Ransom Riggs – Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children / Die Insel der besonderen Kinder (Die besonderen Kinder 1)

Jake und die Monster: Existenzkampf in der Zeitschleife

Manche Großeltern lesen ihren Enkeln Märchen vor. Was Jacob von seinem Opa hörte, war etwas ganz anderes: Abraham erzählte ihm von einer Insel, auf der abenteuerlustige Kinder mit besonderen Fähigkeiten leben, und von Monstern, die auf der Suche nach ihnen sind … Erst Jahre später, als sein Großvater unter mysteriösen Umständen stirbt, erinnert Jacob sich wieder an die Schauergeschichten und entdeckt Hinweise darauf, dass es die Insel wirklich gibt. Er macht sich auf die Suche nach ihr und findet sich in einer Welt wieder, in der die Zeit stillsteht und er die ungewöhnlichsten Freundschaften schließt, die man sich vorstellen kann. Doch auch die Ungeheuer sind höchst real – und sie sind ihm gefolgt … (Verlagsinfo)

Der Autor

Ransom Riggs wuchs in einem kleinen Fischerdorf im südlichen Florida auf, einer Region, in der sich viele Amerikaner zur Ruhe setzen. Um nicht vor Langeweile zu sterben, begann er, in Musikbands zu spielen und mit seinen Freunden Filme zu drehen. Später studierte er in Ohio und Los Angeles Literatur und Filmproduktion.

Ransom Riggs dreht heute Werbefilme für Firmen wie Absolut Vodka und Nissan und arbeitet als Drehbuchautor, Journalist und Fotograf. Mehr Informationen finden sich auf seiner Website: www.ransomriggs.com. (Verlagsinfo)

Der Zyklus „Die besonderen Kinder“

1) Die Insel der besonderen Kinder (Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children, 2011, dt. bei Knaur)
2) Die Stadt der besonderen Kinder (Hollow City, 2014)
3) Die Bibliothek der besonderen Kinder (Library of Souls, 2015)
4) Die Legenden der besonderen Kinder (A Map of Days, 2018)
Und weitere.

Handlung

Jacob Portman ist in Florida in einer Vorstadt aufgewachsen. Seine Familie gehört zu einer Sippe, der eine Supermarktkette gehört und daher ziemlich reich ist. Als er selbst in so einem Supermarkt arbeitet, ist er praktisch unkündbar, selbst wenn seine Mitschüler ihn triezen und ärgern. Sein bester Freund ist der Tunichtgut Ricky – und sein Großvater, der ihm in der Kindheit viele tolle Geschichten von „besonderen Kindern“, die auf einer Insel leben, erzählt hat, aber auch von den Ungeheuern, von denen sie verfolgt wurden.

Tödlicher Angriff

Als er einen Anruf von Großvater erhält, beeilt er sich, mit Ricky und dessen Gefährt zu der angegebenen Adresse zu gelangen, doch weil alle Häuschen fast gleich aussehen, verfahren sie sich. Außerdem ist es bereits dunkel geworden. Als sie Opas Haus erreichen, ist es verwüstet. Doch die Spur der Verwüstung führt in den nahen Wald. Kaum denkt Jacob, er hätte ein merkwürdiges Monster auf Stelzen gesehen, entdeckt er seinen Großvater. Bestürzt erkennt Jacob, dass sein Opa im Sterben liegt – und anscheinend keine Augen mehr hat.

Alles nur Einbildung, ermahnt sich Jacob, doch dann muss er den letzten Worten seines Großvaters lauschen. Sie ergeben keinen Sinn: „Emerson?“ Er kennt niemanden dieses Namens. Dafür lernt er Dr. Golan kennen: einen Psychotherapeuten, der seine Eltern beruhigen kann: Ihr Sohn ist nicht verrückt geworden (wie es scheint).

Nachrichten – aus dem Jenseits?

Ein Jahr muss vergehen, bis Jake an seinem sechzehnten Geburtstag erfährt, was Opa Abraham mit seinem letzten Wort gemeint hat. Eine nette Tante aus seinem Krämer-Clan schenkt ihm ein Buch. Das ist schon ungewöhnlich genug. Doch in dem Band mit Texten von Ralph Waldo Emerson, einem Dichter und Philosophen aus Massachusetts, findet er einen Brief von einer Schulleiterin mit dem antiquierten Namen Alma LeFay Peregrine. Darin wird eine E erwähnt, die „Abe“ schrecklich vermisse.

Hallo! Hatte der alte Weltreisende etwa eine Affäre oder mehrere in fremden Landen? Die Yankee-Sippe Portman hatte so etwas schon lange vermutet und Abes Frau als elend Betrogene bedauert.

