J. K. Rowling – Harry Potter und der Halbblutprinz

Dem sechsten Band der Harry-Potter-Reihe wurde ja höchst fiebrig entgegen gesehen! Jetzt, gut vier Wochen nach der deutschen Veröffentlichung, hat ihn wahrscheinlich jeder, der die Serie nicht heftig verabscheut, längst gelesen. Insofern mag ich ein wenig spät dran sein, aber ich bin eben nicht so süchtig wie die Fangemeinde. Dafür werde ich mich bezüglich des Inhalts einfach kürzer fassen.

Diesmal wird Harry in den Ferien von Dumbledore persönlich bei den Dursleys abgeholt. Doch bevor Dumbledore ihn beim Fuchsbau abliefert, nimmt er ihn mit zu einem alten Freund und Kollegen, Slughorn. Er möchte, dass Harry Slughorn überredet, als Lehrer nach Hogwarts zu kommen, denn Slughorn hütet eine wichtige Erinnerung, die für Dumbledore sehr wichtig ist …

Zur gleichen Zeit taucht Narzissa Malfoy zusammen mit ihrer Schwester Bellatrix Lestrange bei Snape zu Hause auf. Narzissa will, dass Snape ihren Sohn beschützt, der von Voldemort einen gefährlichen Auftrag erhalten hat. Sie bringt Snape dazu, einen unbrechbaren Schwur zu leisten, was die misstrauische Zeugin Bellatrix schwer überrascht.

Die größte Überraschung jedoch erleben die Schüler zu Schulbeginn in Hogwarts: Slughorn ist nicht, wie erwartet, als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste nach Hogwarts gekommen, sondern als Lehrer für Zaubertränke. Verteidigung gegen die dunklen Künste wird künftig von Snape unterrichtet!

Harry gerät zufällig an ein altes Schulbuch für Zaubertränke, das überall voll gekritzelt und mit „Halbblutprinz“ signiert ist. Schnell stellt Harry fest, dass dieser Halbblutprinz ein Ass in Sachen Zaubertränke war! Nebenbei findet er auch noch eine Menge anderer Zauber auf den Buchseiten.
Viel mehr Kopfzerbrechen aber verursacht ihm Malfoys seltsames Verhalten. Doch was er auch versucht, es gelingt ihm nicht, herauszufinden, was Malfoy dort treibt.

Dafür hat er seit neuestem Privatstunden bei Dumbledore: Gemeinsam tauchen sie in mehrere alte Erinnerungen zu Voldemorts Vergangenheit ein, die Dumbledore mühsam aufgetrieben hat …

Schon in Band V war zu spüren, dass Harry allmählich erwachsen wird, an seinen Zornesausbrüchen und seinen Gefühlen in Zusammenhang mit Cho. Diese Entwicklung setzt sich in Band VI weiter fort, seine Reaktion auf das Angebot des neuen Zaubereiministers Scrimgeour zeugt bereits von echter Reife. Auch seine Gefühle für Ginny sind weit intensiver, als die für Cho es waren. Damit endet die Reife allerdings! Hermines Warnungen bezüglich des Halbblutprinzen schlägt Harry so lange in den Wind, bis es fast zu spät ist. Und noch immer lässt er sich von seinem Zorn hinreißen. Dass er den Sectumsempra-Spruch Snape gegenüber einzusetzen versucht, ist schon ziemlich bedenklich! Selbstbeherrschung ist etwas, was er eindeutig noch lernen muss.

Hermine und Ron dagegen scheinen kein bisschen erwachsener zu werden. Hermine ist beleidigt, weil Harry in Zaubertränke plötzlich besser ist als sie. Eine seltsame Reaktion für eine so gute Freundin, und sicher hätte Harry sie in Bezug auf den Halbblutprinz eher ernst genommen, wenn sie ihre Eifersucht nicht so hätte raushängen lassen!

Ron ist keinen Deut besser. Anstatt einfach direkt mit Hermine zu reden, fragt er Harry, ob sie Krum wohl geküsst hat! Und aus lauter Eifersucht setzt er ihr auf eine Weise Lavender vor die Nase, die selbst für Rons wenig feinfühligen Charakter äußerst grob ist.

Einen solchen Kindergarten kenne ich sonst nur von Erwachsenen. Jugendliche, vor allem, wenn sie sich so gut kennen wie Ron, Hermine und Harry, habe ich eigentlich wesentlich unkomplizierter in Erinnerung.

Dumbledore wird allmählich wirklich alt. Diese Entwicklung wurde schon im fünften Band vorbereitet und wirkt sich nun aus. Von Anfang an wurde Dumbledore als sehr alter Mann beschrieben, insofern ist es nur logisch, dass er nun auch schwächer wird. Was ich aber nicht verstehen kann, ist, dass er Harrys Warnungen über Malfoy nicht ernst nimmt. Harry hat inzwischen oft genug bewiesen, dass er verlässlich ist und eine gute Beobachtungsgabe hat. Dumbledores Äußerung gegenüber Harry, als sie aus der Höhle des Horkrux zurückkommen, zeigt, wie sehr er dem Jungen vertraut, insofern wundert es mich doch sehr, dass er Malfoys Treiben nicht wenigstens einmal überprüft hat.

Am erstaunlichsten fand ich die Ereignisse, die mit den Weasleys zu tun hatten. Was in aller Welt hat die sonst so freundliche und mütterliche Molly für ein Problem mit Fleur? Gut, Fleur hat eine recht taktlose Bemerkung zu Mollys Musikgeschmack gemacht, aber das allein kann es ja wohl nicht gewesen sein. Ginny nennt sie Schleim! Das ist schon ein recht harter, abwertender Begriff für jemanden, der eben einfach ein wenig anders ist! Bedauerlich, dass erst eine Härteprobe wie Bills Entstellung nötig ist, um den weiblichen Weasleys begreiflich zu machen, was wirklich wichtig ist.

