Ellery Queen – Chinesische Mandarinen

Queen Mandarinen Cover kleinEin eigentlich unmöglicher Mord ruft Meisterdetektiv Ellery Queen auf den Plan. Wie hat es der Täter geschafft – und wieso hat er sich solche Mühe gegeben, dem Opfer die Kleidung verkehrt herum anzuziehen und im Mordzimmer alle Einrichtungsgegenstände gegen die Wände zu drehen …? – „Whodunit“-Krimi aus der „Goldenen Ära“ dieses Genres, komplex und liebevoll abgedreht, in Handlung und Personal Krimi-Klassik pur, dazu spannend und witzig.

Das geschieht:

Standesgemäß residiert Familie Kirk, die zum gesellschaftlichen Adel der Stadt New York zählt, im 22. Stock des Nobel-Hotels „Chancellor“. Vater Hugh gilt als renommierter Philologe, Sohn Donald ist ein bekannter Sammler kostbarer Briefmarken und Edelsteine. Außerdem führt er zusammen mit seinem Geschäftspartner Felix Berne den „Mandarin“-Verlag, der sich auf die Herausgabe teurer Kunstbücher spezialisiert hat. Schwester Marcella ist einfach nur eine Zierde ihres Geschlechts und wird bald den smarten und reichen Glenn Macgowan heiraten.

Als sich eines Tages ein unbekannter Herr vorstellt, hält Donald Kirks Privatsekretär James Osborne ihn für einen Sammler oder Verkäufer und setzt ihn in einen Warteraum. Als Kirk heimkehrt, finde er besagten Raum von innen fest verschlossen. Als die Tür endlich geöffnet ist, liegt dahinter der Fremde: tot, erschlagen mit einem Schürhaken. Seltsamerweise wurde ihm die Kleidung aus- und dann verkehrt herum wieder angezogen. Gestohlen wurde nichts.

Zufällig wird Kirk von einem alten Freund begleitet. Ellery Queen, der bekannte Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv, übernimmt mit dem Einverständnis seines Vaters, Inspektor Richard Queen von der Kriminalpolizei New York, den Fall.

Der Mörder gehört ins Umfeld der Kirks. Zu den bereits genannten Verdächtigen gesellen sich noch drei Frauen: Mary Diversey, Dr. Kirks Krankenschwester, Jo Temple, eine Schriftstellerin, die mit Kirk jr. und Berne ins Geschäft zu kommen hofft, und Irene Llewes, eine europäische Lebedame, die sich für Donald zu interessieren scheint. Sie alle haben etwas zu verbergen, wie Queen im Laufe seiner Ermittlungen herausfindet. Wer war der Tote, was wollte er, warum hat man ihn so zugerichtet? Dies muss etwas zu bedeuten haben, doch bis Queen des Rätsels erstaunliche Lösung findet, gibt es noch viele Turbulenzen …

Ein weiterer Mord im verschlossenen Raum

Klassischer geht’s sicherlich nicht: An einem recht isolierten Ort ereignet sich ein eigentlich unmöglich zu realisierender Mord; die Zahl der Verdächtigen ist überschaubar, und eine/r muss es gewesen sein. Ein typischer Rätsel-Krimi aus der guten, alten Zeit also – aus der „Goldenen Ära“ des Genres, die den Zweiten Weltkrieg in dieser Reinheit nicht lange überleben sollte.

Die grundsätzlichen Konstanten (siehe oben) stehen fest, nun kommt es auf das Talent des Verfassers an, die Handlung so zu variieren, dass sie das Interesse des Publikums findet. Ellery Queen bedient sich der üblichen Methode: Er reichert das Geschehen durch möglichst bizarre Elemente an.

Da ist natürlich vor allem der Mord selbst. Dass er in einem Raum stattfindet, der von innen verriegelt wurde, ist quasi eine Selbstverständlichkeit. Dies reicht aber noch nicht – im Zimmer selbst geht es reichlich seltsam zu. Man darf sich keineswegs an der Unwahrscheinlichkeit der Konstellation stören. Sie gehört zum „Whodunit“ und schließt die schnöde Realität des Alltags vorsätzlich aus. Der Spaß am ‚schönen‘ Mord steht im Mittelpunkt. Dabei bleiben die Autoren der „Goldenen Ära“ stets fair. Auch Queen macht da keine Ausnahme: Er legt alle Indizien pflichtgetreu seinen Lesern vor. Sie haben folglich theoretisch die Chance, gemeinsam mit dem Detektiv den Fall zu lösen oder ihn womöglich sogar zu übertrumpfen.

