Rößler, Armin (Hrsg.) – Überschuss

Bereits in die dritte Runde geht die Anthologiereihe des |Wurdack|-Verlages. Leider sind „Deus Ex Machina“ und [„Walfred Goreng“, 844 die Vorgänger dieser Anthologie, an mir vorüber gegangen, aber wenn „Überschuss“ eine konsequente Fortsetzung in Auswahl und Präsentation darstellt, sind auch die ersten beiden SF-Kurzgeschichten-Sammlungen eine nähere Betrachtung wert.
Der Herausgeber Armin Rößler spricht im Vorwort von einer Bewegung im Kurzgeschichtenbereich, von einer „positiven Entwicklung“. Diese ist an eine kreative Schicht von Autoren gebunden, die sich aktiv um eine Veröffentlichung ihrer Werke bemühen und dabei zunächst nicht mit den großen Serien an die Öffentlichkeit treten, sondern ihre Ideen in kurzen Geschichten ausformulieren und dabei ein in Deutschland wenig genutztes Sprungbrett für sich entdecken, das besonders durch den fehlenden Markt für Pulp- und SF-Magazine wenig Aussicht auf Erfolg verspricht.
Aber vielleicht ist auch nur die Zeit der großen Verlage vorbei, die neben |Star Trek| ab und zu ein Erstlingswerk wagen.
Also her mit den Autoren der neuen deutschen Literatur!

Die Titelgeschichte von Torben Kneesch präsentiert eine Methode zur Entsorgung menschlichen Überschusses, die die Motive von Zeitreise und Kälteschlaf mischt. Nicht wirklich neu, aber in seiner logischen Konsequenz sehr gut vorstellbar. Eigentlich fehlt nur die Technik, sonst könnte Kneeschs sarkastische Vision Realität sein.

Ähnlich dicht an die bekannte Welt lehnt sich auch Lutz Herrmanns „Der Irrtum“ an. Kaltes Managergehabe in einer gefühlsarmen Welt. Der Sieg des kleinen Mannes hinterlässt einen fahlen Geschmack, die Story bleibt im Grunde pessimistisch. Solide, wenn auch wenig inspirierend.

„Barrieren“ von Armin Rößler hat es schwer. Der Stoff ist für eine Kurzgeschichte eigentlich zu umfangreich. So bleiben zu viele Fragen übrig. Die Hauptfigur, die hier eine kolossale Weiterentwicklung der Evolution symbolisiert, bleibt ungewohnt blutarm.

Fritten ins Weltall schießt Birgit Erwin mit ihrer Groteske „Nur ein Gedanke“. Witzig, überraschend und kurz. Definitiv eine Glanzleistung der spacigen Frittierkunst.

„Der Spaziergang“ von Markus K. Korb überzeugt in der präzisen und detailgetreuen Beschreibung eines „Lost in Space“-Erlebnisses. Allerdings hinterlässt diese kurze Skizze keine bleibenden Eindrücke, es fehlt ihr die Idee für eine Geschichte.

Die Mediensatire „Der Untergang der Titan“ von Bernhard Weißbecker verhilft den öffentlich-rechtlichen Sendern zu unverhoffter Unterstützung. Das unmenschliche Gerangel um die Übertragungsrechte der letzten Stunden einer vom Untergang bedrohten Raumschiffbesatzung ist pointiert und absolut realistisch in Szene gesetzt.

Andrea Tillmanns begleitet in „Nicht ganz Atlantis“ ein junges Mädchen, das die Grenzen ihrer Welt kennen lernt. Eine unaufdringliche Erzählung, die besonders durch die einfühlsame Sprache auffällt und dabei dennoch ein gewichtiges Thema angeht: Die menschliche Zivilisation ist nur eine hauchdünne Schicht über den Trieben des Tieres Mensch.

Eine rabiate Art zukünftiger Bestrafungen präsentiert Peter Hohmann in „Strafvollzug“: Den Delinquenten wird das aufgebrummte Strafmaß in Form von Lebenskraft entzogen. Leider ist der Plot selbst zu vorhersehbar und wenig fesselnd.

In „Wider Willen“ werden Tradition und Familienehre einer Kolonialwelt in Frage gestellt. Mit drastischen Mitteln versucht ein Vater, seinen Sohn zu einer Vernunftehe zu zwingen, allerdings gibt es genau gegen diese Ehen ein Gesetz; man soll nur aus Liebe heiraten. Die Geschichte lässt den Leser irritiert zurück, handelt es sich doch um eine unübliche Science-Fiction-Story, die am ehesten noch mit einer „Darkover“-Erzählung zu vergleichen ist.

