Robert A. Heinlein – Podkayne of Mars: Her Life and Times / Bürgerin des Mars


Tragisch: eine Heldin des Mars?

Podkayne, ganze 15 Erdjahre jung, ist auf dem republikanischen Mars aufgewachsen, doch ihr sehnlichster Wunsch ist es, der Kapitän eines Erkundungsschiffes zu werden. Zusammen mit ihrem Onkel, Senator Tom, und ihrem unausstehlichen jüngeren Bruder Clark unternimmt sie eine Reise zur Erde, um sich dort für die entsprechende Laufbahn zu bewerben. Doch schon diese Reise verläuft völlig anders als erwartet.

Der Autor

Robert A. Heinlein (1907-1988) wird in den USA vielfach als Autorenlegende dargestellt, sozusagen der „Vater der modernen Science Fiction“. Allerdings begann er bereits 1941, die ersten Stories im Science Fiction-Umfeld zu veröffentlichen. Wie modern kann er also sein?

Wie auch immer: Heinleins beste Werke entstanden zwischen 1949 und 1959, als er für den Scribner-Verlag (bei dem auch Stephen King veröffentlicht) eine ganze Reihe von Jugendromanen veröffentlichte, die wirklich lesbar, unterhaltsam und spannend sind. Am vergnüglichsten ist dabei „The Star Beast / Die Sternenbestie“ (1954). Auch diese Romane wurden vielfach zensiert und von Scribner gekürzt, so etwa „Red Planet: A Colonial Boy on Mars“ (1949/1989).

Allerdings drang immer mehr Gedankengut des Kalten Krieges in seine Themen ein. Dies gipfelte meiner Ansicht nach in dem militärischen Roman „Starship Troopers“ von 1959. Im Gegensatz zum Film handelt es sich bei Heinleins Roman keineswegs um einen Actionknaller, sondern um eine ziemlich trockene Angelegenheit. Heinlein verbreitete hier erstmals ungehindert seine militaristischen und antidemokratischen Ansichten, die sich keineswegs mit der der jeweiligen Regierung decken müssen.

Mit dem dicken Roman „Stranger in a strange land“ (1961/1990), der einfach nur die Mowgli-Story auf mystisch-fantastische Weise verarbeitet, errang Heinlein endlich auch an den Unis seines Landes Kultstatus, nicht nur wegen der Sexszenen, sondern weil hier mit Jubal Harshaw ein Alter Ego des Autors auftritt, der als Vaterfigur intelligent und kühn klingende Sprüche von sich gibt. Als eloquenter Klugscheißer tritt Heinlein noch mehrmals in seinen Büchern auf. „Stranger“ soll Charles Manson zu seinen Morden 1967 im Haus von Sharon Tate motiviert haben. Sharon Tate war die Gattin von Regisseur Roman Polanski und zu diesem Zeitpunkt schwanger.

Schon die nachfolgenden Romane sind nicht mehr so dolle, so etwa das völlig überbezahlte „The Number of the Beast“ (1980). Einzige Ausnahmen sind „The moon is a harsh mistress“ (1966, HUGO), in dem der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg auf dem Mond stattfindet, und „Friday“ (1982), in dem eine weibliche und nicht ganz menschliche Agentin ihre Weisheiten vertreibt.

Größtes Lob hat sich Heinlein mit seiner Future History (1967) verdient, die er seit den Vierzigern in Form von Stories, Novellen und Romanen („Methuselah’s Children“, ab 1941) schrieb. Dieses Modell wurde vielfach kopiert, so etwa von seinem Konkurrenten Isaac Asimov.

Handlung

Podkayne Fries (reimt sich auf „breeze“), von ihren Freunden „Poddy“ genannt, ist nach Erdenjahren gerechnet schon 15 Jahren alt, aber auf dem Mars gehen die Uhren anders. Hier ist sie gerade mal acht Jahre und ein paar Monate alt. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, einmal ein Erkundungsschiff zu kommandieren und zu fremden Welten zu fliegen. Doch ihre Mutter, eine sehr vernünftige Weltraum-Ingenieurin, und ihr Vater, ein Mars-Archäologe, haben dafür wenig Verständnis. Und ihr stets zu fiesen Streichen aufgelegter Bruder Clark sowieso nicht.

