Die kuriose Reise von Steampunk-Eddie
1839: Dampfschiffe statt Raumschiffe; Flinten statt Laserwaffen und ein ziemlich alkoholisierter Edgar Allan Poe, der froh ist, als ein Freund die Pflichten des Bräutigams in seiner Hochzeitsnacht übernimmt, weil er sich außerstande dazu sieht. Dafür trägt sich der nachmals berühmte Autor mit Plänen, das Schreiben ganz sein zu lassen und durch einen Vulkan in der Nähe des Südpols ins Erdinnere einzusteigen, wo sich eine Hohlwelt auftut, in der alles spiegelbildlich ist, die Menschen in Blumen hausen und Raum und Zeit rätselhaft verschränkt sind…
Der Autor
Rudy Rucker ist ein US-amerikanischer Mathematiker, Informatiker, Science-Fiction-Autor und Philosoph. Seine fiktionalen Werke werden zum Cyberpunk-Genre gerechnet. Er gilt als Mitbegründer dieser literarischen Bewegung. Die ersten beiden Romane seiner Ware-Romantetralogie, Software (1980) und Wetware machten ihn berühmt und gewannen Philip K. Dick Awards. Außerdem ist Rucker Verfasser zahlreicher populärer Sachbücher zu erkenntnistheoretischen Themen und Mitherausgeber des Science-Fiction-Magazins Flurb.
Handlung
Der Erzähler, der fünfzehnjährige Mason Reynolds aus Hardware, Virginia, läuft dem verehrten Edgar Allan Poe im Jahre 1836 in Richmond über den Weg, woselbst der stets melancholisch dreinblickende Dichter als Zeitungsredakteur sein Dasein fristet. Kaum daß Mason ihn um einen Job gebeten hat, pumpt sich Poe bei ihm Geld, um sich in der nächsten Kneipe zu besaufen. Eddie ist ein Alkoholiker, erkennt der Fan mit Entsetzen – und später stellt sich Poe auch als Opiumkonsument heraus.
Kein Wunder, daß Poe das Schreiben aufgeben und statt dessen das Innere der Erde erkunden will. Denn gemäß der Theorie des Gentlemans Symmes befinden sich an den Polen die Zugänge zur hohlen Erde und innen weitere Kontinente, die sogenannte Edre, oder SpiegelErde. Mit einem weiteren Gentleman, der ebenfalls Reynolds heißt, rüstet Eddie eine Ballonexpedition aus – eine feine Gelegenheit auch, seinen zahlreichen wütenden Gläubigern in Richmond zu entkommen.
Mit einem Walfänger fahren die Teilnehmer in die Antarktis, wo sie gar widrige Umstände und Untiere zwingen, sich alsbald mit dem ballon aus dem Staub zu machen und durch das Loch im Pol zu fliegen. Das heißt, eigentlich stürzen sie ab und nur einen blödsinnigen Zufall stürzen sie durchs Eis und in das Erdinnere…
Mein Eindruck
Und damit beginnt eine der verrücktesten Odysseen, die man je in der Science Fiction gelesen hat. Steam Punk wird dieses Unter-Genre deshalb genannt, weil hier Dampf- statt Raumschiffe vorkommen, Flinten statt Laserwaffen. Eddie Poe und Mason begegnen den wahren Großen Alten, von denen H. P. Lovecraft stets fantasierte, und schwarzen (statt weißen) Göttern.
Hierbei zeigt sich die satirische Ader Ruckers sehr deutlich: Die Großen Alten haben die Gestalt riesiger Seegurken, und die schwarzen Götter, die Tekelili, sind schwarz, weil die Strahlung der Großen Alten sie färbte – ebenso übrigens wie die weißen Gentlemen von der Erde, wie Eddie Poe zu seinem äußersten Entsetzen feststellt. Er sieht aus wie ein verdammter „Nigger“!
Und als er auf seiner Flucht durch einen Mahlstrom wieder die Oberfläche einer Erde erreicht, die wie unsere aussieht, da wird er auch wie ein Nigger behandelt – und wenn er noch so schöne Verse schmieden kann. Sein Grauen und seine Wut kennen keine Grenzen mehr, als er auf der SpiegelErde seinem anderen Ich begegnet…
Unterm Strich
Der Mathematikprofessor Rudy Rucker ist für seine Gewandtheit in Sachen theoretischer Mathematik und Physik bekannt. Er hat sie unter anderem in seinem Roman „Weißes Licht“ unter Beweis gestellt. Nun beschäftigt er sich mit den verblüffenden, aber leider fiktiven Eigenschaften einer Welt, die innen hohl ist. Unserer Welt!
Und das bringt Rucker auf das zweite große Thema seines Romans „Hohlwelt“: Edgar Allan Poe, besser gesagt: dessen „Umständlicher Erzählung von den Abenteuern Arthur Gordon Pyms von der ‚Nantucket'“. Wie jedem Anglisten und Poe-Liebhaber bekannt sein dürfte, handelt dieses fiktive Tagebuch von der Reise eines Amerikaners in die Antarktis, wo es statt kälter nur heißer wird und weiße Vögel „tekelili!“ kreischen. Leider ist das Ende des Tagebuchs nicht überliefert, denn es bricht unvermittelt ab. Das bietet Rucker eine gute Gelegenheit, sich auszudenken, wie es wohl mit Eddie Poes Reise weitergegangen sein mochte, im Innern der Welt…
In diesem einfallsreichen Roman kommen zahlreiche literarische Strömungen und Absichten zusammen – siehe oben. Das macht ihn insgesamt zu keiner einfach konsumierbaren Kost. Einerseits. Andererseits versteht es Rucker, seine Abenteuerstory à la „Gordon Pym“ und „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ flüssig und spannend zu erzählen, sie aber nicht wie jene Klassiker aufzuziehen, sondern als Mensch der Neuzeit.
Er macht also eine Satire daraus: auf die Sklavenhaltergesellschaft, auf die gläubige Poe-Verehrung (Poe hat einen Horror vor dem weiblichen Geschlecht, daher vergöttlicht oder dämonisiert er es) und auf abstruse Wissenschaftstheorien wie John Cleve Symmes‚ Lehre von der Hohlwelt – die es vermutlich wirklich gab, wie uns das umfangreiche Nachwort glauben lassen will. Wem all dies zuviel Deutelei ist, der lese einfach den lustigen Roman. Denn dieser endet standesgemäß mit einer Feier und einer Versöhnung.
Der Autor vergibt: