Petra Reski – Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern

Im August letzten Jahres wurden vor der Duisburger Pizzeria Da Bruna sechs Italiener kaltblütig getötet. Es war mehr als ein bloßes Massaker, sondern ein kaltblütig ausgeführter Auftragsmord. Die Opfer stammten alle aus dem kleinen Dorf San Luca in Kalabrien, einem der Hauptsitze der Ndrangheta.

Aus Filmen meinen wir die Mafia sehr wohl zu kennen. Seit den „Pate“-Filmen von Francis Ford Coppola und der Fernsehserie „Allein gegen die Mafia“ glauben viele Bürger, über ein wenn auch heroisiertes Bild der ehrenwerten Gesellschaft zu verfügen. Man meint, die Mafia gehe uns nichts an, sei zwar ein immer aktuelles Thema in Italien und habe im restlichen Europa oder gar in Deutschland keine oder kaum Auswirkungen.

Seit diesem Mafiamord lächelt die Fratze des organisierten Verbrechens auch über Deutschland. Wie faszinierend das Thema Mafia auch sein mag, die Wirklichkeit ist eine ganz andere, eine viel bedrohlichere, als wir Normalbürger es ahnen. In Italien ist die Mafia mit ihren verschiedenen Strutkturen wie der Cosa Nostra oder der Ndrangheta längst nicht nur zu einer wirtschaftlichen Macht geworden, auch innenpolitisch zieht sie die Fäden, an denen Politiker nur noch als Marionetten funktionieren. Korruption, Familienehre, Rachefehden – um die Mafia und ihre Geschäftspolitik zu verstehen, reichen oberflächige Hollywoodfilme nicht aus. Die Mafia durchdringt also alle gesellschaftlichen wie auch politischen Kreise, und die Wellen, die diese Organisationen schlägt, haben längst schon Deutschland erreicht.

Petra Reski befasst sich schon lange mit der ehrenwerten Gesellschaft Italiens und ist mittlerweile zu einer wahren Expertin geworden, was die Strukturen, Methoden und Theorien der Mafia angeht.

Inhalt

Seit den Morden an den Antimafia-Anwälten Falcone und Barsolini ist die Existenz der Mafia nicht mehr zu leugnen. Mit den beiden bei Attentaten ermordeten Juristen ging die Mafia zu weit, längst waren sie danach nicht mehr unsichtbar oder unangreifbar. Im Gegenteil, durch diese brutalen Taten wurden erst recht Gesetzte erlassen, die es der Mafia nun erschweren, ihren Geschäften in Italien einen legalen Touch zu geben. Gelder, Immobilien, Inventar, alles kann durch die staatlichen Behörden beschlagnahmt werden, sofern nur der Hauch eines Verdachtes besteht, dass man einer mafiösen Vereinigung angehört. Das Abhören verdächtiger Personen ist Alltag für die Beamten, und man erkennt, dass das kriminelle Muster analytisch begreifbar wird. Auf dem Schachbrett der illegalen Geschäfte musste nun auch die Mafia reagieren und bewegt nicht nur Bauern, sondern auch Türme über Landesgrenzen hinweg. In Deutschland mit seinen liberalen Gesetzen und Vorschriften hat die Mafia ein wahres Paradies gefunden, um Blutgeld reinwaschen zu können. Unzählige Investitionen in Hotels und Restaurants sind genug Tarnung und umhüllen ihren Finanzmarkt mit dem dünnen Mäntelchen der Legalität.

Welches System steckt hinter der Mafia? Diese Frage und einige Antworten dazu sind der Inhalt des Buches „Mafia“ von Petra Reski. Mafia hat die Bedeutung einer Familie, was zunächst in erster Linie wirkliche Blutsverwandte, zum anderen Mitglieder umfasst, die streng in einer Hierarchie das Grundgerüst bilden. Das Herz und die Seele der Mafia sind die Frauen der Bosse, sie organisieren Waffenverstecke und Käufe, setzen sich für Alibis ein, geben aber auch Mordbefehle und sind ausführende Machtorgane, wenn der eigene Mann im Gefängnis sitzt. Die Charakterisierung der Frauen ist deutlich, aber erschreckend beschrieben, gerade wenn auch Kinder und heranwachsende Jugendliche innerhalb der Familie in die illegalen Geschäfte eingeführt werden. Ehre und Gewissen stehen hier im Vordergrund, und es sind keine leeren Worte. Die Frauen sind das Fundament der Mafia, der Grundstein ihrer Existenz und ihres Überlebens.

Geschäft ist Geschäft und Krieg ist Krieg. Die Mafia ist sehr pragmatisch und scheut sich auch nicht davor, durch Mord ihre Interessen zu schützen. Nicht umsonst nennen sich die Mitglieder und Killer der Mafia Soldaten, genauso empfinden sie nämlich; sie schützen ihren ‚Staat‘ und dessen Politik, und auch wenn ein Killer den besten Freund umbringen muss, so gehört dies eben zum Geschäft. Es ist nichts Persönliches.