Onkel Tom

Als durch ein Versehen Mutters drei eingefrorene Babys auf einen Schlag aufgetaut und ausgetragen werden, wird das Zuhause unerträglich laut. Poddy wendet sich an ihren betagten Onkel Tom, der immerhin zur Pioniergeneration gezählt wird und als Senator einiges zu sagen hat. Mit Onkel Tom gehen Podkayne und Clark zu der Firma, die das Versehen verursacht hat, und nötigen deren Chef, ihnen Erster-Klasse-Tickets zur Erde zu bezahlen. Plus Spesen, versteht sich. Sonst könnte es sein, dass die Presse von diesem bedauerlichen Vorfall erfährt.

Aufbruch

Das Raumschiff zur Erde ist ein Luxusklasse-Liner: die „Tricorn“, zu deutsch „Dreispitz“ (so heißt weder ein Tier noch eine Waffe, sondern ein Hut, okay?). Dementsprechend streng sind die Vorschriften beim Betreten und entsprechend hochnäsig die älteren Passagiere. Bei der Sicherheitsprüfung des Gepäcks gibt es einen rätselhaften Vorfall, der Poddy Kopfzerbrechen bereitet. Könnte es sein, dass ihr Unheil planender Bruder drei Kilo Rauschgift geschmuggelt hat? Aber wie sie soll ihm das gelungen sein, fragt sich Poddy, und kommt nicht dahinter.

Auf der Venus

Nach diversen Abenteuern an Bord des Luxusliners wie etwa einem Aufsuchen des Strahlenschutzbunkers landet die kleine Gruppe auf der Venus für einen Zwischenstopp. Doch die Venus gehört einem Privatunternehmen der freien Wirtschaft. Hier läuft alles anders als in der Republik Mars. Immerhin bekommen Poddy und ihre Begleiter ein nobles Zimmer in einem der Hiltons der Hauptstadt Venusberg. Ist es wirklich Zufall, dass ausgerechnet jetzt eine internationale Konferenz auf dem Mond stattfindet, an der Senator Tom teilnehmen möchte?

Verborgene Verbrechen

Nach einer romantischen Zeit mit dem Sohn des wichtigsten Großaktionärs beginnt der Aufenthalt selbst für ein so heiter gestimmtes Mädchen wie Poddy ungemütlich zu werden. Erst verschwindet ihr Bruder Clark, dann ist auch ihre Freundin Girdie unauffindbar, und zu guter Letzt verbannt ihr Onkel Tom sie auf ihr Zimmer. Dass dies ein unerträglicher Zustand für Poddy ist, versteht sich von selbst. Als sie schließlich ausbüchst, erfährt sie endlich die finstere Wahrheit hinter diesen mysteriösen Geschehnissen – und muss plötzlich um ihr Leben fürchten…

Mein Eindruck

Mit diesem Roman kehrte Heinlein 1963 ein letztes Mal zu seiner erfolgreichen Serie von SF-Romanen für junge Erwachsene zurück. Allerdings musste er auf Wunsch des Verlegers den Schluss umschreiben, so dass Poddy nicht stirbt, sondern verletzt überlebt. Die vorliegende Ausgabe macht es sich deshalb zur Aufgabe, beide Versionen zur Diskussion zu stellen, indem sie beide letzte Abschnitte abdruckt, inklusive sichtbarer Streichungen und Ergänzungen. Das lässt der Verleger Baen aber nicht so stehen, sondern hat seine Leser darüber diskutieren und abstimmen lassen, welches der „bessere“ Schluss sein sollte.

Ich selbst bin ganz der Meinung des Autors, dass Poddy sterben muss. Denn sonst wäre die Kette von Ereignissen, über die sie in ihrem Tagebuch berichtet, nur eben dies: ein paar läppische Abenteuer, die keine Konsequenz haben außer der, dass sie ein wenig in die Bredouille gerät, die aber ihren Bruder, diesen Soziopathen, unbeschadet davonkommen lassen.

Wenn sie hingegen wie ursprünglich vorgesehen, stirbt, dann ergibt sich eine tragische Verkettung von Poddys Fehlinterpretationen und Selbsttäuschungen. Außerdem erscheint ihr soziopathischer Bruder, der über keine Sensibilität für sie verfügt, sondern stets auf LOGIK pocht, als genau der fahrlässige Mörder, der er in unseren Augen schon von Anfang an ist.

