S.K. Vaughn – Die Astronautin – In der Dunkelheit wird deine Stimme mich retten

Todeskampf an Bord des Totenschiffs

Weihnachten 2067: Auf der Krankenstation eines halb zerstörten Raumschiffs erwacht May Knox aus der Bewusstlosigkeit. Sie scheint die letzte Überlebende einer hoffnungsvollen Mission zu sein und hat doch keine Erinnerungen an einen möglichen Unfall. Bald kämpft sie gegen eine Vielzahl von Gefahren ums Überleben. Ihre einzige Rettung ist die Funkverbindung zur NASA, vor allem zu dem Wissenschaftler Stephen, der Schiff und Auftrag kennt wie kein Zweiter. Doch Stephen ist auch Mays Ex-Mann, dessen Herz sie brach und der ihr und der NASA den Rücken kehrte. Jetzt ist seine Stimme alles, was ihr noch Hoffnung geben könnte in der Schwärze des Alls …. (Verlagsinfo)

Der Autor

>>“S. K. Vaughn“ ist das Pseudonym eines Autors der bereits drei international äußerst erfolgreiche Romane veröffentlicht hat und als Drehbuchautor für verschiedene große Hollywood-Studios arbeitet.<< (Verlagsinfo) Er bedankt sich im Nachwort ausdrücklich beim Filmstudio Universal Pictures, womit wohl klar sein dürfte, dass dieser Roman verfilmt wird.

Handlung

Maryam "May" Knox, Kommandeurin des Forschungsraumschiffs "Stephen Hawking II", erwacht einsam und allein auf der Krankenstation. Sie leidet unter partieller Amnesie. Wo ist die Besatzung, fragt sie sich, und was ist passiert. Einzig die KI antwortet, doch deren Kameras sind auf die Commander-Station begrenzt. Nachdem sich May gestärkt und den keimfreien Prozessorraum des Schiffs auf Vordermann gebracht hat, können sie und die KI, die sie nach ihrer Mutter "Eve" nennt, daran gehen, herauszufinden, welche Katastrophe das Schiff ereilt hat.

Es kehrte vom Planeten Europa, einem der Jupitermonde, zurück, aber wo es sich jetzt befindet, ist unklar: möglicherweise noch jenseits des Asteroidengürtels. Das würde erklären, warum die Asteroiden den Blick auf die Sonnen verstellen. Sie müssen unbedingt eine Verbindung mit der Erde herstellen. Dort lebt Stephen Knox, der geliebte Mann, von dem sich May erst kürzlich getrennt hat, wie ihr Eve mitteilt.

Allein, aber nicht einsam

May ist noch geschwächt, und die Einsamkeit setzt ihr zu. Die Eve-KI muss noch auf menschliche Nuancen der Sprache trainiert werden und ist somit keine richtige Gefährtin. Sie berichtet Bedrohliches: Die Energie nimmt ab, was wohl den Stromausfall erklärt, und der Antrieb wird ständig schwächer. Somit ist fraglich, ob es May überhaupt jemals zur Erde bzw. zur Wright Station der NASA auf dem Mond schaffen kann, wo Stephen hoffentlich noch auf sie wartet.

Der Horror

Die Frage, wie 33 Besatzungsmitglieder spurlos verschwinden konnten, muss dringend geklärt werden. Der einzige Raum, den May noch nicht abgesucht hat, ist der Hangar mit den Landefahrzeugen. Die KI warnt vor eisiger Kälte und fehlender Luft. Als sie die riesige Halle in einem Außenbordschutzanzug betritt, kann sie mit ihrer Lampe kaum sehen, wo die Shuttles sind. Etwas stößt sie und schlägt ihr die Lampe aus der Hand, weitere Stöße folgen. Sie macht ihre Helmlampe an und erkennt in deren Schein, dass das, was sie ständig stößt, gefrorene und aufgedunsene Leichen sind. Sie treiben schwere- und ziellos durch den Hangar, die Münder und Augen vor Entsetzen aufgerissen. May ist geschockt und muss sich übergeben – in ihren Helm. Sofort sieht sie nichts mehr und muss die Luft anhalten. Nur dank Eves Öffnen der Hangartür entkommt sie dem Horror. Ihr letzter Gedanke vor der Ohnmacht: "Ich bin die Letzte!"

