Anne Rice – Die Mumie oder Ramses der Verdammte

Agile Mumien, dynamische Grufties

Die Mumifizierung des Abendlandes hat längst begonnen. Erst war da Stephen Sommers‘ Remake des Boris-Karloff-Klassikers „Die Mumie“ von anno Asbach, dann kam nach dem Riesenerfolg des Grabräuber-Spektakels die unvermeidliche Fortsetzung (und anschließend noch eine von 2004).

Doch vor Sommers sorgte bereits Vampirexpertin Anne Rice („Interview mit einem Vampir„) mit diesem Roman für erhöhtes Interesse an verstaubten Herrschaften der gruftigsten Dynastien. Ramses, der größten Pharaonen einer, spielt diesmal den Untoten und – wie könnte es anders sein? – ein hübsche Britin im heiratsfähigsten Alter ist sein willfähriges Opfer. Was soll da nur aus England werden, fragt man sich bang. Doch der Reihe nach.

Handlung

Der Archäologe Lawrence Stratford entdeckt ein bislang unbekanntes Pharaonengrab, das allerdings eher den Eindruck eines Studierzimmers macht. Laut Türinschrift handelt es sich um das Grab Ramses II. – nur mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass dessen Mumie bekanntlich längst im Museum zu Kairo steht. Außerdem findet Lawrence Papyrusrollen, aus denen hervorgeht, dass Ramses mit Hilfe eines geheimnisvollen Elixiers Unsterblichkeit erlangte.

Doch wie es so in Kollegenkreisen zugeht: Bevor der Archäologe diese Rätsel lösen kann, wird er schmählich gemeuchelt – ausgerechnet von seinem nichtsnutzigen Neffen Henry. Dieser Schurke hofft mit dem Schatz die Unterschlagungen zu vertuschen, die sein Vater in der Firma beging, um Henrys Trunksucht und Spielleidenschaft zu finanzieren.

Henry bringt die Mumie Ramses II. nach England und versucht dummerweise auch noch seine unschuldige Cousine Julie zu beseitigen. Diese Schandtat vermag jedoch der gerade noch rechtzeitig zum Leben zurückgekehrte Pharao zu verhindern. Ein Pfundskerl, dieser Ramses! Denn kaum dem belebenden Sonnenlicht der Neuzeit ausgesetzt, beendet er seinen mehrtausendjährigen Schlaf und wird von der zunächst verblüfften, bald aber hingerissenen Julie in die modernen Amüsements der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eingeführt.

Der einstige Gottkönig hat kaum Anpassungsschwierigkeiten, denn das Elixier verleiht nicht nur dem Körper ewige Jugend und enorme Kräfte, sondern steigert auch Gedächtnisleistung und Intelligenz. Potztausend, das ist noch nicht alles: Wie Ramses durch mehrere Versuche herausfindet, kann er auch nicht getötet werden.

Doch auch eine Mumie bekommt mal Heimweh, und so befindet sie sich bald mit ihrer schönen Geliebten Julie auf einem Dampfer gen Süden. In Ägypten muss Ramses offenbar mit seiner turbulenten Vergangenheit abschließen, bevor er die Zukunft in Angriff nehmen kann. Begleitet werden die beiden Turteltäubchen von Julies Noch-Verlobtem Alex, dessen Papa Elliott (der, selbst schwerkrank, das Elixier haben will), Lawrences ägyptischem Freund Samir und schließlich sogar von dem Lump Henry. Dieser dreht vor Schmach allmählich durch, weil Ramses Augenzeuge des Mordes an Lawrence Stratford war.

Im Museum von Kairo findet Ramses unter all den ausgestellten Mumien die eine, die er nie zu sehen erwartete, weil ihre Leiche als verschollen gilt: Kleopatra, die letzte Königin Ägyptens, die ihn einst erweckte und liebte, aber sein Elixier ausschlug, weil er es ihrem Geliebten Marc Anton verweigerte. In Ramses erwacht die alte Leidenschaft für die olle Kleo neu und so beträufelt er sie mit dem Elixier. Doch was nun erwacht, hat mit seiner alten Flamme herzlich wenig zu tun, allenfalls äußerlich.

Eine wilde Hatz durch Kairoer Gassen folgt. Überall Tote hinterlassend, versucht Kleopatra, in einer ihr unverständlichen und bedrohlich erscheinenden Zeit zu überleben, bis man sie zur Strecke bringt. Ein erstklassiger Showdown folgt.

Mein Eindruck

Der Horror, den Anne Rice hier serviert oder vielmehr zelebriert, ist meist von subtiler und eher leiser Art. Auch das vermeintlich Böse wird so vielschichtig angelegt, dass Schuldzuweisungen und Verdammung schwerfallen.

Ihre liebevoll gezeichneten Figuren strahlen – wie ihre Vampirgestalten – eine starke Lebendigkeit, eine intensive Leidens- und Liebesfähigkeit aus, die den Leser gefangen nehmen und durch den geschickt geführten Spannungsbogen bis zur letzten Seite festhalten. Und dort nimmt man mit Erleichterung und Vorfreude zur Kenntnis, dass die Abenteuer von Ramses dem Verdammten noch nicht bendet sind. Dies kann ich allerdings nicht bestätigen, denn der einzige in Frage kommende Roman, der verfilmte „Die Königin der Verdammten“, befasst sich nicht mit Mumien, sondern mit den Vampiren um Lestat de Lioncourt. Schade!

Natürlich ist ihr Roman nicht frei von Klischees. Ich habe nicht umsonst überzeichnende Beschreibungen verwendet, um dies deutlich zu machen. Plot und zentrale Werte erinnern mich an „Reiseschriftsteller“ des 19. Jahrhunderts wie Karl May und Jules Verne. Je phantastischer die Story, desto gefesselter die Leser und umso höher die Verkaufszahlen. Exotik und Sex sells!

Taschenbuch: 512 Seiten
Originaltitel: The Mummy or Ramses the Damned, 1989
Aus dem US-Englischen übertragen von Joachim Körber.
ISBN-13: 9783442458424

https://www.penguin.de/Verlag/Goldmann/4000.rhd

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