Merlau, Günter – B.Ö.S.E. – Alles wird gut

Über die beiden bisherigen Startepisoden der neuen |Lausch|-Hörspielreihen „Caine“ und „Die schwarze Sonne“ habe ich mich an dieser Stelle schon sehr euphorisch geäußert. Insofern stand für mich bereits im Voraus fest, dass auch das dritte Hörspiel dieser immer noch recht neuen Produktionsfirma ein Hit sein muss. Warum ich jetzt so eine Einleitung schreibe, ist sicherlich klar: „B.Ö.S.E.“ ist nicht der erhoffte nächste geniale Angriff auf die Lauscher, sondern schlicht und einfach ein ziemlich albernes, auf unzähligen Klischees basierendes Comedy-Hörspiel, dessen Wortwitz bestenfalls für den ein oder anderen Schmunzler sorgen wird – um die Lachmuskeln aber tatsächlich in Bewegung zu bringen, erfordert es allerdings schon etwas mehr als Chaos und Vulgärsprache.

_Story_

Lange Jahre war B.Ö.S.E. der führende Konzern für Angst- und Hysterieprodukte, jetzt aber fällt es der Firma zunehmend schwerer, mit den Entwicklungen auf dem weltweiten Markt Schritt zu halten. Besonders die Konkurrenzprodukte aus der neutralen Zone sind stark auf dem Vormarsch und bei den Abnehmern mittlerweile auch beliebter als das eigene Sortiment. Vorstandsvorsitzender STAN und seine Mannschaft müssen also zur Tat schreiten, sind aber mit der aktuellen Situation deutlich überfordert. Mehr und mehr werden die Leute glücklicher, entdecken das Gefühl von Schönheit wieder für sich und senken so die Nachfrage nach den Artikeln von B.Ö.S.E. Als dann auch noch ein dämonisches Duo dafür sorgt, dass diese Anzeichen von ‚Besserung‘ bis in die Unterwelt durchdringen, ist die Katastrophe perfekt. Criz, Turbo Hacken Giga und die Dreckschleimers müssen den nahe stehenden Untergang aufhalten, ansonsten kehrt nämlich wieder Frieden ein – und das will in der Unterwelt nun wirklich niemand …

_Meine Meinung_

„B.Ö.S.E.“ ist Klamauk auf sprachlich recht minderem Niveau. Wenn nach zwei Minuten schon das erste „Fick dich!“ ertönt und gleichzeitig jedes Wort, das auch nur irgendwie mit Harmonie und Frieden in Verbindung zu bringen ist, ins Negative umgekehrt wird, ist das schon irgendwie recht seltsam, um nicht zu sagen ziemlich einfallslos. Dabei offenbart die Rahmenhandlung – sofern man beim hier veranstalteten Chaos überhaupt noch von einer solchen reden kann – sehr viele interessante Ansätze, um die herum man eine sehr gute und vor allem auch lustige Story hätte stricken können. Doch leider wird hier lieber das Alberne in den Vordergrund gestellt. „B.Ö.S.E.“ ist dabei bissig und orientiert sich voll und ganz am aktuellen Zeitgeschehen; so mancher Seitenhieb ist ziemlich offensichtlich und wird innerhalb der (nomen est omen) hysterischen Geschichte auch noch ziemlich gut verpackt, doch viel mehr holen die erneut vorzüglichen Sprecher aus dem Plot um den recht merkwürdigen Konzern in der noch merkwürdigeren Welt nicht heraus.

Die Dialoge sind weitestgehend flach. Als ich seinerzeit noch in die Grundschule ging, hätte ich wohl über diesen Stil lachen können, aber für die angesprochene Zielgruppe („B.Ö.S.E.“ wird ab 15 Jahren empfohlen) ist das Niveau dann doch ein wenig zu niedrig. Oder sind wir in Deutschland mittlerweile doch so weit gekommen, dass man sich auf solch geringem Level amüsieren muss?

Eine Stelle fand ich aber dann doch ganz witzig, nämlich als der allmächtige Gott mit dem Vornamen Karel vorgestellt wird. Ja, gelacht haben wir, doch jetzt wo ich die Pointe in diesen Zeilen bereits getippt habe, ist das Beste bereits vorweggenommen worden. Und alleine das sagt meiner Meinung nach schon viel über dieses Hörspiel aus!

„B.Ö.S.E.“ bietet Atmosphäre und Stimmung auf mittlerweile bewährtem |Lausch|-Level, fällt aber inhaltlich durch eine viel zu hohe Zahl an dämlichen Plattitüden sehr negativ auf. Außen klebt der Comedy-Stempel drauf, innen drin sieht’s diesbezüglich hingegen mau aus. Nach bravourösem Auftakt nun der erste kleine Einbruch bei diesem vielversprechenden Hörspiel-Label. An den Sprechern hat’s nicht gelegen, sondern ausschließlich an den abgeschmackten Ideen. Was soll’s, die Vorfreude auf den zweiten Teil von [„Caine“ 2050 (VÖ: Juni 2006) lasse ich mir dadurch trotzdem nicht nehmen!

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Harrison, Shirley – Tagebuch von Jack the Ripper, Das

Wie es heißt, ist nichts so tot wie der Bestseller der letzten Saison. Falls dies zutreffen sollte, hätte sich Ihr Rezensent mit diesem Artikel eine Menge unnötiger Arbeit gemacht. Die (angebliche) Sensation um die Entdeckung des Tagebuchs von Jack the Ripper ist nämlich schon ein Jahrzehnt alt. Die gebundene Ausgabe des vorliegenden Buches wurde auch in Deutschland Anfang der 1990er Jahre mit Fanfarenschall in die Läden begleitet und fand in der Presse die gewünschte, weil verkaufsförderliche Resonanz. Selbst negative Werbung sorgt für Aufsehen, und so ließen sich kluge Köpfe, Besserwisser und Spinner gleichermaßen lang und breit aus über ein Medienphänomen, das die Menschen seit über einem Jahrhundert fasziniert, ohne dass darob Einigkeit darüber erzielt werden konnte, ob denn das auf so wundersame Weise zutage geförderte Tagebuch tatsächlich aus der Feder des Rippers geflossen war.

Nachdem die Aufregung abgeklungen ist, kann man sich der Beantwortung dieser Frage wesentlich gelassener widmen – wenn es denn überhaupt erforderlich ist, denn „Das Tagebuch von Jack the Ripper“ ist auch jenseits aller Sensationshascherei eine interessante Lektüre. Tatsächlich wird es bald völlig unerheblich, ob der böse Jack denn ein rauschgiftsüchtiger Baumwollhändler namens James Maybrick aus dem englischen Liverpool gewesen ist und seine Untaten in einem Tagebuch festgehalten hat, das in einem unbekannten Versteck ein volles Jahrhundert überdauerte, bis es auf mysteriöse Weise in die Hände eines arbeitslosen Seemannes geriet …

Shirley Harrisons Darstellung gewinnt ihren Wert als Bestandsaufnahme eines Jahrhunderträtsels: Um das Tagebuch in die bekannte Chronologie der Rippermorde einzupassen, muss die Autorin das London von 1888 wieder erstehen lassen und das Drama und seine Akteure noch einmal ihrem Publikum vorstellen. Freilich tut sie das mehr als 100 Jahre später und nach durchaus sorgfältiger Sichtung der in diesem Zeitraum erschienenen Ripper-Literatur bzw. wiederentdeckten Quellen. Besonders Letztere haben es in sich, denn überraschenderweise werden bis auf den heutigen Tag neue Belege entdeckt. Harrison wartet denn auch mit Fakten auf, die einige Irrtümer früherer „Ripperologen“ eliminieren, nachdem sie lange Zeit immer wieder aufgegriffen wurden.

So darf sich der Leser einer vorzüglichen Zusammenfassung der Ereignisse vom August bis November 1888 erfreuen, wenn diese Formulierung angesichts des Themas gestattet sei. Weil im Zeitalter des privaten Fernsehens manch’ alter Zopf abgeschnitten wurde, werden ihm (und auch ihr) einige zeitgenössische Tatort- und Leichenfotos präsentiert. Sie bieten eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Überprüfung der alten Weisheit, dass es nicht immer eine reine Freude sein muss, seine Neugier befriedigen zu können. Was Jack the Ripper seinen Opfern angetan hat, ist wahrlich ungeheuerlich. Der Anblick ist schwer zu ertragen, macht aber eines sehr schön deutlich: Irgendwann müssen sich der authentische und der mythologische Jack voneinander getrennt haben. Der rste war ein lebensgefährlicher, schwer geisteskranker Psychopath, der zweite ein früher Medienstar, ein Zeitgenosse von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, von Graf Dracula und Sherlock Holmes. Irgendwie ist das Bewusstsein geschwunden, dass diese Figuren fiktiv waren, während Jack the Ripper eine sehr reale Person gewesen ist. Aber man hat ihn niemals gestellt und vor Gericht entzaubert, und so war sein Weg frei in den Olymp kultisch verehrter Bösewichte. Als sich dann die moderne Unterhaltungsindustrie des Rippers annahm, war der Übergang vollzogen.

Shirley Harrison belegt sehr schön, wie „unser“ Jack the Ripper ein Geschöpf der Medien wurde – vielleicht sogar ihre erste und höchst gelungene Schöpfung! Serienmörder hatte es schon vor 1888 gegeben – aber nicht in einer Stadt wie London, in der Ende des 19. Jahrhunderts 200 (!) Tageszeitungen um Leser kämpften. Die Presse machte Jack the Ripper erst berühmt und dann unsterblich. Er hat dies selbst sehr gut begriffen, sich seiner Taten in Leserbriefen gerühmt und neue Scheußlichkeiten angekündigt. Insofern ist der Fall Jack the Ripper quasi ein Modell für das, was die Massenmedien heute zu „leisten“ vermögen.

Diese Entwicklung wird von Harrison angedeutet, aber leider nicht weiter ausgeführt; hier ist Ihr Rezensent – so gut er es vermochte – in die Bresche gesprungen. Die Autorin kehrt verständlicherweise bald zu ihrem eigentlichen Anliegen zurück: Sie bemüht sich, den Ripper auf den Spuren ihres Hauptverdächtigen James Maybrick zu entlarven. Das will ihr auf stolzen 450 Seiten allerdings nie wirklich gelingen. Zu apokryph ist das Manuskript, zu fadenscheinig seine Überlieferungsgeschichte, und selbst ein Heer von Historikern, Graphologen und anderen Sachverständigen konnte zu keinem eindeutigen Urteil kommen. Dass Harrison sowohl die Indizien für wie die Belege gegen das Tagebuch ausführlich vorstellt, muss ihr hoch angerechnet werden. Ihr bleibt auf der anderen Seite auch gar keine Alternative, will sie doch einem möglichen Desaster vorbeugen, wie es den „Stern“ 1983 mit den angeblichen Hitler-Tagebüchern getroffen hat.

In den Jahren seit dem Erscheinen der englischen Originalausgabe ist es bemerkenswert ruhig um das Tagebuch geworden. Das ist im Grunde die beste Bestätigung dafür, dass es nicht überzeugen konnte. Aber wie die Autorin selbst sehr richtig sagt: Wenn es eine Fälschung ist, dann ist sie großartig gelungen. Davon kann man sich übrigens selbst überzeugen: Dem fotografischen Faksimile aller erhaltenen Seiten wird eine Übersetzung beigefügt. Wenigstens steht nach der Lektüre fest, dass Jack the Ripper nicht zu allem Überfluss ein begabter Schriftsteller gewesen ist …

Sein (bzw. James Maybricks) Ende war übrigens düster – oder angemessen, wenn man so will: Von Drogensucht und Schuldgefühlen zerfressen, ließ sich Jack the Ripper im Mai 1889 von seiner eigenen Ehefrau vergiften. Hier stutzt der Leser, doch dieses Mal wird er von Shirley Harrison schmählich im Stich gelassen. Offensichtlich ist für sie der Punkt erreicht, an dem sie den Erfolg ihres potenziellen Bestsellers ungern durch allzu viel Realität gefährden möchte. Außerdem lässt sich der Tod des Rippers viel zu schön mit einem weiteren Klassiker der „True Crime“-Literatur verknüpfen: der Geschichte vom Prozess gegen seine angebliche Mörderin und Ehefrau, der so tatsächlich 1889 stattgefunden hat und offensichtlich ein Paradebeispiel für einen echten Justizskandal ist. Das ist bei Harrison so spannend wie ein Thriller nachzulesen, hat aber mit der Frage, ob James Maybrick Jack the Ripper war, nur indirekt zu tun.

So schlingert Shirley Harrison immer eng an den Fakten entlang, ohne sich jemals wirklich festzulegen oder endgültig den Bezug zum Beweisbaren zu verlieren. Weil man Wahrheit und Mutmaßung jedoch gut voneinander trennen kann, nimmt man ihr das nicht übel. Noch einmal sei dem Leser versichert: „Das Tagebuch von Jack the Ripper“ besitzt unabhängig davon, ob es echt ist, jederzeit einen hohen Unterhaltungswert. In der Taschenbuchausgabe ist es darüber hinaus bei seiner Ausstattung sehr preisgünstig; allerdings leidet die Qualität der Abbildungen in der Verkleinerung erheblich. Was die blutrünstigen Opferfotos angeht, so ist dies nur von Vorteil, aber die interessanten zeitgenössischen Presseartikel, Porträts oder Lagepläne wünscht man sich schon etwas übersichtlicher.

Santiago Roncagliolo – Vorsicht

„Vorsicht“ ist der zweite Roman des jungen peruanischen Autors Santiago Roncagliolo und mit ebensolcher Vorsicht auch zu genießen. Spitzfindig wird auf dem Buchrücken bereits die Frage gestellt, ob Roncagliolo in diesem Buch die Geschichte einer normalen Familie erzählt, doch kann man wohl nur hoffen, dass dem nicht so ist …

Auf nur 184 Seiten erzählt Santiago Roncagliolo die Geschichte einer nicht ganz alltäglichen peruanischen Familie, die kurz vor dem Auseinanderbrechen scheint. Im ersten Kapitel stirbt in Anwesenheit des kleinen Sergio seine Oma und von nun an sieht der kleine Mann vermeintlich Gespenster. Was sich jedoch wirklich hinter diesen ominösen Gespenstern verbirgt, erfahren wir erst später im Laufe der Erzählung. Opapa leidet offensichtlich an Alzheimer, denn den Tod seiner Frau vergisst er schnell wieder, stattdessen erinnert er sich an seine letzte Gelegenheit zu einem Seitensprung, die bereits einige Jahre zurückliegt und die durch ein kaputtes Leitungsrohr erfolgreich zunichte gemacht wurde. Doch Opapa möchte sein Liebesglück noch nicht aufgeben. Als er herausfindet, dass seine ehemalige Liebe Doris in ein Seniorenheim zieht, quartiert er sich dort gegen den Willen seiner Familie und der Heimleitung ein.

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Cowell, Stephanie – Welche Wonne, dich zu finden

Es gibt wohl kaum einen anderen Musiker aus dem 18. Jahrhundert, den man auch so lange nach seinem Ableben noch in jenem Maße verehrt, wie es bei Wolfgang Amadeus Mozart der Fall ist. Auch über zwei Jahrhunderte nach seinem Ableben 1791 ist seine Musik noch allenorts präsent und wird derzeit noch immer nicht weniger scharfsinnig analysiert als meinethalben die Werke derzeit aktueller Komponisten, die sich dem Stil von Klassik und anderweitiger „E-Musik“ verschrieben haben. So unumstritten seine musikalischen Leistungen sind, so zwiegespalten sind die Meinungen zu Mozarts Lebensstil. Wunderkind, Genie, Chaot, Nervenbündel, psychisch Kranker – mit dem österreichischen Tausendsassa verbindet man vieles, wobei es natürlich im Auge des Betrachters liegt, ob der Weg, den Mozart gegangen ist, positiv oder negativ aufgefasst werden soll.

Stephanie Cowell ist ganz klar den ersten Weg gegangen; die amerikanische Schriftstellerin und Sopranistin hat in ihrem aktuellen Roman „Welche Wonne, dich zu finden“ eine indirekte Liebeserklärung an das Schaffen bzw. die Person Mozarts verfasst und den Musikus passend zum Mozart-Jahr 2006 von einer gänzlich anderen Seite beschrieben. Die Autorin geht nämlich nicht den typischen Weg der Biografie oder dergleichen, sondern nähert sich dem Thema aus der Sicht einer wichtigen Begleiterin, nämlich Sophie Weber. Aus ihrem Blickwinkel sowie jenem der berühmten Musiker-Familie Weber, die neben Sophie auch noch drei andere Töchter hervorgebracht hat, werden die ersten Kontakte mit Mozarts Familie und dessen Entwicklung als Musiker und Mensch beschrieben und in gewisser Hinsicht auch analysiert. Und dies auf eine Weise, die dem allzu kitschigen, fast schon abweisenden Titel Gott sei Dank nicht gerecht wird …

_Story_

Mannheim 1777: Im Hause Weber findet einmal in der Woche ein großes Fest statt. Musiker aus den verschiedensten Regionen präsentieren dann ihre neuesten Stücke und bitten die Anwesenden, darunter die vier Töchter des Hauses, Josepha, Aloisia, Constanze und Sophie, zum Tanz. Auch wenn das Geld bei den Webers stets knapp ist, wird an dieser Tradition festgehalten, schließlich erhofft sich die Mutter, ihre vier Töchter in reicherem Elternhause unterzubringen und mit geeigneten Kandidaten unter den vielen Gästen zu vermählen.

Als eines Tages der junge Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart den musikalischen Abend im Hause mit seinem Beitrag veredelt, tritt Sophies Mutter dem gefeierten Musikus sehr skeptisch gegenüber. Seine lockere Zunge und überhaupt sein ganzes Auftreten stoßen bei ihr zunächst auf Missmut, obwohl Vater Fridolin sehr angetan ist von dem mittlerweile sehr verarmten, inzwischen 21 Jahre alten Komponisten.
Und tatsächlich spielen alle Schwestern in Mozarts Leben eine Rolle. Während er für Josephas Altstimme mehrere Werke komponiert und ihr auch den Titel „Königin der Nacht“ widmet, verliebt sich Mozart in deren Schwester Aloisia. Die beiden planen Großes und verloben sich auch, jedoch findet ihre Beziehung ein jähes Ende, als Mozart seine Angetraute zu lange auf die erhoffte Hochzeit warten lässt. Die Enttäuschung ist auf beiden Seiten groß, doch Mozart bleibt der Familie Weber treu, besonders als Hausherr Fridolin frühzeitig stirbt. Seine verwitwete Frau, besorgt um den weiteren Unterhalt, sieht im zunächst verachteten Mozart die letzte Hoffnung und möchte ihn mit Sophie verkuppeln. Doch diese hat eine ganz andere Idee, und nach langem Hoffen gerät schließlich die junge Constanze ins Blickfeld des Komponisten …

_Meine Meinung_

Welchen Input kann einem ein Mozart-Roman noch geben, wenn man durch exzessive Recherche ohnehin schon sehr bewandert in diesem Themengebiet ist? Diese sicherlich berechtigte Frage kam auch mir in den Sinn, bevor ich mich mit dem aktuellen Werk von Stephanie Cowell auseinander setzte. Zunächst konnte ich mir kaum vorstellen, dass die Autorin oder überhaupt ein Buch über den verehrten Komponisten noch wesentlich Neues liefern kann. Und genau dies ist durchaus auch der Fall; rein historisch betrachtet, ist „Welche Wonne, dich zu finden“ ziemlich unspektakulär.

