Pascal Engman – Rattenkönig. Ein Fall für Vanessa Frank

Geraubte Seelen, zerstörte Leben

Stockholm: Eine junge Frau wird ermordet aufgefunden. Der Fall scheint schnell geklärt. Als es zu weiteren, scheinbar zusammenhangslosen Morden an jungen Frauen kommt, ahnt Vanessa Frank, dass dahinter mehr steckt, und beginnt zu ermitteln. Dabei führt sie eine Spur in die dunklen Abgründe des Frauenhasses.

In einem Stockholmer Vorort wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Scheinbar das Opfer ihres eifersüchtigen Ex-Freundes, der sie in einem Wutanfall umgebracht hat. Kommissarin Vanessa Frank stürzt sich in die Ermittlungen denn Verbrechen an Frauen lassen die sonst harte Kommissarin nicht kalt. Bald beschleicht sie jedoch das Gefühl, dass ihr ein entscheidendes Puzzlestück fehlt …

Feminismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, doch im Netz kommt es zu immer stärkerem Frauenhass. Dort treffen sich Männer, die sich selbst „Incels“ nennen und ihre frauenfeindlichen Phantasien in den dunkelsten Ecken des Internets ausleben, vereint durch das Verlangen, sich an allen Frauen zu rächen, die ihnen nie auch nur einen zweiten Blick geschenkt haben. (Verlagsinfo)

Der Autor

Pascal Engman, geboren 1986, war Journalist des schwedischen »Expressen«. Sein 2019 bei Tropen erschienener Thriller »Der Patriot« wurde in Schweden ein Bestseller. »Feuerland« war der erste Band in der Krimi-Reihe um Kriminalinspektorin Vanessa Frank. Pascal Engman lebt in Stockholm. (Verlagsinfo)

Hinweis zum Begriff „Rattenkönig“

„Als Rattenkönig werden mehrere an den Schwänzen verknotete oder verklebte Ratten bezeichnet. Dieses seltene Phänomen soll vor allem unter Hausratten auftreten. Als Ursache für die Entstehung geben manche Quellen an, dass sich die Schwänze einer ganzen Anzahl von Tieren verknoten und die Tiere anschließend durch Blut, Schmutz und Exkremente zusätzlich an Beinen und Flanken verkleben. In der Folge sollen die Tiere untrennbar an den Schwänzen verwachsen, die vielfach gebrochen sind. Allerdings wird diese Spekulation von der Fundlage nicht gestützt. (Quelle: Wikipedia.de)

Hinweis zum Begriff „Incel“

Incel (Kofferwort aus involuntary, dem englischen Wort für ‚unfreiwillig‘, und celibate, dem englischen Wort für ‚zölibatär‘) ist die Selbstbezeichnung einer in den USA entstandenen Internet-Subkultur von heterosexuellen Männern, die nach Eigenaussage unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr bzw. keine romantische Beziehung haben und der Ideologie einer hegemonialen Männlichkeit anhängen. Die Szene wird der Manosphere zugerechnet, in der auch die Männerrechtsbewegung agiert.

Von einem Aktivismus für Männerrechte unterscheidet sie sich dadurch, dass ihre Anhänger Frauenfeindlichkeit in Verbindung mit Gewaltfantasien propagieren. Von Incels ausgedrückte Überzeugungen und Gefühle sind geprägt von Misogynie, dem Anspruch, ein Recht auf Sex zu haben, Selbstmitleid und der Billigung und Anwendung von Gewalt gegen Frauen und gegen sexuell aktive Männer. (Wikipedia.de)

Handlung

Jasmina Kovac ist neu bei der Stockholmer Zeitung „Kvällspressen“ und muss sich beweisen. Nach einer Vergewaltigung durch knallharte Typen, die sie nicht bei der Redaktionschefin meldet, soll sie sich des Falls der ermordeten Emelie Rydén annehmen. Dieser wird von Kommissarin Vanessa Frank untersucht, doch sie nimmt erstmal keinen Kontakt auf.

Emelie Rydén war mit Karim Laimani verheiratet, der aber im Jugendgefängnis einsitzt. Er kommt deshalb als Emelies Mörder nicht infrage, wird allgemein angenommen. Doch er hatte zum Tatzeitpunkt Freigang – und an einem seiner Turnschuhe kleben Blut und ein Haar von Emelie. Ziemlich eindeutige Indizien. Das finden auch Kripo und Gericht, doch Laimani ist völlig unkooperativ.

Als Jasmina der ersten Haftanhörung vor Gericht beiwohnt, um ihren Report zu schreiben, erkennt sie Laimani als ihren Vergewaltiger „Thomas“. Sie ist entsetzt und beginnt zu zittern. Außerdem steckt sie jetzt in einem Dilemma: Sie ist erstens befangen und sollte nichts schreiben, doch zweitens sollte sie dieses menschliche Ungeheuer daran hindern, weiter hinFrauen zu vergewaltigen und möglicherweise zu ermorden. Aber konnte Laimani sie vergewaltigen und gleichzeitig Emelie ermorden? Etwas passt hier überhaupt nicht zusammen. Jetzt heißt es: Reden und den Job gefährden oder schweigen und recherchieren.

