Robert B. Parker – Die Tote in Paradise (Jesse Stone 3)

Alkohol und Sex, keine gute Mischung

„Dieser Fall geht Polizeichef Jesse Stone wirklich an die Nieren. An einem See in der Nähe der US-Kleinstadt Paradise wird die stark verweste Leiche einer jungen Frau gefunden. Niemand scheint sie zu kennen oder zu vermissen. Erst durch einen Ring kann die Identität des Opfers festgestellt werden.

Doch der Name wirft mehr Fragen auf als Jesse Stone lieb ist. Was hatte das Mädchen mit einem stadtbekannten Mafioso zu tun? Warum wird sie sogar von ihren eigenen Eltern verleugnet? Und wie passt ein Bestseller-Autor in das Szenario?“ (Verlagsinfo)

Dieser Roman wurde für die Jesse-Stone-Serie mit Tom Selleck eindrucksvoll verfilmt. Allerdings weist die Fernseh-Episode eine Unmenge an Unterschieden auf. Diese erörtere ich weiter unten.

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wurde vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997; dt. Titel „Das dunkle Paradies“, 2013)
2) Trouble in Paradise (1998; dt. Titel „Terror auf Stiles Island“, 2013)
3) Death in Paradise (2001; dt. Titel „Die Tote in Paradise“, 2014)
4) Stone Cold (2003, dt. Titel „Eiskalt“, 2014)
5) Sea Change (2006)
6) High Profile (2007)
7) Stranger in Paradise (2008)
8) Night and Day
9) Split Image

Handlung

In einem See nahe Paradise finden die Mitglieder des Amateur-Baseball-Clubs die Leiche eines Mädchens. Sie muss sich schon einige Zeit darin befunden haben, denn die Verwesung hat eingesetzt. Sie wurde ermordet: Eine Kugel durch den Kopf, wahrscheinlich aus einer 38er. Polizeichef Jesse Stone und seine Mitarbeiter finden am Ufer einen Schulring an einem Goldkettchen: Der recht umfangreiche und reich verzierte Ring stammt von der Swampscott High School und zwar aus dem Jahr 2000.

Das Mädchen könnte den Ring ihres Freundes an dem Kettchen getragen haben, sinniert Stone. Der Mörder schleppte die Leiche von seinem Auto durchs Unterholz bis in den See hinein, beschwerte sie dort mit Seil und Steinen, um den Körper am Aufsteigen zu hindern, und versenkte sie dort. Wenig später finden Stones Mitarbeiter auch den Stein und das Seil– ein erster Hinweis. Er schickt gleich Arthur Angstrom los, um alle entsprechenden Läden abzuklappern. Vielleicht war der Mörder dumm genug, mit seiner Kreditkarte zu bezahlen.

Höchste Zeit, der Swampscott High School einen Besuch abzustatten. Die Rektorin ist Lilly Summers, DOKTOR Lilly Summers, eine adrette Lady – und derzeit unverheiratet. Jesse lädt sie sofort zum Mittagessen ein, so dass sie über den Fall des ermordeten Mädchens reden können. Wie sich herausstellt, könnte es sich um Elinor Bishop handeln, die von allen nur „Billie“ genannt wurde und wohl so etwas wie eine Nymphomanin war. Sie schlief mit allen, doch nur einer war ihr wahrer Freund: William Royston, genannt Hooker, der Held des Jahrgangs, ein Vorzeigejunge.

Doch warum war Billie eine Nymphomanin und ihre Noten so schlecht, dass sie kaum die Versetzung schaffte? Sie war apathisch und interesselos. Jesse vermutet gleich, dass sie seelisch etwas aus der Bahn geworfen haben muss. Auch ihre Eltern sind sonderbar: Sie leugnen standhaft, dass sie eine Tochter namens Elinor oder Billie hätten. Was durch die Zahnarztunterlagen widerlegt wird. Dennoch beharrt die Mutter darauf, dass Billie für sie tot sei. Der Vater hat gefälligst die Klappe zu halten. Ebenso die zweite Tochter, Carla.

Aber wenigstens die dritte Tochter, Emily, redet mit Jesse. Sie hat eine Telefonnummer: Billie ging zu den Nonnen in Boston, denn die betrieben ein Obdachlosenasyl für Mädchen. Die Nonne, Schwester Mary John, hat ebenfalls eine Telefonnummer. Diese gehört dem Bostoner Gangster Gino Fish. Das überrascht Jesse.

Fish, der bekanntermaßen schwul ist und erst recht nichts sagt, habe nichts mit Prostitution am Hut, sagt die Bostoner Polizei, verkörpert durch Brian Kelly (den wir schon aus den Sunny Randall-Krimis kennen). Also legt sich Jesse mit seinem Mitarbeiter Suitcase Simpson und Kelly auf die Lauer. Nach Wochen entdecken sie: Es ist Fishs Rezeptionist Alan Garner, der den Prostituiertenring betreibt. Und die Huren sind blutjung – genau wie Billie. Hat einer der Freier Billie umgebracht?

