Michael Pearce – Die Schätze des Pharao

Das geschieht:

Kairo, die alte Metropole am Nil, ist im Jahre 1908 die Hauptstadt der autonomen osmanischen Provinz Ägypten. Doch das Osmanische Reich – der „kranke Mann am Bosporus“ – ist politisch zerrüttet und wirtschaftlich am Ende. In Ägypten mussten die Osmanen schon vor dreißig Jahren die Hilfe der Briten erbitten, um sich an der Macht zu halten. Die Briten kamen gern – und blieben. Seither ist der Zhedife – der einheimische Herrscher über Ägypten – nur eine Galionsfigur; die wahre Macht übt der Generalkonsul aus, der seine Anweisungen aus London erhält.

Die Ägypter hat niemand um ihre Meinung gefragt. Sie sind die Fremdherrschaft allerdings gewöhnt und haben sich in ihrer Mehrheit damit abgefunden. Nichtsdestotrotz gibt es eine nationalistische Untergrundbewegung, die von den Briten scharf im Auge behalten wird. Das ist die Aufgabe der Geheimpolizei, der in Kairo Captain Gareth Owen, der „Mamur Zapt“, vorsteht. Offiziell sorgt er für die öffentliche Ordnung in der Stadt und verfolgt Verbrechen, die an Reisenden aus dem Ausland begangen werden.

In diesem Zusammenhang lernt Owen die junge amerikanische Kunstexpertin Enid Skinner kennen. Sie unternimmt eine Studienreise und hat einen Onkel, der womöglich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Unter diesen Voraussetzungen bemühen sich ihre britischen Gastgeber, Miss Skinner sehr zuvorkommend zu behandeln, obwohl diplomatische Zurückhaltung für sie ein Fremdwort ist. So macht sie sich für eine strenge Ausfuhrkontrolle für altägyptische Bodenaltertümer stark. Überall im Land graben Archäologen im Auftrag europäischer und amerikanischer Museen, Kunsthändler oder privater Sammler nach den Schätzen der Pharaonenzeit. Mit großer Selbstverständlichkeit werden sie anschließend außer Landes geschafft.

Bisher verhallten die Protestrufe der wenigen Mahner, die diese Kleinodien im eigenen Land halten wollen, ungehört. Sollte sich allerdings jemand finden, dessen Stimme Gewicht hat und sich im Ausland gegen die organisierten Plünderungen erhebt, könnte das lukrative Geschäft in Gefahr geraten. Hat aus diesem Grund jemand versucht, Miss Skinner vor einen Straßenbahnwagen zu stoßen? Als sie wenig später die Ausgrabungsstätte Deir al Bahari im Süden des Landes besucht, wird ein weiterer Anschlag auf ihr Leben verübt. Captain Owen reist Miss Skinner nach. Er möchte die Gelegenheit nutzen, sich selbst ein Bild von den Grabungs- und Kunsthandelspraktiken zu machen – und stößt in ein Wespennest …

Archäologie zwischen Fundsicherung und Grabraub

„Die Schätze des Pharaos“ ist der sechste (und nicht der zweite, wie uns der Klappentext weismachen möchte) Fall des „Mamur Zapt“ Gareth Owen im Ägypten der britischen Kolonialzeit. Die buchstäblich farbenfrohe Kulisse des Orients ist es, die diesen Krimis ihre Originalität verleiht. Ägypten um die Jahrhundertwende ist ein hochinteressanter Schauplatz, der sich für einen Thriller geradezu anbietet, liefern sich hier doch gleich vier Staaten (Osmanisches Reich, Ägypten, England und Frankreich) einen stillen, hinter den Kulissen erbittert geführten Machtkampf um das strategisch wichtige Land als Einfallstor zum afrikanischen Kontinent.

Im vorliegenden Band rücken die politischen Querelen ein wenig in den Hintergrund. Pearce greift ein Thema auf, das den meisten Lesern in der geschilderten Deutlichkeit wahrscheinlich unbekannt ist. Streift man heute durch die großen Museen für Altertumskunde in Europa, um die riesigen Sammlungen exquisiter Kunstschätze aus Ägypten, dem antiken Griechenland oder Rom zu bestaunen, denkt man meist nicht darüber nach, wie diese Kostbarkeiten an Orte gelangten, für die sie definitiv niemals bestimmt waren.

Diese Sammlungen sind die eindrucksvollen Zeugen einer Ausgrabungspraxis, die einst allerorts üblich war: Finanziere eine archäologische Grabung in einem fremden Land, zahle den Einheimischen ein wenig Kleingeld – du kannst es beschönigend „Zoll“ nennen – und lasse alles dorthin schaffen, wo du es zu sehen wünscht. Klar, dass hier dem Missbrauch buchstäblich Tür und Tor geöffnet wurden. Es gab freilich kaum ein Unrechtsbewusstsein, denn schließlich kamen die Kostbarkeiten in die kundigen Hände derer, die sie zu würdigen wussten.

Auch die Ägypter hatten nichts gegen diesen Kunst-‚Handel‘ einzuwenden, denn er brachte Geld ins Land. Den Rahm schöpften zwar neben dem Zhedifen die örtlichen Paschas und anderen aristokratischen Würdenträger ab, aber die Bevölkerung fand immerhin sichere Arbeitsplätze auf den Grabungen und verdiente mit Grabraub, Schmuggel und dem Verkauf von Fälschungen gut nebenbei.

