Jennifer Roberson – Dämonenkind (Cheysuli 1)

„Dämonenkind“ ist der erste Band einer Neuveröffentlichung des Cheysuli-Zyklus von Jennifer Roberson. Er enthält die ersten beiden Bände, die ursprünglich unter den Titeln „Wolfsmagie“ und „Das Lied von Homana“ veröffentlicht wurden. Die jeweiligen Bände wurden in dieser Fassung mit Teil 1 und Teil 2 bezeichnet.

Teil 1 erzählt vorwiegend von Alix: Alix ist frisch verliebt. Aber das hat sie ihrem Schwarm natürlich nicht verraten. Immerhin ist sie nur die Tochter eines Kleinpächters, und er ist ein Prinz und Thronerbe von Homana. Und bevor sich die unschuldige Schwärmerei zu etwas Ernsthaftem entwickeln kann, überstürzen sich die Ereignisse: Alix wird mitsamt ihrem Schwarm gekidnappt. Von Kriegern der Cheysuli. Und Alix muss nur zu bald erkennen, dass sie selbst nicht das ist, wofür sie sich immer hielt! Plötzlich ist sie ein wichtiges Glied in einer uralten Prophezeiung. Und sie muss sich entscheiden, zwischen zwei Welten … und zwischen zwei Männern.

Teil 2 ist in der Ich-Form und aus der Sicht des Prinzen geschrieben: Carillon hat fünf Jahre im Exil zugebracht und kehrt jetzt zurück, um seinen Thron von Bellam von Solinde zurückzufordern. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch schwierig. Denn ohne die Cheysuli ist das Unternehmen von Vornherein zum Scheitern verurteilt, und Bellam hat dafür gesorgt, dass die Cheysuli noch immer verfolgt werden, selbst bis hinein ins Nachbarland Ellas. Dort treffen Carillon und Finn auf Lachlan, einen Barden und Priester des ellasischen Gottes Lodhi. Und obwohl sie keinen Grund dafür feststellen können, scheint der Barde ihre Sache unterstützen zu wollen. Wenn sie ihm nur trauen könnten …

Die Beschreibung des ersten Teils mag ein wenig kitschig klingen, aber das täuscht. Keiner der beiden Teile ist zu irgendeiner Zeit romantisch verklärt oder sonst irgendwie schmalzgefährdet.

Das ist zum einen Jennifer Robersons gelungener Charakterzeichnung zu verdanken:

Alix ist eine junge Frau, die sich vor allen Dingen durch Sturheit auszeichnet. Obwohl sie bei weitem nicht alle Vorurteile ihrer Mitmenschen gegen die Cheysuli teilt, tut sie sich äußerst schwer damit, deren Kultur zu akzeptieren. Und selbst nachdem sie gelernt hat, mit der Fremdartigkeit der anderen Rasse zurecht zu kommen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie bereit wäre, sich Vorschriften machen zu lassen. Alix trifft ihre eigenen Entscheidungen, Prophezeiung hin oder her.

Carillon, der Prinz von Homana, hat noch größere Probleme mit den Cheysuli als Alix. Immerhin war es sein Onkel, der die Verfolgung der uralten Rasse angeordnet hat, weil die Cheysuli seine Familie verhext hätten. Es benötigt einen verlorenen Krieg gegen den Erzfeind Solinde und fünf Jahre Exil in Begleitung des Cheysuli-Kriegers Finn, um Carillon davon zu überzeugen, dass die fremdartigen Krieger keine Bedrohung für sein eigenes Volk darstellen, sondern den wertvollsten Verbündeten im Kampf gegen Solinde.

Finn seinerseits hat sich nicht leicht getan, mit Carillon zu gehen. Allein der unbedingte Glaube an die Prophezeiung und an sein Tahlmorra, seine persönliche Bestimmung, haben ihn dazu bewogen, den Blutschwur als Carillons persönlichen Verbündeten zu leisten. Das hat den stolzen Krieger einiges gekostet, und das nicht nur, weil er Carillon als Rivale empfindet. Der verschlossene und wortkarge Mann trägt einen tief verwurzelten Hass gegen die homanische Herrscherdynastie mit sich herum.

Duncan, Stammesführer der Cheysuli und Finns Halbbruder, teilt diesen Hass nicht, ist aber entschlossen, die Reste seines Volkes vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren. Der ernsthafte und ruhige Mann hat sein Leben ganz der Prophezeiung gewidmet, noch weit mehr, als es für die Rasse der Cheysuli ohnehin üblich ist, und das, obwohl er weiß, was es ihn kosten wird.

Denn der wahre Feind Homanas ist nicht der König von Solinde, sondern Tynstar, ein stets lächelnder, aber zutiefst grausamer und skrupelloser Mann, der selten direkt ins Geschehen eingreift und es stattdessen vorzieht, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und andere zu benutzen. Wie den König von Solinde … Denn Tynstar ist ein Ihlini, ein Magier, dessen Kräfte denen der Cheysuli ebenbürtig sind.

Ob Tynstar noch irgendetwas anderes antreibt außer der pure Wille zur Macht, ist bisher nicht ganz klar. Im Übrigen aber sind die Charaktere alle sehr glaubhaft und lebendig geraten. Das gilt vor allem für den inneren Kampf, den Alix mit sich ausfechten muss, als es darum geht, ob sie bei den Cheysuli bleibt oder zu den Homanern zurückkehrt, oder für Carillons immer wiederkehrende Ängste, die er jedesmal neu überwinden muss. So bleiben die Protagonisten stets menschlich und nah am Leser.

