Alef, Rob – Bang Bang stirbt

„Entweder Schwein essen oder Mensch werden!“ Die Rote Bete Fraktion, eine Truppe von Fun-Guerilleros, wütet in Berlin und macht der SoKo für Veganischen Terrorismus schwer zu schaffen. Steakhäuser, Hutgeschäfte, Zoohandlungen und Metzgereien werden überfallen, um die fleischlose Message zu verbreiten. Der Spaß hört spätestens dann auf, als der Panda Bang Bang, Publikumsliebling im Zoologischen Garten, gekidnappt wird – eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, denn obwohl der behäbige Bang Bang im Zuge der Resozialisierung inzwischen am liebsten vom Sofa aus Videos wie „Peking Opera Blues“ und „Rasierte Thai-Muschis IV“ guckt, war er doch einst ein skrupelloser Mafiakiller.

Kein leichter Fall also für Kommissar Pachulke, der die Tage bis zur Pensionierung ebenso gewissenhaft zählt wie seine Büroklammern und eigentlich nur der einen Frau sehnsuchtsvoll hinterher jagt, (Ähnlichkeiten zu Judith Kuckarts „Bibliothekar“ mögen rein zufälliger Natur sein, lesen sich aber so oder so beeindruckend). Aber auch Pachulkes Team, Zabriskie und Dorfner, ist nicht immer ganz bei der Sache: Zabriskie trinkt ihren Whiskey immer ’straight‘ und sucht bei attraktiven, kooperationsbereiten Zeugen zweckdienlich gern den intimeren Kontakt; während Dorfner völlig in der Arbeit für den von ihm gegründeten ‚Freundeskreis für rechtsstaatliche Folter unter Beachtung der Menschenwürde‘ aufgeht.

Der entführte Bang Bang wird zwischenzeitlich zum Politikum. Sollte es möglich sein, dass gar der ‚Regierende Bürgermeister Und Geliebte Bausenator‘, Staatssekretär Prunk oder der windige Blaschko von Goltz Dreck am Stecken haben? Um die Täter zu überführen, kann Pachulke lediglich auf zwei Beweisstücke zurückgreifen, auf eine Gabel und einen Klops. Und er sollte sich beeilen, denn mittlerweile pflastern Leichen den steinigen Ermittlungsweg …

Der ‚Ausschuss für Alles‘ beschließt frenetisch, endlich erpressbar zu sein, und unter der Ägide des ‚Regierenden Bürgermeisters Und Geliebten Bausenators‘ werden organisierte Selbstmordkommandos zum wichtigen Wirtschaftsfaktor, und Trümmerfrauen und -Männer bekommen endlich wieder eine Aufgabe. Was macht es da für einen Unterschied, ob man in 123 oder 321 Jahren den Schuldenberg abgetragen hat – die Wirtschaft boomt – hemmungslos – ebenso wie die Dolcevita.

Ein nervenaufreibender ‚zynischer Politthriller‘, wie es der Verlag behauptet, ist „Bang Bang stirbt“ nicht unbedingt. Eher eine Polit-Satire, eine famos komponierte, sarkastische Retrospektive, die auf die nahe Zukunft projiziert wird. Brillant geschrieben und überzeugend bis ins abstruseste Detail, führt „Bang Bang stirbt“ in ein haarsträubendes Berlin, das mit ausgefeilten Spitzfindigkeiten, echten Typen von nebenan und zynisch überspannten Visionen die Gegenwart ebenso seziert und zitiert wie eine völlig normale (?) Zukunft anvisiert.

Aber was ist mit Bang Bang? Muss Bang Bang wirklich sterben? Kann Pachulke den Fall lösen? Nun, die Auflösung ist weitaus realistischer als in manch einem anderen Krimi – und wenn der Spannungsbogen auch ab und an ein wenig ins Wanken gerät, einige Handlungsstränge sich im Sand oder sonst wo verlieren; das alles überspielt Alef mit seinem furiosen Stil, der ihm wie en passant aus der Feder zu fließen scheint. Der lustschwache, kulinarisch verwöhnte Bambusbär – der in Gefangenschaft tatsächlich durch Panda-Pornos zur Reproduktion animiert wird – ist Kult. Und „Bang Bang stirbt“ ein Muss!

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Abnett, Dan – Ehrengarde (Warhammer 40.000)

Neun Monate sind seit dem Fall der Vervunmakropole auf Verghast vergangen. Doch noch immer sind Spannungen zwischen den Tanithern und den Vergasthitern, die sich damals freiwillig dem „Ersten und Einzigen Tanith-Regiment“ angeschlossen haben, an der Tagesordnung und drohen, die aktuelle Mission zu überschatten.

Die Schrein- und Heimatwelt der Heiligen Sabbat, Hagia, wurde von Chaos-Anbetern infiltriert und weitgehend besetzt, zahlreiche Reliquien und Heiligtümer sind in die Hände des Feindes gefallen. Gaunts Geister sollen im Verbund mit anderen imperialen Streitkräften die Abtrünnigen vernichten, um die symbolisch bedeutsame Welt zu retten. Als der anfänglich erfolgreiche erste Vorstoß in die Hauptstadt Doctrinopolis und gegen die heilige Zitadelle in einem Debakel endet, gibt die militärische Führung allein den ungeliebten Tanithern die Schuld daran, dass nun eine unermesslich große Flotte aus Chaos-Raumschiffen auf den Planeten zusteuert.

Während die übrigen imperialen Truppen und die planetare Herrscherklasse von Hagia evakuiert werden, schickt Marschall Lugo die Tanither und eine Pardus-Panzer-Kompanie auf ein neues Himmelfahrtskommando: Als so genannte Ehrengarde sollen sie die heiligsten Reliquien Sabbats aus einer Feste tief in den verschneiten Bergen vor dem Zugriff der Kultisten in Sicherheit bringen. Der Weg führt die Kämpfer durch unwegsame Regenwälder und vom Feind besetzte Dörfer, vorbei an Flüchtlings- und Pilgerströmen; und hinter jedem Baum könnte ein Hinterhalt liegen, jeder Mensch ein Attentäter sein.

Doch nicht alle Tanither sind mit von der Partie. Einige müssen verwundet in Doctrinopolis zurückgelassen werden, darunter auch der hünenhafte Bragg, der geniale Corbec, Dorden, der Arzt, und Bran Daur von den Verghastitern. Als diese einen seltsamen, unterschwelligen Ruf spüren, der von der Bergfeste auszugehen scheint, und in ihren Träumen immer wieder das Wort „Sabbatmärtyrer“ auftaucht, machen sie sich trotz ihrer Verletzungen in einem fast schrottreifen Panzer an die Verfolgung der einige Tagesmärsche entfernten Ehrengarde.

Nachdem die ersten beiden der „Gaunt´s Ghosts“-Romane lesenswert waren, der dritte aber äußerst eintönig mit vielen Mängeln im Detail daherkam, bietet dieser vierte Band sowohl Licht als auch Schatten.

Im Entwerfen unterschiedlicher Schlachtenszenarien, der Erläuterung von Taktiken und Strategien (ungeachtet derer Realitätsnähe) und dem Schaffen einer düsteren, blutigen Schlachtfeldatmosphäre erweist sich Abnett nach wie vor als wahrer Meister, wobei sein Hang, sich in eintönigem Kanonendonner und Lasergewehr-Gewitter zu verlieren, unverkennbar ist. Dennoch setzt er in diesem Roman genug Akzente – z. B. im Panzergefecht um das kleine Dorf Bhavnager oder den Handlungsbogen um die „Verfolger“ -, um nicht mit endlosen, immer gleich anmutenden Kämpfen zu langweilen.

So fähig er in der Darstellung authentischer Action ist, so schwach ist der Autor im Aufbau vielschichtiger, glaubwürdiger Charaktere und eines befriedigend, plausiblen Abschlusses der Geschichte. Einmal mehr lassen zahllose Figuren keinen Raum, irgendeine von ihnen genauer zu beleuchten, gibt Abnett den zentralen Protagonisten (Larkin, Bragg, Corbec, Rawne, Mkoll, etc.) keine Gelegenheit, aus ihren schon bekannten -und mittlerweile langweilig-vorhersehbaren Verhaltensmustern auszubrechen; und bedauerlicherweise zeichnet sich für die neu ins Regiment integrierten Verghastiter (Daur, Kolea u. a.) eine ähnliches Schicksal „schematischer Einfallslosigkeit“ ab. Der Einzige, der mal wieder etwas mehr Aufmerksamkeit des Autors auf sich zieht, ist Gaunt. Allerdings ist dessen Charakterentwicklung, die Flucht in den Alkohol und das An-den-Tag-legen verhaltener Verzweiflung, vollkommen „out of character“.

Ein weiteres Problem, welches am Horizont auftaucht, ist die Integration der Verghastiter in den tanithischen Hintergrund. Die besondere Fähigkeiten des „Ersten und Einzigen“ im Tarnen, Täuschen, Anschleichen und Erkunden ergeben sich unmittelbar aus den Lebensbedingungen auf der untergegangenen Heimatwelt. Und nun will uns Abnett weismachen – indem er das Problem nicht thematisiert -, die Stadtmenschen der Vervunmakropole seien ein gleichwertiger Ersatz für die gefallenen Geister.

Unbefriedigend ist auch diesmal wieder das Auftreten der Antagonisten: eine uniforme und zudem stupide und dumm agierende Masse von Chaosanbetern auf der anderen Seite der Frontlinie und vom Ehrgeiz zerfressene Offiziere in Reihen des Imperiums.

Ist es denn so schwer insbesondere den Chaosanhänger ein Gesicht zu geben und sie rational agieren zu lassen? Immerhin infiltrieren sie Welten, bauen militärische Infrastrukturen auf und malen ihre Panzer hübsch limonengrün an. Wieso verhalten sie sich in Kämpfen wie Idioten – und damit ist nicht „unlogisch“ oder „unvorhersehbar“ gemeint, sondern „dumm wie Schwarzbrot“? Dieses intellektuelle Stigma dürfte auch die Chaos-Spieler unter den Warhammer-40.000-Tabletop-Anhängern kaum zu Freudensprüngen veranlassen.

Zu den ganz großen Ärgernissen dieses Romans gehört das Abnett-typische Finale, über das man besser keine Worte verlieren sollte. „Reset-Button“ und „aus heiterem Himmel“ müssen deshalb genügen.

Um mit einem positiven Aspekt abzuschließen: Endlich erfährt man, woher der Sabbat-Kreuzzug seinen Namen hat, und man erhält weitere Einblicke in die theokratische Organisation des Imperiums sowie die Absonderlichkeiten der Heiligen-Verehrung.

Licht und Schatten halten sich die Waage: Drohende Eintönigkeit wird durch mitreißende Schlachtenbeschreibungen durchbrochen, interessante Hintergrundinformationen werden durch Unlogik, Vorhersehbarkeit und ein indiskutables Ende relativiert.

|Originaltitel: Honor Guard
Originalverlag: Games Workshop
Übersetzt von Christian Jentzsch|

© _Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Fontenay, Charles Louis – Jahrtausendflut, Die (Magic Edition, Band 2)

Charles L. Fontenay wurde 1917 geboren. Er schrieb nach seinem Abschluss für einige Magazine und mauserte sich währenddessen zum Chefredakteur einer amerikanischen Tageszeitung. Nebenher widmete sich Fontenay den verschiedensten Hobbys; er malte, war als Philosoph aktiv, spielte Schach und errang einen Meistertitel im Taek Wan Do. Seine Karriere als Buchautor sollte allerdings nicht von langer Dauer sein; insgesamt schrieb Fontenay nur drei Science-Fiction-Romane, von denen zwei nach der Erstveröffentlichung auch den Weg nach Deutschland fanden. Der letzte hingegen, „Die Jahrtausendflut“, blieb bis zuletzt ein gesuchtes Sammlerstück, das nur in der Originalausgabe zu haben war.

Vor einiger Zeit hat sich schließlich der BLITZ-Verlag dieses Buches angenommen und es im Rahmen der hauseigenen |Magic Edition| erstmals in deutscher Sprache aufgelegt, dies jedoch in leicht überarbeiteter Form, denn der Autor selber hat den Inhalt in gewissen Punkten an das aktuelle Tagesgeschehen angepasst, um die Geschichte auch für die heutige Zeit noch relevant zu machen.

_Story_

In nicht allzu ferner Zukunft ist die Erde einer mächtigen Bedrohung durch die Natur ausgesetzt. Die globale Erwärmung hat allerorts Folgen hinterlassen, so dass durch das ständige Schmelzen der Gletscher und der Pole der Meeresspiegel erheblich angestiegen ist. Die Erdbevölkerung ist sich darüber im Klaren, dass eines Tages die gesamte Landschaft von den Wassermassen überflutet werden wird, doch sie ist noch nicht darauf vorbereitet, dass dieser Tag schon der heutige sein könnte …

Die Erde droht nämlich mit einem Meteoriten zusammenzustoßen, der bei seinem Aufprall eine gewaltige Flut nach sich ziehen würde. Den Berechnungen nach soll dieser Himmelskörper mitten im Atlantischen Ozean aufschlagen und die angrenzenden Länder sollen durch die übermächtige Sturmflut bereits nach wenigen Minuten verschlungen werden. Und tatsächlich: Das Unglück ist nicht mehr abzuwenden und die gesamte Welt steht vor ihrem Untergang.

Mittendrin im totalen Chaos: eine Gruppe von sechs Menschen (von denen drei aber eine eher untergeordnete Rolle spielen), die versuchen, der Jahrtausendwelle zu entrinnen und während ihrer Flucht um ihr Leben kämpfen. Doch nicht nur die Katastrophe selber wird zur schier unausweichlichen Bedrohung; auch die überlebenden Mitmenschen werden im brutalen Überlebenskampf zu Gegnern, die in ihrer Todesangst jegliche Skrupel ablegen und jenseits jeglicher Moral ihre eigene Haut retten wollen. Auch in dieser Sechsergruppe bilden sich zwei Parteien mit unterschiedlichen Motiven. Der Wissenschaftler Brand Caravel versucht das Beste aus der Situation zu machen und somit auch den Weg des allgemeinen Wohles zu gehen – sofern dies möglich ist. Ihm entgegen stellt sich der skrupellose Geschäftsmann Ashley Garland, der auch nach dem urplötzlichen Verfall seines Unternehmens die altbewährten Strategien beibehält und lediglich auf sein eigenes Wohl schielt. Die Übrigen stehen nun vor der Entscheidung, wem sie folgen sollen – dem kompromisslosen Unternehmer oder doch dem sozial motivierten Wissenschaftler. Und währenddessen werden die apokalyptischsten Visionen immer mehr zur Realität …

_Meine Meinung_

Naturkatastrophen von astronomischem Ausmaß waren zur Entstehungszeit dieses Romans eigentlich noch kein Thema, über das sich die Wissenschaft, geschweige denn die Bevölkerung ausführlich Gedanken gemacht hat. Doch durch das wachsende Bewusstsein über die Folgen der globalen Erwärmung und nicht zuletzt aufgrund der verheerenden Tsunami-Flutwelle aus dem vorletzten Jahr hat die Welt selber erfahren müssen, wie mächtig die Natur infolge des Raubbaus von Menschenhand geworden ist. Insofern ist die Thematik dieses Buches mittlerweile aktueller denn je, auch 40 Jahre, nachdem Charles L. Fontenay diesen lange Zeit verschollenen Roman verfasst hat.

Sehr positiv fällt auf, dass sich der Autor trotz des verhältnismäßig geringen Seitenumfangs recht detailliert auf die Thematik einlässt, sowohl im Hinblick auf das Ereignis an sich als auch bezogen auf die Charaktere, die im Buch eine wesentliche Rolle spielen. Die Katastrophe als solche und auch ihre Auswirkungen auf die Zivilisation werden sehr ausführlich dargestellt und weichen in ihrem Facettenreichtum gar nicht mal so weit von den jüngsten, real geschehenen Horrorszenarien ab. Ob dies jetzt daran liegt, dass der Autor die Geschichte im Nachhinein noch mal überarbeitet hat, vermag ich nicht zu sagen, jedoch ist es schon sehr erschreckend, welch authentisches Bild sich bei der Schilderung der Ereignisse ergibt. Dies gilt auch für die Darstellung der gesellschaftlichen Konflikte, die sich innerhalb des sehr knappen Zeitrahmens nach der Katastrophe ergeben; Menschen ringen mit allen erdenklichen Mitteln um ihr Leben und vergessen dabei jegliche moralischen Werte; das eigene Leben steht über allem, das Wohl der Gesamtbevölkerung ist hingegen gar nichts mehr wert. Aus einer Milliardenbevölkerung wird eine gewaltige Ansammlung von Einzelkämpfern, von denen sich jeder selbst der nächste ist, und wer dann doch versucht, an die Vernunft zu appellieren wie in diesem Fall Brand Caravel, der senkt seine Überlebenschancen mit einem Mal um einen drastischen Prozentsatz.

Das einzige Problem an diesem Buch ist lediglich, dass sich Fontenay nicht wirklich darauf einschießen kann, was nun das genaue Thema des Buches ist: die Entstehung der Naturgewalt oder die Folgen für das menschliche Miteinander, geprägt durch Personen wie Ashley Garland, Jimmy Haggard und Brand Caravel. Trotz umfassender Beschreibung versäumt der Autor es nämlich irgendwann, sich auf beide Themen gleichermaßen intensiv einzulassen. Gerade die Lösung im Bezug auf die Hauptpersonen ist im Endeffekt ein wenig unbefriedigend, zumal man eigentlich schon erahnen kann, wer mit seiner weiteren Vorgehensweise Erfolg haben wird. Aber auch der Konflikt zwischen Ashley und Brand wird nicht auf angemessenem Level ausgetragen und lässt die erforderliche Brisanz vermissen.

Dafür kann Fontenay allerdings mit tollen Szenenbeschreibungen glänzen, in denen seine Berufung als Journalist voll und ganz durchkommt. Sehr eindrucksvoll sind diesbezüglich die Schilderungen über die letzten Momente von New York, bevor die Stadt komplett von den Wassermassen vernichtet wird. Der Anschlag auf das World Trade Center hinterließ ein Bild des Schreckens und der Trauer, das man nie vergessen wird, und daran knüpft der Autor hier nahtlos an. Beim Lesen bekommt man eine echte Gänsehaut, die potenziell noch viel öfter hätte auftreten können, hätte sich Fontenay mehr auf diese Stärken konzentriert. Dies ist aber leider nicht der Fall, und so fehlt es dem Buch letztendlich auch an dem gewissen Etwas, sozusagen an der nötigen Würze und schließlich auch am erforderlichen Tiefgang, der prinzipiell – man beachte den schon erwähnten Detailreichtum – möglich gewesen wäre. Es mangelt der Geschichte weitestgehend an Konsequenz, d.h. der Autor führt die vielen Andeutungen und Ansätze nicht adäquat aus, und dadurch büßt „Die Jahrtausendflut“ trotz eigentlich sehr gutem Inhalt einiges an Klasse ein.

Fazit: Gute Unterhaltung: ja, intensive Atmosphäre: jein, tatsächlicher Tiefgang: nein.

http://www.blitz-verlag.de/

Marx, André – Die drei ??? – Feuermond

Die berühmte Jugendserie feierte nicht nur unlängst ihr 25-jähriges Bestehen, im September 2005 erreichte sie ihren 125. Band. Sicherlich ein Grund zum Feiern, weswegen man André Marx ausschickte, nach Nummer 100 „Toteninsel“ einen weiteren Dreierband auf die Leserschaft loszulassen. Wieder erschien die Erstausgabe als Paket mit drei Büchern im Schuber und wieder ergeben die Covers des Triples ein zusammenhängendes Bild: ein Triptychon, wie man fachlich korrekt in der Malerei sagen würde. Mit Malerei liegt man hier auch sehr nah am Thema des Jubiläumsbandes. Denn nicht nur die Zahl drei ist innerhalb der Serie wichtig, auch ein ganz bestimmter Meister-Kunstdieb mischt wieder mit. Und nicht nur er.

_Zur Story_

Bob hauts von den Socken. Nein. Eher vom Fahrrad. Nach einem Kinobesuch spät dran, radelt der dritte Detektiv eilends nach Hause, als ihn die Explosion des alten, leer stehenden Verwaltungsgebäudes von Rocky Beach vom Drahtesel fegt. Ein Unfall? Unwahrscheinlich, denn bei den drei Fragezeichen trudelt am nächsten Morgen ein knapper Brief ein, der von Absicht kündet und weitere Informationen darüber verspricht. Allerdings stehen die schließlich mühsam am Treffpunkt erkämpften Informationshäppchen augenscheinlich damit nicht in Zusammenhang. Vielmehr stoßen die drei Detektive auf Hinweise auf ein mysteriöses Bild eines berühmten, französischen Malers. Ein Bild, dessen Existenz in der Fachwelt kontrovers diskutiert und vielerorts sogar angezweifelt wird: „Feuermond“. Dass dieses Bild wohl kein Mythos ist, erkennen Justus, Peter und Bob bereits daran, als dass sie bald auf alte Bekannte treffen.

Zunächst Britanny. Eben jene Britanny, welche Justus seinerzeit so arg gelinkt hatte (vgl. „Das Erbe des Meisterdiebes“). Und auch diesmal ist Messieur Victor Hugenay, der berüchtigte Gentleman-Kunstdieb, nicht weit. Unschwer zu ermitteln, dass dieser wegen des „Feuermond“-Bildes unter seinem Stein hervorgekrochen ist. Britanny gibt sich geläutert und zeigt sich kooperativ, was auch schließlich zum Erfolg führt. Es gelingt den drei Fragezeichen durch List, was noch niemandem – weder in Europa, noch in Amerika – gelang: Hugenay (gesprochen: „Üschänee“) kann dingfest gemacht werden und landet in Untersuchungshaft! Doch ist damit das letzte Wort gesprochen? Der gerissene Meisterdieb hat immer einen Kniff gefunden, sich dem Gesetz zu entziehen. Kann man Britanny wirklich trauen? Wo ist „Feuermond“? Die erste Schlacht ist gewonnen, doch der Krieg der Superhirne hat erst begonnen.

_Meinung_

Für ein solch rundes Jubiläum wie den 125. Band kann man gerne wieder einen der Lieblingsgegner (und sicher auch eine der Lieblingsfiguren der Fans) ausbuddeln. Victor Hugenay is back! Für alle, die es nicht wissen: Messieur geruhten schon öfter die mentalen Klingen mit den drei Fragezeichen – respektive hauptsächlich deren Vordenker Justus – zu kreuzen. Legendär sind die Fälle „Seltsamer Wecker“, „Super-Papagei“ und „Erbe des Meisterdiebs“. Letzterer beinhaltete eine harte Schlappe (die einzige in der ansonsten makellosen Historie der drei ???) – Grund dafür war – neben Hugenay – Britanny. Auch sie hat in dieser Geschichte ihre Auferstehung. Undurchsichtiger denn je. Hat sie sich geändert? Marx lässt den Leser zappeln und somit auch seine Protagonisten, die nicht recht wissen, in welche Schublade sie Britanny stecken sollen.

Bei Hugenay scheint der Fall ganz klar. Er ist ein Verbrecher, ein Bösewicht par exellance. Oder vielleicht doch nicht? Dass er einen Narren an Justus gefressen hat, ist bekannt. Wie immer dirigiert er die Ereignisse scheinbar nach seinen Gunsten und Belieben. Ob in Haft oder nicht. Fraglich bleibt bis zum Schluss, was seine Beweggründe sind, diese Spielchen zu treiben. Bis zum absoluten Finale ist der Leser ratloser als je zuvor, was seinen Charakter angeht. Natürlich darf eine solche Folge nicht ohne Rätsel und noch mehr undurchsichtige Typen auskommen. Ebensowenig dürfen bestimmte Figuren fehlen. Tante Mathilda und Onkel Titus gehören zur Grundausstattung, aber auch Inspector Cotta und Chauffeur Morton – samt Rolls Royce selbstverständlich – haben mal wieder ihr Schärflein beizutragen.

Als originelle Idee spielt diesmal die Zentrale der ??? eine vollkommen ungeahnte Rolle. Mehr sei hier darüber nicht verraten, als dass der gammelige Campinganhänger durchaus noch rüstig ist. An Ideenreichtum mangelt es André Marx jedenfalls nicht. Die drei Teile lesen sich sehr flüssig und mit einer guten Portion Humor. Zudem ist die Geschichte sprachlich sehr ausgefeilt, kaum ein Buch der drei Fragezeichen ist je ausschmückender verfasst worden. Die sehr bildhafte Schilderung ist erstklassiges Kopfkino. Allerdings ist Autor Marx spürbar kein wirklicher Waffenexperte: Das „Entsichern“ einer Pistole macht kein Geräusch – zumindest kein auf Entfernung wahrnehmbares – was er so lautmalerisch beschreibt, dürfte demnach der Hahn sein. Egal.

Dankbar muss man ihm sein, dass er der Verlockung widerstand, auch in diesem Jubiläumsband auf Deibel komm raus alle möglichen Figuren zu reanimieren. Er belässt beispielsweise Jelena, Skinny Norris und andere schön in der Mottenkiste und hält den Cast übersichtlich. Nichts gegen diese (Kult-)Figuren, doch der letzte, opulente Dreierband „Toteninsel“ war einfach nur gnadenlos damit überfrachtet. „Feuermond“ ist dagegen fast schon minimalistisch aufgezogen und hat nur wenige Szenen, die nicht ganz so überzeugend sind. Das Ausgangs-Szenario für den Showdown etwa. Das wirkt arg beigedengelt und allein vom Setup her eher minder glaubwürdig, ist dafür aber im Verlauf nichtsdestoweniger spannend und halbwegs schlüssig geworden.