Lästige Beeinträchtigungen eines lukrativen Geschäfts

„Die Schätze des Pharao“ spielt in einer Epoche, in der sich erster Protest gegen solche systematischen Plünderungen zu formieren beginnt. Es muss bitter für Idealisten vom Schlage einer Miss Skinner gewesen sein: Sie mögen damit gerechnet haben, dass sie sich in ihrem Bestreben, die Kunstschätze Ägyptens zu retten, den Zorn der ausländischen ‚Kunstfreunde‘ zuzogen. Doch auch die Ägypter selbst, für die sie besagte Schätze retten wollten, leisteten Widerstand oder blieben uninteressiert. Nach Jahrhunderten der Fremd- und Misswirtschaft existierte in der breiten Bevölkerung kein Bewusstsein für oder Stolz auf die eigene große und großartige Geschichte. Erst das Ende der Kolonialzeit brachte hier einen Wandel.

Aus der geschickten Umsetzung dieses Themas und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht „Die Schätze des Pharaos“ seinen Unterhaltungswert. Auch der Rückblick in die Geschichte der britischen Schatten-Kolonie Ägypten besticht durch das offensichtliche Wissen des Autors um Land und Leute; Michael Pearce kennt die späte Phase der afrikanisch-britischen Kolonialgeschichte noch aus seiner Jugend im ägyptischen Sudan, in den er nach einigen Jahren in England als Lehrer zurückkehrte.

Wohl aus diesem Grund ist Pearce die Figurenzeichnung ausgezeichnet gelungen. Was aus der „Mamur-Zapt“-Serie hätte werden können, zeigen die in ähnlichen Kulissen spielenden, überlangen, vor angelesenem Buchwissen raschelnden, peinlich ‚komischen‘ Abenteuer um die viktorianische Archäologin Amelia Peabody, ihren Göttergatten und den unsäglichen Wundersohn Ramses, mit denen Elizabeth Peters viel zu viele Jahren die Freunde des Historienkrimis traktierte.

Land mit echten Leuten

Gareth Owen ist nicht der Tee trinkende, knarzige britische Offizier, der die ‚Wilden‘ väterlich Mores lehrt, sondern ein Mann, der selbst zu einer Minderheit zählt; er ist Walliser, was seinen Aufstieg in die höheren gesellschaftlichen Schichten und damit eine echte berufliche Karriere verbaut, ihn aber hellhörig macht für die Stimmen des ‚gewöhnlichen‘ Volkes.

Auch die einheimischen Ägypter müssen sich nicht mit der Rolle der pittoresken, wahlweise treuherzigen oder schurkischen ‚Eingeborenen‘ bescheiden. Pearce erspart ihnen auch das Schicksal des politisch korrekten Historienthrillers, der die Rolle des Bösewichts stets dem Ausländer überträgt, während die ‚edlen Wilden‘ sich als tragische Helden und Opfer darstellen lassen müssen. Pearces Ägypter sind – egal ob armer Wasserhändler, frustrierter Regierungsbeamter oder feudaler Pascha – Menschen mit den üblichen Ecken und Kanten. Die Schwierigkeiten einer quasi mittelalterlichen Gesellschaft im beginnenden 20. Jahrhundert gehen nicht nur auf die koloniale Fremdherrschaft zurück, sondern sind durchaus hausgemacht. Pearce verdichtet dies geschickt in der schwierigen Beziehung Owens zur unkonventionellen Aristokratentochter Zeinab, die weder von den Vorgesetzten und Kollegen des einen noch von der Familie der anderen gern gesehen wird.

Dass Michael Pearce neben feinem Humor Sarkasmus keineswegs fremd ist, stellt das zwiespältige aber sehr konsequente Finale seiner Geschichte unter Beweis. Glanzvoll kann Captain Owen die diversen Verbrechen des bis dato rätselhaften Falls aufklären und alle daran Beteiligten festsetzen – nur um sie sogleich wieder ziehen lassen zu müssen, da ihnen die riesigen Gesetzeslücken in Sachen Kunst-‚Handel‘ besser bekannt sind als dem Mamur Zapt. Der Verzicht auf den im Krimi auch heute noch üblichen Sieg des ‚Guten‘ rundet das Bild eines nicht tiefgründigen aber in den Grenzen seines Genres stimmigen, immer unterhaltsamen Romans ab. Dennoch merkwürdig mutet die Entscheidung der britischen „Crime Writers‘ Association“ an, dieses Buch 1993 mit einem „Last Laugh Dagger“ als humorvollsten Kriminalroman des Jahres auszuzeichnen.

Autor

Michael Pearce (*1933) wuchs im britisch beherrschten Sudan auf. Er verließ das Land nach einer Ausbildung zum Übersetzer, kehrte aber später als Lehrer dorthin zurück. Seine Kenntnis der russischen Sprache setzte Pearce während des Kalten Krieges für den militärischen Geheimdienst ein.

Herkunft und Berufserfahrung schlagen sich in der schriftstellerischen Karriere nieder. Pearce war bereits Mitte 50, als er seinen ersten Roman veröffentlichte. „The Mamur Zapt and the Return of the Carpet“ war gleichzeitig Start einer bis heute fortgesetzten Serie um den britischen Geheimpolizisten Gareth Owen im kolonialen Ägypten um 1900.

2004 begann Pearce eine zweite Reihe. Stets mit „A Dead Man in…“ beginnend, spielen die Abenteuer von Sandor Seymour, einem Officer in Scotland Yards 1883 gegründeter Special Branch, den das Außenministerium ruft, wenn es gilt, in der politisch turbulenten Ära vor dem I. Weltkrieg Verbrechen in Diplomatenkreisen aufzuklären.

Taschenbuch: 272 Seiten
Originaltitel: The Mamur Zapt and the Spoils of Egypt (New York : HarperCollins Publishers Ltd. 1992)
Übersetzt von Peter Pfaffinger
http://www.randomhouse.de/diana

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)