Andrea Rennschmid (Hg.) – Alamo. John Waynes Freiheitsepos

Rennschmid Alamo Cover kleinDie Geschichte eines vergessenen Filmepos, das von seinem Regisseur, Darsteller und Produzenten John Wayne als „größter Film aller Zeiten“ oder doch wenigstens der USA geplant war, seinen Zweck monumental verfehlte aber Einblicke in die Psyche seines Schöpfers bietet sowie den Hollywood-Alltag in der Endphase seiner großen Zeit rekonstruiert. Die deutschen Verfasser zeichnen die Vorgeschichte, die Dreharbeiten und die Rezeption nach. Dazu kommen ein historischer Überblick zum realen Alamo-Geschehen und andere interessante Informationen. Zahlreiche Fotos runden dieses leider kontraproduktiv bieder layoutete Sachbuch ab.

Der Stoff, aus dem Filme gemacht werden

Alamo: Das ist zunächst der Name eines alten Franziskanerklosters im noch mexikanischen Texas, das später in eine Festung verwandelt wurde. In den 1830er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es hier zu einem jener an sich bedeutungslosen Zwischenfälle, an denen die Weltgeschichte so reich ist und die nichtsdestotrotz zum Kern einer Legende werden. Ein Konflikt zwischen nordamerikanischen Siedlern und der mexikanischen Regierung im texanischen Grenzland artete 1836 in einen Kleinkrieg aus. 181 rebellische Gringos verschanzten sich in besagter Alamo-Festung, wo sie vom General Santa Ana und mehreren Tausend Soldaten belagert wurden. Knapp zwei Wochen hielten die wenigen Verteidiger der erdrückenden Übermacht stand, bis sie schließlich niedergemacht wurden.

Aus landlüsternen Aufrührern sowie verbohrten und in Sachen Verstärkung offenkundig fehlinformierten Zeitgenossen wurden unter Ignorierung der historischen Tatsachen beinahe umgehend Patrioten und Märtyrer. Das sind sie vor allem für den US-Durchschnittsbürger der geistig schlichteren bzw. konservativen Art bis heute geblieben. Zu diesen muss auch der Schauspieler John Wayne (1907-1979) gerechnet werden. Nicht nur als Darsteller bevorzugte er kernige Heldenrollen. Auch privat vertrat er eine strikt US-zentrierte, erzkonservative bis reaktionäre Weltsicht. Sympathisch macht ihn allerdings seine naive Geradlinigkeit, die ihn als Leitfigur entsprechender Polit-Fundamentalisten völlig untauglich werden bzw. höchstens den Rang eines Comic-Patrioten gewinnen ließ.

Der „Duke“, sein Traum & böses Erwachen

Seit jeher bewunderte Wayne die ‚Helden‘ vom Alamo und wollte ihnen auf seine ganz persönliche Art ein filmisches Denkmal setzen. Es dauerte einige Jahrzehnte, bis sich seinen Traum erfüllen konnte. In dieser Zeit arbeitete er sich zu einem der größten Hollywood-Stars empor und erwarb den dafür erforderlichen Einfluss sowie das nötige Kleingeld. Ende der 1950er Jahre war es so weit: John Wayne gedachte allen Ernstes den „größten Film aller Zeiten“ zu produzieren. Damit er keine Kompromisse eingehen musste, übernahm der Schauspieler nicht nur eine der Hauptrollen, sondern außerdem die Regie.

In vielmonatiger Dreharbeit und überschattet von mancher Panne nahm Waynes ambitionierte Vision Gestalt an: ein mehr als dreistündiges Epos, knallbunt und Hollywood pur in seiner unbekümmerten Geschichtsklitterung, die nur wahrlich gallebittere Weltverbesserer ernst und übel nehmen konnten. Seinen Zweck verfehlte der „Alamo“-Film jedenfalls vollständig: Er wurde nicht das ergreifende Pflichtstück für patriotische Amerikaner, sondern mit Kritik, Hohn & Spott übergossen und ganz und gar kein Meilenstein der Filmgeschichte.

Stattdessen sah sich John Wayne gezwungen, in Abarbeitung seiner angehäuften Alamo-Schulden noch in reifem Alter und mit krankheitsbedingt nur noch einem Lungenflügel manches Pferd zu besteigen. Nicht dass er daraus gelernt hätte: 1967 stürzte er sich mit Alamo-Begeisterung in ein noch peinlicheres Abenteuer: die Verfilmung von „The Green Berets“ (dt. „Die grünen Teufel“), Waynes Versuch, den in seinen Augen ‚gerechten‘ Vietnamkrieg wenigstens im Kino für die USA zu gewinnen.