Was an diesem Roman indes so gut gefällt, ist der etwas eigenwillige Ansatz. Das Buch hat zwar den Beititel „Mozart-Roman“, lässt den vermuteten Protagonisten aber nicht zwingend zur Hauptfigur werden. Vielmehr beschäftigt sich Cowell nämlich mit dem Leben der ebenfalls recht armen Familie Weber und dem Einfluss, den der irgendwann dahergereiste Österreicher auf deren weiteren Weg hatte. Und genau hier wird „Welche Wonne, dich zu finden“ plötzlich ausgesprochen interessant! Es geht nämlich nicht mehr alleine um den so oft zitierten Musiker, sondern in erster Linie um das oft nur oberflächlich betrachtete Umfeld.

Gut, wirklich tief greifend ist die sinnliche Beschreibung der Weber-Familie nun auch nicht, schließlich befasst sich Cowell vordergründig mit den Beziehungsgeflechten zwischen den Schwestern des Hauses und dem etwas vorlauten Mozart. Es ist tatsächlich die von Cowell angedeutete, hier Schrift gewordene Liebeserklärung, die im Roman mit den Augen der eher unbeteiligten Sophie Weber betrachtet wird. Sie beschreibt vor allem die gescheiterte Beziehung zwischen Aloisia und dem von Mutter Weber als Hallodri bezeichneten Wolfgang und die sich daraufhin bietende Chance, sich selber mit dem enttäuschten und beleidigten Musiker einzulassen. Doch Sophie hat das Geschehen in den vergangenen Monaten ausführlich beobachtet und die ihrer Meinung nach klügere Entscheidung getroffen, den Musiker ihrer anderen Schwester Constanze zu überlassen.

Vergleiche mit ähnlich gelagerten Romanen ergeben sich hingegen durch die auch hier sehr gekonnt in Szene gesetzte Dramaturgie. „Welche Wonne, dich zu finden“ ist traurig, melancholisch, euphorisch und gefühlvoll in einem Atemzug; ein stetiges Wechselbad der Gefühle, verursacht durch den widersprüchlichen Charakter Mozarts, der durch seinen Drang, der musikalischen Perfektion nahe zu kommen, die Menschen um sich herum fast ganz vergaß, andererseits aber ohne sie nicht sein wollte. Das zerstreute Genie ist auch hier präsent, und die eindeutige Betrachtungsweise des Musikers lässt auch keine Zweifel an dessen Können zu. Nur eben wird hier nicht der Musiker Mozart beschrieben, sondern das Empfinden des Menschen Mozart aus der Sichtweise einer Person, die ihn ohne wirkliche Annäherung sehr gut kennen gelernt hat und daher auch ein sehr gutes Bild von all seinen Wesenszügen hat zeichnen können. Und dies ist – ich erwähnte es bereits – unheimlich interessant geschildert.

Zwei wichtige Voraussetzungen gilt es also vor dem Öffnen der Buchklappe erst einmal zu überdenken: Zum einen ist der Roman trotz Kitschtitel und romantischem Inhalt kein reines Frauenbuch, und zum anderen ist „Welche Wonne, dich zu finden“ kein weiteres Standard-Werk über den Musiker, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Kann man sich davon freimachen, bekommt man von Stephanie Cowell ein etwas andersartiges, indes sehr lesenswertes Portrait des damals in seiner Blüte stehenden Komponisten offenbart, mit dem sich Anhänger Mozarts auf jeden Fall mal beschäftigen sollten – zumal die dezent eingeflochtenen fiktiven Ansätze auch noch eine nicht zu verachtende Spannung hineinbringen. Gute, kurzweilige Unterhaltung ist also auf jeden Fall garantiert!

Dahl, Arne – Böses Blut

„Böses Blut kehrt wieder!“ So lautet das stetig wiederkehrende unheilvolle Credo dieses Krimis. Im Zentrum der Erzählung steht die sogenannte A-Gruppe, eine Spezialabteilung der schwedischen Polizei, welche sich auf „Verbrechen von internationalem Charakter“ spezialisiert hat. Allerdings liegt hier auch das anfängliche Hauptproblem der Gruppe, denn seit einiger Zeit mangelt es der Abteilung an Beschäftigung, weshalb bereits über eine bevorstehende Auflösung der A-Gruppe gemauschelt wird. Es ist schließlich der grausame Mord an einem bekannten schwedischen Literaturkritiker auf einem New Yorker Flughafen, welcher wieder Aktivität in die A-Gruppe bringt. So makaber es sein mag, ausgerechnet dieser Fall verspricht den Fortbestand der Abteilung sichern zu können. Es besteht nämlich der Verdacht, dass ein schon fast legendärer amerikanischer Serienkiller unterwegs nach Schweden ist.

Dies ist der Ausgangspunkt für „Böses Blut“. Es handelt sich hierbei um einen Kriminalroman mit sehr dichter Atmosphäre und der einen oder anderen überraschenden Wendung. Hierbei werden sowohl die Haupthandlung, die sich um die Jagd nach dem „Kentucky Killer“ dreht, als auch die Nebenhandlungen, die sich mit den jeweiligen Privatleben der Ermittler befassen, sehr spannend und faszinierend erzählt. Die Erzählweise ist besonders für einen Kriminalroman sehr niveauvoll. Lediglich gegen Ende der Haupthandlung wirkt diese ein wenig zu konstruiert. Allerdings ist dies die einzige Stelle des Romans, die, meiner Ansicht nach, zu bemängeln wäre.

Es gibt in diesem Roman letztlich keine Hauptfigur im eigentlichen Sinne, da mehrere Mitglieder des Teams genauer beleuchtet werden und dem Hörer einen kleinen Einblick in ihre Welt gewähren. Es ist allerdings unverkennbar, dass die Figur des Ermittlers Paul Hjelm sowohl am Anfang als auch am Ende der Handlung im Blickpunkt steht.

Das Hörbuch besteht aus insgesamt 6 CDs mit einer Gesamtspieldauer von 470 Minuten. Durch diese knapp acht Stunden wird der Hörer vom Sprecher Till Hagen begleitet, den man wohl am ehesten als Synchronstimme von Kevin Spacey kennen dürfte. Till Hagen trägt einen großen Teil zur hohen Qualität von „Böses Blut“ bei. Seine Sprechweise ist stets klar und gut verständlich, zudem gelingt es ihm, eine große Stimmvarianz einzubringen. Hagen gelingt es, die Stimmung über die gesamte Dauer des Hörbuchs aufrecht zu erhalten, indem er immer perfekt an die Erzählsituation angepasst bleibt.

Alles in allem ist „Böses Blut“ sehr empfehlenswert. Die Handlung ist für einen Kriminalroman zwar recht düster, aber keineswegs in übertriebenem Maße. Die gelungene Kombination aus einer ansprechenden Romanvorlage und einem hervorragenden Sprecher macht „Böses Blut“ zu einem sehr überzeugenden und eindrucksvollen Hörbuch, das lange im Gedächtnis bleibt.

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Officer, Charles / Page, Jake – Entdeckung der Arktis, Die

Was sind das nur für seltsame Menschen, die es hinaufzieht in eine Welt, die etwa so einladend ist wie die Rückseite des Mondes? Tatsächlich gibt es weitaus angenehmere Reiseziele auf der guten Mutter Erde, doch wie so oft darf man die (Neu-)Gier ihrer angeblich vernunftbegabten Bewohner nicht unterschätzen: Wo es schwierig bis unmöglich ist hinzugelangen, muss es ganz besonders interessant sein!

Seit zweieinhalb Jahrtausenden (!) zieht es daher den Menschen in den Norden, der damals noch bevölkert war (oder wurde) mit allerlei finsteren Gottheiten, Ungeheuern und anderen ungeselligen Zeitgenossen. Lässt sich die Geschichte der Arktisforschung angesichts einer solchen gewaltigen Zeitspanne auf weniger als 300 Seiten zusammenfassen? Wie wir sehen werden, geht es; vorzüglich sogar, wenn hinter der Feder jemand sitzt, der sein Handwerk versteht.

Hier sind es sogar zwei Autoren, die sich den Lorbeer teilen dürfen. Die Wissenschaftsjournalisten Charles Officer und Jake Page profitieren nicht nur von den Ergebnissen einer kundigen Recherche, sondern mindestens ebenso von ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit, die Fakten zu ordnen und auszuwählen. Das Ergebnis ist eine Darstellung, die sich in eine Einleitung, eine Vorgeschichte, einen dreiteiligen Hauptteil, ein Nachwort und einen Ausblick gliedert, die Erkundung der Arktis klipp und klar und vor allem überzeugend nachzeichnet und überdies fabelhaft zu lesen ist.

Besagte Einleitung führt in die Natur der Arktis ein, stellt auf wenigen Seiten Informationen über Klima, Relief, Tierwelt oder Meeresströmungen vor, die zu ergründen es Jahrhunderte entsagungsvoller Forschungen bedurft hatte und für die unsere Entdeckungsreisenden der Vergangenheit ohne Zögern ihren rechten Arm gegeben hätten. Wer meint, Officers & Pages Blitzseminar rieche zu sehr nach Kreidestaub, führe sich nur die Schwierigkeiten der Reiseplanung in einem Land vor Augen, in dem am Pol die einzige Himmelsrichtung der Süden ist und die Sonne entweder ein halbes Jahr wie angenagelt am Firmament hängt (= Sommer) oder im Winter dieselbe Zeitspanne durch völlige Abwesenheit glänzt (bzw. eben nicht) …

Im zweite Teil ihres Buches beschreiben unsere Autoren die notgedrungen recht lückenhaft bleibende Vorgeschichte der eigentlichen Arktiserkundungen. Mit der Überlieferung ist es so eine Sache; Naturkatastrophen, Kriege und die übliche menschliche Gleichgültigkeit im Umgang mit dem, was längst Verblichene zusammengetragen haben, lassen die Rekonstruktion der ersten beiden Jahrtausende nur teilweise gelingen. Immerhin wissen wir von wagemutigen Phöniziern, neugierigen Griechen und raublustigen Nordmännern, und in Gestalt der Brüder Zeno aus Venedig treten uns bereits zwei typische Repräsentanten einer ganz besonderen Gruppe von Forschungsreisenden entgegen: die Aufschneider und Lügenbolde, die geschickt die einstige Unendlichkeit der Welt nutzten, um von gefährlichen Fahrten und ruhmreichen Abenteuern zu „berichten“, die sich ausschließlich in ihrem Hinterkopf abgespielt hatten. Die Zenos markieren eine lange Reihe verdächtiger Arktisreisen, die ihren Höhepunkt sogar erst im 20. Jahrhundert finden sollten, wie wir weiter unten noch feststellen werden.

Etwa ab 1500 wurde es ernst mit der Arktisforschung, als sich zum Wissensdurst handfeste wirtschaftliche und militärische Interessen gesellten, die mit mehr als einem Spritzer Patriotismus garniert wurden. Die Briten, die Russen und die Skandinavier suchten nach einer Nordostpassage von der Nordsee zum Pazifik, weil es verständlicherweise mühsam und zeitaufwändig war, erst den gesamten afrikanischen Kontinent umrunden zu müssen, um dorthin zu gelangen. (Den Suez-Kanal gibt es erst seit 1869.)

Auf der amerikanischen Hälfte der Erde stand man vor einem ähnlichen Problem: Wollte man (im Osten startend) die Westküste Nordamerikas oder die lukrativen asiatischen Gewässer auf dem Seeweg erreichen, musste man eine riesige Außenkurve um Südamerika schlagen; schön, wenn es eine Abkürzung im Norden gäbe: eine Nordwestpassage. Auch hier waren es vor allem die Briten und die Skandinavier, die sich auf die Suche begaben (während die Nordamerikaner verständlicherweise den Standpunkt vertraten, es sei wesentlich einfacher, ein paar Hafenstädte an der Westküste zu errichten.)

Und als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beide Passagen endlich gefunden (und gleich wieder wegen ihrer witterungsbedingten Untauglichkeit für die Schifffahrt verworfen) worden waren, rückte das letzte Ziel in den Mittelpunkt des Interesses: der Nordpol, „höchster“ Punkt unseres Erdballs, eigentlich nur ein beliebiger Punkt in einer öden Landschaft, dessen Erreichen höchstens den sportlichen Ehrgeiz befriedigen konnte.

Den darf man allerdings nicht unterschätzen; ganz besonders nicht in einer Welt, in der Nationalstolz buchstäblich tödlich ernst genommen wird. Also stürmten sie los, die Polarexpeditionen aus (fast) allen Ländern der Nordhalbkugel. Die meisten kamen nicht einmal in die Nähe ihres Ziels; nicht wenige blieben (zur Freude der stets hungrigen Eisbären und Polarfüchse) für immer im hohen Norden.

Siehe da: Es erscheinen neben vielen ernsthaften Aspiranten wieder unsere Möchtegern-Arktisfahrer, deren prominentester Vertreter ausgerechnet der Mann ist, der den Nordpol im Jahre 1909 erreicht haben will. Tatsächlich weiß auch heute niemand so recht, ob Robert E. Peary das wirklich gelungen ist. Die Beweisdecke war denkbar dünn, Peary bemerkenswert wortkarg, die Anerkennung des Polsieges primär eine politische Entscheidung. In der Darstellung dieses äußerst dubiosen Kapitels der Entdeckungsgeschichte erreicht „Die Entdeckung der Arktis“ in der Tat die Qualitäten eines Kriminalromans, wie der sonst stets mit Misstrauen zu betrachtende Hochjubel-Profi „Kirkus Review“ auf dem Cover dröhnt.

Seidel, Jürgen – Harry Heine und der Morgenländer

_Der Autor_

Jürgen Seidel, geboren, 1948 in Berlin, lebte nach schulischer und handwerklicher Ausbildung drei Jahre in Australien und Südostasien, bevor er Germanistik und Anglistik studierte und 1984 promovierte. Seither arbeitet er als freier Autor und veröffentlichte Romane, Hörspiele und Rundfunkbeiträge. Bei |Beltz & Gelberg| sind bereits die Romane „Young Nick“, „Pickel“, „Clou & Woyzeck“, „Die Kopfrechnerin“ sowie zuletzt „Das Geheimnis um die Seelenpest“ erschienen.

_Story_

Düsseldorf, 1816: Der Tod der erst 18-jährigen Josefa Edel, genannt Sefchen, versetzt die Düsseldorfer Stadtväter in Panik. Einst haben sie sich selber des Nachts häufig an die junge Dame herangemacht, und nun ist Edel plötzlich tot. Damit erst gar niemand in den Verdacht gerät, mit der Sache in Verbindung zu stehen, wird der Todesfall auch schnell als Selbstmord abgehakt, so dass sich die mächtigen Herren in Sicherheit wiegen können.

Harry Heine und sein Freund Christian Sethe, beide im selben Alter wie die Verstorbene, wollen dem Urteil der Stadtväter aber nicht so recht Glauben schenken. Sie beginnen auf eigene Faust zu ermitteln und entdecken in der Kammer, in der Josefa gefunden wurde, einige Blutspuren, die auf ein Gewaltverbrechen hindeuten. Ihr Handeln bleibt jedoch von den einflussreichen Bürgern der Stadt nicht unbemerkt. Ihr Zorn und die Angst, dass die wahren Hintergründe von Sefchens Tod an die Öffentlichkeit gelangen, wird den beiden Jungen zum Verhängnis. Noch bevor Christian und Harry weitere Nachforschungen anstellen können, begeben sie sich in große Gefahr. Und dabei wollte der junge Heine lediglich ein spannenderes Leben führen als das seines jüdischen Vaters, der seit jeher als Tuchhändler seinen Unterhalt sichert …

Der Verlag |Beltz & Gelberg| scheint ein ausgesprochenes Faible für den berühmten deutschen Dichter Heinrich Heine zu haben. So erschien mit „Heine ist gut“ vor nicht allzu langer Zeit bereits bereits ein Buch, das sich mit dem Werk des einflussreichen Poeten auseinander setzte. Jürgen Seidel hingegen geht bis in die Jugendjahre Heines zurück und beschreibt in „Harry Heine und der Morgenländer“ den Zwiespalt, in dem sich der junge Heine befindet. Obwohl er seinen Vater liebt, möchte er nicht in dessen Fußstapfen treten. Er sieht sich zu Höherem berufen, ist sich aber noch nicht schlüssig, wohin ihn der Weg führen soll.

Daher kommt ihm der Fall mit der offenbar ermordeten jungen Frau gerade recht. Heine und sein Freund Christian vermuten, dass sich in den einflussreichsten Kreisen der Stadt Düsseldorf Geheimnisvolles abspielt und Josefa Edel lediglich das Opfer gemeiner, hinterhältiger Intrigen geworden ist. Jedoch fehlt es den beiden zunächst an Beweisen, so dass vor allem Heine seiner Phantasie freien Lauf lassen und sich nicht nur als Ermittler behaupten kann. Sein Gespür und sein Scharfsinn bringt das Ermittlerduo schließlich auch auf die richtige Fährte, gleichzeitig aber auch in große Gefahr.

Nicht nur einmal bekommen Christian und Harry zu spüren, dass der Einfluss der Obersten noch weiter reicht, als diese sich das ausgemalt hätten. Und damit wird Harrys gedanklicher Zwiespalt noch größer: Ist er wirklich zum Abenteurer berufen? Gibt ihm seine weit reichende Phantasie tatsächlich die Bestätigung, ein Leben als Dichter zu führen? Oder sollte er doch besser ein herkömmliches Leben als Kaufmann führen?

Jürgen Seidel hat in diesem Roman zwei sehr schön miteinander harmonierende Handlungsstränge aufgebaut, bei denen vor allem der Charakter des jungen Heine sehr schön herausgebildet wird. Harry ist ein sehr gebildeter Junge und in vielerlei Hinsicht ein Naturtalent, dem nur manchmal das erforderliche Selbstvertrauen fehlt. Dies jedoch kann er im Zuge des ‚Kampfes‘ gegen die Stadtväter mehr und mehr für sich beanspruchen. Er wird zielstrebiger und entscheidungskräfiger, entschlossener und in seiner Position stärker und kann sich letzten Endes sowohl gegen die eigenen Zweifel als auch gegen die mächtigen ‚Gegner‘ durchsetzen.

Die zweite Handlungseinheit besteht natürlich aus dem Kriminalroman an sich, und auch hier hat der Autor in der Kürze der Seitenzahl ganze Arbeit geleistet. „Harry Heine und der Morgenländer“ liegt ein sehr schöner Spannungsaufbau zugrunde, der mit Highlights und geschickten Wendungen nicht geizt. Man hat zwar eine gewisse Vorahnung, was die Entwicklung und die von Heine und Sethe ersuchte Wahrheit anbelangt, doch man kann sich trotz allem nie sicher sein, ob Seidel den gradlinigen Ablauf der Geschichte nicht urplötzlich durch eine überraschende Richtungsänderung unterbricht.

