu den Kapiteln des Ordens des Tomanâk und den Tempeln dunkler Götter voller entsprechender Monstren reicht das Spektrum. Dabei präsentiert sich Bahzell nie so archaisch wie Robert E. Howards Ur-Conan; schwarze Magie, Blutlachen und abgetrennte Gliedmaßen und vom Kampfschweiß geschwängerte Luft gibt es dennoch reichlich.

Der Weltentwurf Webers ist detailliert und liebevoll. Zwar ist der Kampf guter Götter gegen böse Götter klischeehaft, aber das Götterpantheon ist umfangreich und sorgfältig geplant. Im Anhang befinden sind zahlreiche Karten der Welt Norfressa und eine Auflistung und Beschreibung aller ihrer Gottheiten. Auf einen historischen Abriss der Weltgeschichte, der zum Verständnis einiger Details nötig ist und im ersten Band geschildert wird, wurde leider verzichtet. Der Krieg der Götter wird von auserwählten sterblichen Stellvertretern wie den Paladinen Tomanâks und ihren dunklen Gegenspielern geführt, direktes Eingreifen ist den Göttern untersagt, sie wirken durch ihre Diener.

_Fazit_

Bahzell erlebt unterhaltsame und actionreiche Abenteuer in einer detaillierten und faszinierenden Fantasywelt, Esprit und Humor zeichnen ihn aus. Besonders gelungen sind die Dialoge des sturen Hradani mit seinem Freund Brandark, Kaeritha oder dem Kriegsgott selbst. Die Übersetzung von Wolfgang Thon ist sehr gut gelungen, leider haben sich wie in allen Bänden der Serie viele kleine Setzungsfehler eingeschlichen.

„Der Kriegsgott“ stellt gegenüber dem ersten Band „Der Schwur“ sogar noch eine Steigerung dar, und bereits diesen kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Brandis, Katja – Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker (Band 2)

Auf ihrer Website erzählt Katja Brandis, dass ihr neues Buch „Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ davon beeinflusst wurde, dass sie zum Zeitpunkt des Schreibens ein Buch über die amerikanische Geschichte gelesen hat.

Daraus ist schließlich das Grundkonzept von Dienern und Denkern in der Stadt Rhianna entstanden. Rhianna ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Fest für die Sinne, als Alena, Heldin des [ersten Bandes 2876 der „Feuerblüte“-Serie, mit ihren Freunden dort ankommt. Nachdem am Rande von Daresh, ihrer Heimat, die magische Grenze, die das Land abschirmt, gefallen ist, beschließt die wagemutige Schwertkämpferin zu erforschen, was jenseits von Daresh liegt.

Nach einer beschwerlichen Reise werden sie in der fremden Stadt nicht gerade freundlich empfangen. Im Gegenteil möchte man sie zuerst im Gefängnis versauern lassen, doch mit einer kleinen Kostprobe der magischen Kräfte von Jorak, einem gildenlosen Streuner aus der Stadt Ekaterin, der Alena im ersten Band kennen und lieben gelernt hat, erlangen sie genug Respekt des alten Stadtvorsitzenden Ydra, um wie Ehrengäste behandelt zu werden. Ydra sieht in Jorak sogar einen würdigen Nachfolger und er spinnt den jungen Mann, der nie ein Zuhause gehabt hat, weil keine Gilde ihn, der Eltern aus zwei verschiedenen der vier Gilden in Daresh hat, aufgenommen hat, so sehr ein, dass er nicht merkt, was in Rhianna wirklich läuft. Denn die Bewohner der Stadt leben in Saus und Braus und permanentem Müßiggang. Die Künste werden groß geschrieben und man fröhnt ihnen in verschiedenen Tempeln in der Stadt.

Doch wer ist dafür verantwortlich, dass alles so reibungslos und sauber läuft? Alena ahnt schnell, dass hier etwas nicht stimmt. Die gleichgültig wirkenden Diener, Miks genannt, werden in ihren Augen ausgebeutet, damit die Denker ein schönes Leben haben. Zu spät merkt sie, wie die Herrschaftsverhältnisse wirklich sind …

Katja Brandis hat etwas verwirklicht, das man so nicht erwartete. Während der [erste Band 2876 der Triologie um die Schwertkämpferin Alena recht durchschnittlich und spannungsarm war, steigert sie sich mit „Im Reich der Wolkentrinker“ erheblich. Dichter und atmosphärischer ist die Schreibe dieses Mal und weiß dadurch eine Menge Spannung zu erzeugen. Der geschickte Schachzug, die Reisegesellschaft an einem gewissen Punkt zu trennen und sie mit unterschiedlichem Wissensstand in Bezug auf die Miks alleine zu lassen, sägt an den Nerven des Lesers, während er dem Showdown entgegenfiebert.

Die Figuren haben ebenfalls an Tiefe gewonnen, auch wenn ihr Potenzial noch nicht völlig ausgeschöpft ist. Es gefällt wirklich sehr, dass Alena, die im ersten Band noch ein ziemlicher Hitzkopf war, ihr Temperament mittlerweile im Griff hat. Die Bewohner der Stadt Rhianna sitzen zwar ein wenig in einem Schwarzweißraster und dieser Typ von Mensch, der vom prallen Leben so verwöhnt ist, dass er die Wahrheit nicht sieht, ist auch nicht gerade innovativ. Dieses Motiv war schon sehr oft da und Brandis lässt hier zu wenig eigene Ideen einfließen, auch wenn sie sonst beim Aufbau ihrer Welt überzeugen kann. Dieses Mal spielen zwar die vier Gilden aus Daresh, die immer einen Grund für Streitereien geben, nur eine untergeordnete Rolle, aber das Land hinter Daresh kann sich sehen lassen. Brandis füllt ihre Fantasywelt zwar nicht bis unter die Decke mit magischen Gestalten und Co., aber sie schafft ein gutes Gleichgewicht zwischen Fantasie und der Geschichte, die sie erzählen möchte.

Die Art und Weise, wie sie diese erzählt, hat sich entgegen der Verbesserungen nicht wirklich geändert. Sie sorgt zwar dafür, dass der Roman dichter wirkt, aber die Wortwahl, der Satzbau weisen noch immer keine Besonderheiten auf, die man in einer Rezension vermerken könnte. Der Schreibstil ist Mittel zum Zweck, mehr auch nicht.

Glück für Brandis also, dass ihr dieses Mal der Aufbau und die Personen besser gelingen, denn sonst hätte es wieder nicht so gut für sie ausgesehen. Trotzdem: Wenn ich richtig zähle, enthält eine Triologie drei Bände und wir sind ja erst bei Band zwei angekommen. Deshalb harren wir einfach der Dinge, die noch kommen. Im Fall von „Im Reich der Wolkentrinker“ hat sich das schließlich auch gelohnt.

