Die Anforderungen der Zukunft, insbesondere in der Raumfahrt, löst die Menschheit durch extreme Anpassung: Man hat Mensch und Maschine miteinander verschmolzen und sich dadurch Möglichkeiten geschaffen, die sowohl einem zerbrechlichen Menschenkörper als auch einer robusten, aber geistlosen Maschine verschlossen geblieben wären.
Der angepasste Mensch „Voyager Lonestar Isol“, quasi eine menschliche Raumsonde, endeckt auf seinem Erkundungsflug ein außerirdisches Artefakt. Dieses entpuppt sich als Überlichtantrieb aus einem unbekannten Stoff, der es Isol erlaubt, in das Herkunftssystem des Antriebs zu reisen. Dieses ist erdähnlich und zur Besiedlung durch Menschen geeignet. Aber absolut unbewohnt. Von den Erbauern des Antriebs fehlt bis auf verlassene und vollständig leer geräumte Städte jegliche Spur.
Isol sieht in dem Planeten eine Chance für die „Angepassten“. Sie könnten auf diesen Planeten auswandern. Schon seit langen kriselt es zwischen „Unangepassten“ und „Angepassten“. Erstere stellen oft das Menschsein der Angepassten in Frage, Letztere fühlen sich ausgebeutet bis hin zur Sklaverei, aber auch den „funktionslosen“ und anfälligen Unangepassten überlegen.
Doch es gibt Zweifel an der von Isol vorgeschlagenen Welt: Sie umkreist nicht wie von Isol angegeben den Stern Zia Di Notte … sondern einen anderen, oberflächlich sehr ähnlichen. Wird Isol von dem außerirdischen Artefakt beeinflusst?
_Die Autorin_
Die Engländerin Justina Robson (* 1968) machte sich in Deutschland vor allem durch ihren zweiten Roman [„Mappa Mundi“ 176 einen Namen, der für den |Arthur C. Clarke Award| nominiert wurde. „Mappa Mundi“ wird oft als intelligenter und anspruchsvoller Science-Fiction-Thriller mit einem Hauch Cyberpunk beschrieben, der in naher Zukunft spielt. Mindestens genauso anspruchsvoll präsentiert sich dieses Buch – in dem Sinne, dass Robson dem Leser viel Konzentration und Geduld abverlangt. Denn das Prädikat „intelligent“ möchte ich diesem Roman nicht verleihen, zu unausgegoren, verzettelt und widersprüchlich präsentiert er sich dem Leser. Trotzdem wurde auch er für den |Arthur C. Clarke Award| nominiert – vermutlich dank einiger faszinierender Ideen, die Robson präsentiert.
_Viele Ideen, aber keine Linie_
Die Stärke des Romans ist die Darstellung einer fremdartigen Welt, in der normale und „angepasste“ Menschen wie selbstverständlich miteinander leben und umgehen. Die Angepassten sind oft hochspezialisiert in ihrer Form und Funktion, trotzdem sind sie im Geiste durch und durch menschlich. So gibt es eine flugzeuggroße „Passagiertaube“, in der die Anthropologin Zephyr Duquesne, die für General Machen den Planeten Isols untersuchen soll, quasi durch den After einsteigen darf. Desweiteren gibt es einen rabenähnlichen Angepassten namens Corax, der Analysen anhand seines Geschmackssinns durchführt und in Drogenhandel verstrickt ist. Dass eine von Zephyrs Internet-Bekanntschaften, mit der sie sich sehr verbunden fühlt durch ihre gemeinsame Vorliebe für Trilobiten, sich als eine Art Qualle entpuppt, verwundert da schon gar nicht mehr, amüsiert aber ungemein. Dazu kommen noch kilometergroße Terraformer-Wesen, genannt Gaiaforme, oder riesige menschliche Raumtransporter wie „Ironhorse Timespan Tatresi“. Neben den menschlichen Angepassten gibt es noch die „MekTeks“, meist technologisch aufgemotzte Menschen, aber oft auch nur niedere Tier-Maschine-Hybriden.
Bei all diesen Schilderungen fällt eines auf: So sehr die Angepassten auch an ihre Aufgabe angepasst und auf sie konditioniert sind – Isol zum Beispiel ist nahezu autistisch und kann die Einsamkeit ihrer langen Reisen so verkraften, ihr herausragendster Trieb ist ein ebenso künstlich geschaffener Entdeckerdrang -, denken und verhalten sich alle Angepassten durchweg menschlich. Sie greifen zu ihrer Repräsentation stets auf menschliche Avatare zurück, auf Bildschirmen oder als Hologramm. Dies gibt Gesprächen zwischen einer knapp hundert Meter großen Passagiertaube, die sich mit ihren Fluggästen unterhält, eine ganz eigenartige Note. Besonders wenn vogelähnliche Angepasste wie Corax mit den Geschmacksknospen ihrer Zunge etwas analysieren und tierische Verhaltensweisen mit menschlichen mischen, erhält die Geschichte einen sehr surrealen und exotischen Touch.
