Mit „Der kleine Hobbit“ begann 1937 das erfolgreichste Fantasy-Epos, nämlich „Der Herr der Ringe“. Erstmals ist dort von jenen Ereignissen die Rede, die schließlich zum großen Ringkrieg und dem Sturz des dunklen Herrschers Sauron führten. Doch Tolkien hat uns etliche wesentliche Infos vorenthalten, so etwa die, dass der kleine Hobbit eigentlich Nichtraucher war und der Zauberer fast stocktaub, von der seltsamen Redeweise der Zwerge ganz zu schweigen („Weissu wie isch mein, ey?“). Höchste Zeit also für die richtige Aufklärung, die alle Klarheiten beseitigt (oder so).
_Der Autor_
Der Name Adam Roberts ist angeblich das Pseudonym eines angeblich recht bekannten US-Schriftstellers. Ich tippe mal auf Thomas M. Disch, aber auch Philip José Farmer käme in Frage. Aber nix Genaues weiß man nicht. Und wenn man sich gewisse Feinheiten über die englischen Sitten ansieht, kommt auch ein Brite für den Job in Frage.
_Handlung_
Im idyllischen Aualand leben bekanntlich die freundlichen Hobbnixe. Das Einzige, was sie stört, sind ihre arthritischen Füße, denn sie stapfen tagein tagaus barfüßig durch die Botanik, also auch, wo’s feucht ist. Auch unser „Held“ mit dem klangvollen Namen Bingo Beutlgrabscher stöhnt in seiner heimeligen Höhle über die vermaledeiten Füße, an denen die Gichtknoten schwellen.
Gerade will er sich zum Ausruhen zurücklehnen, als es an der Tür klopft. Es ist der Zauberer Ganzalt nebst einer stattlichen Anzahl Zwerge. Sie sind zwar nicht eingeladen, stapfen aber trotzdem in Bingos Wohnhöhle. Es klopft immer noch an der Tür – Ganzalt kann den eingesetzten Klopfzauber nicht abstellen. Um seinem Sympathiequotienten einen weiteren Dämpfer zu verpassen, fängt er auch noch an, Bingos Höhle mit seiner Tabakspfeife zu verpesten, ungeachtet des gottserbärmlichen Raucherhustens, der ihn schüttelt.
Die Kommunikation mit den Zwergen gestaltet sich ähnlich schwierig wie mit dem fast stocktauben Zauberer: Sie reden nur hessisches Kanakisch [s.u.], weissu wie isch mein, ey Mann, oder? Bingo checkt natürlich null und will alle Uneingeladenen rauswerfen, doch da erklingt das Zauberwort: GOLD! Für solche Wörter sind Beutlgrabscher – und sicher nicht nur diese – immer zu haben. GOLD also bieten sie ihm an, wenn, ja wenn er mit ihnen zum Strebor, dem Einzigen Berg, zieht, um den GOLD-Schatz des Drachen Schmauch zu klauen. Oder so, weissu…
Schon überredet! Bingo hat zwar einen winzigen Verdacht, dass da vielleicht noch was anderes sei, was die Zwerge vorhaben, aber wo GOLD zu holen ist, darf Bingo – nomen est omen! – nicht fehlen.
Natürlich fehlen die üblichen Stationen der Reise zum fernen Strebor nicht: Die Trolle spreschen fürnehmstes Franssösisch, wenn sie sich über das geeignete Rezept für die Zubereitung der Zwerge streiten. Die Elfen aus den Nobelbergen sind allesamt schwul und außerordentlich elegant. Fürst Halbelf – nicht zu verwechseln mit Fürst Halbzwölf und schon gar nicht mit Elfuhr – wird später mit seinem Elfenheer auftauchen.
Unter dem Nobelgebirge kommt es zu jener berühmten und äußerst schicksalschweren Begegnung, in deren Verlauf Bingo und das Wesen namens Schmollum versuchen, ein paar Rätsel zu lösen (oder auch nicht, was Bingo betrifft), denn schließlich will Schmollum sein „Ding™ der Macht“ zurückhaben. Mit diesem Ding™ ist nicht zu spaßen, wurde es doch vor Urzeiten vom bösen Saubua geschmiedet, dessen perverse Denkweise darin Eingang fand, und die geht so: Um sich einen Wunsch damit zu erfüllen, spricht man in die Öffnung des Dings™, aber der Wunsch muss umgekehrt proportional zu dem Gewünschten formuliert sein, checkst du? Wenn es also Nacht werden soll, musst du sagen: Die Sonne scheint. Alles roger?