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Niemann, Sebastian (Regie) / Alexander-Burgh, Eberhard (Buchautor) – Hui Buh – Hörspiel zum Film

Seit dem weltweiten Kinoerfolg der Bully-Produktion „Der Schuh des Manitu“ drehen die Medien immer völlig durch, wenn sich ein weiteres Comedy-Megaereignis anbahnt bzw. Herr Herbig wieder in einer solchen Produktion seine Finger im Spiel hat. Nach „Traumschiff Surprise“, der zweiten gefeierten Klamauk-Stafette des beliebten Entertainers, folgt nun drei Jahre später der nächste Film mit Bullys Beteiligung, und wieder ist der Rummel unheimlich groß. Dieses Mal hat man sich jedoch nicht an die Adaption eines cineastischen Kassenschlagers herangewagt, sondern stattdessen die beliebte Hörspiel-Reihe „Hui Buh“ mit einem frechen Kinostreifen bedacht. Parallel zum immer noch sehr angesagten Film erscheint über Hui Buhs Hauslabel |Europa| auch das zugehörige Hörspiel, womit sich der Kreis wiederum schließt.

_Story_

Hui Buh führt auf Schloss Burgeck ein herrliches Leben. Ungestört spukt er innerhalb der märchenhaften Gemäuer, wenn er nicht gerade seinen einzigen Weggefährten, den alten Kastellan, mit seinen Künsten beeindrucken will. Allerdings ist Hui Buh über sein Leben dennoch nicht sonderlich glücklich; zwar ist das Schlossgespenst das einzige seiner Art mit der Lizenz zum Spuken, aber aus unerfindlichen Gründen sind seine Aktionen bislang noch nie gruselig gewesen. Auch wenn der Kastellan sich Mühe gibt, sich von den zahlreichen Manövern des Geistes beeindruckt zu zeigen, erschrocken hat er sich in seiner gesamten Laufbahn als Königsdiener von Burgeck noch nicht.

Als eines Tages König Julius der 111. auf Burgeck auftaucht, ergibt sich für Hui Buh eine neue Chance, endlich doch noch seine Talente unter Beweis zu stellen, zumal das Gespenst überhaupt keine Sympathien für den Monarchen übrig hat. Dieser plant die Verlobung mit der liebreizenden Gräfin Leonora von Etepetete, und das schon bald, doch ausgerechnet das Schlossgespenst macht ihm hier einen Strich durch die Rechnung. Quasi als Racheakt verbrennt Julius die Lizenz seines neuen Feindes, ist sich allerdings nicht bewusst, was er damit anrichtet. Der unheimliche Daalor erscheint nämlich auf Burgeck und bedroht alle Bewohner des Schlosses. Nur mit vereinten Kräften kann es Hui Buh und Julius gelingen, den bösen Kontrahenten abzuwehren. Doch hierzu müssen sie erst einmal ihre Feindseligkeiten dem jeweils anderen gegenüber ablegen …

_Meine Meinung_

Bei der Betrachtung der Schauspieler, die an diesem modernen Märchen Anteil haben, kann man eigentlich schon davon ausgehen, dass die Kinofassung von „Hui Buh“ ein echter Knaller ist. Christoph Maria Herbst, Bully Herbig, Heike Makatsch und nicht zuletzt der mittlerweile verstorbene Hans Clarin haben sich bemüht, dem gruseligen Spaß ihren Stempel aufzudrücken, sind dabei aber leider (zumindest partiell) gescheitert. Nennen wir das grundlegende Problem direkt zu Beginn: „Hui Buh“ ist einfach nicht so lustig, wie man es eigentlich erwartet hätte. Hier ein flotter Spruch, dort ein paar fallende Gegenstände und der leider viel zu klischeegetriebene Aufguss einer „Gut vs. Böse“-Handlung sind die hauptsächlichen Merkmale des düsteren Familienkinos und enttäuschen die sehr hohen Erwartungen dann doch enorm.

Für meinen Geschmack liegt dies vor allem an der fehlenden Harmonie unter den Protagonisten. Damit meine ich jetzt nicht, dass die Schauspieler beim Dreh keinen Spaß hatten, das hatten sie nämlich ganz sicher, sondern eher, dass die Besetzung in dieser Form nicht so recht funktioniert. Zu viele starke Charaktere säumen das Bild, und jeder fordert seine Daseinsberechtigung. So ist die Produktion zum einen sehr stark auf Bully Herbig in der Doppelrolle Balduin/Hui Buh zugeschnitten, will aber auch dem trockenen Humor von Christoph Maria Herbst und dem kessen Auftreten einer Heike Makatsch gerecht werden. Und außerdem sind da ja auch noch Rick Kavanian und die Legende Hans Clarin, die ebenfalls Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Und leider Gottes funktioniert das nicht, wobei ich Herrn Herbst auch für eine Fehlbesetzung halte. Vielleicht sehe ich das zu engstirnig, aber für diesen Schauspieler sind derbe Rollen wie die des Büromiesmachers Stromberg tausendmal besser geeignet als die des jugendlichen Spaßmachers.

Nun, auf jeden Fall hat mich der Film schon im Kino nicht überzeugt, zum einen, weil die Story selbst für die vorgesehene Zielgruppe zu durchsichtig ist, und zum anderen, weil der Geist (nomen est omen) der bekannten Hörspiel-Serie hier in groben Zügen verfälscht wurde. Von der seltsamen Darstellung des Gespenstes mal ganz zu schweigen …

Damit wären wir beim Hörspiel angelangt, bei dem es sich um eine leicht gekürzte Fassung des Films handelt. Der Unterschied besteht hier weitestgehend darin, dass sämtliche Nebenschauplätze der Geschichte entfernt wurden, so zum Beispiel die bildliche Situationskomik oder die für die Entwicklung des Plots eher zweitrangigen Dialoge. Die Handlung wurde in 68 Minuten auf den Punkt gebracht, und dies von dem wunderbaren Erzähler Andreas Fröhlich (z. B. Dialogregie beim „Herr der Ringe“ und dort die Stimme von |Gollum| sowie |Bob Andrews| in „Die drei ???“), der seine Aufgabe hier entgegen des allgemeinen Gesamteindrucks wirklich fantastisch löst.

Ansonsten: Eine durchschnittliche Geschichte kann man kaum dadurch aufwerten, dass man sie kürzt, und da man im Film zumindest noch mal lachen durfte, wenn Hui Buh in alberner Manier durchs Bild huschte, gehen auch noch die wenigen wirklich guten Lacher verloren. Zurück bleibt lediglich eine sehr künstlich aufgebauschte, nicht allzu spektakuläre Geschichte, die auch von den großen Namen nicht gerettet werden kann. Gerade im Hinblick auf Bullys letzten beiden Leinwand-Volltreffer ist dies hier eine einzige Enttäuschung, bei der ich mir selbst beim ganz jungen Publikum vorstellen kann, dass sie nicht wirklich ankommt.