_Fazit_

Alle drei separaten Teile vergehen wie im Flug. Die Geschichte ist, bis auf kleinere, zu vernachlässigende Macken, erfreulich intelligent und – in Sachen Hugenay und seiner Vergangenheit – höchst aufschlussreich. Der 14,90 Euro teure Dreierband ist nicht unbedingt für Einsteiger in die Serie gedacht, wenngleich auch solche damit einen recht lockeren Einstieg haben dürften. Einen gelungenen und eher actionreichen noch dazu – ein schon fast klassisch (und serientypisch) zu nennendes Rätsel gibt’s obendrauf. Natürlich ist der Fall wieder in sich abgeschlossen und eigenständig, doch stärker als üblich sind Bezüge auf frühere Begebenheiten zu finden. Diese zu kennen, ist hilfreich, jedoch für das generelle Verständnis nicht nötig. Sie sind andererseits diesmal jedoch auch etwas mehr als nur das Salz in der Fan-Suppe.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Die drei ??? ® – „Feuermond“-Band 125
Erzählt von André Marx
Franckh-Kosmos, Stuttgart – 09/2005
Das Rätsel der Meister (125-1)
Der Pfad der Täuschung (125-2)
Die Nacht der Schatten (125-3)
Drei Hardcover im Schuber, je 128 Seiten
ISBN: 3-440-10205-X

Isaac Asimov – Das galaktische Imperium (Foundation-Zyklus 4)

Isaac Asimov bemühte sich gegen Ende seiner Schaffenszeit, seine beiden großen Steckenpferde, die Robotergeschichten mit ihren Gesetzen der Robotik und die Geschichte der Menschheit mit der Foundation-Trilogie, zu einer zusammenhängenden, umfassenden Erzählung zu verknüpfen. »Das galaktische Imperium« wurde so zum vierten Band des erweiterten Foundation-Zyklus und bildet den endgültigen Übergang von den Robotergeschichten zur galaktischen Menschheitsentwicklung mit Hilfe der Psychohistorik.

Zweihundert Jahre nach Elijah Baleys letztem Fall auf Aurora, in dessen Verlauf er den Erdenmenschen einen neuen Anlauf für die Besiedlung der Galaxis ermöglichte, droht eine neue Krise: Die Spacer, die in ihrer von Robotern behüteten Zivilisation verharren, sehen ihre Macht über die Erdenmenschen durch die neuen Siedler bedroht, die allein durch ihre Masse zur Gefahr werden könnten. Der oberste Robotiker macht den hinterhältigen Plan eines seiner Kollegen zu dem seinen, der darauf abzielt, die Erde als Zentrum der Siedlerbewegung zu vernichten.

Inzwischen scheinen die Bewohner des letzten von Spacern besiedelten Planeten, die Solarianer, einen eigenen Plan zu verfolgen. Ihre Bevölkerung war schon immer die niedrigste aller Spacerwelten, und in dieser Krisenzeit haben sie ihren Planeten plötzlich verlassen.

Die bekannten Roboter Daneel und Giskard sehen sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, nach den Gesetzen der Robotik zu handeln und die Menschen zu beschützen und gleichzeitig die Vernichtung der Erde durch Menschen zu verhindern. Sie als intelligenteste Roboter machen sich Gedanken um die Zukunft der gesamten Menschheit, was ursprünglich die Kapazität von Positronengehirnen übersteigt.

In typischer Weise entwickelt Asimov die Geschichte um seine Protagonisten, wobei diesmal ein deutlicher Schwerpunkt auf Daneel und Giskard und ihren inneren Konflikt zwischen ihren Erkenntnissen bezüglich der Menschheit und der Robotikgesetze gelegt wird. Es ist erstaunlich, über welchen Zeitraum (seiner Lebenszeit) und welchen Umfang (zehn, ursprünglich noch mehr, inzwischen zusammengelegte, Bände) er den großen Bogen spannt. Dass dem Leser dabei nicht langweilig wird, da er (in dieser Ausgabe nicht zuletzt wegen der wirren Veröffentlichungsstrategie des Verlags) die Romane wahrscheinlich nicht in chronologischer Reihenfolge gelesen hat und somit Details der Zukunft, auf die Asimov hinarbeitet, bereits kennt, ist ein Merkmal des Unterhaltungswerts der Geschichte und Asimovs Fähigkeit, spannende und verstrickte Abenteuer zu schreiben.

Ein wichtiger Punkt des Stils sind die langen Unterhaltungen, die einen Großteil der Geschichte ausmachen. Hier wird Stellung bezogen, Handlungen werden rückblickend dargestellt, neue Rätsel ausgestreut oder alte gelöst, und der Leser denkt mitunter zusammen mit den Protagonisten in die völlig falsche Richtung oder meint, Hintergründe noch vor ihnen durchschaut zu haben.

Geschickt flicht Asimov Fäden ein, die bereits in späteren Romanen gelöst wurden, und erklärt zum Beispiel, wie Daneel und Giskard zu ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten kommen. Bereits in vorangehenden Bänden wird angedeutet, dass nicht der geniale Hari Seldon (siehe Foundation Bände 7, 8) auf die Idee mit der Psychohistorik kam, sondern diese ein wichtiges Anliegen ursprünglich Giskards und ausgefeilter Daneels ist, wozu auch im vorliegenden Roman deutliche Grundsteine gelegt werden. Daneel, der durch Elijah Baley noch an dessen Sterbebett in Richtung Menschheit beeinflusst wurde (»ein einzelner Faden ist nichts im Gegensatz zum ganzen Gewebe«), schafft es sogar, sich selbst endgültig das Nullte Gesetz der Robotik einzuprogrammieren und es den ursprünglichen drei Gesetzen voranzustellen: Ein Roboter darf der Menschheit nicht schaden oder durch Untätigkeit zulassen, dass ihr Schaden widerfährt. Demzufolge wird die Unverletzbarkeit von Individuen der Abstraktion der Menschheit untergeordnet, was für den Einzelnen durchaus zur Gefahr werden könnte.

Es ist schwierig, darüber zu urteilen, aber ging Asimov vielleicht etwas zu weit, als er den Robotern die Macht zusprach, sich über die zum Schutz der Menschen eingesetzten Drei Gesetze hinwegzusetzen? Sollte es einem Roboter, und sei er noch so intelligent, zustehen, über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden und damit vielleicht Einzelne zu gefährden? In dem Zusammenhang lässt er seine Roboter eine brisante Idee fassen:

[…] Wir müssen eine wünschenswerte Spezies formen und sie dann schützen, damit wir uns nicht wieder gezwungen sehen, zwischen zwei oder mehr unerwünschten Alternativen wählen (d.h. welcher unerwünschten Menschengruppe ihr Schutz gelten soll!) zu müssen. […] (Seite 492f)

Bei diesem Satz kann den Leser Unbehagen befallen, denn was wäre das für eine Menschheit, die nach den Wünschen von Robotern geformt ist? Ähnliches Unbehagen beschleicht einen ganz zum Ende des Zyklus, doch es soll nicht zu viel vorweggenommen werden.

Was den Roman gegenüber seinen Vorgängern so besonders macht, ist die gewisse Überlegenheit der Roboter gegen die Menschen; so spielte Daneel in den Bänden Foundation 2 und 3 zwar eine wichtige Rolle, dominiert wurden die Geschichten aber von Elijah Baley. Jetzt, nach Baleys Tod, bemüht sich Daneel um die Denkweise der Menschen allgemein und der Baleys im Besonderen, um der Menschheit möglichst perfekt dienen und sie schützen zu können. Dabei wird er in seinen Gedanken, Gefühlen und seiner Handlungsweise immer menschlicher, und darum wirkt es auch menschlich tragisch, als er sich seiner Aufgabe endgültig allein gegenübergestellt sieht.
Ein den anderen Bänden ebenbürtiger Beitrag zum großen Foundationuniversum.

Der Foundation-Zyklus im Überblick

1. Meine Freunde, die Roboter
2. Die Stahlhöhlen
3. Der Aufbruch zu den Sternen
4. Das galaktische Imperium
5. Die frühe Foundation-Trilogie
6. Die Rettung des Imperiums
7. Das Foundation-Projekt
8. Die Foundation-Trilogie
9. Die Suche nach der Erde
10. Die Rückkehr zur Erde

Mason, Richard – unsichtbare Vierte, Die

Bereits sein erster Roman „Der Liebesbeweis“, den Richard Mason mit gerade achtzehn Jahren verfasste, überzeugte Kritiker und Leser von der erzählerischen Virtuosität des Jungautors. Und tatsächlich erzählt Mason so kraftvoll und dabei so feinsinnig und federleicht, dass man seine Bücher – einmal begonnen – nur äußerst ungern aus der Hand legt.

„Die unsichtbare Vierte“ brilliert durch unendlich viele kleine Szenen, die sich vielversprechend wie schimmernde Perlen aneinander reihen. Szenen, die sich dann jedoch leider nicht gänzlich zur strahlenden Kette, zum überzeugenden Ganzen zusammenfügen wollen.

Denn auch wenn Richard Mason sich fünf Jahre Zeit genommen hat, um „Die unsichtbare Vierte“ zu komponieren – fünf Jahre übrigens, die er als Albtraum voller Selbstzweifel beschreibt -, verführt der Roman vorwiegend durch sein kunstvolles Arrangement, das mit Sprache, mit Zeitebenen sowie den Perspektiven seiner Figuren, drei unterschiedlichen Stimmen, gewandt zu jonglieren weiß.

In vier große Kapitel unterteilt Mason die Handlung. In ICH lernt der Leser zunächst die drei Protagonisten kennen: Julian, den etwas blassen Lehrer; Jake, den süchtigen, einst gefeierten inzwischen jedoch konzeptlosen Konzept-Künstler, und Adrienne, die Tochter aus mondäner New Yorker Gesellschaft, die einen erfolgreichen, viel älteren Filmproduzenten geheiratet hat. So unterschiedlich sich ihr Leben gestaltet hat, verbindet sie doch ein tragisches Ereignis, das mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Denn alle drei fühlen sich in gewisser Weise für den Tod von Maggie – der unsichtbaren Vierten – verantwortlich.

In den Kapiteln DAMALS und WIR lässt Mason seine Figuren aus ihrer Jugend erzählen. Die Wege der vier kreuzten sich endgültig in Oxford, wo sich ihr Schicksal auf dramatische Weise für immer miteinander verknüpfte. In WIR nimmt der Roman die Züge des im englischsprachigen Raum sehr beliebten College-Mystery an, weshalb man „Die unsichtbare Vierte“ wohl des Öfteren mit Donna Tartts Weltbestseller „Die geheime Geschichte“ verglichen hat. In dem letzten Teil, HEUTE, treffen Julian, Jake und Adrienne nach über einem Jahrzehnt wieder zusammen – und erneut nimmt ihr Treffen einen schrecklichen Ausgang.

Ein US (WIR – so der Originaltitel) hat es letztlich niemals gegeben. Eigentlich war Maggie, Julians Schwester, die mit ihrem ungestüm charmanten wie dominanten Charakter Jake zu ihrem Liebhaber und Adrienne zu einer ihrer Freundinnen machte, das Bindeglied dieses tragisch endenden Quartetts.

„Die unsichtbare Vierte“ bezaubert – wie gesagt – durch Masons Geschick, mit Sprache wunderbare Atmosphäre und elegante, anekdotenhafte Szenen zu schaffen. Als Geschichte jedoch überzeugt „Die unsichtbare Vierte“ nicht gänzlich. Unzählige Zufälle lassen teilweise Zweifel an dem Plot aufkommen. Und auch die Figuren bleiben eher blass, ihre Motive und Beziehungen nicht immer nachvollziehbar – Was z. B. treibt Adrienne in Julians Arme und über Monate in sein Bett? Da klingen auch die ein oder andere philosophisch moralische Betrachtung und Hobbes zitiertes Weltbild zu kurz und zu unmotiviert an, um dem Text ernsthaft mehr Tiefe zu verleihen. Tragisch ist die Geschichte in vielfacher Hinsicht. Vor allem, da die drastisch grausamen, aber doch letztlich banalen College-Streiche, die Maggie inszeniert, um Gerechtigkeit herbeizuführen, für alle Beteiligten ein so schlimmes Ende nehmen. „Der kurze, reizvolle Augenblick, in dem aus einem Spiel das Leben wird – und dann der Tod.“ Wobei jedoch eigentlich die Unfähigkeit der Figuren zur Kommunikation das tragischste Moment der gesamten Geschichte ist.

„Die unsichtbare Vierte“ ist ein tragisch schöner, virtuos erzählter Roman, der jedoch an Logiklücken und der zu zahmen Umsetzung eines extremen Charakters kränkelt. Hätte Mason auf das Nachbeben, das die übrig gebliebenen drei Figuren noch Jahre später erschüttert, verzichten wollen, wäre der Roman vielleicht ein spannender Krimi aus der Sparte College-Mystery geworden. Mason jedoch zielt auf die erzählte Gegenwart ab, um die Auswirkungen von Maggies Tod zu verdeutlichen. „Die unsichtbare Vierte“ ist spannend, aber trotz Todesfällen nur bedingt als Krimi zu lesen. Denn Mason konzentriert sich nicht explizit auf Spannung und Thrill, sondern verlässt sich ganz auf seine Figuren. Ob diese Konstellation den Leser letztlich in den Bann zieht, muss jeder selbst entscheiden, so wie der Autor sich das vorstellt: ‚Ich möchte, dass die Leser bewegt sind, aber ich möchte auch, dass jeder Leser den Text auf seine eigene Weise erfährt.‘

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Schmidt, Peter – Endzeit (Magic Edition, Band 3)

Im dritten Teil der „Magic Edition“ vom BLITZ-Verlag darf sich nun erstmals ein deutscher Autor im Bereich des Übersinnlichen versuchen. Peter Schmidt, so sein Name, hat bereits dreimal den Deutschen Krimipreis einheimsen können und ist für sein Gesamtwerk 1994 mit dem Literaturpreis Ruhrgebiet geehrt worden. Im Laufe seiner Karriere als Schriftsteller haben sich seine Prioritäten jedoch immer mehr verschoben. Schmidt hat seine Vorliebe für Science-Fiction-Themen immer mehr in den Vordergrund gestellt und sich diesem Gebiet auch seit seinem recht erfolgreichen Genre-Debüt „Vorwärts“ ausnahmslos gewidmet. „Endzeit“ ist bereits seine fünfte Science-Fiction-Erzählung, mit Sicherheit aber nicht seine beste …

_Story_

Inmitten einer Großstadt macht der Wissenschaftler Alexander Born eine grausame Entdeckung: Ein überdimensionales, fliegendes Etwas treibt in der Dunkelheit sein Unwesen und stürzt sich urplötzlich auf eine hilflose Passantin, die schließlich vom als Flugsaurier entlarvten Tier verspeist wird. Born meldet den Vorfall umgehend den Behörden, wird aber dort nicht für voll genommen. Der bekannte und gerade für den Nobelpreis nominierte Wissenschaftler wird stattdessen für verrückt erklärt und abgewiesen. Weil er jedoch nicht an eine bloße Illusion glaubt, sucht er am nächsten Abend die nahe liegende Umgebung ab und stößt auch tatsächlich wieder auf das vorzeitliche Wesen. Born muss allerdings erkennen, dass er dem Urvieh alleine nicht gewachsen ist und begibt sich dabei in große Gefahr. In letzter Minute kann er dem Saurier noch entkommen.

Bei der Suche nach Unterstützung entscheidet sich Born schließlich dafür, die Presse einzubeziehen, die aus der Geschichte ja auch eine sensationelle Story drehen könnte. In Gestalt der gebildeten Reporterin Linda Meyer trifft er schließlich auf eine Person, die ihm glaubt, und gemeinsam gelingt es dem neu verbündeten Team tatsächlich, das Wesen einzufangen. Bei der Ursachenforschung stößt Born dann auf einige dunkle Kanäle; er vermutet, dass sein direkter Konkurrent und ehemaliger Kollege Dr. Haderer infolge einer zielgerichteten Gen-Manipulation für das Auftauchen des Wesens verantwortlich ist. Doch bevor er sich hiermit ausführlicher befassen kann, taucht plötzlich ein weiterer Flugsaurier auf – und dieses Mal ist das Wesen nicht alleine …

_Meine Meinung_

„Jurassic Park“ – klarer Fall, dass einem dieser Gedanke bei der Betrachtung dieser Inhaltsangabe als Erstes kommt. Und in der Tat weist Schmidts aktueller Roman deutliche Parallelen zu Michael Crichtons Bestseller auf. Jedoch besteht zwischen der mehrfach verfilmten Edel-Story und dem hier zur Kritik vorliegenden Roman ein gehöriger Klassenunterschied, denn Peter Schmidt schafft es nicht mal annähernd, eine ähnlich intensive Atmosphäre zu entfachen wie das als Inspiration dienende Original. Im Gegenteil; trotz des zweifellos rasanten Tempos basiert das Buch auf viel zu vielen Ungereimtheiten. Natürlich stellt die Bedrohung durch die Urzeit-Geschöpfe eine Gefahr für die gesamte Bevölkerung dar, doch wieso setzt sich diese überhaupt der Gefahr aus? Immerhin treiben die Flugsauriern nur in einem lokal einzugrenzenden Gebiet ihr Unwesen, es wäre also ein Leichtes, aus dieser Stadt zu fliehen und sich somit in Sicherheit zu bringen. Während die Protagonisten bei „Jurassic Park“ auf der Insel quasi gefangen und somit auch jederzeit angreifbar waren, bestehen für die Menschen in diesem Buch genügend Schlupflöcher, um der drohenden Gefahr zu entgehen – und sei es, dass man einfach in der heimischen Wohnung bleibt. In dieser Hinsicht sind die Hintergründe von „Endzeit“ recht unbefriedigend eingefangen und die vermeintlichen Lösungsstrategien recht unlogisch dargestellt worden.

Nicht abzustreiten ist indes, dass Schmidt ein Verständis dafür hat, wie man die aus einer immensen Gefahr abzuleitende Action inszeniert. Gerade bei der Darstellung des apokalyptischen Endzeit-Szenarios bzw. beim finalen Gefecht zwischen den angerückten Militär-Einheiten hat sich der Autor echte Mühe gegeben und auch sehr gute Resultate erzielt.

Dem entgegen bleiben die Hauptcharaktere in diesem Buch blass. Der erfahrene Wissenschaftler Born zum Beispiel taugt als Actionheld nur bedingt; seine Tochter hingegen, die ebenfalls eine tragende Rolle in diesem Roman einnimmt, würde sich hierzu schon besser eignen, kommt aber irgendwie nicht richtig zum Zuge. Bleiben ein Polizist, der irgendwie nie Herr der Lage ist, und die sicherlich motivierte Reporterin, die aufgrund ihrer Stellung aber ebenfalls nicht zur Heldin avancieren kann. Und unter dieser Voraussetzung leidet das Buch letztendlich auch; man findet keine Identifikationsfiguren, ganz anders noch als bei „Jurassic Park“, wo sich quasi jede Altersklasse ihren Helden aussuchen konnte. Bei „Endzeit“ gibt es sowas indes nicht.

Dass die Story zudem wenige eigene Elemente beinhaltet, nimmt dem schwächelnden Inhalt schließlich auch den letzten Halt. Peter Schmidt versucht zwar direkt zu Beginn, durch einen selber gestellten Vergleich mit dem großen, preisgekrönten Vorbild den Verdacht ein wenig abzuweisen, doch alles in allem ist „Endzeit“ dann doch eine leicht abgewandelte und bei weitem nicht derart fesselnde Kopie von „Jurassic Park“. Und dies schließt auch die erwarteten, bis auf die Genmanipulation aber im Grunde genommen gar nicht vorhandenen Science-Fiction-Elemente ein.

„Endzeit“ ist moderne Horror-Fantasy auf höchstens durchschnittlichem Niveau und muss nicht einmal von begeisterten Anhängern der „Magic Edition“ aus dem BLITZ-Verlag angetestet werden; in diesem Genre gibt es nämlich eine stattliche Anzahl weitaus empfehlenswerterer Romane.

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Wilson, Robert – Toten von Santa Clara, Die (Javier Falcón 2)

Es ist ein altbekanntes Dilemma: Männer mittleren Alters verändern sich nicht mehr!
Diese Behauptung könnte auf Erfahrungswerten beruhen, stammt in diesem Falle aber nicht von mir, sondern ist ein Zitat des Autors Robert Wilson. Und dieser stand somit vor einem Problem: Denn eine glaubwürdige Figur eines Leiters der Mordkommission bedarf einiger (Dienst-)Jahre und einer gewissen Lebenserfahrung – ist somit ein Mann ‚in den besten Jahren‘. Ein interessanter Protagonist jedoch braucht die Chance, sich zu entwickeln, sich von festgefahrenen Gewohnheiten und dem Alltagstrott zu befreien. Um diese komplexe Kernfrage zu lösen und seinem Protagonisten die Möglichkeit eines Neuanfangs zu bieten, ließ Wilson seinen Inspector Jefe Javier Falcón in „Der Blinde von Sevilla“ ein sehr persönliches, traumatisches Ereignis durchleben, das sein gesamtes Selbstbild bis in die Grundfesten erschütterte und einen Nervenzusammenbruch auslöste.

„Der Blinde von Sevilla“ wurde zu einem kleinen Meisterwerk, das sich jedoch vorrangig durch die tragischen Familienverhältnisse und den Seelenstriptease des Protagonisten Falcón auszeichnet. Es ist außergewöhnlich, wie es Wilson gelingt, das Große im Kleinen zu spiegeln – also Weltgeschichte im persönlichen Drama einzufangen. Die Demontage der Persönlichkeit Falcóns, die Zerstörung der übergroßen Vaterfigur, des Künstlers Francisco Falcón, reflektiert die Zerstörungswut und Tragik eines gesamten Jahrhunderts. Dabei tritt jedoch der überaus brisante Fall der eigentlichen Todesermittlung etwas in den Hintergrund, sodass Wilson zwar vollendet, mit großem Anspruch und überaus spannungsvoll das Krimi-Genre erweiterte – seine Aufmerksamkeit aber für meinen Geschmack zu sehr auf seinen gebrochenen Protagonisten richtete.

Im vorliegenden Folgeband „Die Toten von Santa Clara“ begegnet man einem immer noch etwas instabilen Falcón, der sich über die aktuelle Lage seiner Psyche nicht ganz sicher zu sein scheint und der sein ’normales‘ Auftreten tragikomisch auf seinen Tablettenkonsum zurückzuführen weiß. Nichtsdestotrotz scheint Falcóns Selbstbild wieder gefestigter und selbstsicherer, sodass er gleich zu Beginn der Ermittlung einen komplexen Kampf an mehreren Fronten aufnehmen kann.

Zunächst einmal begegnet er Consuelo Jimenéz, einer überaus beeindruckenden Frau, die in „Der Blinde von Sevilla“ eine bedeutende Rolle spielte. Weiterhin trifft er zum ersten Mal nach einem Jahr auf den Staatsanwalt Esteban Calderón, der mit Falcóns Exfrau Inés verbandelt ist und diese Beziehung demnächst vor dem Traualtar legalisieren will. Allein diese beiden Begegnungen bieten genug Zündstoff, um Falcóns aufgewühltes (Innen-)Leben auf Trab zu halten. Aber dann ist da letztlich noch dieser seltsame Todesfall, den die Staatsanwaltschaft allzu rasch als Selbstmord abhaken möchte.

Gerufen wird Falcón in das gepflegte barrio (Vorort) Santa Clara, wo der Bauunternehmer Rafael Vega nach der Einnahme von Abflussreiniger tot in der Küche aufgefunden wurde. Im Schlafzimmer findet man seine ermordete Frau Lucía. Die Tat wirkt wie ein typischer Selbstmordpakt, bei dem der Mann zunächst seine Frau und dann sich selbst tötet. Doch bei genauerer Betrachtung will nicht jedes Detail in dieses Szenario passen, und Falcón entschließt sich zu ermitteln.

Überaus seltsam scheint die Notiz, die bei dem Toten gefunden wird: ‚… in der dünnen Luft sein, die ihr atmet, vom 11. September bis zum Ende…‘ Mit diesem kryptischen, fast poetischen Hinweis auf das Datum eines Terroranschlags macht Falcón sich auf die Suche nach den Hintergründen im Umfeld der Toten, nach einem Motiv für einen eventuellen Mörder. Dabei trifft er in der Nachbarschaft der Vegas nicht nur auf besagte Consuelo Jimenéz, sondern auch auf das amerikanische Pärchen Krugman und den alternden Schauspieler Pablo Ortega.

Während sich im Verlauf der Ermittlungen Falcón immer wieder der Frage stellen muss, ob sein Instinkt ihn trügt und der Todesfall Vega vielleicht doch ’nur‘ ein Selbstmord war, offenbaren seine Befragungen die seltsamsten Erkenntnisse: So erfährt Falcón nach und nach, dass der Tote Vega in seiner Freizeit gern schlachtete, offensichtlich Kontakte zur Russenmafia pflegte und ein obskures Doppelleben zu verbergen schien. Falón erfährt, dass die Fotografin und femme fatale Madeleine Krugman ein Foto von einem völlig verstörten Falcón in ihrer Sammlung präsentieren kann. Desweiteren stürzt sich ein Nachbar in die Jauchegrube, die einst sein eigenes Haus war, und Falcón glaubt, er müsse sich um dessen Sohn kümmern. Ein Polizist begeht Selbstmord. Und wie auch noch der moderne Sklavenhandel, ein Netzwerk Pädophiler, die Russenmafia und Geheimdienste ins Spiel kommen, scheint schwer vorstellbar und wäre wohl bei vielen Autoren in eine schier unglaubliche Farce abgedriftet. Doch kann man beruhigt Robert Wilson vertrauen, der, wie es wohl die wenigsten Autoren vermögen, grandios aktuelles Weltgeschehen wie Historie in den Alltag seiner Figuren einflechten kann und dabei an Glaubwürdigkeit noch gewinnt.

