Pratchett, Terry – A Hat Full of Sky / Ein Hut voller Sterne (Tiffany Weh 2)

Wee Free Men: Bitte zu Tiffanys Rettung!

An ihrer ersten Lehrstelle lernt die Nachwuchshexe Tiffany Aching in Miss Level eine interessante, aber auch ein wenig enttäuschende Lehrmeisterin kennen. Auch die anderen Junghexen in Tiffanys Gegend sind mit ihrem Los unzufrieden. Tiffanys Leben und das aller in ihrer Umgebung erlebt eine drastische Wendung, als ein unsichtbares Ungeheuer ihr Bewusstsein übernimmt und sie zu einer der mächtigsten Hexen der Region macht, gefürchtet, aber gut gekleidet.

Können die Nach Mac Feegle und Oma Wetterwachs der besessenen Tiffany Einhalt gebieten, bevor sie die Welt zu ihrem Spielball macht?

Hinweis

Diese Besprechung beruht auf der englischsprachigen originalausgabe. Daher sind alle Namen in der englischen Originalform wiedergegeben.

Der Autor

Terry Pratchett und seine Frau Lynn sind wahrscheinlich die produktivsten Schreiber humoristischer Romane in der englischen Sprache – und das ist mittlerweile ein großer, weltweiter Markt. Obwohl sie bereits Ende der siebziger Jahre Romane schrieben, die noch Science Fiction-Motive verwendeten, gelang ihnen erst mit der Erfindung der Scheibenwelt (Disc World) allmählich der Durchbruch. Davon sind mittlerweile etwa drei Dutzend Bücher erschienen.

Nachdem diese für Erwachsene – ha! – konzipiert wurden, erscheinen seit 2001 auch Discworld-Romane für Kinder. Den Anfang machte das wundervolle Buch „The Amazing Maurice and His Educated Rodents“, worauf „The Wee Free Men“ folgte. Die Fortsetzung von „Wee Free Men“ trägt den Titel „A Hatful of Sky“.

Doch auch andere Welten wurden besucht: ein Kaufhaus, in dem die Wühler und Trucker lebten, und eine Welt, in der „Die Teppichvölker“ leben konnten. Die Wühler-Trilogie „The Bromeliad“ soll zu einem Zeichentrickfilm gemacht werden.

The Wee Free Men ist der dreißigste Scheibenwelt-Roman. „Kleine freie Männer“ wurde 2003 publiziert.
Ort der Handlung ist das Kreideland. „Kleine freie Männer“ gehört zu den Hexen-Geschichten. Die Hauptlast der Geschichte liegt auf den Schultern der neunjährigen Tiffany Weh, die das Kreideland vor einer Invasion durch die Feenkönigin bewahren muss. Nebenher befreit sie ihren kleinen Bruder Willwoll und Roland, den Sohn des Barons, aus den Händen des Feenvolkes.

Es folgten noch vier weitere Tiffany-Weh-Romane: Ein Hut voller Sterne, Der Winterschmied, Das Mitternachtskleid und Die Krone des Schäfers.

Vorgeschichte: „The Wee Free Men“ / „Die kleinen freien Männer”

Tiffany Aching ist im Alter von neun Jahren eigentlich ein einfaches Milchmädchen, das auf der Farm seiner Eltern für die Herstellung von allerlei Milchprodukten wie etwa Käse oder Butter zuständig ist. Aber Tiffany hat zwei Vorteile im Überlebenskampf: ein ausgeprägtes Denkvermögen und eine Großmutter, die wohl so etwas wie eine Hexe war.

Tiffany erinnert sich so häufig an die Granny Aching, dass diese zu einer weiteren Hauptfigur wird. Und obwohl Granny nur eine einfache Schäferin war, die in der Region mit dem Namen The Chalk (die Kreide), wo Tiffany lebt, Schafe hütete, war sie wohl auch so etwas wie eine göttliche Instanz: Sie war die Verkörperung des Landes. „The land is in my bones“, pflegte die Omi zu sagen. Und davor hatte selbst der Baron des Landes Respekt.

