Robert B. Parker & Coleman – Debt to Pay (Jesse Stone 15)

Jesse Stone und die Rückkehr des Killers

Jesse Stone, der Polizeichef von Paradise, Massachusetts, wird von der Nachricht überrascht, dass Gino Fish, ein Bostoner Unterweltboss, Selbstmord begangen habe und dessen Sekretär erstochen worden sei. Stone erkennt die Handschrift von Mr. Peepers, einem psychopathischen Killer, der Paradise schon einmal heimgesucht hat. Es gibt erste Anzeichen, dass Mr. Peepers in Paradise bereits sein Unwesen treibt. Als Vinnie Morris. Fishs ehemaliger Mann fürs Grobe, von Stone eine Schuld einfordert, muss Stone erkennen, dass er sich bereits im Visier des Killers befindet und besser etwas deswegen unternimmt…

Der Autor Robert B. Parker

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 50 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur, der 1971 über die Schwarze Serie promovierte, lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Der Autor Reed Farrel Coleman

Der US-Autor Coleman hat bereits 18 Romane und zwei Novellen veröffentlicht, ist also ein alter Hase. Er ist vor allem für seine Moe-Prager-Krimis bekannt und wurde bereits für den Edgar Award nominiert. Den Shamus Ward hat er bereits dreimal gewonnen. Er unterrichtet Schreiben an der Hofstra University und ist ein Gründungsmitglied der MWA (Mystery Writers of America) University. Er lebt mit seiner Familie auf Long Island.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997, „Das dunkle Paradies“)
2) Trouble in Paradise (1998, „Terror auf Stiles Island“)
3) Death in Paradise (2001, „Die Tote in Paradise“)
4) Stone Cold (2003, „Eiskalt“)
5) Sea Change (2006, „Tod im Hafen“)
6) High Profile (2007, „Mord im Showbiz“)
7) Stranger in Paradise (2008, „Der Killer kehrt zurück“)
8) Night and Day (2009)
9) Split Image (2010)
10) Killing the Blues (M. Brandman)
11) Fool Me Twice (M. Brandman)
12) Damned If You Do (M. Brandman)
13) Blind Spot (von Reed Farrel Coleman)
14) The Devil Wins (von Reed Farrel Coleman)
15) Debt to Pay (von Reed Farrel Coleman)
16) The Hangman’s Sonnet (von Reed Farrel Coleman)
17) Colorblind (von Reed Farrel Coleman)

Handlung

Jesse Stone, der Polizeichef von Paradise, Massachusetts, ist schwer in die FBI-Agentin Diana Evans verliebt. Das lenkt ihn etwas von der Serie von Vandalismusvorfällen in seiner Stadt ab. Etlichen Autos sind die Reifen zerschossen worden. Die Tatsache, dass ihn seine Ex Jennifer zu ihrer Hochzeit in Dallas eingeladen hat, stört ihn ebenfalls mächtig: Jesse will mit der Vergangenheit abschließen. Doch die Vergangenheit hat anderes im Sinn.

Auch sein Mitarbeiter Luther „Suit“ Simpson, der eigentlich Patrouille fahren soll, wandelt auf Freiersfüßen, denn er ist in Elena Wheatley verliebt – sie ist nur halb so groß wie der wandelnde Schwarzenegger. Suit ist erst seit wenigen Monaten von dem Bauchschuss genesen, den ihm ein Killer verpasst hat, der allgemein den Spitznamen „Mr. Peepers“ bekommen hat. (Siehe den Roman „Blind Spot“.) Nachdem Suit ihm selbst ein Kugel in die Schulter gejagt hatte.

Doch keine gute Tat bleibt unbestraft. Unheil ist im Verzug. Das erste Anzeichen des kommenden Sturms ist das gewaltsame und mysteriöse Ableben von Gino Fish, eines Bosses der Bostoner Unterwelt. Die Bostoner Mordkommission, mit der Captain Healy von der Kripo der Staatspolizei zu tun hat. bewertet Fishs Tod als Mord-Selbstmord: Zuerst habe der Homo seinen neuesten Sekretär erstochen, dann sich selbst eine Kugel durch den Kopf gejagt. Jesse, von seinem alten Kumpel Healy unterrichtet, denkt erst: „Blödsinn“.

Doch Gino Fishs ehemaliger Mitarbeiter und Knochenbrecher Vinnie Morris sagt es klar heraus: „Totaler Bullshit.“ Und er fordert von Jesse die Einlösung eines Versprechens, das er Gino Fish vor einem Jahr gegeben hatte: Jenn, seine Ex, war von Mr. Peepers entführt worden und die einzige Möglichkeit, den Standort des Killers zu erfahren, war Gino Fish gewesen. Der konnte zwar helfen, doch er – quid pro quo – verlangte er von Jesse, einen Gefallen einfordern zu dürfen. Nach Fishs Tod will Vinnie Morris, dass Jesse Fishs Tod aufklärt.