Wer am Ende alle Ereignisse auf Haupt- und Nebenschauplätzen chronologisch zusammensetzt, erkennt, welcher Fülle an Verbrechen und Tätern Falcón auf die Spur kommt. Das aber gelingt Wilson in einem erstaunlich gemächlichen Tempo, bei dem die Kunst der Konversation im Vordergrund steht, sodass die Figuren an ungeahnter Tiefenschärfe gewinnen.

Einen minimalen Einwand möchte ich allerdings nicht verschweigen: Wilsons Frauenfiguren irritieren mich. Allesamt ein wenig überzeichnet und durchweg alle so reizvoll und lockend, wie das Weib nun einmal sein soll. (Die Ex-Nonne Ferrera, die nun in Falcóns Team ermittelt, einmal ausgenommen.) Zwar differenziert Wilson den Grad der Verlockung, doch bleiben die Frauenfiguren zu sehr Statistinnen, an denen sich die Herren abarbeiten dürfen. So kann man Falcón moralisch bald auf die Schulter klopfen, wenn er die Spielchen der femme fatale, die ihn eben noch reizte, schnell angewidert ablehnt. Und wer könnte nicht einen heißblütigen Staatsanwalt ob seiner tragischen Obsession ebenso beneiden wie bedauern oder gar verurteilen? Für Maddy Krugman zumindest, der wir von Beginn an nur ‚auf den Hintern schauen‘, hätte ich mir gern etwas mehr Substanz als das alte Spiel des Jagens und Gejagtwerdens gewünscht.

Der Stil von „Die Toten von Santa Clara“ scheint simpel, ist aber gesucht präzise und abgründig im Hinblick auf Details, die vor allem ein Panorama aufgewühlter Seelen unter der normal anmutenden Oberfläche offenbaren. Es ist famos, mit welcher subtilen Ruhe Falcón an den glänzenden Fassaden kratzt, bis der Schein von Glück, Frieden und Normalität einstürzt. Ein gekonnter Schachzug ist dabei die gewählte Kulisse des maravillosa Sevillas – der Stadt der Lebensfreude, die dem Leser sehr plastisch und verlockend vor Augen tritt, gerade weil Wilson hinter die Front der Fröhlichkeit schaut.

Die Bücher aus der Javier-Falcón-Serie bieten spannungsreiche Einsichten in weltliche Abgründe und sind ein absoluter Garant für beste Unterhaltung auf überdurchschnittlichem Kriminalroman-Niveau. Was das Genre Krimi betrifft, sind „Die Toten von Santa Clara“ eindeutig eine Steigerung zum ersten Band der Serie!

„Die Toten von Santa Clara“ sind im neu gegründeten Verlag |Page & Turner| als schön und einfallsreich gestaltetes Hardcover erschienen; ein spannendes Interview mit dem Autor zu diesem Text findet sich hinter folgendem Link: http://www.curledup.com/intrw2.htm.

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Shan, Darren – Darren Shan

_Der britische kleine Vampir_

Die Ausgangsidee für die aus England stammende Reihe „Darren Shan“ ist vielversprechend. Ein Teenager, dessen Alter vom Autor nicht näher genannt wird, der aber schätzungsweise zwischen 12 und 14 Jahren alt sein wird, lebt ein normales Leben und wird im Zuge einiger Geschehnisse zu einem Vampir gemacht. Ein Traum vieler Kinder, die in ihren Fantasien zu gerne einmal über die Menge hinausragen, als etwas Besonderes gelten und nicht zuletzt mit übermenschlichen Kräften ausgestattet sein wollen.

Diese Idee – also die Ausstattung eines Kindes respektive Jugendlichen mit wundersamen Kräften – ist natürlich keineswegs neu und wurde gerade den jüngeren Lesern wohl auch durch Harry Potter näher gebracht. Aber warum auch nicht? Es geht bei Jugendbüchern zuallererst darum zu unterhalten, nicht wahr? Nicht jeder Autor muss es schließlich darauf anlegen große Literatur zu produzieren und auch eine Eingliederung in den – zuweilen recht überschwemmt wirkenden – Kanon der Trivialliteratur birgt doch gewisse Vorteile für den Autoren. Die Gleichung ist hier simpel: Trivialliteratur ist einfach und wenn etwas von vornherein als einfach deklariert wurde, so kann man prinzipiell auch schreiben, was man will, niemandem würde es einfallen, solch ein Werk von analytischen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Wenn überhaupt, wäre der einzige Kritikpunkt an solcherlei niedergeschriebenem Wort, dass es doch zu kompliziert formuliert ist und der Leser dem ganzen Verlauf der Geschichte nicht zu folgen vermag. Gerade bei einem Jugendbuch soll ein Kind an die unterhaltenden Eigenschaften der gedruckten Medien herangeführt werden. Man will vermitteln, dass nicht nur Fernsehen und Computer zum modernen Zeitvertreib herangezogen werden können. Dass dies allerdings nicht alles so einfach ist, wie vom Autor offensichtlich angenommen wurde, darauf werden wir später noch eingehen müssen.

_Idee und Rahmenhandlung_

Was nun also „Harry Potter“ geschafft hat, dass kann auch ein anderer, kindlicher Protagonist mit übernatürlichen Fertigkeiten. Somit machte sich ein Autor unter dem Pseudonym „Darren Shan“ auf und begann eine Geschichte zu ersinnen. Diese Geschichte ist durchweg aus der Sicht des Protagonisten geschildert und wird somit in der ersten Person erzählt. Hierbei entspricht der Name unseres jungen Helden dem Pseudonym, das sich der Autor zugelegt hat, was kein Zufall ist, dient dies doch dazu, der ganzen Handlung einen autobiografischen Charakter zu verleihen. Im ersten Band, „Mitternachtszirkus“, wird dies noch zusätzlich durch ein vierseitiges Vorwort unterstrichen. In diesem umschreibt der Autor kurz, wie er aufgewachsen ist, was ihm als Neunjähriger widerfahren ist, und zu guter Letzt beteuert er, dass alle geschilderten Vorkommnisse auf wahren Begebenheiten basieren. Wir wollen das mal als ein stilistisches Mittel werten und hoffen, dass der Autor sich der Tatsache bewusst ist, dass das Sonnenlicht ihn nicht zu Asche verbrennen wird.

Die eigentliche Handlung der einführenden beiden Bände ist dabei schnell umrissen. Der erste Band „Der Mitternachtszirkus“ dient hierbei als eine weit ausholende Einleitung und schildert auf den ersten Seiten den Schulalltag unseres zukünftigen Vampirs. Schnell wird dann zum titelgebenden, Aufsehen erregenden Event in der kleinen Stadt, die Darren seinen Heimatort nennt, herübergeschwenkt. Eine geheimnisvolle Freakshow, der besagte Mitternachtszirkus, auch einfach „Cirque Du Freak“ genannt, ist in der Stadt erschienen. Wir wollen im Übrigen nicht darauf eingehen, dass das Wort „Freak“ im Französischen nicht existiert und dort „mordu“ heißt. Natürlich will Darren mit seiner Clique die Show besuchen. Es ist vorprogrammiert, dass nicht alles so läuft, wie es soll, aber letztendlich gelingt es ihm und seinem Freund Steve dann doch an einem Abend, den Zirkus zu besuchen.

Einer der Akteure entpuppt sich dabei als Vampir und auch der Rest der Show ist mehr denn eigenartig. Im Laufe der Ereignisse ist Darren dann gezwungen, selber zum Vampir zu werden, oder besser gesagt: zum Halb-Vampir – nun ja, es ist nun mal ein Jugendbuch, lassen wir es also dabei. Diese Transformation nimmt er dabei auf sich, um seinem Freund das Leben zu retten. Im Endeffekt endet der erste Band damit, dass Darrens fingierter Tod inszeniert wird, so dass er schweren Herzens seine Familie verlassen kann.

Im zweiten Band, „Die Freunde der Nacht“, muss er dann mit seinen erwachenden Kräften zurechtkommen und lernen, sich mit seinem neuen Zustand zu arrangieren. Der zentrale, wichtige Punkt der Handlung ist hierbei seine Unzufriedenheit mit dem Zustand als Vampir, insbesondere will er kein Menschenblut trinken. Das fasst im Prinzip den zweiten Band bereits zusammen, denn dieser ist ein Flickstück aus scheinbar zusammenhangslosen Episoden, die Darren zusammen mit seinem Meister durchlebt. Teilweise sind dies Erlebnisse, die nur die beiden betreffen, und später dann einzelne, kleinere Geschichten im „Cirque Du Freak“. Dem Ganzen wird ein grober Rahmen verliehen, der den Anschein des Zusammenhangs wahren soll, doch besteht bereits die besagte Problematik, dass die gesamte Handlung aus Darrens Unwillen, das Blut eines Menschen zu trinken, besteht und natürlich aus seinen Problemen in der Gesellschaft der normalen Menschen. Dieser grobe Rahmen ist hierbei vornehmlich der Aufenthalt unseres Helden im Cirque Du Freak.

_Erster Eindruck_

Was soll man nun von „Darren Shan“ halten? Zum einen muss man es dem Autor lassen, dass er gewiss flüssig zu schreiben vermag. Vor allem als kindgerecht muss man die Sätze, die er niederschreibt, bezeichnen. Wenig komplizierte Konstrukte und nur einfache Nebensätze, keinerlei Schachtelsätze. Dies ist natürlich überaus positiv zu erwähnen. Ein Heranwachsender kann den Sätzen gut folgen und die Handlung kommt meistens durch derartige Konstrukte gut voran. Es wird dabei dem Leser viel Fantasie abverlangt; so wird das Innere eines Wohnwagens mit einem einzigen Satz beschrieben. Dies mag auch den geringen Umfang eines jeden Buchs erklären, der sich durchschnittlich auf ca. 260 Seiten beziffert. Es kommen allerdings auch ausführlichere Beschreibungen von Szenerien vor. Diese werden dann dem Leser, entsprechend aus der Position des Ich-Erzählers, in kindgerechten Worten dargelegt.

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor seinen auf ein jüngeres Lesepublikum ausgerichteten Stil nicht immer durchhält. Vereinzelt verirren sich doch Vokabeln in den Text, die weder in Kinder- noch in Jugendbüchern etwas zu suchen haben, es sei denn man will seine jungen Leser gehörig verwirren. Um ein Beispiel anzuführen: |“»Bleib anständig«, deklamierte er. »Töte nur im Notfall,….«“|. Das Wort „deklamiert“ ist wohl kaum der breiten Allgemeinheit geläufig, geschweige denn einem Zwölfjährigen. Es zeigt sich also eine gewisse Inkonsequenz des Autors bezogen auf seinen Stil und seine Formulierungen.

Schön wird in den beiden Romanen die Wankelmütigkeit eines jungen Teenagers beschrieben, insbesondere in „Der Mitternachtszirkus“ hat man fast das Gefühl, der Autor wäre selber noch ebenso jung, wie er dies in seiner Rolle unter dem Pseudonym als Darren Shan vorgibt. Da versucht Darren in einem Moment unglaublich erwachsen zu sein, benimmt sich wie „einer der Großen“, wie es immer so schön heißt, um dann im nächsten Moment mit seiner kleinen Schwester Bett-Tennis spielen zu wollen.

Auch der amüsante Dialog zwischen Darren und Steve, wenn sie ihre Pläne schmieden, die Show zu besuchen, spiegelt durchaus wirksam die Gedankenwelt eines Jungen wieder, der gerade erst in die Pubertät gekommen ist. So unterhalten sie sich zwei Seiten lang so, als wären sie Soldaten, die sich gerade marschbereit machen, um in den Krieg zu ziehen.

Die Gedanken, die dem zum Vampir gewordenen Darren durch den Kopf gehen, als er sein Resümee zieht über seine – durch die neuen Vampirkräfte unterstützen – Erfolge beim Weitwurf, eignen sich hier hervorragend, um zitiert zu werden. |“Eines Tages maß ich meinen Wurf, schlug dann in einem Buch nach und stellte fest, dass ich einen neuen Weltrekord aufgestellt hatte! Zuerst war ich ganz aufgeregt, aber dann viel mir ein, dass ich es niemanden erzählen konnte“|. Diese Worte stellen recht eindrucksvoll die Naivität und Unumsichtigkeit unseres jungen Protagonisten dar. Der Enthusiasmus eines Jungen gepaart mit den vereinfachenden Ansichten eines Kindes.

_Logik und Stil_

Es muss allerdings auch gesagt werden, dass offenbar der Autor seine Rolle als kleiner Junge etwas zu ernst genommen hat. Einige Eigenarten des Buchs werden zwar durch das nicht näher genannte Alter des Helden entschärft und weniger auffällig, wirken aber bei näherer Betrachtung trotz allem noch fehl am Platz. So ist zum Beispiel die Wahl von Worten wie: „Wöaaaarch“, „cool“, „gepiekst“, … gerade noch im Bereich des Akzeptablen, immerhin reden wir hier von einem Buch für Kinder. Auch wenn man sich fragen sollte, ob man nicht zumindest im geschrieben Wort solch ein Vokabular auf die wörtliche Rede beschränken sollte, wenn man übliche Dialoge aus dem Alltagsleben beschreiben will. Der Autor nutzt sie hier hingegen auch als Stilelemente mitten im Text; es wäre interessant zu wissen, welcher Lehrer Derartiges in einem Aufsatz zulassen würde – ich jedenfalls nicht. Demnächst findet man noch Smileys innerhalb eines Romans vor, nur um witzige Stellen etwas mehr hervorzuheben. Gerade die Zielgruppe, für die die Darren Shans Romane bestimmt sind, sollte eigentlich solchen sprachlichen Fallgruben nicht gegenüberstehen müssen, befinden sich die Kinder doch noch in einer frühen Phase des Lernens und sollten entsprechend mit guten Beispielen versorgt werden. Vereinzelt mögen solche Lautmalereien und Kindervokabularien auch als Stilmittel gelten, doch darf man ganz einfach das Ganze nicht zu sehr ausreizen.

Auch eine übertragend gemeinte Beschreibung wie |“… jede Fußbreite des Weges war ihm bekannt wie die Schlinge eines Kreuzknotens“| wirkt irgendwie deplatziert. Hieran erkennt man einen noch jungen Autoren. Der ganze Vergleich wirkt ein wenig „gewollt“. Zwar wird dieser von einem Pfadfinderführer gezogen, der wohl mit Kreuzknoten vertraut sein sollte, aber ist die Anwendung dieses Stilmittels hier recht eigenwillig. Zum einen sind Knoten bekannt als Sinnbilder der Verwirrung und Orientierungslosigkeit und zum anderen sagt für einen Nicht-Pfadfinder dieser Vergleich kaum etwas aus. Glücklicherweise ist dies eine der wenigen Stellen, an denen solch ein sprachlicher Ausrutscher vorzufinden ist.

Viel schlimmer mutet aber hingegen die Erosion jeglicher Logik in einigen Passagen der Romane an. Werden in Harry Potter mystische Wesen eingeführt, deren Fähigkeiten und bloße Existenz unseren Erkenntnissen im Bereich der Physik und Biologie entgegenstehen, so kann man sich doch mit ihnen abfinden. Denn Magie ist hier die gängige Begründung und erklärt feuerspeiende Drachen und ähnliche Fähigkeiten. Auch magische Wesen und Mutanten in der Vielzahl von Werken der Trivialliteratur – und auch in einigen Fantasy- und Sci-Fi-Werken, die ich gerne eher zur Kategorie der Unterhaltungsliteratur zählen würde – sind durchwegs erklärbar, wenn man gewillt ist, sich auf den Roman einzulassen. Wir werden in unserer Rolle als Leser – und somit Beobachter des Geschehens – schlichtweg in andere Dimensionen oder Welten entführt. Handelt es sich nicht um andere Welten, so gibt es doch eine grundlegende, stets mit Interesse zu beobachtende Regel, die durchdringend alle Romane zeichnet, die – scheinbar – in unserer Welt spielen.

Betrachten wir nur die Vampir-Romane, denn um einen solchen handelt es sich hierbei ja schließlich. Alle diese Werke, wie zum Beispiel die von Anne Rice, aber auch der ewige Klassiker und Ursprungsroman „Dracula“ von Bram Stoker, beherbergen Logik und Anlehnung an die Gesetze der Physik. Das Wie und Warum eines Vampirs werden meistens grob erklärt, aber immer wird die Unlogik und scheinbare Unmöglichkeit eines solchen Wesens mit Magie, einem Gottesfluch oder anderen undefinierbaren Phänomenen umgangen.

Auf die Existenzfrage wird zumindest in den ersten beiden Darren-Shan-Romanen nicht eingegangen, was aber auch kein wirkliches Problem darstellt. Niemand stellt als begründendes Axiom für die Qualität eines Romans über Vampire die Regel auf, dass man die Existenz des vampirischen Daseins erklären muss. Aber man darf sich, ob mit oder ohne grundlegende Erklärungen, nicht in Scheinlogik verlieren, wenn man versucht, einen Roman zu verfassen. Es gibt nichts Schlimmeres als beim Leser den Anschein zu erwecken, dass man ihn „für dumm verkaufen“ will. Dabei ist es unerheblich, ob der Leser ein Kind ist oder ein Erwachsener.

Einer der Höhepunkte der Absurdität ist eine Spinne, die im Roman als solche bezeichnet wird, als solche angesehen wird und von allen umstehenden Menschen auch als solche ohne Widerspruch akzeptiert wird. Wir gehen also davon aus, dass es sich zumindest äußerlich um eine Spinne handelt und diese demnach die anatomischen Merkmale einer Spinne besitzt. Da diese Spinne sich auch auf der Schulter einer Person niederlassen kann, wird sie auch eine normale Größe besitzen, sie ist also nicht so groß wie ein Pferd oder dergleichen.

Fängt nun dieses Tier an, mit Messer und Gabel zu essen und Käse und Schinken zu verspeisen, dann fragt sich der mündige Leser, ob er plötzlich in einem Märchen gelandet ist. Anatomisch kann eine Spinne keine Messer und Gabel benutzen, sie ist anatomisch auch nicht in der Lage, Schinken und Käse zu essen und vor allem ist sie anatomisch dazu nicht in der Lage, Strecken auf nur zwei Beinen zu laufen oder sich vor jemandem zu verbeugen. Doch dies wird so im Laufe des ersten Buchs beschrieben.

Das Paradoxe an dem ganzen Sachverhalt ist, dass man normalerweise als Leser von Fantasy-Literatur dazu neigt, viele dieser Dinge normalerweise zu akzeptieren, z. B. wäre es ein Einfaches zu erklären, dass diese Spinne keine Spinne ist, ein Maul mit Zähnen besitzt und außerdem kleine, feine Hände, Klauen oder Ähnliches besitzt. Derartige Erklärungen werden uns aber nicht geliefert. Wir müssen in unserer Rolle als Leser,einfach kauen, runterschlucken und versuchen, das Verdaute nicht wieder hochzuwürgen. Lächerlich wirkt dazu noch, dass es allen Menschen, inklusive Darren Shan, ganz normal erscheint, wenn Leute telepathische Fähigkeiten haben, dies wird einfach mit einem Schulterzucken abgetan. Keine Reaktion zeigt sich, noch nicht einmal ein kindliches Staunen oder Anhimmeln von Leuten mit solchen Fähigkeiten, genau so wenig wie das Aufkommen von Furcht. Nichts davon scheint zu passieren, es scheint ganz normal zu sein, wie es auch die Spinne ist, über die sich nicht näher gewundert wird, die allerhöchstens bestaunt wird wie ein gut dressiertes Tier, als ob man jeder Spinne diese Tricks mit viel Geduld und Können beibringen könnte …

Versucht man das gerade Erlebte noch zu verdauen, so werden an anderer Stelle hingegen sogar Erklärungen abgeliefert. Doch führen diese eher zu der Überlegung, ob der Autor einen guten Witz machen will. In Kombination mit den kleineren, normalerweise für sich betrachtet verzeihlichen kleinen Logikfehlern, wirkt das Ganze aber nicht mehr sonderlich humorvoll. Denn dass ein Vampir von Sonnenlicht verbrannt wird, viel stärker als ein Mensch ist, verdichtete Knochen hat und bei Nacht sehen kann, erscheint im Kosmos eines Fantasyromans akzeptabel. Auch ist nachvollziehbar, dass manche Leute telepathische Fähigkeiten haben. Gerade durch die nicht vorhandenen Erklärungen ist dies nämlich alles kein Problem, man denkt sich einfach, es ist mal wieder Magie im Spiel und akzeptiert einfach das Gelesene. Ohne jegliches Murren oder jegliche Kritik.

Doch was geschieht? Die Frage nach der Verwandlung in eine Fledermaus, von Darren an seinen Meister gestellt, wird dann aber mit Lachen von diesem beantwortet: |“»Eine Fledermaus?«, gellte er. »Glaubst du wirklich an diese kindischen Geschichten? Wie um alles in der Welt könnte sich jemand von deiner oder meiner Größe in eine kleine, fliegende Ratte verwandeln?«“| Falls dies eine amüsante Szene sein sollte, so ist diese von mir nicht so empfunden worden. Wo bleibt Konsistenz und Logik in der Handlung? War die einfache Begründung, dass dies ein Mythos ist und ein Vampir zu einem solchen Trick nicht fähig ist, einfach zu viel des Guten? Alle oben aufgelisteten Fähigkeiten sind akzeptabel aber dies nicht oder was? Fängt der Autor nun plötzlich an, mit der Physik zu argumentieren?

Noch schöner wird es durch einen anderen, recht groben Patzer seitens des Autors. Kann man sich oben noch knapp herauswinden und behaupten, dass dies nur die verdrehte und halt schlichtweg unlogische Begründung eines alten Vampirs war, der sich in den letzten Jahrhunderten keine Gedanken über den oben allegierten Sachverhalt gemacht hat, so kommen wir zum alten „Spiegelbild-Problem“. Mit viel gutem Willen könnte man sogar wirklich noch erklären, wie man die Kräfte eines Vampirs begründen kann und dadurch die Aussage, dass die Verwandlung in eine Fledermaus nicht funktioniert, nach mehrfachem Überdenken auch auf sich beruhen lassen. Leider jedoch ist es mit der Fledermaus-Angelegenheit nicht getan.

Bei „Darren Shan“ haben die Vampire ein Spiegelbild. Dagegen ist nun nichts einzuwenden. Abstrus wird es allerdings, wenn versucht wird zu erklären, dass man Vampire nicht fotografieren und auch nicht auf Video aufzeichnen kann, darauf wären sie nicht zu erkennen. Wir wollen hier nun nicht auf physikalische Feinheiten eingehen, aber prinzipiell kann alles, was ein Spiegelbild hat, in irgendeiner Form auch fotografiert und vor allem auf Video aufgezeichnet werden.

_Fazit_: Darren Shan ist kindgerecht, was die Qualität der Romane angeht, aber mehr sollte man definitiv nicht erwarten, sonst wird man bitterböse enttäuscht. Schon ein reifer Zwölfjähriger wird wohl einige Stellen nur stirnrunzelnd über sich ergehen lassen. Über kleinere sprachliche Mängel mag man da hinwegsehen, wenn ich auch auf die eher unschönen Elemente, die in den Text verflochten sind, hoffentlich deutlich hingewiesen habe.

Henry Kolarz – Nachts um 4 wird nicht geklingelt

Im Jahre 1959 sitzen im Zuchthaus Ivy Bluff, gelegen im US-Staat North Carolina, 37 Kapitalverbrecher der unverbesserlichen Sorte ein. Hier sollen sie nicht rehabilitiert, sondern weggeschlossen und mit jenem Eifer bestraft werden, der für die gesetzestreuen und frommen Bewohner der Südstaaten typisch ist. Die Männer hinter Gittern müssen im Steinbruch schuften, werden mit einem Brei aus Schweineleber und Maismehl gefüttert, dürfen nicht lesen, rauchen oder entspannen, werden von abgestumpften, tückischen Wächtern misshandelt. Ihre berechtigten Proteste verhallen ungehört.

An einem kalten Dezembertag wagen 19 Männer den Ausbruch. Mörder, Vergewaltiger, Bankräuber, Psychopathen sind es, die Ivy Bluff den Rücken kehren. Wie Tiere hat man sie gehalten, sie haben nichts zu verlieren, sind zu allen entschlossen. Blitzschnell zerstreuen sie sich in alle Himmelsrichtungen, springen auf Güterzüge, stehlen Autos oder verkriechen sich in abgelegenen Schlupfwinkeln. Sie nehmen Geiseln, sie rauben und töten.

Angst greift unter den braven Bürgern Amerikas um sich. 19 tollwütige Teufel treiben ihr Unwesen! Starke Männer schlafen mit der Waffe in der Hand, Mütter, Hausfrauen und behütete Töchter weinen und trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Glücklicherweise ist das Gesetz stark in Amerika. Gottes kriminalistische Zuchtrute auf Erden – FBI-Chef J. Edgar Hoover – setzt seine besten Männer auf den Fall an. Sie rasten und ruhen nicht, treiben die Strolche, denen die Knie zittern, wenn das Wort „FBI“ fällt, in die Enge. Aber der Teufel sorgt trotzdem für die Seinen: Obwohl Polizisten jeden Stein umdrehen und auch redliche Bürger ihre Nachbarn noch schärfer als üblich – es könnten ja Kommunisten sein – im Auge behalten, schlüpfen einige Schufte ihren Verfolgern durch die Maschen. Wochen und Monate vergehen, in denen das Lumpenpack für Angst & Schrecken sorgt, bis letztendlich das Gesetz obsiegt …

Henry Kolarz schrieb seinen „Roman nach Tatsachen“ im Jahre 1961. Dem Buch ging eine Reportageserie für die Illustrierte „Stern“ voraus, für die der Verfasser angeblich vor Ort recherchierte. Theoretisch muss er also über Fakten und Hintergründe informiert gewesen sein. Für den Roman beschloss Kolarz indes diese zugunsten der Spannung weitgehend zu ignorieren.

