Zwölfmal sorgt der Verfasser dafür, dass sich im irdischen Leben „Twilight Zones“ öffnen, die den Protagonisten erschreckende und den Lesern unterhaltsame Erlebnisse bescheren, die den alltäglichen Wahnsinn extrapolieren, übertreiben oder auf die Spitze treiben: Trotz ihres beträchtlichen Alters lesen sich diese Geschichten weiterhin erstaunlich spannend, da die aufgegriffenen Themen zeitlos sind.
Inhalt:
– Das Ungeheuer (Born of Man and Woman, 1950): Dieses Kind sperren seine entsetzten Eltern im Keller ein, was ihm missfällt, sodass es buchstäblich unmenschliche Rachepläne schmiedet.
– Der dritte Planet (Third from the Sun, 1950): Glück im Unglück scheinen die Flüchtlinge aus dem All zu haben, als sie besagten Planeten finden, der ihrer verlorenen Heimat zum Verwechseln ähnlich ist.
– Durch Kanäle (Through Channels, 1951): Das Fernsehen bringt uns die Welt ins Haus – und manchmal ungebetene Gäste, die den überraschten Zuschauer zu einer Mahlzeit einladen.
– Das Drei-Monde-Irrenhaus (Lover When You’re Near Me, 1952): Eine liebeskranke Außerirdische bedrängt einen einsamen Erdenmann.
– Einsames Venus-Mädchen (SRL AD, 1952): Todd glaubt an einen Jux, als ihm die Kontaktanzeige einer Venus-Bewohnerin ins Haus flattert, doch Loolie überzeugt ihn rasch vom Gegenteil.
– Das wahnsinnige Haus (Mad House, 1953): Frustrationen und Ängste laden die Wände eines Hauses mit negativen Energien auf, die eines Tages auf seinen Bewohner zurückschlagen.
– Das Verschwinden (Disappearing Act, 1953): Stück für Stück verschwindet die Welt um den fassungslosen Bob, bis er schließlich selbst aus der Realität getilgt wird.
– Der Abergläubische (The Wedding, 1953): Frank irritiert seine Mitmenschen durch einen ausgeprägten Aberglauben, dessen Berechtigung sich leider zu spät herausstellt.
– Der Unanständige (F…, 1952): Den Zeitreisenden aus dem 20. Jahrhundert verschlägt es in eine Zukunft, in der das Essen als pornografischer Akt verfolgt wird.
– Liebes Tagebuch (Dear Diary, 1954): Der Vergleich dreier Tagebucheinträge aus der Gegenwart, der fernen Zukunft und der Steinzeit belegt, dass der unzufriedene Mensch sich stets ersehnt, was ihn auch nicht glücklicher machen würde.
– Krieg der Hexen (Witch War, 1951): Nicht mit High-Tech, sondern mit Magie werden die Schlachten der Zukunft geschlagen.
– Mamas Zimmer (Dress of White Silk, 1951): Mama ist nicht von dieser Welt, zumal man sie nicht auf den ersten Blick entdeckt, und sie ist schrecklich hungrig.
Meister in Startposition
Diese Kollektion sammelt zwölf frühe, ursprünglich zwischen 1950 und 1954 in diversen Magazinen veröffentlichten Kurzgeschichten. Schon die erste Story zeigt Matheson als erzählerisches Ausnahmetalent, das in den folgenden Jahren und Jahrzehnten das Phantastik-Genre mit einer Fülle außergewöhnlicher Romane, Geschichten und Drehbücher bereicherte. „Das Ungeheuer“ gilt mit Recht als Klassiker und fesselt noch heute, viele Jahrzehnte nach seiner Entstehung, als spannende Unterhaltung mit einem psychologischem Tiefgang, den besonders die strenge Literaturkritik der ‚trivialen‘ Science Fiction lange nicht zugestehen mochte.
Dieses Niveau kann Matheson in „Der dritte Planet“ nicht durchweg halten. Erzählungen wie „Durch Kanäle“, „Der Unanständige“, „Krieg der Hexen“ oder „Liebes Tagebuch“ leben vor allem von skurrilen Situationskomik, die wiederum auf jener Was-wäre-wenn-Frage basiert, die sich in dieser Konsequenz offenbar nur Science-Fiction-Autoren stellen. Zu ihrer Zeit mögen die genannten Geschichten neu und erstaunlich gewesen sein. Der heutige Leser ist ihnen allerdings in zu vielen Varianten begegnet, weshalb sich der Aha-Effekt in Grenzen hält.
„Einsames Venus-Mädchen“, „Der Abergläubische“ und die Titelgeschichte sind sogar mehr als vom Zahn der Zeit angenagt; sie sind ihm völlig zum Opfer gefallen. „Mamas Zimmer“ ist (wohlwollend beurteilt) eine Variation von „Das Ungeheuer“, die aber immer noch erstaunlich gut funktioniert.
Alltag ist trügerisch
So haben sich wie so oft diejenigen Stories am besten gehalten, die zeitgeistfern nicht mit (scheinbar) neuen Plots und verrückten Effekten verblüffen wollen, sondern betont sachlich bleiben und dadurch umso intensiver Sand ins Getriebe der Realität werfen. Matheson versucht erfolgreich deutlich zu machen, wie zerbrechlich ist, was wir „Normalität“ nennen. In „Das Drei-Monde-Irrenhaus“ spielt der Verfasser eindrucksvoll mit dem Uralt-SF-Thema Telepathie. Dazu reichen ihm zwei Figuren, und auf vordergründige Action wird völlig verzichtet. Allein die Meisterschaft, mit der Matheson den allmählichen geistigen Verfall seines Protagonisten in Worte fasst, macht die Wirkung dieser Geschichte aus. In diese Qualitätskategorie gehört auch „Das Verschwinden“: Ein Mensch, der nie weiß, wie ihm geschieht, wird qualvoll langsam aus der Wirklichkeit getilgt. Fällt er einem Zeitparadox zum Opfer? Wir erfahren es nicht, und es ist völlig nebensächlich da nicht die Geschichte, die Matheson erzählen möchte.