Hierbei wird allerdings auch klar, dass der Autor trotz des historischen Hintergrunds ganz klar ein jugendliches Alter mit diesem Buch anvisiert. Es geht nämlich auch hier um den so oft zitierten Kampf zwischen Bürgertum (verkörpert durch die dementsprechend junge Figur des Harry Heine) und Machthabenden (hier durch ein bekanntes Gremium wie die Stadtobersten vertreten), der durch seine etwas vereinfachte Darstellung auch für jüngeres Publikum bestens geeignet ist. Zudem sind die beiden Jugendlichen, die sich hier den Stadtvätern widersetzen, natürlich tolle Identifikationsfiguren und in ihrem Handeln auch echte, waghalsige Helden, die sich durch nichts wirklich einschüchtern lassen.

Im Grunde genommen spricht Jürgen Seidel mit „Harry Heine und der Morgenländer“ aber mehrere Generationen an; die einen werden sich lediglich an der Kriminalgeschichte laben, die anderen werden die Vermischung aus fiktiver Erzählung und historischen Fakten genießen. Und aus diesem Grunde kann man dem Autor auch nur dazu gratulieren, ein schönes, spannendes, buntes und hinsichtlich der Dramaturgie ziemlich kompaktes Buch geschrieben zu haben, das ich an dieser Stelle auch nur weiterempfehlen kann!

|Empfohlen ab 14 Jahren|
[Beltz: Gulliver]http://www.beltz.de/gulliver/index.htm

King, Owen – wahre Präsident von Amerika, Der

Mit dem Namen |King| lassen sich Bücher gut verkaufen. Das belegt auch die aktuelle Platzierung von Stephen Kings neuem Roman [„Puls“ 2383 in den Bestsellerlisten. Doch im Schatten des |“großen King“| geht derzeit noch ein |“kleiner King“| auf dem deutschen Buchmarkt an den Start: Owen King. Und dieser kleine King ist tatsächlich ein Ableger des großen King – weniger literarisch, dafür umso mehr biologisch. Der Spruch „ganz der Vater“ lässt sich hier übrigens nicht anwenden, es sei denn, man meint den Umstand des Schreibens an sich und nicht das Geschriebene. Vater und Sohn dürften auf gänzlich unterschiedliche Zielgruppen abzielen und so verwundert es auch nicht, dass um das Debüt von King junior auch kein allzu großes Brimborium gemacht wird.

Owen King dürfte mit seinem Debüt „Der wahre Präsident von Amerika“ vor allem die Freunde zeitgenössischer amerikanischer Autoren wie Jeffrey Eugenides, Jonathan Franzen, Matthew Sharpe, etc. ansprechen. Ein wenig schräge Figuren, eine augenzwinkernde Erzählweise, gespickt mit liebevollen Details, und eine Geschichte, die im Grunde doch ganz alltäglich zu sein scheint – das macht den Lesegenuss von „Der wahre Präsident von Amerika“ aus.

Mag man dem Äußeren nach zunächst einmal einen Roman erwarten, so entpuppt sich das Buch bei näherer Betrachtung als Band mit fünf Erzählungen. „Der wahre Präsident von Amerika“ stellt den Auftakt dar und nimmt zwei Drittel des Buches ein. Daran schließen sich vier kürzere Erzählungen an. Die Gemeinsamkeit aller Erzählungen ist, dass sie Ausschnitte aus dem ganz normalen amerikanischen Alltag zeigen – zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und anhand unterschiedlicher Figuren.

_Der wahre Präsident von Amerika_

George ist fünfzehn und der einzige Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Wir schreiben das Jahr 2000 und Georges Großvater, ein alter Gewerkschafter, ärgert sich maßlos über den Ausgang der letzten Präsidentschaftswahl. In seinen Augen ist der Wahlausgang Betrug (womit er ja nicht so ganz falsch liegt) und er tut seinen Unmut kund, indem er in seinem Vorgarten Al Gore auf einem übergroßen Plakat zum wahren Präsidenten Amerikas erklärt. Als ein Unbekannter das Plakat beschmiert, entbrennt ein regelrechter Kleinkrieg, in den auch George hineingezogen wird.

Doch das ist nicht Georges einziges Problem. Sein Hauptkriegsschauplatz ist vielmehr das Haus, in dem George mit seiner Mutter bei deren Verlobten Dr. Vic wohnt. Dr. Vic ist nun wirklich nicht die Sorte Mann, die George sich als seinen zukünftigen Stiefvater vorstellen möchte, und so tut er sein Möglichstes, um die bevorstehende Heirat der beiden zu verhindern. Doch als George sein Ziel erreicht zu haben scheint und eigentlich allen Grund hätte zu triumphieren, kommt es alles ganz anders als erwartet …

„Der wahre Präsident von Amerika“ zeigt zum einen, wie George versucht, seinen Platz im Leben zu finden. Er weiß nicht so recht, wo er hingehört, und ist das Nomadenleben, das er dank wechselnder Liebhaber seiner Mutter führen musste, satt. Doch als sich George die Chance bietet, sesshaft zu werden und endlich ein richtiges Familienleben ansteuern zu können, ist ihm das auch wieder nicht recht. George ist jemand, der enge Bindungen und tiefer gehende Kontakte scheut und sich auf diese Weise den Verantwortungen des Erwachsenenlebens entzieht.

Doch George macht im Laufe der Geschichte einen Reifungsprozess durch. King skizziert den Moment in Georges Leben, in dem er beginnt, erwachsen zu werden und zu reifen, und diese Veränderung demonstriert er ganz glaubwürdig. King staffiert seine Geschichte mit einer Reihe skurriler Figuren aus, die gewissermaßen das Salz in der Suppe sind. King zeigt die Menschen, wie sie sind, mit ihren Ecken und Kanten. Georges Großvater Henry und sein Nachbar Gil sorgen dabei mit ihren Schrullen immer wieder für Heiterkeit. Liebevoll beschreibt King die Figuren, aber auch ohne die Realität auszusperren oder zu beschönigen. Da wird im Schlaf gesabbert und die alten Herrschaften dürfen ihre von Inkontinenz geplagte Blase auch schon mal auf dem Gehsteg entleeren. Alles ohne dass man das Gefühl hat, der Autor würde sich über seine Protagonisten lustig machen. Feinfühlig versetzt King sich in seine Figuren und kehrt ihre komischen wie auch ihre tragischen Seiten hervor.

Letztendlich skizziert King anhand seiner Figuren ein Stück des heutigen Amerikas. So wie er sich einen Wendepunkt in Georges Leben herausgegriffen hat, thematisiert er auch einen Wendepunkt der amerikanischen Geschichte – den „Putsch“ der Konservativen, die sich in einem denkwürdigen historischen Prozess ins Weiße Haus geschlichen haben, obwohl Gegenkandidat Al Gore eigentlich mehr Stimmen hatte.

Henry will sich damit nicht einfach abfinden und rebelliert in seinem Vorgarten gegen diese Art der Machtergreifung. King zeigt ein Stück weit auch die Zerrissenheit, in der das Land politisch steckt, die Gegensätzlichkeiten der unterschiedlichen Seiten und die Gleichgültigkeit, mit der ein Volk einen Putsch hingenommen hat, nur weil man ihn als rechtmäßigen Wahlausgang verkauft hat. Und so dokumentiert King das heutige Amerika eben auf zwei Ebenen, der großen, politischen und der kleinen, persönlichen. Der Erzählung fügt das einen reizvollen Aspekt zu.

King ist ein Autor, der genau beobachten kann, der sich auf treffende Formulierungen versteht und den Leser durch seine punktgenaue und wohlakzentuierte Erzählweise das heutige Amerika begreifen lässt. Und das ist stets unterhaltsam und hat eine gewisse Klasse. Er versteht es, Gefühle zu vermitteln, würzt seine Erzählung mit Tragik und Humor, so dass die Lektüre eine durchaus lohnenswerte Erfahrung ist.

_Das Weitere_

In den folgenden vier Erzählungen beleuchtet King weitere Aspekte der amerikanischen Alltagswelt. Er portraitiert Menschen, teils in ganz alltäglichen Situationen, teils darin, wie sie markante Punkte ihres Lebens meistern. In _“Eiskalte Tiere“_ erzählt der Autor von einem reisenden Zahnarzt, der irgendwo in der amerikanischen Einöde praktiziert. Zwei Trapper begleiten ihn durch einen Schneesturm auf einen Berg, wo die hochschwangere Frau des einen Trappers auf eine dringend notwendige Zahnbehandlung wartet. Der Zahnarzt ist ein gebrochener Mann, der vor den Trümmern seines Lebens steht und für den der Trip in die verschneite Wildnis zu einer ganz besonderen Erfahrung wird.

In _“Wunder“_ erzählt King die Geschichte des Baseballspielers Eckstein, der in den Dreißigerjahren für die Coney Island Wonders spielt. Eckstein interessiert sich eigentlich nur für Baseball und Kino und dort besonders für Filmvorführerin Lilian. Doch die will so recht nichts mehr von ihm wissen, seit er sie „versehentlich“ geschwängert hat. Eckstein bemüht sich um eine Lösung des Problems.

_“Schlange“_ erzählt von einem Nachmittag im Einkaufszentrum. Der Jugendliche Frank, Kind geschiedener Eltern, wird dort von seinem Vater abgesetzt, damit beide den Nachmittag nach ihren ganz eigenen Vorstellungen verbringen können. Im Einkaufszentrum trifft Frank einen Kerl in Bikerklamotten, der dort mit einer Boa Constrictor posiert. Die beiden kommen ins Gespräch und der alte Hippie hat eine interessante Geschichte zu erzählen, die Frank nicht mehr loslässt.

In der abschließenden Erzählung _“Meine zweite Frau“_ erzählt King die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Bruder eine Reise nach Florida unternimmt. Keine gewöhnliche Reise, denn der Bruder will in Florida das Auto eines Mannes kaufen, der gerade hingerichtet werden soll – für Taten, bei den denen das Auto gewissermaßen als Mordwaffe diente. Während also der Bruder in Florida seinen Autokauf tätigt, hofft die Hauptfigur selbst, endlich ein wenig abschalten zu können, nachdem seine Frau ihn verlassen hat.

Auch die vier angeschlossenen Erzählungen vereinen Skurriles mit Alltäglichem in sich. Herausragend ist besonders „Wunder“. Die Welt von Coney Island in den Dreißigerjahren ist ein faszinierender Mikrokosmos, den auch Sarah Hall in [„Der Elektrische Michelangelo“ 1808 schon so wunderbar beschrieben hat. Auch bei King kommt die Skurrilität und Verschrobenheit dieser Insel sehr schön zum Tragen. Der Handlungsbogen ist hier wunderbar geformt und die Geschichte findet einen sehr schön akzentuierten Ausgang.

Auch „Meine zweite Frau“ wirkt in Erzählverlauf und Komposition durchaus stimmig. King verwebt hier wieder auf wohldosierte Art Verrücktes mit Alltäglichem und schafft es damit, das heutige Amerika zu karikieren. Bei den übrigen zwei Erzählungen bleiben dagegen eher gemischte Gefühle zurück. Die geschilderten Begebenheiten sind interessant genug, um den Leser bei Laune zu halten, aber die Schlusspointe lässt den Leser etwas in der Luft hängen. Den uneingeschränkt wohlwollenden Eindruck, den noch „Der wahre Präsident von Amerika“ hinterlassen hat, trüben sie dadurch leider ein wenig, auch wenn unterm Strich immer noch ein positives Gesamturteil dabei herauskommt.

So kann man als Fazit festhalten, dass Owen King durchaus ein talentierter Schreiber ist. Er formuliert treffsicher, kreuzt auf wohlakzentuierte Art und Weise Skurriles mit Alltäglichem, beweist ein großes Herz für seine Figuren und zeichnet sich durch eine genaue Beobachtungsgabe aus. Alles in allem hat er ein wirklich vielversprechendes Debüt abgeliefert. Auch wenn von den weiteren Erzählungen nicht alle restlos überzeugen können, so ist das Gros der Geschichten wirklich sehr lesenswert.

http://www.ruetten-und-loening.de/

Helsing, Falk van – Fall Larry Popper, Der

Wehe, wenn einem (deutschen) Juristen versehentlich ein vermeintliches Kinderbuch statt dem BGB in die Hände fällt und er es peinlich genau durchleuchtet. So geschehen 2004 im |Eichborn|-Verlag, wo ein amtierender Richter sich nicht vor allen Kollegen als Potter-Fan outen möchte und daher unter dem Pseudonym „Falk van Helsing“ J.K. Rowlings Dauerbrenner unter die streng-ironische Lupe nimmt. Nein, ganz so verhält es sich mit dem Pseudo nicht, denn unter diesem hat er schon eine ganze Reihe humoristischer Rechtsbücher veröffentlicht, nicht nur dieses eine.

Heraus kam hierbei diesmal „Der Fall Larry Popper – Juristisches Gutachten über die Umtriebe zaubernder Jugendlicher“. Dabei geht es nicht um eine strafrechtliche Aufarbeitung sämtlicher bisher erschienenen Bände – das wäre sicher zu umfangreich – sondern lediglich Teil 1 „… und der Stein der Weisen“. Pardon. „Larry Popper und der Stein der Meisen“ muss es korrekt heißen.

Da die zugkräftigen Eigennamen mittlerweile alle eingetragen sind und deren Nutzung sicher nicht billig ist, wurde mal eben ein wenig herumgebogen, sodass kein Lizenzinhaber ob etwaiger Copyrightverletzung gepeinigt aufheulen muss, jedoch nur so weit, dass sie erkennbar bleiben. Verdammt praktisch, wenn Juristen sich an an solches Projekt wagen, die sind mit allen Wassern gewaschen. So erkennt der Leser des Buches beispielsweise in Larry, Roy, Herlinde Grips, Hägar, Onkel Verner Dumm, Tante Begonie Dumm und natürlich auch Lord Vieltod die Originalfiguren mühelos wieder.

Das nächste Problem ist der Gerichtsstand. In England/Schottland, wo die „Straftaten“ eigentlich begangen wurden, gilt (Überraschung!) irgendwie kein deutsches Recht. Weswegen das Ganze – etwa die „Warzenschwein-Zauberschule“ – kurzerhand in die „[…] Nähe von Frankfurt“ verlegt wird. Warum, das erklärt der Herr Vorsitzende im Vorwort und belegt seine amüsant-gewagte Hessen-These sogar mit äußerst realen Quellenangaben. Dass ein Teil der „Angeklagten“ noch gar nicht strafmündig ist, wischt er ebenso elegant mit dem Argument beiseite, dass das Strafmündigkeitsalter in Zukunft sowieso von 14 auf 10 herabgesetzt werden soll/wird.

_Inhalt_

Wer meint, Harry Potters Zauberwelt sei niedlich, harmlos und die Handelnden würden für Jugendliche zum Vorbild gereichen, bessere Menschen zu werden, irrt. Gewaltig. Der (meist minderjährige) Leser findet in der Potterschen Lektüre einen wahren Sündenpfuhl vor, mit (Straf-)Taten, deren Nachahmung nicht wirklich geeignet ist ,- es sei denn man möchte bereits im Kindesalter eine steile Knastkarriere starten. Da es Hexerei im deutschen Rechtswesen nicht (mehr) gibt, müssen andere Erklärungen gefunden werden, daher nimmt es sich schon höchst amüsant, wenn Euer Ehren versucht, zum Teil paranormale Vorgänge in ein physikalisch-technisches Beamtendeutsch zu transferieren, um seine Anklageschriften zu erstellen.

So wird etwa aus dem berüchtigten gegen Harrys Eltern eingesetzten „Avada Kedavra“-Todesfluch furztrocken: „Freisetzung von Druckenergien mit ungewöhnlicher Beschleunigung nach außen“, mit Todesfolge versteht sich (strafbar übrigens gemäß §212 StGB). Da der umtriebige Lord dieses zielgerichtet einsetzen kann, wird er nicht wegen „Mord mit gemeingefährlich Mitteln“ verknackt, wohl aber wegen „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ (§308 StGB – paranormale Energien gelten im weitesten Sinne auch als „Explosionsstoff“), „Mord aus niederen Beweggründen“ (§211 StGB) sowieso. Gegenüber Harry macht er sich der gefährlichen, schweren Körperverletzung (die zurückbleibende Narbe – §223 Abs.1, §224 StGB) und versuchtem Mord schuldig. Dass er das Haus in Schutt und Asche legte, bleibt straffrei, weil nach fünf Jahren verjährt.

Doch nicht nur die Großen erwischt es, auch die magischen Dreikäsehochs leisten sich einen Lapsus nach dem anderen. Zwar sind dies meist keine wirklichen Kapitalverbrechen und sollten mit ein paar Sozialstunden wieder ins Lot zu bringen sein, doch das Reiten auf dem Besen (zumal ohne gültige Piloten-Lizenz und nicht von der Prüfstelle abgenommenem Fluggerät) ist ein gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr, was nach § 60 Abs. 1 LuftVG nicht ohne ist. Hagrids Einbruch bei den Dursleys in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zweifacher Sachbeschädigung und Körperverletzung bringt ihn locker drei Jahre hinter Gitter. Ungeklärt bleibt allerdings, ob Dursley die Knarre überhaupt besitzen durfte, die Hagrid ein wenig verformt. Schlampig ermittelt, Euer Ehren!

Snape kriegt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes einen auf die unförmige Runkel – Zaubertränke sind Designerdrogen: hundert Tagessätze Geldstrafe. Harry kommt auch nicht ungeschoren davon, kann aber – summa summarum – für all seine im Roman begangenen Missetaten mit vergleichsweise milden vier Wochen Jugendarrest rechnen. Malfoy, der ebenfalls mit dem Besen durch die Lüfte karriolt, fängt sich dafür zwanzig Sozialstunden ein. Sogar der unbefugt eingedrungene Troll würde wegen Hausfriedensbruchs und versuchtem Totschlags zur Räson gebracht und vor den Kadi gezerrt – notfalls an den Haaren, wenn er denn welche hätte.

