Paolo Bacigalupi – Tool of War / Tool (Schiffsdiebe 3)

Frankensteins Ungeheuer rächen sich

Tool lebt in einem Land, das früher einmal Amerika war. Doch nach Klimakatastrophen und Bürgerkriegen ist dort nichts mehr, wie es einmal war. Auch Tool ist kein normaler junger Mann, sondern ein Halbmensch, dessen DNA mit der von Raubkatzen gekreuzt wurde, um ihn zu einer perfekten Killermaschine im Dienste des Systems zu machen. Doch Tool kann entkommen und entdeckt etwas, von dem er niemals hätte erfahren dürfen: den freien Willen. Er schließt sich einer Gruppe von Rebellen an, steigt schließlich sogar zu ihrem Anführer auf und verschreibt sein Leben dem Kampf gegen die Ungerechtigkeit.… (Verlagsinfo)

Dieser Rezension liegt das englischsprachige Original zugrunde.

Der Autor

Paolo Bacigalupi wurde in Paonia, Colorado geboren. Er ist bereits als Kurzgeschichtenautor in Erscheinung getreten, bevor er mit „Biokrieg“ (The Windup Girl) seinen ersten Roman veröffentlichte, der vom „Time Magazine“ in die Top Ten der besten Romane des Jahres aufgenommen wurde. Auch für seine Kurzgeschichten erhielt Paolo Bacigalupi schon mehrere Auszeichnungen. „Schiffsdiebe“ (Ship Breakers) ist sein erster Jugendroman. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in West Colorado. (erweiterte Verlagsinfo) Inzwischen sind auch die beiden Fortsetzungen „Versunkene Städte“ und „Tool“ bei Heyne erschienen.

Handlung

Der genmanipulierte Halbmensch Tool, den Mahlia und Mouse in dem Vorgängerband „Versunkene Städte“ kennenlernten, hat es mittlerweile zum General seiner Truppe geschafft. Diese Miliz hält das Zentrum von Washington, D.C. Die Kämpfe mit den Ultrachristen und anderen Kriegsherren und Milizen sind endlich siegreich beendet worden, nun soll aufgeräumt und wiederaufgebaut werden.

Angriff

Doch eine hochfliegende Predator-Drohne, die von einem Luftschiff gesteuert wird, hat Tools Standort in den Trümmern von Washington, D.C. ausgespäht und an ihren Dienstherrn im fernen Kalifornien gemeldet. General Caroa trägt immer noch die Narben von Tools Raubtierkrallen im Gesicht. Um sich für seine Verstümmelung zu rächen, befiehlt er, maximale Feuerkraft auf Tools Standort zu richten. Das Zentrum von Washington, D.C., vergeht in einem flammenden Inferno…

Flucht

Mahlia lebt jetzt an der Küste und betreibt einen regen Handel mit Schmuggelware, die sie mit ihrem schnittigen Segler, der „Raker“, transportiert. Sie liegt gerade im Hafen von Washington, D.C., als sie Zeuge des Höllenfeuerangriffs wird, der das Zentrum pulverisiert. Die Schockwelle wirft ihr Schiff um, das sich nur mit Mühe wieder aufrichtet. Sobald sie sich von ihrem Schrecken erholt und die Ausfälle registriert hat, überlegt Mahlia, dass Tool nicht mehr am Leben sein kann und nun seine Gegner das Machtvakuum füllen werden. Ihr erster Plan: Sich die „Raker“ mitsamt ihrer kostenbaren Ladung an Kunstwerken zu schnappen und sie meistbietend gegen Waffen und Munition verscherbeln. So haben sie es schon immer gehalten. Also verlässt Mahlias Schiff schleunigst den Hafen, obwohl ein Sturm im Anzug ist.

Ein Überlebender

Doch Tool hat den Angriff in der letzten Sekunde erspürt und sich sofort unter Wasser in Sicherheit gebracht. Mit letzter Kraft klammert er sich an das Heck der „Raker“. Mitten im Sturm merkt er, dass die dezimierte Besatzung es nicht schafft, das Segel zu setzen – die Winde ist demoliert. Im Alleingang hilft Tool den Seeleuten, so dass das Schiff wieder auf Kurs gebracht werden kann – die Brecher drohen es wie ein Spielball unter Wasser zu drücken.

Stunden später wird Tool unter Deck gebracht, wo man auf Befehl der erstaunten Mahlia seine Wunden versorgt. Nach dem Sturm segelt die „Raker“ durch ruhige See gen Norden, nach Seascape Boston, um wie stets dort die geschmuggelten Kunstwerke meistbietend zu verkaufen. Tool hat sich erstaunlich schnell erholt, wenn er auch noch etwas wackelig auf den Beinen ist.

