Pearl, Matthew – Dante-Club, Der

|“Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb‘ an diesem Orte.
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“|
(Dante – „Göttliche Komödie“)

[Dante]http://de.wikipedia.org/wiki/Dante__Alighieri hat mit seiner „Göttlichen Komödie“ ein eindringliches Höllen-Szenario heraufbeschworen, das nicht nur zur damaligen Zeit bleibenden Eindruck hinterließ. Die „Divina Commedia“, Dantes Lebenswerk, mit dem er Jahre seines Lebens verbrachte, ist nicht im heutigen Sinne eine Komödie, sondern eher ein Werk, dem es an einem tragischen Helden mangelt und das deswegen zu seinem Titel kam.

Dante beschreibt in seiner 1321 vollendeten „Göttlichen Komödie“ seine Reise (die er angeblichen im Jahr 1300 persönlich und tatsächlich angetreten haben will) durch die drei Reiche der Toten: die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatori) und das Paradies (Paradiso). Dort begegnet Dante vielen berühmten Persönlichkeiten. Dantes Reisebegleiter durch die neun Kreise der Hölle und das Fegefeuer ist der römische Dichter Vergil.

Dantes Werk, das mittlerweile als absoluter Klassiker der Weltliteratur anzusehen ist, dürfte schon die Phantasie so mancher Autoren beflügelt haben. Einer, der das Thema Dantes in einen überaus spannenden historischen Thriller verpackt hat, ist der Amerikaner Matthew Pearl. Matthew Pearl entpuppt sich schon beim Blick auf seine Biographie als prädestiniert für einen solchen Roman, gingen seinem Debütroman „Der Dante Club“ doch wissenschaftliche Arbeiten über Dante voraus, die von der |Dante Society of America| ausgezeichnet wurden.

_“Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren“_

Boston 1865: Der Dichter Henry W. Longfellow arbeitet an der englischen Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“. Woche für Woche trifft er sich zusammen mit den übrigen Mitgliedern des frisch gegründeten Dante Clubs zum Diskutieren und Korrigieren seiner jüngst übersetzten Passagen. Zum Dante Club zählen neben Longfellow der Dichter und Harvardprofessor James Russell Lowell, der Autor und Professor für Anatomie Dr. Oliver Wendell Holmes, der alternde Reverend Greene und der einflussreiche Verleger J. T. Fields – allesamt Dante-Verehrer, die versuchen, Dantes Lebenswerk der amerikanischen Bevölkerung gegen die heftigen Widerstände aus Bostons traditionalistischen akademischen Kreisen zugänglich zu machen.

Gleichzeitig macht sich ein Unbekannter daran, Dante auf seine ganz eigene Art zu „übersetzen“ – wesentlich plastischer als es in der Studierstube Longfellows geschieht, aber dafür auch umso blutiger. Ein Serienmörder setzt eiskalt und geradezu detailbesessen die in Dantes „Inferno“ beschriebenen Höllenqualen in die Tat um. Einflussreiche Persönlichkeiten fallen seinen grausamen Taten zum Opfer und während die Stadt in Angst und Schrecken erzittert, ist die Polizei ratlos und tritt auf der Stelle.

Nur die Mitglieder des Dante Clubs durchschauen das Muster der Taten. Doch wie kommt der Täter an sein Wissen über Dante und das „Inferno“, wo die „Göttliche Komödie“ doch noch gar nicht übersetzt ist? Longfellow und seine Kollegen machen sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem unbekannten Dante-Kenner …

_“Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.“_

|“Raffinierte Handlung, klassische Motive, gelehrte Figuren … dieses Buch muss man einfach lieben!“| Mit solch überschwänglichen Worten lobt Dan Brown, Autor von [„Sakrileg“, 184 Matthew Pearl als |“den leuchtenden neuen Stern am Literaturhimmel“|. Etwas übertrieben mag das klingen, aber bei genauerer Betrachtung bleibt einem kaum eine andere Wahl, als Dan Brown, zumindest mit Blick auf den Roman, beizupflichten. „Der Dante Club“ ist in der Tat ein Thriller, der im Gedächtnis haften bleibt und der aufgrund seiner Vielschichtigkeit Eindruck schinden kann.

Pearls Roman liegt eine große Kennerschaft der historischen Umstände zugrunde. Seine Hauptfiguren sind reale historische Figuren und die Tatsache, dass Pearl englische und amerikanische Literatur in Harvard und Yale studiert hat, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mann weiß, wovon er spricht. Die Mitglieder des Dante Club (allesamt historische Figuren der amerikanischen Literatur) wirken allesamt sehr plastisch. Auch das gesellschaftliche Leben in den gelehrten Bostoner Kreisen sowie insbesondere das Innenleben des akademischen Apparates der Eliteuniversität Harvard werden sehr lebendig geschildert.

„Der Dante Club“ ist ein Sammelsurium vieler historischer und literaturgeschichtlicher Aspekte, die die Thrillerhandlung bereichern. Der Roman entwickelt dadurch neben einem spannenden Thrillerplot auch eine beachtliche Tiefe. Der Leser nimmt nach der Lektüre Wissen mit, das er vorher eventuell noch nicht hatte. Eine spannungsgeladenere und fesselndere Einführung in Dantes „Göttliche Komödie“ wird man wohl kaum finden, als man sie von Pearl präsentiert bekommt.