Praktisch wird das allerdings wohl nicht geschehen. Queen müsste es als Niederlage werten von seinem Publikum ‚geschlagen‘ zu werden, das eigentlich lieber überrascht werden möchte. Dafür ist jeder Trick recht und billig. Also konstruiert Queen ein vielteiliges Mordkomplott, das zwar höchst unterhaltsam, aber hochkompliziert und letztlich schwer nachvollziehbar ist. Es wird gelöst, doch man muss in Sachen Logik recht große Zugeständnisse machen.

Die Personen-Pyramide des Rätsel-Krimis

Die Riege der Darsteller gliedert sich in drei Gruppen. Da haben wir zunächst den genialen Detektiv und seinen treuen Gehilfen. Ellery Queen ist ein dandyhafter, lebenslustiger Sherlock Holmes, sein Vater Richard allerdings nur bedingt Dr. Watson. Zwar überlässt er seinem Sohn die Initiative, aber er hält ihn doch an der langen Leine, bleibt selbst aktiv und vermittelt zwischen Detektiv und Polizei.

Gruppe Zwei umfasst natürlich die Verdächtigen. Sie sind uns aus anderen Krimis ihrer Art ebenfalls längst bekannt: scheinbar normale Zeitgenossen, die indes düstere oder peinliche Geheimnisse hüten, doppelte Identitäten offenbaren und sämtlich irgendwie miteinander verbandelt oder verfeindet sind.

Außerdem haben wir noch das typische Krimi-Fußvolk. Das sind hier Inspektor Queens Untergebene, die für ihn und Ellery die polizeiliche Drecksarbeit leisten, die notwendig aber nicht unbedingt unterhaltsam für die Leser ist, sowie im Haushalt der Kirks allerlei Butler, Köche und Diener, die ebenfalls recht anonym ihren diversen Tätigkeiten nachgehen und ihren Auftritt jeweils haben, wenn es gewisse Tatbestände zu klären gilt.

Sie arbeiten indes alle redlich in dem Bemühen zusammen, den langen Weg bis zur Auflösung des Rätsels möglichst geistreich zu gestalten. Dabei sind sie so erfolgreich, dass „Chinesische Mandarinen“ viele Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung seinen Unterhaltungswert nicht nur behalten hat, sondern durch das Element der Nostalgie eine glanzvolle Patina erhalten hat.

Der Film zum Buch

„The Chinese Orange Mystery“ wurde bereits 1937 unter dem Titel „The Mandarin Mystery“ verfilmt. Unter der Regie des Routiniers Ralph Staub (1899-1969) entstand ein typisches B-Movie, das in den Kinos vor dem eigentlichen Hauptfilm lief: professionell, aber kostengünstig und meist in Serie heruntergekurbelt, selten länger als eine Stunde laufend. Eddie Quillan (1907-1993) spielt Ellery Queen und gilt als fürchterliche Fehlbesetzung. Auch sonst hält die Kritik wenig von diesem Streifen, der von den Columbia-Studios um des Profits willen auf ‚witzig‘ getrimmt wurde. (Interessante Entdeckung am Rande: Wade Boteler, der den Inspektor Richard Queen mimt, starb 1943 im Alter von 55 Jahren an einer Herzattacke, was nicht wundert, listet sein Lebenslauf doch 419 Filme auf, in denen er in 25 Jahren mitgespielt hat!)

Autoren

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten.

Dabei half die Fähigkeit, die Leserschaft mit den damals beliebten, möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des ‚realen‘ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das Markenzeichen Queen zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Aufsicht der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich hier: eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

Anmerkung

„Chinesische Mandarinen“ gehört zu den Ellery Queen-Romanen, die nie eine adäquate, d. h. neu übersetzte Neuauflage erfuhren. Bis dies (hoffentlich) geschieht, sollte der Krimifreund auf die Ausgabe/n des Goldmann-Verlags zurückgreifen. Diese ist – keine Selbstverständlich auf dem deutschen Krimi-Buchmarkt der Vergangenheit – ungekürzt und die Übersetzung, obwohl tüchtig angejahrt, immer noch erstaunlich lesbar. Die jüngere Ullstein-Ausgabe stützt sich hingegen auf eine Neuübersetzung, aber die deutliche Differenz in der Seitenzahl deutet darauf hin, dass hier wieder einmal das Original zusammengestutzt wurde.

Taschenbuch: 201 Seiten
Originaltitel: The Chinese Orange Mystery. A Problem in Deduction (New York : Frederick A. Stokes Company 1934)
Übersetzung: Hans Herdegen
http://www.randomhouse.de/goldmann

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