Mit „Die Ahnen von Avalon“ ist ganz unerwartet noch einmal ein Band über die geheimnisvolle Insel aus Marion Zimmer-Bradleys „Die Nebel von Avalon“ erschienen.
Erdbeben erschüttern die Inseln von Atlantis. Die Priester wissen, was das bedeutet, denn es wurde schon vor langer Zeit prophezeit. In größter Eile werden die Inseln evakuiert. Ziel der auslaufenden Schiffe ist die Zinnküste, wo Atlantis bereits einen Stützpunkt hat.
Doch eines der Schiffe wird von den übrigen getrennt und landet an einer anderen Stelle der Küste. Während der Hauptteil der Flotte sich mit dem Stützpunkt als Basis relativ leicht tut und sofort versucht, in dem neuen Land seine alte Kultur wieder aufzubauen, ist das einzelne Schiff darauf angewiesen, sich mit den Ureinwohnern zusammen zu tun, um zu überleben. Als die beiden Gruppen sich wiederfinden, ist der Konflikt vorprogrammiert.
Der Band schließt eine Lücke, die ursprünglich gar keine war. Lange vor dem Erfolg von „Die Nebel von Avalon“ schrieb Marion Zimmer-Bradley eine Geschichte über Atlantis, die erst nach ihrem Durchbruch unter dem Titel „Das Licht von Atlantis“ veröffentlicht wurde. Auch wenn in Igraines Traum über Uther, der die goldenen Schlangen an den Armen trägt, eine Verbindung zu Atlantis angedeutet ist, entstand der eigentliche Bogen von einer Geschichte zur anderen erst durch „Die Wälder von Albion“, deren Charaktere Eilan und Caillean deutliche Parallelen zu Domaris und Deoris aus Atlantis aufweisen. Reinkarnation wurde zu dem roten Faden, der durch sämtliche Bände führt.
Die Lücke zwischen „Die Wälder von Albion“ und „Die Nebel von Avalon“ versuchte „Die Herrin von Avalon“ zu füllen, doch das gelang nur mäßig. „Die Ahnen von Avalon“ schließlich stellt die endgültige Verbindung zwischen Atlantis und Avalon dar, erzählt, wie das Wissen aus Atlantis nach Avalon kam.
Eigentlich eine interessante Idee. Leider hat es mit der Umsetzung nicht so ganz geklappt!
Das Buch bietet eine Fülle an Personen. Die Hauptpersonen sind Micail, Sohn von Domaris und Mican, und Tiriki, Tochter von Deoris, Domaris‘ Schwester. Die beiden sind verheiratet, werden aber auf der Flucht von Atlantis getrennt.
Tiriki erreicht mit ihrem einzelnen Schiff einen Berg in den Sümpfen, der von der Macht der Muttergöttin nur so vibriert. Außerdem findet sie großes Wissen um die Mysterien bei den Frauen der Ureinwohner. Die Verbindung zwischen den beiden Gruppen legt den Grundstein für das spätere Avalon.
Micail dagegen ist damit beschäftigt, an einem Knotenpunkt magischer Energiestränge einen Steinkreis zu errichten, der genügend Kraft konzentrieren soll, um einen neuen Tempel des Lichtes zu bauen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass Tjalan, Prinz von Alconath, noch ganz andere Absichten verfolgt.
Der größte Teil der anderen Personen sind Priester oder Priesterinnen, die eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Nur wenige von ihnen sind detaillierter dargestellt, sodass man sie als Charaktere bezeichnen kann, die meisten wirken eher wie Statisten. Dieser Umstand zusammen mit den oft sehr ähnlich klingenden Namen, vor allem bei den Priesterschülern, hat zur Folge, dass der Leser immer wieder überlegen muss, wer jetzt eigentlich nochmal die Person ist, die da gerade etwas tut. Der Überblick fehlt! Zwar gibt es im Anhang ein Namensregister, aber jedes Nachschlagen reißt aus dem Zusammenhang und wirkt daher störend!
Abgesehen davon sind auch die Hauptcharaktere nicht besonders lebendig gezeichnet. Zwar sind Handlungen, Gedanken und Gefühle nachvollziehbar, es fehlt ihnen aber sehr an Intensität, als wären bei einem Bild alle Farben verblichen.