Während seine historisch verbrieften Protagonisten Zigarre rauchend vor dem knisternden Kamin über Leben und Wirken Dantes diskutieren und ihre Interpretation seiner „Göttlichen Komödie“ zum Besten geben, wird ganz nebenbei auch der Leser immer tiefer in den Plot hineingezogen. Pearl gelingt der Balanceakt zwischen der Vermittlung historischer und literarischer Hintergründe und einem nervenaufreibenden Thriller. Das Ergebnis ist gehaltvolle Spannungslektüre, an die man gerne zurückdenkt.

Dabei muss man Pearl als Leser zugegebenermaßen eine gewisse Aufbauphase für Hintergründe, Plot und Figuren zugestehen. Nach dem ersten Höhepunkt des „Eröffnungsmords“ widmet sich Pearl erst einmal ausgiebig seinen Protagonisten und dem Zwist zwischen den obersten Harvardvertretern und dem Dante Club um die Veröffentlichung der Übersetzung der „Göttlichen Komödie“. Mit dem nächsten Mord zieht Pearl dann kontinuierlich die Spannungsschraube an. Der Dante Club beginnt mit ersten Nachforschungen, die die Spannung stetig ansteigen lassen und in ein Finale münden, das in einem dramatischen Wettlauf zwischen dem Mörder und seinen Häschern gipfelt, und allerspätestens dann kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen.

Der Leser tappt bei der Lösung weitestgehend im Dunkeln. Die Morde werfen eine Vielzahl offener Fragen auf und die Lösung, die Pearl am Ende präsentiert, beantwortet sie durchaus zufrieden stellend. Er setzt im Finale ein riesiges Puzzle zusammen, in dem jede Komponente des Romans ihren Platz findet. Jede Facette der Geschichte bekommt dabei ihre Bedeutung und man kommt nicht umhin, die Konstruktion des Plots zu loben. Pearl lässt sich so leicht nicht in die Karten gucken und hält dadurch die Spannung bis zum Finale aufrecht.

Was den Roman neben seinen realen historischen Hauptfiguren und dem Bezug zu Dantes „Göttlicher Komödie“ so interessant macht, ist die Atmosphäre des Jahres 1865. Boston ist gebannt von den Eindrücken des Sezessionskrieges, stetig strömen mehr irische Einwanderer in die Stadt und der öffentliche Nahverkehr kommt mit fortschreitender Geschichte durch eine grassierende Pferdeseuche fast vollständig zum Erliegen. Solche historischen Rahmenbedingungen prägen die Atmosphäre des Romans und sind die besondere Würze des Plots.

Sprachlich ist das Ganze recht leicht verdaulich. Pearls Stil lädt dazu ein, das Buch binnen kurzer Zeit zu verschlingen. Was den Lesefluss hin und wieder allerdings etwas ins Stocken bringt, ist das Fehlen von Absätzen. So nimmt man radikale Handlungssprünge teils nicht auf den ersten Blick wahr, einfach, weil der Text nach einem Zeilenumbruch einfach weiterläuft. Ob das ein Problem speziell dieser Ausgabe ist oder ein ganz allgemeines, vermag ich nicht zu beurteilen.

Auch der zeitliche Rahmen insgesamt droht einem während der Lektüre ab und zu mal ein wenig abhanden zu kommen. Pearl liefert insgesamt einfach zu wenig Indizien, anhand derer der Leser sich den gesamten zeitlichen Rahmen vor Augen führen kann, und so ist man manchmal überrascht, dass zwischen verschiedenen Ereignissen viele Tage oder nur wenige Stunden liegen. Aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler, der lediglich zu Abzügen in der B-Note führt.

_“Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort“_

Alles in allem ist „Der Dante Club“ ein Roman, der sehr positiv im Gedächtnis bleibt. Der Plot ist sauber konstruiert, die Atmosphäre des Jahres 1865 wirkt sehr lebendig, ebenso wie Pearl seine historisch real existenten Protagonisten sehr glaubwürdig zum Leben erweckt. „Der Dante Club“ ist in jedem Fall ein Buch, das nicht nur unterhält, sondern dem Leser auch noch Wissen mit an die Hand gibt. Wer vorher noch nicht viel über Dante und seine „Göttliche Komödie“ wusste, erhält dank Pearls so unterhaltsam eingewobener Hintergründe zu diesem Thema eine ganz ordentliche Einführung.

Somit liefert Matthew Pearl mit seinem Debütroman außerordentlich lehrreiche und fesselnde Spannungslektüre ab. Wer „Die Einkreisung“ von Caleb Carr mochte, der wird Pearls „Dante Club“ lieben, denn Pearl erzählt straffer und weniger langatmig als Carr, aber ganz gewiss nicht weniger spannend: historisch, lehrreich, raffiniert und fesselnd.

[Die deutsche Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ bei Wikipedia]http://de.wikisource.org/wiki/Dante__-__Goettliche__Komoedie

Website zum Roman: [thedanteclub.com]http://www.thedanteclub.com

[Unsere Rezension der Hörbuchfassung 406