Schade drum, denn das Hörspiel ist an sich gut aufgemacht, enthält ein paar kurze Hintergrundinfos zu den einzelnen Figuren und fängt zumindest die Atmosphäre prima auf. Aber ebenso wenig wie Hui Buh zu spuken vermag, haut der Inhalt einen um. Weder im Kino noch auf dem silbernen Datenträger.

http://www.natuerlichvoneuropa.de/

Graf, Ric – iCool. Wir sind so jung, so falsch, so umgetrieben

Jedes Jahr beglückt uns die deutsche Literaturlandschaft mit einem neuen Gesicht in den Zwanzigern. Was mit Alexa Hennig von Lange und Benjamin von Stuckrad-Barre Ende der Neunziger seinen Anfang nahm, ist Leserealität geworden. Die jungen Wilden bestechen immer mit frechen Büchern zu letztendlich belanglos gewordenen Themen. Sie wecken auch Hoffnungen, die dann bitter enttäuscht werden. Erinnert sich noch jemand an Benjamin Lebert?

Ein ähnliches Buch wie dessen „Crazy“ hat jetzt ein einundzwanzigjähriger Berliner geschrieben. Ric Graf heißt er. Vor zwei Jahren hat er sein Abitur gemacht und vertrieb sich die Zeit danach mit Praktika, unter anderem bei Christoph Schlingensief, sowie mit zahllosen Partys. Ein Buch hat er auch geschrieben: „iCool“. In diesem kann man von Grafs Erfahrungen aus dem Zeitraum von Silvester 2004 bis Ende 2005 lesen. Es ist also kein Roman, vielmehr ein autobiografischer Text geworden. Nach der Lektüre von „iCool“ muss man allerdings feststellen, dass er nicht allzu viel erlebt hat.

Ric Graf nimmt uns mit in die pulsierende Partymetropole Berlin: Wir sitzen in den In-Cafés am Prenzlauer Berg und schlürfen Latte Macchiato oder stürzen in irgendwelchen Elektroclubs ab. Es wird viel geplaudert, geschluckt und die Nase hochgezogen. Ric Graf versucht, eine Generation zu portraitieren, der es an nichts mangelt, außer an Entscheidungsfreudigkeit und Idealismus. „Generation Praktikum“ nennt er sie in einem der besseren Momente des Buches, das sich insgesamt wie die Kolumne eines Berliner Szenemagazins liest.

Doch was bedrückt diese Generation? Während der Latte-Macchiato-Gespräche kommen viele Freunde Grafs zu Wort. Man redet vom Wunsch, berühmt zu sein, seinen Weg im Leben zu finden, über Sex und die nächste Party. Doch es ist nicht alles oberflächlich. Es zeigt sich, dass die Generation Praktikum trotz aller Mobilität und Möglichkeiten sich letztendlich nach Liebe und Sinn sehnt. Die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen am Leben (wenn man denn welche hat) und den Erwartungen der Eltern macht schwer zu schaffen und führt auch zum Scheitern: Ein Freund Grafs begeht nach abgebrochener Entziehungskur Selbstmord.

Es gibt aber auch Momente, an denen man glaubt, dass dieses Buch gar nicht für diese Generation geschrieben wurde. Zwar nimmt Ric Graf selbstbewusst das Wort „uns“ in den Mund und signalisiert damit, für sie zu sprechen, aber wenn er Begriffe wie Metrosexualität, Klingeltöne, Reality TV und Idole wie Shakira oder Pete Doherty erklärt, dann verstärkt sich der Eindruck, dass Graf eher zu der Elterngeneration spricht. Diese wird schockiert sein: Orientierungslosigkeit, Drogen und Sex in allen Lebenslagen werden auf offene Ohren stoßen.

Ebenfalls negativ auffallend ist das zum Teil altkluge Daherreden Grafs. Die Weisheit, dass jeder seine Jugend genießen sollte, und die Erkenntnis, dass Menschen unter dem Druck der Medien leiden und auf ihr Äußeres reduziert werden, ist längst nicht neu. Die Erzählweise könnte auch frischer, eben jugendlicher sein. Die Dialoge mit den Altersgenossen wirken doch sehr geschliffen und längst nicht so spritzig, wie man sie bei Hennig von Langes „Relax“ bestaunen durfte. Richtig ärgerlich wird das Buch dann, wenn ein Besuch bei Benni angekündigt wird und schließlich nur von Dennis geredet wird. Hier hat nicht nur der Autor, sondern auch das Lektorat schlampig gearbeitet.

Nun sollte ich als Rezensent nicht verschweigen, dass ich wie Graf zum Jahrgang 1985 gehöre. In der Gesamtheit der 200 Seiten habe auch ich mich wiedergefunden. Graf schafft es, wesentliche Probleme dieser Generation anzuschneiden. Es fehlt an Initiative und Idealismus, von einer Jugendbewegung ist keine Spur. Er vermisst diese ebenso wie ich. Doch für die präsentierten Erkenntnisse muss ich dieses Buch nicht lesen. Schön ist jedoch, dass Andere im selben Dilemma zwischen Party und Zukunft stecken. Leider unterhält mich das Buch auch nicht, weshalb ich eine Empfehlung für all jene aussprechen kann, die Eltern dieser Generation sind oder Zwanziger, die dringend nach Identifikation suchen. Vielleicht werden sie fündig werden, denn sicher ist auch, dass Graf bei der sich in unzählige Subkulturen teilenden Jugend nicht für alle sprechen kann.

http://www.rowohlt.de

Miller, Frank (Autor) / Mazzucchelli, David (Zeichner) – Batman (Das erste Jahr)

_Story_

Bruce Wayne ist seit dem Mord an seinen Eltern Vollwaise. Gleichzeitig ist er aber auch der reichste Mann der Stadt, was ihm sowohl zahlreiche Freunde als auch Feinde beschert. Bei seiner Rückkehr in die Verbrechermetropole Gotham City schwört er eines Tages Vergeltung für das Attentat auf seine Familie. Verkleidet als Dunkler Ritter Batman macht er schon bald Schlagzeilen, wird aber ebenfalls zum größten Feind des Police Departments, denn Batmans rätselhaftes Auftreten ist nicht zwingend der guten Seite zuzuordnen. Vor allem der neue Lieutenant Gordon beschäftigt sich ausführlich mit dem Phänomen Batman; er macht Jagd auf den Mann im Fledermauskostüm und versucht, mehr über seine Motivation in Erfahrung zu bringen. Erfolglos. Sowohl die Cops als auch die höherrangigen Beamten sind machtlos gegen Waynes zweites Gesicht, und obwohl sie einen dringenden Verdacht haben, wer hinter der Maske steckt, können sie dem Millionär nichts nachweisen.

