Richard L. Tierney – Im Haus der Kröte

Die Monster mit dem Atomreaktor

James Kerrick ist ein Abenteurer, der davon lebt, wertvolle archäologische Funde zu rauben, die er an dubiose Sammler verkauft. Als er einem exzentrischen Amerikaner einige rätselhafte Relikte aus den Ruinen einer vergessenen mexikanischen Stadt anbietet, gerät er zwischen die Fronten finsterer Kulte und stellt fest, dass er Teil eines uralten Planes ist, der von außerirdischen Wesen entwickelt wurde.

Der Autor

Richard L. Tierney (geb. 1936) ist ein zurückgezogen lebender Schriftsteller, der „Sword & Sorcery“-Geschichten im Stil der Pulp-Magazine à la „Weird Tales“ schreibt. Einen gewissen Namen hat er sich als ‚Co-Autor’ von Robert E. Howard gemacht, der bei seinem Tod 1936 eine große Anzahl nie vollendeter Manuskripte hinterließ, an deren Vollendung sich viele Verfasser versuchten, nachdem Howard postum zu Ruhm gekommen war. Auf Howard geht u. a. die Figur der „Roten Sonja“ zurück, die Tierney in Zusammenarbeit mit David C. Smith 1981-83 in sechs rasanten und unterhaltsamen aber trivialen Romanen aufleben ließ. Ähnliche literarische Exhumierungen weckten Bran Mak Morn und Cormac Mac Art.

Tierneys Werk lebt weiterhin von der Affinität zum Werk des Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), dessen „Cthulhu“-Geschichten zu einem Mythos der modernen Populärkultur wurden. Mehrfach hat sich Tierney zum Werk des ‚Meisters’ und seiner Nachfolger geäußert. Als Lovecraft-Kenner zeigt er sich in seinem Essay „The Derleth Mythos“ (1973). Hier schlüsselte er auf, wie stark sich Lovecrafts Sicht des Cthulhu-Universums unter seinem Nachlassverwalter August Derleth (1909-1971) in einen simplen Kampf zwischen Gut und Böse verwandelt hatte. Im Cthulhu-Umfeld spielen Tierneys Storys und Romane um Simon of Gitta, auch Simon der Zauberer genannt. Auf Clark Ashton Smith (1893-1961) verweisen hingegen seine Gedichte, die ebenfalls der Phantastik zuzuordnen sind. [Michael Drewniok, zitiert aus „Phantastik-Couch.de“]

Handlung

James Kerrick ist ein etwa 40-jähriger Grabräuber, der aus dem hintersten Yucatán einige höchst verbotene Artefakte durch den amerikanischen Zoll schmuggelt. Aber die Helfer von Janus Cornelius Wassermann, seinem Endabnehmer, erweisen sich als erstaunlich erfolgreich, um Bobachter und Verfolger abzuschütteln.

J. C. Wassermann residiert in einem großen Herrenhaus, das es in Kerricks Jugend, die er in St. Regis am Missippi verbrachte, noch gar nicht gab. Es weist einige ausgefeilte Merkmale auf, so etwa einen fünfeckigen Saal, der an ein Pentagramm erinnert. Auch eine umfangreiche Bibliothek gehört dazu, und hier empfängt der Herr des Hauses seinen Lieferanten. Wassermanns Gesicht und füllige Gestalt erinnern Kerrick ein wenig an den Krötengott, dessen olmekische Abbilder er in Chiapas, Yucatan und anderswo häufig fand.

Der fette Scheck, den diese „Kröte“ ihm ausschreibt, ist jedoch in keinster Weise zu verachten.- Er braucht ihn nur an seinen Agenten Soames in London zu schicken und das geld nach Toronto, seinen kanadischen Wohnsitz, überweisen zu lassen, dann ist er ein gemachter Mann, der sich zur Ruhe setzen kann. Denn Kerrick leidet an wiederkehrenden Anfällen von malaria, die er sich im Dschungel einfing. In diesen Fieberträumen erlebt er eine Opferszene nach, in der seine Jugendliebe Susan einem Krötengott geopfert wird…

Wassermann will ihn seines einzigartigen Talents engagieren. Kerrick kann ein klein wenig in die Zukunft sehen und verfügt über intuitive Fähigkeiten – wertvolle Eigenschaften für einen Unternehmer, der, wie Kerrick bestürzt entdeckt, weit jenseits der Legalität im Drogen-, Waffen- und Pornohandel steckt. Diese Fakten eruiert er nur nach und nach, am Anfang scheint alles recht koscher zu sein. Nur Mädchen wie die schöne Akiko scheinen irgendwie distanziert zu sein, so als seien sie, äh, ein wenig weggetreten oder besessen. Und könnte es sein, dass auch Susan hier lebt – oder zumindest eine Art Zombieversion von ihr?