Mit anderen Worten: Die Autorin hat es geschafft, fast sämtliche Sympathieträger ihrer Serie zu demontieren. Sirius ist tot, Hagrid kommt kaum noch vor, Lupin, Tonks, Moody, Luna und Neville noch weniger. Und der Rest benimmt sich nahezu unerträglich. Ob das der späte Versuch war, ein zu ausgeprägtes Gut-Böse-Schema zu bereinigen, oder ob dadurch einfach nur die durchweg düstere Stimmung verstärkt werden sollte – keine Ahnung. Ich fand es eigentlich eher nervig.

Rettungsanker sind in diesem Fall Voldemorts Vergangenheit – ich war immer froh, wenn Harry wieder mal zu Dumbledore musste – und Snape. Snape ist nach diesem Band undurchsichtiger denn je. Als er den Unbrechbaren Schwur leisten soll, dessen Nicht-Halten ihn das Leben kosten wird, zögert er, aber er leistet ihn. Warum? Um Narzissa einen Gefallen zu tun? Weil er Malfoy mag? Oder einfach nur, um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen? Wie auch immer, er leistet ihn. Fast hatte ich erwartet, dass er ihn nicht hält. Doch er hält ihn! Warum? So viel Wert kann seine Tarnung kaum sein! Geht es ihm im entscheidenden Augenblick nur um sein Leben? Oder ist er tatsächlich übergelaufen? Nun, vielleicht haben die Leser Glück und erfahren die Antworten auf diese Fragen im letzten und entscheidenden Band.

Der vorletzte Band eines Zyklus zu sein, ist immer undankbar. In Vorbereitung auf das Finale mangelt es diesen Bänden des Öfteren an eigener Handlung.
Das kann man von Potter VI auch behaupten. Allerdings liegt es hier nicht daran, dass das Finale im letzten Band so vieler Vorbereitungen bedürfte. Vielmehr liegt es daran, dass zu viel Gewicht auf Nebensächlichkeiten liegt.

Das Buch ist nach dem Halbblutprinz benannt, von dem Harrys Zaubertränke-Buch stammt. Im Grunde ist dieser Halbblutprinz für das Finale aber gar nicht wichtig, andererseits ist er dafür, dass er die eigene Handlung des Buches darstellen soll, viel zu schwach ausgearbeitet. Da ist der Gefangene von Askaban um Klassen besser gelungen!

Abgesehen davon fand ich die Einzelheiten der verschiedenen Liebschaften, sei es nun die zwischen Ron und Lavender oder die zwischen Ginny und Dean, auf Dauer lästig. Mag sein, dass die erste Liebe für Teenager eine ungewöhnlich wichtige Erfahrung ist. Schon in Band V war die Sache mit Cho ziemlich ausführlich eingebaut; da Verliebtheit aber nun mal zum Erwachsenwerden gehört, hab ich als Leserin dabei ein Auge zugedrückt. Diesmal allerdings wurde es mir eindeutig zu viel! Für sowas gibt es extra Teenie-Bücher über erste Liebe.

Dies und auch die zunehmend düstere Atmosphäre des Buches zeigen deutlich, dass die Autorin sich mit ihrem Zyklus immer weiter von ihrem jüngeren Publikum entfernt, hin zu älteren Teenagern und Erwachsenen. Aller Humor, der in den ersten Bänden noch zu finden war, angefangen von den Dursleys über Dumbledores Begrüßungsreden am Schuljahresbeginn bis hin zu den Weasley-Zwillingen, die nicht mehr da sind und die ich schmerzlich vermisste, ist verschwunden. Er wurde ersetzt durch Voldemorts Vergangenheit und die Horkruxe, und der Schluss des Buches tut sein Übriges.

Obwohl ich die Entwicklung ab dem Zeitpunkt, da Harry und Dumbledore sich auf die Suche nach der Höhle am Meer machen, zu den gelungensten des ganzen Buches zähle, stellt sich mir doch die Frage, wie die Autorin die Geschichte weiterführen will, wenn Harry nach diesem Schuljahr wirklich nicht mehr nach Hogwarts zurückkehren sollte. Was es auch immer sein wird, die harmlosen Schulgeschichten der etwas anderen Art, als die Harry Potter angefangen hat, sind endgültig gewesen.

Wie man es auch dreht und wendet, der sechste Band der Potter-Reihe ist der schwächste von allen. Obwohl er schlanker ist als sein Vorgänger, der durchaus auch schon einige Weitschweifigkeiten enthielt, hat sich das eigentliche Geschehen nicht gestrafft, im Gegenteil. Irgendwie hat man hier am Ende das Gefühl, dass man kaum etwas erzählt bekommen hat. Dazu vermitteln unscheinbare Fehler einen Eindruck von Lieblosigkeit, zum Beispiel, dass die Figur von Blaise Zabini, die im ersten Band noch ein Mädel war, nun plötzlich ein Junge ist. Es scheint, als hätte die Autorin zu diesem neuesten Teil keine rechte Lust gehabt.

Bleibt zu hoffen, dass sie zumindest beim letzten Band noch einmal zu ihrer alten Form aufläuft, die sie in Band drei gezeigt hat!

Gebundene Ausgabe: 656 Seiten
www.jkrowling.com/de
www.carlsen-harrypotter.de

Siehe auch unsere Rezension zur englischen Ausgabe: „Harry Potter and the Half-Blood Prince“