Elizabeth Peters – Im Schatten des Todes (Lesung)

Untote Pharaonen: Action am Nil

Zwei britische Damen schippern Ende des 19. Jahrhunderts den Nil hinauf, um die Königsgräber von Amarna im Tal der Könige zu besuchen. Zu ihrem nicht geringen Schrecken ist eine wandelnden Mumie hinter der schwächeren der beiden Damen her, um sie zu entführen. Oder möchte ihnen jemand nur einen üblen Streich spielen?

Die Autorin

Dr. Elizabeth Peters promovierte in Ägyptologie. Das hat sie als Autorin auch umgesetzt, so etwa in diesem Buch. 1986 wurde sie mit dem Anthony Grand Master Award und 1989 mit dem Agatha [Christie] Award ausgezeichnet. In ihrer Amelia-Peabody-Reihe, zu der dieses Buch gehört (tatsächlich ist es der Auftaktroman der Serie), liegen achtzehn Bände vor.
Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Barbara Michaels und Barbara Mertz (ihr bürgerlicher Name ist Barbara Louise Gross Mertz).

Die Sprecherin

Dagmar Heller, geboren 1951 in Berlin, hat sich als Schauspielerin einen Namen gemacht, indem sie im Fernsehen unter anderem im „Tatort“ und in „Der Alte“ auftrat. Sie hat ihre Stimme bereits Stars wie Barbra Streisand, Meryl Streep, Michele Pfeiffer und Kim Basinger geliehen. Sie war schon mehrmals als Hörbuchsprecherin tätig.

Handlung

Miss Amelia Peabody, 32, unverheiratet, ist nicht gerade die durchschnittliche englische Lady: Sie hat eine halbe Million Pfund Sterling geerbt, hasst Röcke und lehnt es ab zu heiraten. Da braucht sie sich nicht zu wundern, wenn sie Ende des 19. Jahrhunderts (ca. 1887, zur Zeit des Mahdi-Aufstands im Sudan) eine Menge hochgezogener Augenbrauen hervorruft und ihr alle möglichen Abenteuer mit den Herren der Schöpfung zustoßen.

Als Tochter eines (soeben verstorbenen) Ägyptologen macht sie sich natürlich irgendwann auf den Weg zu den Stätten ihrer Sehnsucht, den Pyramiden und Pharaonengräbern am Nil. Doch vorab rettet sie eine junge mittellose Engländerin auf dem Forum Romanum aus einer der Ohnmachten, zu denen dieses unterernährte Geschöpf neigt. Der Name: Evelyn Barton Forbes. Das Schicksal: Opfer eines italienischen Mitgiftjägers namens Alberto, der sie um ihre Erbschaft bringen wollte. Als es mit der Erbschaft nichts wurde, weil Evelyns Cousin Lucas der Haupterbe von Lord Ellesmere wurde, ließ Alberto Evelyn sie sang- und klanglos sitzen. Die patente Amelia nimmt sich des armen Dings an und macht es zu ihrer Freundin. Zusammen fahren sie nach Kairo.

Beim Besuch der Pyramiden von Gizeh wagt es nur Amelia, in das Innere des Grabmals von Pharao Chufu (= Cheops) vorzudringen; Evelyn schlottern vor Angst die Knie. In einem der Museen begegnen die beiden Ladys erstmals den beiden ungleichen Brüdern Emerson. Sie sind leicht zu unterscheiden: Radcliffe ist der hünenhafte Rüpel und Walter der feinsinnige Romantiker, der sich unsterblich in Evelyn verliebt – allerdings kennen sich die beiden bereits. Evelyn mag ihn wesentlich lieber als ihren Cousin Lucas, der ihr ebenfalls nachstellt und einen Antrag macht.

Nachdem der Museumsdirektor die Damen aus dem reichen Fundus seiner geraubten Schätze beschenkt hat, reist man ab an den oberen Nil, nach Amarna, wo etliche Königsgräber der Ausgrabung harren. Bevor es losgeht, finden merkwürdige Begegnungen statt: Der treulose Alberto ist abzuwehren, und an Amelias Bett erscheint eine mumienhafte Gestalt, die sofort wieder verschwindet …

In Amarna herrschen schlimme Zustände, welche die Ägyptologin entsetzen: Landbevölkerung und Touristen gleichermaßen nehmen sich einfach die Funde, die sie in den Gräbern machen, verkaufen sie oder nehmen sie als Souvenir mit nach Hause. Von Wissenschaft keine Spur!

Radcliffe Emerson hat Echnatons Grab entdeckt, ist aber danach schwer fieberkrank geworden. Amelia heilt ihn und restauriert die Friese, während Evelyn die Wandmalereien zeichnet. Nachdem ein neues Grab mit einer Mumie darin entdeckt wurde, erregt das Verschwinden der Mumie einiges Aufsehen. Erst recht dann, als die Mumie zurückkommt und sich an Evelyn heranmacht. Das „Ding“ schlägt auch die Arbeiter in die Flucht, die den Fluch eines Priesterzauberers fürchten. Wer verbirgt sich hinter der Maske der wandelnden „Mumie“?