Durch Leute wie Prof. Duncan, den Kerrick noch aus seiner Uni-Zeit kennt, findet er mehr finstere Fakten heraus. Offenbar hielt Wassermann vor rund 20 Jahren einen kostenlosen Vortrag, aus dem alle Teilnehmer hypnotisiert hervorgingen – manche ohne davon zu wissen, so etwa Kerrick selbst. Nach diesem Vortrag ging er nämlich unvermittelt auf Archäologie-Expeditionen, die in Grabräuberei endeten. Vor allem seltsam metallische Schalen suchte er gezielt. Wer gab ihm den Befehl, fragt Duncan, wenn nicht Wassermann selbst?

In Wassermanns Verwaltungshaus in der Stadt arbeitet die schöne Blondine Lisa Erickson, aber sie interessiert nicht für Kerrick, sondern nur für ihren Arbeitgeber. Verdammt! Aber ihre dicke Kollegin Rosa Andrade ist da schon entgegenkommender und auch viel aufgeweckter. Sie lässt kein gutes Haar an Lisa. Eines tages erblickt Kerrick eine junge Frau, deren Aussehen ihn derart stark an seine Jugendliebe erinnert, dass er sie mit „Susan!“ anredet. Doch es handelt sich um Karyn, Susans 18-jährige Tochter, die sie mit Ted Philmore hatte. Karyn will unbedingt einen Job bei Wassermann, wird aber immer wieder abgewiesen. Die Begründung ist seltsam: Sie sei im Sternbild der Zwillinge geboren und störe die himmlischen Konstellationen, denen Wassermann gehorche.

Duncan und dessen zwielichtiger Bekannter Holgrave zeigen Kerrick, was seit wenigen Tagen in Wassermanns fünfeckigem Saal vor sich geht: Es sind Opferzeremonien! Als wenig später klar wird, dass Karyn, angespornt durch Kerricks Informationen, eine Pistole Duncans gestohlen und sich ein Kanu besorgt hat, wird Kerrick, Duncan und Holgrave klar, dass an Wassermanns Sonnwend-Party teilnehmen müssen, um Karyns geplanten Anschlag auf den Hausherrn zu vereiteln – oder ihre Opferung …

Mein Eindruck

Der Roman ist ganz klar eine Hommage an Howard Phillips Lovecrafts Cthulhu-Mythos. Auf den Seiten 192ff. zitiert der Autor ausführlich die Grundzüge dieses Mythos, der den Autor HPL zum „Meister des Horrors“ erhob und seine Werke bis heute überdauern ließ. Tatsächlich erscheinen die Großen Alten, die Lovecraft erträumte, hier als die Ersten, die nun aus ihrer anderen Dimension in die irdische wechseln wollen. Wassermann ist ihr erster Diener und weltweitig tätig, um ihre Ankunft vorzubringen.

Interessant ist jedoch, was diese finsteren Typen aus der anderen Galaxie hier wollen. Die Erde ist nämlich nicht ihre einzige Kolonie, die sie gegründet haben, um einen ganz bestimmten Zweck zu erfüllen. Sie laben sich an Leid und Pein, um ihre Egos zu befriedigen. Um dies zu erreichen, verbreiten sie Waffen, Drogen, Hungersnot und Krankheit. Klingt nach den vier Reitern der Apokalypse? Das liegt gar nicht so weit von der „Wahrheit“ entfernt, die Tierney hier postuliert.

Das große Sterben steht bevor, also jene Apokalypse, die einer Art Erntedankfest entspricht. Und natürlich darf dies nur unter optimalen astrologischen Bedingungen stattfinden – wie es HPL selbst vorexerziert hat. Dieses ganze Geschwurbel dient jedoch nur dazu, eine spannende Krise anzukünden, herbeizuführen und möglichst zu vereiteln. Sollten Kerrick und seine Helfer scheitern, so wird nicht nur Susans Tochter Karyn, die Verkörperung der Zukunft der menschlichen Rasse, geopfert werden, sondern auch die totale Vernichtung der Zivilisation ausgelöst.

