Michael Peinkofer – Die Bruderschaft der Runen

Verschwörungsliteratur ist ein Wachstumsmarkt. Ein Trend, den vor allem Dan Brown mit „Illuminati“ maßgeblich ins Rollen gebracht hat. Kaum verwunderlich, dass andere Autoren auf den fahrenden Zug aufzuspringen versuchen, in der Hoffnung, dank des Booms ein Stückchen Erfolg abzusahnen. Doch nicht alles, was im Windschatten von Dan Brown auf den Buchmarkt geworfen wird, kann den Erwartungen standhalten. Auch Michael Peinkofer kommt mit seinem historischen Verschwörungsroman „Die Bruderschaft der Runen“ kaum umhin, sich den Vergleich mit dem Amerikaner gefallen lassen zu müssen. Ob er dem gewachsen ist, soll sich im Folgenden klären.

Zeitlich ist Peinkofers Geschichte im Jahr 1822 angesiedelt. Sie spielt in Schottland, das zwischen ständigem Freiheitsbegehren und Unterordnung unter die Engländer seinen eigenen Weg sucht. Es ist die Zeit der Clearances. Weitläufige Landstriche in den kargen Highlands werden von der Bevölkerung „gesäubert“, damit die Lords dort Platz für ausgedehnte Schafzucht haben, die wirtschaftlich um einiges einträglicher ist als die Bewirtschaftung durch die armen Bauern. Die hingegen sollen schlichtweg an die Küsten umgesiedelt werden, wo man ihre Arbeitskraft anderweitig gebrauchen könnte. Klar, dass dieser Umstand den Unmut der Landbevölkerung auf sich zieht.

In eben dieser Zeit lebt auch der berühmte Schriftsteller Sir Walter Scott, dessen Mitarbeiter, der junge Student Jonathan, bei Recherchen in Scotts Auftrag unter etwas sonderbaren Umständen in einer Bibliothek ums Leben kommt. Sheriff Slocombe, der als ortsansässiger Arm des Gesetzes zunächst für die Untersuchung des Falls verantwortlich ist, will den Fall schnellstmöglich abschließen und als Selbstmord zu den Akten legen. Doch Sir Walter Scott und sein Neffe Quentin beharren darauf, dass an der Sache etwas faul ist, und fordern weitere Nachforschungen, für die der königliche Inspektor Charles Dellard eigens aus London anreist.

Doch auch Dellard hat kein rechtes Gehör für die Vermutungen und Hinweise von Scott und dessen Neffen. Als dann Quentin beinahe das zweite Todesopfer wird, stellt Scott auf eigene Faust Ermittlungen an, die Onkel und Neffe schon bald erneut in Lebensgefahr bringen. Mit Dellards Theorie, die Taten seien auf aufrührerische Bauern zurückzuführen, mag Scott sich nicht zufrieden geben. Kein Wunder, denn so ganz glaubwürdig scheint Dellards Theorie nicht. Und so forschen Sir Walter Scott und sein Neffe Quentin weiter auf eigene Faust und finden schon bald seltsame uralte Runen, deren Geheimnis sie zu lüften versuchen. Ein gefährliches Unterfangen mit vielen undurchsichtigen Gegenspielern …

Rein inhaltlich erweckt „Die Bruderschaft der Runen“ zunächst den Eindruck, man könne durchaus spannende Lektüre erwarten. Die Zutaten sind vielversprechend: rätselhafte Runen, ein alter Geheimbund, dessen Mitglieder sich in schwarzen Kutten in mondlosen Nächten in Steinkreisen versammeln, eine Geschichte, die sich quer durch die schottische Historie windet und dabei sowohl historische Figuren wie William Wallace und Robert the Bruce in die Handlung einbindet, als auch schottische Mythen und einen historisch real existenten Schriftsteller, der zur ermittelnden Hauptfigur des Romans erhoben wird. Zweifelsohne lässt sich aus dem Stoff einiges zaubern, dennoch bleibt „Die Bruderschaft der Runen“ weit hinter den gesteckten Zielen und Erwartungen zurück.