Petra Reski erzählt in ihrem aktuellen Buch davon, wie sich die Mafia selbst sieht, wie sie vorgeht und wie sie ihre Verbrechen ausübt. Sie interviewte Bosse der Mafia und Ehefrauen derer, die von diesen im Auftrag getötet wurden, ebenso kommen Priester zu Wort, die mehr scheinheilig als heilig auf ihre Schäfchen sehen und sich auf ihre Ehre und Pflicht stützen, um das Gewissen zu8 beruhigen. Aber es gibt natürlich auch gegen die Mafia eingestellte Priester, die nicht den Schutz eines Unantastbaren genießen, der sie vielleicht schützen könnte – Gott verzeiht, die Mafia nie; ein Motto, das an dieser wahren Aussage leider keinen Zweifel lässt, denn die vergangenen Taten legen durchaus beredtes Zeugnis ab.

Auch fallen klare Worte gegen die politische Regierung Italiens. Silvio Berlusconi wäre ohne die Hilfe der Mafia nicht zu einer solchen Stimmenmehrheit gekommen. Wählerstimmen zu kaufen, war und ist ein wesentlicher Plan der Mafia. Ohne Unterstützung durch die politischen Ebenen wäre die ehrenwerte Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Die Auswirkungen der Mafia auf die politische, wirtschaftliche und auch kulturelle Entwicklung in Italien ist an Dramatik kaum zu übertreffen. Die Mafia ist jedoch kein rein italienisches Phänomen – das macht das Buch schnell deutlich. Und auch die Mafia setzt sich mit dem Fortschritt auseinander; nicht nur Drogen, Schutzgeld und Entführungen, nein, auch Müll wird zu Geld gemacht und die Wirtschaftsverbrechen nehmen zu, denn gerade dann, wenn die Politik die Bühne der Mafia betritt, wird es für den Staat noch schwerer, die Mafia zerschlagen zu können oder einen Weg zu finden, um diese in ihre Schranken zu verweisen.

Kritik

Petra Reski erzählt die Vita der Mafia spannend und ohne an persönlichen Nebengeschichten zu sparen. Das Buch ist durchweg spannend und informativ beschrieben; gerade die gesellschaftlichen Rollen einzelner sozialer Stellungen wie derjenigen der Frau oder eines Priesters, der seine Schäfchen deckt und nicht denunziert, stützen sich auf persönlich geführte Interviews und sind entsprechend lebensecht und faszinierend.

Wer so blauäugig und naiv ist zu glauben, die Mafia habe erst mit den Duisburger Morden die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland überschritten, der wird in diesem Buch sicherlich einen Aha-Effekt erleben, wohingegen andere Leser, die sich bereits mit dem organisierten Verbrechen und seinen Strukturen befasst haben, nichts Neues lesen werden.

„Mafia“ ist dennoch einzigartig in seiner Präsentation, weil von der Autorin so emotional beschrieben wird, wie diese Organisation in Italien funktioniert. Aber die wichtigen Themen werden nur in kurzen Momentaufnahmen angerissen, um wenige Seiten später wieder einem anderen Platz zu machen. Dabei wird leider viel zu viel vergessen. Und die Ndrangheta ist keinesfalls direkt zu vergleichen mit beispielsweise der Camorra oder der Cosa Nostra; welche Unterschiede oder politischen Einflüsse von welcher Organisation kommen, wie diese untereinander zusammenarbeiten oder sich gar bekriegen, wurde mir durch das Buch nicht klar.

Die Geschichten, Romane und Biografien verschiedener Bosse oder ehemaliger Mitglieder sind zu Zeit literarisch inflationär. Nicht nur Bücher, sondern auch politische Nachrichtenmagazine warnen vor dem Phänomen der Mafia, die man auch die Krake nennt. „Mafia“ von Petra Reski birgt dabei keine neuen Erkenntnisse, viele Inhalte konnte man schon an anderer Stelle nachlesen, und das weitaus konzentrierter und inhaltlich tiefer wie hier.

Was Frau Reski gut gelingt, ist, die Gefahr zu erklären, die von der Mafia ausgeht; gerade ihre wirtschaftliche Macht ist nicht zu unterschätzen und die deutsche Gesetzgebung ist auf eine solche Bedrohung von außen nicht eingestellt, nicht im mindesten. Auch die Zusammenarbeit zwischen italienischen und deutschen Behörden ist kompliziert und verworren. Die Italiener haben gelernt, „just in time“ zu reagieren, wohingegen sich bei uns die gesetzlichen Mühlen langsam drehen.

Fazit

„Mafia“ von Petra Reski ist eine thematische Einleitung und beinhaltet keine neuen Fakten oder überraschenden Erklärungen. Die Schwäche des Buches sind die vielen kleinen Nebenschauplätze, in denen sie persönlich involviert ist, daher wirkt das Buch auch eher in manchen Szenen belletristisch und nicht wie ein Buch, das klare Strukturen und Aussagen für den Leser bereithält, die auch mit fundierten Quellen belegt werden.

Zu empfehlen ist dieses Buch nur bedingt und nur für jene Leser geeignet, die eine knappe Einführung zum Thema erwarten. Gerade für Frauen ist „Mafia“ dabei prädestiniert, denn die gesellschaftliche Rollenverteilung wird hier eher beschrieben als die politische oder kriminelle Ebene, die wohl für die männliche Leserschaft durchaus interessanter wäre.

Die Autorin:

Petra Reski wurde 1958 im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Studium besuchte sie die Henri-Nannen-Schule und wurde Redakteurin beim STERN. Seit 1991 ist sie freie Autorin mit Wohnsitz Venedig und veröffentlichte Arbeiten für die Zeitschriften Amica, Brigitte, GEO, ZEIT und Merian sowie für den Rundfunk.

335 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-426-27466-8
www.droemer-knaur.de