Währenddessen hat Gordon aber auch noch mit seinen familiären Problemen zu kämpfen; seine Frau Barbara liegt von Depressionen gequält kurz vor der Entbindung schwanger im Hospital und gerät andauernd mit ihrem Mann aneinander. Der wiederum kann der Versuchung einer Affäre kaum noch widerstehen und gerät in einen moralischen Zwiespalt. Sein Leben scheint ihn zu überfordern, doch Gordon wehrt sich vehement dagegen. Schließlich gilt es, Batman dingfest zu machen und die korrupten Elemente innerhalb der Polizei zu entlarven …

_Meine Meinung_

Vor genau 20 Jahren, 1986, hatte Comic-Legende Frank Miller die Idee, Batmans Ursprungsgeschichte neu zu verfassen, und schrieb in Kooperation mit Zeichner David Mazzucchelli eine Art Tagebuch des Dunklen Ritters mit dem Titel „Das erste Jahr“. Im Original entstand dabei ein Vierteiler, der nun, wo eben jene Geschichte wieder mehrfach in den Fokus der aktuellen Ereignisse im DC-Universum gerät, nach etlichen Jahren neu aufgelegt wurde. In Deutschland erscheint die Serie sogar direkt als Sammelband und bildet als solcher eines der Highlights der diesjährigen Verlagssaison.

Miller konzentriert sich in seiner Fassung der Erzählung zugleich auf zwei verschiedene Charaktere, die sich in ihrer Zerrissenheit allerdings sehr ähnlich sind. Zum einen ist da natürlich Bruce Wayne, millionenschwerer Erbe mit unheimlich großen, bislang versteckten Kräften und einem arg zweifelhaften Ruf. Sein Geld ist beliebt, hält für den reichen Waisen aber auch alle Nebenerscheinungen bereit, die ein solch schweres Vermögen im ungünstigsten Fall mit sich bringt. Wayne ist ein arroganter Schnösel, hält sich für unantastbar und glaubt auch in seiner zweiten Haut als Batman, vollkommene Freiheit zu genießen. Er ist seinen Verfolgern zwar auch immer einen Schritt voraus und kann ihnen im direkten Kräftemessen auch immer Paroli bieten, lernt aber in seiner anderen Verkörperung auch seine Grenzen kennen und muss akzeptieren, dass er trotz seines Reichtums vor der Bedrohung der Unterwelt nicht sicher ist.

Fehlende Sicherheit ist auch eine Misere, von der Lieutenant Gordon befallen wird, sobald er seinen Job in Gotham City angetreten hat. Er ist ein Workaholic und als solcher von seinen Kollegen auch gefürchtet. Seine übergenauen Ermittlungen und der Erfolg im Kampf gegen das Verbrechen machen ihn auch in den Medien zum gefeierten Helden, senken seinen Status bei der Chefetage aber in gleicher Weise. Dort sind nämlich korrupte Persönlichkeiten an der Macht und decken die schmierigen Geschäfte ihrer Untergebenen, so dass Gordon trotz mehrfacher Beweise gegen Windmühlen ankämpft. Außerdem leistet er sich einen groben Fehler, als er seine Frau mit einer Kollegin betrügt, was natürlich nicht unbeobachtet bleibt und fortan als Druckmittel gegen ihn benutzt wird.

Das Leben dieser beider Männer wird in chronologischer Folge innerhalb eines Jahres beschrieben, und damit sowohl ihr Aufstieg als auch ihr Schicksal. Miller nimmt dabei jeweils die Perspektive der Protagonisten ein, schildert ihr Handeln und beschreibt ihre meist sehr persönlichen Gedanken, angefangen bei der stetigen Skepsis des Beamten bis hin zum immer kompromissloseren Erscheinungsbild Batmans. Dabei dringt er sehr tief in ihr Innerstes ein und entwickelt eine sehr dramatische Geschichte mit unsicherem, spannendem Verlauf und vielen genialen Ideen. Im Gegensatz zu Millers neueren Werken ist der Plot auch relativ simpel gestrickt und basiert auf einem temporeichen, stringenten Aufbau.

Unnötige Komplexität weicht einem Mehr an Action, die in diesem Fall sogar teilweise recht brutal ist, allerdings nie übertrieben dargestellt wird. Mazzucchelli konzentriert sich in den Zeichnungen nämlich auch auf das Wesentliche und erweist sich dabei als die perfekte Ergänzung zu Millers basischem Stil. Das düstere Gesamtbild, Millers Charakteristikum Nummer eins, prägt die Geschichte unheimlich und zehrt sehr stark von den oftmals enorm finsteren Zeichnungen. Diese sind ein perfekter Spiegel der Atmosphäre des Inhalts; bedrückt, düster, pessimistisch, aber doch sehr lebendig, oder um es auf den Punkt zu bringen: Hier ist alles miteinander im Einklang, weshalb man auch mit Fug und Recht von einem Klassiker reden darf.

Einer von vielen aus Millers reichhaltig bestückter Biografie, der nun endlich auch als gesammeltes Werk in Deutschland erhältlich ist. Fans des Autors erzähle ich sicher nichts Neues mehr, wenn ich sage, dass seine Geschichten durchweg genial sind. Wer den Autor solcher Serien wie „Sin City“ und „300“ indes noch immer nicht kennen und lieben gelernt hat, bekommt mit diesem Comic eine optimale Chance, Verpasstes nachzuholen und sich von Millers eigenwilliger Eleganz vereinnahmen zu lassen. Eine Chance, die man sich meines Erachtens keinesfalls entgehen lassen sollte!

http://www.paninicomics.de

Bill Curtsinger – Unter Wasser

Seit Jahrzehnten taucht Fotograf und Biologe Curtsinger vor allem in die kalten, dunklen Meere und Seen dieser Welt. Ihm gelangen Bilder von Tieren, die so noch niemand in ihrer natürlichen Umgebung sah. Haie, Wale und Robben aber auch scheinbar unspektakuläre Wesen wie Quallen, Schwämme oder Seeflöhe mutieren vor seiner Linse zu atemberaubenden Fabeltieren, die in kurzen, informativen Texten (Autor: ebenfalls Curtsinger) als integrale Bestandteile ihrer speziellen Ökosysteme beschrieben werden: sowohl ein Augenschmaus als auch ein Lesevergnügen.
Bill Curtsinger – Unter Wasser weiterlesen

Kuhn, Krystyna – Fische können schweigen

Was haben Fische und Tote gemeinsam? Sie können nicht reden. Und wer das nicht glaubt, der sollte Berit fragen, die Heldin aus Krystyna Kuhns Debüt „Fische können schweigen“.

Berit ist eine junge Illustratorin, die in Frankfurt wohnt und ihre Zeit momentan damit verbringt, ein dickes Fischlexikon mit Bildern zu versehen. Ein wenig Ablenkung von Fischmäulern und glitzernden Schuppen bietet eine Nobelparty bei ihrer Freundin Marlene. Deren Mann ist Leiter des Instituts für Biotechnologie Rhein-Main und dementsprechend sieht die Gesellschaft auf der Feier aus. Berits einziger verbündeter ist Ron, der so gar nicht wie ein Polizeikommissar wirkt, aber tatsächlich einer ist. Schwarze Haare, grüne Augen und ein Körper wie ein Gott – zu gerne lässt sie sich nach der Feier von ihm nach Hause chauffieren.