Eine wahrhaft erstaunliche Episode bildet der Besuch bei Björn dem Gestaltwandler, der nachts zum Tier wird. Das ist allerdings nicht wörtlich, sondern metaphorisch zu verstehen, weissu wie isch mein? Ansonsten würde er sich hervorragend als Verkaufsassistent bei einem bekannten schwedischen Möbelhaus eignen. Auch die Spinnen sind recht merkwürdig drauf: Bekanntlich schnappen sie sich die Zwerge & Co., doch wenn man ein wenig an ihre sozialistischen Ideale appelliert, kommt man auch auf einen grünen Zweig, checkst du?
Nach den allerhärtesten Bewährungsproben, wie etwa dem Wettsaufen mit den Oberbayern in der Bierstube „August & Ina“ (= Augustiner), müssen die seltsamen Gefährten noch die Begegnung mit einer rappenden Krähe und dem pfeilbewehrten Bürgermeister der Seestadt Essmabrot bestehen, dann kann endlich die Konfrontation mit Schmauch erfolgen. Und das ist wohl bestimmt ein ganz fürchterlicher Drache – wenn man den Zwergen glauben darf (aber wer tut das schon?). Merkwürdig, dass der Zauberer Ganzalt ausgerechnet jetzt in einen Tiefschlaf gefallen ist…
_Mein Eindruck_
„Der kleine Hobbnix“ ist eine sehr gelungene Parodie auf Tolkiens Kinderbuch (das hoffentlich niemals verfilmt wird), wie ich finde. Die Story hat sprachlichen Witz, einige Spannung, viele Überraschungen und ein ordentliches Tempo, sobald sich die Gefährten mal auf die Socken gemacht haben. Was an Sprachwitz vorhanden ist, habe ich ja schon angedeutet. Doch im Gegensatz zu so vielen Parodien erschöpft sich „Hobbnix“ nicht im Konterkarieren des Originals, sondern entwickelt selbst einige Kreativität, was die Ursache und den Ausgang des Abenteuers anbelangt – beides darf hier natürlich nicht verraten werden. Aber auch absolute Tolkien-Anhänger werden daher noch etwas Gewinn von der Lektüre haben.
Abgesehen von den witzigen Einfällen der Geschichte ist das Buch aber noch mit vielen weiteren Zutaten gespickt. Die wichtigste besteht sicherlich in den ebenso unüber- wie unvorher-sehbaren FUSSNOTEN. So eine Fußnote kann recht dezent sein, aber auch ziemlich aufdringlich wirken. Hier wendet sich der Autor direkt an den Leser, um ihm etwas zu erklären, oder an Sponsoren, um ihnen eine passende Werbefläche im Text anzubieten (vulgo als „Product Placement“ bekannt).
Wie sehr das vorliegende Werk ein Produkt der Medienindustrie ist, machen nicht nur die Fußnoten, sondern auch die zahlreichen ANHÄNGE deutlich. Was wäre ein solches Kultbuch wie „Der kleine Hobbnix“ nämlich ohne eine oder zwei Fortsetzungen? Ganz recht: ein kleines Garnix! Daher hat, wenn wir Roberts glauben dürfen (und warum auch nicht?), sein Verlag NonWin Books folgende Produkte auf den Markt geworfen:
Der Herr der Sinne Band I: Die Gelehrten
Der Herr der Sinne Band II: Das doppelte Türmchen
Der Herr der Sinne Band III: Die Rückkehr der Fortsetzung des Königlichen Dings™: Der Sohn des Dings™ reitet wieder
Das große Hobbnix-Lexikon: Ein alphabetischer Wegweiser durch ganz Obermittelerde
PlayGameBoxCube 2 präsentiert: Der kleine Hobbnix: Der Zorn von More&More. Mit den Originalstimmen von Sir Ian McEllen und Lady Ellen McIan
Der kleine Knollnix: Die Parodie auf den Kultklassiker „Der kleine Hobbnix“
Außerdem kann jeder, der verrückt nach Hobbnixen ist, Mitglied im Hobbnix-Fanclub werden – für schlappe 149,95 Euro im Jahr, plus Mehrwertsteuer und Traumaversicherung! Na, wenn das kein voll korrektes Angebot ist, ey Mann!
Nun soll’s aber genug der Beispiele sein. Was uns der Parodist damit sagen will, ist wohl recht deutlich geworden: Durch Übertreibung der Marketingparolen führt er den ganzen Medienrummel um das Original, also Tolkien und die Verfilmung des „Herrn der Ringe“, einer Kritik zu. Es würde sich lohnen, mal – etwa im Rahmen eines Seminars – genauer zu untersuchen, welche Aspekte Roberts genau auf die Schippe nimmt. Das Original findet er bestimmt klasse, aber die Auswüchse, die dessen nachgerade kultische Verehrung bzw. industrielle Vermarktung angenommen haben, sind ihm mehr als suspekt.
