Robert B. Parker – Der Killer kehrt zurück (Ein Fall für Jesse Stone 7)

Das Fremde und das Eigene: Jesse Stone und der Apache

Aufruhr in Paradise: Eine Schule für lateinamerikanische Einwandererkinder soll in einem Nobelviertel der Stadt gebaut werden. Die Anwohner fürchten eine Zunahme der Kriminalität durch Latino-Gangs. Polizei-Chef Jesse Stone hat alle Hände voll zu tun, um die erhitzten Gemüter zu beschwichtigen.

Plötzlich taucht der Killer Wilson Cromartie, genannt Crow, in Paradise auf. Vor zehn Jahren ist er Stone als einziger Gangster bei einem brutalen Überfall mit einem Haufen Geld entwischt. Was will er in Paradise? (Verlagsinfo)

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gestorben 2010, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun eigenen Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt. Parker lebte in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen fast alle seine Krimis. Die Jesse-Stone-Reihe wird von anderen Autoren fortgesetzt.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997, „Das dunkle Paradies“)
2) Trouble in Paradise (1998, „Terror auf Stiles Island“)
3) Death in Paradise (2001, „Die Tote in Paradise“)
4) Stone Cold (2003, „Eiskalt“)
5) Sea Change (2006, „Tod im Hafen“)
6) High Profile (2007, „Mord im Showbiz“)
7) Stranger in Paradise (2008, „Der Killer kehrt zurück“)
8) Night and Day (2009)
9) Split Image (2010)
10) Killing the Blues (M. Brandman)
11) Fool Me Twice (M. Brandman)
12) Damned If You Do (M. Brandman)
13) Blind Spot (von Reed Farrel Coleman)

Handlung

Mittlerweile sind zehn Jahre in Paradise vergangen, seitdem die Stadt überfallen wurde (in „Terror auf Stiles Island“). Damals nahm eine Bande von Räubern brave Bürger als Geisel und erpresste 20 Mio. Dollar Lösegeld. Chief Jesse Stone konnte das Geiseldrama beenden, doch ein Mann entkam mit der Beute: Wilson Cromartie, der Apache. Ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.

„Crow“, wie er sich nennen lässt, taucht heute wieder in Paradise auf, genauer gesagt: in Stones Polizeistation. Er bittet den Polizeichef, ihm freie Hand bei seinem Auftrag zu lassen, den er in der Stadt ausführen möchte. Natürlich sagt er nichts darüber, worum es sich handelt. Stone kann ihn nicht auf der Stelle verhaften lassen, denn die Raubtat ist inzwischen gewissermaßen verjährt. Aber Stone verspricht, ihn sofort festzunehmen, sollte sich herausstellen, dass Crow an einer Gewalttat beteiligt gewesen. Dann gilt die Verjährungsfrist nämlich nicht.

Die Spur

Während sich Stone anderen Problemen zu widmen hat, stößt Crow, der Apache, schon bald auf eine erste Spur. Der Gangster, der ihn geschickt hat, informiert ihn, dass die gesuchte Amber Francisco, die 14-jährige Tochter des Gangsters, mit Kreditkarte gezahlt hat, als sie einen neuen Fernseher kaufte. Das war in Marshport, dem schäbigen, heruntergekommenen Nachbarort von Paradise.

Dort spürt Crow die Adresse auf, an die der Fernseher geliefert wurde: die Unterkunft einer Latino-Gang, deren Anführer Esteban Carty ist. Das Mädchen – sie nennt sich jetzt Alice – ist nicht da. Kein Problem. Nachdem Crow einen der Möchtegernbanditen erschossen hat, ist die Adresse von Alice ein Kinderspiel: Sie wohnt mit ihrer Mutter Fiona in Paradise.

Der Auftrag

Der Gangster gibt ihm den Befehl, die Alte umzulegen und ihm die Kleine nach Miami zu bringen. Das ist für Crow allerdings ein Problem: Er vergreift sich aus Prinzip nicht an Frauen. Doch Alice alias Amber wird schon bald von Esteban wissen, dass sie gesucht wird. Er stellt Fiona und Amber zur Rede. Die kleine Göre gibt nach einer deftigen Ohrfeige klein bei, die Alte ist zu fett und zu betrunken, um überhaupt ein Problem zu sein. Als der Gangster ankündigt, Crow umlegen zu lassen, wenn er ihm Amber nicht bringt, wendet sich Crow an Chief Stone. Der nimmt Amber bei sich auf, betreut von Jenn und Molly Crane.