Tiffanys besondere Freunde sind die Nac Mac Feegle, die titelgebenden Wee Free Men. Sie haben blaue, tätowierte Haut, knallrote Bärte, tragen Kilt und Schwert, reden seltsames Schottisch – und sind ungefähr zehn Zentimeter groß. Als sie gerade eine Hexe suchten, hatten sie sich Tiffany ausgesucht. Warum gerade Tiffany Aching? Sie hatten ihre Heldentat gegen einen Wassergeist beobachtet und sich gedacht: „She’s a hag alright!“ (Schotten sagen offenbar „hag“ statt „witch“.)

Ihr Anführer stellt sich ihr als Rob Anybody Feegle vor und sein Volk als die Nac Mac Feegle. Sie haben keinen König, keine Königin, keinen Herrn – daher sind sie die Wee FREE Men. Sie haben, wie sich später herausstellen soll, nur vor zwei Dingen Angst: vor ihrer früheren Chefin, der grausamen Königin von Feenland, und vor – Anwälten. Tiffany erledigte dann die Königin – und regelte auch das kleine Problem mit ihren Anwälten.

Die Königin der Nac Mac Feegle

Die Freundschaft der Nac Mac Feegle erkauft man nicht so einfach, findet Tiffany bald heraus. Geschenke erhalten zwar die Freundschaft, doch wenn es um die Verknüpfung von Schicksalen geht, müssen engere Bande geknüpft werden. Die Nac Mac Feegle haben in ihrem unteridischen Bau eine Art Schwarmkönigin plus Schamanin: die „kelda“. Diese uralte Gnomen-Oma macht Tiffany zu aller Erstaunen zu ihrer zeitweiligen Nachfolgerin, bevor sie in „das letzte Land“ geht. Sie erklärt Tiffany auch ihren keltischen Namen: „Land unter Wasser“ (das wird beim Finale noch wichtig).

Was Tiffany als neue „kelda“ nicht weiß: Sie muss als erste Tat einen Mann heiraten. Natürlich keinen „Bigjob“ (Menschen), sondern einen der Nac Mac Feegles. Doch Bräuche sind dazu da, sie zu befolgen, ganz besonders gilt das für Anführer. Und so wählt Tiffany den wichtigsten Nac Mac Feegle: Rob Anybody. Und weil Tiffany eine Meisterin des Denkens ist, fällt ihr auch ein, wie sie die peinlichen Implikationen der Vermählung umgehen kann (wovon der Polterabend vermutlich die harmloseste ist).

Tiffany ist nur für eine Übergangsphase Königin. Die Feegle finden eine Königin von ihrem eigenen Volk, aus einem anderen Stamm: Jeannie. Zunächst hat die Lady zwar etwas gegen die Vorgängerin und mögliche Nebenbuhlerin, doch sie sieht schließlich ein, dass Tiffany weit mehr ist als nur eine Frau …

Handlung

Damals war Tiffany neun Jahre alt, mittlerweile ist sie elf. Miss Tick, die junge Wanderhexe, bringt Tiffany zu ihrer ersten Lehrstelle. Sie soll bei Miss Level, einer vertrauenswürdigen Hexe, in die Lehre und natürlich im Haushalt zur Hand gehen. Leider wird der Lohn gering sein, aber wäre das etwas Neues?

Das Ungeheuer

Auf der Reise dorthin fällt Miss Tick ein seltsames Geräusch auf, so als ob ein Schwarm unsichtbarer Bienen hinter ihnen her wäre. Prompt fabriziert Miss Tick aus Bindfäden, Federn und einem frischen Ei eine Art Geisterfalle oder Traumfänger. Oh, das Ei zerplatzt regelmäßig. Sehr merkwürdig. Was sie und Tiffany nicht ahnen, was aber die Nac Mac Feegle zu ihrem Entsetzen entdecken: Ein unsichtbares Ungeheuer, das die Feegle einen „hiver“ nennen (von „hive“: Bienenstock), hat sich Tiffany als seinen nächsten Wirt auserkoren. Warum ausgerechnet sie? Nun ja, sie war wohl auf dem Chalk das einzige intelligente Lebewesen. Schafe können in Sachen Intelligenz sehr frustrierend sein. Wie interessant dieses Wesen namens Hiver ist, wird sich noch zeigen.