Der vor 15 Jahren abgeschickte Brief steckt in einem alten Umschlag, der eine Absenderadresse in Großbritannien trägt, und zwar die der Insel Cairnholm, die vor der Küste von Wales liegt (denn das nordische Wort „holm“ bedeutet „Insel“). Um Jake von seiner „Besessenheit“ zu heilen, empfiehlt Dr. Golan eine Reise zu Jakes Erstaunen zu eben dieser Insel. Sein Argument: Die Desillusionierung würde Jacob heilen, so die allgemeine Hoffnung von Mom und Dad. Außerdem sagt Dad, der Ambitionen hat, dermaleinst als Vogelkundler ewigen Ruhm zu erringen, gibt es auf Cairnholm bestimmt seltene Vogelarten. Und da er an einem entsprechenden Buch schreibt, kann er dort bestimmt ganz tolle Forschungen anstellen.

Die dem Brief beigefügten Schwarzweiß-Fotos tut Jake als offensichtliche Fälschungen ab. Sie zeigen nämlich Kinder mit völlig unglaubwürdigen Eigenschaften. Ein Mädchen, das über dem Boden schwebt? Ein Junge, aus dessen Mund Insekten (Bienen?) schwärmen? Man müsste schon völlig durchgeknallt sein, um an so etwas zu glauben, oder?

Auf Cairnholm Island

Es dauert eine ganze Weile, bis man auf diese abgelegene Insel im Irischen Kanal gelangt, findet Jake, als er Tage später mit der Fähre das Eiland erreicht, das seinem Großvater offenbar so viel bedeutete. Die einzige Kneipe im Ort ist zu einem Gasthaus umgebaut worden, so dass Jake und sein Dad hier übernachten können. Sie planen, mindestens eine Woche hierzubleiben. Es soll sich ja auch für alle Beteiligten lohnen.

Der Aufenthalt ist alles andere als luxuriös. Die zwei Zimmer sind sauber, aber sehr bescheiden eingerichtet. Und tagsüber dröhnen überall die Generatoren! Mit diesem Lärm ist erst bei Einbruch der Dunkelheit Schluss, soll Jake herausfinden, um 21 oder 22 Uhr abends. Dann kehrt jedoch schlagartig unheimliche Stille ein, bei der sich ausgezeichnet träumen lässt.

Der verborgene Weg

Aber wo ist die Schule, zu der Mrs. Alma LeFay Peregrine gehörte, die Opa den Brief schrieb? Die Einheimischen kratzen sich am Kopf. Ob er wohl das verfallene Haus auf der anderen Seite des Hügel meine, lautet die Frage. Er müsste mal einen Blick drauf werfen, meint Jake. Zwei Jungs im späten Schulalter, die mal Rapper werden wollen, müssen den fremden Jungen führen. Aber weil es eine Abkürzung durchs Moor gibt, schicken sie Jacob auf Abwege – zu seinem Glück. Denn auf diese Weise stößt er auf den Grabhügel (keltisch „cairn“), der ihm fortan als Orientierungspunkt dient.

Das alte Schulhaus

Das alte Haus ist in der Tat verfallen, und es ist von Bombenkratern umgeben. Er weiß inzwischen, dass es im September 1940 von deutschen Bombern angegriffen und schwer beschädigt wurde. Er versucht, das Haus zu erkunden und sich in die Lage der Bombenopfer zu versetzen. Wie es seinem Opa damals wohl ergangen sein muss, der ja an jenem schicksalshaften Tag hier war? Dann findet er einen Koffer, von dem er ahnt, dass er bestimmt weitere Geheimnisse birgt. Um ihn aufzubrechen, stemmt er ihn schließlich über das Geländer der Haustreppe. Der stabile alte Koffer durchbricht mit Leichtigkeit die morschen Bodenbretter und kommt im Keller zu liegen. Der Lärm ist ohrenbetäubend.

Besucher

In dem zerbrochenen Koffer entdeckt Jacob noch mehr Fotos von besonderen Kindern, alle schwarzweiß, alle alt und seltsam. Dann hört er eine Stimme eines Mädchens, die fragt: „Bist du das, Abe?“ Als Jacob aufblickt, erblickt er mehrere Kindergesichter, die auf ihn herabstarren. Ein Mädchen hält ein Licht, aber es ist keine Laterne oder Lampe oder Streichholz, sondern eine kleine Flamme, die sie direkt in ihrer Handfläche hält. Dieser Anblick verschlägt Jacob die Sprache. Er hat die „besonderen Kinder“ gefunden oder vielmehr sie ihn…

Mein Eindruck

Dies ist der Beginn einer realen und psychologischen Reise, die Jake in die Gemeinschaft der besonderen Kinder führt. Jede Reise verändert den Wanderer, und so kommt es, dass sich Jake früher oder später entscheiden muss, ob er lieber in der Zeitblase von Miss Peregrines Heim für besondere Kinder leben will – oder in seiner bisherigen, langweiligen Realität. Weil sich Jake inzwischen in das flammentragende Mädchen verliebt hat, fällt ihm die Wahl nicht schwer. Er muss diese Tatsache allerdings noch seinem Vater beibringen.