Jesse wendet sich an seine andere Freundin, die Gerichtsmedizinerin Tamara Elkin. Er übergibt ihr die Mordakte, die ihm Healy verschafft hat. Und Tamara, die Jesse viel lieber in ihrem Bett statt auf einer Totenbahre sähe, findet tatsächlich etwas Verdächtiges: Der Einstichwinkel in der Brust des Sekretärs passt nur zu einem viel kleineren und weitaus kräftigeren Mann, als es Gino Fish war. Wenig später ruft Healy nochmals an: Im nahen Salem wurden eine alte Frau, ihr Hund und ein Taxifahrer mit einer Pistole Kaliber .22 erschossen.

Jesse will diese Erkenntnis gerade mit der Bostoner Mordkommission besprechen, als seine Mitarbeiterin Molly Crane mit dem Ballistikbericht zu den beschossenen Autoreifen hereinplatzt. Da trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag: Stets wurde eine 22er verwendet. Suit wurde mit einer 22er angeschossen. Die Morde in Salem wurden mit einer 22er verübt. Jesse braucht kein Mathegenie zu sein, um 2 und 2 zusammenzuzählen: Mr. Peepers ist wieder am Werk. Doch was führt der Killer im Schilde?

Klar ist wohl nur eines: Der Killer, dessen Pläne vor einem Jahr durchkreuzt wurden, will sich an allen Beteiligten rächen. Es ist Payback-Zeit. Ganz oben auf seiner Liste, ahnt Jesse, steht sein eigener Name. Doch wie will der Killer Jesse am tiefsten treffen? Indem er wohl sein damaliges Entführungsopfer Jennifer Stone umlegt – in fünf Wochen, wenn sie in Dallas getraut werden soll. Jesse hat sein Kommen bereits abgesagt, aber wird das den Killer aufhalten? Wohl kaum.

Als Jesse Healy, Suit und Molly zu sich bittet und ihnen diese Sachlage eröffnet, reagieren sie erst mit Unglauben und Wut. Doch in Suits Augen steht die nackte Angst. Er muss sich seiner Furcht vor dem Mann stellen, der ihn angeschossen hat, als ein weiterer Brief abgegeben wird. Sofort löst Jesse eine Fahndung aus, in deren Verlauf sie den Briefzusteller finden und zu stellen versuchen.

Im verrufensten Viertel von Paradise, dem Swap (vgl. Vorgängerband „The Devil Wins“) können Jesse und Suit in ihren jeweiligen Dienstwagen den Verfolgten stellen. Allerdings passiert dies ausgerechnet vor der Tankstelle einer Taxigesellschaft. Im Laufe des Feuergefechts mit dem Verdächtigen explodiert der Benzintank der Tankstelle, und der Luftdruck fegt Jesse von den Beinen…

Mein Eindruck

Reed Farrel Coleman, selbst ein erfahrener Krimi-Autor setzt Robert B. Parkers Jesse-Stone-Reihe fort. Dies ist sein zweiter Jesse-Stone-Roman. Er schreibt in einem für die Serie neuen Erzählstil. Schluss mit dem Telegrammstil der Hardboiled-Ära nach dem Vorbild Chandlers und Hammetts, nun kommt ein sanfterer, menschenfreundlicherer Erzählstil zum Zuge.

Coleman gewährt uns tiefe Einblicke in die Psyche, Erinnerung und Vergangenheit des Serienhelden, aber auch in die Seelen anderer Figuren. Vor allem aber verleiht er diesmal Stones neuem Lebensbereich Paradise eine historische Tiefe, die bisher völlig fehlte. Stone hat nach zehn Jahren in Paradise Gelegenheit, ein Resümee zu ziehen. Sein neuer Standpunkt rückt so manchen treuen Bürger in ein völlig neues Licht, und der Effekt ist nicht immer schmeichelhaft, ja sogar entlarvend.

Diesmal muss Jesse eine weitere Konfrontation mit seiner Vergangenheit durchstehen: mit seiner Ex Jenn. Dass sich Jesse gerade mit seiner Freundin Diana Evans, Ex-FBI-Agentin, verlobt hat und nun mit ihr Jenn trifft, ist äußerst pikant. Zum Glück meistert der Autor diese heikle Situation mit viel Fingerspitzengefühl und einem selten gefundenen Einfühlungsvermögen in die Lage einer Frau. Zum Glück wird Jesse von seiner Mitarbeiterin Molly Crane darüber aufgeklärt. Sie gibt ihm Anweisungen, wie er die Begegnung am besten meistert.