Im Visier

Zu Mahlias und Kapitänin Almadis großer Beunruhigung berichtet Tool von den „Göttern“ im Himmel, die ihn immer suchen und schließlich vernichten wollen. Damit trifft er sogar den Nagel auf den Kopf: Die Überwacher General Caroas haben die „Raker“ wieder auf dem Radar, den Kurs extrapoliert und die Überwachung aktiviert. General Caroa braucht nur noch den Angriffsbefehl zu geben. Da ihm die Havoc-Raketen ausgegangen sind, muss er diesmal zu anderen Mitteln greifen.

Einer seiner Angriffsanalytikerinnen, Arial Jones, ist von der Zerstörung Washingtons traumatisiert und hinterfragt auf eigenes Risiko die Motive ihres Vorgesetzten. Zusammen mit einem Kollegen entdeckt sie die Seriennummer der gentechnisch erschaffenen Kreatur, die sich „Tool“ nennt und stößt auf ein bestürzendes Geheimnis: Mercier, die Firma, für die sie arbeitet, hat die Kreatur, die sie nun in Kürze vernichten soll, einst selbst erschaffen. Sie stellt sich die Frage: Was macht Tool unter all den Halbmenschen so besonders?

Mein Eindruck

Es ist ziemlich klar, dass „Tool“, der dritte Teil des „Schiffsdiebe“-Zyklus, eine Verarbeitung des altbekannten „Frankenstein“-Themas ist. Tool ist eine von Menschen gemachte Mord- und Kriegsmaschine aus Fleisch und Blut. Somit stellt er eine Extrapolation dar, die der Autor hinsichtlich der Teilnehmer an künftigen Kriegen entworfen hat. Als Biotech-Design weist Tool beängstigende Eigenschaften auf.

In seinen Genen sind Anteile von Tiger, Hyäne und Hund zu finden, aber auch Dachs und Modifikationen wie etwa feuerfeste Rückenhaut (die ihm in Washington, D.C. das Leben rettet). Dieser DNA-Mix macht Tool und die Kampfeinheiten, die er selbstständig kommandiert, unbezwingbar – es sei denn, er trifft auf ähnliche Tigermenschen. So geschah es einmal in Kalkutta, Indien. Prompt verbrüderte er sich mit dem gegnerischen Anführer – doch halt! Ist das nicht bloß eine Phantasie aus seinen Schmerzmittelträumen?

Rudel oder nicht?

Im Verlaufe der Auseinandersetzungen, in denen sich Tool gegen Merciers Angriffe wehren muss, erlangt der Begriff des „Rudels“ eine wachsende Bedeutung. Wer zum Rudel zählt, muss sich unbedingt loyal erweisen und die anderen Rudelmitglieder unterstützen. Das erlebt Tool auf sehr positive Weise von seinen Schützlingen Nita und Nailer, denen er „Schiffsdiebe“ das Leben rettete. Blöd natürlich, dass ihn Nita reflexartig mit Pistolenkugeln niederstreckt, die mit Nervengift überzogen sind. Gegen eine solche Waffe hilft ihm das beste Gen-Design nicht. Er hat Glück, dass Nitas Familie, der Patel-Konzern, genügend Mittel besitzt, um Tool wieder zusammenzuflicken. Allerdings rufen die damit verbundenen Daten wieder Mercier auf den Plan…

OK, Rudelangehörige helfen einander, aber der Begriff dient auch dazu, Nichtmitglieder auszugrenzen und zu potentiellen Feinden zu stempeln. Dazu zählen alle, die für Mercier arbeiten. Die Welt scheint sich demnach einfach in schwarz und weiß aufteilen zu lassen: Rudel und Nicht-Rudel. Doch es gibt eine wichtige Ausnahme: den Schöpfer selbst.

Frankensteins Showdown

Wer Mary Shelleys Buch kennt, weiß, dass das Ungeheuer seinen Schöpfer vernichten will, um ihn für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen. Dieser Konflikt verläuft in „Tool“ ganz anders. Denn Tool ist als Kreatur auf unbedingten, hundeartigen Gehorsam gegenüber seinem Herrn und Schöpfer gezüchtet worden. Durch Lob und Strafe sowie in einem gnadenlosen Überlebenskampf hat er schon früh gelernt, dass er nur von seinem Herrn Lob zu erwarten hat. Dieser Herr ist mittlerweile sein größter Feind, General Caroa. Denn Tool hat es gewagt, das Gesicht seines Herrn zu zerfetzen.

