Robert B. Parker – Hundert-Dollar-Baby. Ein Spenser-Krimi (April Kyle 3)

Die Hure als Manager: April Kyles Traum und Ende

Spenser bekommt einen Anruf von seiner alten Bekannten April Kyle, einer Edelhure, die in Schwierigkeiten steckt. Sie wird von einem anonymen Anrufer erpresst. Was zunächst nach einem einfachen Job aussieht, erweist sich als höchst brisanter und gefährlicher Fall, denn niemand sagt die Wahrheit. Angefangen bei April, die tief in ein dubioses „Dreamgirl-Hotel“-Projekt verstrickt ist. April will endlich unabhängig und auf eigene Rechnung arbeiten. Dafür geht sie auch über Leichen. (Verlagsinfo)


Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird gerade vom ZDF gezeigt.

Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis. „Der Amerikaner Robert B. Parker promovierte mit einer Arbeit über das Werk Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers und Ross Macdonalds.“ (Ullstein-Info)

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997)
2) Trouble in Paradise
3) Death in Paradise
4) Stone Cold (2003)
5) Stranger in Paradise
Und weitere.

Die Sunny-Randall-Reihe:

1) Shrink Rap
2) Perish Twice
3) Family Honor
Und weitere.

Die Spenser-Reihe (die mit über 50 Titeln bei weitem umfangreichste)

1) Widow’s Walk
2) Potshot
3) Hugger Mugger
Und viele weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Vor zwanzig Jahren war April Kyle eine 15-jährige Hure, die Spenser unter seine Fittiche nahm und in New York bei der Puffmutter Mrs Utley zurückließ (in „Taming a Sea-Horse / Wer zähmt April Kyle?“, 1986). Nun steht sie wieder vor ihm, eine elegante Erscheinung und erotisch bis zum Gehtnichtmehr. Deshalb fällt es ihr leicht, den erbetenen Schutz von ihm zu erhalten. Jemand versuche, sie abzuzocken und um ihren Anteil vom Verdienst ihres Nobelbordells zu bringen. Zwei Kerle hätten bereits die Kunden vertrieben.

Spenser bekommt von den nächsten beiden Störenfrieden schnell heraus, dass ein Typ namens Ollie DeMars sie geschickt hat. Dieser Boss von ein paar Schlägertypen will aber nicht sagen, wer ihm den Auftrag dafür gegeben hat. Wenigstens sorgen Spensers Kumpel Hawk und Tedy Sap (siehe „Potshot“) dafür, dass April nicht mehr belästigt wird. Sie behauptet, ihr Bordell sei die Dependance von Mrs. Utley, doch als Spenser dort anruft, erfährt er, dass Aprils Laden kaum etwas abwirft; die Kosten seien einfach zu hoch. Wieso wird sie also trotzdem belästigt und was erwartet sich der Hintermann davon? Etwas ist hier oberfaul.

Nachdem April nichts dazu sagen will und Spenser seinen Schutz abgezogen hat, schnüffelt er mal in New York herum. Von Mrs. Utley, Aprils früherer Chefin, erhält er eine Liste von Aprils Stammkunden. Ein gewisser Lionel Farnsworth fällt ihm auf. Und Detective Eugene Coretti (aus „Small Vices“) erzählt ihm über diesen Typen, dass er 1998 im Allenwood-Gefängnis einsaß, wegen Betrug. Und wer hätte das gedacht? Auch Ollie DeMars saß dort zur gleichen Zeit ein. Steckt also Farnsworth hinter den Übergriffen?

Doch es steckt noch viel mehr dahinter, denn bislang hat Spenser nur an der Oberfläche gekratzt …

Mein Eindruck

„Hundred Dollar Baby“ ist der letzte Band der „April Kyle“-Trilogie in Parkers Werk und wohl auch der traurigste. Den zweiten Band mit dem Titel „Taming a Sea-Horse/Wer zähmt April Kyle?“ von 1986 habe ich soeben gelesen und war sehr davon angetan. Doch welchen Titel der erste Band trägt den Titel „Ceremony“ (1982) das den deutschen Titel „Einen Dollar für die Unschuld“ trägt.