Nebenfiguren

Vanessa Frank hat einem ehemaligen Soldaten namens Nicolas einmal aus der Patsche geholfen, nachdem er ihr das Leben gerettet hatte. Nun lebt er illegal in Schweden und darf sich nichts zuschulden kommen lassen: Er hat immer noch Geld und eine Pistole aus einem Banküberfall, an dem er teilnahm, in einer Tasche. Doch als er in einer Pizzeria sitzt, wird diese von einem Bandenmitglied betreten, der zwei der Gäste abknallen will. Nicolas verhindert in letzter Sekunde, dass auch die zweite Person draufgeht, und erschießt den Attentäter. Dessen Komplize kann unbehelligt entkommen.

Doch es ist sonnenklar, dass Nicolas in der Patsche sitzt: Die Bande wird sich schon bald an ihm rächen wollen. Als sich Vanessa meldet, wendet er sich an sie um Hilfe. Sie warnt ihn vor, als die Kripo ihn als einen der zwei Schützen aus der Pizzeria identifiziert und seine Wohnung durchsuchen kommt. In allerletzter Sekunde gelingt ihm mithilfe der Nachbarstochter Celine die Flucht. Als er ein Jobangebot aus London bekommt, sagt er zu und teilt dies Vanessa mit. Sie ist sehr verletzt, kann ihm aber keine Vorwürfe machen.

Der prominente TV-Moderator Oscar Sjölander ist als Schürzenjäger bekannt, ist aber mit Therese verheiratet und hat mit ihr Kinder. Derzeit hat er eine Affäre mit Rakel, die ebenfalls am Sender arbeitet, doch in dieser Nacht teilt sie ihm mit, sie sei von ihm schwanger. Als sie am nächsten Morgen von ihrer Freundin Katja Tillmann als vermisst gemeldet wird, gerät Oscar unter Mordverdacht: Neben zwei Blutflecken in seinem Landhaus werden zudem nahebei Rakels Pullover und ein Messer gefunden.

Er schiebt die Schuld auf die Landstreicher, die am Strand zu übernachten und zu saufen pflegen. Keine/r der Verhörbeamten kauft ihm das ab. Für Oscar wird es ziemlich eng, als die Presse einen Tipp aus Polizeikreisen bekommt. Jasmina Kovacs soll darüber eine Reportage schreiben und Oscar interviewen…

Mein Eindruck

Der Roman, der gerne ein Thriller wäre, bemüht sich zu schildern, wie das Netzwerk der Incels und seiner Komplizen funktioniert. Die Wirkung selbst lässt sich durch diverse Morde an der thematische Oberfläche registrieren: Vanessa Frank hat alle Hände voll zu tun, und es kommt zu Verlusten. Aber wie es dazu kommen kann, muss sie erst noch herausfinden. Nur weil der Incel, der dem Buch seinen metaphorischen Titel gibt, einen emotionalen Fehler macht, kann es ihr überhaupt gelingen, in dessen Netzwerk einzudringen.

Methoden

Es ist schon ziemlich raffiniert, dass der Autor beim Leser erst Sympathie und Mitleid für diesen Typen namens Tom weckt, weil Tom bei Henrietta, der netten Krankenschwester, nicht zum Zuge kommt. Erst allmählich wird Toms Treiben, das auch vor Beschattung, Beobachtung, Telefonüberwachung und Videoaufnahmen nicht zurückschreckt, ziemlich unheimlich, um nicht zu sagen: abstoßend. Dass er bei Henrietta nicht landen kann, ist natürlich nicht sein, Toms, Schuld, sondern ihre. Dafür soll sie büßen. Aber nicht nur sie, soll auch ihr Verlobter Douglas, dieser Schnösel.

Infiltriert

Die perfide Masche der Incels zielt darauf ab, Seelen und Leben zu zerstören, v.a. das von Frauen. So auch das von Oscar Sjölander, der einen spektakulären Absturz hinlegt. Dieser Absturz, der sich quasi in aller Öffentlichkeit vollzieht, steigert Auflagen und Einschaltquoten. Das kann man sich als Leser schon mal fragen, was denn dieses Verhalten so sehr von dem der Incels unterscheidet. Vielleicht die fehlende Ideologie? Jasmina bekommt selbst zu spüren, dass eine Redaktion über Prinzipien und Grenzen hinwegtrampelt, wenn es die Auflage steigert: Das Sjölander-Interview, das sie der Redaktion NICHT übergeben hat, wird dennoch verraten – und sie wird versetzt. Dreimal darf man raten, wo das Leck zu suchen ist.

Parallelen

Von der Durchdringung ganzer Redaktionen und Sender bis zur Infiltrierung von Polizeieinheiten und Justizvollzugsanstalten ist es nur ein winziger Schritt, sofern das entsprechende Personal mitmacht. Alle haben ja ein Smartphone, und dessen Daten sind meist schlecht gesichert. So lässt sich leicht ein Überwachungsnetzwerk für eine Parallelgesellschaft aufbauen, die für Verunsicherung, Erpressung und Tötungen zu nutzen ist. Eine Analogie zu links- – bzw. rechtsextremen Netzwerken und Tätern wie Anders Breivik ist leicht zu ziehen.