An Bord von Caroas riesigem Luftschiff, der „Annapurna“, kommt es zu einer finalen Auseinandersetzung, deren letzte und einzige Zeugin die einst so eifrige Arial Jones ist. Die „Annapurna“ wird nämlich gleich in wenigen Minuten in den eisigen Atlantik vor Grönlands Küste stürzen. Tool hat zuviele ihrer Luftzellen zerstört und den Widerstand bezwungen. Was reden die beiden bloß miteinander, fragt sich Jones und rutscht näher. Caroa nennt die Kreatur auf einmal „Blood“, denn sie sei aus seinem eigenen Blut erschaffen worden. Auf einmal legt sich die Kreatur auf den Rücken und bietet ihre ungeschützte Kehle dar…

Was sie nicht weiß: Tool kämpft mit seiner genetischen und psychosozialen Konditionierung – und unterliegt. General Caroa, sein Schöpfer, gehört per definitionem zu seinem Rudel. Diesen Glauben hat Tool nämlich zunächst. Doch dann beginnt sich der General falsch zu verhalten und stellt sich außerhalb der Regeln, denen ein Rudel zu folgen hat. Die Folgen sind für ihn fatal.

Unterm Strich

Der Autor greift in „Tool“ eine vermeintliche Nebenfigur, der ersten beiden Romane im „Schiffsdiebe“-Zyklus auf. Mit zwiespältigen Gefühlen von seinen Unterstützern beobachtet, wendet sich Tool, der genetisch entworfene Krieger gegen seine ursprünglichen Herren, den Mercier-Konzern. Mercier vernichtet und raubt, wie es ihm beliebt, um seine Interessen zu verfolgen. Jede bescheidene Initiative von Überlebenden der Klimakatastrophe wird früher oder später zerstört, damit Mercier seine Profite steigern kann.

Einzige Ausnahme: Boston Seascape – dort gibt es einfach zu viele Geschäftspartner. Das hindert Mercier natürlich nicht, heimlich Kämpfertrupps an den Stadtpolizisten vorbei einzuschleusen und Tools Unterschlupf anzugreifen. Der Gegner erweist sich indes als erstaunlich zäh. Das wirft unangenehme Fragen an der Konzernspitze auf. Die Antworten sind noch viel unbequemer, so dass General Caroa seinen Posten verliert und in der – längst eisfreien – Antarktis Vogelmist schippen darf. Doch wenig später wird er wieder gebraucht – mit unheilvollen Folgen.

Frankenstein lässt grüßen

Wer erwartet, dass der Autor dem wohlbekannten Frankenstein-Mythos (von 1818) folgt, wonach die Kreatur ihren Schöpfer töten will, der wird positiv enttäuscht. Denn Tool ist ein ganz besonderes Wesen. Er wurde darauf konditioniert, seinem Schöpfer, eben General Caroa, unbedingten Gehorsam zu leisten. Das schiebt der Strafaktion gegen Caroa einen Riegel vor. Zumindest vorerst. Der Showdown ist bis zur letzten Sekunde spannend.

Spartacus lässt grüßen

Nun wirkt sich der Rudelbegriff als entscheidend aus, den der Autor schrittweise auf- und ausgebaut hat. Da ein genetisch erschaffenes Wesen per Definition keine Familie haben kann, gelten die Vorgaben des Rudelbegriffs. Der Autor stellt diesen alternativen Gruppenbegriff zur Diskussion. Er betrifft all die vielen „Erweiterten Kreaturen“, die als Sklaven für die Konzerne (Patel, Mercier) arbeiten. Nita Patel muss sich über ihre eigene Haltung gegenüber diesen Sklaven klarwerden: sie hat ihnen bislang vorbehalt- und gedankenlos vertraut. Doch als wäre Tool ein Nachfahre von Spartacus, befreit er diese Sklaven von ihren Bindungen – was wird jetzt aus der Gesellschaft?

Hinweise

Das Szenario, das der Autor in seiner Trilogie entworfen hat, ließe sich noch weiter ausbauen. Wer sich nun auch für den Roman „The Waterknife“ von 2015 (dt. 2016 als „Water – Der Kampf beginnt“) interessiert, sei darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Buch für Erwachsene handelt. Es ist ganz anders gelagert und aufgebaut als die Schiffsdiebe-Trilogie, die sich an Jugendliche wendet.

Fazit: 4,0 von 5 Sternen.

Michael Matzer © 2019ff

Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Tool of War, 2017
Aus dem Englischen von Norbert Stöbe
ISBN-13: 9783453319233

www.heyne.de

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