Doch auf halbem Wege bekommt Ron die Nachricht, dass am Mainufer eine Leiche gefunden wurde, und sie fahren dort vorbei. Berit kennt den Toten nicht, aber dieses Erlebnis lässt sie nicht los. Um ihren Frieden zu finden, fertigt sie eine Zeichnung des Toten an. Ron ist begeistert von ihrem Talent und benutzt das Bild, um es potenziellen Zeugen zu zeigen. Dadurch wird Berit in die Lösung des Mordfalls praktisch involviert. Zuerst hält sie es für eine nette Abwechslung (mit netten Nebenwirkungen namens Ron), doch als Ewa, Marlenes Hausmädchen, mit dem Berit sich angefreundet hat, ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wird, wird aus Spaß Ernst. Ewa hat Berit vor ihrem Tod noch ein paar rätselhafte Bilder anvertraut, und auch wenn Ron anderer Meinung ist, aber Berit glaubt, dass diese Bilder der Schlüssel zum Täter sind …

Kuhns erster Kriminalroman, dem mittlerweile weitere gefolgt sind, ist eine echte Überraschung. Die Protagonistin hat Tiefgang und ist sehr interessant. Man trifft schließlich nicht alle Tage jemanden, der ein Fischlexikon illustriert. Berit ist frech, neugierig und hat einen Hang, ihre Bilder zu spät abzugeben. Das alles macht sie sehr sympathisch, genau wie ihre Schwäche für Ron, der dafür, dass er Nebencharakter ist, auch sehr schön ausgearbeitet wurde.

Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass Berits Persönlichkeit dem Leser so nahe gebracht wird, dass man sie bereits vermisst, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Dass ein Charakter so beeindruckt, ist selten und sollte der Autorin hoch angerechnet werden.

Zu diesem Phänomen trägt sicherlich der kesse Schreibstil bei, der stellenweise etwas an die einschlägige Frauenlektüre à la von Kürthy erinnert. Allerdings bringt Kuhn einen so schwarzen Humor ins Spiel, dass dieser Eindruck schnell verfliegt. Sicher und mit vielen Metaphern, von denen allerdings leider nicht alle gelungen sind, schreibt die Autorin, auch wenn sie sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr mit unnötigen Einzelheiten aufhält, wie der Art und Weise, wie Berit ihre Zeitung liest.

Die Handlung weiß trotz der Dichte an Ereignissen und Spannung nicht ganz zu überzeugen. Gerade am Ende fährt sie doch etwas zu sehr in den Gewässern des Banalokrimis. Berit findet heraus, wer der Täter ist, und als sie nach Hause kommt, steht er in ihrem Zimmer, natürlich bewaffnet, und sie muss ihn so gut wie möglich ohnmächtig schlagen. So einen Abschluss hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankfurt gewesen? Ich bin mir sicher, dass sie sehr spektakulär geworden wäre, denn Kuhn lässt eine Menge Lokalkolorit in die Geschichte einfließen, was dem Buch einen authentischen Sockel verpasst.

Krystyna Kuhns Debüt macht Hunger auf mehr. Eine hochsympathische Protagonistin, frech und mit einer guten Portion Humor ausgestattet, trifft auf eine Kriminalhandlung, die spannend, gegen Ende aber ein wenig unglaubwürdig ist. Gewürzt mit dem Flavour Frankfurts entwickelt „Fische können schweigen“ einen Charme, dem man sich trotz der kleinen Schönheitsfehler nicht entziehen kann.

Fallon, Jennifer – Erbin des Throns (Die Chroniken von Hythria 1)

Elezaar ist gerade knapp einem Massaker entronnen. Was nicht heißt, dass er in Sicherheit wäre! Zwar ist es ihm gelungen, das Haus des Sklavenhändlers Venira zu erreichen, doch so lange er nicht an eine neue Familie verkauft ist, hat er keinen Beschützer. Da kommt es ihm gerade recht, dass Großfürst Lernen Wulfskling just eine passende Heirat für seine Schwester Marla aushandelt. Nur dumm, dass Marla auf ihrer Suche nach einem geeigneten Court’esa ausgerechnet Alija Aarspeer dabeihat …

Marla Wulfskling legt keinerlei Wert auf den Kauf eines Court’esa, denn der Mann, den ihr Bruder für sie ausgewählt hat, ist leider nicht der, in den sie sich gerade frisch verliebt hat. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – weckt Elezaar ihr Interesse, denn er hat offenbar mehr zu bieten als die üblichen Schönlinge, die nur fürs Bett gut sind. Zu Alijas Entsetzen entscheidet sie sich für den Zwerg …

Deshalb macht Alija ihrer naiven, dummen, romantischen, kleinen Nichte einfach den Court’esa Corin zum Geschenk. Sie braucht dringend einen Spion in Marlas Umgebung. Da von Marlas Bruder kein Nachwuchs zu erwarten ist, wird Marlas Erstgeborener der Erbe des Großfürsten sein. Wenn es nach Alija geht, wird Marla keinen Sohn haben, denn nur dann hat ihr eigener Mann Barnardo Aussichten, sich selbst den Thron zu sichern. Zu dumm, dass der Großmeister der Magiergilde von dieser Aussicht überhaupt nicht begeistert ist und mit allen Mitteln gegen sie arbeitet …

Kagan Palenovar ist zwar von der Aussicht, Marla mit dem König von Fardohnja zu verheiraten, keineswegs erbaut, doch ist ihm bisher kein besserer Gedanken gekommen, um den unfähigen Lernen auf dem Thron zu halten. Das aber will er unbedingt, denn die Alternative für Hythrias Thron wäre ein schwacher Dummkopf mit einer ehrgeizigen Zauberin an seiner Seite, und das erscheint ihm als das größere Übel …

Da stirbt Glenadal Ravenspik, der Kriegsherr der Provinz Morgenlicht, und setzt zu aller Überraschung seinen Stiefsohn Laran, den Kriegsherrn von Krakandar, zu seinem Erben ein. Plötzlich gibt es eine hythrische Alternative zu Hablet von Fardohnja! Doch die Partei Alijas weigert sich, einer solchen Machtkonzentration zuzustimmen …