In ihrem Weltentwurf hat die Autorin bisher erfolgreich das Schema des gemäß der Prophezeiung einzig möglichen Retters vermieden. Ihre Prophezeiung ist als Entwicklung über Generationen angelegt und bezieht deshalb viele verschiedene Menschen und Ereignisse in ihre Vorhersage ein. Es gibt auch keinen Seher, der im Rahmen einer Vision die Prophezeiung empfangen hätte. Stattdessen ist letztere ein Vermächtnis der Götter, das dem gesamten Volk der Cheysuli übergeben wurde. Im Grunde besteht sie nur aus einem einzigen, vagen Satz. Die Details ergeben sich durch das persönliche Tahlmorra jedes Einzelnen im Stamm der Cheysuli. Jeder von ihnen spürt seine Bestimmung und auch eine Ahnung der persönlichen Folgen – wie Duncan -, und dieser Bestimmung folgen sie. Denn sollte sich jemand seinem Tahlmorra verweigern, könnte das die Prophezeiung gefährden, und das würde den Untergang der Cheysuli bedeuten.

Interessant fand ich auch den Entwurf der Magie, über welche die Cheysuli verfügen. Die Cheysuli sind ein Naturvolk, das einst zwar auch Städte gebaut hat, aber stets mit der Natur und ihren Geschöpfen verbunden war. Denn jeder Krieger hat einen Lir, einen Seelengefährten in Tiergestalt, aber mit einem eigenen Geist und eigenem Wissen, das gelegentlich selbst das der Cheysuli übersteigt. Solange ein Krieger sich nicht zu weit von seinem Lir entfernt, kann er dessen Gestalt annehmen, wenn er seinen Lir jedoch verliert, ist er selbst nicht mehr lebensfähig. Auch die Heilmagie der Cheysuli, mit der sie schwere Verletzungen heilen, stammt aus der Natur, sie wird als Erdmagie bezeichnet.

Die Magie der Ihlini dagegen scheint auf Feuer und Runen zu beruhen. Das Werkzeug, das ein Ihlini verwendet, um einen Cheysulikrieger zu erdrosseln, wird als feuriger Draht beschrieben, und Tynstar selbst kann offenbar mithilfe von purpurnen Flammen einfach irgendwohin verschwinden. Ansonsten scheinen die Fähigkeiten von Ihlini und Cheysuli auf Gegensätzen zu beruhen. So können Ihlini Heilungen rückgängig machen und offenbar auch den Alterungsprozess von Lebewesen beeinflussen. Sowohl Cheysuli als auch Ihlini können den Geist der Menschen beeinflussen, wobei die Cheysuli dies nur im alleräußersten Notfall tun, während Tynstar diesbezüglich weit weniger Skrupel hat. Vor allem aber sind alle diese Gaben Geschenke der Götter. Allerdings verschiedener Götter. Und damit zeichnet sich auch hier wieder ein wenig das Schema des ewigen Stellvertreterkampfes ab: Die Götter lassen ihre eigenen Streitereien von ihrer Schöpfung austragen.

Nun, immerhin kommt der ewige Kampf zwischen Gut und Böse in einem gelungenen und farbenprächtigen Gewand daher, das durchaus zu fesseln weiß. Obwohl die Autorin zu keiner Zeit in blutigen Metzeleien versinkt, sondern im Gegenteil jegliche Schlachtenbeschreibung einfach ausgelassen hat, kann die Erzählung ihren Spannungsbogen ohne Unterbrechung halten. Jennifer Roberson hat sich mehr auf das Zwischenmenschliche verlassen, das durchaus einige hochinteressante, dafür unblutige Schlachten aufzuweisen hat, und auch ansonsten einige unerwartete Wendungen und Überraschungen eingebaut, die dafür sorgen, dass es niemals langweilig wird.

Einziger gravierender Schnitzer: Tynstars Festung liegt in den nördlichen Einöden, gleichzeitig aber in Solinde. Wenn das stimmt, dann hat jemand die Karte falsch gezeichnet, denn da liegt Solinde südlich von Homana. Das allein kann es aber auch nicht gewesen sein, denn Carillons Exil Caledon liegt südöstlich von Homana, und das funktioniert wiederum nur, wenn Homana im Norden liegt. Irgendwo ist da ein Wurm reingeraten. Das führte zwar zu einem kurzen Stirnrunzeln, hat der Geschichte als solcher aber keinen Abbruch getan.

Angenehm fand ich auch das Lektorat sowie die Tatsache, dass Heyne bei dieser überarbeiteten Neuveröffentlichung des Zyklus jeweils zwei Bände zusammengefasst hat. Das kommt dem Lesefluss und dem Zusammenhang sehr zugute. Wenn jetzt der Veröffentlichungszeitraum zwischen den Doppelbänden noch ein wenig kürzer wäre als ein halbes Jahr, wäre das eine zusätzliche Verbesserung, welche die Leser sehr begrüßen würden. Allzu schwer dürfte das ja nicht sein, da der Zyklus bereits beim ersten Mal von Heyne veröffentlicht wurde.

Jennifer Roberson studierte englische Geschichte und war zunächst als Journalistin tätig, ehe sie Bücher zu schreiben begann. Der Cheysuli-Zyklus war ihr erstes Werk, seither hat sie eine ganze Reihe von Zyklen, Einzelromanen und Kurzgeschichten geschrieben, darunter die Schwerttänzer-Saga sowie die Historienromane „Lady of the Forest“ („Herrin der Wälder“, dt. 1996) und „Lady of Sherwood“ („Die Herrin von Sherwood“, dt. 2002). Die Autorin lebt mit einem Rudel Hunde und Katzen in Flagstaff/Arizona.

Taschenbuch: 736 Seiten
Originaltitel: Shapechangers (Wolfsmagie) / The Song of Homana (Das Lied von Homana)
Übersetzt von Karin König
www.cheysuli.com
www.heyne.de