Jeder billige Trick ist ihm dabei recht. Der Ausbruch von Ivy Bluff ist in seinem historischen Ablauf recht gut belegt. Besagte Fakten sprechen eigentlich für sich. Kolarz sucht jedoch das menschliche Drama. Ihn interessiert das Verhalten von 19 verzweifelten, gefährlichen Männern auf der Flucht. Was treibt sie, was fühlen sie, wie gehen sie miteinander und mit den Menschen um, die sie immer wieder treffen? Das sind gute Fragen, die der Verfasser freilich nie gestellt zu haben scheint. Er nutzt das Ivy-Bluff-Geschehen stattdessen als Aufhänger für ein Thrillergarn, das als Vorlage für ein zeitgenössisches B-Movie dienen könnte.

Effekthascherei und moralinsaure Klischees bestimmen die Handlung. Kolarz’ Amerika ist die Kulisse, in der auch die „Jerry Cotton“-Filme der 1960er Jahre gedreht werden. Von einem echten Verständnis für Land und Leute kann nicht die Rede sein. Die Figuren denken und reden in Phrasen. Die Story orientiert sich nur lose an den tatsächlichen Ereignissen. Kolarz „interpretiert“ und interpoliert, erfindet ganze Handlungsstränge so, dass sie ins von ihm geschaffene Gesamtbild passen.

Dieses ist eindeutig der Sensationslust verpflichtet. Allen Ernstes versucht Kolarz seinen Leser weiszumachen, dass 19 Verbrecher ein Land von der Größe der Vereinigten Staaten terrorisieren könnten. Tatsächlich waren die Männer von Ivy Bluff der Justizmaschine, die ihr Ausbruch in Gang setzte, nie gewachsen. Die meisten Häftlinge wurden rasch gefasst. Dass andere länger frei blieben, lag eher an der Unfähigkeit ihrer Jäger und der Tücke des Objekts als an ihrem kriminellen Geschick.

Natürlich kann auch keine Rede von einer „Blutspur“ sein, welche die Ausbrecher durch das Land zogen. Auch Kolarz kann nicht leugnen, dass diese neue Verbrechen fast ausschließlich begingen, um ihre Flucht fortsetzen zu können. Er versucht das zu vertuschen, indem er die Flüchtlinge ständig streiten, fluchen und ihren Opfern mit „Umlegen“ drohen lässt – kindisches Gehabe, das wohl nur Filmgangster an den Tag legen. Dazu passt ein Stil, der dokumentarische Sachlichkeit mit der naiven Nachäffung dessen mischt, was der Autor für „hartboiled“ hält. War er tatsächlich vor Ort? Hat er mit Amerikanern gesprochen? Sich umgesehen? Das zu glauben fällt wie gesagt sehr schwer.

Schwarz-Weiß-Malerei betreibt Kolarz auch in der Figurenzeichnung – dies sogar buchstäblich: Mit unerfreulicher Geschmeidigkeit macht sich der Autor den Rassismus der US-Südstaaten zu Eigen. Oder liegt er womöglich auf ähnlicher Linie? Geradezu niederträchtig setzt Kolarz auf rassistische Klischees, um seinem Thriller Schwung zu verleihen. Dabei achtet er sorgfältig darauf, entsprechende Äußerungen stets seinen Ausbrecherfiguren in den Mund zu legen – es sind schließlich Schwerverbrecher, denen man jede Schlechtigkeit zutrauen darf.

Also ist es Gangster Anderson, der die „Neger“ (das durfte man 1961 problemlos schreiben) für die Leser folgendermaßen über den Kamm schert: „Stinken, fressen, und ‚rumhuren – das ist alles, was die können.“ (S. 36) Doch es ist Kolarz, der auf den folgenden Seiten alles daran setzt, diese bösen Unterstellungen mit Leben zu füllen. William Shaw, dessen Porträt (zusammen mit den Fotos seiner Komplizen) auf dem Cover der deutschen Erstauflage abgedruckt ist und alles andere als eine Galgenvogelphysiognomie aufweist, wird bei ihm zum hässlichen, blöden, brutalen, verfressenen und vor allem ewig geilen Unhold, der es auf „unschuldige“ weiße Frauen abgesehen hat, bei deren Anblick „seine Zunge feucht aus den dicken Lippen schoss“ (S. 67). Selbst seine Kumpane ekeln sich vor ihm und prügeln den „Nigger“ tüchtig, damit er sich „benimmt“.

Auch sonst bedient Kolarz gern alle einschlägigen Vorurteile. Wenn Ausbrecher Stewart einen schwarzen Eisenbahnarbeiter überfällt, um dessen Kleidung zu rauben, wird dies so eingeleitet: „Ein Neger richtete sich schlaftrunken im Bett auf und glotzte Stewart blöde an … ‚Ich hab’ nichts verbrochen, Massa!'“ (S. 39). Später gerät Stewart in New York unter die „Portoricaner“ – gemeint sind Zuwanderer von der Karibik-Insel Puerto Rico. Die schildert Kolarz als „Halbaffen“, welche „ihren“ Stadtteil fest im Griff haben und gegenüber den alteingesessenen (natürlich weißen) Bürgern unverschämt auftreten: „Jetzt haben sie sich auf der ganzen Westseite eingenistet … Zu Hause auf ihrer Insel hätten sie arbeiten müssen, aber hier gibt man ihnen fünfunddreißig Dollar in der Woche Unterstützung. Und die Behörden wagen es nicht, sie hart anzufassen. Ihre Stimmen können Wahlen entscheiden.“ (S. 157) Also: Vorsicht vor Fremdlingen, deutsche Leser, auf dass es uns nicht ebenso ergeht! (Ach ja: Und um 4 Uhr morgens liegen ordentliche Menschen im Bett – es muss also ein Strolch sein, wenn es um diese unchristliche Zeit an der Tür klingelt!)

Wohl unfreiwillig gelingt Kolarz das Kunststück, in seinem Roman nicht eine sympathische Figur auftreten zu lassen. Seine Ausbrecher sind selbstverständlich vertierte Rohlinge, die nichts als Raubmord & Vergewaltigung im Kopf haben. Wenn’s aber zur Sache geht, werden sie eigenartig zimperlich – Pech für Kolarz, dass die 19 Unholde nachweislich nur einen Mann umbrachten. So muss er sie über weitere Schreckenstaten eben fantasieren lassen.

Möglichst deutlich soll der Unterschied zwischen Abschaum und Vorschriftsbürger ausfallen. Der US-amerikanische Durchschnittsjoe würde sich nach Kolarz dem Terror nichtswürdiger Strolche normalerweise niemals beugen und diese unerschrocken Mores lehren. Leider steht ihm in der Regel eine schwache Frau im Weg, die beschützt werden muss und dabei heftig klammert. Kolarz-Frauen sind ängstlich, willenlos, abhängig von „ihrem“ Mann/Vater/Bruder. In der Krise zerfließen sie in Tränen, verfallen in blinde Panik und sind auch sonst die reinste Landplage.

Das Gesetz repräsentieren nach Kolarz ausschließlich aufrechte, unbestechliche Männer, die das Verbrechen mit Leib und Seele hassen. Ist ein Mensch kriminell geworden, so trägt er selbst die Schuld daran. Aufgabe der Polizei ist es, ihn zu verfolgen und zu fassen. Will er nicht aufgeben – umso besser: Gefangene werden ungern gemacht; man spart dem Staat gutes Geld, wenn man solches Pack umgehend austilgt.

Die Elite der Strafverfolger bildet „FBI“, von Kolarz penetrant ohne Artikel genannt. Stellvertretend für dessen Mitarbeiter stellt uns der Verfasser Mike Pastrato vor, „41 Jahre alt, Besitzer eines bis auf einen kleine Rest abbezahlten Hauses im Villenviertel und Vater von drei Kindern, die davon träumen, später auch einmal FBI-Agenten zu werden.“ (S. 45) Nach dem Mittagessen zieht Mike stets ein frisches Oberhemd an; ein halbes Dutzend Hemden hängt in seinem Aktenschrank. Ja, das sind die Menschen, die Amerika zu dem machen, was es geworden ist: manisch sauber, fleißig, angepasst & wie ein Zahnrad funktionierend.

So ließe es sich leicht viele Seiten weiter schimpfen und schaudern, doch es soll an dieser Stelle genug sein. „Nachts um 4 wird nicht geklingelt“ sollte heute, mehr als vier Jahrzehnte nach seiner Entstehung, ganz sicher nicht als Tatsachenbericht, sondern als (schlechter) Roman gelesen werden. Miserable Thriller gibt es allerdings auch in der Gegenwart mehr als genug. Wieso also Zeit an diesen alten Schinken verschwenden?

Weil „Nachts um 4 …“ inzwischen selbst zum Zeitdokument geworden ist. Anders ausgedrückt: Hier redet der Zeitgeist, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. 1961 ist noch nicht gar so lange her – und 1961 lag 1945 gerade 16 Jahre zurück. Da erstaunt die Offenheit, mit der „Neger“ und „Portorikaner“ unverhohlen dämonisiert und letztlich entmenschlicht werden, ohne dass sich jemand dadurch gestört gefühlt hätte. Insofern ist auch „Nachts um 4 …“ ein weiteres Indiz dafür, dass 1945 für das „deutsche Wesen“ keinen glatten Schnitt und Neuanfang bedeutete.

Interessant ist darüber hinaus die schlichte Schwarzweißsicht, die Kolarz einem ganzen Kontinent aufprägt, wobei er Amerika schreibt aber Europa bzw. Deutschland meint. Die Obrigkeit hat immer Recht, also gehorche ihr als Bürger und sei ihr dienstbar. Wer nicht mitspielt, macht sich als Außenseiter verdächtig und steht bereits mit einem Bein im Gefängnis. Ist man dort angelangt, hat man seine Menschenrechte verwirkt und ist eine Bestie, die am besten abgeknallt wird; in der Tat hat man den Ausbrecher Yank Hensley von Amts wegen zum Vogelfreien erklärt: Jeder brave Bürger durfte ihn ohne Warnung niederschießen. Es fällt schwer zu glauben, dass dies in einem zivilisierten Land unter „Rechtsprechung“ fiel.

Aber mit Recht & Gesetz ist das in den USA seit jeher eine besonders Sache … Ivy Bluff selbst ist ein gutes Beispiel dafür. Diese Einrichtung nimmt auf der Liste der historischen Justizirrwege, die in den USA begangen wurden, einen der oberen Plätze ein. 1956 wurde diese Strafanstalt speziell für verurteilte Verbrecher gegründet, die als „zu schwierig“ für „normale“ Gefängnisse eingeschätzt wurden, weil sie zur Gewalt gegenüber Wärtern und Mithäftlingen, Ausbrüchen oder sonstigem unkooperativen Verhalten neigten. In Ivy Bluff sollten sie zur Raison gebracht werden und nachdrücklich büßen, was sie der Gesellschaft angetan hatten. Dies betrieben die Betreiber mit einer Inbrunst, die 1959 gleich die Hälfte der Insassen zum Ausbruch aus der angeblichen Hochsicherheitseinrichtung trieb.

Sie wurden wieder gefangen, aber die Tage von Ivy Bluff als Gefangenenlager im mittelalterlichen Stil waren gezählt. Selbst gesetzestreue Bürger waren schockiert, als im Zuge der Ermittlungen herauskam, wie die Häftlinge hier gehalten und be- oder besser misshandelt wurden. (Hätten sie es nicht erfahren, wäre es ihnen sicher gleichgültig gewesen.) 1963 wurde aus Ivy Bluff „Blanch Prison“, eine Einrichtung für kranke Gefangene, die natürlich nicht mehr zur Zwangsarbeit antreten mussten. 1983 wandelte man Blanch eine Strafanstalt für Jugendliche um, die während ihrer Haftzeit in anderen Gefängnissen in Schwierigkeiten gerieten. 1999 wurde Blanch geschlossen.

Henry Kolarz, geboren 1927 in Berlin, schlug bereits in jungen Jahren die journalistische Laufbahn ein. Für diverse Illustrierten verfasste er mehrteilige Reportagen und spezialisierte sich dabei auf kriminalistische Themen. Storys wie „Nachts um 4 wird nicht geklingelt“, „Wenn Joseph nicht gesungen hätte“ oder „Der Tod der Schneevögel“ arbeitete Kolarz später in recht erfolgreiche „Tatsachenromane“ um. Den Durchbruch brachte ihm seine „Nacherzählung“ des berühmten englischen Postraubs von 1963, die unter dem Titel „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ auch für das Fernsehen verfilmt und zu einem bekannten „Straßenfeger“ wurde.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verlagerte Kolarz seine schriftstellerische Arbeit und verfasste mit „Kalahari“ einen ersten „echten“ Roman bzw. Politthriller, dem er 1981 „Die roten Elefanten“ (1986 als siebenteilige TV-Serie verfilmt) folgen ließ. Kolarz, der am 12. Oktober 2001 in Hamburg starb, schrieb darüber hinaus diverse Drehbücher für Fernsehdokumentationen und Krimis (u. a. für „Tatort“).

Denning, Troy – Hexenmeister, Der (Die Rückkehr der Erzmagier 3)

Band 1: [„Der Ruf“ 1945
Band 2: [„Die Belagerung“ 1979

In meinen vorherigen Rezensionen zu dieser Reihe hatte ich mich bereits ausführlich über den zwiespältigen Eindruck, den diese Trilogie bis dato hinterlassen hatte, geäußert. Und daran soll sich auch mit dem letzten Teil von „Die Rückkehr der Erzmagier“ nichts mehr ändern; Troy Dennings Geschichte um den Schattenmagier Melegaunt und den Elfen Galaeron hat auch im finalen dritten Teil weiterhin viele temporeiche Passagen, gleichermaßen aber auch wieder einige Hänger, die der Spannung zwischenzeitlich den Nährboden entziehen.

_Story_

Die Lage um die Stadt Immereska ist immer noch sehr brisant; weiterhin ist man der Bedrohung durch die dämonischen Phaerimm ausgesetzt, und auch die Bewohner der schwebenden Stadt Umbra rechnen sich noch Chancen auf den Sieg in dieser Dreifrontenschlacht aus. Der Schutzwall um die Stadt wird immer schwächer, und durch eine furchtbare Naturkatstrophe werden die umliegenden Ländereien samt ihrer Truppen dem Erdboden gleich gemacht. Doch auch die Umbravar sind infolge der heftige Gefchte in ihrer Zahl stark dezimiert worden und verfügen kaum noch über Reservetruppen.

Für die Elfen spitzt sich die Lage zu; die Rettung durch weitere Soldaten wartet außerhalb des magischen Ringes von Immereska, doch sollte man auf diese Unterstützung zurückgreifen, stärkt man gleichzeitig auch wieder die Macht der Phaerimm, die dann wieder ihre Sprüche wirken könnten. Um sich der Feinde dennoch zu entledigen, entwickeln die Elfen gemeinsam mit den verbündeten Vaasi einen Hinterhalt, mit Hilfe dessen sie die Phaerimm in geringen Mengen besiegen können. Ihre Anführerin Keya ist gleichzeitig Galaerons Schwester, und ihre Waffe ist das gefürchtete Schattenschwert, das sich als das nützlichste Mittel im Kampfe gegen die Feinde herausstellen soll.

Während Keya mit ihrer Truppe der kalten Hand die Phaerimm bekämpft, begibt sich Galeron in die schwebende Stadt, in der immer noch die Menschenfrau Vala gefangen gehalten wird. Auch der mysteriöse Malik, der aufgrund eines Eides dazu verdammt ist, stets die Wahrheit zu sprechen, hält sich hier als Berater des Anführeres der Umbravar auf. Auf Galeron ruhen jetzt die letzten Hoffnungen, denn er alleine ist es, der die Schlacht an den drei Fronten zugunsten der Allianz der freien Völker wenden und entscheiden und gemeinsam mit seinen mächtigen Verbündeten die Bedrohung von Faerun abwenden kann. Allerdings bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, die Umbaravar zu besiegen, denn auch an anderer Stelle gelangt der Krieg in seine entscheidende Phase …

_Meine Meinung_

Ich habe gerade beim Verfassen der groben Inhaltsangabe bemerkt, wie hektisch diese geraten scheint, aber genau diese Hektik wird vom letzten Teil dieser Trilogie auch vermittelt. Das Buch ist im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern zwar weitaus temporeicher, doch ist dies bei der Masse an unterschiedlichen Szenarien auch dringend erforderlich gewesen. Der Haken an der Sache ist jedoch die angesprochene Hektik, die sich durch die Fülle an entscheidenden Handlungsschwerpunkten ergibt. Wenn ich mich nun an den ersten Teil „Der Ruf“ zurückerinnere, wirkt das alles ziemlich paradox.

In diesem Band hatte Denning noch übermäßig lange damit zugebracht, die Handlung auf Trab zu bringen, weil ihm die ewig währende Einleitung wichtiger erschien. Und genau dieser dort verschenkte Raum fehlt ihm nun im letzten Teil. Der Autor ist gezwungen, die Dreifrontenschlacht, Galaerons heimliche Liebesgeschichte und dazu die Einführung von neuen Charakteren unter einen Hut zu bekommen, was ja eigentlich noch problemlos vonstatten gehen könnte. Doch gleichzeitig hat er auch noch die schwere Aufgabe zu erfüllen, sich neue Wendungen für den Krieg zwischen Umbravar, freien Völkern und Phaerimm auszudenken, damit diese Schlacht auch weiterhin spannend bleibt und sich die diesbezüglichen Handlungen nicht wiederholen.

Beim Zusammenfügen dieser elemantaren Einheiten gerät Troy Denning jedoch ins Wanken, und dadurch, dass er trotzdem immer noch versucht, der Geschichte neue Nuancen zu verleihen, ohne dass es ihm gelungen ist, andere Stränge auch mal abzuschließen, entwickelt sich irgendwann ein Wust an Details und ausstehenden Konflikten, den er anschließend in der verbliebenen Zeit gar nicht mehr zufrieden stellend auflösen kann.

Auf der anderen Seite muss man dem Autor aber auch einige Stärken attestieren. So gefallen vor allem die Beschreibungen der Kämpfe in diesem Buch – vielleicht auch, weil Denning hier aus Zeitgründen viel schneller auf den Punkt kommt und so die Geradlinigkeit des Krieges viel besser einfängt. Auch die größer angelegte Szene, in der es zur Versammlung des Rates der Allianzen kommt, ist sehr gut dargestellt und erfüllt wegen der spannungsgeladenen Stimmung auch tatsächlich die Rolle einer Schlüsselszene.

Leider aber mangelt es dem Buch an solchen Highlights, so dass manch anderer Knackpunkt eher unsinpiriert wirkt. Störend hierbei erweist sich schließlich noch, dass der Autor am Ende irgendwie noch versucht, seine Erzählung mit wichtigen Fantasy-Elementen zu füllen. Die Einbeziehung von Drachen hätte man sich beispielsweise sparen können, zumal ihr Auftritt auch irgendwie nicht zum gesamten Plot passen will.

Es gibt wirklich eine Reihe von vermeidbaren Unstimmigkeiten, die so eigentlich gar nicht nötig gewesen wären, hätte sich Denning in den entscheidenden Momenten (sprich vorrangig im ersten Band) nicht an Belanglosigkeiten aufgehalten und die Story von Anfang an in angemessenem Tempo vorangebracht. Doch seine einstige Unentschlossenheit wird spätestens hier zu einem selber herbeigeführten Dilemma, aus dem er sich auch nicht mehr befreien kann. Vielleicht wäre ein vierter Teil eine Lösung gewesen, um die Geschichte auch adäquat und eben nicht derart hektisch zu Ende zu bringen, doch dies ist letztendlich eh nur Spekulation. Es ist eben nur schade um das zweifellos vorhandene Potenzial der Geschichte, die in anderem Rahmen sicherlich weitaus heller glänzen würde. Abraten möchte ich interessierten Lesern von diesem Buch daher nicht, aber man sollte sich schon bewusst machen, dass es im Fantasy-Bereich genügend Alternativen gibt, bei denen nicht alles sinnlos verkompliziert wird. Mein Fazit daher: Gute Story, durchwachsene Umsetzung.

http://www.feder-und-schwert.com/

Lee Child – Zeit der Rache

Das geschieht:

In New York nimmt ein Einsatzkommando des FBI den ehemaligen Militärpolizisten Jack Reacher fest. Ihm wird Serienmord vorgeworfen. Man fand zwei Frauen tot in ihren Badewannen, die bis zum Rand mit Armee-Tarnfarbe gefüllt waren. Die Ermittler fanden keinerlei Spuren aber zwei Gemeinsamkeiten: Beide Opfer waren Ex-Soldatinnen und hatten vor Jahren Anklage wegen sexueller Belästigung gegen Vorgesetzte eingereicht, deren Karrieren dadurch zerstört wurden. Die Untersuchung leitete in beiden Fällen Reacher!

Seine Unschuld stellt sich heraus, als ein neuer Mord nach bekanntem Muster erfolgt aber Reachers Alibi wasserdicht ist. Trotzdem muss er dem FBI helfen, da die Armee es ablehnt, mit Zivilisten zusammenzuarbeiten, Direktor Black schreckt nicht davor zurück, Reacher offen zu erpressen. Wohl oder übel beugt sich Reacher, aber als er sogleich das aufwändige Täterprofil der FBI-Spezialisten verwirft und die Zahl der potenziellen Opfer im Widerspruch zu diesen erheblich eingrenzt, wird ihm kein Glauben geschenkt. Lee Child – Zeit der Rache weiterlesen

Radkowsky, Britta – Moderne Vampyre. Mythos als Ausdruck von Persönlichkeit

Der unbedarfte Leser wird bei Britta Radkowskys schmalem Bändchen zunächst über den Titel stolpern, sieht „Moderne Vampyre“ doch ganz nach einer antiquierten Schreibweise aus, die besonders ausgefallen und prätentiös sein will. Der Eingeweihte weiß jedoch: Vampir ist nicht gleich Vampyr, und genau diesen Unterschied will Britta Radkowsky, ehemals Redakteurin des Vampirmagazins sanktuarium.de, näher beleuchten.

Vampir und Vampyr wurden Anfang des 19. Jahrhunderts noch synonym verwendet. Beide Schreibweisen wechselten sich mit schöner Regelmäßigkeit ab, da der Begriff ursprünglich aus Osteuropa kam und sich die westlichen Autoren noch nicht ganz sicher waren, wie man den untoten Blutsauger denn nun zu schreiben habe. Heute ist das „y“ ein bewusst gesetztes Signal, unterscheidet es doch in der Regel den Vampir aus Literatur und Film von dem realen, lebenden Vampyr. Doch wie sich dieser Vampyr genau charakterisiert, das kann auch Britta Radkowsky nicht festmachen. Schließlich ist der Vampir eine geduldige Projektionsfläche für eine Vielzahl von Bedeutungen, sodass er letztlich eine grundlegend persönliche und subjektive Erfahrung ist.

Sie nähert sich dem Phänomen daher auf traditionelle Weise über den Volksglauben, die Literatur und den Film. Wer es (immer noch) nicht wusste, erfährt hier, dass der historische Dracula durchaus kein Vampir war, dass es aber eine ganze Reihe von wissenschaftlich belegten Fällen von Vampirismus aus Südosteuropa gibt. Welche Glaubwürdigkeit man diesen historischen Dokumenten allerdings zuschreibt, bleibt jedem selbst überlassen. Radkowsky jedenfalls vermeidet jegliche Propaganda und versucht keineswegs, den Leser von der Existenz von Vampiren zu überzeugen.

Im Abschnitt über Literatur und Film trifft man auf die üblichen Verdächtigen: Byron, Gaultier, Stoker, Rice bei der Belletristik und „Nosferatu“, „Dracula“, „The Hunger“ und „Near Dark“ bei den Filmen. Radkowsky enthält sich leider persönlicher Bewertungen (abgesehen von der Auswahl der besprochenen Bücher und Filme), bietet jedoch Zitate anderer Kritiker, sodass der Leser dennoch einen Überblick über die Qualität der vorgestellten Werke bekommt. Kurz und bündig kann sich so vor allem der Einsteiger einen Überblick darüber verschaffen, was man unbedingt lesen bzw. anschauen sollte, der Fan hingegen wird die meisten Titel bereits kennen.

Diese einleitenden Kapitel nehmen fast die Hälfte des Buches ein und so widmet sich Radkowsky erst relativ spät ihrem eigentlichen Thema, nämlich den lebenden Vampyren. Nun ist es nicht so, dass darunter wiederkehrende Tote zu verstehen sind, die das Blut der Lebenden saugen. Doch was ein Vampyr nun eigentlich ist, das kann auch Radkowsky nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher ist so viel: Es handelt sich um einen Lebensstil; eine Subkultur, die entweder mit dem Internet entstanden ist oder wenigstens dadurch eine Blüte erfahren hat. Vampyre entleihen Eigenschaften und Lebensweisen von Film- oder Romanvampiren und machen sie zu einem integralen Teil ihres eigenen Lebens. Besonders die sensiblen und chronisch schwermütigen Vampire von Anne Rice dienen dabei gern als Vorbild.