Die Idee vom ‚wahnsinnigen‘ Spukhaus als ‚Batterie‘, die durch die negativen Emotionen seiner Bewohner aufgeladen wird und diese Energie noch lange zum Schaden ahnungsloser Nachmieter abgibt, hat Matheson offensichtlich stark beschäftigt. 1958 griff er sie in „A Stir of Echoes“ (dt. „Echoes – Stimmen aus der Zwischenwelt“) ein erstes Mal auf, um sie 1972 in „Hell House“ (dt. „Das Höllenhaus“) deutlich weiterzuentwickeln.
Autoren in Nöten lässt Matheson gleich mehrfach in seinen Geschichten auftreten. Er dürfte hier auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, denn er musste selbst einige schwierige Anfangsjahre überwinden, bevor ihm der Durchbruch gelang. „Der dritte Planet“ zeigt ihn auf dem Weg dorthin. Ein Markenzeichen wurde und blieb die trügerisch simple Form, in die Matheson Geisterspuk, Zeitreisen, Dimensionsbrüche und ähnliche Ereignisse schilderte. Wo heute eine Idee mindestens zu einer Buchtrilogie wuchert, genügte ihm eine Kurzgeschichte. Freilich ist genau dies ein Grund dafür, dass Matheson auch nach seinem Tod keineswegs in Vergessenheit geraten ist. Weiterhin entstehen Kino- und TV-Filme nach seinen Vorlagen, die ihre Wirkung deshalb nicht verloren haben, weil sie ungeachtet ihres Alters auf zeitlose Inhalte setzen.
Chaos & Kürzung
Wieder einmal eine Geschichte für sich ist die deutsche Publikationsgeschichte dieser Sammlung. Im Impressum wird als Vorlage die Story-Kollektion „The Third Planet“ angegeben. Schon das Erscheinungsjahr – 1954 statt 1955 – deutet einen Fehler an. Ein Inhaltsvergleich mit dem genannten Band bestätigt das: Hier fehlen Storys, die in der Übersetzung abgedruckt werden. Des Rätsels Lösung: „Der dritte Planet“ enthält Erzählungen aus dem bereits 1954 erschienenen Sammelband „Born of Man and Woman“, der nicht 13, sondern 17 Kurzgeschichten sammelt.
Um die Sache noch komplizierter zu machen, fehlen in der deutschen Ausgabe fünf dieser 17 Texte:
– Shipshape Home (1952)
– Full Circle (1953)
– Return (1951)
– To Fit the Crime (1952)
– The Traveller (1954)
„Born of Man and Woman“ zählte in der US-Ausgabe 252 Seiten. In Deutschland erschienen SF-Romane bis in die 1980er Jahre seitennormiert: Sie umfassten 128, 144, 160 oder 192 Seiten. Wenn eine Romanvorlage nicht passte, wurde gekürzt, in Kollektionen fielen Storys gänzlich unter den Tisch. Die „Terra“-Taschenbücher des Jahres 1965 hatten 160 Seiten – nie mehr, nie weniger -, weshalb es dieses Mal die genannten fünf Kurzgeschichten traf.
Autor
Richard Burton Matheson wurde am 20. Februar 1926 in Allendale (US-Staat New Jersey) geboren. Er studierte Journalismus an der University of Missouri, arbeitete jedoch hauptberuflich als Schriftsteller. Die nach dem II. Weltkrieg erneut boomende Magazin-Szene bot einem schnellen und professionellen Autoren kein üppiges aber ein ausreichendes Auskommen. Matheson lernte rasch, sich diesem Markt anzupassen. Schon 1950 gelang ihm mit der Story „Born of Man and Woman“ (dt. „Menschenkind“), veröffentlicht im „Magazine of Fantasy & Science Fiction“, der Durchbruch. Matheson machte sich einen Namen durch das Geschick, mit dem er die Genres SF und Horror miteinander kombinierte. Sein Romanerstling wurde 1953 jedoch ein Krimi („Fury on Friday“). Auch diverse Western-Storys hat Matheson veröffentlicht.
1954 erschien „I Am Legend“ (dt. „Ich, der letzte Mensch“ bzw. „Ich bin Legende“), 1956 „The Shrinking Man“ (dt. „Die seltsame Geschichte des Mr. C.“), 1958 „A Stir of Echoes“ (dt. „Echos“). Mit diesen drei Romanen zementierte Matheson seinen Ruf. Sie wurden sämtlich verfilmt. Zu „The Shrinking Man“ schrieb er selbst das Drehbuch und fasste auf diese Weise in Hollywood Fuß. In den nächsten Jahrzehnten bereicherte er die Kino- und Fernsehwelt mit innovativen Drehbüchern, für die er zahlreiche Preise einheimsen konnte.
In den 1990er Jahren konzentrierte sich Matheson wieder stärker auf seine schriftstellerische Arbeit. Seit 1951 lebte er in Kalifornien. Dort ist er am 23. Juni 2013 im Alter von 87 Jahren gestorben.
Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Born of Man and Woman (New York : Chamberlain Press 1954)
Übersetzung: Wulf H. Bergner u. W. Kortwich
Cover: Karl Stephan
Der Autor vergibt: