Robert B. Parker – Drei Kugeln für Hawk (Spenser 32)

Komplizierte Aufräumaktion in Marshport

Nachdem sein bester Freund Hawk in den Rücken geschossen wurde, während der einen Buchmacher beschützte, begibt sich Spenser mit dem genesenen Hawk auf einen Rachefeldzug gegen die Hintermänner dieses feigen Anschlags. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Ukrainer, der von Marshport aus operieren. Aber wieso lässt Tony Marcus, der Gangsterboss von Boston, sie das überhaupt tun?

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 50 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird regelmäßig vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Die Spenser-Reihe (die bei weitem umfangreichste)

1) Widow’s Walk
2) Potshot
3) Hugger Mugger
4) Walking Shadow
Und viele weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O. K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Der Informant

Als er einen Buchmacher in Boston als Leibwächter beschützt, wird Spenses bester Freund Hawk von hinten niedergeschossen. Zudem wird die Familie des Buchmachers ebenfalls fast komplett ausgelöscht. Die Genesung des harten Burschen Hawk dauert viele Wochen. Wochen, in denen Spenser bereits nach den Tätern Ausschau hält. Der schwarze Gangsterboss Tony Marcus war es offenbar nicht: Die Täter waren Weiße. Von seinen Kontakten bei der Polizei bekommt Spenser eine Liste mit fünf Namen: allesamt Ukrainer. Nur einer von ihnen, der ihm Knast sitzt, hat etwas zu verlieren und singt. Wenig später wird er im Knast abgestochen.

Das Drecksnest

Spenser und Hawk fragen sich, wer in der Unterwelt Anwälte kaufen kann, die solche Anschläge ermöglichen. Es ist einfach, die Anwälte zu finden. Hawk fackelt nicht lange und Husak spuckt einen Namen aus: Boots Polodak in Marshport, dem Nachbarort von Paradise (siehe Jesse Stone). Spenser hat die Hafenstadt in schlechter Erinnerung: Hier regieren nur Banden. Polodak ist obendrein der Bürgermeister und beherrscht die Polizei und Justiz. Mit einem Trick verschaffen sich Spenser und Hawk schwer bewaffnet Zutritt zu Polodaks Büro und setzen ihn unter Druck, während vier Cops tatenlos zusehen müssen. Polodak spuckt es aus: Es gehe um Tony Marcus’ Tochter Jolene. Was soll das schon wieder heißen?

Der Versager

Unsere beiden Haudegen wundern sich schon die ganze Zeit, wieso Marcus es zulässt, dass ihm die Ukrainer sein Bostoner Territorium streitig machen und er keine Hand dagegen erhebt. Der Grund ist kompliziert: Seine Tochter lebt mit einem Mann zusammen, der sein eigenes Gebiet haben will. Um diesem Brock Rimbaud sein Ansehen zu verschaffen, lässt Marcus ihm freie Hand. Leider schafft es der Typ nicht, den Ukrainern Einhalt zu gebieten, obwohl er sich bemüht. Also haben diese leichtes Spiel.

Der Hintermann

Das dynamische Duo lässt sich von Marcus freie Hand zusichern, um gegen Polodak und seine Bande vorgehen zu können. Zuvor ist noch eine kleine Frage zu klären: Woher hat Polodak überhaupt das Geld für seine Invasion in Boston? Spensers Kontakt zur Staatspolizei von Massachusetts und zum FBI sagt: Das Geld stammt aus dem Heroin, das ein afghanischer Kriegsherr liefert. Und dessen Statthalter bei Polodak passt auf, dass alles im Sinne des Afghanen verläuft.

Der Plan

Mit einem detailliert ausgeheckten Plan machen sich Spenser und Hawk zusammen mit dem Leibwächter Vinnie Morris an die Arbeit, um das Wespennest von Polodak auszuräuchern – und zugleich dafür zu sorgen, dass das letzte überlebende Mitglied der Buchmacherfamilie eine ordentliche Entschädigung erhält…

Mein Eindruck

Wer nun denkt, er habe es mit einem simplen Rachefeldzug zu tun, wie er schon zigmal verfilmt wurde, der irrt gewaltig. Denn erstens stehen lediglich zwei Mann gegen eine ganze Organisation – ein Frontalangriff wäre also Selbstmord. Zweitens steht Tony Marcus im Hintergrund bereit, hilfreich einzugreifen, sobald sich ihm der richtige Grund und Anlass bietet. Drittens steht hinter Polodak eine afghanische Organisation von unbekanntem Ausmaß. Und viertens braucht man bloß den richtigen Auslöser, um das ganze Pulverfass in die Luft zu jagen. Diesen Auslöser stellt der Gatte von Marcus’ Tochter Jolene dar: Brock Rimbaud.

Marcus gibt Rimbaud ein neues Gebiet, mitten in Marshport. Nun brauchen Spenser und Hawk den Angriff darauf nur Polodak in die Schuhe zu schieben und Marcus hat seinen Anlass, um Polodak anzugreifen. Der schickt seine Revolvermänner. Alles klar? Eben nicht. Denn Hawk hat es nicht auf das Rathaus, sondern auf Boots Polodak persönlich abgesehen. Von ihm will er das Geld für den kleinen Jungen aus der Buchmacherfamilie erpressen. Leichter gesagt als getan: Denn ein so wichtiger Mann wie Polodak hat natürlich überall Verstecke und Leibwächter.

Hawk und Spenser sichern sich nach allen Seiten ab. Sie wollen ja nicht eingelocht werden. Auch die Staatspolizei, das FBI und sogar die CIA werden einbezogen. Diese liefern – maßvoll – wertvolle Informationen über Polodak und seine Hintermänner. Außerdem geben sie den beiden selbsternannten Rächer freie Hand, denn mit halb- oder gar illegalen Aktionen dürfen sich Behörden bekanntlich nicht abgeben. Spenser-Fans dürfen sich auf ein Wiedersehen mit dem Grauen Mann, einem Auftragskiller, freuen. Er spielt eine überraschend wichtige Rolle.