Konflikt & Potential

Es sieht ganz so aus, als würde es in Paradise einen kleinen Krieg geben. Doch wenn es Chief Stone richtig anstellt und er mit Crow zusammenarbeitet, dann könnte er gleich vier Fliegen mit einer Klappe erwischen: den Miami-Gangster, den Bandenführer Esteban, Freiheit für Amber und Crow – sowie noch ein oder zwei Kleinigkeiten, die sich im Laufe der Ermittlungen ergeben haben.

Es könnte aber auch alles in die Binsen gehen und Paradise sich in einen Trümmerhaufen verwandeln…

Mein Eindruck

Ich habe diesen exzellent geplotteten, superspannenden und doch humorvollen Krimi an nur einem Abend gelesen. Man kann ihn einfach nicht aus der Hand legen. Hiermit ist Parker nach dem etwas laschen „High Profile/Mord im Showbiz“ wieder ein Meisterwerk geglückt.

Der Apache

Ich bin dem Autor dankbar, dass er eine so eigenwillige und originelle Figur wie den Apachenkrieger Crow zurückgeholt hat, nachdem Crow in „Terror auf Stiles Island“ abgetaucht war. Crow ist in zweierlei Hinsicht besonders: Er betreibt die Gewalt nicht zum Broterwerb oder um sein Ego zu stärken, sondern zum sportlichen Zeitvertreib – es ist ein Vergnügen, es mit dem Gegner aufzunehmen und so zu beweisen, dass er, Crow, ein echter Krieger ist. Und wenn es nicht die Möglichkeit des Scheiterns gäbe, würde die ganze Sache gewiss keinen Spaß machen.

Zweitens vergreift sich Crow in keinster Weise an Frauen und Kinder. Sie sind Nichtkombattanten, die im Krieg der Männer nichts zu suchen haben. Vielmehr gehören sie aus der Schusslinie genommen, und genau das macht Crow auch mit Amber. Für deren Mutter Fiona kommt leider jede Hilfe zu spät: Esteban, der Fiona und seine Freundin Amber an den Gangster verraten hat, war schneller. Aber Crow bringt Amber bei Chief Stone unter, was diesen vor ein ganz besonderes und ungewohntes Problem stellt: ein Kind im Haus, noch dazu eine vierzehnjährige Punkgöre!

Crows positive Einstellung zu Frauen, die im Gegensatz zu der der meisten weißen Männer in Neuengland steht, äußert sich aber in noch einer aufregenden Hinsicht: Er fordert sie zum Sex auf und sie willigen ein, denn sie wollen sich eine ihrer Urphantasien erfüllen – Sex mit einem echten Kerl. Nur Sex, sonst nix, keine Verpflichtung. Es ist wahrhaft erstaunlich, welche und wie viele Frauen, die Stone kennt, auf dieses Angebot eingehen – und es nicht bereuen. Auch das gehört zur ganz speziellen Würze dieses Krimis.

Es kann der Frömmste nicht

Auf zwei Aspekte weist die Story ebenfalls hin: Paradise wird zunehmend in Mitleidenschaft gezogen, wenn in den Nachbarstädten (wie etwa Boston) Gewalt und Verbrechen zuwenig bekämpft werden. In Marshport, dem Nachbarort, treiben mehrere Latino-Gangs ihr Unwesen, und entsprechend dreckig und heruntergekommen sieht der Ort auch aus. Kein Wunder, dass sich in Paradise gewisse Bürger dagegen wehren, dass kleine Latinokinder in Paradise in die Vorschule gehen sollen. Doch wie Stone herausfindet, steckt hinter dem Widerstand handfestes Geldinteresse.