Ungelöste Rätsel

Nun muss May auch noch das Rätsel eines Massenmordes lösen. Wer konnte der Crew befehlen, ohne Schutzanzug in den Hangar zu gehen und hat dann dort die Luft abgelassen? Wer hat den Flugschreiber aus seiner mehrfach gesicherten Halterung entnommen und verschwinden lassen? Wer hat die Krankenakten über die Stunden vor Mays künstlichem Koma gelöscht? Einziger Lichtblick: Sie kann sämtliche zehn Antennen wieder aktivieren und ausrichten – aber worauf? Das Navigationssystem ist ja ebenfalls ausgefallen. Und dann meldet Eve auch noch ein Leck in der Außenhaut. Als May das Leck in der Botanikabteilung stopfen will, wird sie fast ins Weltall hinausgesogen…

Unterdessen auf dem Mond

Mays Botschaft trifft bei der NASA ein. Der Schock sitzt tief. Stephen Knox hat aus Nanoteilchen einen Sonnenkollektor entworfen, mit dessen Hilfe auf Europa der Eispanzer durchbrochen werden konnte. Nur so konnte eines Meereswasserprobe entnommen werden. Die Frage lautet nun: Ist mit diesem Meereswasser ein fremdes Virus an Bord gelangt und hat die Crew getötet? Da müsste die Crew aber ganz schön unvorsichtig gewesen sein.

Stephens bester Freund ist Ray Kapoor, der geniale Konstrukteur der "Hawking II". Zusammen analysieren sie Mays Botschaft, die scheinbar nur aus Horrormeldungen besteht. Sie müssen es Robert Warren, dem Leiter der Mission in Houston, mitteilen. Der verwittert eine PR-Katastrophe und verhängt eine Nachrichtensperre. Alles, was May von nun an von sich gibt, muss über seinen Tisch. Er verspricht Stephen eine Rettungsmission, die vom Mars aus starten soll. Doch zwischen dem Schiff und dem Mars liegt der Asteroidengürtel. Stephen unterrichtet May von diesem Plan und hofft, dass er klappt, denn alles hängt an einem seidenen Faden.

May macht sich auf einen rauen Ritt gefasst, doch sie ahnt nicht, dass das Ende der Sabotageversuche noch längst nicht gekommen ist. Zwei Crewmitglieder hat sie im Hangar nämlich nicht finden können…

Mein Eindruck

Der Roman beginnt wie ein anständiger Thriller mit einer Gedächtnislücke. Wer bin ich und was mache ich hier, fragt sich die Heldin. Ihre einzige Informationsquelle ist eine Künstliche Intelligenz, von der nicht klar ist, ob sie ihr trauen kann. Schließlich hängt davon ihr Überleben ab. Und wo ist die ganze Besatzung? Was bzw. wer hat die Crew umgebracht, lautet die Kardinalfrage, die es in der ersten Hälfte des Roman, dem Thriller, zu beantworten gilt.

Dass sich mindestens ein Saboteur an Bord befinden muss, wird unserer Heldin klar, als immer mehr Komponenten des kugelförmigen Raumschiffs zerstört werden. Die KI ist weder bei der Aufklärung noch bei der Rettung eine große Hilfe, so dass sich May selbst in Sicherheit bringen und den oder die Saboteure – sie hat zwei Crewmitglieder nicht gefunden – ausschalten muss.

Unterdessen erinnert sie sich immer mehr an die Episoden ihrer Vergangenheit, die dazu geführt haben müssen, dass sie a) Kommandeurin dieses Raumflugs, b) die Kapitänin dieses "Fliegenden Holländers" und c) die Ehefrau eines gewissen Stephen Knox geworden ist. Als Stephen ihr per Geheimfunkspruch mitteilt, dass sie schwanger sein muss, wendet sich ihr Schicksal, denn nun kommt eine vierte Rolle hinzu: die als Mutter in spe.

Die Frage, die sie sich viel zu spät stellt, lautet: Wer, zum Geier, ist der Vater ihres Kindes? Zunehmend wird die Handlung zu einem Beziehungsdrama, und dass sich wilde Emotionen nur sehr schlecht mit ruhigem Raumflug vertragen, dürfte sich herumgesprochen haben. Denn Maryam ist alles andere als ein braves Mädchen gewesen, bevor sie nach Europa abgeflogen ist. Vielmehr hat sie sich noch einmal mit ihrem ersten Freund eingelassen, dem Milliardär Albright.

