Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Maske des Roten Todes, Die (POE #4)

Vierter und (zunächst) letzter Teil der Hörspielserie zu Geschichten von Edgar Allan Poe. Diesmal ist das Thema „Die Maske des Roten Todes“, eine der bekanntesten (und am meisten kopierten) Geschichten Poes. Statt ins frühe 19. Jahrhundert wird der Zuhörer diesmal in die Epoche des italienischen Barock entführt – das suggeriert zumindest die Hintergrundmusik, die vom Barockorchester Berlin vorgetragen wird. Die Regie führten wie stets Christian Hagitte und Simon Bertling.

Die Reihe wurde mittlerweile weitergeführt mit:
– Sturz in den Mahlstrom
– Der Goldkäfer
– Lebendig begraben
– Die Morde in der Rue Morgue

|Der Autor|

Edgar Allan Poe (gestorben 1849) gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Er gab verschiedene Zeitschriften heraus, veröffentlichte aber nur wenige eigene Werke in Buchform, sondern sah seine Geschichten und Gedichte lieber in Zeitschriften gedruckt. Er starb im Alkoholdelirium. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. („Allan“ ist übrigens kein Vorname, sondern der Familienname seines Ziehvaters.)

|Die Sprecher|

Ulrich Pleitgen spricht die Figur des „Fremden“, der den Namen E.A. Poe annimmt. Hier interpretiert er den Fürsten Prospero, der sich den Einflüsterungen seines Hofmeisters hilflos offen zeigt.
Dr. Templeton: Till Hagen
Hofmeister: Peter Groeger
Küchenmagd Louisa: Yara Bümel
Gedicht am Anfang/Lied am Schluss: Heinz Rudolf Kunze

_Handlung_

Vorgeschichte: Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und jetzt entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Er ist im Hafen angelangt, von dem sein Schiff in den Fernen Osten abfahren soll. Dr. Templeton drängt ihn zwar, hierzubleiben und seine Identität herauszufinden, doch E. A. Poe lehnt ab. Er besäuft sich im nächstbesten Wirtshaus. Dort hat er eine venezianische Maske an der Wand hängen sehen. Der rote Fleck auf der Maske stamme von Blut, sagt der Wirt. Dann beginnt Poe zu träumen …

Der Erzähler findet sich eingeschlossen in einem großen Palast vor – einem venezianischen Palazzo: Er ist Fürst Prospero. Seine Hoheit freut sich über die fremden Händler und Gaukler, die seine schöne Stadt beehren. Insbesondere den Feuerwerker würde er gerne kennen lernen. Während sich die Küchenmagd Louisa und ein Gaukler näher kennenlernen, beginnt einer der Fremden zu husten – es ist der Feuerwerker. Der Arzt stellt den Roten Tod fest. Fürst Prospero vernimmt die Nacht mit größtem Bedauern, aber da kann man wohl nichts machen.

Schon wenige Tage später fallen der Seuche, die schlimmer wütet als die Pest, dreißig Einwohner und Fremde zum Opfer. Louisa flüchtet sich ebenso wie der Hofstaat in den Palast und wagt sich nicht mehr heraus. Der Hofmeister rät, die Tore zu verriegeln. Vor den zugemauerten Toren stirbt die im Stich gelassene Bevölkerung an der furchtbaren Seuche. Wochenlang.

Der Fürst jedoch hat sich mit all seinem Hofstaat von der Außenwelt abgeschlossen, um dem Roten Tod zu entgehen. Auf Anraten seines schlauen Hofmeisters veranstaltet er einen Maskenball (masque), um den Hofstaat aufzuheitern und auf andere Gedanken als an den Tod zu bringen. Ein prächtiges Spektakel beginnt. Am Vorabend stürzt sich Louisa von den Mauern.

Die Party ist in vollem Gange und man amüsiert sich prächtig, doch unter den Gästen nimmt der Fürst plötzlich eine Maske (masque) wahr, die keiner zu kennen scheint. Und als ob sie dem Ablenkungsmanöver des Fürsten Hohn sprechen wolle, handelt es sich um die Maske des Roten Todes. Der Fürst ist empört und lässt dem todeswürdigen Maskenträger die Fratze abreißen: Doch da ist kein Gesicht …

_Mein Eindruck_

Die Binnenerzählung, der Traum des E. A. Poe, vermittelt durchaus gelungen das Gefühl nahenden Verhängnisses: die steigende Zahl der Erkrankungen, das fehlende Heilmittel, die unterbleibenden Hygienevorkehrungen, schließlich die verstreichenden Wochen des Eingemauertseins. Louisas Abschiedsworte bringen es auf den Punkt: Sie kann dieses Gefühl, lebendig begraben zu sein, nicht mehr ertragen und springt hinaus aus ihrem Gefängnis – in den Tod.