Hübsche Mädels wie Lisa Erickson, Akiko und – leider Gottes – auch Susan werden von Wassermann und seinen Helfern zu Besessenen gemacht, die mit sexuellen Diensten weitere Diener der Ersten gefügig oder zumindest gewogen machen. Die Infizierung mit dem „inneren Begleiter“, der ihr Bewusstsein übernimmt, erfolgt auf denkbar perfideste Weise. Dabei spielen jene metallischen Halbkugeln, die Kerrick so diensteifrig beschaffte, eine zentrale Rolle. Ihn trifft also eine ganz besondere Art von Schuld. Es ist daher äußerst passend, dass er selbst infiziert wird – seine Fieberträume bieten dazu die beste Gelegenheit.

Schwächen

Typen wie den Esoterik-Papst Wassermann würde man heute als „homegrown terrorist“ bezeichnen. Ironisch dabei ist, dass er schon im Jahr 1647 ein Buch über sich selbst veröffentlichte, also bereits älter ist als die Vereinigten Staaten selbst ist – „homegrown“ im wahrsten Sinne des Wortes, denn er wurde mit den USA groß.

Wo es „Terroristen“ gibt, muss es auch „Terroristenjäger“ geben. Diese sonderbare Spezies vertritt hier Holgrave. Er weigert sich, Kerrick den Namen seiner Organisation zu verraten, aber er gibt zu, einer Black Ops Truppe anzugehören. Das heißt, dass sie nicht in den Budgetbüchern, die der Kongress prüfen kann, auftaucht, sondern aus Geheimmitteln finanziert wird, wie so vieles im Geheimdienstdschungel der US-Regierung.

Mit anderen Worten: Da er die Kongressabgeordneten selbst für unterwandert hält, schafft er die Demokratie durch Volksvertreter kurzerhand ab, „um sie vor sich selbst zu schützen“ (mein Zitat). Das klingt stark nach der Denkart von NSA und GCHQ, die sich als die „good guys“ (General Alexander) bezeichnen, aber jedes Vertrauen in die Demokratie, die sie legitimiert hat, durch deren Aushöhlung zerstören.

Würde man Wassermann als Fünfte Kolonne der Kommunisten bezeichnen, dann stünden die Typen wie Holgrave wieder gut da – zumindest im Jahre 1993, als dieser naive Glaube an die gute Macht in Washington noch vertretbar erschien. Das ist heute ganz anders.

Erzählstil

Wäre der Autor bei so starken Szenen wie der am Anfang geblieben, so hätte seine HPL-Pastiche ein Klassiker werden können. In seinen wiederkehrenden Malaria-Fieberträumen sieht sich nämlich Kerrick, der fanatische Grabräuber, als Zuschauer einer blutigen Zeremonie, bei der eine westlich aussehende Frau – Susan? Karyn? – einem uralten unmenschlichen Gott geopfert werden soll. Dieser – „Ghanta“ genannt – ist offenbar einer der großen Alten, der hier das Große Sterben vorbereitet.

Das ist natürlich pure Pulp Fiction. Aber Pulp-Qualität verhindert nicht, dass daraus ein Longseller werden kann, wie man an der Handvoll von ursprünglichen CONAN-Erzählungen ablesen kann, die bis heute in Liebhaberausgaben verbreitet werden. Im Gegenteil: Je „pulpiger“, desto mehr junge (männliche) Leser finden diese Story, so etwa „Tarzan“, „Eine Marsprinzessin/John Carter“ und vieles mehr, was seit dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurde.

Hätte sich Kerrick mehr um Karyn gekümmert, wäre eine tolle Story nach dem Motto „weißer Mann rettet weißes Mädchen vor dem grauenvollen Monster“ herausgekommen. Dann wäre alles in Butter gewesen. Stattdessen hält uns der Autor mit langatmigen Dialogen hin, die nur Gelehrte interessieren. Auf dieses „retardierende Element“ als Plot-Bremse hätte ich liebend gerne verzichtet. Bis also die arme Karyn gerettet wird, vergehen nochmals geschlagene 50 Seiten Langweile. Erst dann fliegt bei Wassermanns alles in die Luft, wie es sich gehört. Diesmal inklusive Atomreaktor.

Wer in diesem Plot den kosmischen Schrecken vermisst, den HPL zu evozieren wusste, liegt völlig richtig. Mit Kinkerlitzchen wie Tierkreiszeichen, Planetenkonstellationen und anderem Mumpitz lenkt der Autor von der wahren Bedrohung ab, die von jenseits unserer Dimension einzubrechen droht. Zwar grollt der Donner, und der Mond scheint zwielichtig, doch wo bleiben sie, die Ersten Götter? Wie sich zeigt, suchen Kerrick und Co. an der falschen Stelle: Sie sind bereits da! Das wirklich dann natürlich etwas vernichtend auf das Pathos des Schreckens, das der Autor aufbauen wollte.