Doch die Verbindung zu Paradise fehlt. Diese wird hergestellt durch die Verbindung von Gino Fish mit dem angesehenen Autor Norman Shaw, ein Alkoholiker mit einer sexuell frustrierten Frau, die sich an Jesse ranschmeißt. Shaw soll im Auftrag von Fish eine Biografie des Gangsters schreiben, gegen einen ansehnlichen Vorschuss. Jesse fragt sich, was Shaw für Fish getan haben könnte …

Mein Eindruck

Die beiden Cops Stone und Kelly nehmen Garner schließlich in die Mangel. Aber sie lassen ihm ein winziges Schlupfloch: Wenn er Shaw verpfeift, kommt er ohne Mordanklage davon. Und die würde sich in seinem Lebenslauf – der durch seinen Auftraggeber und Lover Fish drastisch abgekürzt werden könnte – gar nicht gut ausnehmen. Garner stellt die Verbindung zu Shaw her…

Dieser Jesse-Stone-Krimi nimmt sich wie schon in „Sea Change“ und „Paper Doll“ des heißen Eisens der Pädophilie an, diesmal aber auch des Themas Prostitution von Minderjährigen. Beide Themen entfachen in Jesse Stone sowohl Depression als auch Wut. Er hat Billie gegenüber ein heimliches Versprechen abgegeben, ihren Killer zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen. Bis ihm dies gelingt, besteht ein langer Spannungsbogen, der vier kleine Nebenhandlungen mühelos stützt.

Diese Nebenhandlungen umfassen 1) eine Liebschaft mit Lilly Summers, von der er Jenn informiert; 2) weitere Treffen mit Jenn; 3) Jesse besucht erstmals einen Psychotherapeuten, den ihm Jenn empfiehlt: Dix soll Jesse von seiner Alkoholsucht befreien; und 4) Mr Snyder, ein Alkoholiker wie Jesse, schlägt seine Frau, doch Jesse verhilft ihr zur Freiheit – was zu einer Geiselnahme in einem Supermarkt führt. In Snyder entdeckt Jesse einen Aspekt seiner selbst, der ihm gar nicht gefällt. Und zum ersten Mal findet er selbständig heraus, was damit nicht stimmt.

Unterschiede zur Verfilmung

Dieser Roman wurde für die Jesse-Stone-Serie mit Tom Selleck eindrucksvoll verfilmt. Allerdings weist die Fernseh-Episode eine Unmenge an Unterschieden auf. Während die Snyder-Episode relativ unangetastet blieb, fordert der blutige Abschluss der Geiselnahme ein bedauernswertes Opfer. Die Ermittlung in Boston dauert längst nicht so lange, wie sie im Buch dargestellt wird. Vielmehr findet Jesse Stone im Film in Billies Zimmer (!) ein Buch von Norman Shaw – quasi ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Schwerwiegender ist eigentlich der Abschluss des Gino-Fish & Garner-Strangs. Im Film spielt Garner praktisch keine Rolle, wenn ich mich recht entsinne. Vielmehr läuft alles auf eine Konfrontation zwischen Fish, seinem Schützen Vinnie Morris (bestens aus den Spenser-Krimis bekannt) und Stone hinaus. Davon kann im Buch nicht die Rede sein. Im Film wird plötzlich Fish zum Mörder von Billie gemacht, was Shaw ziemlich entlastet. Das widerspricht auf eklatante Weise der Absicht des Autors, der alle Schuld an Billies Tod auf Shaw ablädt.

Wie man sieht, ist der Drehbuchautor mit der Vorlage regelrecht Schlitten gefahren. Die Abkürzungen und Verdrehungen sind wirklich ärgerlich. Ich musste mich erst von diesen Verfälschungen freimachen, um die Romanvorlage wirklich genießen zu können. Wohl dem also, der die Verfilmung noch NICHT kennt!

Die Übersetzung

Der Text liest sich flüssig und die Sprache klingt natürlich. Ich würde aber einen Satz wie „Du bist der beste Freund in der Welt“ nicht sagen, sondern „der beste Freund AUF der Welt“.

Ich fand zwei Druckfehler.

S. 202: „L.A. Do[d]gers-Kappe“: Das D fehlt.
S. 288: „trinkr“ statt „trinkt“

Unterm Strich

Ich habe diesen Krimi an zwei Tagen gelesen, und zwar die deutsche Übersetzung. Wie bei allen Jesse-Stone-Romanen von Parker sorgt die Verbindung aus Verbrechen, sozialem und menschlichem Drama sowie erotischer Nebenhandlung dafür, dass sowohl männliche als auch weibliche Leser gut unterhalten werden.

Parker prangert die Ursachen der Prostitution von Minderjährigen genauso an wie die verlogene Moral der Freier, die die Minderjährigen ausnützen. Der Regisseur Louis Malle hat mal eine Minderjährige zum „Pretty Baby“ hochstilisiert, doch der Film ist ebenso verlogen wie die Freiermoral.

Was mir diesmal fehlte, war die Action, die beispielsweise die Stone-Romane „Trouble in Paradise“ und „Stranger in Paradise“, aber vor allem die Spenser-Krimis zu liefern wissen. Es gibt nur eine Actionszene: Stones Showdown mit dem durchgedrehten Mr. Snyder im Supermarkt. Außerdem fehlte mir eine plausible Erklärung für Billies nymphomanisches Verhalten und dessen Auslöser. War sie nur auf Suche nach Liebe und Zuwendung? Warum hat sie sich dann für Alan Garner prostituiert? Deshalb gibt es einen Punktabzug.

Warnung

Der Leser sei ausdrücklich vor der verfälschenden TV-Verfilmung gewarnt. Sie verhinderte, dass ich diesen Roman so gut genießen konnte, wie ich von den Stone-Krimis gewohnt bin. Denn die TV-Bilder überlagerten immer wieder die Darstellung im Buch. Und letzten Endes widerspricht die Aussage des Films der Absicht des Autors. Während Parker mit dem Schriftsteller hart ins Gericht geht, ist im Film der Gangster der Böse – das Klischee ist mal wieder bestätigt.

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)

Taschenbuch: 312 Seiten
Originaltitel: Death in Paradise (2001)
Aus dem Amerikanischen von Bernd Gockel
ISBN-13: 978-3865323699

www.pendragon.de