Miss Peregrine ist eine Gestaltwandlerin, die über magische Macht verfügt: Sie kann die Zeit anhalten und zurückdrehen, so dass ihr Haus von der zerstörerischen deutschen Bombe im September 1940 verschont bleibt.. Jake bleibt also nicht aus purer Neugier in Miss Peregrines Heim, als wäre er ein Voyeur, sondern weil er erkennt, dass seine Hilfe und seine Fähigkeiten dringend gebraucht werden.

Das Heim wird fortwährend von Monstern und Schlimmerem angegriffen, von den Bombern der deutschen Luftwaffe ganz zu schweigen. Es ist die magische Macht der Hüterin dieser Zeitblase, auf die die Angreifer es abgesehen haben. Schon haben sie sich eine andere Zeitblase gekrallt, doch deren Hüterin konnte zu Miss Peregrine entkommen. Doch wie lange ist auch dieses Refugium sicher? Da entdeckt Jake, dass er die gleiche Gabe hat wie sein Großvater: Er kann als einziger die angreifenden Monster sehen – und sie daher auch bekämpfen. Folglich ist auch er ein „besonderes Kind“ und befindet sich in Gefahr…

Einheit aus Bild und Buch

Die Grundlage, auf der dieser Roman und seine Fortsetzungen entstand, sind die ungewöhnlichen fotografischen Aufnahmen, Zeichnungen und Faksimiles von anderen Dokumenten wie etwa Postkarten, Buchseiten, Briefe usw. Dass die Bilder die Grundlage bilden, steht im Einklang mit Jakes eigener Neugier nach solchen Bildern, die ihn dazu führt, die Kinder, die einer anderen Zeitlinie (nämlich die Zeitschleife vom September 1940) entstammen, überhaupt zu finden.

Sein Problem: sein Unglaube angesichts der sehr ungewöhnlichen Darstellungen. Auf dem Titelbild der Originalausgabe schwebt ein ältliches Mädchen über dem Boden. Und das ist erst der Anfang. Aber der Anhang zeigt noch viele weitere ungewöhnliche Menschen und Umgebungen. Angesichts der Bilderflut, die das Internet frei Haus liefert, ist das Interesse an echten (?) Abbildungen von ungewöhnlichen Menschen verloren gegangen. Dieser Roman ist der Versuch, das Interesse am echten Damals wiederzuerwecken. Dass dieser Roman bereits drei Fortsetzungen und eine Verfilmung erlebt hat, weist darauf hin, dass immer noch ein beträchtliches Interesse besteht, sowohl eine dramatische und magische Jugendgeschichte zu lesen als auch die damit verknüpften Bilder zu sehen.

Unterm Strich

Ich habe das spannende, humorvolle, romantische und durchaus auch magische Buch mit Begeisterung und wachsendem Interesse gelesen. Da ich leider schon den Film mit Eva Green, Samuel L. Jackson und Judi Dench gesehen hatte, verglich ich ständig den Film mit der Vorlage. Das Ergebnis war erwartungsgemäß Enttäuschung – über den Film. Denn die Verfilmung begnügt sich nicht mit dem ersten Buch, sondern vermengt die beiden ersten Romane zu einer neuen Handlungslinie, die notgedrungen mit neuen Szenen und Sensationen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers buhlt. Auch die Magie, die Miss Peregrine wirkt, funktioniert dort anders. (Und ich werde nicht verraten, auf welche plumpe Weise.) Andererseits fehlen dem Buch nun ein paar großartige Szenen.

Ich möchte nicht verschwiegen, dass diese Geschichte vom Erwachsenwerden auch etliche – komisch gebrochene – Horrorszenen enthält. Junge Erwachsene in Jakes Alter von 16 Jahren müssen allerdings ihre Abgebrühtheit – sie haben im TV und auf Video-Medien bereits 10.000 Leichen gesehen – ablegen und eine neue Sensibilität entwickeln. Erst dann können sie an Jakes Entwicklung und dem bedrohten Schicksal der besonderen Kinder anteilnehmen und sich in die Geschichte einbringen. Nur durch diese Empathie wird das Buch zu einem Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst.

Taschenbuch: 382 Seiten
Originaltitel: Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children, 2011
Aus dem Englischen von Silvia Kinkel
ISBN-13: 9781594746031

https://www.droemer-knaur.de/buch/7769485/die-insel-der-besonderen-kinder

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