Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – schwarze Katze, Die (POE #2)

Diese CD ist die gelungene Fortsetzung für die Hörspielserie, in der |Lübbe| vier Erzählungen von E. A. Poe verarbeitet hat. Diesen Herbst wurde die Poe-Reihe mit vier weiteren Produktionen fortgesetzt.

|Der Autor|

Edgar Allan Poe (gestorben 1849) gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, Horrorstory, Science-Fiction, Short-Story. Er gab verschiedene Zeitschriften heraus, veröffentlichte aber nur wenige eigene Werke in Buchform, sondern sah seine Geschichten und Gedichte lieber in Zeitschriften gedruckt. Er starb im Alkoholdelirium. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas.

Mehr über den Autor bei [wikipedia.]http://de.wikipedia.org/wiki/Edgar__Allan__Poe

|Die Sprecher|

Ulrich Pleitgen spricht die Figur des „Fremden“, der den Namen E. A. Poe annimmt.
Wirt: Thomas Danneberg (dt. Stimme von S. Stallone, Arnold Schwarzenegger, John Travolta)
Dr. Templeton: Till Hagen (dt. Stimme von Kevin Spacey & „Bester“ aus Babylon 5)
Sheila: Yara Bümel
Eileen: Anna Thalbach
Gedicht am Anfang/Lied am Schluss: Heinz Rudolf Kunze

_Handlung_

Vorgeschichte: Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert wurde und jetzt entlassen wird. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan? Diese Fragen stellt sich der Mann ohne Gesicht, der im Gasthaus den ersten Namen wählt, der ihm in den Sinn kommt: Edgar Allan Poe. (Edgar heißt der zahme Rabe des Gastwirts.)

Obwohl die Ausstattung des ärmliches Gasthauses in der neuenglischen Provinz ärmlich ist und im Gastzimmer Spinnen ihre Netze weben, findet der Gast Zeit zum Träumen. Und in den Träumen kommen Erinnerungen aus dem Unterbewussten …

Er ist der trunksüchtige Ehemann der zartfühlenden und tierlieben Eileen. Er heiratete sie ein Jahr nach dem tragischen Tod ihrer jüngeren Schwester Sheila (16), die über die Brüstung des Balkons in die Tiefe stürzte. Während dieses Unglücks hatte Eileen Sheilas Lieblingslied auf dem Piano gespielt. An Sheila erinnert bald nur noch ein Porträt, das über dem Kamin hängt. Doch merkwürdig: Ihre Augen sind statt des realistischen Grüns in einem Gelb dargestellt, das viel eher zu einer Katze passen würde. Wann immer der Mann an dieses Unglück denkt oder erinnert wird, hört er eine Katze laut miauen und das Klavierstück in allen möglichen Intonationen.

Eileen hat als liebstes Haustier einen Kater, der laut schnurrt, wenn man ihn streichelt. Das tut der Ehemann jedoch nie. Im Gegenteil: Die Augen der Katze gemahnen ihn an Sheila, an deren Tod er möglicherweise er schuldig ist (er bedrängte sie mit seinen Avancen). Zu gerne würde er dem Katzenvieh einen Tritt verpassen, um es zu verjagen. Auch die Melodie, die Sheila auf dem Piano zu klimpern pflegte, geht ihm nicht mehr aus dem Sinn. Bei einem Feuer brennt das Haus bis auf die Grundmauern nieder und das Ehepaar muss umziehen, in eine verrufene Gegend, in der es nicht nur vierbeinige Ratten gibt.

Um diese Gedanken der Schuld zu vertreiben, ertränkt er sie immer öfter in Alkohol. Bis er schließlich auch im Wirtshaus eine schwarze Katze bemerkt, die er mit nach Hause nimmt. Einmal sticht er ihr vor Wut ein Auge aus, und seine Frau kehrt sich von ihm ab. Um nun auch das kätzische Gejaule aus dem Keller zu beenden, bringt er dort die Katze um. Auch Eileen muss daran glauben. Er mauert sie und die Katze in einem blinden Kamin im Keller ein.

Doch der Fluch der bösen Tat fordert Sühne. Als der Polizeiinspektor Fragen nach der verschwundenen Gattin stellt und das Haus durchsucht, wird der Trunkenbold und Frauenmörder ein wenig zu übermütig angesichts der Tatsache, dass der Inspektor nichts gefunden hat. Er schwingt die Hacke gegen die Ziegel des Kamins …

_Mein Eindruck_

Natürlich ist die Prämisse, dass eine Kette böser Taten – Sheilas verschuldeter Sturz, die Verstümmelung der Katze, der Mord an Eileen und der Katze – auf jeden Fall nicht ungesühnt bleiben kann und wird, eine romantische Wunschvorstellung. Es kommen allzu viele Verbrecher mit ihren Taten davon.

Doch das Neue an der Geschichte besteht darin, dass die Bestrafung nicht von außen erfolgt, etwa durch göttliche oder fürstliche Intervention (wie in Sagen, Legenden, Mythen und Märchen). Vielmehr kommt dieser Impuls von innen, aus der Psyche des unbestraften Verbrechers selbst: Er muss sich selbst entlarven, um Erlösung von der Last seiner Schuld zu erlangen. Schon lange vor Freud also wird tiefer schürfende Psychologie als Triebfeder einer Story-Handlung eingesetzt.

