Peter Robinson – Das verschwundene Lächeln [Alan Banks 6]

In einer englischen Kleinstadt wird ein Kind entführt. Die ohnehin wenig hoffnungsfrohe Polizei ist erst recht alarmiert, als sich als potenzielle Täter ein gruseliges Pärchen herausschält, das aus Freude mordet, dies bereits getan hat und sicherlich fortsetzen wird, wenn man sie nicht möglichst zeitnahe aus dem Verkehr zieht … – Moderner, sehr mainstreamiger Kriminalroman, was bedeutet, dass Gesellschaftskritik, Gefühlsaufruhr und Privatprobleme der Beteiligten den Fall oft die Handlung dominieren: Gerade deshalb ist die Alan-Banks-Reihe, deren 6. Band dies ist, bei einem entsprechend geeichten Publikum ungemein beliebt.

Das geschieht:

Eastvale, ein Städtchen in der englischen Grafschaft Yorkshire, vermarktet sich gern als idyllischer Wohn- und Ferienort. Detective Superintendent Gristhorpe und sein Untergebener, Freund und potenzieller Nachfolger Detective Chief Inspector Alan Banks kennen nur zu gut die Schattenseiten. Dieses Mal ruft man sie in ein Viertel, über das die Stadtväter gern den Mantel des Schweigens breiten. Gestrauchelte und Gestrandete hausen hier arbeits-, antriebs- und hoffnungslos: Menschen wie Brenda Scupham, deren siebenjährige Tochter Gemma entführt wurde. Die Kidnapper gaben sich als Mitarbeiter des örtlichen Sozialamtes aus, und Brenda – die glaubte, man sei ihr dahintergekommen, dass sie ihr Kind vernachlässigte – ließ Gemma mit den Fremden gehen, die keineswegs für die Behörde tätig waren.

Was ist mit Gemma geschehen? Wer hat sie entführt – und wieso? Lösegeld wird nicht gefordert, ein Sexualverbrechen seitens der Polizei befürchtet. Verdächtige gibt es genug. An oberster Stelle der Liste steht Les Poole, Brendas Lebensgefährte, ein kleiner Gauner, Säufer und Tagedieb, dem Gemma stets ein Dorn im Auge war. Aber die Tat verrät eine kriminelle Energie, die Poole nie aufbringen könnte.

Gristhorpe und seine Leute setzen die Indizien mit Unterstützung der Psychologin Jenny Fuller zu einem furchterregenden Bild zusammen: Offenbar treibt ein serienmordendes, gut organisiertes Psychopathen-Pärchen sein Unwesen. Als Wanderer in einer aufgelassenen Bleimine eine Leiche finden, fürchtet die Polizei das Schlimmste. Aber sie birgt einen toten Mann: Carl Johnson, Teilzeit-Gärtner, Ex-Sträfling und Gelegenheits-Dieb, wurde ausgeweidet wie ein Fisch. Er teilte einst mit Les Poole eine Zelle. Als Banks den Ganoven in die Zange nimmt, enthüllt dieser, dass zwei neue Gesichter in Eastvales Unterwelt aufgetaucht sind: Jeremy Chivers, genannt „der Lächler“, und seine ihm hörige Freundin jagen sogar abgebrühten Gewohnheitsverbrechern Schauder über die Rücken, denn sie zeigen sich fasziniert von Gewalt und Leid …

Krimi zum Nicht-allzu-sehr-aufregen

Zwar ist dieser Roman noch recht früh in der Alan-Banks-Serie anzusiedeln, doch er erschien in Deutschland erst nach dem Publikumserfolg der späteren Bände. Die Lebensgeschichten und Fälle – die Grenzen sind da fließend – der Polizisten der Polizeistation Eastvale konnten wir seither ausführlich kennen- und schätzen lernen: Robinson plottet und schreibt zum einen grundsolide englische Polizei-Thriller, die zum anderen genau den richtigen Ton beim (deutschen) Krimi-Mainstream-Leser treffen: spannend, aber nicht zu aufregend oder gar düster und zynisch, platziert in der ländlich-heimeligen, typisch britischen Provinz und ordentlich versetzt mit Seifenoper-Elementen.