Britta Radkowsky bleibt auch hier an der Oberfläche und begnügt sich damit, an Beispielen von verschiedenen Vampir-Vereinigungen, wie dem offiziellen Anne-Rice-Fanclub und seinem legendären jährlichen Vampirball oder dem Sanguinarium mit seinem Regelwerk für Vampyre, das Phänomen zu illustrieren. Diese Beispiele zeigen zwar Aspekte der vampyrischen Subkultur, beleuchten jedoch weder ihre Ursprünge noch ihre Faszination. Viel interessanter dagegen sind die Interviews mit „Größen“ der Vampyrszene, die im Anhang zu finden sind. Webmaster einschlägiger Seiten beantworten hier Fragen zu ihrem ganz persönlichen Vampir- und Vampyrbegriff und erklären, wie, warum und ob sie Vampyr sind. Skeptiker werden feststellen, dass die Interviewten ihren Lebensstil durchaus reflektieren und umfassend belesen sind. Bloße Trittbrettfahrer finden sich im Interviewteil nicht. Allerdings zeigen die Interviews einmal mehr, dass eine Definition des Vampyrbegriffs ein unmögliches Unterfangen ist. Die Ansichten der Befragten können unter Umständen recht gegensätzlich sein, und doch schließen sie sich nicht aus. Wie der Einzelne den Vampirmythos empfindet und für sich interpretiert, ist eine persönliche und individuelle Angelegenheit. Und so ist auch jeder Vampyr individuell und anders. Einfache Formeln gibt es da nicht.

Abgerundet wird der schmale Band durch eine umfangreiche Literaturliste und eine einführende (wirklich nur einführend, da recht kurz) Filmographie für alle, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen wollen. Insgesamt bleibt das Buch etwas zu allgemein – in allen angesprochenen Aspekten – eignet sich aber gerade dadurch vor allem für diejenigen, die einen Überblick über das Thema bekommen wollen. Radkowsky schneidet alle wichtigen Aspekte an, in einer flüssigen und gut lesbaren Sprache, ohne den Einsteiger mit tief gehenden Analysen zu verscheuchen.

Fazit: Ein Buch für diejenigen, die ihren inneren Vampyr erst noch entdecken wollen. Alle, die ihm bereits verfallen sind, werden hier nichts Neues mehr lernen.

Thomas Finn – Der Funke des Chronos

Handlung

1842 in Hamburg: Polizeiaktuar Kettenburg arbeitet daran, eine grauenerregende Mordserie zu lösen, die schon sieben Menschen das Leben gekostet hat. Das Perverse daran ist, dass den Opfern voher bei lebendigem Leibe der Schädel aufgesägt wurde. Die letzte Leiche wurde auf einem Leiterwagen gefunden. Der Mörder scheint wohl bei der Beseitigung der Leiche gestört worden zu sein …

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Rankin, Ian – Sünden der Väter, Die

In ihrem Bemühen, den lästigen Untergebenen endlich aus seinem Job zu ekeln, haben sich Detective Inspector John Rebus’ Vorgesetzte etwas Neues einfallen lassen. Sie beauftragen ihn, gegen den alten Gelehrten Joseph Lintz zu ermitteln. Der steht im Verdacht, in jungen Jahren als Mitglied von Hitlers SS in Frankreich aktiv an unerhörten Kriegsgräueln teilgenommen zu haben. Lintz streitet dies ab und erweist sich als Meister der ausweichenden Auskunft – oder als Unschuldiger.

Viel lieber würde Rebus bei den Ermittlungen gegen Tommy Telford mittun. Der junge, charismatische Gangsterboss plant, sich zum Führer der Edinburgher Unterwelt aufzuschwingen. Jede kriminelle Machenschaft ist ihm dabei Recht. Er legt sich sogar mit dem bisherigen Alleinherrscher „Big Ger“ Cafferty an, der zwar in die Jahre gekommen aber keineswegs willig ist, die Macht zu teilen. Ein Bandenkrieg droht; erste Opfer sind bereits zu beklagen.

Die Polizei steht dem mehr oder weniger hilflos gegenüber. Sowohl Cafferty als auch Telford haben ihre Truppen gut im Griff. „Gesungen“ wird nicht, Beschattungen fliegen regelmäßig auf. Rebus schleicht sich trotzdem gern zu den Beamten der Scottish Crime Squad, einer Sondereinheit, der auch Siobhan Clarke, Rebus’ Ex-Kollegin und gute Freundin, inzwischen angehört. Für ihn ist dieser Fall persönlich geworden: Ein Autofahrer hat Sammy, seine Tochter, angefahren und schwer verletzt. Rebus, der sich als Vater in der Vergangenheit viele Fehler geleistet hat, wird von seinem Gewissen und von Wut übermannt. Er will den Unglücksfahrer, er will Rache. Um sie zu bekommen, verbündet er sich sogar mit seinem Erzfeind Cafferty, der einwilligt, ihm den Schuldigen zu liefern. Dafür soll Rebus Telford hinter Gitter bringen.

Derweil findet sich Lintz’ Leiche. Man hat den alten Mann an einem Friedhofsbaum aufgeknüpft – offenbar ein Mord mit Hinrichtungscharakter. Wer ist es, der das Recht in die eigene Hand genommen hat? Notgedrungen bleibt Rebus am Ball und entdeckt Verbindungen zwischen Lintz und Telford. Der hat sich außerdem mit dem tschetschenischen Mafiaboss Jake Tarawicz eingelassen, welcher sich in Edinburgh als Menschenhändler und Dealer etablieren möchte. Schließlich werden sogar hochrangige Mitglieder der Yakuza gesichtet, die stets eine Möglichkeit suchen, außerhalb Japans scheinbar legale Unternehmen als Geldwaschanlagen zu erwerben.

Rebus will sie in seinem Zorn alle drankriegen. Dass er sich dabei übernommen hat, dämmert ihm spätestens, als er sich auf einen Stuhl gefesselt und mit einem Stromkabel malträtiert wiederfindet …

Wie üblich setzt Ian Rankin seinen Inspektor Rebus erneut einem Trommelfeuer aus kriminalistischen Herausforderungen und privaten Schicksalsschlägen aus. Insgesamt zerfällt „Die Sünden der Väter“ in zwei Handlungsstränge. Da haben wir einerseits Rebus’ Kampf gegen die Unterwelt von Edinburgh und andererseits seine Ermittlungen gegen einen möglichen Kriegsverbrecher. Beide Stränge werden verklammert durch Rebus’ Bangen um das Leben seiner im Koma liegenden Tochter bzw. sein Versagen als Familienvater: Der „Sünden der Väter“, auf die der deutsche Titel anspielt, haben sich sowohl Joseph Lintz als auch John Rebus jeder auf ihre Weise schuldig gemacht. Mehrfach blendet Rankin Episoden ein, in denen sich Rebus daran erinnert, wie er seine Familie enttäuscht hat.

„Die Sünden der Väter“ ist gleichzeitig ein neues Kapitel im spannenden Duell zwischen Rebus und „Big Ger“ Cafferty. Der Polizist und der Gangster sind Todfeinde und sich – Rebus’ Kollegen beobachten es mit Misstrauen – als solche näher als manche Freunde. Sie kennen sich seit Jahren, wissen um ihre Geheimnisse, nutzen einander aus und versuchen dem Gegenüber stets mindestens einen Schritt voraus zu sein. Rankin nutzt diesen Zweikampf als Aufhänger, um Edinburghs „Fortschritte“ auf dem Weg zur Verbrechermetropole des 21. Jahrhunderts zu beschreiben. Die kriminelle Szene ist zum Spiegelbild einer zunehmend globalisierten Welt geworden: Syndikate überspringen Meere und Kontinente, breiten sich aus, erobern neue Territorien, in denen sie zentral möglichst alle illegalen Aktivitäten kontrollieren und steuern. Der Kontakt zum politischen und wirtschaftlichen Establishment wird gesucht und gefunden, an die Gesetze hat sich nur der Steuerzahler als von oben und unten geschorenes Schaf zu halten.

Die Polizei ist entweder machtlos oder bereits Teil des Filzes. Im Vergleich zu ihren Gegnern sind die Beamten hoffnungslos unterbesetzt, schlecht ausgerüstet und entsprechend motivationsarm. Rebus hat es mit oft halblegalen Tricks, aus langer Berufslaufbahn erwachsener Erfahrung und kriminalistischem Dickkopf geschafft, Erfolge zu erzielen. Mit der Unterwelt in ihrer Gesamtheit legt er sich erst an, als er sich persönlich angegriffen fühlt. Die Handlung wird rau, während die Spannung steigt, denn selten hat sich Rebus so viele Feinde gemacht, derer er sich nun gleichzeitig erwehren muss. Das gelingt ihm mit dem üblichen Einfallsreichtum, aber er muss harte Schläge einstecken.

Dabei stellt sich – nicht zum ersten Mal – die Frage, ob es Rankin nicht ein wenig übertreibt. Zwei Gangsterbanden im Krieg: Das genügt ihm nicht. Er lässt auch noch die russische Mafia und die Yakuza mitmischen. Sicherlich ist das ein wenig zu viel des Schlechten. Allerdings muss man bewundern, wie Rankin seinen Rebus geschickt die verschiedenen Parteien gegeneinander ausspielen lässt. Am Ende siegt die Gerechtigkeit, aber Rankin wäre nicht Rankin, würde er den Triumph nicht sogleich wieder relativieren: Die Macht kennt kein Vakuum, so lässt er Rebus sehr richtig sinnieren; dort wo sie verschwindet, strömt sie sogleich von außen nach. Obwohl die meisten Gangster letztlich auf der Strecke bleiben, wird Edinburgh dasselbe kriminelle Pflaster wie bisher bleiben.

Eindeutig überflüssig wirkt mit dem Fortschreiten der Geschichte der Handlungsstrang um Joseph Lintz. Rankin legt hier eine falsche Fährte, die ihm viel Raum für moralische Exkurse zum Thema Schuld und Sühne bietet. Gleichzeitig geht es um die Schuld derjenigen Regierungen, die einst zum Kampf gegen den Nationalsozialismus und seine Vertreter angetreten sind, aber später die „nützlichen“ Nazis vor einer Bestrafung bewahrten, sie mit Geld und einer weißen Weste ausstatteten und beschützten – ein düsteres Kapitel, das noch heute sorgfältig unter den Teppich gekehrt bleibt. Dieses Thema böte Stoff für einen eigenen Roman. Hier wird es verheizt bzw. wirkt wie eine dieser peinlichen Gedenkaktionen, die sich bußfertige Gutmenschen gern ausdenken, ohne die eigentlich Betroffenen vorher zu fragen, ob ihnen dies Recht ist.

Rebus als Rächer: Mit „Die Sünden der Väter“ schlägt Verfasser Ian Rankin einen weiten Bogen zurück zum ersten Band der Serie. „Verschlüsselte Wahrheit“ zeigte einen Rebus, dessen Dienstzeit in einer militärischen Spezialeinheit ihn psychisch schwer gezeichnet hatte. Wir erfuhren, dass Rebus in „schmutzigen“ Guerillataktiken und zum Kampf gegen Terroristen ausgebildet wurde. Er versteht es also, seinen Gegnern eine ungemütliche Zeit zu bereiten. Zu viele Zigaretten und noch mehr Alkohol haben Rebus’ körperliche Fitness zwar untergraben. An seiner Entschlossenheit, selbst unter starkem Stress einen „Auftrag“ durchzuziehen, konnte dies jedoch nichts ändern.

Dieses Mal ist Rebus sogar doppelt motiviert: Seine Polizeiarbeit ist ihm heilig, auch wenn er sie auf seine Weise erledigt und sich wenig um die Dienstvorschriften schert. Ganz besonders hasst er das organisierte Verbrechen in „seiner“ Stadt. Mit „Big Ger“ Cafferty hat er schon lange mehr als eine Rechung offen; die beiden liefern sich ein Katz-und-Maus-Spiel, das Rebus nie gewinnen konnte. Tommy Telford ist ebenfalls ein gefährlicher Verbrecher, den Rebus gern ausgeschaltet sähe. In dieser Verfassung kommt es ihm dann nicht mehr darauf an, sich auch mit der russischen Mafia und der Yakuza anzulegen.

In die Wut flüchtet sich Rebus vor allem deshalb, weil sein schlechtes Gewissen ihm zu schaffen macht. Sammy ist das Kind einer unglücklichen Ehe. Rebus und seine Frau waren zerstritten, er war zweifellos ein nachlässiger Vater, dessen Gedanken meist um den aktuellen Fall und kaum um seine Familie kreisten. Erst in jüngster Zeit bemüht sich Rebus, seiner Tochter näher zu kommen. Jetzt droht sie zu sterben. Rebus projiziert das eigene Versagen auf Cafferty, Telford & Co. Außerdem sucht er sich eine „Ersatztochter“: Die junge bosnische Einwanderin Dunja wurde von Telford zur Prostitution gezwungen. Rebus nimmt sich ihrer an. Sie will er „retten“, was ihm bei Sammy misslungen ist. Selbstverständlich ist er hier auch nicht erfolgreicher.

Eher lästig ist Rebus dagegen die Beschäftigung mit dem Fall Joseph Lintz. Der Polizist repräsentiert hier die Mehrheit seiner Zeitgenossen, für die Ende des 20. Jahrhunderts die Nazis nur mehr Schauergestalten aus Geschichtsbüchern und Filmen sind. Rebus liest die Berichte über die Ermordung einer ganzen Dorfbevölkerung, an der Lintz sich beteiligt haben soll, aber das in Erfahrung Gebrachte berührt ihn zunächst nicht: Zu viel Zeit ist vergangen, Zeitzeugen gibt es kaum noch. Diese Haltung ist es, die für Lintz den besten Schutz bedeuteten: So lange er sich in seinem zweiten Leben nichts zuschulden kommen ließ, interessierte sich niemand für das erste. Darüber hinaus ist Lintz ein vornehmer, gebildeter Herr, der für sich einnimmt und mit dem Mörder von einst nichts mehr gemein hat.

Aber einige Opfer der Nazis haben eben doch überlebt. Sie vergessen und vergeben nicht, weil sie das allgemeine Vergessen fürchten. Deshalb fordern sie auch Jahrzehnte nach dem Ende des Nazi-Terrors Gerechtigkeit. Nur widerwillig laufen die Mühlen des Gesetzes an; es gibt mehr als genug aktuelle Verbrechen, um die es sich zu kümmern gilt. Auch Rebus muss erst lernen, dass diese Vergangenheit nicht tot ist, weil sich die Sünden der Väter auf die Nachkommen der Täter und Opfer vererben können. Ob Lintz ein Schlächter war oder nicht, bleibt im Grunde Nebensache. Rankin lässt diese Frage daher offen.

Für Rebus erweist sich vor allem Dunja als Bindeglied zwischen den alten und neuen Schrecken. Auch die junge Frau ist ein Kriegsopfer: Als bosnische Muslimin wurde sie während des Balkankriegs von „ethnischen Reinigungstruppen“ – Mordkommandos – verfolgt. Auch nach dem Ende des Kriegs wagt sie nicht heimzukehren. Die Mörder sind weiterhin unter ihren Landsleuten. So wie Dunja erging es im nazideutsch terrorisierten Europa unzähligen Menschen. Ihr Schicksal ist zeitlos. Es führt Rebus vor Augen, was die Lintzes dieser Welt tatsächlich verbrochen haben. Zumindest in diesem Punkt „funktioniert“ Rankins Lintz-Episode. Sie muss ihm wichtig gewesen sein, denn sie gab dem Buch seinen Originaltitel: „In a hanging garden / change the past / In a hanging garden / wearing furs and masks“, singen „The Cure“ auf ihrem Album „Pornography“ von 1982. Doch was geschehen ist, bleibt geschehen und wird Teil der Gegenwart. Gleichgültig wie gut es getarnt wird: Irgendwann kommt es unbewältigt und mit ungebrochener Wucht wieder zum Vorschein.

Ian Rankin wird 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studiert er ab 1983 Englisch, zunächst mit dem Schwerpunkt Amerikanische, später Schottische Literatur. Schon früh beginnt er zu schreiben. Zunächst hoffnungsvoller Poet, wechselt er als Student zur Prosa. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versucht er sich an einem Roman, findet aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erscheint 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Nachdem sein Stipendium ausgelaufen ist, verlässt Rankin 1986 die Universität und geht nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitet. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionageroman „Watchman“ (1990). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasst Rankin in rascher Folge drei actionlastige Thriller. 1991 greift Rankin eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hat auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. „Knots & Crosses“ war 1987 weniger als Kriminalroman, sondern eher als intellektueller Spaß im Stil Umberto Ecos gedacht, den sich der literaturkundige Autor mit seinem Publikum machen wollte. Schon die Wahl des Namens, den Rankin seinem Helden gab, verrät das Spielerische: Um Bilderrätsel – Rebusse – dreht sich die Handlung.

Mit John Rebus gelingt Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftet. Als man ihn immer wieder auf das weitere Schicksal des Sergeanten anspricht, wird er sich dessen Potenzials bewusst. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt seither den dunklen Seiten nach, die den Bürgern, vor allem aber den (zahlenden) Touristen von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kirche gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Simple Schurken, deren möglichst malerisches, weil „gerechtes“ Ende bejubelt werden kann, gibt es bei ihm nicht.

Ian Rankins Rebus-Romane kommen nach 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnet ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 1992 ehrt man ihn in den USA mit dem „Chandler-Fulbright Award“ als „Nachwuchsautoren des Jahres“. Rankin gewinnt im Jahre 2000 weiter an Popularität, als die britische BBC beginnt, die Rebus-Romane zu verfilmen.

Ian Rankins [Website]http://www.ianrankin.net ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.

Die John-Rebus-Romane …
… erscheinen in Deutschland im Wilhelm Goldmann Verlag (Stand: Januar 2006):

01. [Verborgene Muster 956 (1987, Knots & Crosses) – TB-Nr. 44607
02. [Das zweite Zeichen 1442 (1991, Hide & Seek) – TB-Nr. 44608
03. [Wolfsmale 1943 (1992, Wolfman/Tooth and Nail) – TB-Nr. 44609
04. [Ehrensache 1894 (1992, Strip Jack) – TB-Nr. 45014
05. Verschlüsselte Wahrheit (1993, The Black Book) – TB Nr. 45015
06. Blutschuld (1994, Mortal Causes) – TB Nr. 45016
07. [Ein eisiger Tod 575 (1995, Let it Bleed) – TB Nr. 45428
08. [Das Souvenir des Mörders 1526 (1997, Black & Blue)
09. Die Sünden der Väter (1998, The Hanging Garden) – TB Nr. 45429
10. Die Seelen der Toten (1999; Dead Souls) – TB Nr. Nr. 44610, erscheint im Mai 2006
11. Der kalte Hauch der Nacht (2000, Set in Darkness) – TB Nr. 45387
12. [Puppenspiel 2153 (2001, The Falls) – TB Nr. 45636
13. [Die Tore der Finsternis 1450 (2002, Resurrection Man)
14. Die Kinder des Todes (2003, A Question of Blood)
15. [So soll er sterben 1919 (2004, Fleshmarket Close)
16. Night Police [Arbeitstitel] (2006; noch kein dt. Titel)

Darüber hinaus gibt es zwei Sammlungen mit Rebus-Kurzgeschichten: „A Good Hanging & Other Stories“ sowie „Beggars Banquet“. Hinzu kommt „Rebus’s Scotland“, ein Fotoband mit Texten von Rankin, der hier jene Orte aufsucht, die ihn zu seinen Romanen inspirierten.

Stackpole, Michael – Kampf um die alte Welt, Der (Saga der neuen Welt 2)

Michael Stackpole setzt in „Der Kampf um die alte Welt“ nahtlos fort, was er in [Das verlorene Land 1036 begonnen hat.

Die Mitglieder der Familie Anturasi stehen erneut im Brennpunkt der Ereignisse: Der alte Patriarch Qiro Anturasi ist zum Mystiker der Kartografie geworden; was er auf einer Karte einzeichnet, wird Realität – so hat er im Süden aus dem Nichts einen neuen Kontinent, vermutlich das „verlorene Land“, auf das der Titel des ersten Bandes anspielt, mitsamt seinen monströsen Bewohnern erschaffen. Die Seele seiner ermordeten Tochter Nirati findet dort ebenfalls Zuflucht. Leider scheint er unter dem Einfluss des Vanyesh-Prinzen Nelesquin zu stehen, der seinen Feldzug gegen die verschollene Kaiserin Cyrsa, der vor Jahrhunderten den Kataklysmus auslöste, fortführen will.

Keles Anturasi wird auf Rache für die vermeintlich tote Tyressa sinnend in die Dienste des Prinzdynasten Pyrust gepresst, während sein Bruder Jorim nicht nur von den Tetcomchoa als Gott verehrt wird, sondern tatsächlich göttliche Fähigkeit gewinnt! Die Gruppe um die Schwertkämpfer Moraven Tolo und Ciras Dejote teilt sich auf; während Moraven die in Erumvirine einfallenden Monsterhorden vom Südkontinents Qiros bekämpft, findet Ciras auf seiner Suche nach Kaiserin Cyrsa eine Zufluchtsstätte ihrer Erzfeinde, der Vanyesh, und steigt in den Rang eines Mystikers des Schwertkampfes auf.

Währendessen spekuliert Dynast Pyrust darauf, dass ihm die Invasion Erumvirines die Gelegenheit gibt, Helosunde auszubluten und zugleich seinem Gegner Cyron den Todesstoß zu versetzen.

Stackpole überraschte mich mit diesem Roman. Der Schwerpunkt liegt völlig anders als erwartet. Wer einen Entdecker-Roman erwartet, wird enttäuscht werden. Stattdessen mutieren ein halbes Dutzend Hauptpersonen zu Mystikern, entpuppen sich als lebendige Figuren der Legende oder werden gleich gar zu Göttern! Wozu eigentlich? Plötzlich verschiebt sich die Handlung von einer Entdeckungsreise zu einem uralten Konflikt zwischen Kaiserin Cyrsa und den Turasynd oder vielmehr auf einmal den Vanyesh. Dieser Bruch in der Erzählung ist irritierend und wird durch permanent den Schauplatz wechselnde kurze Kapitel noch verstärkt.

Der fehlende Fokus sorgt auch dafür, dass kein Charakter wirklich hervorstechen kann. Alle wirken gleichermaßen bieder und sind sich sehr ähnlich, alle Dynasten sind wahrlich Herrscher machiavellistischer Prägung, die zu stark an Heerführer oder Bösewichter aus anderen Stackpole-Romanen erinnern, ohne je die Chance zur Eigenständigkeit zu erhalten.

Das setzt sich mit Nebencharakteren und allen Anturasis inklusive ihrer Liebschaften fort. Insbesondere die Beziehung von Keles zu Tyressa wirkt nutzlos und aufgesetzt, der perverse Folterer und Mörder Junel wird in diesem Roman ebenfalls sang- und klanglos entsorgt. Hier fehlt es an Stringenz, ein bunter Eintopf aus Ideen, zusammengeklaubt aus allen möglichen Werken Stackpoles.

Weltenentwurf war noch nie Michael Stackpoles Stärke, aber er hat in seinen „Düsterer Ruhm“-Romanen bewiesen, wie gut er die Ideen anderer Autoren in seine Welten einpassen und weiterentwickeln kann. Dass er Serien Impulse geben kann, hat er in „BattleTech“ mit den Clans bewiesen, ebenso in seinen Romanen im „Star Wars“-Universum. Ohne Regeln neigt er zum Ausufern; dieser Roman und leider vermutlich wohl die ganze Serie scheitern daran. So wird der Beginn der Invasion Erumvirines aus der Perspektive von Dunos geschildert, ein kurzes Kapitel, das isoliert zwischen an völlig verschiedenen Punkten der Welt handelnden Kapiteln steht. So kommt keine apokalyptische oder bedrohliche Stimmung auf; es verärgerte mich zudem, dass ich mich erst wieder durch die unheimlich ermüdend vorgetragenen strategischen Erwägungen von Pyrust durchkämpften musste, bevor es dann mit Jorim Anturasi weiterging.

Fragwürdig sind ebenso die übermäßig vielen abgeschmackten Konstruktionen; selten wurde der Deus Ex Machina so überstrapaziert wie in diesem Roman. Der Gott ist hier übrigens wörtlich zu nehmen! Mittlerweile hat sich bereits die Hälfte der Hauptpersonen in Götter verwandelt, andere sind zu Meistern und Mystikern aufgestiegen und andere erinnern sich schließlich, dass sie ja eine Person der Legende sind. So etwas kann nicht überzeugen. Hier droht die Handlung jegliche Bodenhaftung zu verlieren, zumal es an Identifikationsfiguren oder starken Charaktern an sich sowieso schon mangelt.

Der Konflikt zwischen den Vanyesh und Kaiserin Cyrsa (die ebenfalls überraschend wieder auftaucht) sowie den Resten ihres ehemaligen Imperiums wird die Handlung in Zukunft bestimmen. Wer einen Entdecker- oder Seefahrer-Roman im Fantasy-Genre sucht, sollte stattdessen Paul Kearney’s Trilogie „Die Königreiche Gottes“, erster Band „Hawkwoods Reise“, lesen. Stackpole legt derzeit eine schöpferische Pause ein, ein Folgeband ist noch nicht angekündigt. Hoffentlich steigt auch er in den Rang eines Mystikers der Schreibkunst auf, denn dieses verzettelte Chaos zu einem vernünftigen Ende zu bringen, wird nicht einfach sein.