Faszination des (fremden) Scheiterns

Diese skizzierte Geschichte ist Thema eines ungewöhnlichen Sachbuchs: Vier deutsche Filmspezialisten haben sich zusammengetan, um nach vier Jahrzehnten einem halb vergessenen Großfilm ein Denkmal zu setzen. Es lohnt sich – gerade weil „Alamo“ kein wichtiger oder auch nur ‚guter‘ weil unterhaltungsstarker Film geworden ist. Man liest dieses Buch erstaunt und zunehmend fasziniert, weil „Alamo“ mit bitterem Ernst als grandioses Ereignis generalstabsmäßig geplant wurde. Diese ausgetüftelte Planung und ihr spektakuläres Scheitern ergeben eine Geschichte, die es wahrlich wert ist erzählt zu werden!

Andrea Rennschmid, Roland Hartig, Graham Last und Reinhard Weber widmen sich ihrer Aufgabe mit Inbrunst und Fachkenntnis. Sie beleuchten die reale Alamo-Historie, stellen uns ihre wichtigsten zeitgenössischen Protagonisten vor, berichten von John Waynes Obsession, die ihn zäh, gegen den ständigen Widerstand uninteressierter Studios und unter Strapazierung des eigenen Geldbeutels zum Herrn des ‚neuen‘, von unerfreulichen historischen Wahrheiten gereinigten Alamo werden ließ.

Weiter geht es mit der Schilderung der turbulenten Dreharbeiten, der ebenso dreisten wie missglückten Vermarktung des Endproduktes und dessen Weg bis in die Gegenwart (des Jahres 1997), auf dem es zunächst immer kürzer wurde. Deshalb gibt es ein Extra-Kapitel, das uns die verlorenen 30 Minuten wenigstens in Wort und Bild vorstellt. (Inzwischen gibt es „Alamo“ auch wieder komplett als 192-minütige Geduldsprobe …) Interessant sind die Kritikerstimmen, die vor allem eines verraten: Kluge Argumente lassen sich in der Regel sowohl für als auch gegen ein und denselben Film anführen. Vor allem hört sich mancher Kritiker offensichtlich gern klug reden. Es bleibt dem Zuschauer deshalb nichts anderes übrig als sich das letzte Bild selbst zu machen. Ungeachtet dessen gelingt es einigen Kritikern doch, uns auf Aspekte des Films hinzuweisen, die uns zu unserem Nachteil entgangen sind.

Geschichte ruht nicht

Ein zweiter Buchteil macht uns mit den übrigen Alamo-Verfilmungen vertraut. Es sind ihrer nicht gerade wenige, was erneut auf den historischen Stellenwert dieser Episode hinweist. Andererseits beschränken sich diese Versionen stets auf die pro-US-amerikanische Sicht. Weil gleichzeitig die filmische Qualität so kläglich ist, verkehren sich solche Intentionen freilich in der Rückschau peinlich gegen ihre Verursacher.

Während man den Inhalt dieses Buches erfreut zur Kenntnis nimmt, leidet „Alamo – John Waynes Freiheitsepos“ stark unter seinem unattraktiven Äußeren. Eine dilettantische Titelblatt-Bleistiftzeichnung – John Wayne scheint eine Schnapsnase im Gesicht zu tragen – und ein buchstäblich hausbackenes Layout lassen den Einband wie aus den 1960er Jahren erscheinen. Außerdem wirkt „Alamo …“ dadurch billig, was dieses Buch aufgrund seiner niedrigen Auflage nicht ist. Mancher Käufer könnte sich abgeschreckt fühlen, was schade wäre, denn obwohl „Alamo …“ bereits 1997 erschien, ist das Buch sicherlich nicht veraltet, sondern ein sorgfältig recherchiertes, flüssig geschriebenes und mit vielen kundig ausgesuchten Fotos versehenes Standardwerk geblieben.

Der Stoff ist in den Vereinigten Staaten längst nicht überholt. Unter dem Einfluss der Bush-Gang wurde er zumindest für die neu erstarkten US-Konservativen wichtiger denn je. 2004 und damit Jahre nach Erscheinen dieses Buches wurde „Alamo“ unter der Regie von John Lee Hancock mit Billy Bob Thornton in der Davy-Crockett-Rolle neu und mit ähnlichem Aufwand wie 1959/60 verfilmt – allerdings im politisch korrekten Stil des 21. Hollywood-Jahrhunderts, d. h. unter allzu ängstlicher Beachtung der historischen Fakten, um es ja jedem Recht zu machen. So wurde aus einer packenden Vorlage eine leblose (und weiterhin fehlerhafte) Geschichtsstunde, die – hier schließt sich der Kreis – den Zuschauern wehmütig ins Gedächtnis rief, was sie an John Waynes Kunterbunt-Epos hatten!

Paperback: 159 Seiten
http://www.filmliteratur.com

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