Auch dass eine Invasion von Gangstern aus Miami erfolgt, wirft ein Schlaglicht auf den Umstand, dass Paradise, dieses „Musterstädtchen“, keineswegs isoliert existieren kann, sondern von der Verbrechensentwicklung in den ganzen USA beeinflusst wird. Deshalb ergreift Chief Stone die Gelegenheit beim Schopf, zusammen mit der Staatspolizei von Massachusetts dem eingeflogenen Gangster und Esteban eine Falle zu stellen. Crow und Jenn beteiligen sich daran. Hoffentlich geht bei der Falle nichts schief, denn sonst wird das Paradies ein Opfer der Wölfe.

Sex, Humor und die Liebe

Neben dem Sex, den Crow hat, und den Liebesabenteuern, die Stones Mitarbeiter erleben, gibt es noch weiteren Humor. Dieser entsteht aus Stones Zusammenleben mit Jenn und der jungen Rotznase Amber Francisco. Macht dies den Roman recht kurzweilig und federleicht, liefern die Psychotherapiesitzungen mit Dr. Dix ein tiefsinniges Gegengewicht.

Jetzt endlich kapiert Jesse, worum es Jenn bei ihrem Fremdgehen im Grunde geht: Sie schläft sich hoch, um durch das Klettern auf der Karriereleiter – die ehemalige Wetterfee betreibt jetzt investigativen Journalismus! – eine Position zu erreichen, die sie auf eine Stufe mit Jesse stellt. Sie will genauso viel Macht wie er haben und sich behaupten können. Hoffentlich geht das gut. Es wäre diesem seltsamsten Paar der Kriminalliteratur sicherlich zu wünschen.

Die Übersetzung

Bernd Gockel sorgt auch diesmal dafür, dass sich die Geschichte wie von selbst liest. Er ersetzt das Original mit so vielen idiomatischen Redewendungen, dass sich der Text wie deutsche Umgangssprache liest.

Allerdings kann das auch ins Auge gehen, wenn er nämlich mal das falsche Sprachbild wählt. So etwa auf Seite 24. Stone will Crow „niet- und nagelfest machen“. Diebe klauen, was nicht niet- und nagelfest ist. Die richtige Redewendung lautet vielmehr „jemanden dingfest machen“. Und das sagt er dann auf Seite 137.

S. 272: „der ihre Mutter vermutlich umbringen lies“. Korrekt sollte es „ließ“ heißen.

Unterm Strich

Der Killer, der zurückkehrt, wirkt zunächst reichlich zwielichtig. Crow ist als Verbrecher bekannt, will sich aber dennoch mit dem Polizeichef auf guten Fuß stellen. Was soll man davon halten? Und dann haben es die Bürger von Paradise auch noch mit einer Latino-Invasion aus der Nachbarstadt zu tun. Zum Glück sind es nur fünfjährige Vorschüler. Also nichts im Vergleich zu der echten Fremdeninvasion, die aus Miami kommt, um das Paradies in ein Schlachthaus zu verwandeln. Wie so oft, gilt es auch hier, bezüglich Fremden das rechte Augenmaß zu beweisen. Falls man dazu gewillt ist.

In einem spannenden, actionreichen Plot, der mich zur letzten Seite bestens unterhielt, behandelt der Autor das Thema Fremdheit und Integration auf allen denkbaren Ebenen, selbst noch im privatesten und intimsten Bereich des menschlichen Lebens. Und mit der Figur des Apachenkriegers Crow hat Parker keineswegs eine anachronistische Figur geschaffen, sondern einen Archetypus wiederbelebt: der „tall dark stranger“, wie ihn jede Wahrsagerin bestens kennt und ihren Kundinnen verkauft.

Das Fremde und das Eigene, das ist das aufregende und aufregend behandelte Generalthema dieses Krimis. Und unter dem Zeichen von Integrationsdiskussion versus Terrorismus ist uns Deutschen dieses Thema heutzutage näher denn je. Daher bin ich dankbar, dass dieses Buch endlich übersetzt worden ist, und dann auch noch so gut lesbar.

Taschenbuch: 312 Seiten
Info: Stranger in Paradise, 2008
Aus dem US-Englischen von Bernd Gockel
ISBN-13: 978-3865324481

www.pendragon.de

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