Ronald Gerste – Wie das Wetter Geschichte macht; Katastrophen und Klimawandel von der Antike bis heute

Hagel, Blitz & Donner: Welt-Geschichte in Wetter-Geschichten

„Hitzejahre, klirrende Kälte, Sturmfluten: Eindrucksvoll zeigt Ronald Gerste, wie langfristige Klimaveränderungen und einzelne Wetterereignisse sich auf die Gesellschaften und die Kulturen der Menschheit auswirkten und sogar den Verlauf der Geschichte beeinflussten.“ (Verlagsinfo)

Ebenso wichtig ist laut Autor das Thema Klimawandel in seiner Bedeutung für Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft der Menschheit. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass dieses Buch kurz vor dem Pariser Weltklimagipfel veröffentlicht wurde. Können dessen Teilnehmer wirklich etwas daraus lernen?

Der Autor

Ronald Gerste, geboren 1957, ist Arzt und Historiker. Er lebt heute als Buchautor und Wissenschaftskorrespondent in Washington, D.C. Er schreibt u.a. für die FAZ, „Neue Zürcher Zeitung“, „Damals“ „Mare“ und „Die Zeit“.

Inhalte

Prolog

Das um das Jahr 1000 herum ein Grönländer Farmer zwei Kilometer hinüber zu einer Insel waten kann, um ein paar verirrte Schafe zu retten, mutet heute, nach Epochen der Eiszeit, sonderbar an. Aber um 1000 n. Chr. herum herrschte eine Warmzeit, die die Wikinger unternehmungslustig machte und es ihnen erlaubte, durch nicht (mehr oder noch nicht) vorhandenes Packeis schnurstracks bis nach Neufundland zu segeln, das sie Vinland nannten: Weinland. Für diese Benennung hatten sie sicher einen guten Grund.

Dieses und viele weitere Beispiele sollen belegen, was der Autor mit seinem Buch beansprucht: nämlich die These, dass Wetter nicht nur punktuell an historischen Brennpunkten wie einer Schlacht (Waterloo, Salamis usw.) eine entscheidende Rolle spielte, sondern dass die Gesamtmenge an Wetter, also das Klima, in Regionen und sogar global zu Umwälzungen erstaunlichen Ausmaßes geführt hat. Aber auch Klima und Wetter werden gemacht: Extrem starke Vulkanausbrüche wie die des Toba vor 74.000 Jahren hätten fast die Menschheit ausgelöscht – durch das Phänomen des vulkanischen Winters.

HAUPTTEIL

Da es keine Kapiteleinteilung nach Nummern gibt, sondern lediglich Jahreszahlen entsprechende Zeiträumen eingrenzen, ist es nicht einfach, eine geordnete Beschreibung des Inhalts zu liefern. Aber es lässt sich einordnendes Prinzip erkennen.

Der erste „Abschnitt“ beschäftigt sich mit den 500 Jahren zwischen 200 vor und 300 nach Christus. Diese Zeit nennen Historiker offenbar „Roman climatic optimum“, also das klimatische Optimum in der Ära der Römer. In der Tat lässt sich nachweisen, dass eine Klimaerwärmung dem Mittelmeerraum reichere Ernten bescherte, mit denen sich die rasch wachsende Bevölkerung Roms und seine gigantisches stehendes Heer in allen Teilen des Imperiums (das von Britannien und Tunesien bis in den Irak reichte).

Warum um 200 v. Chr.? Ganz einfach: Die drei Punischen Kriege gegen Karthago waren gewonnen und machten den Weg frei zur Besetzung und Ausbeutung Nordafrikas und bald auch Ägyptens. Außerdem waren die Seewege sämtlich unter römischer Kontrolle und konnten besteuert werden.

Warum nur bis 300 n. Chr.? Weil ab dann eine Kaltzeit einsetzte, die die Ernten missraten ließ. Nicht nur Völker begannen zu hungern, sondern ganze Armeen. Das Weströmische Reich wurde überrannt und ausgelöscht, das Oströmische bestand noch als Byzanz bis zur Eroberung durch die Türken anno 1453.

Nach diesem eher allgemeinen Überblick über die Epoche lässt der Autor zwei konkrete Beispiele folgen, die seine Thesen belegen sollen – und die ob ihrer Anschaulichkeit viel leichter zu lesen, ja, sogar spannend sind.