Die Lehrherrin

Miss Level ist ebenfalls interessant. Sie ist zwei. Nein, nicht zwei Jahre alt, sondern zwei Körper, die sich einen Verstand teilen. Daher irritiert es Tiffany zunächst, wenn sie ein und dieselbe Person an zwei verschiedenen Orten antrifft. Es gibt noch einen Hausbewohner: Oswald ist unsichtbar, räumt aber alles wieder weg. Alles in allem ein höchst interessanter Arbeitsplatz.

Das trifft jedoch nicht auf die Arbeit zu. Tiffany hatte gehofft, ein paar Zaubertricks aufzuschnappen, aber bei Miss Level stellt sich die Stellenbeschreibung „Zauberlehrling“ als so etwas wie eine Kombination aus Sozialhelferin, Hebamme und Krankenschwester heraus, die sie in den Weilern und Dörfern der Umgegend zu erledigen hat. Viele alte Knacker freuen sich über ihren Besuch, doch Tiffany ist eher frustriert.

Der Hexenkreis

Es gibt zwar viel zu tun, aber ist dies das Richtige für eine junge Hexe? In der Tat nicht, finden die anderen jungen Hexen, deren Treffen Tiffany im Wald besucht. Sie alle sind reichlich unzufrieden mit ihren Lehrherrinnen und sinnen auf Abhilfe. Vor allem die junge Annagramma ist eine penetrante Nörglerin, die es im Handumdrehen schafft, dass alle anderen sich mies und unzulänglich vorkommen. Die arme Petulia: Jeden Satz beginnt sie mit einem zaudernden „um“ im Sinne von „äh, öhm“. Und was hat die liebe Tiffany als Hexentrick vorzuweisen? Ein unsichtbaren Hexenhut, soso. Die anderen lachen sich schlapp. Tiffany beschließt, die Treffen künftig zu meiden. Sie sind irgendwie nicht konstruktiv.

Tiffanys Übernahme

Da die Nac Mac Feegle zwar bereits unterwegs sind, um sie vor der Gefahr des Hivers zu schützen, aber es Tiffany unheimlich langweilig ist, hat der Hiver Gelegenheit zur Attacke. Als sie ihren gewohnten Trick ausführt und für eine Sekunde oder zwei aus ihrem Körper schlüpft, um sich von hinten zu betrachten (ein sehr nützlicher Trick, nicht wahr?), bemächtigt sich das Wesen ihres Kopfes und übernimmt ihren Verstand. Jedenfalls 99 Prozent davon, und dem Rest bleibt nur übrig, unauffällig um Hilfe zu flehen.

Chaos und Vernichtung

Von dem Hiver gesteuert, verschafft sich Tiffany erst einmal Respekt. Oswald verschwindet, um sich in Sicherheit zu bringen, doch Miss Level ist nett, naiv und ahnungslos: Ihr zweiter Körper muss dran glauben. (Wie sie mit der neuen Lage der Dinge zurechtkommt, werde ich nicht verraten.) Aber sie hat ja noch einen Reservekörper. Sodann besorgt sich Tiffany standesgemäße Klamotten: einen nachtschwarzen Umhang, einen megaspitzen Hut und einen Zauberstab.

Annagramma, die ebenfalls gerade beim Einkaufen ist, staunt nicht schlecht: Diese Seite von Tiffany Aching hat sie noch nicht kennen gelernt. Doch als es ans Bezahlen geht, wundert sie sich ordentlich. Tiffany verlangt nämlich 90 Prozent Rabatt! Mit wem hat es der Ladenbesitzer, Mister Zakzak Stronginthearm, ein braver Zwerg, denn hier zu tun? Mit einer Betrügerin etwa?

Zakzak ruft seinen Hauszauberer Brian zu Hilfe. Brian hat auf der Unsichtbaren Uni studiert und kann sicherlich für Ruhe sorgen. Leider ist Brian der Aufgabe ebensowenig gewachsen wie Annagramma: Er wird von Tiffany in einen Frosch verwandelt. Die überschüssige Menschenmasse, die nicht in einen Frosch passt, stopft Tiffany in einen Ballon aus Menschenhaut. Er ist schön rosa und schwebt unter der Decke.