Amelias Misstrauen ist geweckt. Zusammen mit dem mittlerweile eingetroffenen Lucas Hayes, jetziger Lord Ellesmere, stellen sie und die Emersons dem „Ding“ eine Falle. Doch leider verläuft die folgende nächtliche Auseinandersetzung ganz anders, als sich das Amelia vorgestellt hat …

Mein Eindruck

Die Autorin versteht es hervorragend, mehrere Themen unter einen Hut zu bringen und den Leser durch Spannung, Romantik und Humor zu unterhalten. Anfangs spielt das romantische Thema eine wichtige Rolle, allerdings aus weiblicher Sicht, und ist deshalb stets auch mit ein wenig Existenzangst vermischt – Erbschaft ja oder nein, das kann schon den Unterschied zwischen Wohlstand oder Untergang bedeuten, wie der Fall von Evelyn Barton zeigt. Deshalb lautet die Devise, aufs richtige Pferd, pardon: auf den richtigen Mann zu setzen. Das ist auch nicht so einfach. Und bietet eine Menge Überraschungen.

Dass bei den Gräbern nächtens unheimliche Mumien wandeln, heulen und stöhnen, trägt nicht gerade zur Beruhigung der femininen Nerven bei. Evelyn fällt regelmäßig in Ohnmacht, aber das kennen wir schon. Amelia Peabody ist eher der energisch-rationale Typ und würde das „Ding“ sofort angreifen, wenn, ja wenn, die vermaledeiten Röcke nicht immer im Weg wären – die Viktorianerinnen trugen diese unbequemen Dinger Tag und Nacht. Sie fällt regelmäßig auf die Nase, was ihrem Stolz nicht besonders bekommt. Schließlich wird es ihr zu bunt, und sie bindet die Unterröcke an ihren Beinen fest: improvisierte Männerhosen – shocking!

Natürlich ist Amelias kriminalistischer Spürsinn geweckt, und sie setzt alles dran, das Rätsel der wandelnden Mumie zu lösen. Unerwartete Schützenhilfe erhält sie von Radcliffe Emerson, den sie ja gesundgepflegt hatte. Zwischen beiden läuft allmählich etwas, das merkt auch der stumpfsinnigste Zuhörer. Um Evelyns Wohlergehen bemüht, versucht sie sie mit Walter zu verkuppeln. Weil Radcliffe seinen Bruder Walter jedoch keine arme Kirchenmaus heiraten lassen will, muss Amelia erst einmal Radcliffe überreden. Zu ihrem Erstaunen arbeiten die folgenden spannenden Ereignisse zu ihren Gunsten …

„Im Schatten des Todes“ erweist sich nach ein wenig Anlauf als ein nettes, altmodisches Ägypten-Abenteuer, in dem amouröse Nöte und rätselhafte Schurken die Helden und Heldinnen auf Trab halten. Selbstverständlich wartet am Schluss ein rundum beglückendes Happy End auf den Zuhörer, allerdings mit der einen oder anderen Überraschung.

Die Sprecherin & Die Inszenierung

Dagmar Heller gelingt eine sehr gute, weil ausdrucksstarke Interpretation des Textes, so dass keine Gefahr besteht, dabei einzuschlafen. Durch ihre fein modulierte Intonation und dadurch, dass sie jeder Figur eine eigene, angemessene Tonlage zuweist, fällt es dem Zuhörer leicht, die einzelnen Figuren zu erkennen. Die zahlreichen Dialoge, aus denen das Buch überwiegend besteht, lassen die Handlung lebendig wirken.

Die Frauen

Dass die Äußerungen vor allem Amelias durchaus sarkastisch und ironisch gemeint sind, lässt uns Heller schnell merken. Sie kann durchaus auch schnippisch und resolut auftreten. (Kunststück – als Millionenerbin.) Diese humorvolle Seite des spannenden, romantischen Abenteuers ist sehr wichtig, um uns zu vermitteln, dass sich Amelia sehr wohl ihrer eigenen Position bewusst ist. Sie steht aber nicht hochmütig darüber, vielmehr erweist sie sich beim rechten Mann, wenn er denn mal so weit ist, durchaus als Evastochter.

In deutlichem Kontrast dazu steht ihr „Mündel“, die mittellose und enterbte Grafenenkelin Evelyn Barton-Forbes, die ein gar schröckliches Schicksal auf die Straße gebracht hat, wo Amelia sie zum Glück aufsammelt und in ihre Obhut nimmt. Evelyn ist meist schüchtern, nicht selten ängstlich und sehr schutzbedürftig. Dass sie auch noch zu unverhofften Ohnmachten neigt, dürfte nicht überraschen. Die Sprecherin porträtiert sie sehr feinfühlig.