Daher erfüllt die Parodie mehrere Zwecke. Und wie ich finde, erreicht sie ihre Ziele auch. Und wenn mich nun jemand fragen würde, welche Episode mir am besten gefallen hat, so würde ich ohne zu zögern sagen: die oberbayerischen Säufer, vor denen Bingo & Co. eine „Gaudi“ aufführen müssen. Allerdings sind zum Verständnis fortgeschrittene Kenntnisse des Urbayerischen erforderlich – oder ein Wörterbuch.
Damit möchte ich darauf hindeuten, dass Ute Brammertz eine hervorragende Übersetzung gelungen ist, die richtig Laune macht. Sie stellt nicht nur eine Eins-zu-eins-Übertragung des Originals dar, sondern erfindet eigene zeit- und ortsgemäße Entsprechungen. Dazu gehören nicht nur die Oberbayern oder der schwedische Björn, sondern auch Kulturphänomene wie die Szenesprache (Kanakisch) der Zwerge und der rappenden Krähe „Raveman“. Da dürfte sich auch die jüngere Generation angesprochen fühlen. Voll konkret, Mann! (Wer mit Kanakisch nix anfangen kann, der findet im Programm des |Eichborn|-Verlags von Michael Freidank verfasste entsprechende Wörterbücher und Selbstlernkurse – Kanak it yourself mit „Dem besten Sprakkurs ubernhaupt“!)
_Die Grafiken_
Jetzt hätte ich doch fast die Landkarte und die Illustrationen unterschlagen! Nej, sowas aber auch.
Die Landkarte am Anfang des Buches hilft – mehr oder weniger – bei der Orientierung des planlosen Lesers in den wilden Gefilden von Obermittelerde. Dazu gehören solche Landmarken wie das Nobelgebirge, das Eckmeer und die Bucht von Glucks, das Skigebiet Shifoan, das Verwunschene Bächle und die bekannten Doppeldörfer Katzen und Sprung. Besonderes Augenmerk möge der geneigte Leser der geografischen Kombination Australiensee, Neuseelandsee und Pullisee widmen. Auch der Mount Dumm und der Mount Dümma vermitteln den Eindruck, als ob sich dahinter ein tieferer Sinn verberge (aber was?). Jedenfalls gibt’s hier noch viel zu entdecken, sogar einen Fleck namens „Druckfehler“, wer hätte das gedacht? Ich schon!
Jedem Kapitel ist eine Zeichnung vorangestellt. Sie dient dazu, den Leser auf das Schlimmste gefasst zu machen, so etwa auf „Die Gobblinattacke“ auf (ab?) Seite 277. Jeder, der sich diese Zeichnungen ansieht, ist selber schuld, wenn er weiterliest! Er wurde ja gewarnt.
_Unterm Strich_
Wer einmal das Buch aufgeschlagen und das erste Kapitel ob der Attacken auf sein Zwerchfell überstanden hat, wird das Buch kaum aus der Hand legen können (höchstens auf dem stillen Örtchen, obwohl…). Nicht nur der Sprachwitz weiß zu verblüffen und zu unterhalten, sondern auch die Einfälle, die der aus dem Original bekannten Handlung einen neuen Verlauf geben – und natürlich eine ganz andere Bedeutung. Dann wird’s auch richtig spannend.
Natürlich erfordert das Nachvollziehen der umgekehrt proportionalen Sprachlogik, die das Ding™ der Macht von seinem Träger ebenso wie vom Leser verlangt, eine gewisse Verknotung der Hirnspiralen, aber das macht nix. Denn da ist es bereits zu spät. Die Verknotung hat insgeheim bereits mit der Interpretation des Kanakischen begonnen, dessen sich die Zwerge, besonders ihr Anführer Mori, befleißigen. Ja, servus, Verstand, und bei den Metaphern hört ja sowieso alles auf.
Eine gewisse Ähnlichkeit zu Terry Pratchetts Scheibenweltromanen mag ja vorhanden sein – auf dem Titelbild ist eine verdächtig wirkende Truhe mitsamt Insassen zu sehen -, doch schon nach wenigen Seiten ist klar, dass die Parodie vor allem den Medienrummel um Tolkien und die Herr-der-Ringe-Verfilmung aufs Korn nimmt, und das mit Erfolg, wie ich meine.
Das Buch bildet auch für besonders fanatische Tolkien-Fanatiker (oje, ein weißer Schimmel!) noch eine Bereicherung. Kein Fehlkauf, checkst du, sondern voll korrekt. Küss die Hand.