Auch Larans Familie macht Schwierigkeiten. Seine selbstsüchtige Halbschwester Darilyn und sein Halbbruder Mahkas fühlen sich durch Glenadal Rabenspiks Entscheidung übergangen und zurückgesetzt. Um auf irgendeine Weise zu Geld zu kommen, liefern sie ihre jüngste Schwester Riika, die Marla Wulfskling ähnlich sieht, gegen Lösegeld an Fardohnja aus. Allerdings erkennt der Obereunuch Hablets auf den ersten Blick, dass die Ausgelieferte nicht Marla ist. Da er nicht weiß, daß sie statt dessen Larans Schwester ist, lässt er sie kurzerhand töten! Als Mahkas von Riikas Tod erfährt, ist ihm sofort klar, dass, wenn er am Leben bleiben will, Laran keinesfalls von dem Verrat seiner Geschwister erfahren darf. Doch Darilyn verliert die Nerven …

|Themen und Charaktere|

In „Erbin des Throns“ geht es um dieselben Themen wie in der Dämonenkind-Trilogie: Macht, Intrigen, Mord. Nur der Kampf gegen einen übermächtigen Gott fehlt diesmal, die Bedrohung durch Xaphista ist lediglich eine Randerscheinung, was ich nicht unbedingt als Manko empfand. Auch spielt die Geschichte fast ausschließlich in Hythria, während R’shiel hauptsächlich in Medalon unterwegs war. Karien wird lediglich mal erwähnt … Das macht aber überhaupt nichts! Hythria allein bietet genug Stoff für Ränke und Verwicklungen!

Elezaars einziges Ziel ist, sich seiner Herrin so unentbehrlich zu machen, dass sie ihn keinesfalls irgendwann verkauft, denn das wäre sein Todesurteil. Alija will unbedingt ihren Mann auf dem Thron sehen und dann an seiner Statt herrschen. Kagan will auf jeden Fall Alija vom Thron fernhalten, gleichzeitig aber irgendwie erreichen, dass der Thronerbe aus Hythria stammt. Laran will einfach nur das Beste für Hythria. Mahkas will nicht immer nur Larans Gefolgsmann sein, sondern eine eigene Aufgabe. Darilyn will ein eigenes Vermögen. Und Marla will zunächst einfach nur den Mann heiraten, den sie liebt, und mit ihm bis an ihr Ende glücklich sein. Völlig klar, dass das alles nicht unter einen Hut zu bringen ist!

Am meisten hat Marla unter all den Machtkämpfen zu leiden. Kaum hat sie sich in Naschan Falkschwert verliebt, erfährt sie, dass sie Hablet von Fardohnja heiraten soll. Damit will und kann sie sich nicht abfinden. Als Nasch auf der Burg ihrer Tante auftaucht, wo Marla sich aufhält, flammt neue Hoffnung in ihr auf, doch einziges Ergebnis ist, dass sie nun auf einmal Laran heiraten soll! Der Ärger darüber, dass sie von den Männern lediglich als politisches Mittel benutzt wird, ärgert sie maßlos und macht sie zugänglich für Elezaars politische Lehren. Von ihm lernt sie, die geringen Möglichkeiten zu nutzen, die ihr in einer patriarchalischen Gesellschaft zur Verfügung stehen. Aus dem naiven, romantischen Kind wird eine erwachsene Frau. Natürlich kann Elezaar nicht verhindern, dass seine Herrin hartes Lehrgeld zu zahlen hat. Doch Marla, angetrieben von dem Wunsch, ihr Schicksal künftig selbst zu entscheiden und vor allem ihre Kinder zu beschützen, geht gestärkt aus diesen Kämpfen hervor und wird zu einem echten Machtfaktor in Hythria.

Ihre Gegenspielerin Alija zeichnet sich vor allem durch Machtgier und Skrupellosigkeit aus. Ursprünglich mit Laran Krakenschild verbandelt, hat sie ihm den Laufpass gegeben, weil sie glaubte, eine Ehe mit Barnardo Aarspeer böte ihr mehr Möglichkeiten, an die Macht zu gelangen. Neben ihrem Mann, den sie lediglich benutzt, hat sie noch eine Menge Liebhaber, die sie genauso benutzt. Überhaupt ist ihr jedes Mittel recht. Spionage, Lüge und Hinterlist sind dabei noch die harmlosen Varianten. Abgesehen davon liest sie Gedanken und manipuliert den Willen anderer, ihre Mordmethoden reichen von bezahlten Killern über Gift bis hin zur Magie.

Kagan Palenovar wirkt gegen Alija ziemlich fad. Da er auf der Seite der „Guten“ ist, darf er natürlich keine krummen Touren drehen. Aber obwohl er politisch hochaktiv ist und zwangsläufig auch Personen für seine Zwecke benutzt – zum Beispiel Marla und Laran -, wirkt er ansonsten fast ein wenig verschlafen. Sein Lehrling Wrayan hat mehr Zugriff auf die Macht der Götter als jeder andere in der Magiergilde, doch Kagan macht sich nicht die Mühe, ihn auch nur ansatzweise im Gebrauch seiner Fähigkeiten auszubilden. Seinen Aufgaben als Gildenmeister kommt er nur widerwillig nach. Fast scheint es, als würden ihn die Belange der Götter und Harshini langweilen.

Mahkas dagegen wirkt fast aktivistisch. Einerseits neigt er zur Oberflächlichkeit, andererseits ist er ziemlich ehrgeizig und durchaus nicht unfähig. Hätte er einen Kriegsherrn zum Vater gehabt, hätten sich seine Charaktermängel womöglich gar nicht ausgewirkt. Irgendwann hätte er seine eigene Provinz geerbt und alles wäre in Butter gewesen. So, wie die Dinge liegen, macht er allerdings eine eher klägliche Figur: ein Mann mit dem Willen zur Macht, aber zu wenig kaltschnäutzig, um zu den Bösen zu gehören, und zu schwach, um zu den Guten zu gehören, geplagt von Gewissensbissen und einer rasenden Angst vor Entdeckung. Stellenweise tat er mir regelrecht leid.

|Gesamteindruck|

Die Charakterzeichnung gefiel mir in diesem Band besser als in der Dämonentrilogie. R’shiel war in ihrem Zorn manchmal regelrecht blindwütig, und sie war fast ständig zornig. Auch Marla hat so manchen Grund, zornig zu sein, aber sie ist beherrschter als R’shiel, überlegter und damit wahrscheinlich gefährlicher, obwohl sie nicht über Magie verfügt. Alija kann mit Frohinia durchaus mithalten, auch wenn ihre Mittel gelegentlich etwas plumper sind als die der ehemaligen Ersten Schwester. Und während in der Dämonentrilogie Frohinia zu meinem großen Bedauern bereits am Ende des ersten Bandes außer Gefecht gesetzt wurde, bleibt Alija dem Leser noch erhalten, zumindest vorerst.