Was hier jedoch fehlt, ist die Stimme eines Erzählers, der dem Zuhörer das drohende Unheil, das über Prospero hereinbricht, näher bringt. Louisa, der Küchenmagd, gelingt dies leider nicht, obwohl es ihre Aufgabe wäre – sie wurde extra dafür erfunden, denn meines Wissens kommt sie in der Originalstory nicht vor. Dennoch: Ihr Tod rührt uns, und das ist wichtig.

Auch der Augenblick höchsten Grauens, als der Rote Tod in aller „Pracht“ hervortritt, ist wenig geglückt umgesetzt. Das Grauen bleibt beim Zuschauer jedenfalls aus. Und der Rückstürz in den Traum des E. A.Poe in seinem Kaffeehaus erfolgt völlig übergangslos, so dass der Zuhörer für einen Moment desorientiert ist.

Am wichtigsten ist jedoch die Fehlinterpretation der Figur des Füsten Prospero durch Ulrich Pleitgen. Seinen Fürsten könnte ein idealistischer Goethe oder Schiller erfunden haben, so freundlich und großzügig gibt er sich zunächst, wird nur durch die Einflüsterungen seines skrupellosen Hofmeisters zu der infamen Abschottung veranlasst. Keine Spur also von schicksalsverachtender Überheblichkeit, die die Götter als frevelhafte Hybris durch das Senden des Roten Todes zu bestrafen trachten. Der Fürst tut uns leid, und das ist das Letzte, was diese Horrorstory vertragen kann.

|Der Song|

Das Stück klingt wieder mit H. R. Kunzes Lied über E. A. Poe, „Der weiße Rabe“, aus. Es ist quasi eine Moritat, die versucht, diesen Dichter als Warner seiner Zeitgenossen in einen soziokulturellen Kontext zu stellen. Der Fünf-Minuten-Song ist zwar textlastig wie jede Moritat, aber stimmungsvoll instrumentiert und vorgetragen: schön schräg intoniert, mit „singender Säge“ unterlegt und wohligen Schauder erzeugend.

|Die szenische Musik|

Im Hintergrund der szenischen Hörspiels erklingt hin und wieder Musik. Es handelt sich um Barockmusik, die das Leben feiert. Aber auch eine Memento mori gibt es: Das Kirchenlied „Dies irae, dies illa“ („Tag des Zornes, jener Tag“, oft übersetzt als „Tag der Rache, Tag der Sünden“) ist dem Leser sicherlich durch die besonders bekannte Vertonung Mozarts in seinem „Requiem“ vertraut. In zahlreichen Abwandlungen wird es eingestreut und unterlegt. Hinzu kommen Punktuationen: ein Klang, der eine Szene von der nächsten abtrennt, beispielsweise eine Glocke.

_Unterm Strich_

Dieser (zunächst) letzte Teil der aufwendig inszenierten Hörspielreihe verpasst die obligatorische Gelegenheit, die Reihe mit einem Paukenschlag abzuschließen. Man hat auch hier wieder auf gepflegten Grusel setzen wollen, aber das Geschehen plätschert so vor sich hin, bis es zum logischen Endpunkt gelangt – und gleitet dann wieder in die Rahmenhandlung zurück, die auch nichts mehr von Bedeutung zu bieten hat.

Dabei gäbe es doch so schöne Storys zu verarbeiten! Man braucht sich nur Alan Parsons Auswahl aus seinem Album „Tales of Mystery and Imagination“ anzusehen: „The System of Dr. Tarr and Professor Feather“, „The Tell-tale Heart“ und ganz besonders „Das Fass Amontillado“ eignen sich ebenso zur Hörspielbearbeitung wie die Frauenstorys „Morella“, „Ligeia“ und „Eleonora“. Geboten werden in der Fortsetzung hingegen die oben angeführten Storys:
– Sturz in den Mahlstrom
– Der Goldkäfer
– Lebendig begraben
– Die Morde in der Rue Morgue

Wer die härtere Horror-Gangart sucht, wird von |Lübbe| aber auch bestens bedient: Lovecrafts Cthulhu-Storys sind ebenso zu haben wie „Necroscope“ von Brian Lumley. Ich bin sicher, wir werden noch mehr Gruseliges von |Lübbe| auf die Ohren bekommen …

|Umfang: 55 Minuten auf 1 CD|