Das Ergebnis ist die ideale Feierabend- und Ferienlektüre, was nicht zwingend abwertend gemeint ist: „Das verschwundene Lächeln“ liest sich flott und ohne Längen, wobei man sich nie vom Verfasser für dumm verkauft vorkommt. Nur gibt es eben keine Überraschungen; nicht eine. Auch die angeblichen Ecken und Kanten der Figuren sind eigentlich keine. Robinson stattet seine Protagonisten nur damit aus, weil so etwas im modernen Kriminalroman üblich ist. Wie halbherzig er dabei vorgeht, verrät der lang erwartete Auftritt des berüchtigten Sergeanten Hatchley, der als Polizist angeblich so über die Stränge schlug, dass man ihn vorsichtshalber in die tiefe Provinz versetzen musste: Es erscheint ein großmäuliger, aber liebenswerter Bär, der ein bisschen brummt, um damit einen verstockten Berufskriminellen zum Reden zu bringen – eine Episode, die man als Leser mit Humor nehmen sollte, weil sie einfach nicht funktioniert.

Auf der Haben-Seite haben wir eine Geschichte, die zum Teil auf einer wahren Begebenheit basiert. Robinson macht kein Geheimnis daraus, dass er sich auf den Fall des Yorkshire-Rippers stützt, der zwischen 1975 und 1980 für Angst und Schrecken (und Furore) sorgte. Als Robinson „Das verschwundene Lächeln“ 1992 schrieb, waren des Rippers Untaten (und das haarsträubende Versagen der Polizei) noch sehr präsent.

Abgründe und Untiefen

Inzwischen kann der Serienkiller längst keinen Ausnahme-Status mehr für sich beanspruchen. Jeder Grundschüler weiß heute, was ein „Profiler“ ist. Das lässt jene Passagen, in denen Jenny Fuller quasi für den Leser über den Serienmord doziert, ein wenig in die Länge gezogen wirken. Zudem überkommt den Verfasser hier und da der Drang, über die Schlechtigkeit der Welt zu lamentieren, was leicht in eine Pflichtübung abgleitet; Alans Banks schier endloses Telefonat mit seinem Kollegen Piet Kuypers von der Amsterdamer Polizei über das Thema Kindesmissbrauch ist eine dieser der Handlung aufgepfropften Gardinenpredigten.

Was gut geschürt wird, ist die dunkle Furcht vor menschlichen Abgründen, die besonders von politisch korrekten Zeitgenossen gern totgeschwiegen werden, da diese der festen Überzeugung sind, Probleme ließen sich auf diese Weise am besten ‚lösen‘. Robinson beschwört diese Angst beklemmend herauf. Das ist einfach, wenn Kinder zum Objekt des Verbrechens werden. Sofort greift der Reflex, die besonders Hilflosen und Schwachen zu schützen. Begleitet wird er von der deprimierenden Erkenntnis, dass dies selbst bei gutem Willen nicht immer gelingen kann. Als Autor schwelgt Robinson nicht in scheußlichen Details, sondern bleibt zurückhaltend, arbeitet mit nur Andeutungen und überlässt es dem Leser, die Lücken selbst zu füllen – der Effekt ist noch weitaus Furcht erregender!

Doch dann verrät Robinson sein scheinbares Anliegen durch ein allzu schmalziges, gut gemeintes, aber höchst unrealistisches und der Mehrheit nach dem Mund geredetes Happy-End. Man erkennt, dass besagte Zurückhaltung womöglich nicht literarisches Instrument ist, sondern hauptsächlich aus der Angst vor der eigenen Courage oder dem Zorn der Leserschaft geboren wurde. Diese Kritik sei auf keinen Fall mit dem Ruf nach plakativer Gewalt und Blutbädern gleichgesetzt. Nur: Wenn er über ein Feuer schreibt, muss der Chronist schon ein bisschen näher an die Flammen, um seinen Lesern mehr zu bieten als ein bisschen Qualm aus sicherer Entfernung!

Autor

Peter Robinson wurde am 17. März 1950 in Castleford in der englischen Grafschaft Yorkshire geboren, in der auch seine Kriminalromane angesiedelt sind. Sein Studium (Englische Literatur) begann er an der Universität von Leeds, um es ab 1974 in Kanada fortzusetzen und abzuschließen.

Als Schriftsteller wurde Robinson durch seine Krimi-Serie um Inspector Alan Banks bekannt, der im (fiktiven) Eastvale (Yorkshire) tätig ist. 1987 mit „Gallows View“ (dt. „Falle für Peeping Tom“/„Augen im Dunkeln“) gestartet, wird sie bis heute fortgesetzt. Der Erfolg steigerte sich durch die TV-Serie „DCI Banks“, die der englische Sender ITV zwischen 2010 und 2016 in 32 Folgen ausstrahlte.

Peter Robinson lebt in Toronto, besitzt aber auch einen Hof im nördlichen Yorkshire.

Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Wednesday’s Child (New York : Charles Scribner’s Sons 1994)
Übersetzung: Andree Hesse
https://www.inspectorbanks.com
https://www.ullsteinbuchverlage.de

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