Annagramma zieht es vor, bei diesem Anblick in Ohnmacht zu fallen, Zakzak zieht es vor, auf alle Waren, die diese Hexe haben will (und zwar jede Menge Waren) großzügig Rabatt zu gewähren. Vielleicht lässt sie ihn sogar am Leben. Tiffany zieht es vor, sofort zu verschwinden und zu Hause ihre neuen Klamotten anzuprobieren.

Spielverderber

Tiffany findet, endlich sei das Leben lebenswert. Doch man kann darauf wetten, dass genau dann, wenn es am schönsten ist, garantiert ein Spielverderber auftaucht. In diesem Fall sogar zwei: die Nac Mac Feegle und – Granny Weatherwax.

Mein Eindruck

Wird das weitere Schicksal von Tiffany Aching in späteren Bänden weitererzählt werden? Wir wissen es noch nicht, der Autor verrät es noch nicht, aber wir wollen es sehr hoffen. Denn Tiffany ist weit mehr als nur eine junge Hexe, die gar nicht wie eine aussieht. Sie ist ein Gegenentwurf zu Harry Potter, zu der Zauberschule Hogwarts und überhaupt zu der Aufspaltung der Welt zwischen der der Zauberer und der der Muggel.

Tiffanys Welt ist ein Kontinuum, und wenn man nach Westengland wandern würde, sagen wir: nach Wiltshire oder Shropshire, könnte man vielleicht sogar Leute finden, die so oder so ähnlich auf ihren Weilern leben wie die Leute im Buch. (Ein Beispiel: Der durch Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Film bekannt gewordene Art Designer und Illustrator Alan Lee lebte vor dem ganzen Rummel um den Film sehr abgeschieden irgendwo in Südwestengland, und das Jackson-Team musste ihn erst einmal per GPS lokalisieren.) Der Autor lebt selbst in Westengland und beschreibt diese Gegend in seinem Interview (siehe „Anhänge“).

„Witchcraft“ wird von Pratchett völlig anders dargestellt als von J. K. Rowling. Es dreht sich nicht um Macht, Kontrolle und Dinge, auch nicht um Fabeltiere und anderen Kinderkram, sondern um Menschen. Tiffany kann nicht nur ausgezeichneten Käse herstellen und das Wörterbuch rückwärts und vorwärts zitieren, sie lernt auch, wie man sich als Hexe um andere Menschen kümmert und so seinen Lohn erhält, nicht als Obolus in harter Währung, sondern auf dem Wege von Tauschgeschäften. Offensichtlich benötigen Hexen kein Geld.

Wem die junge Hexe nun zu langweilig erscheint, dem sei gesagt, dass sie über mehrere bemerkenswerte Qualitäten verfügt. Zum einen ist da schon das erwähnte Verlassen des eigenen Körpers. Miss Level ist sehr erstaunt darüber – seit Generationen habe keine Hexe mehr über diese Fähigkeit verfügt. Zweitens kann Tiffany ausgezeichnet denken: Sie hat erste, zweite und dritte Gedanken. Das hilft, zur richtigen Entscheidung zu gelangen, sollte man meinen. Tut es meistens auch. Außerdem kann sie ihre Augen zweimal öffnen: einmal für die physische Welt und einmal für die Welt dahinter.

Zudem hat sie keine Angst vor dem Tod. Als sie mit dem Hiver ins Land jenseits des Landes der Lebenden einen kleinen Ausflug unternimmt, begegnet sie dem Sensenmann, der immer in GROSSBUCHSTABEN redet. Sie sagen hallo bzw. HALLO zueinander und gehen ihrer Wege, wobei gesagt werden muss, dass es eher so ist, dass Tod sich vor dem zudringlichen Nac Mac Feegle an Tiffanys Seite in Sicherheit bringt. Schrecken geht bei Pratchett häufig einher mit Komik. Es ist seine Methode, Kindern mit den tieferen, ernsteren Wahrheiten des Lebens vertraut zu machen. Er hat sicherlich nicht vor, Horrorromane unters Volk zu bringen.

