Richard Montanari – Tanz der Toten

In Philadelphia treibt der ebenso irre wie geniale Serienkiller „Mr. Marseille“ sein Unwesen und drapiert seine Opfer wie Puppen. Die Polizei versucht der Mordserie ein Ende zu bereiten und stößt dabei auf die leichenreiche Vorgeschichte des Täters … – Band 8 der Balzano-&-Byrne-Serie zelebriert das inzwischen routinierte aber weiterhin spannende Katz-&-Maus-Spiel zwischen zusätzlich privatsorgengeplagten Ermittlern und einem Unhold, der ungemein kompliziert ein eigentlich simples Anliegen deutlich machen will: Was in der Realität an unzähligen Unvorhersehbarkeiten scheitern dürfte, wirkt in der Erzählung unterhaltsam, weist aber Verschleißerscheinungen auf.

Das geschieht:

Bizarre Leichenfunde halten die Mordkommission der US-Großstadt Philadelphia und hier die vor allem die zuständigen Detectives Jessica Balzano und Kevin Byrne in Atem. An exponierten Stellen werden die Leichen von Kindern und Jugendlichen gefunden, die ihr Mörder mit großer Sorgfalt wie Puppen ausstaffiert und zur Schau gestellt hat. Stets liegt am Tatort eine Karte, die zum Tanztee einlädt; das angegebene Datum ist identisch mit dem Tag des nächsten Mordes. Die Schädel der Toten sind mit Nummern markiert, was unterstreicht, dass der Täter einem Plan folgt und seine Opfer mit Bedacht auswählt. Doch wie viele Morde sieht dieser Plan noch vor?

Die Ermittlungen ergeben lange keinerlei Beziehungen zwischen den Opfern. Deshalb ist es unmöglich, weitere Morde zu verhindern, was den Druck auf die Polizei nachhaltig verstärkt. Zwar ist auf einigen Überwachungskameras ein gut gekleideter, offenbar junger Mann zu sehen, der die späteren Opfer anspricht oder in Märkten jene Utensilien kauft, mit denen er die Tatorte inszeniert. Dummerweise ist das Gesicht nie zu erkennen, und Spuren hinterlässt der Mörder nicht.

Private Probleme sorgen für Ablenkung. Den Balzano-Haushalt drücken Schulden, und Byrne wird von einem Dämon seiner Vergangenheit heimgesucht: Nachdem sie Jahre in der Todeszelle verbracht hat, soll Valerie Beckert jetzt hingerichtet werden. Nie wollte sie verraten, wo sie die Leichen der von ihr umgebrachten Kinder versteckt hat. Byrne, der Beckert einst verhaftet hat, geht dieser Fall immer noch nahe. Er kauft sogar das Haus der Mörderin, um dort nach möglichen Indizien zu suchen. Dass der alte Fall mit den Tanztee-Morden zusammenhängt, erkennt Byrne erst, als er und dadurch Balzano ins Visier des Killers geraten …

Irrsinn & Genialität – oder umgekehrt

Oh ja, es wird deutlich, dass es Richard Montanari allmählich schwerfällt, seine altgedienten Serienhelden Balzano und Byrne mit kriminellen Schwergewichten zu konfrontieren, die den entsprechenden Standards entsprechen: Sie dürfen nicht einfach durch die Stadt laufen und Pechvögel killen, sondern müssen dabei a) bestimmten, möglichst bizarren Ritualen folgen und b) so schlau sein, die Ermittler mehrere hundert Seiten an den Nasen herumzuführen, um sie c) final in Lebensgefahr zu bringen.

In dieser Hinsicht haben unzählige Autoren ein Feld abgegrast, das ohnehin recht klein ist: Serienmord schließt zumindest Genialität eigentlich aus. Zudem sind die dabei vollzogenen Rituale vergleichsweise kümmerlich – wen wundert’s, sind Serienkiller in der Realität doch jämmerliche Gestalten, die ihrem bösen Handwerk unauffällig frönen, um nicht erwischt zu werden: Ein Aufwand, wie ihn „Mr. Marseille“ im hier vorgestellten Thriller treibt, ist faktisch die beste Methode, möglichst rasch ins Netz zu gehen.

Je raffinierter ein Plan ist, desto mehr potenzielle Fallstricke zeichnen ihn aus. Murphy’s Law gilt auch für Kapitalkriminelle: Was schiefgehen kann, wird schiefgehen. In diesem Punkt hält Montanari das Heft in der Hand: So wie steter Tropfen den Stein höhlt, kommen Balzano & Byrne trotz zahlreicher Irrtümer, Sackgassen und Misserfolge dem eben nicht so perfekten Täter langsam aber sicher näher. Ermittlungsarbeit ist zeitaufwändig, was Medien, Politiker oder der (vor allem bezüglich des Schädelinhalts) durchschnittliche Bürger gern ignorieren, wenn sie auf umgehende Aufklärung weitgehend spurenarm begangener Verbrechen pochen.

Wie immer neu – aber bitte ohne Veränderungen!

Die spannende Darstellung anfänglicher Fehlschlüsse ist eine Herausforderung, der sich Montanari glücklicherweise gewachsen sieht. Bis ins letzte Drittel hinein legt er diverse Falschfährten, die den Leser über Identität und Beweggründe des Schurken im Ungewissen halten, ohne Frustration oder Langeweile aufkommen zu lassen, wenn abermals eine Spur versandet.