Auch der Handlungsverlauf lag mir mehr. Zwar scheinen die ständigen Enttäuschungen, die Marla nacheinander mit den verschiedenen Männern erlebt, sich auch irgendwann zu wiederholen, jedoch nicht so auffällig und nicht so oft wie es in „Kind der Magie“ der Fall war. Die Harshini tauchen nur in äußerst geringem Maß auf, was ich allerdings auch nicht sonderlich vermisste. Da sie nicht nur unfähig sind, Gewalt anzuwenden, sondern offenbar auch sonst in keinerweise Einfluss auf irgendetwas nehmen außer dadurch, dass sie mit jemandem ins Bett steigen, bleiben sie ziemlich farblos und eindimensional.

Was ich allerdings immer noch vermisse, ist ein stärkerer Ausbau der Magie. Alija wendet sie an, Brakandaran und Wrayan wenden sie an, R’shiel wandte sie an, aber der Leser weiß immer noch nicht, was genau in einem solchen Fall passiert. Jennifer Fallon kommt in diesem Punkt einfach nicht über Andeutungen hinaus. Sie erklärt nicht einmal, was genau ein Angeborener ist.

|Unterm Strich|

Alles in allem hat die Autorin in diesem Fall einen besseren Start gehabt als bei ihrer Dämonentrilogie. Marla hat sich zu einer willenstarken, klugen und mutigen Frau entwickelt, was ein interessantes Duell mit Alija verspricht. Auch Wrayan ist ein interessanter Charakter: Der von Kagan hauptsächlich in Diplomatie und Politik geschulte junge Mann hat offenbar von seinem Aufenthalt bei den Harshini etwas über Magie gelernt – wenn auch mit keinem Wort erwähnt wird, von wem und wie! – und durch seine Rückkehr auf die Straße noch zusätzlich an Potenzial gewonnen. Und auch Mahkas dürfte noch für einigen Wirbel sorgen, und sei es nur durch die Entdeckung seiner Schandtaten. Keine schlechte Ausgangsposition für die Fortsetzung „Retter des Throns“, die im Februar nächsten Jahres erscheinen soll.

Jennifer Fallon stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Die Trilogie |DemonChild| war ihre erste Veröffentlichung. Außerdem stammt die Trilogie |Second Sons| aus ihrer Feder.

http://www.jenniferfallon.com/
http://www.heyne.de

_Jennifer Fallon bei |Buchwurm.info|:_

[„Kind der Magie“ 1328 (DemonChild Band 1)
[„Kind der Götter“ 1332 (DemonChild Band 2)
[„Kind des Schicksals“ 1985 (DemonChild Band 3)
[„Ritter des Throns“ 3327 (Die Chroniken von Hythria 2)

Vargas, Fred – schöne Diva von Saint-Jacques, Die

Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.

Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.

In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.

Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …

Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.

Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.

|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)

Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.

Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.

Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …

http://www.aufbau-verlag.de

Appelfield, Aharon – Geschichte eines Lebens

„Geschichte eines Lebens“ – welch bescheidener Titel für die fragmentierte Wiedergabe einer Biografie voller erlebter Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten. Der Autor, Erwin (Aharon) Appelfield, Jahrgang 1932, hat am eigenen Körper all die Gräuel des Kriegs erleben müssen, begonnen in seiner rumänischen Heimat, in der Marschall Antonescu als Adäquat zu Adolf Hitler den Holocaust vorantrieb, über seine schmerzvollen Reise in die Ukraine und die Zwischenstation Ghetto bis hin zu seiner Flucht ins Exil an die Adria und schließlich nach Palästina, wo Appelfield nach jahrelangem Überlebenskampf endlich den lang ersehnten Frieden gefunden hat.

Doch wie schreibt man eine solche Geschichte, ohne dabei Gefühle wie Hass und Verbitterung zu sehr an die Oberfläche dringen zu lassen? Wie kann eine quasi wertfreie Aufarbeitung stattfinden, quasi neutral und faktisch, aber nicht emotionsgeladen und aggressiv? Gar nicht möglich. Jedenfalls sollte man dies vermuten, wenn man sich zu Gemüte führt, was der junge Appelfield damals in der Ära des Krieges hat durchmachen müssen. Schon von Kindesbeinen an führte er ein Leben als Verfolgter, verlor dabei seine Mutter und seine Großeltern schon zu Beginn des Krieges, musste mit ansehen, wie sein Vater den Todesmarsch in die Ukraine mit seinem Leben bezahlte und wurde gleichzeitig noch dazu gezwungen, sich mit etlichen weiteren Menschenschicksalen auseinander zu setzen, während er gerade erst zum Knaben heranreifte. Es gibt wohl kaum Worte, um die Gefühle zu erfassen, die Appelfield nicht nur in dieser niederträchtigen Zeit, sondern auch in den Erinnerungen, die ihn auch heute noch plagen, hat durchleben müssen, doch man ist sich fast schon sicher, dass der Autor sein Leben aus einer sehr feindseligen Perspektive betrachten wird. Aber er tut es nicht, geht schon beinahe souverän mit den prägenden Abläufen um und ist mit sich und seiner Vergangenheit schon lange im Frieden.

Dabei ist es allzu erschreckend, was Appelfield in den vielen gesammelten Ausschnitten und Eindrücken verarbeitet, aber auch, wie emotionslos er die verschiedenen Gedanken aufarbeitet. Ja, es ist die Geschichte seines Lebens, und sie besteht oberflächlich betrachtet nun einmal ausschließlich aus Fakten, aber ist es eben nicht nur irgendeine Geschichte, sondern die eines gedemütigten Kriegsopfers. Appelfield berichtet dennoch relativ trocken (natürlich immer im Hinblick auf die Brutalität der Ereignisse) davon, wie er seine Heimat aufgeben musste, seine Familie verlor, wie er unschuldigen Menschen beim Sterben zusah und dies irgendwann als gegeben hinnahm, und wie er den Tod zu akzeptieren lernte, ohne jemals darauf vorbereitet zu werden. Es ist die Geschichte eines Jungen, der vor seinem eigentlichen Leben bereits aus diesem herausgerissen wurde, der im Alter von sieben Jahren bereits Entscheidungen treffen musste, die nicht einmal ein Erwachsener zu entscheiden imstande gewesen wäre, der aber auch mit der schrecklichen Situation abstumpfte und irgendwann nur noch für sich selber kämpfte – und überlebte.

Grotesk ist dabei, dass er selbst bei den grausamsten Erfahrungsberichten meist die positiven Dinge hervorhebt. Beginnend bei der Ankündigung der drohenden Veränderung, als er mit seiner Familie ganze Massen an Erdbeeren vertilgte, bis hin zu den Arbeiten bei einer Prostituierten, die ihn ausnutzte und missbrauchte, bei der Aharon aber dennoch hauptsächlich die guten Eigenschaften hervorhebt. „Geschichte eines Lebens“ ein optimistisches Buch zu nennen, läge mir zwar fern, doch der Autor zeigt im Grunde genommen sehr oft eine zuversichtliche Grundhaltung, wobei natürlich berücksichtigt werden muss, dass der Krieg für Appelfield ein versöhnliches (soweit man dies so sagen kann) Ende hatte.

Doch wo für den Autor die positiven Eindrücke eine tragende Rolle spielen, bleiben beim Leser fast ausschließlich die Gemeinheiten haften. Babys, die aus purer Lustbefriedigung Hunden zum Fraß vorgeworfen wurden, der brutale Marsch in die Ukraine, die erzählten Ausschnitte des Ghettolebens, und, und, und. Die Liste ist ewig lang und kann im Detail kaum noch wiedergegeben werden, derart massiv häufen sich die gedanklichen Schreckensbilder.

Daher keimt auch ständig die Frage auf, wie Appelfield es bewältigt hat, all diese Erlebnisse mit einer relativen Gelassenheit zu dokumentieren, wie es ihm gelungen ist, sich von den depressiv stimmenden Bildern adäquat zu distanzieren. Wenn man bedenkt, wie genau die Erinnerungen noch in ihm leben und wie detailgetreu er all dies wiedergeben kann, fällt es für den Außenstehenden schwer, überhaupt zu verstehen, aus welcher vergleichsweise neutralen Position er seine eigene Geschichte erzählt. Dies ist für mich persönlich der zentrale Punkt; nicht nur die Auseinandersetzung mit der zerrüttet dargestellten Biografie, sondern vor allem auch die fokussierte Betrachtung des Menschen, der sein erschütterndes Leben in einer nach außen durchweg wertfreien Dokumentation vorstellt. Es sind leider nur 200 Seiten, die einem hierzu Gelegenheit geben, aber die Schilderungen während dieser 20 Seiten sind so umfassend, dass sie Gedankenstoff für mehrere Wochen liefern. Was Appelfield hier beschreibt, lässt den Leser nicht mehr los, und das vor allem, weil er sich nicht auf eine spezifische Beschreibung des Lebens mit dem Holocaust beschränkt, sondern vermehrt die Entwicklung seiner Persönlichkeit in der Zeit des Antisemitismus beschreibt.

„Geschichte eines Lebens“ ist daher auch ein absolut empfehlenswertes Werk, das trotz seiner – und das soll man bitte immer in Relation zu vergleichbaren Schilderungen/Autoren dieser Zeit betrachten – nüchternen Erzählweise emotional zutiefst berührt. Mir fällt momentan kein weiterer Zeitzeuge ein, der die Betroffenen-Szenarien des Zweiten Weltkriegs derart bewegend beschrieben hat wie Aharaon Appelfield in diesem Buch.

http://www.rowohlt.de

Brandis, Katja – Feuerblüte (Band 1)

Der „Kampf um Daresh“ ist mittlerweile beendet, doch Katja Brandis, die die gleichnamige Triologie geschrieben und in der |Ueberreuter|-Reihe „Meister der Fantasy“ veröffentlicht hat, ist noch nicht fertig mit der Welt, in der sich die Menschen in vier Gilden gruppieren. Mit „Feuerblüte“ beginnt sie einen neuen, dreibändigen Zyklus um die junge Schwertkämpferin Alena, die Tocher der verstorbenen Alix, eine der Protagonisten in „Kampf um Daresh“.

In Daresh teilen sich die Menschen in vier Gilden, die nach den vier Elementen benannt sind, auf. Die fünfzehnjährige Alena ist Mitglied der Feuergilde, das heißt, sie kann Schwerter schmieden und im Kampf sehr gut mit dieser Waffe umgehen. Sie steht gerade vor einem wichtigen Schritt, denn obwohl sie noch keine siebzehn ist, wird sie zur Meisterprüfung zugelassen. Ihr ungestümes Temperament verhindert allerdings, dass sie die Prüfung zur Meisterin besteht. Trotzdem beschließt sie, ihr Meisterschwert widerrechtlich zu tragen, was auch dringend notwendig ist, denn in Daresh treiben sich Gestalten herum, denen man nicht schutzlos gegenüber stehen möchte.

Ein Mann, der sich der „Heiler vom Berge“ nennt, zum Beispiel, und der seine mitreißende Predigt über die Liebe in der Handelsstadt Ekaterin hält, als sich Alena zusammen mit ihrer Tante Rena dort befindet. Rena erkennt in dem Heiler ihren Erzfeind Cano wieder, Alenas Onkel, der in Renas Jugend versucht hatte, Daresh unter seine Gewalt zu bringen. Beunruhigt meldet sie ihre Beobachtung dem Rat, doch dort nimmt man sie nicht ernst.

Zur gleichen Zeit ereilt Alena die Nachricht, dass ihr Vater im Koma liegt, nachdem er einen weißen Panther gesehen hat. Nachdem auch Renas Gefährte von dem Tier verzaubert wird, sehen die beiden ein, dass sie handeln müssen. Doch Cano, den sie verdächtigen, ist den beiden immer einen Schritt voraus und sorgt dafür, dass sie aufgrund seiner Intrigen in Ekaterin zu Geächteten werden. Nachdem er ihnen einen Mord angehängt hat, geht es nicht nur darum, Alenas Vater und Renas Gefährten zu retten, sondern auch Cano zu vernichten und ihren Namen reinzuwaschen …

Die Fantasywelt von Daresh begeistert vielleicht nicht gerade durch Originalität, aber sie ist schön ausgearbeitet, und die Idee mit den unterschiedlichen Gilden weiß zu gefallen. Trotzdem wird man mehr als einmal ein wenig an die Bücher von Tamora Pierce erinnert, allerdings gelingt der Weltentwurf hier nicht ganz so gut, da an der einen oder anderen Stelle noch ein wenig der Feinschliff fehlt. Ekaterin ist zwar hübsch dargestellt, doch es fehlt an wirkungsvollen Beschreibungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Selbiges gilt für die Personen. Alena ist eine wunderbar kratzbürstige Pubertierende, doch auch ihr fehlt es an einigen Ecken und Kanten, die ihr die nötige Tiefe verliehen hätten. Das Gleiche gilt für Rena, die leider ein wenig oberflächlich bleibt. Die beiden wechseln sich mit den Perspektiven ab, doch leider werden sie teilweise sogar im selben Absatz vermischt, was ein wenig verwirrend ist.

Oben genannte Kritikpunkte könnten auch damit zusammenhängen, dass der Schreibstil an und für sich kaum Zauber entwickelt. Er erzählt flüssig und ohne Stolpersteine, aber auch ohne besondere Sogwirkung. Dabei hätte der an und für sich durchaus spannenden Handlungen mit einem schönen Aufbau und überraschenden Wendungen ein wenig Absorbationskraft nicht geschadet.

Katja Brandis‘ „Feuerblüte“ hat einen netten Hintergrund und eine nette Handlung, doch leider ist der etwas unmotivierte Sprachstil schuld daran, dass kaum wirkliche Spannung aufkommt, die den Leser so sehr in den Bann zieht, dass er das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

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|Siehe ergänzend dazu die Rezension zu Band 2:| [„Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ 2887