Homepage des Autors:
http://www.stormwolf.com/

Interview mit Thomas Finn

_Martin Schneider:_
Servus Tom, herzlichen Glückwunsch zu deinem gelungenen Roman [„Der Funke des Chronos“! 2239

_Thomas Finn:_
Dank dir. In dieses Buch ist auch sehr viel Herzblut hineingeflossen.

_Martin:_
Vielleicht stellst du dich jenen Lesern kurz vor, die dich bislang noch nicht kennen.

_Thomas Finn:_
Nun, ich bin 38 Jahre alt, Hamburger und mit Leib und Seele Schriftsteller und Autor. Angefangen mit dem Schreiben habe ich noch während meiner Schulzeit mit Fantasyrollenspiel-Publikationen, was sich dann während Ausbildung und Studium mehr und mehr hin zu Romanen, Drehbüchern und Theaterstücken entwickelt hat. Nach dem Studium habe ich einige Jahre lang als kommissarischer Chefredakteur bei dem Phantastik-Magazin |Nautilus| gearbeitet sowie als Lektor und Dramaturg in einem Drehbuch- und Theaterverlag. Seit 2001 lebe ich hauptberuflich vom der Schriftstellerei. Wer noch mehr über mich wissen möchte, dem empfehle ich einen Blick auf meine Webseite unter www.thomas-finn.de, »denn da wird Ihnen geholfen«.

_Martin:_
Wie kamst du auf die Idee, a) über eine Zeitreise, und b) im alten Hamburg zur Zeit des Großen Brandes zu schreiben?

_Thomas Finn:_
Die Grundidee zu dem „Funken“ kam mir bereits vor über zehn Jahren. Ich erfuhr damals, dass bis heute nicht geklärt ist, warum in einem Speicher an der Deichstraße ein Feuer ausbrach, das dann den Großen Brand von 1842 entfachte, der ein Drittel der damaligen Stadtfläche verwüstete. Rätsel dieser Art liebe ich, denn hier beginnt die Vorstellungskraft. Dies alles mit einer phantastischen Zeitreise zu verknüpfen, lag insofern nahe, als dass ich mich schon damals fragte, wie wohl das Leben um 1840 ausgesehen hat und ob ein heutiger Hamburger die Stadt überhaupt wiedererkennen würde. Ich habe diese Frage einfach sehr wörtlich genommen. Nebenbei sprechen wir hier von jener Epoche, die praktisch alle heute bekannten Hamburger Stadtoriginale hervorgebracht hat. Zum Beispiel den Wasserträger Hummel, der noch heute Pate steht für den vertrauten Hamburger Schlachtruf: „Hummel Hummel, Mors Mors!“ Hinzu kam, dass sich während und nach dem Brand auch entwicklungstechnisch ein Quantensprung in Hamburg vollzog: Die Eisenbahn hielt Einzug in die Hansestadt, außerdem ebnete der Große Brand im wahrsten Sinne des Wortes den Weg für zahlreiche Neubauten, die noch heute das vertraute Stadtbild Hamburgs prägen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass mit 1842 die Moderne in Hamburg Einzug hielt.

_Martin:_
Wie würdest du diesen Roman beschreiben?

_Thomas:_
Als phantastischen Historien-Thriller – also fast so, wie auch der |Piper|-Verlag den Roman bewirbt. Denn trotz des Phantastik-Anteils dieses Romans war es ein großes Anliegen, das alte Hamburg so korrekt wie nur irgend möglich zu beschreiben. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem Aussehen einer Straßenlaterne an, reicht über Darstellungen des damaligen Polizeiwesens, der detailgetreuen Beschreibung einzelner Straßenzüge bis hin zur verwendeten Sprache der Protagonisten und Antagonisten. Trotz alledem standen beim Schreiben natürlich vor allem Story und spannender Handlungsaufbau im Vordergrund.

_Martin:_
Das Recherchieren der Fakten muss eine ganze Menge Zeit in Anspruch genommen haben, wie lange hast du dafür gebraucht?

_Thomas Finn:_
In dem Roman stecken gut und gerne zehn Jahre Recherchearbeit. Während des Schreibens griff ich auf etwa 60 zum Teil geerbte und heute schon lange nicht mehr erhältliche Bücher sowie noch einmal 80 weitere Artikel zurück, die ich in der Hamburgensien-Sammlung der Hamburger Staatsbibliothek gefunden oder schlicht in Zeitschriften oder im Internet erjagt habe. Manches zufällig, vieles aber auch sehr gezielt.

_Martin:_
Sind die durchaus skurrilen Szenen, die sich während des Brandes ereignen, wirklich so passiert?

_Thomas:_
Ja, fast alle. Ich konnte es anfänglich selbst nicht glauben, als ich zum ersten Mal davon las. Sei es die Sache mit der Familie, die den Sarg eines gerade verstorbenen Verwandten zu retten versuchte, sei es die Episode mit dem brennenden Zucker, der sich lawinenartig aus den Speichern in die Fleete ergoss, oder sei es die Begebenheit mit dem Kostümverleiher, der sich im Napoleonskostüm in Sicherheit brachte. Überhaupt habe ich in dem Roman derart viele Originalschilderungen der damaligen Zeit eingearbeitet, dass sie alle aufzuzählen den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. So haben sich auch die beschriebenen Ereignisse im Elysium-Theater fast detailgetreu so zugetragen, wie ich es im Roman geschildert habe – sieht man mal davon ab, dass vielleicht nicht alles an genau einem Tag passiert ist. Die historischen Rechercheergebnisse mit der eigentlichen Handlung zu verbinden, hat aber gerade den Spaß beim Schreiben ausgemacht.

_Martin:_
Du bezeichnest deinen Roman als Hommage an H.G. Wells‘ [„Die Zeitmaschine“; 1414 warum war es dir ein Anliegen, dies zu tun?

_Thomas Finn:_
Weil mich die 50er-Jahre-Romanverfilmung der »Zeitmaschine« schon als Kind nachhaltig beeindruckt hat. Wann immer die Morlocks auftauchten, tauchte ich hinter den Fernsehsessel ab. Nach zehn- bis zwölfjähriger Pause habe ich den Film dann erstmals mit 21 Jahren zur Gänze gesehen. Kein Wunder also, dass mein Protagonist mit keiner geringeren Maschine in die Vergangenheit reist als mit DER Zeitmaschine. Auch das sicher überraschende Ende des Romans stand bereits seit zehn Jahren fest.

_Martin:_
Warum hast du ausgerechnet Heinrich Heine für dein Buch ausgewählt?

_Thomas:_
Auf Heinrich Heine bin ich vor vier Jahren eher durch einen Zufall gestoßen. Während meiner Brandrecherchen stieß ich auf einen Eintrag, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass sich Heine während der Katastrophe in Hamburg aufhielt. So bin ich aber immerhin auf seine familiären Verflechtungen zur Hansestadt und auch auf sein besonderes Verhältnis zu seinem Hamburger Onkel Salomon Heine aufmerksam geworden. Und je mehr ich über Heine las, desto mehr zeichnete sich ab, dass er als eine meiner Hauptfiguren Einzug in die Handlung halten würde.

_Martin:_
Wie sieht es mit deinem Verständnis der deutschen Dialekte aus, als gebürtiger Amerikaner? Schließlich verwendest du neben dem nicht ganz einfachen Hamburger Plattdeutsch auch noch Jiddisch und Hessisch in deinem Roman.

_Thomas:_
Ach Gott, du spielst auf meinen Geburtsort Chicago an? Ich gestehe, im Klappentext eines Buches macht sich der recht gut. Gut, dass kaum einer weiß, dass meine Eltern – übrigens beide Hamburger – nach einem zweijährigen USA-Aufenthalt und nur ein halbes Jahr nach meiner Geburt wieder zurück nach Deutschland gezogen sind …

Was die verwendeten Dialekte im „Funken“ betrifft, die habe ich speziell von versierten Fachleuten aus dem Hochdeutschen übersetzen lassen. Aber damit kommen wir zum Bereich der Tricks, über die weder Zauberkünstler noch Autoren gerne sprechen. Offiziell beherrsche ich neben dem Hochdeutschen natürlich auch Plattdeutsch, Hessisch, Jiddisch und mindestens acht weitere deutsche Mundarten fließend. Was denkst du denn …?

_Martin:_
Du verwendest noch die alte Rechtschreibung. Bequemlichkeit, Überzeugung oder Verlagsdogma?

_Thomas:_
Eine Vorgabe des |Piper|-Verlags. Die Verlage haben da ganz unterschiedliche Richtlinien. Als ich einem Monat nach dem „Funken“ an meinem nächsten Buch saß, musste ich wieder auf die neue Rechtschreibung umschwenken. Da freut man sich, dass es Lektoren gibt.

_Martin:_
Die Figuren, die du verwendest, wie Caroline Lewald oder Polizeiaktuar Kettenburg, sind alles andere als Stereotypen. Hast du darauf besonderen Wert gelegt?

_Thomas:_
Na klar. Eigentlich sollte man sich immer darum bemühen, Stereotypen zu vermeiden. Schön, dass es mir hier gelungen zu sein scheint. Wichtig scheint mir, dass man jede Figur seiner Geschichte liebt. Und das muss der Leser am Ende auch merken.

_Martin:_
Besonders hat mir die Figur des Uhlen (althamburgisch für Nachtwächter) Borchert gefallen. Wie kamst du auf die Idee, diesen Typ so zu gestalten? Vor allem ist die Wandlung des Charakters interessant, von Kettenburgs Sidekick zum Alleskönner.

_Thomas:_
Es ist witzig, manche sehen in Borchert sogar die heimliche Hauptfigur des Romans. Ursprünglich war der dicke Uhle nicht einmal eingeplant, doch als die Rolle von Polizeiaktuar Kettenburg feststand, entwickelte sich mit ihm auch der Nachtwächter. Und damit auch der Gag mit Borcherts weit verzweigter Verwandtschaft. Bei alledem schwingt natürlich ein Hauch von Sherlock Holmes und Watson mit, nur eben unter völlig anderen Vorzeichen. Ich denke, es ist die grundehrliche Haltung dieses Mannes, gepaart mit seiner anrührenden Art, mit der er erst mein Herz und damit einhergehend dann auch die der Leser erobert hat. Es hat beim Schreiben ein oder zwei Stellen gegeben, wo Borchert mich ernsthaft zu Tränen gerührt hat. Erstaunlich, dass ich das als Autor so sagen kann. Vielleicht ist es ja doch so, dass gute Geschichten nicht erschaffen werden, sondern sich nur des Autors als Medium bedienen.

_Martin:_
Dann lege doch bitte hier, exklusiv für unsere Leser, die Familienverhältnisse von Borchert offen!

_Thomas:_
Pah, so weit kommt es noch. Selbst ist der Mann oder die Frau!

_Martin:_
Du hast ja auch noch einige Gezeitenwelt-Romane geschrieben. Da ich gestehen muss, dass ich noch nichts von der Gezeitenwelt gelesen habe, bitte ich dich, mir eine kurze Einführung in diese Romanreihe zu gewähren.

_Thomas:_
Bei der Gezeitenwelt handelt es sich um eine epische Romansaga, die ich gemeinsam mit meinen Kollegen Bernhard Hennen, Hadmar von Wieser und Karl-Heinz Witzko unter dem Gruppen-Pseudonym „Magus Magellan“ erschaffen habe. Bei dieser Saga geht es um eine Welt, die nach dem Einschlag eines großen Meteoriten von einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes heimgesucht wird. Und als wäre das noch nicht genug, hält nach dem Einschlag eine wundersame Magie Einzug in die Gezeitenwelt, die Träume aber auch Albträume wahr werden lässt. Wer mehr zu alledem wissen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, einen Blick auf unsere Webseite unter http://www.gezeitenwelt.de zu werfen.

_Martin:_
Einige unserer Leser werden dich hauptsächlich als Autor im Rollenspiel-Genre kennen. Wann gibt’s neuen Lesestoff von dir für die „Das Schwarze Auge“-Fans oder das Rollenspiel allgemein?

_Thomas:_
Eigentlich immer wieder, sobald ich Zeit dazu finde. Im März 2006 erscheint die Hörbuchversion meines DSA-Romans [»Das Greifenopfer«, 1849 der vom |Horchposten|-Verlag wirklich großartig vertont wurde. Und erst Ende letzten Jahres habe ich dem Hexer-Regelband von |Pegasus| ein ausführliches Cthulhu-Abenteuer beigesteuert. Auch dieses Jahr wird sicher noch das eine oder andere von mir zu erwarten sein.

_Martin:_
Bleibt dir überhaupt noch Zeit, selber Rollenspiele zu spielen?

_Thomas:_
Ja. Die nehme ich mir einfach. Für mich sind Fantasy-Rollenspiele selbst nach 20 Jahren nicht nur ein fantastisch-schöner Zeitvertreib, sie sind nebenbei auch ein hervorragendes Testgelände für neue Ideen. Solange ich mich für spannende Geschichten begeistern kann, werden die fantastischen Rollenspiele ganz sicher einen festen Platz in meiner Freizeitgestaltung einnehmen.

_Martin:_
Sowohl in [„Das Greifenopfer“ 1849 (Orklandschildkröte) als auch in „Der Funke des Chronos“ (tote Katze) wird sofort zu Beginn etwas überfahren. Irgendwelche schlechten Erfahrungen im Hamburger Feierabendverkehr gemacht?

_Thomas:_
Diese Frage ringt mir ein Schmunzeln ab. Die beschriebenen Ähnlichkeiten sind mir nämlich erst durch deine Anmerkung bewusst geworden. Nein, mit dem Hamburger Feierabendverkehr hat das ganz sicher nichts zu tun. Den erlebe ich bei meinem Job nur sehr selten als unmittelbar Beteiligter. Mein Feierabend, wenn du so willst, endet nämlich regelmäßig erst so gegen 3 Uhr morgens.

_Martin:_
Was ist in nächster Zeit von dir zu erwarten? Wie sieht es mit weiteren Projekten aus?

_Thomas:_
Bereits im Juli erscheint bei Ravensburger mein neuer Roman „Das unendliche Licht“. Darin verschlägt es einen jugendlichen Irrlichtsammler in eine Stadt namens Hammaburg, wo er als Zauberlehrling ausgebildet wird. Dieses Hammaburg ist aber eingebettet in eine sehr fantastische Welt, die von der besetzten Insel Albion im Norden bis hinunter zum Alptraumgebirge im Süden reicht. Und natürlich wird diese Welt von einer großen Bedrohung heimgesucht. Ich verspreche schon jetzt spannende Unterhaltung.

Der Roman bildet übrigens den Auftakt zu einer Trilogie, was die Frage nach den nächsten Romanen beantwortet, an denen ich schon in Kürze sitzen werde. Weitere Romanideen liegen bereits in der Schublade.

Desweiteren bin ich seit 2005 Mitgesellschafter der Historia Hanseatica GmbH, eine Theaterproduktionsgesellschaft, deren Ziel es ist, 2007 die Geschichte des bekannten Piraten »Störtebeker« als großes Theaterspektakel in Hamburg aufführen – und gleich auch noch ein großes Theater dazu zu bauen. Aktuell arbeiten mein Partner Volker Ullmann und ich am Ende der ersten Stückfassung. Wer noch dieses Jahr ein Theaterstück aus unserer Feder miterleben will, dem empfehle ich ab dem 10. Juni einen Besuch der Freilichtspiele in Breisach bei Freiburg. Denn dort wird nach dem großen Erfolg der Uraufführung 2005 im Alten Schauspielhaus in Stuttgart unser Theaterstück „D’Artagnans Tochter & die drei Musketiere“ ein weiteres Mal aufgeführt werden. Außerdem liegt hier auf meinem Schreibtisch die ziemlich konkrete Anfrage nach einem Hörspiel. Du merkst, das Jahr wird sehr arbeitsreich.

_Martin:_
Dann bedanke ich mich für dieses Interview und werde dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Letzte Worte?

_Thomas:_
Nun denn: Lest mehr Bücher!

http://www.thomas-finn.de

Rezensionen zu:
[„Das Greifenopfer“ 1849
[„Der Funke des Chronos“ 2239

Krieg der Religionen

Ein beachtliches Werk, das die beiden Autoren dem interessierten Leser hier vorlegen. Führten die beiden Vorgänger-Bücher „Der Schatten des Dalai Lama“ (1999) zu einem Aufschrei in der Esoterik-Szene und „Hitler – Buddha – Krishna“ (2002) etwas abgemildert zu ähnlichen Turbulenzen, weil entgegen gängiger Forschung die Nazi-Diktatur auf Religionsebene betrachtet wurde, ergibt sich mit dem neuesten Werk ein differenzierteres Bild. Keinesfalls ist der Kurs ein anderer geworden und die vorgelegten Recherchen – nunmehr zu Judentum, Christentum und Islam – werden nicht weniger Wellen schlagen. Aber alle drei Bände im Zusammenhang eines Gesamtwerkes betrachten zu können, ermöglicht einen völlig anderen Blickwinkel auf die Intention der Autoren und führt in der Beurteilung der einzelnen Titel dadurch ebenso zu vollkommen anderen Ergebnissen. Als Gesamtbild ergibt sich keine Diffamierung mehr gegenüber einer speziellen Religion, sondern der Blick auf ein zeitgenössisches umfangreiches Forschungsgebiet zur notwendigen Kritik an den gefährlichen Schatten der gegenwärtigen Religionen wird eröffnet, und dies ist ein durchaus wichtiger Beitrag aktueller Kultur- und Politikreflektion.

Der Titel „Krieg der Religionen“ meint nicht explizit, dass Religionen in Krieg miteinander getreten wären, sondern bezieht sich auf die fundamentalistischen Kräfte innerhalb der Religionen, die sehr wohl mehr denn je im Krieg miteinander stehen; dass dies möglich werden konnte, ist allerdings in den Grundformen der religiösen Texte bereits implantiert. Allenorts setzen sich heutzutage wieder die Glaubensvorstellungen durch, wir befänden uns in der Zeit der nahenden Apokalypse. Dieses Wort ist ursprünglich ein Begriff der monotheistischen abrahamitischen Religionen und tauchte erstmals im Christentum als „Apokalypse des Johannes“ auf. Eigentlich hanelt es sich um ein griechisches Wort für „Offenbarung“ oder „Enthüllung“, weswegen zu Recht der entsprechende Text des Johannes auch „Johannes-Offenbarung“ genannt wird. Aber durch das, was in diesem Text enthalten ist, hat sich der heute allgemein benutzte Apokalypse-Begriff als Verständnis für den absoluten chaotischen Umbruch durchgesetzt und wird nunmehr auch in anderen als christlichen Religionen im selben Sinne verwandt. Im Vordergrund des apokalyptischen Krieges der Religionen stehen derzeit auf politischer Weltebene lediglich die drei genannten „Weltreligionen“ im Mittelpunkt der Ereignisse. Alle sind sie vom Kampf „Gut“ gegen „Böse“ besessen, und die Aussagen eines Osama Bin Laden unterscheiden sich in ihrer frommen Maske nicht von denen eines George Bush oder anderer christlichen Fundamentalisten. Die beiden Autoren zeigen auf, wie austauschbar das scheinbar „Gute“ ist und wie es von jedem beliebig benutzt werden kann – selbst von den extremsten Gewalttätern.

In Deutschland werden die Bezüge auf Religion in der Politik glücklicherweise noch nicht geteilt, aber dadurch auch viel zu wenig beachtet. Dabei kann sich all dies schneller ändern, als viele in Unkenntnis der gegenwärtigen Realität vermuten würden. Nach neuesten Statistiken vom April 2005 glauben 63 % der Amerikaner, dass die Bibel das „Wort Gottes“ ist und wörtlich zu verstehen sei und nur 24 % glauben dies nicht. Ihnen geht es darum, ob Satan oder Gott die Oberhand behält, und das „Böse“ sind nicht nur die berüchtigten Diktatoren, sondern vor allem Liberale, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle und Feministinnen. „Die feministische Agenda kümmert sich nicht um Frauenrechte. Es handelt sich hierbei um eine sozialistische, antifamiliäre Bewegung, die Frauen dazu auffordert, ihre Ehegatten zu verlassen, ihre Kinder zu töten, Hexerei zu betreiben, den Kapitalismus zu zerstören und Lesben zu werden“. Sie sind fest davon überzeugt, dass der Anti-Christ eine neue Religion gründet, und machen dies an der aus der Hippie- und Protestbewegung der in den 60er Jahren entstandenen New-Age-Szene fest. Dieser werden Häresie, Paganismus, Okkultismus, Dämonenglaube und Teufelsdienst vorgeworfen. Tatsächlich ist es ja auch so, dass aus dem New Age mittels Anleihen bei den etablierten Glaubensrichtungen Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus gepaart mit Astrologie, Spiritismus, Magie, Tiefenpsychologie, Naturheilkunde und Drogenexperimenten eine neuer „synkretistischer Religionsmix“ entstanden ist. Aus dem religiösen Feminismus vor allem, der sich offen zur Hexentradition bekennt und seine eigenen Riten praktiziert, ist spätestens zur Jahrtausendwende die aufblühendste „neue“ Religionsform erstanden, die fast als einzige der derzeitigen Religionen täglich Zuwächse statt der Austrittswellen verbuchen kann.

Fast ganz Amerika schaut zudem argwöhnisch bis verachtend auf Europa, denn die hiesigen Werte, wo kaum noch jemand in die Kirchen geht, sind vollkommen andere. Eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, dass hier der Anti-Christ geboren wird, und leitet diese Ansicht aus der „Offenbarung“ ab. Dieser hat als „Tier“ zehn Hörner und zehn Könige, die noch nicht zur Herrschaft gelangt sind, und jene stehen für das „Alte Europa“, das vor der Erweiterung zehn Mitgliedsstaaten hatte. Die zwölf Sterne in der europäischen Flagge sind die |corona stellarum duodecim| (die Zwölf-Sternen-Krone) des apokalyptischen Weibes. Wo in der herkömmlichen Kirche diese Kirche die Braut Gottes ist, ist das satanische Gegenstück die Hure Satans. Diese ist von der Sonne bekleidet und schwanger, sie steht mit den Füßen auf dem Mond und trägt den Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Europa hat seinen Namen von der kretanischen Zeusgeliebten Europa, und da in der EU-Ästhetik diese auch auf dem Stier abgebildet wird, sei das der Beweis aus der Offenbarung: „Dort sah ich eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das über und über mit gotteslästerlichen Namen beschrieben war“. Das alles habe Tradition: Schon in der Hymne Europas, Friedrich Schillers „Ode an die Freude“, vertont von Beethoven in seiner 9. Symphonie, wird die heidnische Göttin besungen, die durch magische Mittel alle Menschen zu einer anti-christlichen Bruderschaft vereinigen wolle. Da diese als Hure Babylons bezeichnet wird, sieht man die Sprachenvielfalt Europas auch als Zeichen der in der Bibel verwendeten Sprachverwirrung zu Babel.

Linke Christen machen – müsste ich in diesem austauschbaren Chaos eine Realität wählen, wäre mir diese Sichtweise viel sympathischer – dagegen all das in den USA selber aus. Sie sehen im globalen amerikanischen Kapitalismus die große Hure und setzen in der Offenbarung für die Bezeichnung „Babylon“ das Wort „Amerika“ ein: Die Nation Babylon (Amerika) ist von Wassern umgeben. Die Völker der Welt müssen das Meer überqueren, um mit ihr Handel zu treiben. Sie wird von Menschen verschiedener Rassen bewohnt, einem Völkergemisch, das dem amerikanischen |melting pot| entspricht. Sie ist militärisch äußerst mächtig, sie ist arrogant, stolz und überheblich. Die anderen Nationen der Erde werden von ihr beherrscht. Sie ist die größte ökonomische Macht, so dass die Kaufleute der Erde um sie weinen, als ihr Untergang bevorsteht, weil niemand mehr ihre Waren kauft. Durch ihre ökonomische Macht kontrolliert sie die Welt. Ihre Einwohner leben in Überfluss und Luxus, und so fort – alles Bibelverweise.

Einig ist man sich aber darüber, dass die Schlacht der Apokalypse im Nahen Osten stattfinden wird, und diese Ansicht wird von den Juden, den Christen wie den Mohammedanern geteilt. Begonnen – in der Wahrnehmung dieser Art – habe alles mit dem Attentat auf das World Trade Center am 11.9.2001, obwohl das in diesem Zusammenhang recht eigentümlich anmutet: Angegriffen wurden ja keine Symbole des Christentums, sondern solche des Kapitalismus und der profanen westlichen Gesellschaft. Wenn es um einen religiösen Angriff ging, dann höchstens gegen das System der Gottlosigkeit, wie es alle fundamentalistischen Vertreter des Islam bis dahin auch vertreten hatten. Interessant war die Reaktion US-Amerikas, das sich sofort auf den Iran und Saddam Hussein einschoss, obwohl der mit den Attentaten nachweislich wohl am wenigsten in Zusammenhang zu bringen war. Dass dies dennoch in solcher Weise geschah, hat aus religiöser Betrachtung mit der ältesten überlieferten „apokalyptischen“ Geschichte des Kampfes Gut gegen Böse zu tun – dem babylonischen „Enuma Elish“, wo Marduk (das Gute geordnete Männliche) gegen seine Großmutter Tiamat (das Böse chaotische Weibliche) antrat. Die späte „Hure Babylon“ aus der Johannes-Offenbarung ist noch diese Tiamat. Der babylonische König Nebukadnezar II. (604 – 561 v. Chr.) erbaute einen Marduk-Tempel und eroberte Jerusalem. Als dessen Wiedergeburt und Nachfahre sah sich Saddam Hussein, der, wie auch schon Alexander der Große, Babylon (Bagdad) wieder zum Großreich aufbauen wollte und auch als Eroberer von Jerusalem in die Geschichte einzugehen gedachte. Er setzte alles ein, um die enorme kulturelle Erbschaft der ältesten Zivilisation wiederaufleben zu lassen, und veranstaltete ritualisierte Feste, auf denen man die archaischen Zivilisationen des Zweistromlandes feierte. Stein für Stein ließ er das berühmte Tor der Ischtar wieder aufbauen, versehen mit der Inschrift „Ischtar – die Überwinderin der Feinde“. Ischtar war die babylonische Kriegsgöttin, stand aber im kultischen Dienst des Marduk. Hussein war als Inkarnation Nebukadnezars gleichzeitig auch Gott Marduk selbst. Sein Slogan „Mutter aller Schlachten“ aus dem ersten Golfkrieg war eine Metapher aus den „Hymnen an die Ischtar“. Die Amerikaner sprachen danach von der „Mutter aller Bomben“, die sie einzusetzen drohten, was glücklicherweise nicht geschah. Mit dem Bezug auf die alten Traditionen suchte Hussein nach einem Mythos, der die Spaltung des Landes zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden überwinden konnte. Mit seiner „Babylonisierung“ des Landes wollte er eine irakische Identität jenseits aller ethnischen Unterschiede, jenseits des Islams und jenseits der sozialistischen Baath-Partei erreichen, die sich von der übrigen arabischen Welt unterschied.