_Fazit_

Simple Ordnungswidrigkeiten bleiben in dem 120 Seiten starken Buch gottlob unberücksichtigt, sonst hätte es ohne Zweifel Telefonbuchformat erreicht. Das 7,95 € teure Taschenbuch braucht man nicht in einem Rutsch durchackern, es ist in kleinere Themenkomplexe gegliedert. Leider greift sich der Originalitätsfaktor bereits nach ein paar der Fälle merklich ab, zu sehr gleicht sich das Procedere der Aufarbeitung, und auch die überaus witzigen juristischen Beschreibungen übernatürlicher Begebenheiten zünden irgendwann nicht mehr so wie anfangs. Geeignet ist es zudem nur für kundige Leserschaft, denn ohne Kenntnis des Romans bleibt man außen vor. Somit ist der Fall Larry Popper ein typischer Vertreter der Read-once-and-forget-Fraktion, welches auch der Fan nach einmaligem Lesen vermutlich im Regal verstauben lässt.

http://www.eichborn.de/

Hardebusch, Christoph – Trolle, Die

_Handlung_

Das Land Wlachkis steht unter der Fremdherrschaft des Volkes der Masriden. Die letzten freien Wlachaken führen eine Art Bürgerkrieg gegen die Besatzer. Einer der Widerstandskämpfer, Sten cal Dabran, wird von Zorpad, dem Masridenherrscher, gefangen genommen. Als Strafe soll Sten in einem engen Käfig im tiefsten Wald ausgesetzt werden, um dort den Tod durch wilde Tiere oder etwas Schlimmeres zu erlangen. Und Zorpads Plan scheint aufzugehen, denn als fünf Trolle bei dem Wlachaken auftauchen, scheint dessen Leben wohl beendet. Aber es kommt anders: Nicht nur, dass die Trolle, die eigentlich als ausgestorben gelten, Stens Sprache sprechen können, nein, sie scheinen auch noch intelligent zu sein. Der Anführer der Trolle, Druan, befragt den Widerstandskämpfer über die Menschen.

Da die Trolle normalerweise unter der Erde leben, wissen sie natürlich nur wenig über Menschen und deren Gepflogenheiten. Hinzu kommt, dass die Zwerge, die Todfeinde der Trolle, von eben jenen Menschen Hilfe erhalten, um die Monster auszurotten. So kommt es zu einem brüchigen Pakt: Die Trolle nehmen Sten mit sich, und dieser erzählt ihnen von den Menschen. Doch nicht alle Trolle sind mit dieser Situation einverstanden, so dass der größte und stärkste Troll, Pard, den Menschen lieber tot sehen würde. Auch der Wlachake bemerkt schnell, auf was er sich da eingelassen hat, denn die Trolle sind, obwohl intelligent und sprachbegabt, doch eben unberechenbare Ungeheuer, für die das Leben eines Menschen nicht viel Wert besitzt.

_Der Autor_

Christoph Hardebusch, geboren 1974 in Lüdenscheid, studierte Anglistik und Medienwissenschaften und arbeitete anschließend als Texter bei einer Werbeagentur in Heidelberg, wo er seitdem auch lebt. Sein großes Interesse an Fantasy und Geschichte führte ihn schließlich zum Schreiben. „Die Trolle“ ist sein erster Roman.

_Mein Eindruck_

Christoph Hardebusch hätte es sich wohl wirklich leichter machen können. Seinen Debütroman gleich in einer Reihe mit etablierten Autoren wie Stan Nicholls, Markus Heitz und Bernhard Hennen zu veröffentlichen, ist sicherlich keine leichte Situation für einen „Neuling“. Umso beachtlicher ist das Endprodukt, das er abgeliefert hat: 766 Seiten echtes Fantasy-Lesevergnügen. Wobei ja schon die pure Seitenanzahl ein ordentliches Wort ist. Doch wollen diese auch erst einmal sinnvoll gefüllt werden. Eines im Voraus: Es ist ihm auf beachtliche Art und Weise gelungen!

Mal ganz davon abgesehen, unterscheiden sich „Die Trolle“ schon etwas von den anderen Romanen aus der Reihe. Denn bei Hardebusch spielen die Trolle zwar eine wichtige Rolle, doch ist der Wlachakenrebell Sten der eigentliche Protagonist. Aha, ertappt: Etikettenschwindel, werden sich jetzt einige denken. Nein, dem ist nicht so, eher würde ich es als gelungenes Stil-und Darstellungsmittel beschreiben, denn somit erreicht der Autor, dass man die Trolle aus menschlichen Augen beobachtet und so die Ungeheuer mit gemischten Gefühlen wahrnimmt. Einerseits ist natürlich das Ziel der Trolle – nämlich ihre Rasse vor dem Aussterben zu bewahren – nur allzu verständlich. Andererseits aber sind sie eben trotz alledem Trolle: gefährlich, monströs und unberechenbar. Dieser Zwiespalt betrifft sowohl den Leser, als auch Sten. Dieses von Hardebusch verwendete Stilmittel ist von daher so interessant, da ja speziell die Fantsayliteratur gerne zur Schwarzweißmalerei neigt. So ist etwa bei Tolkien von Anfang bis Ende immer klar, wer gut und wer böse ist.

Der Kniff mit der Perspektive lässt sich besonders schön daran ersehen, dass die Zwerge die Trolle aus ihren Stollen haben wollen. Da diese auch nicht gerade mit Freundlichkeit glänzen, ein verständliches Anliegen. Wäre der Roman nun aus der Sicht eines Zwergs geschrieben, wäre klar, wer hier der Böse ist. So allerdings steht eigentlich nur ein richtiger Bösewicht fest: Zorpad, der Masridenherrscher. Alle anderen bewegen sich in den verschiedenen Abstufungen zwischen Schwarz und Weiß. Dies macht die Lektüre enorm kurzweilig, und man fragt sich häufig: Wie würdest du an Stens Stelle handeln?

Desweiteren hat Christoph Hardebusch es geschafft, die Trolle nicht zu stereotypen Monstern verkommen zu lassen. Allerdings liegt auch hier mein Hauptkritikpunkt an diesem Roman. So haben etwa die Trolle Druan, Pard und Roch ein klares Charakterprofil, das heißt man kann sie sich plastisch vorstellen. Bei den anderen Trollen Zdam und Anda fehlt dies leider weitestgehend. Diese beiden erweckten in mir den Eindruck, nur „Auffüllmaterial“ oder „Kanonenfutter“ zu sein, vor allem, wenn man bedenkt, dass dies bei den anderen Figuren nicht der Fall ist. So sind etwa die drei anderen Trolle, Sten, Zorpad, Flores oder Sargan äußerst gelungene Figuren geworden, mit einem hohen Wiedererkennungsfaktor. Doch muss ich ehrlich zugeben, dass diese Kritik bei einem Debütroman schon ein wenig an Erbsenzählerei grenzt. Andererseits wäre es ja fast schon erschreckend, wenn ein neuer Autor sofort perfekt schreiben würde.

Auch das Setting ist sehr überzeugend. Man merkt, dass sich Hardebusch richtig Gedanken über das „Land zwischen den Bergen“ gemacht und nicht einfach halbgare Kost geliefert hat. Dies sieht man einerseits an den historischen Ereignissen, von denen erzählt wird, und andererseits an der überaus athmosphärischen und plastischen Schilderung des Landes und der Städte. Auch die verschiedenen Kulturen der Völker sind interessant gestaltet. Besonders deutlich wird das an der Figur von Sargan, der aus einem Land jenseits der Berge kommt und mit der Kultur – oder dem Fehlen einer solchen – der hiesigen Völker teilweise Schwierigkeiten hat. Auch der Plot ist sinnvoll gewählt. So lernt man im ersten Teil des Buches erst einmal die Trolle und Sten kennen. In der zweiten Hälfte dagegen spielen dann auch weitere Figuren eine Rolle. So wird dem Leser Zeit gegeben, um erst die Trolle kennen zu lernen und sie dann später in Aktion zu erleben.

_Fazit_

„Die Trolle“ sind für Fantasy-Fans ein Muss. Der Roman wird auf seinen 766 Seiten nie langweilig oder eintönig, sollte wohl jedem Fan der |Heyne|-Reihe gefallen und viele vergnügliche Stunden Lesespaß bereiten. Ich bin mir sicher, dass wir an Christoph Hardebusch noch einige Freude haben werden, und bin schon jetzt gespannt, was auf „Die Trolle“ folgen wird!

http://www.hardebusch.net/

|Ergänzend dazu siehe auch:|
[Interview mit Christoph Hardebusch]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=65
[Teaser und Lesprobe zu „Die Trolle“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=62

Isau, Ralf – König im König, Der (Die Chroniken von Mirad 2)

Band 1: „Das gespiegelte Herz“
Band 2: „Der König im König“

Nachdem Twikus und Ergil in [„Das gespiegelte Herz“ 1807 ihren Onkel Wikander besiegen und Mirad von seiner Tyrannei befreien konnten, sollte eigentlich alles in schönster Ordnung sein. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Die beiden Brüder sind noch jung, die Bevölkerung scheint sie als Könige nicht ganz ernst zu nehmen, und einige Könige des Sechserbundes nutzen offenbar die Gelegenheit, ihr eigenes Süppchen zu kochen …

Doch all diese Schwierigkeiten verblassen, als eines Tages das Sirilim-Schwert der Brüder unvermittelt das Zittern anfängt. In der folgenden Nacht träumt Ergil, Wikanders finsteres Schwert Schmerz, das geborsten ins Meer gestürzt war, tauche wieder auf! Als noch dazu ein Bote Múrias die Nachricht von einem seltsamen, schwarz gekleideten Mann namens Kaguan überbringt, der sich sehr eigenartig verhalten habe, beschließen die Zwillinge, zusammen mit Múria und Falgon zum Festland zu reiten.

Sie kommen zu spät, Kaguan ist verschwunden. Um herauszufinden, wer dieser geheimnisvolle Mann war und was er eigentlich wollte, benutzen die jungen Könige ihre Sirilim-Fähigkeiten. Das Ergebnis ist erschreckend! Kaguan ist ein Chamäleone, ein Diener des finsteren Gottes Magos, und er hat die Bruchstücke von Schmerz aus dem Meer geborgen, um sie seinem Herrn zurückzubringen, damit dieser Mirad erneut seiner Knechtschaft unterwerfen kann.

Zuerst jedoch muss das Schwert neu geschmiedet werden, und nur eine Familie in Mirad beherrscht diese Kunst. Eine verbissene Hetzjagd durch den halben Kontinent beginnt …

Der zweite Band der Mirad-Trilogie hat mir fast noch besser gefallen als der erste. Während im ersten Teil die Handlung sich noch ganz allmählich an die eigentliche Aufgabe, nämlich den Sieg über Wikander, herantastete, ist im zweiten Band von Anfang an klar, um was es geht. Die Jagd nach dem schwarzen Schwert bildet dabei den roten Faden, der sich durch das ganze Buch zieht, was diesen Band einheitlicher und zusammenhängender erscheinen lässt als den ersten.

Trotzdem geht hier bei weitem nicht alles glatt, im Gegenteil. Jedes Mal, wenn die Gefährten glauben, sie könnten Kaguan endlich fassen, macht ihnen irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur die Tatsache, dass der Chamäleone sich durch die Anpassung seines Körpers an seine Umgebung nahezu unsichtbar machen kann, sondern auch, dass er die Brüder sehen kann, wenn sie ihre Sirilim-Gabe benutzen, macht ein Überlisten der Kreatur äußerst schwierig. Dazu kommt, dass das Schwert Schmerz, das Kaguan bei sich trägt, eine für die Zwillinge schier unerträgliche Ausstrahlung besitzt und ihnen die Sinne verwirrt. Außerdem hat Kaguan auch noch einige Helfer, die der Gemeinschaft schwer zu schaffen machen, und sein Meister hat ihm zusätzlich noch Macht über die Elemente verliehen. Das Repertoire umfasst aber auch so prosaische Tätigkeiten wie Geiselnahmen …

Die vielen verschiedenen Kniffe, durch die Kaguan seinen Verfolgern immer wieder entkommt, sorgen dafür, dass die Jagd durch Mirad abwechslungsreich, interessant und spannend bleibt. Und ehe sich aufgrund der ständigen Fehlschläge beim Leser Frustration einstellen kann, biegt Isau die Verfolgung in eine andere Richtung um …

Hilfreich für Kaguan waren aber nicht nur seine eigenen Fähigkeiten, sondern gelegentlich auch seine Verfolger. Ergil und Twikus haben sich zwar inzwischen ein gutes Stück zusammengerauft, gelegentlich aber flackern die alten Rivalitäten doch noch auf, in der Regel natürlich in kritischen Situationen, sprich: genau dann, wenn man es eigentlich gar nicht gebrauchen könnte! So kann Kaguan zumindest ein- oder zweimal nur deshalb in letzter Sekunde entkommen, weil die Zwillinge sich gerade nicht auf ihre Vorgehensweise einigen können und so kostbare Sekunden vergeuden.

Sogar die mangelnde Unterstützung der Brüder durch die Könige ihres Bundes weiß Kaguan auszunutzen, ebenso wie die Schwäche des Herrschers von Susan für seine Tochter Nishigo. Diese Vielfältigkeit, nicht nur in seinen körperlichen Fähigkeiten, sondern auch in seinem Denken, machen Kaguan zu dem interessantesten neuen Charakter dieses Bandes. Sein Gott wirkt dagegen fast ein wenig mickrig und einfallslos, aber gut, er kam ja auch kaum vor.

Außer den übrigen, bereits bekannten Charakteren Múria, Falgon, Dormund und Kira, die unverändert bleiben, ist noch Popi erwähnenswert, den Ergil zu seinem Knappen gemacht hat. Popi ist eigentlich ein Hasenfuß, der schon vor der geringsten Kleinigkeit am liebsten davonläuft. Aber nur, wenn es nicht um seine Könige geht! Ergil ist er so treu ergeben, dass er für ihn sogar solche Dinge tut, die er sonst niemals auch nur in Erwägung ziehen würde! Dass er dabei geradezu über sich selbst hinauswächst, fällt ihm überhaupt nicht auf.

Eine besonders angegehme Eigenschaft ist Isaus unaufdringliche Art und Weise, Dinge zu schreiben. So bleibt die Romanze zwischen Twikus und Nishigo ein zwar sichtbarer aber erfreulich dezenter Bestandteil der Geschichte. Die Zwillinge bleiben trotz ihrer Macht und Twikus‘ Hang zum Heldentum jederzeit menschlich und unperfekt, was auch für Falgon und Múria gilt. Und auch aus Popi wird kein strahlender Überheld, nachdem er seine Angst überwunden hat, sondern er ist immer noch ein fast zu bescheidener und ängstlicher Junge, der vorerst lediglich entdeckt hat, dass Mut durchaus nicht außerhalb seiner Reichweite liegt.

Zwei Fragen allerdings stellten sich mir bei der Lektüre: Wie konnte es passieren, dass die Wachposten im Palast von Susan so leicht auf den Chamäleonen hereingefallen sind? Hat sie denn niemand davor gewarnt, dass das „Gespenst aus der Schmiede“ seine Gestalt verändern konnte? Wenn ja, was für ein Versäumnis! – Und wie ist Kaguan aus der toten Meerschlange entkommen?

Aber gut, im Hinblick auf den gelungenen Rest des Buches kann man darüber hinwegsehen. Der Kampf gegen ein übermächtiges Böses ist zwar schon so alt wie die Fantasy selbst, aber vielleicht eben deshalb aus dieser auch nicht mehr wegzudenken. Und Ralf Isau hat das Thema mit einigen neuen und guten Ideen angereichert. Wie auch schon der erste Band für Jugendliche uneingeschränkt empfehlenswert, und für Erwachsene ebenfalls durchaus interessant, sofern man nicht besonderen Wert auf große Detailliertheit und komplexe Handlung mit mehreren Parallelsträngen legt.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu Schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Der dritte Band der Chroniken von Mirad soll im Herbst dieses Jahres erscheinen.

Gebundene Ausgabe: 544 Seiten
ISBN-13: 978-3-522-17746-7

http://cms.thienemann.de/index.php?section=1
http://www.isau.de/index.html

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Interview mit Christoph Hardebusch

Mittlerweile bin ich richtiggehend zum Lesungsfan geworden. Daher konnte ich mir selbstverständlich die in Heidelberg stattgefundene Lesung von Christoph Hardebusch, der aus seinem Debütroman „Die Trolle“ lesen sollte, nicht entgehen lassen. Das Interessante daran war sicher auch, dass es sich um eine Deutschlandpremiere handelte, denn es war die allererste Lesung Christoph Hardebuschs überhaupt. Diese wurde diesmal vom Heidelberger Buchladen [Fun-Fiction]http://www.fun-fiction.de und der Buchhändlerklasse der Julius-Springer-Berufsschule veranstaltet. Was soll ich sagen, die Buchhändlerklasse hatte sich ordentlich ins Zeug gelegt, denn die Aula war nicht wiederzuerkennen: Abgehängte Wände, archaische Dekoration, dazu ein nettes Catering, so lasse ich mir eine Lesung noch viel lieber gefallen. Zu meiner Überraschung war die Aula auch bis auf den letzten Platz gefüllt, was man ja sonst von solchen Veranstaltungen nicht unbedingt gewöhnt ist.

Nachdem dann eine Schülerin mit ihrer Anmoderation „Christoph Hardebusch sieht nicht nur interessant aus, er schreibt auch interessante Bücher!“ die Lacher auf ihrer Seite hatte, konnte es gegen 20:15 Uhr dann mit der Lesung losgehen. Ein zu Beginn sichtlich nervöser Christoph Hardebusch fasste im Kerzenschein zuerst einmal grob die Grundhandlung seines Romans zusammen, für diejenigen Zuhörer, die den Roman noch nicht gelesen hatten. Als er dann allerdings anfing, die erste von vier von ihm ausgesuchten Szenen zu lesen, merkte man ihm die große Nervosität nicht mehr an. Die Textstellen waren gut gewählt, denn die Zuhörer hatten sichtlich ihren Spaß. Nach knapp einer Stunde war dann die eigentliche Lesung zu Ende. Nun konnten die Zuhörer natürlich noch ihre Ausgaben von „Die Trolle“ signieren lassen. Hier war Christoph Hardebusch richtig in seinem Element, plauderte mit den Leuten, und schrieb fast schon ausschweifende Widmungen. So dauerte es eine Weile, bis ich ihn mir greifen konnte, um einem merkbar gut gelaunten Lesungsdebütanten meine zahlreichen Fragen zu stellen. Doch lest selbst:

_Martin Schneider:_
Servus Christoph, stellt dich doch bitte zu Beginn einmal unseren Lesern vor.

_Christoph Hardebusch:_
Ja, ich heiße Christoph Hardebusch, habe zuerst mein Abitur gemacht, dann habe ich in Marburg sehr lange sehr verschiedene Fächer studiert. Ich habe mich dann irgendwann entschieden, dass das Studium so nichts taugt, es hingeworfen, und mich als Quereinsteiger beworben. Ich bekam ein Praktikum bei einer Werbeagentur und bin dann durch eine Bekannte, die eine Literaturagentur aufgemacht hat, zum professionellen Schreiben gekommen.

_Martin:_
Hast du vorher schon für dich privat geschrieben?

_Christoph:_
Ich schreibe schon lange und habe bereits vor und während des Studiums geschrieben. Aber das geschah nie mit dem Ziel, die Sachen auch zu veröffentlichen, sondern nur für mich und meine Freunde.

_Martin:_
Wie kam dann die Idee, „Die Trolle“ zu schreiben?