Interessant ist an dieser Inszenierung, dass nie eindeutig geklärt wird, wann eine Katze halluziniert wird und wann sie real vorkommt. Die Katze ist das Symbol der Schuld und somit vom Verbrecher bereits verinnerlicht – genauso wie das Klavierstück und das Bildnis Sheilas, das sie mit einem gelben Auge zeigt. Man spricht hier von Projektion. Was bricht also aus dem Kamin hervor, hinter der die eingemauerte Gattin zu vermuten ist? Eine gute Frage! Man höre selbst.

|Die Sprecher|

Pleitgen spielt E. A. Poe als den leicht verwirrten und träumerischen Geisteskranken, der ausgerechnet im Gasthaus „Zum verlorenen Poeten“ Zuflucht sucht und Unterkunft findet. Dann aber spielt er auch den vulgären Trunkenbold und Tierquäler, dessen Brutalität in seinen Flüchen und der Mordtat zum Ausdruck kommt. Die zwei Charaktere sind grundverschieden, und doch gelingt es Pleitgen, beide Figuren überzeugend darzustellen. Es ist etwa so, wie dem schizophrenen Gollum zuzuhören – nur dass hier die zwei Figuren in getrennten Storys vorkommen.

Es ist schade, dass dem Trunkenbold in Poes Geschichte niemand Ebenbürtiges gegenübersteht. Weder Eileen (Anna Thalbach) , die die unterwürfige treue Ehefrau spielt, noch der Wirt (Danneberg) können dem Killer Paroli bieten. Dadurch erscheint dieser sehr einseitig als der Schurke schlechthin, wodurch er sich einem Verständnis nicht gerade anbietet. Vielmehr freut sich der Zuhörer, wenn ihn endlich der Arm der Gerechtigkeit erreicht.

|Die szenische Musik|

Neben dem wiederkehrenden Klavierstück und dem leitmotivischen „Dies irae“ ist diesmal recht häufig die singende Säge zu hören, gespielt von Christhard Zimbel. Dieses Motiv ist eng verbunden mit dem Erscheinen der schwarzen Katze. Außerdem gibt es reichlich bassbetonte Effekte, die unterschwellig ein Gefühl der Bedrohung verbreiten. Wohl dem, der einen Tieftöner sein Eigen nennt.

|Die Katze – gequält oder nicht?|

Die Darstellung der realen wie der eingebildeten Katze (als Bote des Unterbewussten) erfolgt durch häufig ein markerschütterndes, kreischendes Miauen, das im Moment des Todeskampfes geradezu in menschliche Dimensionen wechselt. Deshalb beunruhigt uns folgender Hinweis im Booklet: „Bei der Produktion dieses Hörspiels wurden keine Tiere gequält“, denn dieser Verdacht könnte sehr leicht entstehen. Katzenliebhaber seien gewarnt.

|Der Song|

Das Stück klingt wieder mit H. R. Kunzes Lied über E. A. Poe, „Der weiße Rabe“, aus. Es ist quasi eine Moritat, die versucht, diesen Dichter als Warner seiner Zeitgenossen in einen soziokulturellen Kontext zu stellen. Der Fünf-Minuten-Song ist zwar textlastig wie jede Moritat, aber stimmungsvoll instrumentiert und vorgetragen: schön schräg intoniert, mit „singender Säge“ unterlegt und wohligen Schauder erzeugend.

_Unterm Strich_

In dieser psychologisch vorangetriebenen Story über Schuld und den Fluch der bösen Tat(en) erreicht der Horror recht handfeste Dimensionen: Es hagelt geradezu Leichen und Verstümmelte, ein Haus brennt ab, der Trunkenbold tobt, bis buchstäblich die Polizei kommt. Die Leitmotive sind immer wieder zu hören, und ein Zuhörer, der Subtilität wünscht, könnte durchaus vor dieser Penetranz kapitulieren.

Aber „Die schwarze Katze“ ist, wie „Das geschwätzige Herz“, die Geschichte eines vulgären Menschen, eines Verbrechers aus niederen Beweggründen. Genausowenig Subtilität, wie er in seinem Verhalten zeigt (er zertritt aus Versehen mal so nebenbei Eileens geliebte Schildkröte), ist auch von seinem weiteren Vorgehen und in dessen Darstellung zu erwarten. Daher finde ich diese Inszenierung in Ordnung.

Die Rahmenhandlung in Dr. Templetons Anstalt taugt durchaus dazu, die Serie zu tragen, allerdings sind die Traumreisen in Poe’sche Storywelten nur mit romantischen Mitteln zu erklären, es sei denn, der Patient Poe bekäme zur Heilung ein traumförderndes Medikament. Dies ist im Gasthaus „Zum verlorenen Poeten“ aber nicht der Fall: Poe zählt nur Spinnweben und Spinnen. Auch das kann ja einschläfernd wirken. Ein Angelsachse würde den naheliegenden Begriff „wool-gathering“ für Tagträumen verwenden.

Sprecherdarbietungen und Musik- & Soundkulissen verschmelzen zu einer stimmigen Einheit. Zusammen mit der dynamischen Handlung bietet „Die schwarze Katze“ daher ein unterhaltsames und wahrhaft Schauder erregendes Hörspiel. Die anderen beiden Hörspielen „Usher“ und „Maske des Roten Todes“ sind lange nicht so unterhaltsam, sondern wirken dagegen langweilig.

|Umfang: 53 Minuten auf 1 CD|