Liebe im Dreieck

Albright ist ganz klar nach Vorbild eines Elon Musk gezeichnet und nimmt keine Rücksicht auf Leute, die ihm Steine in den Weg legen. Aber er ist für Stephen und Raj die einzige Möglichkeit, mit einem neuartigen Raumschiff die "Hawking II" auf einem Abfangkurs zu erreichen, bevor das Raumschiffwrack auf die Marsoberfläche knallt. Der Flug dauert ein paar Monate, denn Robert Warren scheut nicht davor zurück, die U.S. Navy einzusetzen, um Albrights Raumschiff abzuschießen. Schwer beschädigt dauert die Reise zur "Hawking II" entsprechend länger. Als sie eintreffen, setzen bei May bereits die Wehen ein.

Emotionale Nötigung

In den folgenden dramatischen Szenen fühlte ich mich vom Autor emotional genötigt, um wirklich den hochnotpeinlichsten Momenten von Mays Geburtsvorgang beiwohnen zu müssen. Zudem wird die Dreiecksbeziehung zwischen May, Stephen und Albright auf eine brutale, endgültige Weise entschieden. Das Ergebnis, so lautet wohl die Botschaft, ist ausgeglichen: Ein Baby kommt zur Welt, doch ein unerwünschter Vater muss den Abgang machen. Welcher das ist, darf hier nicht verraten werden. Mir war diese Nötigung jedoch entschieden zuviel. Dennoch fand ich es unmöglich, das Buch beiseitezulegen.

Die Übersetzung

Es gibt erfreulich wenige Fehler zu verzeichnen.

S. 94: "…griff nach ihr, trat sie und umschla[n]g sie." Da G fehlt.

S. 324: "Der Wucht der Bewegung zwang ihn in einen Rückwärtssalto." Hier wurde wohl falsch korrigiert. Da "Bewegung" weiblich ist, sollte der bestimmte Artikel dafür "die Wucht" lauten.

S. 493: "Es fühlte sich sichtlich unwohl im Umgang mit Frauen." Da May hier Robert Warren, ihren obersten Boss, meint, sollte es richtig "Er" statt "Es" heißen.

Unterm Strich

Der Leser bekommt in diesem Buch gleich zwei Romane. Anfangs ist die Handlung als thrillermäßige Ermittlung Gestaltung, denn schließlich startet die Handlung nicht am Anfang, sondern in der Mitte des Raumflugs der "Hawking II". Was ist passiert und wieso passieren ständig Systemausfälle lauten die Fragen, die die unter Amnesie leidende May zu beantworten hat.

Die zwei Hälfte ist völlig anders strukturiert und basiert auf den zahlreichen Rückblenden, in denen der Leser schon fast alles über das Vorleben von May erfahren hat – aber nur fast. Nun entwickelt sich ein Liebesdrama, das seine Energie aus der Rivalität zwischen Stephen, Mays Mann, und Albright, Mays Exfreund, bezieht. Dieses Dreieck ist ein unhaltbarer Zustand und muss in einer Krise münden. Aber wann? Nach den Gesetzen der Dramaturgie dürfte das garantiert im unpassendsten Augenblick erfolgen.

Die emotionale "Lautstärke" wird aufgedreht, als bekannt wird, dass May von einem der beiden Väter schwanger ist. Der Buchtitel ist also insofern irreführend, als weder der verhasste Stephen noch der abzulehnende Exfreund May wirklich helfen, sondern vor allem ihre neue Rolle als Mutter in spe. Nicht "seine" Stimme wird sie retten, sondern lauter werdende Herzschlag ihrer ungeborenen Tochter. Frauen dürften von jeder Drehung dieser emotionalen Schraube begeistert sein, ich war es nicht. Wer dachte, Raumfahrt habe etwas mit Mathe, physikalischen Gesetzen und Berechnung zu tun, wird hier eines Schlechteren belehrt: Am Ende zählt nur der Wille zum Überleben. "Die schönste Liebesgeschichte des Universums" habe ich mir jedenfalls nicht so brutal und fies vorgestellt.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Across the Void
Aus dem Englischen von Thomas Bauer.
ISBN-13: 9783442205721

www.randomhouse.de

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