Aber es gibt noch eine Seite von Interessenten, an die Hawk und Spenser denken müssen: an ihre Freundinnen. Denn die beiden lassen ihre Girls natürlich nicht im Unklaren darüber, was sie tun und vorhaben. Alles andere wäre Verrat. Spensers Susan reagiert zwar besorgt, aber mit Verständnis: Sie kann ihn nicht so haben, wie er ist, wenn er etwas auf andere Weise täte, wie er es eben zu tun pflegt. Ganz einfach, oder?

Nicht so Cecile, Hawks Freundin. Die einzige schwarze Chirurgin an einem Bostoner Krankenhaus weiß sich durchzusetzen. Aber mit Hawks aktueller Tätigkeit kommt sie echt nicht klar. Es verursacht zuviel Angst in ihr. Sie kann das Risiko, in das er sich ständig begibt, nicht hinnehmen. Und ändern kann sie ihn erst recht nicht, denn er ist ein ebenso introvertierter Typ wie Spenser. Also akzeptiert sie ein Stellenangebot in Cleveland – und weg ist sie. Tja, so ist die Liebe.

Ob die ganze Sache gut ausgeht oder ein Freund von Spenser ins Gras beißen muss, wird hier nicht verraten. Aber selten hat man einen derart kompliziert angelegten Rachefeldzug gelesen.

Die Übersetzung

Emanuel Bergmann fertigt mittlerweile alle Parker-Übersetzungen, das gilt auch für die Western („Brimstone“) beim Schweizerischen Europa-VLG. Der Text ist flüssig, aber manchmal unterlaufen Bergmann merkwürdige Ausdrucksfehler.

S. 46: „die Überhand haben“ müsste korrekt „die Oberhand haben“ heißen. Wenn etwas „überhand“ nimmt, dann gibt es zuviel davon als angemessen oder erträglich.

S. 54: „Man musste das subtile Zwischenspiel von Hawks Tonfall und Körperhaltung genau verstehen…“ Statt einem „Zwischenspiel“, also einem Intermezzo, ist wohl eher das Zusammenspiel der beiden Faktoren Tonfall und Körperhaltung gemeint.

S. 82: „anständige, rechtschaffen[d]e Kerle“: Das D ist überflüssig.

S. 83: „vorsorglicherweise“: Eigentlich würde es ausreichen, „vorsorglich“ zu schreiben. Die Erweiterung lässt das Schriftbild aber an dieser Stelle besser aussehen. Sie wurde vermutlich vom Lektor eingefügt.

S. 149: „der am weitesten im Osten gelegene Außenp[f]osten“: Das F ist überflüssig.

S. 181: „Aber man müsste schön ziemlich blöd sein…“ Es sollte „schon“ statt „schön“ heißen.

Unterm Strich

Ich habe „Drei Kugeln für Hawk“ an nur zwei Tagen gelesen. Das Buch ist actionreich, sehr sarkastisch, einfühlsam und mit einer recht spannenden Ermittlung versehen. Hawks komplex angelegter Rachefeldzug gegen die ukrainische Verbrecherbande wird von langer Hand eingefädelt und vorbereitet.

Erst als alle Informationen vorliegen und sich Hawks einen funktionierenden Plan ausgedacht hat, trauen sich die beiden Rächer, die ja nicht lebensmüde sind, gegen Polodak und seine Bande vorzugehen. Es wird eine denkwürdige Nacht für Marshport, voller Action, aber auch mit dem für Hawk und Spenser typischen sarkastischen Humor.

Big Business

Das globalisierte Verbrechen hat die Ostküste der USA erreicht. In seinem Krimi „Pale Kings and Princes“ (1987) schilderte Parker die heimliche Drogenhauptstadt der Ostküste, Wheaton. Diesmal ist Marshport dran, das wir schon aus „Stranger in Paradise“ (2008) kennen. Anders als das benachbarte Städtchen Paradise ist Marshport eine arme, verlotterte Stadt, beherrscht von Einwanderer-Banden, Korruption und Verbrechen. Kein Wunder, dass die Bürger – und Sheriff Jesse Stone – von Paradise alles unternehmen, um dieses Gesindel von ihrer Stadt fernzuhalten.

Vigilanten

Aber man kommt mit bürokratischen Maßnahmen und Stadtplanung nicht gegen brutale Banden wie die von Polodak an, scheint uns der Autor zu erklären. Das rechtfertigt den Vigilanteneinsatz von Spenser und Hawk. Seltsam, dass ihr Vorgehen von FBI, Polizei und den Regierungsbehörden (Ives) gedeckt wird. Offenbar ist es in den USA ganz okay (zumindest in einem Krimi), wenn ein paar Privatbürger etwas gegen das Verbrechen unternehmen. Eigeninitiative ist ein hoher Wert im Bewusstsein der amerikanischen Bürger. Bei uns würde solche Eigeninitiative jedoch auf heftigen Protest stoßen. (Hoffe ich zumindest.)

Kaltes Gericht

Der O-Titel „Cold Service“ bezieht sich übrigens auf das angeblich klingonische Sprichwort, dass Rache ein Gericht sei, das kalt serviert werden müsse. Ich bin aber nicht sicher, ob die Klingonen schon von diesem Sprichwort gehört haben.

Taschenbuch: 224 Seiten
Originaltitel: Cold Service, 2005
Aus dem US-Englischen von Emanuel Bergmann.
ISBN-13: 978-3865324344
www.pendragon.de

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