_Christoph:_
Ich habe auf Anraten meiner Agentin ein Romanmanuskript bei |Heyne| eingereicht. Die meinten dann, es gefalle ihnen recht gut, aber einen neuen Autor zu veröffentlichen sei schwierig, wegen der kleinen Auflage und der wenigen Werbung. Daher schlugen sie vor, einen Teil meines Manuskriptes – nämlich die darin enthaltenen Trolle – größer aufzuziehen, und das in der Reihe zu veröffentlichen. Das würde die Chancen auf Erfolg beträchtlich erhöhen.

_Martin:_
Damit lag der Verlag wohl auch richtig. Kannst du für unsere Leser, die die „Die Trolle“ noch nicht gelesen haben, die Handlung einmal zusammenfassen?

_Christoph:_
In dem Land, in dem der Roman spielt, herrscht seit 200 Jahren ein Bürgerkrieg, weil das dort lebende Volk, die Wlachaken, von einem anderen Volk überfallen und unterjocht wurde. Der größte Teil wird von eben diesem Volk, den Masriden, beherrscht, und es gibt nur noch wenige Wlachaken, die frei sind und gegen die Besatzung ankämpfen. Der Herrscher der Masriden heißt Zorpad; er versucht die letzen Widerständler auszumerzen. Einer der Freiheitskämpfer ist der Protagonist dieses Buches. Dieser wird gefangen genommen, in einem Käfig mitten im Wald ausgesetzt und dann von den Trollen gerettet. Wie der Mensch und die Trolle zusammenarbeiten, sich langsam vertrauen, und welche Ziele sie verfolgen, ist dann der Inhalt eines großen Teiles des Buches.

_Martin:_
Wie sind deine Trolle beschaffen, und wie hast du dich für die Erschaffung inspirieren lassen?

_Christoph:_
Da muss ich jetzt erst einmal ein bisschen weiter ausholen: Trolle in der Fantasy gibt es ja schon lange, und sehr viele. Klassisches Beispiel sind die Trolle aus J.R.R. Tolkiens „Der Hobbit“. Es gibt noch einige weitere Trolle, etwa bei Terry Pratchett oder den jeweiligen Rollenspielsystemen. Dann habe ich mir überlegt, wie ich mir selber die Trolle vorstelle und wie ich sie spannend darstellen kann. Natürlich habe ich mich hier und da inspirieren lassen. Allerdings wollte ich schon etwas Eigenständiges machen.

_Martin:_
Von der Beschreibung deiner Trolle her haben sie mich sehr an eine Mischung der Trolle aus dem Rollenspielsystem „Shadowrun“ und denen eben Tolkiens erinnert, was deren Schwäche betrifft …

_Christoph:_
Das kommt so hin. Die „Shadowrun“-Trolle fand ich immer interessant, weil sie nicht in die Böse-Wesen-Ecke gedrängt werden, denn sie sind ja eigentlich ganz normale Menschen, die sich nur verwandelt haben. Eine große Schwäche sollten sie aber auch haben. Zumal die Geschichte ja darauf basieren sollte, dass die Trolle eben auch lange Zeit verschwunden waren, da sie nicht auf der Oberfläche überleben können.

_Martin:_
Sehr interessant finde ich den ständigen Kontrast zwischen dem verständlichen Ziel der Trolle und ihrer eigentlichen Fremd- und Bösartigkeit. Wie hast du versucht, das darzustellen, und was hat dich daran motiviert?

_Christoph:_
Die Trolle anders sein zu lassen, und im eigentlichen Sinne böse, war von mir gewollt. Die Differenz zu dem Streben des Rebellen, der ja ein gutes Ziel verfolgt und dabei eine Allianz mit diesen Ungeheuern eingeht, fand ich schon sehr spannend. Das auszuloten, nämlich aus der Sicht der Menschen die Trolle zu zeigen, die so völlig anders sind, aber sehr verständliche Motive haben für das, was sie tun, hat für mich einen großen Reiz beim Schreiben ausgeübt.

_Martin:_
Wie würdest du die Charaktere der einzelnen Trolle beschreiben?

_Christoph:_
Das reicht von Druan, der intelligent ist und als Anführer die Trolle an der gefährlichen Oberfläche leitet, bis hin zu Pard, der alle Probleme zuerst mit Gewalt lösen will. Ich habe versucht, eine Hand voll eigener Trollcharaktere zu entwerfen, die keine Abziehbilder sind. Sie sollten nicht nur alle böse sein, sondern eigenständig Charaktere darstellen.

_Martin:_
Der eigentliche Protagonist ist ja der Mensch Sten. Warum hast du einen Menschen dafür ausgewählt und keinen Troll?

_Christoph:_
Weil ich mir dachte, es ist spannender, die Trolle in ihrer Andersartigkeit durch die Augen der Menschen zu betrachten. Es gibt ja einige menschliche Charaktere, die die Trolle auch alle unterschiedlich erleben. Von daher habe ich die Trolle nicht als Protagonisten ausgewählt.

_Martin:_
Wie würdest du Sten charakterisieren?

_Christoph:_
Sten ist auf jeden Fall ein Guter. Er hat hehre Ziele und will diese – teilweise auch sehr kompromisslos – erreichen. Er ist sich allerdings bewusst, dass er dabei seine Menschlichkeit aufs Spiel setzt. Dazu hat er aber auch viel Humor, zumindest hoffe ich, dass das so auch im Buch rüberkommt.

_Martin:_
Sogar einen ziemlich schwarzen Humor!

_Christoph:_
Ja, das bringt seine Lage so mit sich (lacht).

_Martin:_
Sten hat ja auch eine Zwillingsschwester, Flores. Die beiden sind ja, obwohl eben Zwillinge, völlig verschieden. Einmal natürlich unterscheiden sie sich bezüglich ihres Geschlechtes, andererseits wegen der Ziele und Denkweise.

_Christoph:_
Flores habe ich absichtlich gegensätzlich zu Sten angelegt, weil ich es spannend fand, sich mit dem Rebellen und Untergrundkämpfer zu identifizieren, der für etwas Gutes kämpft und sich ähnlich wie etwa Robin Hood gegen die Obrigkeit auflehnt. Daher habe ich Flores so angelegt, dass sie sich der Rebellion gegenüber verweigert. Da sie aber trotzdem freundschaftliche Bande zu den Rebellen hat, wird sie trotzdem immer wieder hineingezogen, obwohl sie damit gar nicht zu tun haben will.

_Martin:_
Hast du bei den Rebellen irgendwelche Vorbilder gehabt, realpolitisch oder aus der Literatur?

_Christoph:_
Ehrlich gesagt, nicht bewusst. Ich habe an ein bestimmtes Szenario gedacht. Bei der Entwicklung der Welt habe ich mich natürlich von historischen und realen Hintergründen beeinflussen lassen, aber nicht in dem Sinne, dass ich konkrete Sachen übernommen hätte.

_Martin:_
Wie würdest du den Masridenherrscher Zorpad beschreiben?

_Christoph:_
Zorpad ist auch einem höheren Ziel verpflichtet. Allerdings ist er beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, krasser/brutaler und kompromissloser als der Rest. Er hat keinerlei moralische Bedenken, seinen Willen durchzusetzen, weil er sich als den rechtmäßigen Herrscher sieht und das mit allen Mitteln erreichen will.

_Martin:_
Gab es für ihn irgendwelche Vorbilder?

_Christoph:_
(lacht) Nein, nicht wirklich. Ich wollte aber keinen dummen Bösen erschaffen. Zorpad hat ein Ziel und verfolgt dieses intelligent und sinnvoll.

_Martin:_
Die Zwerge kommen in deinem Buch ja nicht so gut weg. Allerdings, finde ich, sieht man hier sehr schön, inwiefern in diesem Roman der Blickwinkel eine Rolle spielt, denn in den meisten anderen Romanen wäre man wohl eher auf deren Seite und würde die Trolle als die „Bösen“ sehen.

_Christoph:_
Wenn man das Buch aus einer anderen Sicht schreiben würde, würde man das wohl tatsächlich anders sehen, weil die Zwerge natürlich gegen die Trolle kämpfen, und diese ja auch in ihrer Vorgehensweise nicht gerade nett sind. Das heißt, man hat sicherlich auch ein wenig Verständnis für die Zwerge, die versuchen ihren Willen durchzusetzen. Der für das Buch wichtigste Zwergencharakter ist sehr gefährlich und in seinen Aktionen sehr kompromisslos und bildet so ein Gegengewicht zu den Trollen. Die anderen Zwerge werden ja eigentlich nur so grob angerissen.

_Martin:_
Die Szene, in der Sargan den Trollen das Schreiben beibringt, hat mich sehr an den Film „Der 13. Krieger“ erinnert. Ist das gewollt oder zufällig?

_Christoph:_
Jetzt wo du es sagst … Ich kenne den Film natürlich, und habe auch das Buch zu Hause. Kann sein, dass ich mich davon habe unbewusst inspirieren lassen. Aber absichtlich war das nicht. Unabhängig davon gefällt mir diese Szene sehr gut, weil sie schön den Zwiespalt zwischen Menschen und Trollen aufzeigt.

_Martin:_
Wie kam dir allgemein die Idee für das Setting: „Das Land zwischen den Bergen?“

_Christoph:_
Ich habe ein gewisses Faible für Osteuropa und habe mich da grob an Rumänien orientiert, das Land jenseits der Wälder. Ich fand das sehr passend als Vorbild für ein Fantasyland. Es sollte ein sehr düsteres Land sein, mit vielen Legenden und abergläubischen Menschen, wobei hier der Aberglaube ja auf realen Begebenheiten fußt. Von dieser Ausgangsbasis aus habe ich das Setting dann langsam entwickelt.

_Martin:_
Es ist ja auch von einem „Östlichen Imperium“ die Rede, aus dem Sargan kommt. Wie stellst du dir das vor?

_Christoph:_
Das Imperium ist quasi alles, was Wlachkis (Das Land zwischen den Bergen/d. Red.) nicht ist. Nämlich ein hoch entwickeltes, relativ fortschrittliches Volk mit einem vernünftigen Staatswesen, einem stehenden Heer und all dem Fortschritt, der in Wlachkis nicht gegeben ist. Vergleiche mit realen Völkern oder Imperien sind hier schwierig, am ehesten noch Persien oder dergleichen.

_Martin:_
Das Ende lässt dir ja alle Möglichkeiten für eine Fortsetzung; auch wenn du betonst, das das nicht gewollt war, so wäre doch eine Expansion in Richtung östliches Imperium durchaus vorstellbar.

_Christoph:_
Ich habe mir logischerweise schon Gedanken gemacht, wie ich diese Welt weiterentwickle, und habe da auch schon einen Haufen Ideen. Es ist viel Material angefallen, das sich mit anderen Dingen beschäftigt, die nicht in dieses Buch gepasst haben. Ich denke, dass ich durchaus noch ein oder zwei Geschichten in dieser Welt erzählen könnte. Ob das dann was wird, ist von anderen Faktoren abhängig, aber die Möglichkeit ist auf jeden Fall gegeben.

_Martin:_
Das muss ja auch nicht zwangsläufig unter dem Banner „Die Trolle“ geschehen …

_Christoph:_
Ich denke, die Welt, so wie sie ist, macht schon Spaß, sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Mir gefällt sie, ich mag sie, und das würde sich für andere Bücher durchaus anbieten.

_Martin:_
Wie sehen denn deine weiteren schreibtechnischen Planungen aus?

_Christoph:_
Es sind Projekte in Planung, allerdings treffe ich mich erst demnächst mit |Heyne|, wo dann über verschiedene Optionen gesprochen wird. Das heißt, dass ich noch nichts Genaues sagen kann, aber die Verhandlungen laufen.

_Martin:_
Dein Buch erschien ja bei |Heyne| in einer Art Reihe, mit „Die Orks“, „Die Zwerge“ und „Die Elfen“ etc. Wie findest du denn diese Veröffentlichungspolitik?

_Christoph:_
Offensichtlich kommt das bei den Lesern sehr gut an. Es gibt eine relativ große Fangemeinde, und die Leute kaufen die Bücher gerne und finden Gefallen daran. Man muss schon sagen, dass sich |Heyne| Mühe gegeben hat, mit der Covergestaltung, den Karten sowie der Betreuung der Autoren. Das ist durchaus sehr praktisch für mich als Autor, genauso wie für den Leser, der natürlich weiß, was ihn erwartet. Von daher finde ich die Reihe eine gute Sache, die offensichtlich auch gut angenommen wird.

_Martin:_
Wie ist es für dich, in einer Reihe mit deutschen Fantasygrößen wie Markus Heitz oder Bernhard Hennen zu erscheinen? Spornt dich das an, oder ist das eher eine Belastung?

_Christoph:_
Das wechselt immer wieder. Bevor „Die Trolle“ erschienen, war es eine große Belastung, weil ich die Angst hatte, die Fans würden denken: „Oh Mann, einen unbekannten Autoren will ich nicht lesen!“. Das hat sich mittlerweile aber zum Glück gelegt. Natürlich ist aber ein Markus Heitz mit seinem Erfolg der „Zwerge“ und seinen anderen Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt werden, ein Beispiel für mich. Die Leute mögen, was er schreibt, seine Welten und seine Charaktere, von daher ist er sicherlich ein gutes Vorbild. Gleiches gilt für Bernhard Hennen, der mit den Elfen ja auch sehr erfolgreich ist.

_Martin:_
Du bist ja ein bekennender Rollenspieler. Was spielst und was leitest du gerne?

_Christoph:_
Meine Rollenspielbücher füllen mittlerweile ganze Regale, das ist schon ein wenig problematisch. Momentan spielen wir „Cthulhu“, „Rolemaster“, „Shadowrun“ und „Vampire“. „Vampire“ ist auch gleichzeitig die Runde, an der wir schon am längsten spielen. Wir haben da bei „Dark Ages“ angefangen und sind inzwischen im 20. Jahrhundert, und die Spieler haben schon gehörig Angst vor Gehenna. (lacht)

_Martin:_
Hast du auch mal Lust, ein eigenes Rollenspiel zu schreiben, eventuell auf der Basis von „Die Trolle“?

_Christoph:_
Sagen wir mal so: Als Rollenspieler und „Sehrvielspielleiter“ habe ich natürlich verschiedene Systemleichen im Keller. Ich habe durchaus für viele Welten, die ich so beschrieben habe, versucht, verschiedene Regeln zu machen. Ich habe so eine Art eigenes System, das sich von „Hârnmaster“ ableitet, das ich als Hintergrund für die Troll-Welt nehmen könnte – wenig Magie, halbwegs realistisch. Aber professionell werde ich das wohl eher nicht machen.

_Martin:_
Kommen wir zur Lesung: Wie ist denn deine erste Lesung deiner Meinung nach gelaufen?

_Christoph:_
Ich war extrem nervös. Ich habe mir die ganze Woche vorher Gedanken gemacht und andauernd Leuten vorgelesen, ob sie nun wollten oder nicht! Habe geübt, was ich vorlese, was ich für Geschichten erzähle, und habe die Überleitungen und Einleitungen zu Hause gelernt, damit ich weiß, was ich sagen muss. Und dann waren noch so viele Leute da – ich dachte, es wird fürchterlich! Als ich dann allerdings angefangen habe zu lesen, hat sich die Nervosität aber Gott sei Dank gelegt.

_Martin:_
Es hat ja dann im Endeffekt auch gut geklappt.

_Christoph:_
Danke, man hat mir gesagt, dass es okay war! (lacht)

_Martin:_
Du hast ja vier Szenen vorgelesen. Welche waren das, und warum hast du sie ausgesucht?

_Christoph:_
Die Szenen sollten auf unterschiedliche Charaktere und deren Zusammentreffen oder deren Beziehung zu den Trollen ein Schlaglicht werfen. Ich hatte zuerst überlegt, ein Kapitel zu lesen, fand das dann aber zu eintönig. Ich dachte mir, Szenen mit Dialogen und Action kommen wahrscheinlich gut bei den Hörern an. Da habe ich halt eine ausgewählt, die die Trolle gut darstellt, nämlich Druan und Sten in Orvol, wie sie auf andere Menschen treffen. Als zweites habe die Szene genommen, in der Flores Natiole begegnet. Sie ist halt etwas aufbrausender als Sten, und daher sind hier die Dialoge besonders geeignet. Die dritte Szene beschreibt Sargan und die Trolle. Sargan ist definitiv auch ein wichtiger Charakter und es hat sehr viel Spaß gemacht, seinen Part zu schreiben.

Die letzte Textstelle ist einfach eine sehr wichtige im Buch, nämlich in Teremi, wo die Handlungsstränge zusammenlaufen und es so einen kleinen Höhepunkt gibt. Zufälligerweise hat es sich auch ergeben, dass dort ein gut geeigneter Satz für das Ende der Lesung ist, der die Leute dazu anregen könnte, dass sie das Buch noch kaufen und lesen. (lacht)

_Martin:_
Es waren ja auch erstaunlich viele junge Leute da, was bedeutet dir das?

_Christoph:_
Es heißt ja immer, die Leute würden nicht mehr lesen, oder das Lesen stirbt aus. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es gibt genug Menschen, die noch oder wieder lesen. Die Lesung ist für mich auf jeden Fall eine super Möglichkeit, die Leser persönlich kennen zu lernen. Das fand ich sehr spannend. Eine Woche vorher war es bei meiner Signierstunde auf dem Mannheimer Rollenspielertreffen genauso interessant zu sehen: Wer interessiert sich für meine Bücher? Was für Leute sind das?

_Martin:_
So, Christoph, damit sind fürs Erste meine Fragen erschöpft und ich danke dir recht herzlich für dieses sehr ausführliche Interview. Jetzt allerdings hast du zum Schluss noch die Möglichkeit, einen letzten Satz an unsere Leser zu richten:

_Christoph:_
Erst einmal danke für das Interview. Ich glaube, ich möchte mit einem chinesischen Sprichwort schließen: „Hast du drei Tage kein Buch gelesen, werden deine Worte seicht“ (lacht).

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[Rezension zu „Die Trolle“ 2408
[Teaser und Leseprobe zu „Die Trolle“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=62

Oder die Homepage: http://www.hardebusch.net/

|Foto: © Julia Abrahams|

Berlusconi

Knapp verloren hat Silvio Berlusconi die Wahlen in Italien und zeigt sich als schlechter Verlierer, indem er das Ergebnis anzweifelt. Eine Ära scheint ihrem Ende entgegen gegangen zu sein, soweit es nicht doch noch zu Neuwahlen kommt. Ganz trauen darf man der neuen Realität noch nicht, hatte doch die Wahl selbst bis in die darauf folgenden Tage hinein noch etwas von einem Krimi, der Italien in Atem hielt und die Bevölkerung spaltete.

Grund genug, einen Rückblick auf Berlusconi und seine politische Geschichte zu unternehmen. Vor allem die Frage, ob in Italien unter Berlusconi noch von Demokratie zu sprechen war, galt während seiner Amtszeit als sehr umstritten, vor allem da unter seinem Machtmonopol die Medien die zentrale Rolle einnahmen und die Politik ihrer Logik, ihres Zeitgefühls und ihren Marktgesetzen unterwarfen. Vor allem über das Fernsehen wurde Politik sehr vereinfacht, aber auch deren Inhalte völlig im Verbogen belassen.