Zuerst scheint er nur Rauschgift zu schmuggeln, dann behauptet er, er habe eine Bombe für eine fremde Organisation an Bord der „Tricorn“. Da er lügt wie gedruckt, wie kann sie ihm trauen? Und doch folgt sie seinen Anweisungen aufs Wort und fliegt ihm nach – ins Verhängnis. Dummerweise hat er tatsächlich eine Bombe: eine miniaturisierte Atombombe.

Aussage

Die Frage stellt sich, ob auch Onkel Tom eine Mitschuld an Poddys Tod hat. In einem Telefongespräch mit Poddys Vater gibt er sich tatsächlich die Schuld, die eigentlich Clark teilen sollte. Doch darauf lässt es der Senator nicht beruhen, sondern gibt explizit Poddys gefühlskalter Mutter, der Ingenieurin, die Schuld daran, sich nicht um ihre Kinder gekümmert zu haben. Die stets gefühlsbetont agierende Poddy wurde auf Geheiß ihres Vaters in nutzlosen Fertigkeiten geschult, und Clark wuchs als zynischer Fanatiker der Logik auf, genau wie seine Mutter. Beide Orientierungen erweisen sich als verhängnisvoll. Daher ist die Aussage des Romans klar: Eltern sollten sich ordentlich um ihre Kinder kümmern oder man sollte ihnen verbieten, überhaupt welche zu bekommen.

Zwiespältig

Der Verlauf der Handlung ist kurios, um das Mindeste zu sagen, und das macht es dem erwachsenen Leser nicht leicht, das Buch auf einen Sitz zu verschlingen. Poddy ist eine wirklich liebenswerte junge Frau, und man kann sie sehr leicht zur Freundin gewinnen. Es mag dem einen oder anderen Logikfan scheinen, dass sie etwas zuviel quasselt, aber für einen Leser, der sich in ihre Lage versetzen kann, sind ihre Beobachtungen und Meinungen unerlässlich für das Verständnis ihrer Geschichte.

Die Story zielt zunächst darauf ab, die Heldin vom Mars zur Erde zu schaffen. Dazu muss Poddy erst einmal an Bord eines ordentlichen Raumschiffes geschafft werden und so weiter und so fort. Der schwierige Teil hinsichtlich des Unterhaltungswertes ist eigentlich die Reise an Bord des Luxusliners. (Wo sich der Autor offenbar bestens auskennt, hat er doch selbst solche Reisen an Bord von Transatlantikdampfern unternommen. Und was Schiffe und Navigation angeht, kann man dem ehemaligen Marineoffizier Heinlein sicher nichts vormachen.)

Was kann den schon Schlimmes an Bord eines solchen Dampfers wie der „Tricorn“ passieren, fragt man sich und fängt schon mal an, ungeduldig mit den Fingern zu trommeln. Wie sich herausstellt, lernen wir ein par zwielichtige alte Damen kennen, von Clarks Aktivitäten ganz zu schweigen. Der Aufenthalt im Strahlenbunker – keine Übung! – erweist sich als durchaus stressig und erinnert an den 2. Weltkrieg. Poddy darf sich als Kinderschwester betätigen und würde jeder paramilitärischen weiblichen Offizierin im 2. Weltkrieg zur Ehre gereichen.

Gleichberechtigung?

Ihre Bemerkung, dass Babys viel mehr Spaß machen als Differentialgleichungen, wurde x-mal von Kritikern zitiert, um zu belegen, dass Heinlein kein Anhänger der Gleichberechtigung von Frauen sei. Das Gegenteil scheint mir zutreffender zu sein. Wenn Poddy wirklich dürfte, wie sie wollte, dann könnte sie in die Führungsmannschaft eines Luxusliners wie der „Tricorn“ aufgenommen werden. Sie befragt den Kapitän und Ersten Offizier nach Astrogation, Strahlenschutz und Telekommunikation. Solche Fragen würde man von der älteren Frauengeneration, die an Bord ist, auf keinen Fall erwarten. Würde man sie eines Tages zur Kapitänin machen, dann wäre sie wirklich gleichberechtigt.

Was mich ebenfalls etwas erstaunt hat, ist die Tatsache, dass Poddy eigentlich eine Reise zur Erde unternimmt – aber nie dort ankommt. Sie schafft es ja nicht einmal zum Mond. Das Versprechen des Fluges wird nicht eingelöst, und das trägt ebenfalls zur tragischen Dimension des ursprünglichen Schlusses bei. In der geänderten Fassung überlebt sie und fliegt zum Mond weiter, wie geplant. Doch wo ist dann die Fortsetzung? Sie wurde nie geschrieben. Daher erscheint der Roman, der gerade mal 200 Seiten umfasst, manchem Leser wie ein Fragment. Andererseits: Was könnte der Heldin Schlimmeres widerfahren, als auf der Venus fast getötet zu werden? Die Steigerungsmöglichkeiten sind sehr begrenzt, um es vorsichtig auszudrücken.

