Robert B. Parker – Wildnis

Actionthriller: Tödliche Jagd in der Wildnis

Eine Frau wird am helllichten Tage erschossen. Aaron Newman, ein angesehener Schriftsteller, beobachtet den Mord und geht zur Polizei. Auf dem Revier kann er den Täter eindeutig als Adolph Karl identifizieren – ein brutaler Gangster, dem die Polizei bislang nie etwas nachweisen konnte.

Als Newman wenige Stunden später nach Hause kommt, findet er seine Frau Janet gefesselt im Schlafzimmer vor. Eine unmissverständliche Drohung. Newman zieht seine Aussage zurück. Aber selbst wenn er schweigen würde, bedeutet er eine ständige Gefahr für Adolph Karl. Newman muss handeln. Gemeinsam mit seiner Frau und Chris Hood, ein Kriegsveteran, schmieden sie einen Plan und eine mörderische Verfolgungsjagd in der Wildnis der nordamerikanischen Wälder beginnt. (Verlagsinfo)

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 60 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine etwa acht Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wurde vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur Robert B. Parker lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Die Spenser-Reihe (bei Pendragon)

1) Trügerisches Bild
2) Die blonde Witwe
3) Der stille Schüler
4) Bitteres Ende
5) Hundert Dollar Baby
6) Der gute Terrorist
7) Alte Wunden

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten Chandler-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Der 42-jährige Aaron Newman ist ein erfolgreicher Schriftsteller in Smithfield nahe Boston, verheiratet mit Janet, einer Englischdozentin an der Uni. Die zwei Töchter sind bereits aus dem Haus, und so kann sich Aaron tagsüber seinem Schreiben oder der Freizeit widmen. Diesmal joggt er abends durch den nahen Wald, als er plötzlich einen entsetzlichen Mord beobachtet: Ein hagerer Weißer schießt einer wehrlosen schwarzen Frau in den Hinterkopf und lässt sich dann seelenruhig in seinem Wagen davonfahren. Aaron erwacht aus seiner Erstarrung und stellt fest, dass die Frau tot ist. Dann holt er die Polizei.

Auf dem Revier identifiziert er den Mörder erst in einem Fahndungsbuch, dann in einer Gegenüberstellung. Er ist bereit, den Mann namens Adolph Karl auch vor Gericht zu identifizieren. Als er nach Haus zurückkehrt, ist es bereits nach zwei Uhr nachts. Er erwartet, Janet bereits im Bett zu finden. Als er ins Schlafzimmer kommt, sieht er sie jedoch nackt, gefesselt und geknebelt auf dem Bett liegen. Dass Karls Männer dies getan haben, ist leicht an den eingeritzten Initialen AK auf Janets Bauch abzulesen…

Nachdem er sie befreit, sie erzählt und sich schließlich beruhigt hat, beraten sie am nächsten Morgen, was zu tun ist. Da erhält Aaron einen anonymen Anruf von Karls Handlanger: Der droht damit, Aaron und seine Frau zu töten, sollte Aaron seine Aussage nicht zurücknehmen. Was bleibt ihm anderes übrig? Es sagt es zu und nimmt auf der Wache seine Aussage zurück. Die Cops durchschauen ihn sofort, aber sie erkennen auch, dass sie einen Verräter in den eigenen Reihen haben müssen – sonst hätten die Verbrecher nicht bereits Mrs. Newman aufgesucht, als Mr Newman noch auf der Wache war.

Es geht Aaron, einem Jünger Ernest Hemingways, gewaltig gegen den Strich, sich so unterbuttern zu lassen. Seiner Frau, die um die Kontrolle in dieser Situation fürchtet, ist das völlig schnuppe; sie versteht ihn nicht: Sie will Rache und ein Ende der Angst. Denn es ist kaum anzunehmen, dass Adolph Karl sie in Ruhe lassen wird. Ganz im Gegenteil: Er wird sie beide umlegen. Und ihre Töchter womöglich auch. Dann wär ihr Leben umsonst gewesen.

Der Plan

Aarons und Janets bester Kumpel ist ihr Nachbar Chris Hood, ein Restaurantbesitzer, der in Scheidung lebt. Chris hat in Korea beim Militär gedient, ebenso wie Aaron, war Footballspieler, ist Karatekämpfer und ein Waffenfreak – Machismo in Reinkultur. Er ist dafür, Karl umzulegen und ihm so zuvorzukommen. Alle drei einigen sich darauf, einen Mord zu begehen.