Berlusconi war schon Anfang der 80er Jahre Mitglied in der umstrittenen Freimaurerloge [P2,]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due die ein Kompendium der Machtelite Italiens darstellte und alle Leiter der Geheimdienste, Offiziere, Generäle und Admirale ebenso umfasste wie auch Minister. Inhaltlich ging es vor allem um die Bekämpfung des Kommunismus, und Berlusconi hat dort wahrscheinlich vor allem seine Bekanntheit und sein Netzwerk ausgebaut und Zugang zu Finanzquellen erhalten. Berlusconi versuchte seine dortige Mitgliedschaft immer herunterzuspielen und wurde deswegen 1990 von einem Gericht in Venedig wegen Falschaussage verurteilt, was bis heute trotz all seiner Verfahren seine einzige rechtsgültige Verurteilung darstellt.

Die strategische Zielsetzung der P2 war u. a., die Unabhängigkeit der Justiz zu durchbrechen und die Schlüsselstellung in den Medien zu erobern, was, entlarvend genug, dann ja auch die zentralen Punkte in Berlusconis politischem Programm darstellte. Er baute das Privatfernsehen auf, und man könnte für italienische Verhältnisse heute sogar sagen: Fernsehen ist Berlusconi. Mit Hilfe dieses Mediums konnte er in die Politik gehen und kandidierte 1994, wobei er sich mit sehr unterschiedlichen politischen Lagern der italienischen Rechten verbündete: auf der einen Seite mit der Lega Nord, auf der anderen Seite mit dem Movimento Sociale Italia (MSI), der sich mit der faschistischen Vergangenheit des Landes identifizierte. Die MSI nannte sich später in Alleanza Nazionale um und wandelte sich zu einer straff organisierten rechten Massenpartei. Lega Nord und AN passten aber damals wie heute nicht wirklich zusammen und vertreten sehr konträre Programme.

Dennoch gelang es ihnen damals die Mitte-Links-Koalition mit Berlusconis amerikanisiertem, personalisiertem Politikspektakel völlig zu überrumpeln. Zwar kamen sie noch nicht an die Macht, aber Berlusconis eigene Partei Forza Italia war mit 21 % die stärkste politische Kraft in der zersplitterten italienischen Parteienlandschaft. Von Anfang an verhielt sich Berlusconi im Parlament nicht wie ein Parteivorsitzender, sondern trat als Boss seiner Partei auf. Bei den Europawahlen 1994 stieg sein Stimmenanteil schon auf über 30 %. Im selben Jahr begann aber auch schon die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Korruption zu ermitteln. Die Lega Nord unter Umberto Bossi realisierte, auf welches unsichere politische Abenteuer sie sich eingelassen hatte, und trat aus der Koalitionsregierung zurück. Die Regierung war gestürzt und Berlusconis erste Amtszeit nach sechs Monaten gescheitert.

Zudem ermittelte erneut die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Diesmal ging es um Korruption der Finanzpolizei, illegale Parteifinanzierung, Bilanzfälschung und Richterbestechung. In Spanien wurde wegen Steuerhinterziehung und Verstöße gegen das Kartellrecht gegen ihn ermittelt. 1995 waren die Ermittlungen abgeschlossen und 1998 wurde Berlusconi zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis schuldig verurteilt. Im italienischen Justizwesen tritt man seine Strafe aber erst an, wenn alle Instanzen durchlaufen sind. 2000 wurde vom höchsten Gericht die Strafe bestätigt. Aber da die Schuld mehr als zehn Jahre zurücklag, kamen Verjährungsbestimmungen zum Tragen. Außerdem gewann er 2001 wieder die Wahlen und wurde überraschend daraufhin gerichtlich für unschuldig erklärt.

Berlusconi war einfach nur sehr geschickt darin, Verfahren in die Länge zu ziehen und politische Termine vorzuschieben, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Solcherart die Verjährung zu erzielen, war nicht ehrenhaft, aber umso wirksamer. Auch hatte seine Medienkontrolle, wodurch er zehn Jahre gegen die Strafverfolgungsbehörden als „kommunistische Staatsanwälte und Richter“ hetzte, sicherlich auch ihren Anteil daran, dass er ohne Konsequenzen davonkam.

Das Ausland war schon immer Berlusconi-kritisch, aber 1999 gelang es ihm mit Hilfe von Helmut Kohl und José Maria Aznar, mit seiner FI tatsächlich als Nachfolgepartei der alten DC anerkannt und damit in den Kreis der Europäischen Volksparteien (EPP) aufgenommen zu werden. Dass der damalige christdemokratische Kommissionspräsident Roman Prodi darüber sehr entrüstet war, änderte nichts. In Italien gewann er wieder Land, als nach einigen Jahren Streitereien die Lega Nord Stimmen verlor und deswegen doch erneut Interesse daran bekam, vielleicht in die Koalition mit der FI und AN zu gehen. 2001 gewann er also wieder die Wahlen, wenn auch knapp – eigentlich hatte er sogar weniger Stimmen als das Mitte-Links-Bündnis, aber die Sitzverteilung im italienischen Parlament und den Senaten ist so kompliziert, dass für normale europäische Verhältnisse in recht merkwürdiger Weise Stimmen gebündelt werden.

Er kaufte mehr und mehr private Fernsehsender und im Grunde gehören ihm mittlerweile alle etwa fünfzig Programme, bei denen es nur um Einschaltquoten geht und die allesamt den gleichen verdummenden und geistlosen Quatsch senden. Privatfernsehen ist in der Hand von Superreichen, von Holdings und Unternehmensgruppen – eine Situation, die auch andernorts Schule macht. An der Spitze stehen Manager, die riesige Summen verdienen, aber die meisten Konsumenten sitzen am unteren Ende der Einkommensskala. In Italien wie auch in den USA und anderenorts ist der Fernsehkonsum bei Familien mit niedrigstem Bildungsstand und Einkommen am höchsten. Diese sozialen Schichten sind auch am wenigsten in der Zivilgesellschaft aktiv. Passivität und ein auf das Privatleben beschränkter Horizont setzen natürlich manipulativer Suggestion nichts entgegen. Statistisch sehen die Italiener mehr fern als alle anderen Westeuropäer, aber noch nicht so viel wie die Amerikaner.

Das krasse Beispiel in Italien ist aber, dass alle Programme von Berlusconi diktiert werden. Faschismusvorwürfe weist er jedoch von sich, weil er ja angeblich auch linke Wähler bediene. Entgegen dem klassischen Faschismus werden abweichende Stimmen nicht zum Schweigen gebracht. Aber ein schönes Zitat von Talkmaster Maurizio Constanze von 2001 drückt es dennoch treffend aus: „Die Macht gehört nicht dem, der im Fernsehen zu Wort kommt, sondern dem, der dir erlaubt, darin zu Wort zu kommen“. Zwar kommen also, kurz geschnitten, viele unterschiedliche Politiker zu Wort, die dann aber anschließend lange aus Regierungsmeinung heraus kommentiert werden.

Die Erfahrung zeigt auch, dass wenn Einschaltquoten sinken, Berlusconi kritische Stimmen aus seinen Programmen herauswirft. 2003 wurde z. B. auch die Berichterstattung über den Generalstreik der Gewerkschaften in den Nachrichten untersagt. Historiker sind sich beim Faschismusvergleich noch sehr uneinig, denn zwischen Mussolini und Berlusconi gibt es auch viel mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Darin, wie sie sich allerdings medienwirksam aufbauen und über welches Charisma sie verfügen, sind sich die beiden dennoch ähnlich.

Auch die staatliche Gewalt geht in eine faschistische Richtung, wofür die bekannt gewordenen Übergriffe der italienischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten wider den G8-Gipfel 2001 in Genua bestes Beispiel sind. In den Polizeikasernen wurde gefoltert und Angereiste Gipfelgegner waren in der Diaz-Schule mitten in der Nacht im Schlaf überfallen und verprügelt worden. Die Rechtfertigung für diesen Überfall waren zwei gefundene Molotowcoctails, wobei sich aber später herausstellte, dass diese von der Polizei selbst hineingeschmuggelt worden waren. Solches Vorgehen gibt es im internationalen Vergleich nur in südamerikanischen Diktaturen.

Tatsächlich feierte unter Berlusconi die faschistische Kultur fröhliche Urständ: faschistisch in ihren Losungen, faschistisch in ihrer Brutalität und faschistisch in ihrer mutwilligen Missachtung der elementarsten Rechte von Festgenommenen. In seiner Amtszeit wurde Mussolinis Faschismus neu bewertet und im offiziellen Sprachgebrauch der Mitte-Rechts-Parteien gilt der Faschismus als nicht gar so verwerflich; Mussolini sei durch Hitler vom Weg abgekommen und erst nach der Einführung der berüchtigten Rassengesetze 1938 sei das Regime entgleist. Auch die Lega Nord erklärte 1994, dass Frauen es unter dem Faschismus gut gehabt hätten. 2003 erklärte Berlusconi, Mussolini habe niemanden umgebracht, er sei ein „milder“ Diktator gewesen und habe seine Gegner anstatt ins Gefängnis auf Inseln wie Ponza und Ventotene „in die Ferien“ geschickt. Solche Behauptungen sind historisch unhaltbar. Sogar die rechtsgerichtete Presse Italiens beklagte die haltlosen Lügen Berlusconis. Unter seiner politischen Geschichte von 1994 bis 2003 wurden viele „gute“ Faschisten rehabilitiert. Die italienischen Schulbücher wurden nach „objektiven Kriterien, die die historische Wahrheit respektieren“ umgeschrieben, da sie angeblich bisher zu linkslastig waren.

Auch die Justizangelegenheiten, denen Berlusconi durch Verjährung entging, zeigen die gleichen Tendenzen. Seine Mitangeklagten bekamen ja 2003 elf Jahre Gefängnis, aber auch sie sitzen nicht ein, da noch nicht alle Instanzen durchlaufen sind. Zudem hatte Berlusconi mit einem schnell durchs Parlament gejagten Gesetz erreicht, dass den Inhabern der fünf höchsten Staatsämter für die Dauer ihrer Amtszeit Immunität zugebilligt wird. Am 20. Juni 2003 konnte er verkünden: „Mein Leidensweg ist zu Ende“. Mehr als 60 % der Italiener sprachen sich gegen dieses Immunitätsgesetz aus, und selbst unter den Wählern der Regierungskoalition waren nur 25 % für das Gesetz. Aufgrund der Medienmacht und ihrer Propaganda hatte aber auch nur noch ein Drittel der Italiener Vertrauen in die Justiz. 2004 entschied das Verfassungsgericht, dass das Immunitätsgesetz gegen die Verfassung verstößt. Berlusconi kam doch vor Gericht, wurde in drei Punkten für unschuldig erklärt, aber der Hauptanklagepunkt war verjährt. Von seinen neun Verfahren seit 1996 kam sechsmal die Verjährungsfrist zum Tragen, in den übrigen Fällen war er in der zweiten Instanz freigesprochen worden.

In der Außenpolitik verlor er an Ansehen wegen seiner liebdienerischen Beziehung zu Bush und weil er sein Land zu einem der ersten Mitglieder der „Koalition der Willigen“ beim Angriff auf den Irak machte. Das war gegen das religiöse Gefühl des katholischen Italiens und auch gegen die Meinung der Bevölkerung überhaupt. 90 % der Italiener sprachen sich gegen den Krieg aus.

Seit 2002 hat sich ein neuer unerwarteter Widerstand in Italien organisiert, der sich aus der globalen Protestbewegung der 18- bis 25-Jährigen speist und locker in den Sozialforen der meisten größeren Städte organisiert ist. Italiens Social Forum ist das mitgliederstärkste und bestorganisierte in Europa. Millionen Menschen werden für Demos aktiviert. Diese Zahlen übertrafen die kühnsten Hoffnungen der Organisatoren und gehen auch über alle vergleichbaren Zahlen der Vergangenheit hinaus, übertreffen sogar den „heißen Herbst“ der Arbeiterkämpfe 1969 – 70. Auffallend ist der Anteil der Mittelschicht, der weder mit Berlusconis Politik noch mit der Mitte-Links-Koalition zufrieden ist.

Im Frühjahr 2006 hat er die Wahl verloren und damit wurde die Gefahr gestoppt, dass er im Herzen Europas ein voll entwickeltes, durch Medien gesteuertes persönliches Regime errichtet. Aber noch reagiert er bissig und angriffsfreudig auf das Wahlergebnis und man darf seine Entschluss- und Widerstandsfähigkeit nicht unterschätzen. Was in Italien passiert, hat nach wie vor vielfältige Folgen für die Zukunft der Demokratie in der ganzen Welt.

Mehr über Berlusconi erfährt man in einem recht preisgünstigen Buch beim |Wagenbach|-Verlag:

Paul Ginsborg
[BERLUSCONI]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3803124972/powermetalde-21
Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?
192 Seiten, Paperback, Wagenbach Verlag 2005
ISBN 3-8031-2497-2

|Infolinks:|
[Propaganda Due]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due
[Silvio Berlusconi]http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio__Berlusconi
[Parlamentswahlen in Italien 2006]http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahlen__in__Italien__2006

Bionda, Alisha – Kuss der Verdammnis (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 2)

Wolfgang Hohlbeins „Schattenchronik“ geht mit „Kuss der Verdammnis“ in die zweite Runde. Oder, um es anders auszudrücken: Mit dem zweiten Roman legt die Serie um die 400 Jahre alte Vampirin Dilara erst so richtig los. Eröffnet wurde die Serie nämlich mit [„Der ewig dunkle Traum“, 1899 einer Anthologie von Horror- und Fantasyerzählungen, in denen Dilara, die Heldin der Serie, nur eine untergeordnete Rolle spielte. Wolfgang Hohlbein stellte sie in der Titelerzählung dem geneigten Lesepublikum vor. Alisha Bionda bringt sie uns in „Kuss der Verdammnis“ nun endlich näher.

Wir befinden uns im London der Gegenwart. Dilara lebt, recht einsam und verlassen, in einer alten Villa am Hyde Park und weigert sich, sich dem Urvampir Antediluvian anzuschließen, der sie einst zur Untoten machte. Dilara widersetzt sich dem gängigen vampirischen Regelwerk, auch wenn dem Leser bisher noch verborgen bleibt, um was für Regeln es sich dabei genau handelt. Wenn Dilara die Langeweile packt, besucht sie die Galerie des Aplsey House und schaut sich in der Ecke für gehängte Verbrecher ihr eigenes Porträt an. Die „doppelte Dilara“ fällt einem gewissen Roderick auf, der sich sofort unsterblich in die Unbekannte verliebt und es sich zur Aufgabe macht, mehr über sie zu erfahren. Doch scheinbar hat er sich damit mehr eingehandelt, als er bewältigen kann. Denn dieser Kontakt mit der dunklen Seite ruft Gefühle und Erinnerungen wach, die lieber vergessen hätten bleiben sollen.

Währenddessen lernt Dilara auf einem Trödelmark den Buchhändler Calvin kennen; ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Die beiden werden ein Paar und schließlich macht sie Cal zu ihrem Gefährten. Die Idylle hält jedoch nicht lang. Antediluvian fordert Gefolgschaft – ein Aufruf, dem Dilara immer noch nicht nachkommen will. Eine offene Auseinandersetzung steht damit kurz bevor …

Dilara ist eine Protagonistin, mit der sich der Leser sicherlich schnell anfreunden wird. Natürlich ist sie schön: Lange Haare, grüne Augen und exotische Kleider gehören selbstverständlich zum Standardrepertoire. Sie ist verführerisch und doch keineswegs eine Männerfresserin. Sie selbst ist innerlich zerrissen, ihre lange Existenz hat sie bitter und pessimistisch gemacht. Dilara ist Alisha Biondas große Stärke. Es ist kaum zu übersehen, dass die Autorin auf ihren Hauptcharakter viel Zeit verwendet hat. Sie ist der dreidimensionalste und überzeugendste Charakter in „Kuss der Verdammnis“, dicht gefolgt von Roderick, der langsam vom Wahnsinn zerfressen wird. Daneben bleibt Cal seltsam farblos, wohl weil er bisher hauptsächlich im Schatten Dilaras steht – etwas, das sich sicher in späteren Bänden ändern wird.

Biondas Charaktere sind in ein sehr lebendiges London eingebettet. Besonders Dilara, mit ihren 400 Jahren Lebens- und Geschichtserfahrung, weiß viel zu berichten, und so erfährt selbst der gut informierte Londontourist noch etwas Neues, wobei Bionda es aber immer vermeidet, oberlehrerhaft zu klingen oder solche Passagen als reine Füller einzubauen. Die farbenfrohen Beschreibungen Londons (und auch des London Below, wie Neil Gaiman wohl Biondas Schattenwelt unter Londons Tempeln der Macht nennen würde) unterstützen die Geschichte, sie behindern sie nicht.

Da es sich bei „Kuss der Verdammnis“ erst um den zweiten Band einer Serie handelt (sechs sind bisher lieferbar), scheint Alisha Bionda besonderes Vergnügen daran zu finden, den Leser mit Anspielungen neugierig zu machen. So erfahren wir, gerade über die offensichtlich stark reglementierte Vampirkultur, nur wenig. Wir wissen, Antediluvian ist das Oberhaupt der Londonder Vampire (oder der Vampire überhaupt?), doch seine Geschichte bleibt bisher im Dunkeln, ebenso wie seine genaue Verbindung zu Dilara und was die beiden schlussendlich auseinander getrieben hat. Bionda wirft dem Leser Häppchen zu, kleine Informationsschnipsel, die sich jedoch bisher noch zu keinem ganzen Bild zusammenfügen lassen. Es bleibt also spannend – zumindest ist nicht zu befürchten, dass Alisha Bionda und ihren Gastautoren in absehbarer Zeit die Ideen ausgehen werden!

„Kuss der Verdammnis“ ist also ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt: Es ist kurzweilig, spannend und flüssig geschrieben. Die Charaktere sind glaubhaft und agieren in einer lebendigen Kulisse. Bewusste Löcher in Handlung oder Hintergrund werden an strategisch günstiger Stelle platziert, um die Neugier des Lesers zu wecken – ein Unterfangen, das mehr als gelingt. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

China Miéville – Der Eiserne Rat

In der Welt Bas-Làg gibt es eine Stadt, New Crobuzon, einen Moloch, der als Stadtstaat die mächtigste Organisation ihrer Art ist. Ein anderer Stadtstaat beginnt, New Crobuzon die Herrschaft auf den Meeren streitig zu machen. Betrieben durch elyktrische Kräfte oder Dampf und Segel, liefern sich die Mächte andauernde Seeschlachten, zu Land bekämpfen sich die Heere, die eine neue Ordnung bringen sollen. New Crobuzon versucht, die Macht zu behaupten. Wichtigste Einheiten stellen für sie die Thaumaturgen dar, die Kraft ihres Geistes und allerlei Beschwörungsformeln Macht über Elemente wie Wind oder Wasser oder Elyktrizität besitzen. Doch die andere Seite hat noch unvorstellbarere Mittel, die ihrer Vollendung harren und damit den Untergang New Crobuzons bedeuten würden …

Zwischen die Fronten gerät eine Volkslegende, der Eiserne Rat, der es geschafft hat, sich der Fesseln New Crobuzons zu entledigen und den Häschern zu entkommen. Der Rat gründete sich aus Remade-Sklaven – bio-thaumaturgisch rekonstruierten Wesen – und freien Arbeitern, die sich gegen unzumutbare Bedingungen auflehnten. Das Remaking ist in New Crobuzon eine kunstvoll praktizierte Bestrafung für Verbrecher und Regierungsgegner.