Dass sich der Autor der Diskrepanz zwischen seiner eigenen Denke und den Limitationen des Jugendbuchmarktes sehr wohl bewusst war, wird an vielen Stellen deutlich. Sex beispielsweise ist immer wieder ein Thema, aber nur für denjenigen Leser sichtbar, der danach Ausschau hält. So stößt Poddy auf der Venus auf einen Eingeborenen, den sie Pinhead – Nadelhopf – nennt. Und er ist unübersehbar männlichen Geschlechts. Als man droht, sie in den Käfig dieses Wesens zu stecken, wenn es auf Droge ist, bekommt Poddy so große Angst, dass sie das Bewusstsein verliert. Vergewaltigt zu werden, ist in der Tat keine Interaktion, auf die sich Jungfrauen wie Poddy freuen würden.

Zensiert

Auch Clark segelt hart an den Grenzen des Jugendbuchkodex entlang. Auf Seite 176 macht sich der Autor deshalb den Spaß, Clark auf zensierte Weise fluchen zu lassen: „I delete all over censored!“ Eigentlich sollten die Wörter „delete“ (löschen) und „Censored“ (zensiert) irgendwie hervorgehoben werden, aber der Spaß liegt ja darin, dass sie es nicht sind und folglich einen völlig absurden Satz produzieren. Hier hat der Autor seinen Maulkorbschwingern einen Streich gespielt, scheint mir. Vielleicht als Ausgleich für den Schluss, den er auf ihr Geheiß umschreiben musste. Auch in sprachlicher Hinsicht gibt der Roman also eine Menge an anregender Unterhaltung her, zumindest in der Originalfassung.

Die deutsche Fassung erschien 1964 unter dem Titel „Bürgerin des Mars“ bei Goldmann. Selbstredend enthält sie den vom Verleger vorgeschriebenen, positiven Schluss, bei dem Poddy überlebt.

Unterm Strich

„Eltern, die sich nicht richtig um ihre Kinder kümmern, sollte man bestrafen und die Kinderaufzucht verbieten“, ist die anklagende Grundaussage dieses letzten Jugendbuches, das Heinlein geschrieben hat. Wie viele seiner Romane, besonders der späteren, kann man darüber trefflich diskutieren. Das ist der Grund, warum er heute noch relevant erscheint, im Unterschied zu etlichen anderen Autoren, die heute vergessen sind, weil sie nur gut unterhalten wollten. Wer kennt heute noch E.C. Tubb, H. Beam Piper oder Edmund Cooper? Nur noch die eingefleischten Sammler und Fans. Ich selbst habe kein einziges Buch dieser drei Autoren gelesen, denn sie erscheinen mir schon 1980 als unwichtig.

Ich habe Poddys Tagebuchnotizen (sie benutzt ein miniaturisiertes Diktafon) mit Spaß gelesen, aber auch mit Frust. Die Handlung scheint nirgendwo hinzuführen. Es ist zwar ganz nett, alle Voraussagen des Autors mitzuverfolgen und abzuchecken, welche eingetroffen sind und welche nicht (Venus ist immer noch unbesiedelt und keiner hat humanoide Bewohner gesichtet). Aber das ist es wohl nicht, was einen SF-Roman ausmacht, der mich unterhalten kann. Auch Poddys Abenteuer sind nur begrenzt unterhaltsam, und ich fragte mich häufig, ob nicht Heinleins Frau Ginny viele Passagen verfasst hat, so etwa die Szene mit dem Wickeln der Babys an Bord der „Tricorn“.

Erst die letzten 40 Seiten machen die ganze Sache rund, und das Buch wird zu einem Thriller, der tragisch bzw. beinahe tödlich endet – je nach bevorzugtem Schluss. Aber diese letzten Seiten sind auf jeden Fall das Weiterlesen nach der etwas trockenen Mitte wert. Man sollte das Buch neu übersetzen.

Taschenbuch: 282 Seiten
Originaltitel: Podkayne of Mars. Her Life and Times
ISBN-13: 9780671876715

www.baen.com

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