Die Übersetzung

Martin Baresch hat eine stilistisch recht lesbare, aber etwas altertümelnde Übersetzung vorgelegt, die sich flüssig liest, aber manchmal mit Uraltbegriffen wie „Atzung“ (S. 303) verwirrt. „Atzung“ ist ein anderes Wort für „Nahrung“ und beispielsweise im Sprachgebrauch von Falknern üblich. Die Falknerei, verbreitet heute vor allem in Arabien, ist ja ein sehr alter Sport, der in Europa schon im Hochmittelalter betrieben wurde, vgl. die Manessische Handschrift.

S. 131: „annährend“ statt „annähernd“

S. 167: „Ich werde mir in der Fuß schießen!“, brüllte Kerrick.;“Man hat mir erzählt, dass Sie [Wassermann] es abgelehnt haben, sie [Karyn] einzustellen, weil Sie [Karyn, nicht Wassermann!] im Sternbild des Zwilling geboren ist.“; Das große S sollte also kleingeschrieben werden.

Unterm Strich

Die Hommage an H. P. Lovecraft ist Richard Tierney durchaus gelungen, und seinen „Horror-Thriller“ habe ich mit Interesse gelesen – nicht nur wegen meines Faibles für HPL, sondern auch weil von Anfang eine romantisch-sinnliche Note mitgespielt wird, die verheißt, dass der malaria-kranke Grabräuber die Aufgabe hat, eine weiße Frau vor dem Monster zu bewahren. Dass er schließlich die Aufgabe übertragen bekommt, als Hohepriester bei dieser Zeremonie das Wort zu führen, erfüllte die schlimmsten Erwartungen, die aus dieser Ausgangskonstellation erwuchsen. Wunderbar.

Leider hängt der Autor die ganze Auseinandersetzung Kerricks mit Wassermann eine Nummer zu hoch auf – es geht um das Schicksal der gesamten Welt. Und wo wird es entschieden? Im hintersten Kaff irgendwo am Mississippi. Dass hier zwei Geheimorganisation in James-Bond-Manier gegeneinander vorgehen, verschob die Bedeutung des Plots in unpassende Regionen. Aus einer metaphysischen Auseinandersetzung wird unversehens eine politische.

Holgrave nimmt auf die Polizeiaktion in Innsmouth bezug, die in den 1920er Jahren erfolgt sei. Auf dem gleichen Level sei seine jetzige Mission anzusiedeln, legt er nahe. Dieser Vergleich wird dem Plot nicht gerecht, denn in Innsmouth haben sich die Einwohner nicht nur bereits mit den Monstern aus dem Meer vermischt, sondern längst auch ihre Zukunft an sie verloren. Das Grauen ist allumfassend, es gibt kein Entrinnen.

Kerrick hingegen weigert sich, irgendwas zur Bekämpfung der Monster beitragen zu wollen, dabei ist er längst deren Opfer geworden – durch einen posthypnotischen Befehl. Er hätte also Grund genug, sich gegen sie aufzulehnen. Fortwährend versucht er stattdessen abzuhauen, wird aber immer wieder daran gehindert. Dass Holgrave ihn doch noch für „die gute Sache“ gewinnt, wirkt nicht mehr glaubwürdig.

Der Roman endet pessimistisch damit, dass das Prinzip Hoffnung notwendig ist, um die Menschen überhaupt noch am Lebenswillen festhalten zu lassen – selbst wenn Hoffnung von vornherein nur als ein Trick der Großen Alten / Ersten Wesen enthüllt wird, der die Menschen zum Weiterleiden verführen soll. Eben jenem leiden, an dem sich die Götter laben.

Das große Loch in der Logik des Plots betrifft die Liebe. Sie tritt an keiner Stelle neben die Hoffnung, obwohl es doch erst Susan und dann Karyn ist, die Kerrick mit Hoffnung und Begehren erfüllen. Liebe war es, die Kerrick vor 20 Jahren die Nähe zu seiner Seelenverwandten Susan suchen ließ. Doch warum soll Liebe auf einmal nicht mehr gültig sein? Auf diese Frage erteilt der Autor keine Antwort.

Der Autor vergibt: (3/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Hinweis: Das Buch enthält im Anhang eine siebenseitige Leseprobe zu Graham Mastertons „Die Opferung“.

Broschiert: 320 Seiten
Originaltitel: The House of the Toad, 1993; aus dem US-Englischen übersetzt von Martin Baresch
ISBN-13: 978-3865520586
www.festa-verlag.de