Für die christlichen amerikanischen Fundamentalisten war aber genau das das Schreckensbild. Babylon und Nebukadnezar verkörpert für sie den Anti-Christen. Nebukadnezar war der Weltherrscher und Satan bezeichnet man ja auch als „Fürsten der Welt“. Schon für Bush sen. war Saddam Hussein deswegen die Inkarnation des leibhaftigen Teufels. Und dessen Festnahme 2003, als man ihn aus seinem Bunkerversteck holte, war für Bush jun. eine höchst religiöse Angelegenheit. Durch ihre Bibelinterpretationen ist das Wichtigste im gegenwärtigen „heiligen Krieg“ die Auseinandersetzung mit Jerusalem als gutem und Babylon (Irak) als bösem Sinnbild – alles andere Islamische steht weit hinten an.

Sie erwarten die Wiederkehr des Messias, und nur durch solche Mythen konnte auch ein Arnold Schwarzenegger überhaupt seine Wahlen zum Gouverneur von Kalifornien gewinnen, denn er spielte in mehreren Filmen einen apokalyptisch-messianischen Helden, der mit übermenschlicher Kraft und brutalster Gerechtigkeit das Böse vernichtet und dem Guten zum Sieg verhilft. Die Mehrheit der Amerikaner wartet auf den „Christus mit der Knarre“. Für das hiesige christliche Denken ist das sehr entfernt vom Pazifismus des Neuen Testaments, aber in den Evangelien gibt es genügend Stellen, die Derartiges anklingen lassen; spätestens in der Johannes-Offenbarung hat der dort prophezeite blutrünstige Messias nichts mehr zu tun mit dem leidenden, sich selbst aufopfernden und auferstandenen Christus der Evangelien. Die ganze Propaganda für die im Krieg befindlichen Soldaten ist auf den wirklichen Kampf gegen den Teufel ausgerichtet. Selbst die bekannt gewordenen Folterungen stehen in diesem Zusammenhang, die von fundamentalistischen christlichen Generälen angeordnet waren. Was die islamische Welt so sehr in Aufregung versetzte, war genau das, was auch bezweckt war. Es waren religiöse Demütigungspraktiken an den Gefangenen, die gezwungen wurden, dem Islam und Allah abzuschwören, Schweinefleisch zu essen, Alkohol zu trinken (was nach dem Koran verboten ist) und Jesus Christus dafür zu danken, dass sie nicht noch mehr gefoltert werden. Im Grunde geht es dem amerikanischen Militär im ganzen Krieg und der Praxis an den Gefangenen um einen Exorzismus. Die christlichen Gebete der Amerikaner sind auch nicht mit unseren stillen privaten Gebeten vergleichbar. Dort sind es inszenierte Massengebete mit zunehmend aggressiven Inhalten. Die Soldaten der Marines im Irak-Krieg haben ein Mini-Gebetbuch in der Tasche („Die Pflicht des Christen“), worin es Seiten zum Herausreißen gibt, die an das Weiße Haus geschickt werden und in denen vorgedruckt vermerkt ist, dass der Soldat für George W. Bush bete. „Ich habe mich verpflichtet für Sie zu beten, für Ihre Familie etc.“. Christliche Fundamentalisten sind auch der Ansicht, dass Bush nicht durch Wahlen an die Macht kam, sondern direkt durch das Eingreifen Gottes.

Der Islam kämpfte stets gegen „Satan Amerika“ als Symbol der Gottlosigkeit. Erst nach 2001 erkannten die Impulsgeber, dass sie es mit einem religiös geleiteten christlichen Gegner zu tun haben, der offensiv einen Krieg gegen den Islam begonnen hat. Da es offensichtlich im Zentrum im Grunde noch immer um den Kampf um die heilige Stadt Jerusalem geht, wurde ein realer Krieg der Religionen offenbar perfekt. Nunmehr wird in den islamischen Ländern lauthals und ohne Hemmung zum Krieg der Religionen aufgerufen, und Amerika ist noch vor Israel der gemeinsame Feind Nr. 1. Und dem fundamentalchristlichen Amerika ist das nur recht so. Allah ist für sie sowieso nur ein Mondgott von Mekka, was das Emblem der islamischen Mondsichel zeigt. Er ist ein anderer Gott als Jehova, und Mohammed war aus ihrer Sicht ohnehin nur ein von Dämonen besessener Pädophiler, der zwölf Frauen hatte, und was er lehrte, sei keine friedliche Religion. Mohammed gilt als erster Terrorist. Entsprechende christlich-fundamentalistische Internetseiten rufen genau wie Araber inzwischen zur Tötung jedes Mohammedaners auf, mit den schändlichsten, abscheulichsten Beschreibungen, wie dabei vorzugehen sei. Araber seien Abschaum und die Moscheen sollten niedergebrannt werden. Auf Mekka und Medina sollen Atombomben fallen, und sogar der US-Senator Guy W. Glodis verteilte 2003 Flugblätter, in denen stand, muslimische Extremisten sollten mit den Innereien getöteter Schweine begraben werden.

Amerika führt keine Befreiungskriege im arabischen Raum, sondern missionarische Kreuzzüge, um die Mohammedaner zum Christentum zu bekehren. Leidtragende im Irak sind dann allerdings auch die dortigen einheimischen christlichen Kirchen, die unter Sadam Hussein Religionsfreiheit genossen und keine Konflikte mit der muslimischen Mehrheit hatten. Seit dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten werden aber auch diese nunmehr von den Untergrundorganisationen attackiert – ihre Kirchen werden in die Luft gesprengt und einheimische Christen werden wegen ihres Glaubens ermordet. Die armenischen, assyrischen und chaldäischen Religionsgemeinschaften stehen im Visier der islamischen Fundamentalisten und sind auf der Flucht ins Ausland. Dabei waren alle einheimischen Christengemeinschaften aus dem Nahen und Mittleren Osten gegen den Präventivschlag der Amerikaner. Die orthodoxe Kirche im Heiligen Land gab feierlich bekannt, George Bush, Donald Rumsfeld, Tony Blair und dem britischen Außenminister Jack Straw sei es verboten, die Geburtskirche in Bethlehem zu betreten. Die irakischen Christen verglichen nach dem Fall von Sadam Hussein die US-Besetzung ihres Landes mit der Kreuzigung Christi. Vor allem die katholische Kirche aber machte unter Papst Johannes Paul II. Front gegen den Irak-Krieg. Bei Demonstrationen vor dem Weißen Haus wurden hochrangige Religionsvertreter wie der römisch-katholische Bischof Thomas Gumbleton festgenommen. Ausschlag für die Wut in der islamischen Welt ist das offensichtliche Verhalten der Amerikaner, die im berüchtigten Folterknast Guantamano Koranausgaben vor den Augen der Inhaftierten die Toiletten herunterspülen. Nach der Scharia werden solche Religionsverbrechen mit der Todesstrafe geahndet, da Gott selbst wegen solcher Verunglimpfung höchstpersönlich attackiert werde. Diese Respektlosigkeiten führen zu mehr Unmut in der arabischen Welt als die Demütigungen der Folterskandale von Abu Ghraib. Entschuldigungen der US-Regierung werden für Lügen gehalten, was auch wahrscheinlich so ist, denn die Verantwortlichen an der Spitze der Befehlskette – wie Drei-Sterne-General William Boykin (Gotteskrieger, Islamhasser und Teufelsaustreiber) und Donald Rumsfeld – bleiben in ihren Machtpositionen. Aber auch der Präsident George Bush selbst teilt deren Ansichten, dass es ein Kampf gegen das Böse – den Islam – sei. Der US-Psychiater und Gewaltforscher Robert Jay Lifton hält dessen Strategie, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in Kombination mit der fundamentalistischen Religiösität als wiedererweckter Christ und dem Supermacht-Syndrom für eine der gefährlichsten Kombinationen, denen die Welt gegenübersteht. Seit 2001 benutzt Bush den Begriff Kreuzzug, was für die islamische Welt Osama Bin Laden bestätigt, der bereits in seinem Statement zum 9/11 vom „neuen jüdischen Kreuzzug, der von dem großen Kreuzzügler Bush unter der Flagge des Kreuzes geführt wird“ sprach.

Die Gründung Groß-Israels mit Jerusalem als Hauptstadt geht nach Ansicht der fundamentalistischen Christen wie auch der Juden dem zweiten Kommen Christi bzw. dem Messias voraus. Das schweißt die Christen mit der radikalen zionistischen Siedlerbewegung für ein Zweckbündnis zusammen. Sie wollen dafür ein Israel, das sich von der Sinai-Wüste bis zum Euphrat-Fluss erstreckt und das heutige Israel, den Libanon, die Westbank von Jordanien, wesentliche Teile von Syrien, Irak und Saudi-Arabien umfasst. Die Nazis unter Hitler, welche das auserwählte Volk in das auserwählte Land zurücktrieben und somit halfen, die bedeutendste Prophezeiung zu erfüllen, werden deswegen auch als ein Instrument in der Hand Gottes gewertet. Auch im Islam sei man der Ansicht, dass der Holocaust – das Abschlachten der Juden durch Nazis – eine der bösen Taten der Juden selbst war, denn es sei von jüdischen Führern geplant und Teil der eigenen Politik gewesen. Unter den Christen wird nun ein zweiter Holocaust unter den Juden erwartet, dem zwei Drittel zum Opfer fallen sollen; das restliche Drittel würde dann zum Christentum bekehrt. Das gegenwärtige freundschaftliche Bündnis zwischen Christen und Juden sei nur ein Zwischenschritt, bevor die Christen in gewohnt antisemitischer Weise brutal gegen die Juden vorgehen wollen.

Es geht nicht darum, dass alle Juden Zionisten wären – was ja die israelische Friedensbewegung unter Beweis stellt, ebenso wie manche orthodoxe Rabbis, die eine Auflösung Israels wollen und einen gesamtpalästinensischen Staat unterstützen, weil sie den atheistischen Zionismus ablehnen. Sie erwarten nicht die Ankunft Israels, sondern die Ankunft des Messias. Den Unabhängigkeitstag Israels begehen sie als Trauertag und arbeiten eng mit der palästinensischen PLO zusammen. Die erneut die Macht übernehmenden radikalen Siedler in Israel aber berufen sich auf die Geschichte, wie man sie auch in der Bibel nachlesen kann, und dort kann jeder die Abscheulichkeiten der Juden unter Gottes Befehl an nichtjüdischen Stämmen und Volksgruppen nachlesen. Es ist widerwärtig und ohne jegliche Moral, in welcher Weise da „geschlachtet“ wurde. Josua, der damals Jericho stürmte, 31 Stammesführer verstümmelte und bei der Eroberung der Stadt Ai zwölftausend Frauen und Männer abschlachtete, ist heute das Vorbild der israelischen Armee. Ihr Gott Jahwe geht aber auch genauso gegen das eigene Volk vor, wie das Massakrieren der dreitausend Anbeter des Goldenen Kalbes, welche die Führerschaft Moses in Frage stellten, aufzeigt.

Die Propaganda westlicher „Krieg gegen den Terror“-Akteure wie Bush und Blair ist ähnlich wie früher jene gegen den Kommunismus. Es gibt auch tatsächlich viele Ähnlichkeiten zwischen Kommunismus und dem neuzeitlichen Islamismus. Beide haben den westlichen Kapitalismus und internationalen Wirtschaftsimperialismus als Gegner, beide zielen auf eine Weltrevolution, beide sind international und nicht nationalistisch ausgerichtet, beide berufen sich auf die Massen (die einen auf das Proletariat, die anderen auf die „Umma“, die Gemeinschaft der Muslime). Der Unterschied ist, dass sich der Kommunismus an einer politischen Theorie orientiert, der Islamismus aber an einer politischen Theologie. Der Islamismus hat aber bei seiner Herausbildung Anleihen bei der kommunistischen Ideologie gemacht, hat sich einen dialektischen Denkstil zugelegt und eine internationale Revolutionstheorie entwickelt. Gegenwärtig verfügt er über eine effektive Agitprop-Erfahrung und hat viel von den kommunistisch gefärbten Guerillabewegungen der Dritten Welt gelernt. Trotz dieser Modernisierung leitet sich die Theorie aber dogmatisch aus der Tradition des Islam ab. Ihre Theoretiker konnten religiöse, archaische und mythisch-mystische Gesellschaftsentwürfe in einer modernen, rationalistischen Sprache darstellen. Waren es im letzten Jahrhundert noch Vertreter von Bruderschaften, die nach der Scharia lebten, geht es seit den Achtzigerjahren um den Heiligen Krieg für eine islamische Weltherrschaft. Vom Kommunismus unterscheidet sich dies darin, dass der Islamismus nicht in einer internationalen Partei organisiert ist; die vielen Gruppen werden nicht in einer „Islamistischen Internationale“ präsentiert. Dennoch ist daraus mittlerweile eine weltweite Kulturströmung innerhalb des Islam geworden.

Al Qaida ist die einzige Organisation, die an eine Islamistische Internationale erinnern könnte, ist aber mit der Rolle der Kommunistischen Internationale dennoch nicht vergleichbar. Die gefährlichen Selbstmordattentate waren früher im Islam verboten, jedenfalls bei den Sunniten, der Mehrheit der Mohammedaner. Heutzutage werden solche Attentate viel häufiger durch Sunniten begangen als durch traditionelle Märtyrer-Operationen der Schiiten. Zu dieser Entwicklung haben die Israelis beigetragen, als sie in den 80er Jahren palästinensische Aufständige und Fatah-Kämpfer, die alle Sunniten waren, in den Libanon deportierten, wo diese in Kontakt zu der schiitischen Hisbollah traten. Aus dieser Begegnung entstand eine explosive Waffenbrüderschaft und Gesinnungsgemeinschaft, so dass der israelische Premier Yithak Rabin bekannte: „Wir haben den Schia-Geist aus der Flasche entlassen“. Die Hamas und der Islamische Djihad exportierten in kürzester Zeit die Märtyrerideologie der Hisbollah. Seitdem gilt der Selbstmord auch bei Sunniten als ein religiöses Urereignis und Erfüllung der heiligen Schriften. Das Shabad (Martyrium) ist in allen islamischen Ländern zu einem umfassenden und aufregenden Kulturphänomen geworden. Psychologen bestätigen ein umfassendes Glücksgefühl, das entsteht, wenn es die Attentäter zerfetzt. Der Gesichtsausdruck kurz vor der Explosion zeigt das bassamat al-farah, das Lächeln der Freude. Wie Jesus „erscheinen“ die Attentäter danach aus dem Jenseits ihren Verwandten und versichern, dass sie noch am Leben sind, weswegen das Ereignis auch nicht betrauert sondern gefeiert wird. Mütter brechen in Freudengeschrei aus. Die Attentäter seien ja jetzt für ewig im Himmel und könnten siebzig Familienmitglieder auswählen, die das Paradies ebenso betreten dürfen.

Das erste große Ereignis, das den Islam nach zweihundertjähriger Ohnmacht aufwachen ließ, war die iranische Revolution durch Sayyed Ruhollah Khomeni, der sich auch Ayatollah („Zeichen Gottes“) nennen durfte. Dieser bekämpfte im Iran-Irak-Krieg Saddam Hussein, der für ihn ein Handlanger der Amerikaner und Israelis war. Die Geschichte wird erst noch zeigen, wie verheerend und falsch für die Weltpolitik der Sturz Saddams durch die USA gewesen war. Khomeni war für Millionen von Muslimen die Erlöserfigur und der islamische Staat die Prophezeiung für das Erscheinen des Mahdi, des verborgenen Imam. Er war der Erste, der von den USA als „Satan USA“ sprach. Es war das erste islamische Land, das den Islamismus internationalisieren wollte, mit dem Ziel einer einzigen Welt-Ordnung (Ommat) innerhalb eines andauernden Kampfes, um die entrechteten und unterdrückten Nationen der Welt zu befreien. Diese iranische Revolution hatte für den gesamten Islam den Charakter eines mythischen Primärereignisses. Sie war eines der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts und gab dem Islam sein Selbstbewusstsein zurück. Das Erscheinen des Mahdi ist in den Prophezeiungen allerdings auch mit der vollständigen Vernichtung der Juden verknüpft, die diesem Ereignis vorausgeht. Der Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis wird deswegen zur Schicksalsfrage des gesamten Islams und der ganzen Welt hochstilisiert. In diesem Punkt treffen sich die islamischen Fundamentalisten mit den jüdischen und christlichen.

Damalige Staatstheorien im Iran wurden selbst von Philosophen wie Jean Paul Sartre als beste zeitgenössische Religionsmodelle verteidigt. Und der geistige Mentor von Osama Bin Laden, der saudische Scheich Safar al-Hawali, hat auch eine fundierte Kulturkritik des Westens vorgelegt, in der er ein kriegerisches und dekadentes Bild der westlichen Kultur und Historie zeichnet. Als barbarisch deklariert er unter anderem: den Kolonialismus und den Imperialismus, den Sklavenhandel, die Vernichtung der Indianer in Amerika, die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, die Tötung von Frauen und Kindern in Afghanistan und im Irak. Angesichts dieser grausamen Geschichte und Gegenwart habe der Westen nicht das Recht, der übrigen Welt sein angebliches Wertesystem aufzupropfen, an das er sich selber nicht halte. Dagegen sei das muslimische Wertesystem das wahre Band, das die gesamte Menschheit umschließen könne und der allgemeine Nenner der positiven Facetten aller Kulturen. Die Menschenrechte, die Freiheit der Religionsausübung, Friedfertigkeit und Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Würde der Persönlichkeit, Recht auf Meinungsäußerung sei im Islam besser garantiert als in der westlichen Kultur. Denker wie Giordano Bruno und Galileo Galilei wären in einer muslimischen Gesellschaft niemals mundtot gemacht worden. Selbst die Juden hätten immer mehr Rechte in der islamischen Gesellschaft genossen als in der abendländischen. al-Hawali nimmt die Position eines an humanpolitischen Werten orientierten Kulturkritikers in Anspruch. Er sieht den Westen als religiöses System und kämpft gegen „Christen und Kreuzzügler“, die das zweite Kommen Christi mit Atomwaffen herbeibomben wollen.

Der Irak-Krieg ist daher zweifelsfrei ein Religionskrieg. Sein Schüler Bin Laden und dessen al Qaida kämpfen daher auch zuerst gegen „Christen und Juden“ und dann erst gegen westlichen Kapitalismus und die liberale Mediengesellschaft. Das Banner, unter dem Bush und Blair kämpfen, ist das Kreuz. Osama Bin Laden fordert aber auch die Aufrüstung der arabischen Welt mit Atombomben. Der zweite Mann in der al Qaida, der Ägypter Ayman al-Zawahri, sagt offen, dass seine Organisation bereits über Atomwaffen verfüge. Wenn man über dreißig Millionen Dollar verfügt, geht man einfach auf den schwarzen Markt in Zentralasien, kontaktiert dort irgendeinen der enttäuschten sowjetischen Wissenschaftler und erhält eine ganze Menge von Angeboten an smarten Aktentaschenbomben. Solche atomare Kofferbomben seien längst erworben.

Osama Bin Laden gilt im Westen als losgelassener Teufel, als Instrument des Bösen. Das begrüßen die Mohammedaner, denn dadurch wird er in den Augen der Unterdrückten und Verdammten in der Welt umso mehr zum Helden. Im gegenwärtigen Spektrum der islamischen Führer gibt es niemand Vergleichbaren. Er ist der Einzige, der eine wirklich internationale Organisation aufgebaut hat, die überall in der Welt zuschlagen kann, und verfügt über große Gefolgschaft in der islamischen Welt bis hin zu den Immigranten-Generationen in Nordamerika, Europa und Australien. Obwohl er der Mastermind der schlimmsten Terrorattacke in der Geschichte war, ist seine Popularität in keiner Weise zurückgegangen. Für die Muslime hat er die Rolle eines Erlösers, eines mystischen Heiligen. Sein bisher nicht entdeckter Aufenthaltsort ist der mystische Ort der Verborgenheit, von wo aus er demnächst entweder selbst als Mahdi aufbricht oder von wo er zumindest das Kommen des muslimischen Mahdis vorbereitet. In ausgestrahlten Videoclips sieht man ihn vor einer Schrift in arabischer Sprache, die übersetzt besagt: „Der erwartete Erleuchtete“. Seit 2001 lässt er sich zusätzlich Mohammed nennen, denn eines der Kennzeichen des Mahdi ist, dass dieser den Namen des Propheten trägt. Als Anti-Amerikaner ist er selbst für Nicht-Muslime der Dritten Welt zu einem charismatischen Sozialrebellen in der Nachfolge Che Guevaras geworden. Er ist eine internationale Kultfigur. Alle „Terror-Experten“ sind sich einig, dass al-Qaida als zentrale und logistisch handelnde Organisation kaum noch existiert. Aber um so mehr wirkt sie als Ideologie, als Bewegung, als Mythos, als Symbol. Al Qaida ist zum islamischen Urbild geworden, mit bin Laden als optischem Mittelpunkt. Diesem neuen Archetyp gelingt es, immer neue Terrorgruppen aus sich heraus zu gebären, ohne diese selber organisieren und finanzieren zu müssen. Al Qaida selbst ist durch Waffen gar nicht angreifbar. Sie ist eine realitätsträchtige Imagination. Würde bin Laden getötet, täte dies dem Mythos keinen Abbruch, sondern würde diesen nur noch mehr steigern.

Was sich in der politischen Welt in den letzten Jahren vollzieht, entspricht schon zum Großteil den islamischen Endzeit-Prophezeiungen. Der Afghanistan-Krieg und der darauf folgende Irak-Krieg wurden in den traditionellen Khurasan-Prophezeiungen vorhergesagt. Dort wird das Erscheinen des Mahdi aus den Grenzgebieten zwischen Iran und Afghanistan vorhergesagt, die früher den Namen Khurasan trugen. „Schwarze Banner werden aus Khurasan kommen. Keine Macht wird sie stoppen können, bis sie schließlich Jerusalem erreichen, wo sie ihre Flaggen hissen. Wenn du die schwarzen Banner siehst, die aus Richtung Khurasan kommen, dann schließ dich ihnen an, selbst wenn du kriechen musst, denn unter ihnen wird Allahs Kalif, der Mahdi, sein“. Da Khurasan der Name für das heutige Afghanistan war, wurden die Taliban, die schwarze Turbane, weiße Gewänder und schwarze Fahnen trugen, von den Muslimen der Welt als Mahdi-Armee klassifiziert. Nach der Khurasan-Prophezeiung wird es dem muslimischen Messias gelingen, den Streit zwischen Sunniten und Schiiten zu beenden und „Millionen Mujaheddin, die schwarze Banner tragen, werden vom Iran und den unabhängigen islamischen Staaten der kollabierten Sowjetunion in die arabische Insel in Kolonnen von Fahrzeugen hinabfahren, mit keinerlei anderer Absicht, als dem Mahdi persönlich Gefolgschaft zu schwören, Hand in Hand und ohne Vermittler.“

Tatsächlich hat die Festnahme Saddam Husseins durch die Amerikaner, die von allen islamischen Fundamentalisten begrüßt wird, es ermöglicht, dass sich jetzt al-Qaida und ehemalige Taliban-Anhänger in Bagdad treffen und dort neu gruppieren, um die Endzeit-Armee aufzubauen. Der Irak ist ein integraler Bestandteil der Mahdi-Prophezeiung. Hätte Saddam Hussein seine Herrschaft fortgesetzt, wäre er zu einem Widersacher des Mahdi geworden. Im Irak sind gegenwärtig zwei bedeutende Fundamentalisten-Führer am Wirken. Dies ist einen der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, der mit den Palästinensern gegen das jordanische Königshaus agierte und am Krieg gegen die Sowjetbesatzer in Afghanistan teilnahm. In Pakistan baute er seine eigene Djihad-Organisation auf, die auch in Europa über ein großes Netzwerk verfügt. Kurz hielt er sich dann im Iran auf, organisierte die Ermordung des amerikanischen Botschafters Laurence Foley in Jordanien und ging dann in den Irak, wo er vor allem durch die schockierenden Videos seiner Organisation Aufmerksamkeit erlangt, in denen Geiseln um ihr Leben bitten, bevor sie enthauptet werden. Zuerst agierte er unter eigenem Namen, aber 2004 schloss er sich der al-Qaida an und wurde von bin Laden als militärischer Führer für das Land der beiden Flüsse, Irak, bestätigt. Er gehört zu den Sunniten und sieht in den Schiiten seine traditionellen Erbfeinde, die er ebenso bekämpft wie die Kreuzzügler. Der zweite gefährliche Mann im Irak ist Muqtada al-Sadr, allerdings ist dieser radikaler Schiitenführer. Seine Miliz trägt den Namen Mahdi-Armee und diese tragen wie die afghanische Taliban entsprechend der Khurasan-Prophezeiung schwarze Turbane und schwenken schwarze Fahnen. Er will Befreiung, Friede und Gerechtigkeit für sein Volk und gilt auch bei engagierten Muslimen im Westen als eine Figur wie Jeanne d`Arc, ebenso wie sie ist er Soldat und Heiliger. Nach den Kämpfen mit den Amerikanern, wo er als Terrorist galt, versucht er derzeit auf legale Weise in der irakischen Politik mitzumischen. Durch die politischen Änderungen im Iran kann sich das alles aber auch ganz schnell wieder ändern. Entgegen den Prophezeiungen ist es bislang aber nicht gelungen, dass der kommende Mahdi Sunniten und Schiiten vereinigen würde. Zumindest im Irak und in Pakistan sind die alten Konflikte zwischen beiden Gruppierungen wieder voll ausgebrochen.