Das muss dem Leser aber auch reichen. Denn aus dem vermeintlichen Erstkontakt-Roman inklusive möglicher unheimlicher Beeinflussung einer Angepassten durch ein Artefakt, was zu Aufständen und Konflikten zwischen den beiden Menschenarten führen könnte, macht Justina Robson nahezu nichts. Die möglicherweise spannende Geschichte mit dem außerirdischen Artefakt dümpelt lange Zeit unbeachtet im Hintergrund, während sich Robson in der Schilderung der Beziehungen zwischen Menschen und Angepassten verliert und viele neue Fäden spinnt, ohne diese zu einem Ende zu bringen. So wachsen junge Angepasste in einer virtuellen Welt auf, in der sie u. a. auch Mensch sein können, oder was auch immer sie wollen, und wo sie die nötigen Fähigkeiten für ihre spätere Aufgabe erlernen. Viele versuchen, sich mit Drogen wieder in diese Traumwelt ihrer Jugend zu versetzen, ein andermal schildert uns Robson aus der Sicht des Angepassten Gritter, wie dieser unangepasste Menschen sieht – er wird als Mensch in eine Virtualität versetzt und fühlt sich entsetzlich schwach und hilflos.
Der Sinn dahinter? Nun, viele interessante Themen wurden angerissen, aber nicht zu Ende ausgeführt. Das trifft auf alle der vielen inkonsequenten und sich widersprechenden Abschnitte der Handlung zu. Könnte man den Entschluss der als Einzelgängerin geschaffenen Isol, sich auf einmal in diesem Ausmaß für alle einzusetzen, noch mit dem Einfluss durch das Artefakt erklären, beißt sich der dringliche Auswanderungswunsch mit der Tatsache, dass die meisten Angepassten nahtlos in die menschliche Gesellschaft integriert sind. Auf der fremden Welt selbst findet sich lange Zeit nur eines: gähnende Langweile.
Denn über den vermeintlichen Kontakt oder Konflikt mit einer außerirdischen Spezies schreibt Robson rein gar nichts. Genausowenig wird hinsichtlich der unbekannten Welt unternommen; man schickt Zephyr Duquesne hin, die leider ebenfalls nichts findet außer der erwähnten Überdosis Langweile. Auf politischer Ebene – auch diese Komponente reißt Robson an – bleibt der Konflikt zwischen unangepassten und angepassten Menschen genauso harmlos. Man unterhält sich. Es passiert nicht wirklich etwas Weltbewegendes. Der Eindruck einer eminent wichtigen Entscheidung entsteht beim Lesen des Romans erst gar nicht.
Justina Robson bedient sich im Englischen einiger blumiger Wortschöpfungen, die in der deutschen Übersetzung, die relativ holprig ist, noch seltsamer als im Original erscheinen. Einige Sätze sind nahezu sinnfrei und unfreiwillig komisch geraten. Da sich Robson einer eigenwilligen Metaphorik bedient, musste Übersetzer Dietmar Schmidt oft entsprechende deutsche Äquivalente finden oder erfinden, was unter anderem mit Händen, die sich wie thailändische Tänzer bewegen, endete. Nachkorrigiert hat offenbar niemand, denn vor Tipp- oder Sinnfehlern sowie seltsamen Satzbau strotzt das ganze Buch nur so (Bereits auf S. 9: |“… ihr Kraftstoffverbrauch geriete ins Ungleichgewicht zum Kraftstoff, der voraus für sie verfügbar war.“| – Ausgesprochen ungelenk übersetzt. S. 50 |“… um sein eigenes Frühleben aus den Akten tilgen zu lassen“| – wie wäre es mit Vorleben?).
_Fazit_
Das alles wäre zu entschuldigen durch die phantasievolle Schilderung von Menschen und Angepassten in Robsons Welt, in der Surrealität zum Alltag gehört, was mich des Öfteren zwar irritierte, aber auch in den Bann zog. Leider kann Robson ihre interessanten Ideen nicht wirklich vermitteln. Ihre beständige absolute Vermenschlichung körperlich fremdartigster Geschöpfe mag zwar eine ideologisch lobenswerte Einstellung sein, ist jedoch nicht wirklich überzeugend. Zu oft lässt sie einen Erzählstrang einfach fallen und schneidet ein anderes Thema an. Das tut der Geschichte nicht gut, sie wirkt verzettelt und unausgereift, lässt einen strukturierten Handlungsverlauf vermissen. Zumal so auch keinerlei Spannung aufkommen kann, wie man aus dem Klappentext vermuten könnte. Die Fähigkeit mancher ihrer Kollegen, ein Buch zum Pageturner zu machen, fehlt Justina Robson vollständig. Die handelnden Personen bleiben blass und austauschbar, doch das kann man verschmerzen – es geht Robson mehr um die Präsentation von Ideen an sich, ihre Personen sind dabei nur Beiwerk und Hilfswerkzeug dazu. Ihre interessanten und oft humorvollen Gedankengänge sind zweifellos erstklassig, als Schriftstellerin oder Erzählerin versagt sie jedoch kläglich.
Das Buch bietet ein geradezu stereotypisches Happyend – allerdings wurden so viele Fragen nicht beantwortet und so viele Möglichkeiten auch in dramaturgischer Hinsicht nicht ausgenutzt, dass man zwischen zwei Eindrücken schwankt: Man hätte dieses Buch entweder drastisch kürzen oder verlängern müssen. Mag man die sprachlichen Schwächen zum Teil der Übersetzung zuschreiben, die Konzeption des Romans selbst kann man nur Justina Robson anlasten. Schade; hätte sie sich nicht verzettelt und etwas mehr Esprit und schriftstellerisches Geschick bewiesen, hätte man daraus zwei bis drei gute Geschichten machen können. So bleibt es leider bei einem bemühten Sammelsurium von Ideen, die alle etwas Besseres verdient hätten als diese bestenfalls laue und zusammengestückelte Geschichte.
Homepage der Autorin:
http://www.justinarobson.com/