Beispiel 1: In die rund 1000 Jahre zwischen 500 vor und 500 nach Christus fallen zahlreiche entscheidende Schlachten, aber auch Katastrophen. Anno 480 v.Chr. siegten die vereinten Hellenen in der Seeschlacht von Salamis vor allem deshalb, weil ihnen drei Naturphänomene halfen, den Gegner zu dezimieren und zu behindern: zwei Monsterstürme und der Morgenwind der Ägäis, die „Aura“. Dass Feldherr Themistokles noch eine List anwandte, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen, war sicher auch nicht verkehrt.

Beispiel 2: Hier fragte ich mich allerdings, was eigentlich ein Vulkanausbruch, der ca. 536 am Äquator stattgefunden haben muss, mit dem Ausbruch der Pest sechs Jahre später zu tun haben soll. Der Pesterreger kam per Schiff, Floh und Ratte aus Ostafrika über Ägypten in den Mittelmeerraum. Betroffen waren immer Hafenstädte. Besonders in Byzanz wurde die Bevölkerung von etwa einer halben Million Einwohner um schätzungsweise 244.000 Opfer dezimiert also um fast die Hälfte. Kaiser Justinian selbst entging nur um Haaresbreite dem Tod und regierte noch weitere 23 Jahre.

Warum so viele Opfer durch eine sechs Jahre zurückliegende Vulkaneruption? Und was soll das alles mit dem Wetter zu tun haben? Wie gesagt: Wetter wird gemacht, und zwar von vielen Faktoren. Vulkane sind verheerende Ursachen für Wetteränderungen, ja, sogar Klimaverschiebungen. Sie führten zu vulkanischen Wintern, welche wiederum Missernten oder gar Ernteausfälle verursachten. Schwache und kranke Menschen jedoch haben dem Erreger der Beulenpest weitaus weniger Widerstandskraft entgegenzusetzen als etwa ein gesund ernährter Herrscher. Fazit: Es gilt, immer ganze Kausalketten zu untersuchen, um ein Phänomen erklären zu können.

Frühneuzeit

Es folgt ein weiteres Theorie-Kapitel. Um die Frage zu beantworten, wie wir überhaupt so viel über die Vergangenheit wissen können, wo es doch die bedauernswerten Menschen weder CNN noch YouTube nutzen konnten, listet der Autor die verschiedenen Datierungsmöglichkeiten auf. Um herauszufinden, warum die Maya-Hochkultur zwischen 800 und 1000 ihr Ende fand, bohren zahllose Wissenschaftler im „ewigen Eis“ von Grönland (siehe oben) und der Antarktis. Das erlaubt immerhin einen Blick auf die letzten 900.000 Jahre.

Sedimentbohrungen bringen Pollen ans Tageslicht, die mehrere zehntausend Jahre lang verschüttet waren. Die Kalksteinablagerungen in Höhlen sind ebenso aufschlussreich. Die überlappende Untersuchung von Jahresringen in Bäumen und altem Holz lässt genaue Datierungen bis ins 11. Jahrtausend zu. Höhlenmalereien zeigen Fauna und Flora aus den Epochen vor, während und nach der Eiszeit. Auffallend häufig fiel die Besiedlung einer Region mit der Ausrottung der Großwildtiere überein: Höhlenlöwen – und -bären, Mammuts, Riesenelche – Opfer der höchst effizient gewordenen menschlichen Jäger.

In historischer Zeit lohnen sich vergleichende Notizen, denn Messungen gab es aufgrund fehlender Messapparate und minimalen Informationsaustausches erst ab dem 18. und 19. Jahrhundert. Wie all das praktisch aussieht, zeigt dann wieder ein praxisorientiertes Kapitel, das die mittelalterliche Warmzeit zwischen 950/1000 und 1315 ausführlich beschreibt – eben jene Epoche also, die uns heute so ungemein fasziniert, weil damals die ersten Kathedralen gebaut wurden, die Kreuzzüge stattfanden und etliche neue Technologien entstanden, besonders im Bauwesen und Schiffsbau. (Die Hanse wurde gegründet, erlangte ein Quasi-Monopol und weckte deshalb die Begierde des Dänenkönigs Waldemar, was zu zwei Kriegen führte.)

Zahlreiche weitere Theorie- und Praxiskapitel wechseln sich ab, aber sie alle aufzulisten, würde zu weit führen. Manchen Perioden wie etwa der Kleinen Eiszeit von ca. 1315 bis ca. 1850 sind umfangreichere Kapitel gewidmet, andere wieder beleuchten nur lokale Phänomene wie etwa den Untergang der Stadt Dunwich im Jahr 1709 in den Sturmfluten der Nordsee.

