Eine Reihe von Mordanschlägen gegen betrügerische Industrielle erschüttert San Francisco. Doch dann stellen die Urheber ein ungewöhnliches Ultimatum: „Entweder ihr sagt den G-8-Gipfel ab oder es wird alle drei Tage weitere Tote geben!“ Lt. Lindsay Boxer von San Francisco Police Department hat nun alle Hände voll zu tun – buchstäblich.
_Die Autoren_
James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor von zahlreichen Nummer-1-Bestsellern. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.
Patterson ist extrem fleißig. Seine letzten Romane nach „3rd Degree“ waren „Sam’s Letters to Jennifer“, „London Bridges“, „Honeymoon“, „Maximum Ride“ und „4th of July“ (die Fortsetzung dieser Reihe). Im Juli erscheint „Lifeguard“. Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.
Andrew Gross war bereits Pattersons Ko-Autor bei „2nd Chance“ sowie „The Jester“ und lebt in New York City.
_Handlung_
Police Lieutenant Lindsay Boxer ist die Ich-Erzählerin des dritten Falles des |Women’s Murder Club| von San Francisco. Dem inoffiziellen Klub gehören die Reporterin Cindy, die Gerichtsmedizinerin Claire und die stellvertretende Staatsanwältin Jill an.
Beim harmlosen Joggen am Wochenende erlebt Lindsay gleich zwei Schocks hintereinander. Ihre Freundin Jill weist am Arm blaue Flecken auf, als ob ihr Mann Steve sie zu hart angefasst habe (was auch stimmt). Der weitaus größere Schock erfolgt wenig später: Eine hübsche zweistöckige Villa, die sie gerade mit ihrem Hund passieren will, fliegt mit einem Donnerschlag in die Luft!
Sobald sie sich wieder aufgerappelt hat, stürzt sich Lindsay todesmutig in das brennende Gebäude. Sie kann einen elfjährigen Jungen retten und taumelt den Feuerwehrmännern mehr tot als lebendig in die Arme. Die anderen fünf Bewohner des Hauses sind entweder tot oder verschwunden. Vor allem fehlen, wie sich zeigt, das Au-pair-Mädchen Wendy und dessen Schützling, das Baby Caitlin.
Noch etwas wird gefunden: ein Bekennerschreiben von einem gewissen „August Spies“. Die Explosion war eine Hinrichtung. Der Ermordete hatte mit seinen windigen Internetfirmenaktien Tausende von Anteilseignern betrogen und sich selbst bereichert. Deswegen hatte ihm „August Spies“ schon Erpresser-Mails geschickt, doch er hatte nicht reagiert.
Als wenig später der betrügerische Krankenversicherungsunternehmer Bengosian mit dem Gift Rizin ermordet und das Bekennerschreiben von „August Spies“ gefunden wird, weiß Lindsay: Dies ist der Beginn eines terroristischen Krieges. In ihrer Stadt! Und in dieser Stadt soll in zehn Tagen der G-8-Gipfel der Finanzminister stattfinden. Auch der Vizepräsident hat sich angesagt.
Stecken also radikalisierte Globalisierungsgegner hinter dem Pseudonym „August Spies“? Oder die alte, totgeglaubte „Volksrepublik von Berkeley“, die in den Sechzigern die Uni Berkeley notorisch machte? Ende der sechziger Jahre gab es jede Menge Radikale in San Francisco, die ihren Unterschlupf in Berkeley und Umgebung hatten. Sie protestierten und bombten gegen den Vietnamkrieg und alles mögliche andere.
Die heraufziehende Gefahr ist so offenkundig real, dass sogar der Stellvertretende Leiter des neuen Heimatschutzministeriums, Joe Molinari, hier arbeiten will, um zusammen mit Lindsay Boxer das Schlimmste zu verhindern. Und Joe sieht wirklich gut aus.
Zur gleichen Zeit spitzt sich Jills Ehekrise mit Steve zu. Sie hat sich mit ihren Freundinnen ausgesprochen und wirft Steve hinaus, lässt die Türschlösser austauschen. Ob er sich das bieten lassen wird?
„August Spies“ bereitet unterdessen seinen schwersten Anschlag vor: vermutlich mit einem Aktenkoffer voll Plastiksprengstoff, den er auf der Etage der Staatsanwaltschaft und der Mordkommission deponieren wird. Oder ist das nur eine Finte? Da taucht „Wendy“, das Au-pair-Mädchen wieder auf. Sie übergibt Cindy, der Reporterin, eine Adresse in Berkeley …
Eine der vier Freundinnen wird sterben. (So viel ist sicher, wenn der Klappentext Recht hat.) Wir bangen mit ihnen.
_Mein Eindruck_
Ich habe diesen packenden Terroristenthriller an einem Abend und einem Vormittag ausgelesen. Wieder einmal machte sich Pattersons patentierte Cliffhanger-Methode mit den kurzen Kapiteln bemerkbar, so dass ich praktisch gezwungen war, zum nächsten Minikapitel zu blättern, um das neueste Rätsel zu lösen, die allerneueste überraschende Wendung mitzubekommen. Ich kenne keinen anderen Krimiautor, der diese Technik so virtuos handhabt wie Patterson.