Leichter gesagt als getan. Denn Adolph Karls Haus erweist als ebenso unangreifbar wie sein Möbelgeschäft. Janet findet heraus, dass der Gangster eine Jagdhütte in den Wäldern von Maine besitzt und dort mit seinen zwei Söhnen und seinen Leibwächtern jagen und angeln geht – eine günstige Gelegenheit. Wenn sie ihn dort erwischen wollen, brauchen sie aber ein Scharfschützengewehr. Dies wird von Aaron gekauft. Lieutenant Vincent bekommt Meldung vom betreffenden Waffenladen und kann sich ausrechnen, was Newman vorhat, doch er wartet lieber ab. Gewinnt Newman, sind sie Karl los, doch wenn Karl gewinnt, können sie ihn dafür festnageln – die Cops gewinnen so oder so.

Der Killer

Doch Karl hat bereits einen Killer auf Aaron angesetzt. Der ein wenig paranoide – und sehr wachsame – Chris schaltet den Mann aus und entsorgt ihn. Nun ist klar, dass keine Zeit mehr bleibt. Alle drei beziehen Posten an einem idyllischen See in Maine, wo Karl unangreifbar auf einer Insel logiert, bewacht von vier Männern. Erst als alle fünf Gegner zu einem Jagdausflug aufbrechen, scheint der Weg frei zu sein.

Doch dieser „Jagdausflug“ verläuft ganz anders als vorgesehen…

Mein Eindruck

Ich habe den Roman in nur fünf Stunden gelesen. Er ist recht spannend, voller Action, recht flott erzählt und mit wenig Ballast befrachtet. Die ersten zwei Drittel spielen in Smithfield, das letzte Drittel schildert die Auseinandersetzung in den Wäldern von Maine. Die Mitte sieht den Kampf mit dem Auftragskiller und der Anfang dreht sich völlig um den Mord an der Unbekannten und den Überfall auf Janet Newman. Man kann also sagen, dass ständig etwas los ist.

Psychologie

So weit, so gut. Aber ein Roman mit so wenigen Figuren sollte ein bisschen mehr als Action liefern. Deshalb richteten sich meine Erwartungen eigentlich auf die zentrale Beziehung zwischen Aaron und Janet Newman. Diese entwickelt sich denn auch in eine positive Richtung weiter. Janet ist ein Control-Freak. Zu Beginn verwünscht und verflucht die gefesselte Janet ihren Mann, weil er bloß dasteht und sie, die Nackte und Wehrlose, anstarrt. Tatsächlich schießt Aaron, der seiner Frau alles recht machen muss und will, bei ihrem knusprigen Anblick eine erotische Fantasie durch den Kopf. Sie hat ihn durchschaut.

Aber sie ist selbst schuld daran. Weil sie vor vielem Angst hat und stets ihre Angst unter Kontrolle halten will, steuert sie auch alles, was mit Sex und Zärtlichkeit zu tun hat. Letzteres ist verpönt und bei Ersterem bestimmt sie von A bis Z, was auf welche Weise geschieht. Obwohl die beiden Eheleute seit 23 Jahren verheiratet sind, scheint sie sich immer noch ein wenig vor diesen Intimitäten zu ekeln. Bei ihren Gesprächsrunden an der Uni ist sie jedenfalls viel gelöster.

Doch während der gefährlichen Tage im Wald lernen die beiden, sich auf einen Konsens zu einigen und stoßen zu einem neuen Verständnis füreinander vor. Aarons Wunsch nach ritterlicher Romantik übt einen seelischen Druck auf Janet aus, den sie kaum aushalten kann (übrigens genauso wie bei der weiblichen Hauptfigur in dem Spenser-Krimi „Promised Land“ von 1977). Aaron muss akzeptieren, dass Janet genauso knallhart sein kann wie ein Mann: Er ist fähig, viel zu ertragen, doch sie ist fähig durchzuhalten, bis das Ziel erreicht ist.