Die Schwächen des Romans erstrecken sich dabei über mehrere Ebenen. Zunächst einmal wissen die Figuren nicht allzu sehr zu überzeugen. Die Skizzierung Sir Walter Scotts ist noch recht gut gelungen. Er wirkt sehr plastisch und selbst ohne viel über die historischen Hintergründe des schottischen Autors zu wissen, kann man sich ein sehr gutes Bild von ihm machen. Scott ist ein Mann der Ideale und für seine Zeit sehr modern eingestellt. Er beurteilt Menschen nicht nach ihrem Stand, sondern nach ihren Taten – ein Charakterzug, der über die gesamte Romanlänge glaubwürdig bleibt. Scott ist einer der großen Sympathieträger des Romans und hat von allen auftretenden Figuren das markanteste und überzeugendste Profil.

Dahinter verblassen die übrigen Figuren geradezu, zumal sie allesamt etwas klischeeüberfrachtet wirken. Da wäre Scotts Neffe Quentin. Von der Familie für einen Taugenichts und Tollpatsch gehalten, weiß Sir Walter den Jungen zu fördern, so dass der schüchterne, trottelige Quentin glatt zum Helden mutiert. Dieser Wandel wirkt nicht immer glaubwürdig. Dass Quentin sich am Ende todesmutig den Bösewichten in den Weg stellt, mag nicht so recht überzeugen, wenn man bedenkt, dass er sich am Anfang des Romans sogar noch wie ein kleines Kind vor Dunkelheit fürchtet.

Ähnlich klischeebeladen schleppt sich der königliche Inspektor Charles Dellard durch die Handlung. Auch seine Figur ist recht einfach gestrickt und leicht zu durchschauen. Der Gipfel der Klischeehaftigkeit ist allerdings die im Nebenplot auftauchende Lady Mary of Egton. Zusammen mit Zofe und Kutscher ist sie auf dem Weg zum ihr versprochenen zukünftigen Gemahl in den schottischen Highlands. Was Mary an Gutmenschsein auffährt, geht an die Grenzen des Erträglichen: Die junge, tolerante, englische Lady, die sich in Bücherstapeln verkriecht, von der romantischen Liebe träumt und sich nicht zu schade ist, auch mal mit dem Gesindel an einem Tisch zu sitzen. Und wie es das Klischee nun einmal so will, ist ihr Zukünftiger samt seiner Mutter ein herrschsüchtiger, griesgrämiger, verdorbener Schnösel von Adel, der in einer düsteren Burg hockt. Fast schon wie in einem Märchen entwickelt sich dieser Handlungsstrang fort und wird damit von Seite zu Seite leider auch unglaubwürdiger.

Doch nicht nur die Klischeehaftigkeit der meisten Figuren ist ein Makel des Romans, auch die Durchschaubarkeit selbiger. Wer mit halbwegs offenem Geist das Buch liest, kann sich schon recht bald denken, in welche Richtung die ganze Geschichte abzielt. Wer ehrlich ist und wer mit falschen Karten spielt, ist nicht all zu schwer zu durchschauen. Überraschende Wendungen ergeben sich schon deswegen kaum.

Und so bleibt dem Leser die Hoffnung, dass wenigstens der Plot zu überzeugen weiß. Doch auch hier klafft so manches Loch im Mantel der Glaubwürdigkeit. Schon mit dem ersten Ereignis des Romans, dem Tod Jonathans, blieb zumindest bei mir eine Logikfrage offen, die leider auch mit der Auflösung der Geschichte nicht beantwortet wurde. Bleibt der Leser im weiteren Verlauf der Geschichte zunächst von schwerwiegenderen logischen Pannen verschont, so wird das Finale umso haarsträubender. Manche Frage wird nicht unbedingt befriedigend und logisch beantwortet (darunter auch Fragen, die letztendlich den gesamten Handlungsverlauf ins Wanken bringen können). Die gesamte Auflösung der Geschichte wirkt in meinen Augen etwas unschön konstruiert und auf die Schnelle zurechtgebogen. Plötzlich geht alles sehr schnell und selbst Fragen, auf die andere schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten eine Antwort suchen, werden in Windeseile beantwortet. Alles in allem nimmt die Geschichte zu ihrem Ende hin keinen sonderlich glaubwürdigen Verlauf.