Der Handlung fehlen ebenfalls Leben und Farbe. Lediglich während der Flucht vor dem Vulkanausbruch und dem Einsatz der Ringsteine kommt so etwas wie Spannung auf, beide Spannungsbögen ebben jedoch rasch wieder ab. Der größte Teil der Handlung verläuft ziemlich gleichförmig, der allmähliche Konfliktaufbau zwischen den Erbauern des Steinkreises und den Eingeborenen sowie den beiden Gruppen der Atlanter bei ihrem ersten Treffen weiß nicht wirklich zu fesseln.
Ganz eigenartig wirkt die Idee des Omphalos, eines eiförmigen Steines, der offenbar große Macht besitzt. Er wird auch als Nabel der Welt bezeichnet und von den Atlantern auf ihrer Flucht von den Inseln mitgenommen. Was es genau mit diesem Stein auf sich hat, warum er überhaupt mitgenommen wurde und was er bewirken kann, bleibt jedoch im Dunkeln, sodass der Leser sich fragt, warum er überhaupt vorkommt. Hier hätte ein ausführlicherer Ausbau der Idee bestimmt nicht geschadet.
Desweiteren haben sich, wie so oft bei der nachträglichen Füllung von Lücken, Brüche eingeschlichen. Es wirkt irgendwie seltsam, wenn ausgerechnet Morgaine den Prolog spricht, der erzählt, wie der Omphalos nach Britannien kam. Schließlich spielte er in Morgaines eigentlicher Geschichte, in den „Nebeln von Avalon“ überhaupt keine Rolle! Ja, er spielt nicht mal in diesem Buch die Rolle, die man aufgrund des Prologes erwarten könnte.
Und die Darstellung, dass die Atlanter ihr Wissen zuerst und hauptsächlich nach Avalon brachten, beißt sich irgendwie mit dem Anfang der „Wälder von Albion“, wo die Frauen davon erzählen, dass das religiöse Zentrum vor dem Angriff der Römer die Insel Mona gewesen sei.
Außerdem gibt es Probleme mit dem Begriff „Merlin“. Bereits der Magier Chedan, der mit Tiriki nach Britannien kam, wurde von den Ureinwohnern Sonnenfalke oder Merlin genannt. In den „Wäldern von Albion“ wird Eilans Sohn Gawen als erster Merlin Britanniens bezeichnet. Gawen ist aber die Reinkarnation Micails, nicht Chedans!
Mit anderen Worten: Die Sache ist nicht konsequent durchdacht. Vielleicht liegt es aber nur daran, dass Entwurf und Buch nicht aus derselben Feder stammen. Das sollte jeder beachten, der Bücher von Marion Zimmer-Bradley gelesen und ein Faible für diese Autorin hat: Dieses Buch ist nicht von ihr! Von ihr stammt nur das Exzerpt. Die Ausarbeitung stammt von Diana Paxson, und das merkt man! Dem Buch fehlt es an Flair.
Es ist also wahrscheinlich ganz gut, dass das Buch wesentlich kürzer ist als die „Nebel von Avalon“ oder die „Nebel von Albion“, die sechshundert Seiten sind ziemlich groß gedruckt. Vielleicht wollte man das Format und die Dicke an die Vorgänger-Bände angleichen, dann wäre es allerdings auch sinnvoll gewesen, dies auf die Gestaltung des Einbands auszuweiten!
Das Lektorat war auch nicht berauschend. Bestimmte und unbestimmte Artikel für dasselbe Hauptwort im selben Satz, das ist ein Fehler, der wirklich nicht vorkommen sollte! Und es war nicht der einzige dieser Art.
Also ich hätte diesen Band nicht unbedingt gebraucht. Schon „Die Herrin von Avalon“ hatte stark nachgelassen, obwohl das Buch noch aus Zimmer-Bradleys eigener Feder stammte. „Die Ahnen von Avalon“ haben es nicht geschafft, daran vorbeizuziehen. Ich hoffe, es sind jetzt keine weiteren unfertigen Konzepte mehr übrig, denn ich glaube kaum, dass Diana Paxson sie besser umsetzen kann als in diesem Fall. „Die Nebel von Avalon“ werden wohl für immer der unerreichte Gipfel von Marion Zimmer-Bradleys Schaffen bleiben.