Peter Robinson – Ein seltener Fall

Endlich hat Chief Inspector Alan Banks Zeit gefunden, um einen entspannten Urlaub in Griechenland zu verbringen. Ein Zeitungsartikel aus seiner Heimat bringt ihn jedoch dazu, sofort wieder abzureisen. Seit seiner Kindheit, als sein Freund Graham spurlos verschwand, trägt er ein schweres Schuldgefühl mit sich herum. Kurz zuvor war der junge Banks von einem Fremden belästigt worden, ohne diesen Vorfall der Polizei oder seinen Eltern zu melden. Bis heute fürchtet er, der Unbekannte könnte der Mörder seines damaligen Freundes gewesen sein.

Fünfunddreißig Jahre später wurde nun das Skelett von Graham gefunden, tief vergraben unter der Erde, Todesursache noch unklar. Alan Banks verspürt den dringenden Wunsch, seinen Teil bei der Klärung beizutragen und stellt sich den ermittelnden Behörden zu Verfügung. Dabei wird er mehr, als ihm lieb ist, mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, während er krampfhaft versucht, sich an Hinweise aus seiner Kindheit zu erinnern, die bei der späten Klärung helfen könnten.

Zur gleichen Zeit verschwindet in Yorkshire der fünfzehnjährige Luke, Sohn eines ehemaligen Fußballstars, und Banks Kollegin und Exfreundin Annie Cabbot ermittelt. Was zunächst nach dem harmlosen Ausreißen eines Teenagers aussieht, entpuppt sich bald als brisanter Kriminalfall. Zwei verschwundene Jungen zu verschiedenen Zeiten, deren Fälle parallel bearbeitet werden, halten Banks und Annie in Atem …

Psychologischen Tiefgang ist allen Alan-Banks-Romanen zu Eigen, dennoch verspricht „Ein seltener Fall“ eine ganz besondere Brisanz durch die persönliche Verwicklung der Hauptfigur.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Das Verschwinden seines Freundes Graham ist seit jeher ein Mysterium, das Inspector Alan Banks nie losgelassen hat. Tatsächlich hält er es sogar für möglich, dass jener ungelöste Fall ihn dazu brachte, die Polizeilaufbahn anzutreten. Treue Leser der Alan-Banks-Reihe kennen dieses Erlebnis, das seit Jahrzehnten an ihm nagt, und die Schuldgefühle, die er nicht einmal seiner damaligen Ehefrau anvertraut hat. Umso spannender ist es zu verfolgen, wie dieser spezielle Fall wieder aufgerollt wird. Kaum weniger als Alan Banks selbst drängt es den Leser, endlich zu erfahren, wer für den Tod von Graham verantwortlich ist. Zum einen steht die Frage im Raum, ob wahrhaftig der finstere Fremde, der Banks damals auf der Brücke belästigte und fast in den Fluss warf, der Entführer und Mörder war und Banks durch sein Schweigen die Aufklärung verhinderte. Auch wenn er nicht der Schuldige sein sollte, hofft man inständig, dass man auch nach Jahrzehnten noch den Mörder findet – ein denkbar schwieriges Unterfangen.

Parallel dazu bangt man um den gerade verschwundenen Luke Armitage. Nach anfänglichem Zweifel bewahrheitet sich schnell der Verdacht auf eine Entführung – und womöglich noch Schlimmeres. Die Ermittlungsarbeit wird Annie Cabbot durch den Eigensinn des berühmten Vaters, Fußballheld Martin Armitage, erschwert, der wenig Bereitschaft zeigt, mit den Behörden zu kooperieren. Die Palette der Verdächtigen ist groß und es dauert sehr lange, ehe der wahre Täter feststeht. Da der verträumte Luke Schwierigkeiten mit seinem dominanten Stiefvater hatte, können die Eltern nicht außer Acht gelassen werden. Ebenso infrage kommen geheimnisvolle Freunde, die schlechte Gesellschaft bedeuten können, sowie andere zwielichtige Figuren in seinem Umfeld. Unklar ist ebenso, ob es sich um eine vorsätzliche Entführung handelt und Geld tatsächlich eine Rolle spielt oder Luke anderweitig aus dem Weg geräumt werden musste.

|Persönliche Verwicklungen|

Wie immer ist Alan Banks ein überzeugender Charakter, ein sympathischer Ermittler, unaufdringlich und doch sehr präsent. Seine frühere Affäre mit seiner Kollegin Annie steht nach wie vor im Raum, und es fällt beiden nicht leicht, zusammenzuarbeiten und sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Parallel dazu entwickelt er zartes Interesse für seine neue Kollegin Michelle, die den Mord an Graham untersucht. Banks ahnt nicht, dass Michelle ihre kleine Tochter vor einigen Jahren durch einen Autounfall verloren hat, dass ihre Ehe daraufhin zerbrach und sie seither bei Männern auf Distanz geht. Die aufkeimende Liebesgeschichte drängt sich glücklicherweise nie in den Vordergrund, stattdessen dreht sich die Handlung vordergründig stets um die beiden Kriminalfälle – also gewiss keine Schnulzengefahr.

|Kleine Schwächen|

Grundsätzlich lassen sich die Inspector-Banks-Romane in beliebiger Reihenfolge lesen, doch dieser Band richtet sich eher an Leser mit Vorkenntnissen. Sowohl die frühere Affäre mit Annie Cabbot als auch seine gescheiterte Ehe mit Exfrau Sandra spielen unterschwellig eine Rolle, und auch das jahrzehntelange Trauma wegen des Mysteriums um Graham erhält seinen besonderen Reiz, wenn der Leser diesen Fall aus früheren Werken kennt. Ein kleiner Schwachpunkt ist zudem die eigentlich überflüssige Verquickung der beiden Fälle. Jeder für sich hätte genug Potenzial, um ein eigenes Buch zu füllen; da die beiden verschwundenen Jungen und die Täter nichts miteinander zu tun haben, verwirren die ähnlich ausgerichteten Ermittlungen unnötig. Bei der Aufklärung des Mordes an Graham spielt außerdem ein folgenreicher Zufall Alan Banks in die Hände, was einen faden Beigeschmack hinterlässt.

_Als Fazit_ bleibt ein solider und spannender Roman aus der Inspektor-Banks-Reihe mit Fokus auf die persönliche Beteiligung des Ermittlers. Kleine Schwächen verhindern, dass er sich unter den besten Fällen von Banks einreiht, auch als Einsteiger ist er aufgrund der Notwendigkeit hilfreicher Vorkenntnisse nicht geeignet.

_Der Autor_ Peter Robinson wurde 1950 in Yorkshire geboren. Er studierte englische Literatur und lebt seither in Toronto. Bekannt wurde er hauptsächlich mit seiner Kriminalreihe um Inspector Alan Banks, die mittlerweile mehr als fünfzehn Bände umfasst und für die er bereits mehrere Preise erhielt, z. B. den |Arthur Ellis Award| und den |Schwedischen Krimipreis International|. Zu seinen Werken gehören unter anderem „Ein unvermeidlicher Mord“, „In blindem Zorn“, „In einem heißen Sommer“ und „Wenn die Dunkelheit fällt“.

Taschenbuch: 463 Seiten