Was trotz dieser Schwächen dennoch zum Weiterlesen ermuntert, ist der leicht verdauliche Stil, in dem Peinkofer seinen Roman verfasst. Das Buch lässt sich ausgesprochen leicht und flott lesen, entwickelt aber eben auch keinerlei Tiefe. Sowohl Figurenzeichnung und Plot als auch Peinkofers Sprache erwecken eher den Eindruck literarischen Fastfoods als den eines Feinschmeckermenüs.

Und so verwundert es nicht, dass der aufmerksame Leser sicherlich auch an Peinkofers Sprachstil etwas auszusetzen finden kann. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass Peinkofers Sprache etwas bemüht wirkt. Manche Sätze stopft er mit Adjektiven voll, die sicherlich zur Stimmung und Atmosphäre beitragen sollen, aber an manchen Stellen eben auch etwas verkrampft und überzeichnend wirken.

Bleibt noch, ein paar Worte über die Atmosphäre des Romans zu verlieren. Schottland ist für sich genommen schon mal ein recht reizvoller Handlungsort, insbesondere sicherlich auch, wenn es sich um einen historischen Roman handelt. Die Geschichte springt teilweise auch immer wieder mal ins 14. Jahrhundert zurück und entwickelt vor allem im Handlungsstrang um Lady Marys Erlebnisse auf der Burg ihres zukünftigen Gemahls eine gewisse Atmosphäre, die die Zeit aufleben lässt. Auch die Szenerie der Highlands kommt hier immer wieder ins Spiel.

Ansonsten kommt die dichteste Atmosphäre eher dann auf, wenn es um die Auseinandersetzung mit der schottischen Geschichte geht, um alte Mythen und Legenden von Runen und Druiden. Diese mystische Komponente des Romans kommt mal mehr, mal weniger zum Tragen, bleibt aber insgesamt im Rahmen der Erträglichen. Die Handlung wird nicht zu abgehoben. Übernatürliche Phänomene, die vielleicht auch unter Einfluss von heidnischem Brauchtum oder Magie entstehen, werden teils eher angedeutet und sind Interpretationssache. So verspielt der Roman wenigstens in dieser Hinsicht nicht seine Glaubwürdigkeit.

Alles in allem ist „Die Bruderschaft der Runen“ ein Roman, der einen eher schwachen und durchwachsenen Eindruck hinterlässt. Schottland mitsamt seiner Geschichte und seiner Kultur bietet zwar einen interessanten Hintergrund; dass Michael Peinkofer daraus aber einen durchgängig gelungenen Roman kreiert hätte, kann man leider nicht behaupten. Die Figuren sind teilweise arg klischeeüberfrachtet, auch wenn das Einbinden der historischen Figur Sir Walter Scotts für sich genommen schon recht pfiffig erscheint. Handlung und Figuren wirken teils recht durchschaubar und wenig überraschend, die Auflösung der Geschichte kommt etwas haarsträubend daher und auch sprachlich darf man keine hohe Kunst erwarten.

Insgesamt hätte man aus der Thematik auf jeden Fall mehr machen können. Für Schottlandfans ist das Resultat mitunter noch ganz reizvoll und wer wenig erwartet, der wird sicherlich über weite Strecken noch recht anständig unterhalten, dennoch liegt hier ein Buch vor, das wegen seiner Schwächen ganz sicher nicht jeder Erwartungshaltung gerecht wird.

Taschenbuch: 668 Seiten
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