Der Eiserne Rat, ein gigantischer Tross aus Lokomotiven, Wagons und allerlei Volk, das sich den Rebellen zu Fuß angeschlossen hat. Die Schienenleger und Planierer bereiten den Weg für die Stadt auf Rädern, die sich in Fußmarschtempo dahinbewegt. Von hinten werden die Schienen mit Lastkarren wieder nach vorn transportiert, ein ewiger Kreislauf.

Ein Mentor und Mitbegründer des Rats ist Judah Low, ein Golemist, der unbelebte Materie jeder Art zu einem Pseudoleben erwecken und sich dienstbar machen kann. Judah befindet sich in New Crobuzon als Barde des Rats, um die Legende im Volk zu verbreiten und den Keim der Rebellion zu legen. Er ist es, der erfährt, dass der Rat erneut von der Miliz gesucht wird, und er zieht los, um seine Heimat zu warnen. Ihm folgen begeisterte Anhänger aus verschiedenen Gründen: Cutter zum Beispiel ist Judahs junger Liebhaber und folgt ihm, wie er ihm überall hin folgen würde.

Der Rat wird verfolgt, weil der Krieg in der Bevölkerung zu Unruhen führt. Man kann es sich nicht mehr leisten, einen Rebellen ungeschoren zu lassen. Das Vorbild durch den Eisernen Rat soll vernichtet werden …

China Miéville befindet sich wieder in seiner überbordenden Schöpfung, der Welt Bas-Làg. Nach „Perdido Street Station“ (dt: „Die Falter“ und „Der Weber“) und „The Scar“ (dt: „Die Narbe“ und „Leviathan“) soll „Iron Council“ der vorerst letzte Band einer lose über die Stadt New Crobuzon verknüpften Trilogie sein, von der jedoch jeder Teil selbstständig lesbar ist (natürlich sollte man hierbei die Splittung der beiden ersten Teile im Deutschen in je zwei Teile beachten). Nach der Narbe kehrt man nun in die Stadt zurück, doch handelt dieser Teil der Geschichte viele Jahre später.

Der Roman liest sich spannend und flüssig, doch weniger wie Phantastik, als vielmehr wie ein Western. Revolverhelden, Kopfgeldjäger, Spielsucht, Eisenbahner und ihr brachialer Weg durch fremdes Land, ihr Zusammentreffen mit Einheimischen … Trotzdem bleibt die Faszination bestehen, die Miéville mit dieser Welt geschaffen hat. Neue Entartungen schockieren, neue Mächte faszinieren, neue Völker erweitern das Bild der Welt.

Um den Rat selbst dreht sich die Geschichte recht wenig, eher um die Revolution in New Crobuzon, das Verhältnis Cutters zu Judah und dessen Geschichte als Mentor des Rates, mit dem er sich völlig identifiziert und dem er sich jederzeit zu opfern bereit ist.

Was auffällt, ist die Beschaffenheit des Charakters „Judah“: Name, Weltsicht und Fähigkeiten zusammen lassen frappierende Ähnlichkeiten mit dem legendären Juden Rabbi Löw erkennen, ein liebevoller, weiser Vater und Partner, dem das Wohl seiner Vertrauten und seiner Heimat über alles geht. Sowohl der Rabbi als auch Judah Low haben die Fähigkeit, Golems zu erschaffen und ihnen Befehle einzuarbeiten, die bis zur Selbstaufgabe der Golems ausgeführt werden. Und schließlich das Verhängnis Rabbi Löws durch seine eigene Schöpfung – auch hier finden sich entsprechende Verbindungen zu Judah Low. Mit seiner mächtigsten Schöpfung gibt er sich selbst auf – oder verwirkt sein Recht auf Leben, je nach Sichtweise.

Ob es für die anderen Charaktere auch Entsprechungen aus der Weltliteratur gibt, ist nicht ersichtlich. Doch ihr teilweise tragisches Schicksal färbt den Roman in gleicher Weise wie Judahs Einfluss. Miéville verausgabt sich auch nicht an den Mengen handelnder Personen, sondern konzentriert sich auf einige wenige, aus deren Blickwinkel er die Geschichte ablaufen lässt. So haben wir Einblicke in die Gefühle und Gedanken von Normalmenschen, die sich leichter auf die Masse projizieren lassen als die vielleicht reineren und abgehobeneren Beweggründe von Führern.

„Der Eiserne Rat“ ist eine geschickte Mélange aus Dramatik und Erzählung, sein Stimmungsschwerpunkt liegt in der Tragik. Mit jedem Einzelschicksal konfrontiert sich der Leser mit Fehlern in Beziehungen, Scheidepunkten in Lebenswegen und Einflüssen höherer Gewalt, die manchmal nur wenige Auswege offen lassen. Und eines ist sicher: Trotz aller Brutalität und Abstrusität ist Bas-Làg auch eine Welt voller Wunder, die sich zu entdecken lohnt. Sollte es China Miéville gefallen, erneut den Pfadfinder durch diese Welt zu spielen, hat er sich eine große Reisegruppe verdient.

Buchwurminfos II/2006

Unverändert gibt es Änderungen bei der _Rechtschreibreform_. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, den die Kultusminister mit der Überprüfung der umstrittenen Reform beauftragt hatten, sprach sich im Februar nun dafür aus, auch bei der Groß- und Kleinschreibung teilweise zu den früheren Regeln zurückzukehren. Feststehende Begriffe sollen wieder großgeschrieben werden (Schwarzer Kontinent, Erste Bundesliga, Zweiter Weltkrieg), andere je nach Bedeutung im Satz entweder groß oder klein geschrieben werden (Schwarzes Brett oder Graue Maus). Auch „Du“ darf wieder großgeschrieben werden im Brief. Zusammenhängende Begriffe wie „pleitegehen“ und „fertigmachen“ werden klein und zusammengeschrieben.
Bereits vor Februar wurden Änderungsvorschläge für die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Silbentrennung und Zeichensetzung vorgelegt (siehe Buchwurminfos I/2006). Die Korrekturen sollten nach Bestätigung durch die Kultusministerkonferenz KMK im März zum neuen Schuljahr wirksam werden, wofür diese auch „grünes“ Licht gab. Allerdings musste dies auch noch die Ministerpräsidentenkonferenz bestätigen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache kritisiert aber all die vorgeschlagenen Änderungen als unzureichend. Der Rechtschreiberat habe sich lediglich bemüht, in unsystematischer Weise einige besonders eklatante Mängel zu beseitigen – und nicht einmal das sei gelungen. Die deutsche Sprache wird wohl noch auf Jahre hin eine Baustelle bleiben. Die Schulbuchverlage müssen also erneut ihre Bücher verändern und auch der Dudenverlag und der Wissen Media Verlag werden neue Bücher vor dem Inkrafttreten der modifizierten Schreibung zum 1. August herausbringen.

Wie in der vorherigen Buchwurminfo bereits berichtet, hatte die Messeleitung der Leipziger Buchmesse die „_Junge Freiheit_“ (Wochenzeitung für Politik und Kultur) mit der Begründung, ein Stand dieser Zeitung gefährde die „ordnungsgemäße Durchführung“ der Messe, ausgesperrt. Grund seien zu erwartende Proteste gegen die angekündigte Jubiläumsfeier. Gegen die Behauptung, der Ausschluss beruhe auf politischen Gründen, kündigt die Leipziger Messe rechtliche Schritte an. Zuvor kam es aber bereits zu einem „großen Appell für die Pressefreiheit“, dem sich eine außergewöhnlich große Anzahl von Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben als Unterzeichner anschlossen. Erst dadurch begannen andere Medien diesen Skandal auch aufzugreifen. Ohne diese Solidarisierung der namhaften Persönlichkeiten wäre die Angelegenheit unkommentiert geblieben. Unter dem wachsenden Druck dieser Öffentlichkeit korrigierte die Leipziger Messe, die zu je 50 % der Stadt Leipzig und dem Freistaat Sachsen gehört und damit als öffentlich-rechtliche Einrichtung den zur Neutralität verpflichteten Staat repräsentiert, ihre Entscheidung und erlaubte der „Jungen Freiheit“ wie angemeldet auch teilnehmen zu dürfen. Zwar wurde ihnen nur der abgelegenste Stand auf der ganzen Messe zugewiesen – abseits der eigentlichen Ausstellungsfläche in einer Sackgasse gleich neben einem Zuliefereingang und im offiziellen Ausstellerverzeichnis nur auf einem Nachtragszettel vermerkt –, aber da die Mitarbeiter der Zeitung auf der ganzen Messe und auch in der Stadt selbst kostenlose Zeitungen verteilten und auf den Ort des Standes hinwiesen, waren die Veranstaltungen zum Thema „Pressefreiheit“ die ganzen vier Tage lang bestens besucht. Die erwarteten Proteste und Gegendemonstrationen, wie sie die Messeleitung im Vorfeld befürchtet hatte, blieben gänzlich aus.

Auf den _Bestseller-Listen_ im Frühjahr dominieren bisher Krimis. Den größten Sprung nach vorne machte der neue Stephen King „Puls“. Erstaunlich ist, dass sich Daniel Kehlmann mit seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ schon eine ganze Zeit auf Platz 1 vor Dan Browns „Sakrileg“ hält.

Man kann es ja versuchen und prinzipiell haben sie sogar auch Recht. Die Autoren _Michael Baigent_ und _Richard Leigh_ beschuldigen _Dan Brown_, für seinen Bestseller „_Sakrileg_“ die Grundzüge ihres bereits vor 24 Jahren erschienen Sachbuchs „_Der heilige Gral und seine Erben_“ übernommen zu haben und erstreben vor dem höchsten britischen Zivilgericht eine Entschädigung von mindestens 15 Millionen Euro von Browns US-Verlag „Random House“. Von einer Verurteilung ist nicht nur der weitere Verkauf von „Sakrileg“ betroffen, sondern auch der für Mai geplante Kinostart der Verfilmung. Kurios dabei ist allerdings, dass beide Autoren demselben Verlag angehören, der Verleger also von einem hauseigenen Autoren-Duo wegen eines anderen ebenfalls von ihm verbreiteten Titels angeklagt ist. Der Auflagenschub für beide Bücher durch den Prozess entschädigt Random House damit immerhin in den Kosten.

Nach dem Erfolg der „Jungen Bibliothek“ der _Süddeutschen Zeitung_ startet nun auch die „_Zeit_“ eine 15-bändige Kinderedition. Der Reinerlös kommt sogar der _Stiftung Lesen_ zugute. Auch die „_Cinemathek_“ der Süddeutschen Zeitung läuft mit neuen 50 DVD-Angeboten weiter.

_Random House_ hat seine drei Labels Gütersloher Verlagshaus, Kösel Verlag und Gerth Medien unter dem Namen „Lebenshilfe und Religion“ zu einem neuen Bereich zusammengeführt. Die genannten Verlage werden derzeit aber noch durch ihre Verlagsleiter eigenverantwortlich weitergeführt.

Die Domain _Literaturportal.de_ ist an das _Deutsche Literaturarchiv Marbach_ verkauft worden.

Das _Heine Geburtshaus_ in Düsseldorf wird als Literaturzentrum mit Buchhandlung und Café wiedereröffnet. Der Umbau des Dichterhauses kostete Stadt und Land 900.000 Euro.

Über _Comics_ berichte ich auf den Buch- und Literaturseiten wenig, aber einen Anlass, einmal auf dieses Genre zu schauen, bietet das _Simpsons-Jubiläum_, die in diesem Jahr Zehnjähriges in Deutschland feiern können. 1996 begann die gelbe Chaos-Familie beim Dino-Verlag, der mittlerweile zu Panini gehört. Anfangs brachte Dino mit Superhelden-Geschichten (zu günstigsten Preisen, mit denen das Preismonopol von Carlsen damals zu Fall gebracht wurde) das Comic-Genre wieder in die Bahnhöfe und Kioske zurück, aber leider wurde zugunsten von Simpsons und Mangas und aufgrund zunehmend schlechterer wirtschaftlicher Zahlen das Superhelden-Genre wieder eingestellt. Mit dem Wechsel zu Panini jedoch sind auch bei Dino die Superhelden zurückgekehrt. Im Grunde sind damit in Deutschland Marvel und DC eins geworden. Es erscheinen für Fans wirklich hervorragende Leckerbissen, wovon ich einige herausstellen möchte:
In der Reihe _Collection 100 % Marvel_ ist als Nr. 17 „Strange: Anfang und Ende“ mit seinen sechs Teilen komplett in einem Band erschienen. Dieser mächtigste Comic-Zauberer der Welt wurde 1963 von Steve Ditko und Stan Lee erschaffen. In das Marvel-Universum waren mit ihm viel Mystik und schwarze Magie eingezogen. Bis 1966 hatte Dr. Strange eine eigene Serie und danach nur noch Gastauftritte in anderen Serien des Marvel-Universums, aber zu jeder Zeit genoss er absoluten Kultstatus. Jetzt wurde er von J. Michael Straczynski („Babylon 5“), der auch den Neustart des „erstaunlichen Spiderman“ unternahm, für die heutige Generation aufpoliert, der die Wurzeln der Gestalt Dr. Strange in nie bekannter Tiefe und mit vollkommen neuem Outfit erzählt.
Ebenso ist als Band 11 ein fetter Band „Spider-Man & Friends“ in der Reihe _Marvel Monster Edition_ erschienen, der die ersten zehn US-Hefte der Reihe „Marvel Team Up“ enthält. Diese haben aber nichts mehr mit der gleichnamigen früheren Serie zu tun, sondern stammen vom aktuellen Marvel-Schreiber-Shooting-Star Robert Kirkman. In der im letzten Jahr in Amerika erschienenen Reihe geben sich Spider-Man, Moon Knight, Dr. Strange, der unglaubliche Hulk, Punisher, Blade, Wolverine, Iron Man, Luke Cage und Daredevil u. a. die Ehre. Eine geile Story, gut gezeichnet und so gestaltet, wie man Marvel von früher her kannte.
In der Reihe _Marvel Exklusiv_ ist als Band 59 „X-Men: Phoenix‘ Abgesang“ herausgekommen. Autor Greg Pak schöpfte aus der reichhaltigen Vergangenheit der X-Men eine eindringliche Geschichte über Leben und Tod, welche der Zeichner Greg Land in einen visuellen und dramatischen Leckerbissen verwandelte. Alle fünf Teile der Geschichte sind in diesem Band komplett enthalten.
Als normale zweimonatliche Heftreihe startete im März _All Star Batman_, und das Besondere hierbei ist, dass diese Serie von Frank Miller und Jim Lee stammt. Denn Frank Miller hatte bereits mit „Der dunkle Ritter kehrt zurück“ für das Batman-Universum Episches geleistet. Auch in der neuen Batman-Reihe ist dieser so dunkel und bedrohlich wie ursprünglich an die von Bob Kane und Bill Finger entwickelte Figur angelehnt, aber dank Frank Miller kommen viele völlig neue Aspekte zur Geltung. Der neue Batman nunmehr ist ein wilder Rächer, der um jeden Preis Angst erzeugen will. War Gotham City schon immer kriminell, wurde dies nun noch ins Unermessliche gesteigert – die Gewalt ist allgegenwärtig und Batmans Mittel sind dadurch auch viel drastischer als gewohnt. Noch nie war der dunkle Ritter so dynamisch und hart wie in dieser neuen Serie. Nunmehr setzt die Batman-Geschichte dort ein, wo der erste Robin (Dick Grayson) zu Batman stieß und zudem wurde die Journalistin Vicki Vale, die lange Zeit in Vergessenheit geraten war, neu belebt. Im amerikanischen Original heißt die Reihe auch „All Star Batman & Robin, the Boy Wonder“. Selbst diejenigen, denen Batman überhaupt nicht vertraut ist, können mit dieser Reihe ganz neu einsteigen. Für Fans, die die Serie kennen, ist manches dagegen anders. Die Eltern von Robin sterben auf andere Weise, als es Bill Finger und Bob Kane 1940 darstellten, und dadurch entwickelt sich die ganze Geschichte anders als ursprünglich.
Aber nicht nur Neues aus dem Marvel-Universum erscheint, sondern auch Klassiker werden nachgedruckt wie bei _Superman vs. Flash_ von DC. Es gab von 1967 bis 2002 immer mal wieder Versionen von Wettläufen zwischen Superman und dem „roten Blitz“ und diese liegen jetzt zum ersten Mal gesammelt in einem einzigen Band vor. Eigentlich war dies immer ein netter Spaß gewesen, um die Fragen der Fans, wer wohl von beiden Superhelden schneller sei, zu beantworten. Die größten Rennen der beiden sind zwar nicht auf heute gewohntem Zeichenniveau, gehören aber schon in die Sammlung wirklicher Fans.

_Marcel Reich-Ranicki_ erhielt den Ehrendoktor-Hut der Universität Tel Aviv und zudem wird für ihn ein Lehrstuhl für deutsche Literatur an der israelischen Universität eingerichtet.

Am 6. Februar verstarb in München die 1947 geborene Autorin _Karin Struck_ nach langem Krebsleiden. 1973 war sie mit ihrem Debütroman „Klassenliebe“ der aufsteigende Stern im Literaturbetrieb. Sie stand politisch links und setzte sich in ihren Romanen damit auch literarisch auseinander. Ihre Themen waren immer radikal: Identitätskonflikte, Selbstfindung, sexuelle Abhängigkeit und Frauenbewusstsein. Ihr letzter „linker“ Roman bei Suhrkamp war 1982 „Kindheitsende“, dann wechselte sie 1991 zu List mit „Blaubarts Schatten“, in dem sie sich mit Abtreibung auseinander setzte und für das Lebensrecht der Unbeborenen eintrat. In der Linken, Grünen und Frauenbewegung wurde sie seitdem nicht mehr gelesen, dafür nun aber von CDU-Anhängern und katholischen Frauengruppen entdeckt. Dafür erhielt sie den Preis der Stiftung „Ja zum Leben“. 1992 folgte ein Sachbuch zur Abtreibung („Ich sehe mein Kind im Traum“), wo sie die These vertrat, das Ziel der Emanzipation sei es, die Mutterschaft kaputt zu machen. 1993 folgten „Männertreu“ sowie noch eine Hommage an Ingeborg Bachmann. 1996 wurde sie Kritikerin an der evangelischen Kirche und konvertierte zum Katholizismus.

