Reimer Boy Eilers (u.a.) – Fluchtpunkt Hamburg

Texte im Exil

Diese Anthologie versammelt die literarischen Stimmen von 22 Autorinnen und Autoren, von denen die Meisten in Hamburg eine neue Bleibe gefunden haben – als Übergang, für eine gewisse Zeit, für immer? Niemand weiß es. Wo, wenn nicht unter Geflüchteten, ist die Welt in Bewegung.

Menschen im Exil, die in ihrem Heimatland als SchriftstellerInnen, Blogger oder JournalistInnen, die ihre abweichende Meinung in fundierten Essays öffentlich gemacht haben, finden sich mit einer doppelten Schwierigkeit konfrontiert. Sie haben nicht nur ihr Zuhause und ihren Arbeitsplatz verloren, sondern müssen auch um ihr Handwerkszeug bangen, die Sprache.

Der VS Landesverband Hamburg bietet Ihnen mit dieser Anthologie eine Plattform, auf der sie sich im fremden Sprachuniversum äußern können. Und sogleich müssen wir bei der Lektüre der Texte feststellen, dass nicht wir die Gebenden sind. Vielmehr werden wir reich beschenkt mit einem die halbe Welt umspannenden Strauß an aufregenden und zutiefst berührenden Einsichten in unsere chaotische, oft undurchschaubare Gegenwart. Die Spannweite reicht von der Elegie, die der persönlichen Tragik ihren Ausdruck verleiht, bis zum geschliffenen politischen Essay. Am Ende ist es beglückend, so viele talentierte und mutige Stimmen zu entdecken, die sich neu in der deutschen Sprache ausdrücken.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber sind Mitglieder im Vorstand des VS Hamburg. Von der Konzeption, den ersten Aufrufen bei der Suche nach Beiträgerinnen und Übersetzern, über das Lektorat und die Gestaltung bis zum Druck haben sie mehr als zwei Jahre intensiv und mit wachsender Begeisterung an dieser Anthologie gearbeitet. (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke

Schon nach Studium des Inhaltsverzeichnisses von Fluchtpunkt Hamburg wird schnell deutlich: Hier kommen eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren zu Wort, die nicht nur aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern stammen, sondern auch aus sehr verschiedenen Blickwinkeln berichten. Stellvertretend für die HerausgeberInnen des Buches hat Sven J. Olsson zunächst ein Vorwort verfasst, in dem er kurz auf die Idee zum Buch und die Entstehung eingeht. Den insgesamt 22 AutorInnen sollte hier ein Sprachrohr in der Fremde geschaffen werden, in dem ihre Texte ins Deutsche übersetzt und so einem neuen Publikum zugänglich gemacht werden.

Die Art der Beiträge ist ungeheuer vielfältig und lässt sich so leicht nicht zusammenfassen: von Gedichten über ein Klagelied bis hin zu Tatsachenberichten in verschiedenen Sprachen ist so ziemlich alles in diesem Kompendium vereint. Sie handeln von Kriegen, vom Ankommen, vom Verlassen, von Zweifeln, Traurigkeit und Hoffnungen. Die AutorInnen sind Menschen aus Syrien, Afghanistan, Bangladesch, Kolumbien, Bosnien, dem Iran und dem Kosovo. Thematisch reicht die Bandbreite ebenfalls von Fluchterzählungen bis hin zu teils berührenden Berichten über ihr „neues“ Leben in der fremden Stadt. Auch die Zeitpunkte, zu denen die Autoren nach Deutschland geflüchtet sind, variieren stark. Zwar sind welche darunter, die erst im Jahr 2015 hierherkamen, ebenso aber auch Menschen, die bereits in den 1990er Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien fliehen mussten.

Alle Texte sind in die deutsche Sprache übersetzt, aber es finden sich teilweise auch Abdrucke der Originaltexte im Buch. Diese sind in persischer, arabischer, bengalischer und bosnischer Sprache.
Verschiedene Bilder und Fotografien lockern zwischen den einzelnen Beiträgen zusätzlich auf.

Im Anschluss an die Texte der AutorInnen beleuchtet Sven J. Olsson noch einmal die Entstehungsgeschichte von Fluchtpunkt Hamburg: im Verband deutscher Schriftsteller (kurz: VS) in Hamburg entstand die Idee und wurde schließlich von den Mitgliedern vorangetrieben. Nachdem es anfänglich offenbar wenig Interesse an dem Projekt gab, konnten letztlich doch genügend interessierte AutorInnen gefunden werden.

In einem Verzeichnis im Schlussteil des Buches werden diese einzeln und zum Teil recht ausführlich und mit Foto vorgestellt. Allerdings gibt es Ausnahmen, da zum Beispiel nicht alle AutorInnen mit (richtigem) Namen genannt werden wollten – liest man die Texte, die sich zum Teil sehr kritisch mit den Regimen aus den Herkunftsländern befassen, ist das nachvollziehbar.

Fazit:

Es ist durchaus vorstellbar, dass die Arbeit an diesem Buch nicht leicht war: Von den erwähnten anfänglichen Schwierigkeiten, geeignete und interessierte Autoren zu finden, die ihre Beiträge zum Projekt liefern wollten, bis hin zur Übersetzung der Texte und ansprechenden Anordnung und Gestaltung im fertigen Buch war es doch ein langer Weg.

Das Ergebnis kann sich aber meiner Meinung nach wirklich sehen lassen. Zwar sind die Texte sehr unterschiedlich und nicht alle waren für mich interessant und gut zu lesen. Die Vielfalt der abgedruckten Texte repräsentiert aber die Vielfalt der Menschen, die zu uns kommen. Es ist gut, dass hier zumindest ein Teil der Menschen zu Wort kommen durfte – sie gewähren uns einen Einblick in ihre Perspektiven und liefern damit wichtige und nachhaltige Denkanstöße. Gerade in Zeiten, in denen Populismus erstarkt und große Teile der Gesellschaft zu beeinflussen versucht, lohnt es doch, den berühmten Blick „über den Tellerrand“ zu werfen.

Die Lektüre von „Fluchtpunkt Hamburg“ ist dabei hilfreich und ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument.

Gebundene Ausgabe: 328 Seiten
ISBN-13: 978-9958123016

www.neobooks.com

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