Generell greift Montanari auf bewährte Methoden zurück, denn er muss schließlich regelmäßig einen neuen Balzano-&-Byrne-Thriller vorlegen. Dieses Mal schaltet er beispielsweise immer wieder zu „Mr. Marseille“ um, der neue Gruselstreiche plant und sich dabei möglichst mysteriös benimmt. Um diesen Aspekt zu unterstreichen, denkt der Autor ihm eine Marotte an: Die Opfer werden nicht einfach umgebracht, sondern die Leichen anschließend ausgestellt. Dafür wird ein Aufwand getrieben, der „Mr. Marseille“ eigentlich rund um die Uhr beschäftigen müsste. Diese Tatsache thematisiert Montanari klugerweise nicht, sondern holt aus dem Requisit „Puppe“ das Optimale heraus.

Neu ist das wahrlich nicht, aber man muss dem Verfasser zugestehen, dass er keine Literatur schreibt, sondern Unterhaltungslektüre produziert. Die muss dem Leser = Käufer gefallen. Gelingt dies nicht, wird der Kunde zu anderer Ware greifen, die ihm bietet, was er fordert – in diesem Fall die Aufklärung wunderlicher Verbrechen im Wettlauf mit der Zeit. Der Variationsspielraum ist eng, Veränderungen müssen behutsam vorgenommen und dem Publikum vorsichtig angekündigt werden. Hier ist es Balzanos Entscheidung, den aktiven Polizeidienst zu verlassen und Juristin zu werden. Dies wird sich auf die Dynamik des Erfolgsteams Balzano & Byrne auswirken, was nicht jedem Leser der Serie gefallen dürfte.

Durch Augen aus Glas

Doch Montanari muss sich ein wenig Luft verschaffen, denn so wie bisher kann es nicht weitergehen. „Tanz der Toten“ bietet weiterhin Spannung mit Tempo, aber es wird noch deutlicher als im Vorgängerband, dass der Autor sogar die ohnehin fiktive Realität erheblich biegen muss: Die Bruchgrenze kommt in Sicht, wenn Byrne ein Mordhaus kauft und Visionen dort begangenen Untaten bekommt. Sein Verhalten ist irrational, was Montanari nicht zufriedenstellend zu erklären vermag.

Hinzu kommt die Verklammerung des nur scheinbar ‚kalten‘ Beckert-Falls mit der aktuellen Mordserie. Hier wird der Zufall – genreüblich, muss man anmerken – überstrapaziert. Auch die finale Auflösung wirkt zäh, weil viele eher willkürliche Aspekte zu einem Gesamtbild verwoben werden wollen. Als es soweit ist, fragt man sich außerdem, wie „Mr. Marseille“ dem zelebrierten ‚Puppenwahn‘ verfallen konnte: Seine Motive ergeben selbst in dem Mikro-Universum seines Wahns nicht zwingend einen Sinn. Das müssten sie freilich, um aus plakativem Irrsinn bedrohlichen Wahn zu machen.

Stattdessen wird der Puppen-Aspekt vor allem als Grusel-Effekt genutzt, der oft nur Geisterbahn-Niveau erreicht. Puppen können unheimlich sein, wenn ihr Schöpfer bestrebt ist, sie möglichst lebensecht zu gestalten: Genau dann sind sie besonders erschreckend in ihrer leichenhaften Starre, was durch leere ‚Gesichtszüge‘ auf die Spitze getrieben wird. Nicht grundlos gibt es zahlreiche Horrorgeschichten und -filme, in denen Puppen ‚lebendig‘ werden und mit unbewegten Mienen entsetzte Opfer malträtieren.

Zwar ist gestattet, was den Leser bei Laune hält. Tricks werden problemlos akzeptiert und sogar gutgeheißen, solange sie nicht allzu offensichtlich als mechanisches Mittel zum Zweck des Handlungsvortriebs erkannt werden. Bei Montanari ist es soweit. Ob ihm das klar ist oder es ihn interessiert? Die nächsten Bände der „Balzano-&-Byrne“-Serie liegen im Original bereits vor; sie erschienen pünktlich in Jahresabständen, was nicht auf tiefgreifende Veränderungen hindeutet.

Autor

Richard Montanari (geb. 1952 in Cleveland, US-Staat Ohio) entstammt einer US-amerikanisch (Byrne!) – italienischen (Balzano!) Familie. Als junger Mann reiste er ausgiebig durch Europa und schlug sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durch, bevor er in die USA zurückkehrte und einige Jahre in der väterlichen Baufirma arbeitete.

Montanari sattelte um, wurde freier Journalist und schrieb Artikel für unzählige Zeitungen und Zeitschriften. Anfang der 1990er Jahre schrieb er seinen Romanerstling „Deviant Way“. Er fand einen Literaturagenten und einen Verlag. Nachdem „Deviant Way“ 1996 als bestes Krimidebüt des Jahres mit einem „On-Line Mystery Award“ ausgezeichnet wurde, konnte Montanari einen Zwei-Romane-Vertrag mit einem renommierten Buchverlag abschließen. Zum weltweiten Durchbruch verhalf ihm 2005 der erste Band der „Philadelphia“-Serie um das Polizisten-Duo Kevin Byrne und Jessica Balzano.

Über Leben und Werk unterrichtet der Autor auf seiner sehr professionell layouteten aber informationsarmen Website.

Taschenbuch: 543 Seiten
Originaltitel: The Doll Maker (London : Sphere 2014/New York : Mulholland Books/Little, Brown and Company 2015)
Übersetzt von Karin Meddekis
www.luebbe.de

E-Book: 2021 KB
ISBN-13: 978-3-7325-2342-9
www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)