Der Horror geht um im „Festtagsprogramm“ von Thorsten Küper. Die Raumstation Lowell ist Schauplatz einer grausigen Auseinandersetzung, die actionreich, mit Sarkasmus und einer gehörigen Menge Blut unter die Haut geht. Die Darstellung ist dabei sehr plastisch, was der Atmosphäre zugute kommt.

Nina Horvaths „Spirale“ ist ein kurzer philosophischer Moment. Wenn auch wenig passiert, enthält die Kurzgeschichte genau jene Nachdenklichkeit, die nach dem gruseligen „Festtagsprogramm“ angebracht scheint. Die Frage, inwieweit das Leben in vorgefertigten Abläufen stagniert, und wie man diese durchbrechen kann, ist eindringlich bearbeitet worden.

„Der Besucher“ ist ein Alien vom Planeten Xeracox, der die Erde bereist und dort so seine Erfahrungen macht. Die leichtfüßige Geschichte von Uwe Herrmann macht Spaß, ohne dabei mehr zu wollen.

Da hat es der Besucher in „Albas bestes Spiel“ von V. Groß schon schwerer. Um sein Leben wird gespielt. Die Geschichte ist solide, beschränkt sich aber mehr auf die Personen als auf eine tatsächliche Story.

Edgar Güttge bleibt seinem Ruf als Meister der Groteske treu. „Flasken“ ist eine großartige Parodie mit bösen Seitenhieben, neckischen Einfällen und einer temporeichen Erzählweise, die begeistert. Für mich ist Güttke eines der großen erzählerischen Talente unter den unentdeckten Autoren.

Nicht minder hochwertig geht es mit Ilka Sehnerts „Das Buch“ weiter. Im Autorenkästchen, deren Präsenz zu Beginn jeder Geschichte zunächst irritiert, aber zunehmend interessanter wird, stellt man die Schauspielerei der Autorin als Ursache für ihren knappen und rhythmischen Sprachstil dar. Tatsächlich fällt er aus den Rahmen der übrigen Texte; von graziler Schönheit, ist die Wiederfindung einer natürlichen Fortpflanzung auch inhaltlich ein Glanzstück dieser Sammlung.

Die Realität in Frage stellt Bernhard Schneider in „Der Bewohner“. Die Geschichte zielt auf die Pointe ab und ist trotz des bereits arg strapazierten Themas lesenswert.

Die dritte herausragende Geschichte der Anthologie ist Antje Ippensens „Alles wandelt sich“. Die grüne Evolution wird in treffsicheren Bildern und Wortspielen ausgeführt, sie wächst quasi zur vollen Blüte. Es ist bewundernswert, wie leicht der Autorin der Umgang mit dem pflanzlichen Sujet fällt, wie einleuchtend ihr die GRASWURZELDIMENSION (welch Wort!) gelingt.

Uwe Sauerbrei beschreibt eine etwas andere Art der Verwandlung in „Allmacht“. Aus einer sehr genau und detailliert dargestellten Alltagszenerie heraus entwickelt er eine Mutation über den menschlichen Status Quo hinaus, bis die Grenzen der Schöpfung erreicht werden. Nach dem außergewöhnlichen Besuch der GRASWURZELDIMENSION erscheint die Erzählung etwas bieder.

Die Anthologie endet abrupt mit der „Fallstudie: Terroristin Jenny S.“ von Heidrun Jänchen. Hier wird recht gefühlvoll die Auswirkung einer rigiden Einsetzung der Klontechnologie beschrieben. Jenny Seidel gerät in die Zerhacker einer genmanipulierten Gesellschaft, in der es normal ist, Klone als Ersatzteillager zu halten. Mit dieser bedrückenden Geschichte verschiebt sich die Waage der besonders guten Geschichten in dieser Anthologie noch weiter hin zur weiblichen Seite.

„Überschuss“ ist besonders im zweiten Teil eine Sammlung überaus interessanter und beeindruckender Erzählungen und Shortstorys. Armin Rößler und der |Wurdack|-Verlag sorgen dafür, dass der deutsche SF-Markt eine kreative Unterfütterung mit dem Nährboden guter Phantastik erhält: Brillante Kurzgeschichten.

© _Ralf Steinberg_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|