Die von Scheich Achmed Yassin gegründete palästinensische Hammas, ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft, gilt ebenso als Endzeit-Armee des Mahdi. Sie war schon immer die militant-islamische Alternative zur PLO und hat diese in den jüngsten Wahlen (Januar 2006) der Macht beraubt. Im Gegensatz zur PLO sieht sie den Israel-Konflikt nicht als politisches, sondern als religiöses Phänomen. Sie treten für die theokratische Staatsform (Scharia) mit dem Koran als eigentlicher Verfassung ein und für den Djihad als religiöse Pflicht für jeden Muslim. Das edelste Mittel dabei sind die Märtyrer-Operationen. Die Hamas-Charta fordert die Absage an alle internationalen Konferenzen und Verhandlungen, die sich kompromissbereit mit der Landfrage in Palästina auseinander setzen. Sie wollen die vollkommene Vernichtung Israels. Ihre Statements sind der Spiegel zur radikalen israelischen Siedler-Position – keine Kompromisse im Kampf der Endzeit-Apokalypse. Mit ihrem Machtantritt sehen sie das Auferstehen des Mahdi näher gerückt.

Als im Sommer 2005 Mohammed Ahmadinejad überraschenderweise zum neuen Staatschef des Irans gewählt wurde, jubelte ebenso der fundamentalistische Islam. Sein Wille, sein Land Atommacht werden zu lassen, und die Zeichen dafür, dass er eventuell schon über Atombomben verfügt – jedenfalls verfügt er bereits über Langstreckenraketen, die Städte Mitteleuropas erreichen können –, liegen ganz im Sinne der islamischen Weltrevolution. Auch dass die Schiiten im benachbarten Irak die Mehrheit der Bevölkerung stellen, macht das Ende des Iran-Irak-Konfliktes möglich; die Verteidigungsminister der beiden Länder (Iran und Irak) haben sich auch schon unter misstrauischen Blicken des Westens getroffen, um über eine robuste militärische Kooperation zu verhandeln. Ahmadinejad will die Ungerechtigkeiten in der Welt ausrotten und eine Welle islamischer Revolutionen in der ganzen Welt entfachen.

Sofort nach seiner Wahl als Präsident empfing er den Generalssekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah. Die Hisbollah ist die bekannteste schiitische Widerstandsorganisation, deren Hauptziel die Bekämpfung Israels ist. Die Hisbollah, wurde obwohl aus Libanesen bestehend, 1982 durch den Iran gegründet und proklamiert eine islamische Republik nach dem Vorbild Irans. Trainiert wurde sie von den Revolutionären Garden Khomenis. Als Partei Allahs (Hisbollah) kämpfen sie gegen die Partei Satans. Sie haben in ihrer ganzen Geschichte keinen eigenständigen Kurs verfolgt, sondern befolgen vollkommen die Anweisungen aus dem Iran. Sie waren die ersten, die das Konzept der Märtyrer-Operationen in den radikalen Islam verankerten. Sie sind derzeit zwar friedlicher aufgetreten, aber sie warten auf die Direktiven aus Teheran.

In Europa bleibt die von Bassam Tibi konzipierte Vision des „Euro-Islams“ zwischen Tradition und europäischer Aufklärung leider aus, sie stößt bei den Immigranten auf wenig Zustimmung. Stattdessen entwickelt sich eine Symbiose des radikalen Islam mit den totalitären und nihilistischen Kulturströmungen des alten Europa. Der radikale Islam hatte sich ursprünglich ja auch sehr von den erstmals in Europa formulierten Revolutionstheorien stark beeinflussen lassen. Die Euro-Djhads machen Anleihen bei der revolutionären Linken. Das radikalisierte Jugendmilieu ist vergleichbar mit der 68er Revolte. Diese Jugendlichen sind keine vom Nahen Osten gesteuerte Gruppe mehr, sondern junge Muslime, die im Westen geboren, aufgewachsen und mit der westlichen Denkart vertraut sind. Sie nehmen denselben Platz ein, den die Proletarische Linke vor 30 Jahren inne hatte und die Direkte Aktion vor 20 Jahren. Sie leben in einer militanten Realität, die von der extremen Linken verlassen wurde, und wollen das System zerstören. Dass theoretische Kombinationen zwischen europäischem Existenzialismus und Islamismus möglich sind, zeigte sich schon, als Jean Paul Sartre bestimmte iranische Theoretiker wie Ali Schariati als den Höhepunkt einer modernen, revolutionären Religionsphilosophie lobte. Aufgrund der „Judenfrage“ ist eine Symbiose aber genauso auch mit der radikalen Rechten möglich. Bei beiden steht die Vernichtung der Juden ganz oben auf dem Programm. Weitere Berührungspunkte sind apokalyptisch orientiertes Krieger-Ethos, dessen Grundlage von Julius Evola geschaffen wurde, der sich dabei an den indogermanischen Kriegertraditionen der Kshatriya-Kaste und den japanischen Samurai orientierte. Der Heilige Krieg und der Heilige Krieger stehen im Zentrum dieser wie auch der islamischen Philosophie.

Ob die Apokalypse abläuft wie von allen drei abrahamitischen Religionen vorhergesagt, wird nun das Verhalten der in Palästina an die Macht gekommenen Hamas ausmachen, mit denen unbedingt Verhandlungen geführt werden müssten. Dass sie sich ansonsten mit der libanesischen Hisbollah vereinigen wird, liegt auf der Hand; ebenso, dass dann der Iran zuschlagen will, um Israel zu vernichten, dass dann in Ägypten die Muslimbruderschaften die Regierung stürzen werden, dass dies Nachahmer in anderen arabischen Ländern nach sich zieht. Die politische Lage ist wie über Nacht derzeit tatsächlich zu einem religiösen Krieg mutiert, wie die nicht mehr zu kontrollierenden Massenunruhen in der gesamten arabischen Welt (aufgrund den Islam verunglimpfender Karikaturen in europäischen Zeitungen, Februar 2006) deutlich zeigen. Dabei sind die Guten und die Bösen in der aktuellen Weltpolitik lediglich einander bekämpfende Brüder einer kranken monotheistischen abrahamitischen Religion, denen es ums Gleiche geht, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Alarmierend ist, dass sich dabei eine zunehmende Eigendynamik entwickelt, in der sich die verschiedenen islamischen, christlichen und jüdischen Fraktionen gegenseitig hochschaukeln. Die biblischen Prophezeiungen könnten sich aus sich selbst heraus erfüllen. Eiferer jeder der drei monotheistischen Religionen sind dabei, eine Reaktion von Schlag, Gegenschlag und Massenvernichtung auszulösen. Der apokalyptische Wahn kann unseren Planeten in Schutt und Asche bomben.

Aus dieser gefährlichen Perspektive heraus gesehen, stellen die Bücher von Victor und Victoria Trimondi – um an den Anfang der Inhaltsbeschreibung zurückzukehren – eine unverzichtbare Analyse und Bewertung von Endzeit-Apokalypsen in bestehenden Religionsformen dar. Das neueste Werk ist dabei der aktuellen Realität am entsprechendsten. Aber im Zusammenhang erscheint es dann durchaus notwendig, alle Religionen dahingehend zu untersuchen, denn es ist eine vordringliche Aufgabe der Aufklärung und des Humanismus, die Menschen vor der Destruktion des religiösen Wahns zu schützen. Aus dieser Perspektive heraus ergeben nunmehr alle drei Bände Sinn, wenn man sie im Zusammenhang dieser Forschung betrachtet.

_Victor und Victoria Trimondi
Krieg der Religionen
Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse
597 Seiten, Hardcover, Wilhelm Fink Verlag, Dezember 2005_
[ISBN 3-7705-4188-X]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/377054188X/powermetalde-21

http://www.trimondi.de

Links zu meinen themenverwandten Rezensionen und Artikeln:

Yassir Arafat
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2215

Geschichte Palästinas
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=15

Mit dem Konflikt leben – Palästina / Israel
http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=419

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=18

Von Mesopotamien zum Irak
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=36

Kriegsverbrechen der Amerikaner gegen den Irak
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Die Kriege der Familie Bush – Die wahren Hintergründe des Irak-Krieges
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Krieg gegen den Terror? Al-Qaida, Afghanistan und der Kreuzzug der USA
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Gottesstaat Iran
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Die satanische Ferse – Zur Psychopathologie des Islamfaschismus
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Feindbild Christentum im Islam
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Neue Welt-Krieg-Ordnung
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Bradby, Tom – Gott der Dunkelheit, Der

Wer bei seiner Lektüre gerne auf Spannung, Exotik und Historie setzt, der findet bei einem Autor ganz bestimmt den passenden Schmöker: Tom Bradby. Hat der Engländer bereits mit seinem 2004 in Deutschland erschienenen Werk „Der Herr des Regens“ bewiesen, dass er sich auf historischem Terrain an exotischer Stätte pudelwohl fühlt, so setzt er dies auch in seinem aktuellen Roman (mittlerweile sein insgesamt fünfter) „Der Gott der Dunkelheit“ fort.

[„Der Herr des Regens“ 2117 spielt 1926 in der pulsierenden Metropole Shanghai. „Der Gott der Dunkelheit“ ist in Kairo im Jahr 1942 angesiedelt. So wie Bradby sich für seinen Shanghai-Roman eine Zeit politischer Brisanz ausgesucht hat (Aufkommen des Kommunismus, blutige Niederschlagung der Studentenproteste), hat er das auch für sein aktuelles Werk wieder getan.

Rommel steht mit seinen Truppen vor den Toren Kairos. Alexandria wird bereits evakuiert, während man in Kairo noch beunruhigt auf jede Neuigkeit und jedes neue Gerücht von der Front wartet. Stets sucht Bradby sich Zeiten, in denen die Zeichen auf Veränderungen stehen, und so weiß auch in Kairo niemand, was der nächste Tag, die nächste Woche, der nächste Monat für Veränderungen bringen wird.

Es ist zu dieser unruhigen Zeit, als die Leiche eines ermordeten britischen Offiziers gefunden wird. Ein Offizier, der noch dazu an militärisch empfindlicher Stelle gesessen hat. Er hatte stets den Überblick über sämtliche Truppenbewegungen, Nachschubwege und die Gesamtlage der Armee. Über seinen Schreibtisch gingen jeden Tag Dutzende sensibler Daten. Und so verwundert es nicht, dass die Briten in dem Mord ein politisches Attentat vermuten – Stichwort Spionage.

Doch Joe Quinn, ein in Kairo gestrandeter ehemaliger New Yorker Polizist, ermittelt auch noch in eine andere Richtung. Da wäre beispielsweise Amy White, die hübsche Nachbarin des britischen Offiziers, die irgendetwas zu verbergen scheint. Hatten die beiden eine Affäre und Amys eifersüchtiger Ehemann hat den Nebenbuhler ausgeschaltet?

Doch dann geschehen zwei weitere Morde nach gleichem Muster. Allen drei Opfern wurde eine Abbildung von Seth, dem Gott der Dunkelheit, in die Brust geritzt. Quinn sucht weiter nach einer Spur des Täters und muss schon bald erkennen, dass es bei diesem Fall um mehr geht als um Liebe und mörderischen Hass. Was Quinn mit seinen Ermittlungen heraufbeschwört, ahnt er erst, als es für ihn selbst fast zu spät ist. Er gerät mitten in eine Verschwörung, und irgendjemand scheint es darauf anzulegen, Quinn von weiteren Ermittlungen abzuhalten – notfalls mit allen Mitteln …

Tom Bradby setzt mit „Der Gott der Dunkelheit“ das fort, was er in „Der Herr des Regens“ schon so wunderbar lesenswert angefangen hat. Er hat wieder einmal einen vielschichtigen und interessanten Thriller abgeliefert, der in fast noch höherem Maße als das Vorgängerwerk vor Spannung nur so strotzt. Temporeich und mit einer Prise Exotik spinnt er seinen Plot und lässt Zeit und Ort lebhaft vor dem Auge des Leser auferstehen.

Bradby schafft es auf besonders spannende Weise, die Historie aufzuarbeiten und in einen interessanten Plot zu packen. Besonders interessant ist dabei auch, dass er sich bevorzugt Orte heraussucht, die literarisch noch nicht ganz so abgegrast sind, und so wird der Pulsschlag der exotischen Metropolen in seinen Romanen zum Salz in der Suppe.

Es gibt dabei unverkennbare Parallelen zwischen „Der Gott der Dunkelheit“ und „Der Herr des Regens“. In beiden Romanen fällt Bradbys Figurenzeichnung recht vielschichtig aus. Es scheint, als habe es zur damaligen Zeit vor allem Polizisten in die Kolonien verschlagen, die irgendeinen dunklen Punkt ihrer Vergangenheit hinter sich zu lassen versuchen. Und so flieht auch Quinn vor seiner Vergangenheit in New York und sucht in Kairo einen neuen Anfang. Doch auch dort schlägt er sich mit neuen Problemen rum. Ein Jahr zuvor wurde sein Sohn überfahren und Quinn sucht verzweifelt den Schuldigen. Das belastet sowohl seine berufliche Arbeit als auch das Verhältnis zu seiner Frau Mae. Bradby verknüpft seine Thrillerhandlung auf irgendeine Weise auch stets mit persönlichen Schicksalen. Er verwebt das Personengeflecht eng mit der Handlung und erzeugt dadurch ein hohes Maß an Spannung.

In „Der Gott der Dunkelheit“ trifft der mit Bradby vertraute Leser dann auch ein paar alte Bekannte aus Shanghai wieder. Wer zuvor „Der Herr des Regens“ gelesen hat, der weiß die Loyalitäten dieser beiden Personen gleich richtig einzuschätzen, hat aber gegenüber dem unbedarften Leser dennoch kaum einen Vorteil. Bradby lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er mit MacLeod und Lewis zwei Personen aus Shanghai importiert hat, die schon früher eine recht zwielichtige Rolle eingenommen haben. Und auch im aktuellen Romanen tauchen sie wieder in mächtigen Positionen auf und hegen teils recht zweifelhafte Motive. Die weit verstreuten britischen Kolonien bieten halt immer irgendwo einen Schlupfwinkel für einen Neuanfang.

So wie bereits in „Der Herr des Regens“, lebt auch bei „Der Gott der Dunkelheit“ ein Teil der Spannung davon, dass man ahnt, dass der ermittelnde Held drauf und dran ist, in ein Wespennest zu stechen. Eine unterschwellige Bedrohung ist allgegenwärtig und man wartet als Leser förmlich darauf, dass der Gute sich schließlich im Räderwerk der Bösen verfängt.

Düster und beklemmend wirkt der Plot dadurch immer wieder. Mit Quinn setzt Bradby auf eine Hauptfigur, die sich nicht nur den kriminellen Elementen der Stadt stellen muss, sondern auch immer ihren eigenen Dämonen ins Auge blickt. Der Plot nimmt dadurch mitunter schon mal recht düstere und dramatische Züge an, die auch vor allem durch die kontrastierende Exotik Kairos unterstrichen werden.

Wie schon „Der Herr des Regens“, ist auch „Der Gott der Dunkelheit“ wahres Kopfkino. Bradby schreibt atmosphärisch dicht und zieht kontinuierlich die Spannungsschraube an. Wie schon den Vorgängerroman, mag man auch „Der Gott der Dunkelheit“ kaum zur Seite legen, wobei ich bei diesem Roman den Eindruck hatte, dass er noch spannender und dichter erzählt ist. Bradby schafft mit seinen historischen Thrillern Spannungslektüre allererster Güte.

Lediglich zum Ende hin schwächelt er ein bisschen. Besonders auf den letzten 50 bis 60 Seiten überschlagen sich die Ereignisse förmlich und die Auflösung, die Bradby am Ende parat hält, ist zwar größtenteils durchaus überzeugend, die Täterschaft an den Morden gerät darüber aber ein wenig ins Hintertreffen.

Dennoch bleibt der Roman als ausgesprochen hohes Lesevergnügen im Gedächtnis. Bradbys historische Thriller sind temporeich und vielschichtig erzählt, skizzieren eine interessante Epoche vor exotischer Kulisse und sind überaus spannend und mitreißend geschrieben. Wer historische Thrillerkost mag und mal zu etwas anderem als Ken Follett greifen will, dem sei Tom Bradby ausdrücklich ans Herz gelegt. Wer’s spannend mag, macht mit „Der Gott der Dunkelheit“ absolut nichts verkehrt.

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David Brin – Copy

David Brin gilt durch seine wissenschaftlich fundierten Romane als einer der großen Science-Fiction-Schriftsteller unserer Zeit, er wird von Verlagen gern in eine Reihe mit Isaac Asimov, Robert Heinlein und Arthur Clarke gestellt. Seine erste Romantrilogie aus dem »Uplift«-Universum sorgte für Furore und brachte ihm einige renommierte Preise ein.

Der vorliegende Roman »Copy« ist keinem Zyklus zugeordnet, sondern erzählt eine eigenständige Geschichte aus einer näheren Zukunft, die unter einem gigantischen Kulturschock leidet. Der Roman erhielt keinen ersten Platz in den wichtigen amerikanischen Preisverleihungen, Brin selbst rückt dieses Ergebnis auf seiner Homepage davidbrin.com ins rechte Licht: Während bei vier Preisverleihungen (Hugo Award, Locus Award, John W. Campbell Award, Arthur C. Clarke Award) je vier unterschiedliche Romane den ersten Platz belegten, war der universelle zweite Platz eben Brins »Copy«.

In naher Zukunft kommt es zu einer revolutionären Erfindung, mit deren Hilfe eine Kopie der eigenen Erinnerungen und Seele in eine Tonnachbildung des eigenen Körpers übertragen werden kann. Die Kopie (der sogenannte »Dit« oder »Dito«) wird gebrannt und erhält ein kurzes, nur einen Tag währendes Pseudoleben, das normalerweise dazu genutzt wird, anfallende Erledigungen für den Realmenschen zu übernehmen. Der Kopie bleibt als Hoffnung auf Kontinuität nur die Möglichkeit, am Ende des Tages per Inload auf die Realperson zurück überspielt zu werden, die dadurch die Erinnerungen der Erlebnisse erhält.

Wie alle kommunikativen Erfindungen erfährt auch diese Duplikationstechnik den Missbrauch durch fast alle Bereiche, vordringlich in der Pornografie: Mit einer Kopie Sex zu haben oder zwei Kopien miteinander schlafen zu lassen, um die Erinnerungen zu inloaden, ist ein weit verbreitetes Vorgehen der sich langweilenden Bevölkerung.

Albert Morris ist Privatdetektiv, spezialisiert auf Copyrightverbrechen. Seine Ditos kommen unabhängig voneinander einer komplizierten Geschichte auf die Spur, die zum Teil wie eine unheimliche Verschwörung aussieht, im Endeffekt aber etwas ganz anderes bedeutet. Involviert ist unter anderem die große Firma »Universal Kilns«, deren Betreiber gleichzeitig die Erfinder der Technik sind und nun Rohkörper an alle Menschen verkaufen. Es scheint, als hätte UK neue Techniken entdeckt und würde sie der Öffentlichkeit vorenthalten: Um wie viel angenehmer wäre eine »Fernprägung« der Kopien, die es erlauben würde, gleichzeitig an wirklich weit voneinander entfernten Orten handeln zu können? Oder was würde eine Verlängerung des Dito-Lebens für die Gesellschaft bedeuten? Oder die Möglichkeit, fremde Erinnerungen zu inloaden?

Diese und andere Fragen beschäftigen Alberts Ditos, die im Auftrag unterschiedlicher Interessengruppen ermitteln und sich in einem Strudel umbrechender Ereignisse befinden. Und die Wahrheit hat etwas mit Alberts einmaliger Fähigkeit im Prägen zu tun: Seine Ditos enthalten die hochwertigste Seelenprägung, die vorstellbar ist – sie sind quasi er.

Konsequent verarbeitet David Brin Mythologie, Religion und einen großen Menschheitstraum und schafft etwas Neues, eine Geschichte, die äußerst spannend, hervorragend recherchiert und in ihrem Plot beinahe beängstigend ist, so dass sich das Buch wie von selbst liest. Dabei wird erst bei näherem Nachdenken klarer, in welcher Weise er sich aus den Geschichten der Menschheit bedient. Die Tonmenschen sind offensichtlich jüdischen Golems nachgebildet, gebrannt und gebranntmarkt durch ihre Farbe, die ihre Qualität und Fähigkeiten ursprünglich verdeutlichen sollte, sich aber weiter entwickelte zu einem Element der Täuschung und des Protzens.

Fehlprägungen führen zu so genannten »Frankies« – ausgeartete Schöpfungen wie jene Frankensteins, die sich nicht im Sinne ihres Schöpfers verhalten. Gefährlich wird so etwas selten: Durch die Ditotechnik kam es zu einer unhaltbaren sozialen Katastrophe, der weitgehenden Arbeitslosigkeit. Nach Brin pendelte sich eine Gesellschaft aus, in der die Menschen großteils von staatlichen Geldern leben und ihre Golems für sich handeln lassen. Die gigantische Langeweile führte zu verschiedenen, nicht selten perversen Hobbies, unter anderem die Jagd. Veröffentlicht ein Realmensch seinen Dito als Frankie, gibt es genug Jäger, die sich seiner annehmen.

Ton: Der Werkstoff der Geschichte. Es spielen steinzeitliche Tonfiguren als Beginn der Kommunikation ebenso eine Rolle wie babylonische Tontafeln oder chinesische, unglaublich real aussehende Kriegernachbildungen, die dem ersten Kaiser nach seinem Tode dienen sollten. Schon damals eine Art von Prägung? Brin knüpft ein fast unüberschaubares Netz der Realitätsbezüge und verliert dabei nie den Sinn für die Geschichte selbst, hangelt sich mit unerwarteten Wendungen und humorvollen Erlebnissen seiner Ditos (die auch mal durch einen Fluss waten und in ihrer tönernen Auflösung von Fischen attackiert werden) an dem Gerüst der Erzählung entlang zu einer Lösung, die der Komplexität und Ideenvielfalt gerecht wird. Die weltlichen Aspekte der Geschichte führen in voller Ausnutzung zu einem transzendenten Punkt. Dies wirkt keinesfalls einfallslos und konstruiert, sondern ist die konsequente Entwicklung der Geschichte um den Ton, als Weiterführung der realen Vergangenheit über die vorstellbare Romangegenwart in die Zukunft, die aus der perfekten Ausnutzung der Ditotechnik resultiert.

Der Leser sieht, dass ein Dito eine Seele hat, denkt und handelt wie ein Mensch. Da kommen Gedanken wie Gleichberechtigung, Wahlberechtigung und dergleichen völlig menschlich an, denn die Ditos werden in der Öffentlichkeit wie »Untermenschen« behandelt, oder wie die Roboter futuristischer Romane. Aber was würden einem Wesen, das bestenfalls einen Tag überlebt, derartige Freiheiten bedeuten?

Besondere Erwähnung gebührt Andreas Brandhorst als Übersetzer des Romans – eine so spannende und flüssige Übertragung ist eine hervorragende Leistung, an der man auch Brandhorsts Qualitäten erkennen kann.

Der Roman liest sich nicht wie eine Utopie, er ist vielmehr ein spannender Thriller, dessen Welt auf eine Art geschildert wird, dass man eintaucht und sich in dieser Zukunft befindet, in der Tonmenschen und Brennöfen (die sogenannten Kilns) Realität sind. Der Originaltitel »Kiln People« bedeutet »Brennofen-Menschen« oder »gebrannte Menschen« und ist in sich schon doppeldeutig. Und so liest sich auch der Roman. Es werden »Produkte« mit der eigenen Seele für Tätigkeiten benutzt, die für eine reale Person nie in Frage kommen würden. Zumindest Alberts Ditos betrachten diese Problematik mit einer amüsanten Selbstironie und verleihen der Erzählung dadurch einen sympathischen Charakter. Mit einem tränenden und einem lachenden Auge verfolgt man zeitweise die Geschehnisse, denn für den Leser ist ein Dito trotz dessen eigener Gedanken, mit denen er seine eigene Minderwertigkeit akzeptiert, ebenso menschlich oder oft noch menschlicher als die wenigen Realpersonen, denen man im Roman begegnet und die sich wenig bis gar nicht engagieren, sondern das Leben ihren Kopien überlassen.
»Copy« ist unbestreitbar ein Highlight des Jahres.