Die Sache mit dem Hut

Ständig geht es in dem Buch um spitze Hexenhüte. Ja, der Buchtitel selbst dreht sich um einen solchen Hut. In der Art und Weise, wie sich Pratchett des Themas annimmt, wird seine radikale Abkehr von der Harry-Potter-Welt deutlich. Annagramma und ihre Kolleginnen finden spitze Hüte einfach modisch, passend zu einem bodenlangen Kleid aus nachtschwarzer Seide. Beide Accessoires müssen unbedingt auch mit Monden und Sternen bestickt sein, je mehr Silber, desto besser. Die Hexe Mrs. Earwig ist die Inkarnation dieses New-Age-Esoterik-Modetrips.

Sehen wir uns dagegen mal Tiffany an, so könnte man sich glatt schlapplachen. Sie hat – im Normalzustand – lediglich einen unsichtbaren Hut auf, den ihr Granny Weatherwax am Ende von „Wee Free Men“ geschenkt hat. Doch was man nicht mit den ersten Augen sieht, das existiert offenbar nicht. Diese Oberflächlichkeit ist in Pratchetts, äh, Augen ein schwerer Fehler. Er verhindert zum Beispiel die richtige Auseinandersetzung mit Wesen wie dem Hiver.

Das Ungeheuer

Als der Hiver die junge Hexe übernimmt, erschließt sich dieser unfreiwillig eine weitere Dimension. Im Hiver – nomen est omen – ist ein ganzer Schwarm von Seelen eingeschlossen. Nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren, die vor Jahrmillionen lebten, beispielsweise von Säbelzahntigern. Auch ein vorwitziger Magier ist hier ein Stammgast: Sensibility Bustle. Der Namen bedeutet so viel wie „Empfindsamkeit Geschäftig sein“, was ja ein seltsamer Widerspruch zu sein scheint. Aber viele von Pratchetts Namen bilden Widersprüche. Das macht sie so interessant.

Tiffany findet heraus, dass das Ungeheuer eigentlich gar nicht böse ist. Es meint nur, es müsse sich wie ein Kontroll-Freak verhalten, weil dies alle übernommenen Wesen so wünschten: Machtausübung durch Angsterzeugung. Doch Tiffany ist die große Ausnahme von der Regel. Sie braucht eine Weile, um dem Hiver das beizubringen. Dann muss sie ihm noch eine Alternative zu diesem falschen Weg zeigen. Deshalb gehen sie zusammen ins Geheime Land, wo sie auf TOD stoßen.

Mein Leseerlebnis

Diese Folge von Tiffanys Abenteuern fand ich schwieriger zu lesen als den ersten Band. Erstens ist weniger los, und zweitens tauchen die Feegle nur selten auf – dann aber in so umwerfend komischen Szenen, dass man sich das Lachen nicht verkneifen kann. Leider erfordern ihre Szenen im Original fortgeschrittene Englisch- und Schottischkenntnisse. Man muss auf das Glossar zurückgreifen, um sie zu verstehen und ein wenig die Aussprache berücksichtigen, dann kommt man zurecht.

Darüber hinaus gibt es nur weniges, das wirklich originell genannt zu werden verdient. Dass Hexen nicht wie Hexen aussehen oder handeln müssen – das kannten wir schon aus „Wee Free Men“ und eigentlich, wenn man’s recht bedenkt, schon aus dem allerersten Scheibenwelt-Roman mit Oma Wetterwachs. Und auch jetzt noch bewegen sich Hexen auf Besen als ihrem bevorzugten Vehikel fort.

Originell könnte die Figur des Hiver erscheinen, doch mich erinnerte das Ding immer fatal an gewisse Folgen von „Raumschiff Enterprise“, in denen es Pille, Kirk, Scotty und Spock mit allerlei seltsamen Wesen und Konstrukten zu tun bekamen – das muss in den sechziger Jahren gewesen sein. Deswegen haute mich das „Ungeheuer“ nicht sonderlich um.