Zwar gehen Jesse und Diana aus dieser kleinen Krise erfolgreich hervor, doch dafür schliddert Jenns Verlobter auf Kollisionskurs mit seiner eigenen texanischen Vergangenheit. Der lokale Sheriff findet es keineswegs amüsant, als Jesse seine Dienstwaffe zieht und dem reichsten Mann in der Stadt an den Kopf hält – er will doch nur einen beinahe tödlichen Streit schlichten und Schlimmeres verhindern. Wieder einmal darf Jesse eine Gefängniszelle von innen bewundern…

Mr Peepers spart nicht mit unschönen Überraschungen. Er erweist sich als ebenso geschickt mit dem Dolch wie mit dem Scharfschützengewehr, und mit seinen selbstgebastelten Rohrbomben hat Jesse bereits unangenehme Bekanntschaft gemacht. Die Leute, die der Killer ins Visier nimmt, bekommen keinen Schlaf mehr, sei es Jesse, Jenns Verlobter, der Sheriff oder die Frau, die Mr Peepers in Texas in seine Gewalt gebracht hat. Er will es Jesse heimzahlen, und das geht seiner Meinung nach am besten, indem er das Leben von Jesses Freunden – Molly, Luther, Diana, Jenn – zerstört.

Das weiß Jenn, doch es bringt ihn in eine verzweifelte Lage: Wie kann er seinen Freunden von der Bedrohung durch Mr. Peepers verschonen? Es gelingt bei keinem, und selbst Jenn, der man nichts sagt, riecht den Braten: Etwas Schlimmes liegt in der Luft. Es ist alles andere als angenehm, Jenn und viele andere belügen zu müssen – zu ihrem eigenen besten.

Gleichzeitig muss Jesse die Schachzüge des Killers vorwegnehmen, vorausahnen. Der Leser muss mitdenken, um die Wendungen des Falls mitzubekommen und nachzuvollziehen. Der Autor macht ihm dies zum Glück nicht schwer. Dennoch kommt die letzte Wendung völlig unerwartet. Wie ein Schlag in die Magengrube trifft das blutige Ergebnis des finalen Showdowns sowohl Jesse als auch den unvorbereiteten Leser…

Unterm Strich

Die Krimis um Polizeichef Jesse Stone sind für Krimifans in Neuengland schon zu einer Art Familienroman geworden. Stone ist ihr Mann vor Ort und seine Helfer sind wie eine Familie: Molly Crane als weiblicher Gegenpart und Luther „Suit“ Simpson wie ein Sohn für Jesse – deshalb kommt Luthers Plan einer Verlobung recht überraschend. Ihre Parallele findet die Verlobung mit Jesses eigener, die von Diana initiiert wird. Die Herzen weiblicher Leser dürften jetzt zweifellos höher schlagen. Romantische Themen wie Verlobte und Exfrauen spielen eine Dauerrolle. Sogar das blonde Opfer von Mr. Peepers könnte man mit ein wenig Phantasie in diese Kategorie einordnen.

Der neuenglische Leser, der sich an Parkers Stil in den Jesse Stone-Krimis gewöhnt hatte, muss sich seit der Weiterführung „Blind Spot“ und „The Devil Wins“ mit einer ganzen Reihe von Tabubrüchen abfinden. Der Autor Coleman, der sich schon in einem Essay mit Stone als Figur auseinandergesetzt hatte, führt hier nämlich seinen eigenen Erzählstil ein, und das aus mehreren Gründen, die zwar einleuchtend, aber nicht weniger gewöhnungsbedürftig sind.

Der Autor zeichnet seine Figuren mit historischer und psychologischer Tiefe, setzt aber zugleich nicht mehr übermenschliche Kombinationsfähigkeiten beim Leser voraus. Das läuft auf eine Erschließung breiterer Leserschichten hinaus. Die vielen Leichen sind zwar nicht gerade leicht „verdaulich“ und die Romantik kommt zu kurz, aber dafür muss man nicht lange Rätselraten, wer der Mörder ist. Der tritt schon frühzeitig selbst auf und steuert seinen eigenen Blickwinkel zu Stones Ermittlung bei. Das Perfide bei dieser Erzählmethode: Der Leser kann nicht sicher sein, wo sich der Killer gerade aufhält. Dieses Rätsel wird erst am Schluss gelöst, in einem actionreichen Showdown. Nach der Lektüre des vorliegenden dritten Bandes muss ich sagen, dass mit dem neuen Stil recht zufrieden bin.

Wendung zum Besseren

Man sieht also, dass sich im Jesse-Stone-Universum viel getan hat, und das zum Besseren. Die beiden Vorgängerbände der Serie, geschrieben von Michael Brandman waren zwar OK, aber nur so lala. Coleman liefert ein wesentlich größeres Kaliber ab, und sobald ich mich daran gewöhnt hatte, hoffte ich, dass er künftig die Serie fortführen würde. (Auch dieser Jesse-Stone-Band ist noch unübersetzt.)

Fazit: vier von fünf Sternen.

Michael Matzer © 2018ff

Taschenbuch: 372 Seiten inkl. Leseprobe
Originaltitel: Debt to Pay, 2016
ISBN-13: 9780425279069

www.penguin.com

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