Auch der international bekannte polnische Science-Fiction-Autor _Stanislaw Lem_ (geb. 1921) ist im Alter von 84 Jahren in einem Krankenhaus in Krakau verstorben. Seit 1973 lehrte er als Dozent am Lehrstuhl für polnische Literatur an der Universität Krakau. Sein erste Novelle „Der Mensch vom Mars“ erschien 1946. Weltberühmt wurde er allerdings 1961 mit „Solaris“. Ebenso bekannt sind „Sterntagebücher“, „Robotermärchen“ und „Nacht und Schimmel“. Seine Bücher sind in Millionenauflagen in 41 Sprachen übersetzt und drei von ihnen auch verfilmt worden.

Auf der _Leipziger Buchmesse_ gab es dieses Jahr 1800 Veranstaltungen im Rahmen von „Leipzig liest“ an 250 Spielstätten und mit rund 1300 Mitwirkenden, wodurch der Rekord vom letzten Jahr noch mal überboten wurde. Interessant ist, dass trotz dieses scheinbaren Überangebots alle Lesungen sehr gut besucht waren. Auch der Besucherstrom war ein Rekord und lag mit 126 000 Besuchern 17 % über dem Vorjahr. So erfreulich das auch ist, so hofft dennoch jeder, dass die Leipziger Messe im Gegensatz zur „großen“ Frankfurter Messe auch in Zukunft klein und überschaubar bleibt. Dabei sind es nicht unbedingt weniger Verlage, nur halten sich die Großverlage mit viel kleineren Ständen viel mehr zurück, so dass alle Verlage gleichberechtigte Aufmerksamkeit erlangen können.
Unter dem Motto „Außenseiter? Ruhestörer ?“ präsentierte die Reihe jüdische Lebenswelten jüdische Schriftsteller.
Auf der Buchmesse wurden auch wieder Preise verliehen. Der wichtigste ist der _Preis der Leipziger Buchmesse_, der in Belletristik, Übersetzung und Sachbuch vergeben wird und damit die Lücke zum im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse verliehenen Deutschen Buchpreis schließt, der sich letztlich auf einen einzigen Roman konzentriert. Der Leipziger Buchmessenpreis ging in Belletristik an _Ilja Trojanow_ für seinen Roman „Der Weltensammler“. Ein weiterer Preis auf der Leipziger Messe ist der _Alfred-Kerr-Preis_, der diesmal an _Meike Feßmann_ ging. Sie ist freie Literaturkritikerin und studierte Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft. Der _Verlegerpreis_ der _Kurt-Wolff-Stiftung_ ging an _Katharina Wagenbach-Wolff_ für ihre „Friedenauer Presse“. Weniger schön am Ende war lediglich, dass – Bücherklau gibt’s ja immer auf Messen – der Bücherdiebstahl auf der Leipziger Messe überdurchschnittlich hoch lag. Im Osten sind die Leute aber auch ärmer als im Westen, auf der Frankfurter Messe bewegt sich der Bücherklau im normalen Bereich.

Der Streit um die parallele Ausrichtung der Leipziger Buchmesse und der _lit.Cologne_ geht ebenfalls weiter. Das größte europäische Literaturfestival wurde von fünf auf neun Veranstaltungstage erweitert und fiel wieder mit der Leipziger Messe zusammen. Die Publikumsresonanz (56 000 Besucher) in Köln war eindrucksvoll, die meisten der 131 Veranstaltungen waren ausverkauft. In die Köln-Arena zur Lesung von Bastian Sick kamen 15 000 Besucher – eine Veranstaltung also, die reif genug für das „Guinness Buch der Rekorde“ wäre – und auch für eine Rheinschiff-Lesung musste ein zweiter Termin organisiert werden. Auch wurde auf dieser Literaturmesse der „_Deutsche Hörbuchpreis_“ vergeben: Er ging an die deutsche Fassung von Dylan Thomas` Stück „Unterm Milchwald“ (Hörverlag) und an „Wörter Sex Schnitt“ des verstorbenen Poplyrikers Rolf Dieter Brinkmann (Intermedium Records). Letzteres war bereits im Januar als „Hörbuch des Jahres 2005″ gekürt worden.

Die _Frankfurter Buchmesse_ und die _Internationalen Filmfestspiele_ haben im zweiten Jahr ihre Zusammenarbeit vertieft. Verschiedene Verlage waren in Berlin erstmals mit einem Gemeinschaftsstand vertreten. Hintergrund ist die Zusammenarbeit zwischen Verlagern und der Filmwirtschaft, vor allem, um Verfilmungspotenzial vorzustellen. Jetzt werden weitere Möglichkeiten diskutiert, wie man noch besser zusammenarbeiten kann.

Angesichts der politischen Lage zwischen Westen und Islam wird immer noch der Gastland-Auftritt _“Arabische Welt“ bei der Frankfurter Buchmesse 2004_ analysiert. Nunmehr sieht man den Versuch, dadurch den Dialog zwischen der arabischen Welt und dem Westen in Gang zu setzen, eher ernüchtert als gescheitert an. Die westlichen Verlage haben ihre Programme nicht mit arabischer Literatur angereichert (mit Ausnahme zur Buchmesse 2004), das Interesse der deutschen Verlage liegt fast bei Null. Ausgenommen sind natürlich ein paar wenige Verlage, die sich auf arabische Literatur spezialisiert haben. Deutschland war auf der Kairoer Buchmesse als Ehrengastland eingeladen, was durch die Verlage aus ägyptischer Sicht vollkommen unzureichend wahrgenommen wurde. Die arabischen Verleger sind aber auch selbstkritisch und stellen fest, dass sie selbst viel zu untätig in den Dialogsbemühungen sind. Beziehungsweise richtet sich die Kritik dabei gegen die Regierungen der Arabischen Liga und an die panarabische Kulturorganisation Alesco, die keine wirkungsvollen Initiativen für den Dialog verfolgen. Dass der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Jahren nicht als Chance genutzt wurde, liegt an den verkrusteten Strukturen in vielen arabischen Ländern.

Gastland auf der Buchmesse 2006 ist _Indien_ und das ist den Verlagen auch lieber; die ersten neuen indischen Titel erschienen vermehrt schon im Frühjahrsprogramm der deutschen Verlage.

Seit Jahresbeginn ist _Gottfried Honnefelder_ Vorsteher des Börsenvereins. Er arbeitete 23 Jahre bei Suhrkamp, dann fast zehn Jahre bei DuMont, wo er jetzt als Geschäftsführer des Literatur- und Kunstverlages ausscheidet und den Verlag Berlin University Press, gegründet 2000, übernimmt. Ab 2007 erscheinen dort Bücher, die den universalen Diskurs der modernen Wissenschaften zum Gegenstand haben.
|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Edgar Allan Poe – Der Doppelmord in der Rue Morgue

Ein grausiger Doppelmord an einer Frau und ihrer Tochter stellt die Pariser Polizei vor ein Rätsel. Die beiden Frauen sind in ihrer Wohnung in der Rue Morgue auf brutale Weise zugerichtet worden. Das Mädchen fand man mit verrenkten Gliedern, wie sie in den Kamin geschoben wurde, ihre Mutter dagegen geköpft auf dem Straßenpflaster liegend, nachdem sie aus dem Fenster geschleudert worden war. Obwohl zahlreiche Zeugen befragt werden und sich die Aussagen bis auf wenige Abweichungen decken, fehlt von einem Täter jede Spur. Doch die Befragten berichten alle von mindestens einer weiteren, dritten Person, die sich zum Zeitpunkt des Mordes im Haus befand, das ansonsten völlig leer stand. Wie nur war es dem Mörder gelungen, unbemerkt zu fliehen und keine Spur zu hinterlassen, die die Polizei wenigstens auf eine Fährte gelockt hätte?

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Rob-Vel / Jijé / Franquin u.a. – Fantasio und das Phantom

|Spirou und Fantasio sind papiergewordene Geschichte. Nach der Neuauflage der Gesamtausgabe präsentiert Carlsen nun das Sonderalbum „Fantasio und das Fantom“. Legendäre Kleinode und Wendepunkte aus knapp siebzig Jahren wurden hier zusammengefasst. Dabei erlebt der Leser weitaus mehr als eine Sammlung heiterer Detektiv- und Abenteuergeschichten. Diverse Zeichnergenerationen haben versucht, den französischen Comic-Helden ihren Stempel aufzudrücken.|

In Frankreich sind Spirou und Fantasio eine Institution. Sie sind älter als Asterix und Lucky Luke. Sie begründeten die Ecole Marcinelle (benannt nach dem Sitz des Verlages Dupuis) und prägten maßgeblich den europäischen Comic. Obwohl sich frankobelgische Comicalben seit einiger Zeit auf dem Rückzug befinden, hält der Hamburger Carlsen Verlag dem cleveren Pagen Spirou und seinem zerstreuten Kompagnon Fantasio die Treue. In den letzten Jahren legte man die 44-bändige Gesamtausgabe neu auf, so dass heute wieder alle Abenteuer in deutscher Sprache erhältlich sind. Zum Abschluss erschien das Sonderalbum Spirou und das Fantom, das eine Reihe amüsanter Kurzgeschichten enthält.

Der Leser erlebt auf der ersten Seite die „Geburt von Spirou“, in welcher der Direktor des Hotels Mücke einen Pagen sucht. Jung soll er sein, pfiffig und agil. Wegen Ermangelung eines geeigneten Bewerbers wendet sich der Direktor an einen Maler. Dieser zeichnet den gewünschten Pagen kurzerhand auf eine Leinwand und haucht ihm Leben ein. Spirou war geboren.

Weitere acht Kurzgeschichten folgen. Sie veranschaulichen die Entwicklung der Serie. Bald ist Spirou nicht mehr allein unterwegs. In der Detektivgeschichte „Fantasio und das Fantom“ ist das bekannte Team bereits ein Herz und eine Seele. Außerdem taucht erstmals das Eichhörnchen Pips auf, das heutzutage aus der Serie nicht mehr wegzudenken ist. Schließlich kommen der Bürgermeister und der Graf von Rummelsdorf hinzu.

Jenseits der Figuren erlebt die Serie auch eine inhaltliche Entwicklung. Die Boxergeschichte „Spirou und Floh“ ist angelehnt an die amerikanischen Vorbilder der Tramp-Storys. Bei „Fantasio und das Fantom“ handelt es sich um eine Detektivgeschichte, die hinführt zu den späteren Abenteuergeschichten. Der Leser kann beobachten, wie sich der charakteristische Charme und der Humor der Reihe entfalten.

Wer noch niemals etwas von Spirou und Fantasio gelesen hat, kann guten Gewissens mit dem Sonderband anfangen. Die neun Episoden veranschaulichen den Facettenreichtum der Serie und machen Lust auf mehr. Auch treue Fans der beiden französischen Abenteurer finden hier einen Leckerbissen. Die Sammlung halbvergessener Kleinode sorgt vor, denn Lesehungrige müssen sich fortan gedulden. Neue Bände werden nicht mehr im Zwei-Wochen-Takt erscheinen, sondern länger auf sich warten lassen. Mit „Flut über Paris“ (Band 45) ergreift eine neue Zeichnergeneration die Feder. Ob die Zeichner Jean David Morvan und José-Luis Manuera ihren berühmten Vorgängern Franquin und Fournier das Wasser reichen können, wird sich zeigen.

„Fantasio und das Phantom“ enthält:
Die Geburt von Spirou (Rob-Vel, 1938)
Spirou und Floh (Rob-Vel, 1942-43)
Fantasio und das Fantom (Jijé, 1946)
Weihnacht im Urwald (Franquin, 1949)
Fantasio und der Siphon (Franquin, 1957)
Fantasio und die ferngesteuerten Rollschuhe (Franquin, 1957)
Ferien in Broceliande (Fournier, 1973)
Der Solar-Fanta-Schrauber (Nic Broca, 1980)
Stählerne Herzen (Chaland, 1982)

http://www.carlsen-comics.de

Bionda, Alisha – Regenbogen-Welt

Die „Magic Edition“ des BLITZ-Verlags ist schier unberechenbar. Da gibt es Bände wie „Die Geisterseherin“, die mit einfachsten Mitteln einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Oder aber Skurriles wie „Die galaktische Rallye“, wobei sich der Verlag mal ein wenig über die Grenzen der im Titel benannten Magie hinwegsetzt und es mit skurillem Humor versucht. Doch genau so prägnant sind die negativen Eindrücke von Durchschnittsware wie „Die Jahrtausendflut“ und „Endzeit“, die aus der vielversprechenden Serie ein recht wechselhaftes Happening gemacht haben, das im Abonnement daher auch eine ziemliche Riskobereitschaft erfordert. Solange man bei BLITZ allerdings Meisterwerke wie „Regenbogen-Welt“ in die Serie integriert, nimmt man auch gerne mal ein nicht ganz so überzeugendes Buch in Kauf. Die wunderschöne Story, die Alisha Bionda hier kreiert hat, ist nämlich so ziemlich das Beste, was mir aus dem Hause |BLITZ| bislang in die Hände gekommen ist!

_Story_

Saha träumt seit jeher davon, in die fünfte und gleichzeitig höchste Ebene der Regenbogen-Welt zu reisen. Voller Tatendrang entscheidet die junge Gottesanbeterin eines Tages, ihrer Berufung zu folgen und die am fernsten gelegene Landschaft auf der verwaisten Erde zu erkunden. Ihre Freunde sind von dieser Idee jedoch nicht sonderlich begeistert und bremsen Saha in ihrem Vorhaben, schließlich lauern unbekannte Gefahren auf dem langen Weg durch die Ebenen der Regenbogen-Welt. Ihren Mut können die übrigen Insekten jedoch nicht bremsen, und so macht sich Saha mit der Libelle Ishtar, dem Schmetterling Barb und weiteren Tieren auf den Weg, um das zu sehen, wovon sie schon seit Ewigkeiten träumt.

Und wie erwartet birgt die Reise viele unerwartete Geheimnisse, die für Saha und ihre Gefährten nicht immer ungefährlich sind. Doch dank der verschiedenen und sich in der Gemeinschaft ergänzenden Fähigkeiten gelingt es dem neu zusammengefundenen Verbund immer wieder, dem Bösen zu trotzen und seinen Weg fortzusetzen. Dabei stößt Saha schließlich auf die Geheimnisse der ersten Menschen und Informationen über den selber verursachten Verfall ihrer Rasse. Doch auch ein weiterer Aspekt wird ihr gewahr: Sie soll eines Tages zu den Begündern der zweiten menschlichen Rasse gehören und mit ihren Freunden die Erde neu bevölkern. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Saha die fünfte Ebene erreicht …

_Meine Meinung_

Der Inhalt dieses wunderschönen Romans mag auf den ersten Blick anmuten wie die Geschichte eines Kinder- und Jugendbuches, doch dies ist „Regenbogen-Welt“ definitiv nicht. Die Handlung beruht indes auf einer Sage aus dem Bereich der Navajo-Mythologie und ist dementsprechend auch mit einigen esoterischen Ansätzen verknüpft.

Außerdem sind die Heldenfiguren dieses Werkes erst einmal gewöhnungsbedürftig: Eine kleine Schar Insekten soll zusammen mit einigen verbrüderten Freunden aus der Tierwelt im Kampf gegen die Ausgeburten der Erde im nächsten Zeitalter für eine neue menschliche Generation sorgen. Klingt zunächst äußerst seltsam! Doch schneller als man glaubt, werden solche Begebenheiten zur Nebensache degradiert. Saha und ihre Gefährten haben fast ausschließlich ‚typisch menschliche‘ Eigenschaften und Wesenszüge und werden als Identifikationsfiguren sofort akzeptiert. Dass Freundschaft und das Füreinander dabei eine übergeordnete Position einnehmen, ist daher auch selbstverständlich und mitunter einer der wichtigsten Aspekte dieses Romans. Selbst wenn die verschiedenen Tierarten sich partiell unheimlich stark voneinander unterscheiden und in der heutigen Realität wohl kaum einträchtig nebeneinander herlaufen würden, harmonieren sie in dieser phantasiereichen Story wirklich perfekt.

Unterschwellige Anspielungen auf das „wirkliche“ Leben sind natürlich nicht zufällig und werden anhand der Tier-Darsteller auch mit tollen symbolischen Umschreibungen dargestellt. Aber natürlich ist „Regenbogenwelt“ deshalb jetzt kein vornehmlich sozialkritisches oder gar politisches Buch. Im Grunde genommen ist dieser Roman nämlich ein modernes Märchen, das auf den elementaren Eigenschaften der Fantasy-Literatur beruht und dabei die philosophischen Ansätze der Indianerkultur mit einbindet.

Wer jetzt allerdings inhaltliche Parallelen zu „Herr der Ringe“ oder sonstigen bekannten mythologisch motivierten Werken vermutet – schließlich ziehen in „Regenbogen-Welt“ auch einige ungleiche Gefährten auf den Weg in eine andere Ebene –, ist auf dem Holzweg. Die Spannung beruht nämlich nicht ausschließlich auf der Bewältigung von Gefahren und schon gar nicht auf unausgefochtenen, bevorstehenden Kampfhandlungen, sondern schon eher auf der späteren Auseinandersetzung mit dem eigenen Dasein, was erst die Grundlage für die tolle Abenteuerstory liefert.

Ein ganz so leicht zu durchschauendes Buch ist „Regenbogen-Welt“ deshalb ebenfalls nicht, weil neben der im Buch beschriebenen Reise auch diverse Gedankenansätze zur Diskussion gestellt werden, die einen vergleichsweise aktuellen Hintergrund haben und auch durch die Wahl von Schauplätzen und Hauptfiguren nicht verharmlost werden. Beim Betrachten der gescheiterten Existenz der menschlichen Rasse beim ‚ersten Versuch‘ spielt sich infolge dessen auch so manches auf einer eher spirituellen Ebene ab, die durch die meist vereinfachte Darstellung jedoch jederzeit verständlich bleibt und insgesamt auch nicht unnötig verworren oder komplex geraten ist.

Mit anderen Worten also ist „Regenbogen-Welt“ anspruchsvolle Kost in leichter, aber untransparenter Hülle, und dazu ein unheimlich toller, sich in seiner Identität mehrfach wandelnder Abenteuerroman mit außergewöhnlichen Charakteren und herrlicher Entwicklung. Andersartige Fantasy gepaart mit nachdenklich stimmenden Hintergrundthemen – Alisha Bionda hat mit ihrem Roman zur „Magic Edition“ einen wirklich herausragenden Beitrag geliefert, dessen symbolische Mystik von der ersten bis zur letzten Seite begeistert. Sehr empfehlenswertes Buch!

http://www.blitz-verlag.de/

John Wyndham – Die Triffids

Ein militärisches Missgeschick lässt 99,9% aller Erdmenschen erblinden. Darauf haben die Triffids, genetisch veränderte Nutzpflanzen mit Giftstachel und Wurzelbeinen, nur gewartet: Sie machen Jagd auf ihre hilflosen Herren … – Ein echter Klassiker des Science-Fiction-Katastrophen-Romans, nostalgisch und angestaubt, aber sachlich, hinreißend spannend und immer noch überzeugend zugleich.
John Wyndham – Die Triffids weiterlesen