Story vom Pferd

Bleibt als Einziges noch das Weiße Pferd von Uffington übrig. So heißt es natürlich nicht im Roman, aber man kann diese in die Seite eines Hügels eingelassene urzeitliche – hm, wie soll man’s nennen – Landschaftsskulptur (?) mit der Darstellung eines weißen, rennenden Pferdes im englischen Uffington besichtigen. Das Bemerkenswerte an dieser künstlerischen Darstellung ist, dass es sich keineswegs um eine realistische Wiedergabe des Abbilds eines Pferdes handelt, sondern sozusagen um die künstlerische Interpretation dessen, was ein rennendes Pferd ausmacht – sozusagen seine Essenz oder „horsiness“.

Tiffany erhält zu Beginn ihrer Reise in die Fremde ein silbernes Amulett vom Sohn des Barons geschenkt. Roland hatte sie im Feenland das Leben gerettet. Seitdem ist er nicht bloß ein wenig in sie verschossen. Das Amulett zeigt exakt das laufende Pferd von Uffington (siehe die Abbildung im Anhang des Buches). Im Finale taucht ein weißes Pferd auf – ich hatte es irgendwie erwartet.

Wer will, kann aus diesen Zusammenhängen eine Kunsttheorie à la Terry Pratchett herauslesen. Aber in Wahrheit existiert sie bereits: Es handelt sich um die Übertragung des Prinzips der Höhlenmalerien auf die Welt der magischen Amulette. Diese beschwörenden Amulette sind offenbar von weitaus größerem Wert für magische Handlungen als der ganze Klimbim, mit dem sich beispielsweise Junghexe Petulia zu behängen pflegt, nur um dem Modeideal von Mrs. Earwig zu genügen. Petulia macht sich darin nur lächerlich, weil sie sich regelmäßig in den Ketten verheddert und sich nur mit fremder Hilfe aus dem Wirrwarr (dem Gefängnis der falschen Vorstellungen und Ideale) befreien kann.

Wie man sieht, gibt es jede Menge Ironie, Komik und Horror – eine interessante Mischung, die jugendliche Leser hier vorgesetzt bekommen. Andererseits sind die Gewaltszenen sehr dünn gesät und derart surreal, dass sie keiner ernst nehmen kann. Eltern können beruhigt sein, während ihre Kleinen nach etwas Aufregung in diesem Buch lechzen. Mir war es auch zu brav.

Die Anhänge etc.

Die amerikanische Taschenbuchausgabe wartet mit mehreren Goodies auf, die das Buch beträchtlich aufwerten, wie ich finde. Neben der Autorenbiografie und der obligaten Discworld-Bibliografie findet sich hier ein aufschlussreiches Interview – getarnt als „Fragen & Antworten“ – sowie am Anfang ein Glossar. Dieses Wörterverzeichnis übersetzt dem Laien oder Einsteiger die alten schottischen Begriffe, die die Nac Mac Feegle verwenden, in modernes Englisch. Dieses Glossar hätte ich auch in „The Wee Free Men“ sehr nützlich gefunden, als ich dieses Buch gelesen habe.

Unterm Strich

Mit Fortsetzungen zu erfolgreichen Romanen ist es ja immer so eine Sache. Wird sie genauso gut sein wie der tolle Erstling? „A Hat Full of Sky“ ist nicht so gut wie „Wee Free Men“, aber das war im Grunde zu erwarten. Es ist anders: tiefgründiger, weiser, noch verdrehter in seiner Denke, als es „Wee Free Men“ schon war. Dass dabei die Action ein wenig auf der Strecke bleibt, muss man billigend in Kauf nehmen. Der Höhepunkt ist sicherlich der Showdown zwischen Tiffany und Hiver im Geheimen Land. Leider kommen danach noch etliche hundert Seiten, die man lediglich als Ausklang qualifizieren kann. Ein sehr langer Ausklang.

Wer aber „Wee Free Men“ oder die Übersetzung „Kleine freie Männer“ genossen hat, der wird auch diese Fortsetzung nicht verpassen wollen.

Hinweis

Inzwischen hat Pratchett schon wieder einen neuen Scheibenwelt-Roman für Erwachsene veröffentlicht. „Thud!“ dreht sich um kriegerische Auseinandersetzungen und spielt auf den Irakkrieg bzw. den „Krieg gegen den Terror“ an.

Taschenbuch: 448 Seiten
ISBN-13: 9780060586621

HarperCollins

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