Mein Eindruck

Immer wieder wechseln lokale und globale Phänomene einander ab, so dass keine Langeweile aufkommt. Die lokalen Ereignisse wie etwa die zwei trockenen Jahre 1665 und 1666, die zum Brand Londons direkt nach einer Pestepidemie führten, werden in den größeren Zyklus eingeordnet, der heute Kleine Eiszeit (s. o.) genannt wird. Dennoch fällt es dem Autor manchmal schwer, Gründe für die Klimaschwankungen anzuführen.

Der einleuchtendste Grund ist das vermehrte Auftreten oder das Nachlassen von Sonnenflecken. Wie man weiß, hat das Geschehen auf der Sonne direkten Einfluss auf das Erdwetter, nicht nur aufgrund der Temperaturen, sondern auch wegen der geladenen Teilchen, die als „Sonnenwind“ auf die irdische Atmosphäre einprasseln. Ich denke, dieser Zusammenhang ist noch zu wenig erforscht.

Ein weiterer und durchaus verständlicher Grund ist ein Vulkanausbruch. Die in die Atmosphäre gespuckten Mengen an Asche, Gasen wie CO2 und so weiter verstärken in einem komplexen Wechselspiel einerseits den Treibhauseffekt, blockieren aber andererseits die Sonnenstrahlen auf die Erde. Für den Beginn der Kleinen Eiszeit haben die Archäologen und Historiker nicht weniger als acht große Vulkanausbrüche ausgemacht, die das Klima veränderten.

Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahre 1815 schließlich führte zum berühmten „Jahr ohne Sommer“. Es war genau jenes Jahr, als die Idee eines von Dr. Viktor Frankenstein künstlich geschaffenen Menschen zum ersten Mal erzählt und zu Papier gebracht wurde. (Das Buch erschien erst 1818.) Und auch das Phänomen eines blutsaugenden Unsterblichen wurde in die Welt gesetzt: der Vampyr. Der Grund: Zwei Dichter – Shelley und Byron – und ihre Begleiter erzählten einander Geistergeschichten. Was ihnen leichtfiel, denn es gab am „Tag“ kaum Sonne und es fiel Dauerregen. ((vgl. auch www.winterplanet.de))

Die Textform

Ich habe selten einen Text gelesen, der so voller Rechtschreibfehler daherkam. Die Druckfehler halten sich dabei noch in Grenzen; es sind vielmehr die unzähligen Grammatikfehler, die jedem Deutschlehrer die Tränen in die Augen treiben würden. Alle paar Seiten entdeckte ich einen solchen Fehler in Gestalt einer falschen Wortendung oder eines Wortes wie „gehöhrten“ (statt „gehörten“).

Und alle paar naslang benutzt der Autor das Wörtchen „indes“, um nicht „aber, jedoch, allerdings, hingegen usw.“ schreiben zu müssen. Aber allzu viel tut selten gut, und so geht’s auch hier: Nach einer Weile fiel mir der inflationäre Gebrauch von „indes“ zunehmend negativ auf – ein Zeichen, dass dem Autor nichts anderes mehr einfiel.

Über Stilfehler wie das Wort „Aktivismus“ im Zusammenhang mit einem General lässt sich streiten. Ich hätte entweder „Aktivität“ oder „Aktionismus“ gewählt. „Aktivisten“ sind bekanntlich Leute wie Julian Assange oder der Chaos Computer Club, wohl aber kaum Generäle aus dem 16. Jahrhundert.

Auf Seite 153 wird der Leser mit dem Ausdruck „ein unhaltsamer Zustand“ konfrontiert. Das Wort existiert im DUDEN nicht, wohl aber das gebräuchliche Wort „unhaltbar“. Auf S. 236 fand ich den Beleg, dass der Text nicht korrekturgelesen wurde, in der Formulierung „Sichtweite mancherorts bei unter als 150 Meter“. Der Autor hat hier schlampig korrigiert. Korrekt heißt es „bei weniger als 150 Meter“ oder „unter 150 Meter“. Entweder oder, aber nicht beides.