Die Männer

An männlichen Figuren herrscht beileibe kein Mangel, wie man vielleicht meinen könnte. Ganz wundervoll gelingen der Sprecherin die Porträts des charmanten Franzosen Monsieur Masperot im Museum von Kairo sowie der theatralische Auftritt des Italieners Alberto, der die arme Evelyn gar schmählich hat sitzenlassen – was er natürlich heftig abstreitet.

Diesen beiden romanischen Herrschaften stehen die beiden Briten Ratcliffe und Walter Emerson gegenüber. Mit ihnen bekommen es Amelia und Evelyn länger zu tun. Die Emersons sind sehr verschieden. Während Walter ein umgänglicher und kultivierter Charakter ist, der sofort mit Evelyn vertraulich werden kann, erweist sich Ratcliffe als Riese mit ungehobelten Umgangsformen. Er liebt es, mit der Tür ins Haus zu fallen und seine Meinung möglichst unverblümt und LAUT zu Gehör zu bringen. Amelia hat ihre liebe Not mit diesem Mannsbild. Erstaunlich, wie es der Sprecherin gelingt, mit Vehemenz und tiefer Stimmlage Ratcliffe zum Leben zu erwecken.

Aussprache

Was der Sprecherin meine uneingeschränkte Bewunderung eingetragen hat, ist ihre fehlerlose Beherrschung aller im Text vorkommenden Sprachen, und das sind eine ganze Menge. Neben Deutsch und Englisch erklingen auch italienische und französische Sätze. Hinzukommen aber auch ägyptische Begriffe und Namen wie etwa „dhahabiye“ (Segelboot) und „reis“ (wörtlich: Kapitän). Und „Dragoman“ spricht sie zum Glück nicht „drägomän“ aus, sondern korrekt als „dragoman“.

Musik

Wie in vielen Hörbüchern des |audio media|-Verlags findet sich auch ein wenig Musik. Gleich am Anfang hören wir ein wenig Percussion, später dann, nach dem Eröffnungsakt, die erste von mehreren ägyptischen Melodien. Mal flott, mal besinnlich, mal mit Flöte, mal mit Streichinstrumenten, sorgt die Musik für das lokale Kolorit.

Diese Musik hat stets die Aufgabe, eine Zäsur zu setzen. Deshalb erklingt sie am Ende einer spannenden Szene und leitet die nächste ein, indem sie in den Hintergrund wandert. Die meisten Stücke sind ein bis zwei Minuten lang. Das Hinhören lohnt sich also nicht. Auch weil der Klangstandard lediglich Mono ist.

Unterm Strich

„Im Schatten des Todes“ – der Titel klingt dramatischer, als das Buch wirklich ist – entpuppt sich als schwungvoll und listig angelegtes Spannungsabenteuer mit amourösen Zwischentönen. Der Schauplatz der Pharaonengräber von Amarna (Tal der Könige) trägt viel zur geheimnisvollen Atmosphäre bei, in der sich das Rätsel der wandelnden Mumie, die es auf Frauen abgesehen hat, recht gut entfalten – und schließlich lösen – lässt.

Das Hörbuch

Dagmar Hellers lebendiger Vortrag macht das Zuhören zu einem kurzweiligen Vergnügen. Sie erweckt die Figuren, männliche wie weibliche, auf geschickte Weise zum Leben und schickt sie in interessante Situationen. Ich merkte schnell, dass die Sprecherin eine Vorliebe für das Theatralische und ein wenig dick Aufgetragene hat, so dass sie ihre fein modulierende Stimme flexibel und vielseitig einsetzen kann. Ihre Aussprache von fremdsprachigen Namen und Begriffen ist fehlerlos.

Die Musik weiß in den Pausen zwischen den Szenen zu entspannen und einen Übergang auf unaufdringliche Weise zu schaffen. Außerdem unterstreicht der Einsatz ägyptischer Instrumente und Melodien das Lokalkolorit und verstärkt die Illusion, sich vor Ort zu befinden. Positiv ist auch der günstige Preis zu vermerken.

Ältere Herrschaften mit Kenntnissen über das alte Ägypten, die Pyramiden und womöglich sogar viktorianische Frauenzimmer werden sicher ihre helle Freude an diesem viktorianischen Garn haben. Jüngere Herrschaften, die mit Mumien, Mythen und Mitgiftjägern nix am Hut haben, können dieses Hörbuch guten Gewissens zwar gut übergehen, doch ihnen entgeht ein akustisches Vergnügen.

275 Minuten auf 4 CDs
Originaltitel: Crocodile on the Sandbank, 1975
Aus dem US-Englischen von Leni Sobez
ISBN-13: 978-3-86804-490-4