Die Frage ist also, ob es Janet gelingen wird, sich zu ändern, wenn sich Aaron unter dem Druck der Ereignisse ändert. Er tut das, was er sich in seinen literarischen Hemingway-Fantasien herbeiwünscht: den harten Kerl markieren und den Gegner ausschalten. Dass er dabei auch wirklich ein anderes Leben auslöschen muss, ist für ihn die härteste und unangenehmste Erkenntnis – über den Lebenskampf und sich selbst. Doch sein Sinn für Romantik wird dadurch erheblich reduziert, was Janet mit Erleichterung aufnimmt. Auf einer neuen Ebene des Verständnisses können sie ihre Ehe, die zuvor auf der Kippe stand, weiterführen.

In den Wäldern

Unter Parkers Romanen ist dies der Einzige, der zum großen Teil draußen in der Wildnis spielt – und somit seinem Titel vollauf gerecht wird. (Nur das Finale von „A Catskill Eagle“ reicht diesbezüglich heran.) Zu meinem Erstaunen gelingt es dem Autor von Krimis, die meist in Städten spielen, auch die Phänomene, die in der Wildnis zählen, glaubwürdig zu beschreiben und zum Leben zu erwecken. Seine Prosa ist durch kurze, präzise Sätze leicht verständlich, und die Bilder erwachen mühelos wie von alleine im Geist des Lesers.

Sicherlich hätte ein Autor wie Lee Child aus diesen 250 Seiten 600 gemacht und dabei jede Menge Charakterstudien eingeflochten. Doch diese erweisen sich als überflüssig, wenn es darum geht, einen finsteren Gangster und seine Truppe zu beschreiben, sowie ihnen ein einzelnes Ehepaar gegenüberzustellen.

Natürlich ist die Story indirekt ein Loblied auf den kompetenten und zum Kampf fähigen Mann, der nicht zuletzt durch körperliche Fitness seinen Gegner zu überwältigen vermag. Aber Janet Newman ist jeden Deut genauso viel wert wie er. Am Schluss sagt Aaron, er hätte den Kampf, der sich über Tage hinzieht, nicht ohne sie bewältigen können: Er kann, wie gesagt, ertragen, doch sie kann bis zum Ende durchhalten.

Unterm Strich

Der Autor wollte offenbar einen Actionthriller im großen Outdoors inszenieren. Das ist ihm leider nur halbwegs gelungen, nämlich mit dem Actionteil. Was ich vermisse, ist die Psychologie unter den Gegnern – bis auf Adolph Karl sind sie alle praktisch gesichtslos. Zur Rechtfertigung dieser Freischärler-Action dient dem Autor eine Bedrohung des Ehepaars Newman – er hat zu viel gesehen und soll für immer zum Schweigen gebracht werden.

Newman ist jedoch nicht der Zauderer Hamlet: Er nimmt das Gesetz in die eigenen Hände, besonders angesichts der Tatsache, dass die Cops abwartend zusehen, was sich entwickelt. Dass die Eheleute mit ihrem Leben kurz auch noch ihre Ehe dabei retten, ist ein schöner Nebeneffekt, der den Leser zufrieden zurücklässt. Den eigenmächtigen Einsatz der Gewalt scheint für Amerikaner selbstverständlich zu sein – für Amazon.com-Leser ist dieser Thriller eines der besten Bücher des Autors.

Merkwürdig kalt lässt die Newmans jedoch der Mord an Chris, ihrem freundlichen, organisatorisch so begabten Nachbarn und Lebensretter. Das hat mich unangenehm berührt, weil es wirkt, als müsste der Tod von Nebenfiguren billigend in kauf genommen werden. Ironie kommt überhaupt kaum auf, höchstens bei den Cops, und so wirkt die Story bierernst und ein wenig verkrampft.

Überhaupt wirkt die Psychologie der Nebenfiguren so schmalspurig, als hätte der Autor in dieser Hinsicht sein Manuskript um mehr als die Hälfte zusammenstreichen müssen. Parker hat denn auch die Finger von diesem Sujet gelassen und sich auf Krimis konzentriert. Besonders mit dem selbstironischen Privatdetektiv Spenser wurde er erfolgreich.

Das Buch eignet sich für Leser, die wenig Wert auf Psychologie legen und vielmehr einen ordentlichen Actionthriller lesen wollen. Sie werden nicht enttäuscht und werden das Buch in nur wenigen Stunden verschlingen.

Taschenbuch: 224 Seiten
Übersetzt von Ute Tanner
ISBN-13: 978-3865323385

www.pendragon.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)