Dass bei Gerste manchmal auch die simple Logik der Sprache nicht funktioniert, zeigt sich eine Seite vorher auf S. 235. Hier geht es um die Ardennenschlacht im Winter 1944/45. „…eine nach Westen weisende Ausbuchtung, welche der Schlacht ihren Namen ‚Battle of the Bulge‘ verdankt.“ Wohlgemerkt: Nicht die Ausbuchtung heißt „battle“, sondern die Schlacht, die nach ihr benannt wurde. Deshalb müsste es korrekt heißen: „…Ausbuchtung, welcher die Schlacht ihren Namen usw.“ Wahrscheinlich schrieb Gerste zunächst „verlieh“, und dann wäre alles korrekt gewesen, aber dann änderte er das in „verdankte“ – und der Schlamassel war perfekt.

Illustrationen

Vielen Kapiteln ist eine kleine Illustration angehängt. Sie zeigt das Ereignis, um das es gerade geht, anhand einer historischen Abbildung, mal ein Gemälde, mal eine kleinere Radierung. Das ist ein schöner Beleg dafür, dass der Autor sich nichts aus den Fingern gesogen hat, sondern dass die Zeitgenossen des Ereignisses dieses wirklich auch bezeugten – und es so wichtig fanden, dass sie es im Bild festhalten mussten.

Unterm Strich

Ich habe das mit vielen Fakten gespickte Buch in nur wenigen Tagen gelesen. Der Autor kennt die einschlägige Literatur, auf die er im Text und in den Anmerkungen hinweist. Die Beispiele, die er in lokalen, regionalen und globalen Zusammenhängen einordnet, waren mir bereits großenteils bekannt. Wer weiß nicht, dass die Russlandfeldzüge der Schweden, Franzmänner und Hitlerdeutschen allesamt dem „General Winter“ zum Opfer fielen? Auch die Details zur großen Pest 1348ff und zum Brand Londons waren mir sattsam vertraut.

Deshalb freute es mich umso mehr, dass ich in puncto Unabhängigkeitskrieg 1776-83 und „Krieg von 1812“ in den USA aufgeklärt wurde. Diese Abschnitte triefen vor Ironie, aber der Autor macht sich keineswegs über die Akteure lustig, denn es geht ihm die sachliche Argumentation: Wie das jeweilige Wetter die Aktionen der Menschen beeinflusste.

Inzwischen wissen die Historiker und Meteorologen die großen Klimazyklen abzugrenzen, zu belegen und manchmal sogar zu erklären. Diese Zyklen sind ja möglicherweise auch für den heutigen Klimawandel relevant. Zu römischen Zeiten und im Mittelalter herrschten günstige Warmzeiten, was das Bevölkerungswachstum durch gute Ernten, niedrige Lebensmittelpreise und schnelle Transportwege usw. begünstigte.

Ganz anders sah es dann in den Kaltzeiten aus. In der Kleinen Eiszeit zwischen ca. 1315 und ca. 1850 herrschten vielfach Hungersnöte wegen Ernteausfällen und exorbitanten Lebensmittelpreisen; schlechte Ernährung führte zu Krankheitsausbrüchen, was wiederum die Pestepidemien des 14. bis 17. Jahrhunderts begünstigte. Zu Zeiten des 20. Jahrhunderts rechneten Klimaforscher sogar mit einer neuen Eiszeit (SPIEGEL-Titelbilder belegen das), doch inzwischen sind sich neun von zehn Klimaforschern einig, dass eine Warmzeit begonnen hat, die alle vorigen in den Schatten stellen dürfte.

Doch was verursacht diese manchmal abrupten Klimaschwankungen, wie es beispielsweise um 1315 der Fall war? Es können ja nicht ständig Vulkane ausbrechen und das Wetter der ganzen Welt für Jahrhunderte kippen lassen, wie es der Tambora-Ausbruch 1815/16 tat. Der Einfluss der Sonnenflecken erscheint dem Laien, der das liest, doch etwas zu weit hergeholt. Vielleicht muss man Astrophysiker sein, um das zu verstehen.

Allerdings ist weitgehend bekannt, dass zwischen Sonnenflecken (die ja zu Partikelströmen Richtung Erde führen) und Strom- und Kommunikationsausfällen ein Zusammenhang besteht. Wäre es nicht denkbar, dass energiereiche Partikelströme wie der Sonnenwind auch das Geschehen in der Erdatmosphäre beeinflussen? Auf diesen Zusammenhang geht der Autor m. E. zu wenig ein. Er ist ja ebenfalls kein Astrophysiker. Die Unmengen von Fehlern in Stil, Rechtschreibung, Grammatik und Syntax führen zu einem dicken Minus.

Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
ISBN-13: 978-3608949223
www.klett-cotta.de

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