Richard Stark – The Hunter (Parker 1)

Berufsverbrecher Parker wurde von einem Ganovenkollegen sowie seiner eigenen Gattin gelinkt. Die verlorene Beute interessiert ihn nicht; Parker will Rache, wobei ihn keineswegs stört, dass sein Gegner inzwischen den Schutz des organisierten Verbrechens genießt: Parker ist unerbittlich, und wehe denen, die sich ihm in den Weg stellen … – Schon der erste von 24 „Parker“-Bänden gibt den Tenor vor: Lakonisch und moralfrei erzählt Autor Stark vom ‚Alltag‘ eines Gewaltverbrechers, der durch weniger fähige oder wortbrüchige ‚Kollegen‘ gefasst oder gar umgebracht zu werden droht, aber in der Krise einen kühlen Kopf und darin eiskalte Rachegedanken behält: zeitlos spannend!

Das geschieht:

Mit einem Großmaul wie Mal Resnick hätte sich Parker normalerweise nicht zusammengetan, denn als Verbrecher-Profi verabscheut er Partner, denen er kein Vertrauen schenken kann. Doch Resnick konnte mit einem lohnenden Coup aufwarten. Außerdem gedachte Parker ihn nach dem erfolgreichen Abschluss eines Überfalls ohnehin zu linken = umzubringen, um auch seinen Teil der Beute an sich zu bringen.

Allerdings plante Resnick ebenso. Mit Parker hätte er es niemals aufnehmen können, doch er tat sich mit dessen Ehefrau Lynn zusammen, die den ahnungslosen Gatten nach vollbrachter Tat in den Bauch schoss und mit Resnick auf und davon ging.

Eine protzige Gürtelschnalle rettete Parker das Leben. Es hat einige Monate gedauert, bis er gesund wurde, was ihm die Zeit ließ, seinen Groll zu nähren: Parker hasst es, übers Ohr gehauen zu werden. Die entgangene Beute interessiert ihn nicht. Er will sich rächen – natürlich an Resnick, aber auch an Lynn, die ihre Tat längst bereut und sich voller Scham umbringt, als Parker sie zur Rede gestellt hat.

Bleibt noch Resnick, wobei es einen Haken gibt: Mit der Beute hat sich der Verräter ins „Syndikat“ eingekauft, einer mafiaähnlichen Organisation, die ihre Mitglieder schützt. Als Resnick erkennt, wer ihm da auf den Fersen ist, wendet er sich an seine ‚Vorgesetzten‘, die ihn an „Mr. Carter“ verweisen, der für den Tod derjenigen sorgt, die dem „Syndikat“ in die Quere kommen.

Mit einem Gegner wie Parker hat man freilich nicht gerechnet. Parker schert sich nicht um die Drohungen des „Syndikats“. Wenn ihm dessen Schergen Probleme machen wollen, wird er sie wie immer lösen – mit Köpfchen und brutaler Gewalt …

Verbrechen kann sich eben doch auszahlen

1962 betrat Parker nicht die literarische Szene – er stürmte sie! Zwar gab es schon früher ‚Helden‘ mit flinken Fäusten und zuckenden Zeigefingern an den Abzügen schwerkalibriger Waffen, doch die waren in der Regel auf der ‚richtigen‘ Seite, d. h. Polizisten oder Detektive, deren mörderisches Tun selbst dann durch das Gesetz gerechtfertigt wurde, wenn sie Mike Hammer hießen und in blinder, selbstgerechter Wut jene austilgten, die sich ‚schuldig‘ gemacht hatten. Gauner traf es dagegen traditionell auf den letzten Seiten (Buch) bzw. in den letzten Minuten (Film/Fernsehen), um Lesern bzw. Zuschauern eindrucksvoll vor Augen zu führen, dass sich Verbrechen nicht auszahlt.

Dass die Realität nicht gerade selten anders aussah, ließ sich auf Dauer nicht unterdrücken, obwohl das politische = konservative Establishment – für das in den USA ein halbes Jahrhundert FBI-Chef J. Edgar Hoover stand – die Illusion gern gewahrt hätte, war doch die Tatsache, dass sich das organisierte Verbrechen dauerhaft im System festgesetzt hatte, alles andere als ein Beleg für ordnungsgemäße Regierungsarbeit.