Der Anschlag

Im Stockholmer Stadion soll Pussy Power stattfinden das Festival ohne Männer. Nur weil Vanessa Frank die Fähigkeit besitzt, ein wenig auf abwegigen Pfaden zu denken und ungewöhnliche Assoziationen zusammenzufügen, kommt sie auf die Idee, dass dieses Festival das „ideale“ Zielobjekt für den wieder mal entkommenen Rattenkönig Tom wäre. Ein kleines, vergessenes Fußballspiel-Ticket stellt den Zusammenhang her.

Wie lässt sich der Anschlag der Incels abwenden, fragt sich Vanessa, die gerade Nicolas zum Flughafen fährt. Sie wissen nicht, wie dieser Tom und seine Komplizen verkleidet sind. Sie könnten aussehen wie normale Polizisten oder Sanitäter. Ein Glück, dass sie Nicolas dabei hat: Er weiß, dass seine zwölfjährige Freundin Celine, die Nachbarstochter, auf dieses Festival wollte. Und er hat einige Ideen, wo man die potentiellen Angreifer suchen könnte. Kaum hat er Vanessas Wagen über die Autobahn gejagt und ist an der Eingangskontrolle des Stadions eingetroffen, hört er, wie die ersten Schüsse fallen. Dann beginnen die Schreie und Panik bricht aus…

Die Übersetzung

S. 132: Ein Wort fehlt. „der … Boxsport-Verband hat ihn posthum doch noch [zum] Gewinner des Titelwettkampfes von 1933 gekürt.“

S. 135: „Elivs war in Farsta aufgewachsen.“ Statt “ Elivs“ muss es korrekt „Elvis“ heißen.

S. 169: „Ob er nett war. Sieh kümmerte.“ Statt „sieh“ sollte es korrekt „sich“ heißen.

S. 271: „Die Anzahl der e-Abonnementen stieg aktuell um 300 pro Tag.“ Entweder sollte es „E-Abonnements“ oder „Abonnenten“ hießen.

S. 314: „Hier in Schweden lebte er wir im Treibsand.“ Statt „wir“ sollte es korrekt „wie“ heißen.

S. 414: „…dann würde alle[s] anders sein.“ Das S fehlt.

S. 434: „Nicolas hob Celine hoch und versuchte Vanessa[s] zu folgen.“ Das S ist überflüssig.

Unterm Strich

Anfangs bin ich mit diesem Thriller nicht warm geworden. Zu viele parallel laufende Handlungsstränge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, sowie eine falsche Fährte erzeugten weniger Spannung als Verwirrung. Die falsche Fährte betraf natürlich die Titelfigur selbst: Die anfängliche Sympathie schlägt nach einigen der superkurzen Kapitel in Abneigung, dann Abscheu um.

Verbindungen

Erst in der Mitte finden ein paar Verbindungen statt, so etwa zwischen Jasmina, der vergewaltigten Reporterin, und der Kommissarin Vanessa Frank. Sie braucht sehr lange, um auch familiäre Verbindungen aufzudecken, das muss man schon sagen. Aber ihre vernagelten Vorgesetzten machen es ihr nicht gerade leicht. Und dass die U-Bahn-Security gewohnheitsmäßig einen ihrer wichtigsten Zeugen, den Landstreicher Börje, vermöbelt hat, findet sie auch nicht gerade konstruktiv.

Showdown

Bis sie kapiert, dass die Gegenseite jeden ihrer Schritte überwacht und schließlich auch nicht vor einem direkten Angriff zurückschreckt, vergehen auch noch etliche Kapitel. Nun ist aber eine rote Linie überschritten worden, und Vanessa würde sehr gern zum Gegenangriff übergehen – wenn sie nur das passende Personal bekäme. Am Ende müssen die Mädels für sich selbst sorgen, und nur der „Ausländer“ Nicolas hilft ihnen aus der Patsche. Der Showdown mit den Incels lässt an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Es ist dann auch endlich klar, auf welcher Seite der Autor selbst steht: auf der der Frauen und anderen Opfer.

Hinweis

Etwas irritierend fand ich allerdings, dass ständig auf die Handlung des Romans „Feuerland“ verwiesen wird, die mir nicht bekannt ist. Dort fand offenbar die enge Verbindung zwischen Vanessa Frank und Nicolas statt, der ihr das Leben rettete. Nun, man kann nur den Schluss ziehen, sich diesen Thriller schnellstens zu besorgen. Inzwischen kostet er nicht mehr 17,00 EU im Paperback, sondern „nur“ noch 10 Euronen im Taschenbuch.

Paperback: 463 Seiten
Originaltitel: Rattküngen, 2019;
Aus dem Schwedischen von Nike Karen Müller.
ISBN-13: 9783608504408

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