Diesmal führt die Spur des Oberschurken, der sich hinter dem Codenamen „August Spies“ verbirgt, über dreißig Jahre zurück zu den FBI-Einsätzen gegen die Radikalen in Berkeley. Was besonders fies ist: „August Spies“ verknüpft seinen platten Rachefeldzug mit dem Anspruch der Globalisierungsgegner und anderer radikalisierter Dissidenten. Dabei weiß er nicht nur kleine Studenten auf seiner Seite, die nur darauf brennen, sich wie „Wendy“ als Soldaten der guten Sache zu bewähren, sondern auch intellektuelle Vordenker der Kapitalismuskritik, vor allem natürlich von links. Die Parallelen zu Al-Kaida sind offensichtlich.
Ebenso wie radikalisierte fundamentalistische Islamisten bilden sie die Front in einer neuen Art von Weltkrieg, der nicht nur an den Grenzen der USA ausgefochten wird, sondern auch in jeder Stadt. Besonders erbittern muss dabei die Feststellung, dass „August Spies“ diese Bewegung für seine eigenen niederen Racheglüste missbraucht. Dies wiederum führt zum Mord an einer der vier Freundinnen des Women’s Murder Club. Und dieser Fehler bringt die Ermittler endlich auf die richtige Spur.
Lt. Lindsay Boxer kämpft sozusagen an drei Fronten: Sie will die Bürger der Stadt schützen, doch dazu muss sie alles geben, um in den wenigen Tagen bis zum G-8-Gipfel den Drahtzieher der Anschläge dingfest zu machen. Dass eine ihrer Freundinnen den Tod findet, scheint die tapfere Lindsay zunächst zu brechen, doch das Verbrechen erweist sich als Lichtblick für ihre Ermittlungen.
Es ist gerade diese menschliche Seite an der Ermittlerin und ihren Kollegen auf allen Seiten, die dem Leser das Geschehen, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, so anrührend und realistisch nahe bringen. Lindsay macht sich Vorwürfe, dass sie nicht da war, um ihre Freundin zu schützen. Doch die Schuldgefühle drohen sie zu lähmen, und ihre verbliebenen Freundinnen müssen sie ihr ausreden, damit Lindsay wieder ihre Arbeit tun kann.
Das erscheint vielleicht aus größerer Distanz betrachtet als Banalität, ist aber, im Verlauf der spannenden Handlung erlebt, doch recht bewegend. Zusammen mit Joe Molinari, der mindestens ebenso hart arbeitet wie Lindsay, mag es gelingen, das Schlimmste zu verhindern.
_Unterm Strich_
Die bekanntesten Helden des Autors Patterson verändern sich rasch: Dr. Alex Cross wechselt von der Washingtoner Polizei zum FBI, wo es ihm aber auch nicht gefällt, so dass er das nächste Milieu sucht, in dem sich verwirklichen kann. Auch Lindsay Boxer verändert sich nach ihrem Verlust und angesichts der Chancen, die Molinari ihr bietet, zum Positiven: Sie könnte im Department for Homeland Security landen. Und vielleicht ist dies auch Alex Cross‘ künftige Wirkungsstätte. Wer weiß? Jedenfalls bleibt es spannend.
Mindestens so spannend wie „Der 3. Grad“, ein Thriller, in dem die zwei Autoren das Thema Terrorismus nach dem 11. September 2001 aufgreifen und Parallelen zu jener radikalen Zeit Ende der sechziger Jahre ziehen, auf die man nicht ohne Weiteres kommen würde.
Vielleicht hat der eine oder andere schon einmal von den terroristischen „Weathermen“ in Kalifornien gehört? Es gibt zumindest einen Song von Bob Dylan, in dem der Sänger darauf Bezug nimmt, nämlich „Subterranean Homesick Blues“: „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows“. Und das war schon anno 1965. Die Frage ist also: Lassen sich sinnvoll Parallelen zu Al-Kaida ziehen? Falls ja, würde das andeuten, dass auch die Sache Osama bin Laden möglicherweise ein persönlicher Rachefeldzug ist. Und wer sich mit bin Laden beschäftigt hat, weiß, dass dem so sein könnte: Die Saudis hatten ca. 1990 bin Laden, ebenfalls ein reicher Saudi, aus dem Land gejagt, um die Amis hereinzulassen, die dann gegen Saddam den 2. Golfkrieg führten. (Der 1. Golfkrieg fand zwischen Irak und Iran statt.)
Und so erweist sich dieser unterhaltsame Thriller letzten Endes als eine aktuelle Analyse der terroristischen Bedrohung und ihrer vielfältigen Konsequenzen innerhalb der USA. Ist es Zufall oder Absicht, dass der Vordenker von „August Spies“, sozusagen der Lenker der Terrorzelle, ein Franzose ist? Ich tippe eher auf Absicht. Da wird den Europäern wieder mal eins ausgewischt. Ist es Absicht oder Zufall, dass der US-Vizepräsident ein Schwarzer ist? Wohl kaum ein Zufall.
„Der 3. Grad“ ist ein Roman, der in der Lage ist, zu provozieren, zu polarisieren und Diskussionen zu entfachen. Man muss nur genau hinsehen.
|Originaltitel: 3rd Degree (Women´s Murder Club, 03), 2004
Aus dem Amerikanischen von Andreas Jäger|
_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_
[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
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[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
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[„Die Wiege des Bösen“ 47
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[„Die 2. Chance“ 1362
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[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915