Die Erkenntnis, dass eine ‚berufsmäßige‘ kriminelle Szene existierte, schlug sich auch in der (Trivial-) Kultur nieder. Heutzutage wimmelt es im Thriller von Übeltätern, die ebenso grausam wie genial ihren Verfolgern Schnippchen schlagen. Parker konnte sich auch im 21. Jahrhundert behaupten, wie Autor „Richard Stark“ bewies, der seine Serie 1997 neu aufleben ließ und bis 2008 fortsetzte. Die inzwischen genretypischen, oft absurden Gewaltorgien, in denen Parkers Epigonen schwelgen, hatten jedoch in Vergessenheit geraten lassen, wie neu und ungewöhnlich das Konzept des nüchternen, ‚moralfreien‘ Verbrechers ursprünglich war.

Soziopath mit strikter ‚Moral‘

Die Story ist simpel, weshalb der Verfasser sie mit diversen Zeitsprüngen ein wenig verzwirbelt. Parker wurde gelinkt und will sich rächen. In diesem Punkt ist er so unerbittlich, dass selbst das scheinbar allgegenwärtige, allmächtige Syndikat überfordert ist: Da der verräterische Gangster Resnick sich mit seinem Anteil ins „Syndikat“ eingekauft hat, ist aus Parkers Sicht nunmehr dieses dafür zuständig, ihn zu entschädigen.

Schon diese fragwürdige Hartnäckigkeit verrät, dass Parker kein ‚normaler‘ Zeitgenosse ist. Tatsächlich fragt er sich selbst, wieso er sich – zumal für eine vergleichsweise belanglose Geldsumme – mit dem „Syndikat“ anlegt, kommt aber zu keiner zufriedenstellenden Antwort. Stattdessen nimmt Parker die Dinge weiterhin, wie sie kommen. Er lebt in der Gegenwart, hat keine Vergangenheit (sowie keinen Vornamen) und ist bis auf seinen Drang zur Vergeltung keiner tieferen Gefühle fähig. Parker ist ein Profi, was in seinem Fall bedeutet, dass er Furcht oder Schwäche nicht kennt, sondern sie verachtet – dies auch deshalb, weil er immer wieder an Komplizen gerät, denen die Nerven durchgehen oder die einen Coup auf andere Art versauen.

Dass etwas schiefgeht, kann Parker nicht erschüttern; es gehört zum Job-Risiko. Ein Nerv wird getroffen, wenn jemand gegen Vereinbarungen verstößt, an die Parker sich gehalten hat. Für den Betreffenden bedeutet dies das Todesurteil. Diese ‚Moral‘ hat Parker bis zum Ende seiner 24-bändigen Laufbahn durchgehalten. In diesem ersten Band schließt sein Zorn selbst die Ehefrau ein, die ihn aus Schwäche und Angst verraten hat. Parker lässt dies als Argument nicht zu. So wird Lynn – obwohl sie sich selbst umbringt – zum ersten Opfer eines Vergeltungsfeldzugs, den Parker kompromisslos durchzieht.

Noch läuft nicht alles rund

Parker ist in „The Hunter“ nicht nur ein rauer, sondern ein roher Charakter, den Stark in späteren Bänden ein wenig abschleift. Hier passt einiges noch nicht zusammen. So ist Parker ganz sicher kein Kandidat für eine Ehe, weshalb Lynn als Figur weniger tragisch als überflüssig wirkt. Dass sie Selbstmord begeht, bevor ihr Parker – vielleicht – das Lebenslicht ausbläst, ist eine fadenscheinige Wendung.

Erst recht irritierend wirkt Parkers Rachedrang, wenn man sich vor Augen führt, dass nicht Mal Resnick der eigentliche Betrüger ist: Parker will Resnick killen und seinen Anteil einsacken. Das Opfer ist schneller als der Täter, Parker der eigentliche Verräter. Dieser Gedanke kommt ihm niemals, obwohl Parker mehrfach über sich und sein Tun nachgrübelt. So entsteht ein Dilemma, das Stark in späteren Bänden zu vermeiden weiß, in denen sich Parker an die Regeln hält, gegen die nur lumpige Mit-Strolche verstoßen, die daher verdienen, dass Parker über sie kommt!

Ebenfalls auffällig ist der enorme Body Count. Geschildert wird u. a. der Überfall auf Drogenhändler, die von Parker und seinen Kumpanen einfach über den Haufen geschossen werden: 15 Tote bleiben zurück – ein Overkill, der Parkers Hang zum möglichst aufsehenfreien Überfall konterkariert. Nichtsdestotrotz kann die wunderbar lakonische, schlanke und zügige Handlung auch heute fesseln. Starks Darstellung des „Syndikats“ karikiert die Mafia als Spiegelbild eines modernen Konzerns. Die Polizei spielt nur eine Nebenrolle. Parker versteht es, unter ihrem Radar zu fliegen. Erst im Finale verlässt ihn das Glück des Tüchtigen – ein gelungener Schluss, den Stark oft variierte: Die Jagd – nach dem Geld oder nach ‚Verrätern‘ – ist Parkers Leben, während ihn die Beute nicht wirklich interessiert.