April ist so etwas wie Spensers Adoptivtochter und keinesfalls seine Gegelegenheitshure. Mit Susan Silverman ist er bereits in festen Händen und setzt diese Beziehung niemals auf Spiel. Er musste die Entführte ja selbst einmal „In „A Catskill Eagle“ unter Lebensgefahr befreien. Wenn jetzt also in „Hundert Dollar Baby“ die reife Frau April Kyle ihm gegenüber ihre Macht als Frau auszuspielen versucht (ähnlich wie Jesse Stones Exfrau Jenn), dann beißt sie auf Granit. Und diese Zurückweisung nimmt sie nicht gnädig auf. Dummerweise fragt sie ausgerechnet Spensers besten Freund Hawk, ob er Spenser für sie umlegen würde. Die Frau hat Nerven.

April hat sich selbständig gemacht und will mit einem Typen, von dem sie glaubt, dass er sie liebe, eine rein weiblich geführte Bordellkette aufziehen. Ähnliches hatte ja schon Perry Lehman in „Taming a Sea-Horse“ demonstriert. Leider entpuppt sich Lionel Farnham als ein windiger Bursche, der sie lieber um ihr Geld erleichtert, als sie zu unterstützen. In einem letzten Versuch, ihren Lebenstraum zu retten, wendet sich April an den Mob, das organisierte Verbrechen. Damit hat sie sich selbst verraten, wie Spenser findet.

Mafia

Spenser bemüht sich aus Menschenliebe weiterhin, April vor dem Abrutschen in die Klauen der Mafia zu retten, doch sie legt genau diese Liebe als Egoismus aus: Spenser Präsenz schade ihr nur, klagt sie ihn an. Aber das ist eben ihr Problem: Wenn sie sich auf die Seite der Illegalität stellt und dann auch noch mit der Mafia einlässt, kann sie nicht mit Spensers Zustimmung und Unterstützung rechnen. Er braucht gar nichts weiter zu tun, als mal mit der New Yorker Mafia ein paar Takte Tacheles zu reden, um dafür zu sorgen, dass man April Kyle und ihren Macker mit kritischen Augen betrachtet. Schließlich geht es um Investitionen. April wird ausgebootet.

Das Ende

Nicht einmal Spenser hätte sich die schlimmen Folgen dieser Wendung der Ereignisse auszumalen gewagt. Und den Leser trifft die Konsequenz, die April zieht, noch viel unerwarteter und härter. Es ist von tragischer Ironie, dass eine Prostituierte ihr Leben selbst bestimmen und selbständige Unternehmerin werden will. Doch die Mittel, um diesen Lebenstraum zu verwirklichen, holt sie sich bei Männern, die sie sofort ausnutzen. Es ist diese seltsame Zwiespältigkeit, die Spenser am meisten zu schaffen macht. Zum Glück hat er in Dr. Susan Silverman eine tiefblickende Psychologin, die ihm diesen Widerspruch erklären kann. Für April kommt jede Hilfe zu spät.

Unterm Strich

Dieser letzte Teil der „April Kyle“-Trilogie war mir ein wenig zu relaxt im Mittelteil, um wirklich spannend zu bleiben. Aber das erste und das letzte Drittel entschädigten mich durch spannende Konfrontationen, etwas Action und die finale Auseinandersetzung mit der Mafia und April Kyle. Der Kitt, der die Handlung zusammenhält, ist ein typisches Rätsel, das es zu lösen gilt: Was hat April wirklich mit ihrer Bordellkette vor, wer sind die wahren Angreifer und mit wem lässt sich ihr Lover, dieser windige Lionel Farnham, ein?

Der Mittelteil besteht zwar auf realistische Weise aus Überwachung, dem bekannten Stake-out-Motiv, aber da rein gar nichts passiert außer sarkastischen Dialogen, ist das nicht sonderlich befriedigend. Es hilft wahrscheinlich, dass der Leser bereits die beiden ersten Teile kennt und dadurch ein menschliches Interesse an der ausgebeuteten Hure April Kyle auf- bzw. mitbringt.

Aber wer diesen Vorteil nicht hat, tut sich etwas schwerer mit der Langsamkeit des Plots. So erging es jedenfalls mir. Vielleicht hätte der Autor auch mal das Milieu wechseln sollen, statt immer nur die Prostitution zu beackern – selbst wenn diese sich binnen 20 Jahren ganz erheblich verändert hat. „Taming a Sea-Horse / Wer zähmt April Kyle?“ rel=“noopener“ target=“_blank“>Wer zähmt April Kyle?“ (siehe meinen Bericht dazu) ist, wie ich finde, das spannendere und lustigere Buch von den beiden.

Taschenbuch: 200 Seiten
O-Titel: Hundred-dollar Baby, 2006
Aus dem Englischen übertragen von Emanuel Bergmann.
ISBN-13: 9783865320803
https://www.pendragon.de


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