Es wäre schön, weitere Parker-Romane neu übersetzt und ungekürzt lesen zu können. Doch während die Bände 17 bis 24 sämtlich erschienen sind, scheint die Leserschaft für die frühen Parker-Abenteuer leider nicht groß genug zu sein.

„The Hunter“ im Kino

Unter der Regie von John Boorman („Zardoz“, „Excalibur“, „Hope and Glory“) entstand nach Starks Roman 1967 der Spielfilm „Point Blank“. Die Namen der Figuren wurden geändert. So hieß Parker nun „Walker“, aus Mal Resnick wurde „Mal Reese“; auch die Story unterschied sich von der Vorlage. Für die Titelrolle wählte Boorman Lee Marvin (1924-1987), der beinahe zu perfekt als erbarmungsloser, aber dennoch nicht unmenschlicher Rächer war.

„Point Blank“ wurde ein Klassiker des Film-Thrillers und damit zum Kandidaten für eine Neuverfilmung. 1999 war es soweit: In „Payback – Zahltag“ verlieh Mel Gibson (als „Porter“) dem Titel-Antihelden ebenfalls eindrucksvoll Gestalt, doch ansonsten konnte der von Brian Helgeland inszenierte Film mehrheitlich weder die Kritiker noch die Zuschauer fesseln, was aber auch daran lag, dass zahlreiche Szenen neu gedreht wurden, weil das finanzierende Studio Helgelands Film für zu ‚intellektuell‘ hielt und eine kommerziellere Fassung favorisierte. 2006 konnte Helgeland ‚seinen‘ Film wiederherstellen, der als „Payback: Straight Up – The Director‘s Cut“ dem Heimkino-Markt zugänglich gemacht wurde.

Autor

„Richard Stark“ ist einer von mehreren Künstlernamen des Thriller-Profis Donald Edwin Westlake (geb. 1933 in Brooklyn, New York), der sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen zu machen begann. So hoch war sein literarischer Ausstoß, dass er unter diversen Pseudonymen veröffentlichte. 1960 erschien sein erster Roman. „The Mercenaries“ (dt. „Das Gangstersyndikat“); er ließ Westlakes Talent für harte, schnelle Thriller deutlich erkennen.

Bereits 1962 betrat Parker, ein eisenharter Berufskrimineller, die Bildfläche. „The Hunter“ (dt. „Jetzt sind wir quitt“/„Payback“) verfasste Westlake als Richard Stark. „Richard“ borgte sich der Autor vom Schauspieler Richard Widmark, „Stark“ suggeriert – völlig zu Recht – die Machart dieses Romans. Bis in die 1970er Jahre veröffentlichte „Richard Stark“ neben seinen vielen anderen Romanen – zu erwähnen ist hier vor allem seine berühmte Reihe um den erfolglosen Meisterdieb Dortmunder – immer neue Parker-Romane, bevor er die Reihe abbrach, um sie nach 23-jähriger Pause (!) 1997 wieder aufzunehmen.

Neben dem Schriftsteller Westlake gibt es auch den Drehbuchautor Westlake. Nicht nur eine ganze Reihe seiner eigenen Werke wurden inzwischen verfilmt. So inszenierte 1967 Meisterregisseur John Boorman das Parker-Debüt „The Hunter“ als „Point Blank“. Lee Marvin – der allerdings den Rollennamen „Walker“ trägt – und die fabelhafte Angie Dickinson spielen in einem Thriller, der zu den modernen Klassikern des Genres zählt. Westlake selbst adaptierte für Hollywood Geschichten anderer Autoren. Für sein Drehbuch zu „The Grifters“ (nach Jim Thompson) wurde er für den Oscar nominiert.

Nach einer fünf Jahrzehnte währenden, höchst produktiven und erfolgreichen Schriftsteller-Karriere dachte Westlake keineswegs an den Ruhestand. Auf einer Ferienreise traf ihn am Silvestertag des Jahres 2008 ein tödlicher Herzschlag. An sein Leben und Werk erinnert diese Website , die in Form und Inhalt seinen Romanen ähnelt: ohne Schnickschnack, lakonisch und witzig, dazu informativ und insgesamt unterhaltsam.

Taschenbuch: 192 Seiten
Originaltitel: The Hunter (New York : Permabooks/Doubleday 1962)
Übersetzung: Nikolaus Stingl
http://www.dtv.de

E-Book: 422 KB
ISBN-13: 978-3-552-05725-8
http://www.hanser-literaturverlage.de/verlage/zsolnay-deuticke

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